Kazimierz Przerwa-Tetmajer
Aus der Tatra
Kazimierz Przerwa-Tetmajer

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Das Räuberhaus

Einmal zu Anfang November entwurzelte ein furchtbarer Bergsturm, der drei Tage und zwei Nächte wütete, so viele Bäume der Tatra, daß an manchen Stellen der ganze Bergeshang von Tannentrümmern bedeckt lag, aus denen nur hie und da frostgeröteten Laubes eine Buche emporragte, die sich durch ihre tiefergehenden Wurzeln aufrecht erhalten hatte. Dann war Regen gekommen, danach Schnee, und dann gegen Ende November fiel plötzlich in einer Nacht furchtbare Kälte ein.

In dieser Nacht traten auf eine tief im Walde gelegene Wiese beim Koszysta vier Männer heraus: Jozek und Stasek Luscyk, zwei Brüder aus Bukowina, Jendrek Kosla aus Pardolówka und Hilar Piton aus Koscielisko. Sie kamen von weit her, aus der Zips, und trugen schwer, denn sie hatten den Laden eines Juden nicht nur des Geldes, sondern auch verschiedener Waren, wie Leinwand und Tuch, beraubt, die sie an die Juden in NowytargNeumarkt, Kreisstadt bei Zakopane, Hauptstadt des Goralengebietes. gut verkaufen konnten; dabei trug der Kosla noch ein feistes Reh auf dem Rücken, das er im Biala-Woda-Tal – mit einem Steinwurf just am Kopf getroffen – glücklich erlegt hatte. Wunderbar verstand er Steine zu schleudern und konnte dazu noch das Kunststück, niedergekauert und sich mit den Händen an den großen Zehen haltend, auf einen hohen Tisch zu springen. Auch vermochte er so zu rennen, daß, wenn er einen Hund beim Schwanz packte, er diesem im schnellsten Lauf solange folgte, als er nur wollte. So hat man ihm denn auch den Beinamen Kosla der »Flinke« gegeben, oder der »Läufer«. Zuweilen nannte man ihn aber auch den Hohen Jendrek; man weiß nicht, ob wegen seines großen Eigendünkels und Hochmutes, oder weil er sich fast immer oben in den Bergen aufhielt und nur selten im Tal zu sehen war. Ja vielleicht aus beiden Gründen.

Sein langes Gesicht war hell wie die Sonne, immer lächelnd, und einen anderen verwunden, das hieß bei ihm so viel, als die Hand ausstrecken. Er war hoch und schlank wie eine Tanne. Zweier Menschentode konnte er sich rühmen.

Die Brüder Luscyk, der ältere Jozek und der jüngere Stasek, waren feste Männer, breit in den Schultern, von riesigem Wuchse, dunkelbraun im Gesicht. Ihr langes schwarzes, stets mit Butter sorgfältig gefettetes Haar zierten zwei von den Schläfen bis zur Achsel reichende Zöpfe, in denen Glaswerk und bunter Flitter eingeflochten war. Junge Stiere warfen sie sich über den Rücken, wie Schafe. Sie hatten die Gewohnheit, ihren Weg zu beleuchten, indem sie irgend eine Hütte am Rande einer Stadt oder eines Dorfes, wo sie nachts plünderten, in Brand steckten. Deshalb wurden sie auch die Grellen Luscyk genannt.

Der vierte, Hilar Piton aus Koscielisko, war ein Mann von mittlerem Wuchse und hatte den Beinamen der »Drehende«, denn der brachte es fertig, sich unter der CiupagaCiupaga = schlanke Handaxt, die gleichzeitig als Gehstock dient. hin und her zu winden und konnte überhaupt verschiedene halsbrecherische Stückchen ausführen. Er war blond, sein Haar gekräuselt, und im Diebstahl von Schafen und Ochsen auf den Almen kam ihm keiner gleich. Dabei pflegte er auf einer Schalmei zu pfeifen, womit er die langen Märsche und Nachtlager in den Einöden erheiterte.

Der »Harnas«, oder Hauptmann dieser Bande war Jozek Luscyk, der Älteste und Verständigste unter ihnen, noch herangebildet in der Schule der seligen Jozek und Jasiek Nowobilski, aus einem sowohl seines Alters, als der Räuberei wegen berühmten Schultheißengeschlechte aus Bialka, deren Namen er stets mit Ehrfurcht nannte und für deren räuberische Seelen er oft ein »ewige Ruhe« sprach. »Mag ihnen der Herr Jesus die siebenundzwanzig erbrochenen Geschäftsläden und den dreifachen Menschentod verzeihen! Das waren Männer!« – pflegte er zu sagen.

Stasek Luscyk hatte auf der Waldwiese ein Feuer angemacht, aber die Kälte drang ihnen so grimmig durch Mark und Bein, daß sie es kaum aushalten konnten. Der Mond schien hell, Piton schaut auf die umgestürzten Bäume rundumher, kratzt sich den Kopf und sagt:

– Hej, wenn so aus denen ein Haus aufwüchse! da hätte man doch einen Platz, sich zu wärmen.

Stasek Luscyk schaut ihn scharf an.

– Weißt, Hilar, das könnt gleich aufwachsen dahier. Da braucht man nur die dürren Äste abzuhauen, die Stämme zu kürzen und Bretter fürs Dach zu schaffen. Nicht dieses Mal allein tät uns ein solches Haus not.

– Es ist doch gar nicht weit nach Poronin in die Sägemühle, um die Bretter herzuführen, sagte Kosla, der damit beschäftigt war, das Reh abzuhäuten, und seine Augen leuchteten auf bei dem Gedanken, daß er dann auch bei strengstem Frost nicht mehr nötig hätte, im Hause seines Vaters in Pardolowka zu sitzen.

– Wißt, Jungens, kalt ist's, machen wir uns gleich dran! sagte Piton. Wär's auch nur, um uns zu erwärmen!

Jozek Luscyk war sofort einverstanden:

– Da gibt's nachher doch einen Platz, wo man ab und zu übernachten und ein Stück Vieh, irgendwo vom Muran her, wird einstellen können, und – Gott weiß, was eintreten kann – wenn man so längere Zeit, falls es so kommen sollte, außerhalb von Menschenwohnungen sich aufhalten müßte.

Es lag ihm noch jene schreckliche Kälte in den Gliedern, die er vor einigen Jahren mit Jasiek Nowobilski in der Magóra-Höhle aushalten mußte, denn Hejducken von NiedzicaNiedzica = ein Schloß der Grafen Palocsay. hatten eine Hetzjagd wie auf Wölfe veranstaltet, um sie einzufangen. Zwei Finger der linken Hand waren ihm damals erfroren, die er sich dann mit dem Beile abhieb.

– Das war so wie aus Holz; ich hab's auf einen Strunk gelegt und abgeschlagen – pflegte er zu erzählen.

Der Einfall, ein Haus im Urwald zu errichten, den außer ihnen und ihres gleichen nur noch Bären oder Wölfe zu durchdringen vermochten, schien ihm ausgezeichnet. Da würde es nicht mehr nötig sein, zu singen:

»Seht, wie auf grüner Buche die Blättlein erbleichen!
Wie wird den guten Burschen der Winter verstreichen!«

– Der Herrgott selbst hat das Holz aufgeschichtet, und es ist schad', es verderben zu lassen – sagte er. – Die halbe Arbeit ist schon getan, denn man braucht es nicht zu fällen. Soll wenigstens ein klein wenig von dieser Gabe Gottes nicht verfaulen.

Während also Kosla mit der Zurichtung des Rehs beschäftigt war, machten sich die drei anderen daran, mit den Ciupagen die dürren Äste und Gipfel der auf dem Boden liegenden Tannen abzuhauen.

Anderen Tages gingen Stasek Luscyk und Kosla Bretter in der Poroniner Sägemühle kaufen und schafften sie bis an den Waldrand – wohl achtend, daß es tiefstes Geheimnis bleibe, wohin sie sie schafften. Im Walde mußten sie dann die Last schleppen, denn für einen Wagen gab es keinen Weg.

Am Abend endlich lagen die Bretter schon an Ort und Stelle, nachdem sie alle vier rüstig bei der Arbeit zugegriffen hatten. Sie aßen das Reh, tranken den aus Ungarn mitgebrachten Branntwein, einen ausgezeichneten BorowiczkaWachholderschnaps., von dem die Augen weiß wurden; Nägel, Hämmer, Beile, alles was nötig war, hatten sie bei der Hand.

Sie hatten sich bei der Arbeit abgeplagt, waren aber fröhlicher Laune, und Piton spielte bereits auf seiner Pfeife, und Stasek Luscyk stellte sich schon zum Tanze auf, als Jozek in Gedanken versank und sagte:

– Ej, Jungen, auf eines haben wir vergessen. Wir haben keine Säge. Wie werden wir denn die Klötze sägen, oder die Bretter?

Und weil sie keine Säge mehr kaufen wollten, da sie bereits viel Geld ausgegeben und auch eine Anleihe irgendwo im Dorfe, die aufgefallen wäre, nicht machen durften, so brachen der Flinke Kosla und Stasek Luscyk sofort auf und kehrten vor dem Morgen mit zwei in der Mühle gestohlenen Sägen zurück.

Dann machte Jozek Luscyk, der Führer der Bande, über dem Platze, wo das Haus stehen sollte, ein Kreuz, bekreuzte auch seine Stirn, faltete seine Hände und sprach, die Augen gen Himmel gewendet:

– Allmächtiger Herrgott, in der heiligen Dreifaltigkeit geeint, allerheiligster Herr Jesus, Gekreuzigter, Heiliger Geist, heilige Muttergottes, und ihr, alle Heiligen und Engel des Herrn, seid uns behilflich, daß uns die Arbeit wohlgehe und gelinge, daß bei ihr und durch sie keinerlei Unglück geschehe, aber, daß sie Dir, o Herrgott, zum Ruhme, den Menschen zum Nutzen sich erhebe, und daß der Segen Gottes immer mit ihr sei, daß keiner von uns hier krank werde, daß kein Verrat stattfinde, noch daß irgend ein Vieh, ein Pferd, ein Rind, oder irgend etwas, sei es ein Schaf, ein Widder, ein Schwein, oder was auch immer, sei es aus der Zips, oder aus Polen, oder woher auch immer gestohlen, nicht umstehe, sondern daß wir uns hier in Gesundheit erhalten, Geld haben und Deinen göttlichen Namen, urewiger Vater, loben: so helfe uns, allmächtiger Herrgott in der Dreifaltigkeit geeint, und Du allerheiligster, liebster Herr Jesus. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Danach war das Haus bald fertig auf der Waldwiese unter dem Koszysta. Die Leute nannten es das Räuberhaus.

Und Gott ließ es ihren Erbauern wohl ergehen, sie waren gesund, sie hatten das Geld der Menschen, aber auch ihnen kam, und in nicht ferner Zeit, einem nach dem andern das Ende.

Zuerst wurde Jozek Luscyk, der Führer der Lande und hauptsächlichste Erbauer des Hauses, denn darauf verstand er sich am besten, in Lipto-St.-Miklos mit der Rippe an einen Haken gehängt und hing so lange, bis er sein Leben ausgehaucht. Dort liegt er eingescharrt. Stasek, sein jüngerer Bruder, starb an Lungenentzündung, da er Wasser getrunken, als er sehr erhitzt war, weil ihn die Grenzwächter beim Tabakschmuggel nach Galizien hart verfolgt. Er starb in seinem Heimatsdorfe.

Piton stürzte, als er flüchtend das Gitter des Schlosses WisniczIn Galizien. Vielmals in Räuberliedern besungen. übersteigen wollte, von der Höhe herab und zerschmetterte sich den Kopf auf der Stelle. Er liegt auf dem Friedhof zu Wisnicz begraben. Der »flinke« oder »hohe« Kosla ging als letzter aus dieser Welt. Er fiel im Starolesna-Tal der Tatra, wo er bei den Unteren Seen von der Kugel eines Zipser Gemsjägers getroffen wurde. Dort liegt er.

Schnee hat ihn überdeckt und im Frühjahr haben die Adler seinen Leib über die Firnen auseinandergetragen.

So fanden die vier Erbauer des Räuberhauses ihr Ende.

Aber das Haus sah dann noch viele Dinge.

In ihm fand die berühmte und so tragisch endende Hochzeit der Zoska Mocarna aus Koscielisko statt. Sie stammte aus dem durch seine Kraft berühmten Geschlechte der MocarnyMocarny = stark, kräftig., das gewiß von dieser Eigenschaft den Namen führte. Die kräftigsten Männer schlug sie zu Boden, fällte Bäume im Walde, und im Alter von ungefähr dreißig Jahren schloß sie sich der Räuberbande des Franek Topor Hucianski aus Hrube an und wurde der Schrecken der gemauerten, jenseits der Tatra gelegenen Dörfer. Nie lernte sie die Umarmung der Liebe kennen, denn ein jeder fürchtete sich, ihr zu nahe zu kommen. Aber als sie durch ihren zusammengeraubten Reichtum berühmt wurde – nahm sie sich doch von dem geraubten Gut so viel sie wollte, denn niemand wagte mit ihr darum zu feilschen – da warb der nicht gerade arme, aber habgierige Kuba Piton aus Molkowki in Koscielisko um ihre Hand. Die Leute warnten ihn und sie selbst sagte: »Kuba, laß ab, denn du hältst es nicht aus!« Er aber, gierig nach den Reichtümern, hörte nicht auf diese Ratschläge. Und da Zoska sich in der Kirche von Chocholow nicht zeigen wollte, weil sie dort dem wohlhabenden und weit und breit verschwägerten Bauern Michael Tylka jüngst ein paar Pferde gestohlen, kam sie auf den Einfall, ihre Hochzeit in dem ihr gut bekannten Räuberhaus zu feiern. Der ganze Hochzeitszug ritt also tief in den Wald hinein, unter Gesang und Musik. Schwerbepackte Pferde trugen Fäßchen mit Wein und Bier, und der ganze Urwald widerhallte von dem Lärm, den entferntes Heulen aufgescheuchter Wölfe begleitete. Zoska hatte für die Hochzeit ein Kesselchen voll Talern ausgeschüttet. Pistolen und Flinten knallten, man legte ein Feuer an, dessen Flamme bis knapp unter die Gipfel der Tannen loderte und einen Feuerschein gab wie ein Brand.

Aber dem Kuba brachen früh morgens drei von den unteren Rippen, eine rechts, zwei links, und – da man ihn wegen der großen Schmerzen und der Unwegsamkeit nicht nach seinem heimatlichen Koscielisko bringen konnte – starb er dort nach drei Tagen. Man begrub ihn im Walde, richtete ihm ein Kreuz auf, und lange lief noch das Sprichwort: Er ist dazu gewachsen, wie der Kuba Piton zur Zoska Mocarna.

Sie hingegen beklagte ihn sehr und sagte, daß sie gar nichts dafür könne, daß sie mit ihm möglichst behutsam umgehen wollte, aber daß es sie für ein kleines Weilchen erregt habe – und da hast's . . .

Dort im Räuberhause weilten auch, vor dem Geschrei und vor dem Fluche der Menschen sich verbergend, die unglücklichen Geschwister Jas und Teresia Slodyczka aus Zubsuche, sie siebzehn, er zwanzig Jahre alt, die sich gegen göttliches Gesetz und menschliche Instinkte ineinander verliebt hatten und aus dem heimatlichen Dorfe und väterlichen Hause flüchten mußten. Dort begruben sie unter einer alten Tanne ein kleines Kindlein, das vor Kälte und Hunger starb, als sie selbst nahe daran waren, Hungers zu sterben, und Jas, der in Nowytarg die Schule besucht hatte, schälte von einem Baume die Rinde ab und grub auf diesem Grabdenkmal folgende Inschrift ein:

Hier ruht
ein kleines ungetauftes Kind,
gestorben vor Frost und weil der Mutter die Milch
in der Brust ausging.
Bestrafe es, Gott, nicht mit der Hölle,
denn es hat doch keine Schuld Dir gegenüber.
Amen.

Lange stand die Tanne mit dieser Inschrift, bis ein Blitzschlag sie zersplitterte. Verschieden deuteten das die Leute: die einen meinten, Gott habe das Zeichen geben wollen, daß er die Bitte erhört und das Kind, obzwar noch ungetauft, in den Himmel genommen; andere, daß er das Zeichen hat geben wollen, das Kindlein brenne im höllischen Feuer, wie diese Tanne von dem Blitzschlag verbrannt war.

»Gott ist Gott,« sagte die alte Gadejka, ihre Tante, »Er ist wie der Adler in den Lüften. Wer weiß, was Er im Sinne hat? Weder die Wolke, noch der Regen widerstehn Ihm. Wohin Er will: dorthin fliegt Er. So ist auch der Herrgott frei.«

* * *

Dort im Räuberhause sah Wojtek Samek aus Zakopane, ein verbissener Bärenschütze, genannt der »Seher«, denn er sah wunderbare Dinge, wie sich solche niemandem zeigten (er sah einen Fisch mit einem Widderkopf im Meerauge), einst in einer Oktobernacht, zur Zeit des Vollmondes, den furchtbaren Tatrareiter, einen Luchs auf dem Nacken eines Hirsches, wie er über die Waldwiese unterhalb des Räuberhauses, von dem verzweifelten Tier wie von einem Sturmwind getragen, dahinraste. Als er aus der Ferne das Stöhnen vernahm und diese furchtbare Erscheinung erblickte, da erschrak Samek anfangs, in der Meinung, es sei eine Gespenstererscheinung, ja, er bekreuzigte sich sogar mit dem Kreuze des Herrn. Aber der Hirsch raste vorüber und verschwand im Dickicht.

Dort sah er auch den verzweifelten Kampf eines Bären mit Wölfen, deren er fünf zählte. Der ganze Hochwald bebte von dem Gebrüll und dem Röcheln, und eine Wolke jungen Schnees erhob sich in der Luft über dem Haufen der Tiere. Der Bär, unvermutet überfallen, hatte nicht Zeit genug, sich in den Wald zu den Bäumen zu flüchten, und die Wölfe bedrängten ihn. Samek sah aus der Tür des Räuberhauses diesem Kampfe mit der Doppelflinte in der Hand zu. Es tat ihm leid um das Bärenfell, aber er war neugierig, wer Sieger sein würde. Der Bär verteidigte sich mannhaft und zog sich aus dem jungen Tannendickicht langsam gegen den Wald zurück. Die Kriegerseele Sameks jauchzte vor Freude, als sich das mächtige Tier auf die Hinterbranten aufstellte und mit den kräftigen Armen herumwarf, brüllend und schnaubend. Aber die flinken Wölfe sprangen zur Seite und versperrten ihm den Weg in den Wald. Schon war einer von ihnen, am Kopfe getroffen, mit Geheul in den Schnee gefallen, den das Blut aus seinem zerfetzten Rachen färbte. Auch ein zweiter war schon mit aufgeschlitztem Bauche hoch in die Luft geflogen und fiel herab, um sich in seinen eigenen blutigen Eingeweiden zu wälzen, als es dem größten der Wölfe gelang, von rückwärts auf den Bären zu springen und ihm hinter dem Gehör seine spitzigen Reißzähne in das Genick einzurennen. Jetzt heftete sich ein zweiter Wolf an seine Gurgel, und ein dritter sprang ihm ebenfalls auf den Nacken.

Der zu Boden gedrückte und gewürgte Bär fiel nieder und spreizte seine vier Branten von sich. Jetzt entstand ein einziger ungeheuerlicher Knäuel von Leibern und ein solches Gebrüll, Stöhnen und Röcheln, vermischt mit dem Geheul der zwei daneben verendenden Wölfe, daß dem Samek von dem ergreifenden Eindruck die Flinte in der Hand zitterte. Vielleicht eine halbe Stunde verging mit dem furchtbaren Balgen der kämpfenden Tiere, die sich so verwickelten, daß es schwer war, eines von dem andern zu unterscheiden. Endlich hörte der zu Tode gebissene Bär auf, sich zu verteidigen, und die Wölfe, rot von dem aus den Wunden rieselnden Blute, begannen sein Fleisch in Fetzen zu reißen und sein Blut klatschend zu schlappern. Da tötete Samek zwei von ihnen mit zwei Schüssen; der dritte entfloh.

Er erzählte das abends zu Hause in der warmen Stube vor einer Schüssel dampfenden, reichlich mit heißer süßer Milch begossenen Sterzes. Und aufmerksam lauschten sein Weib, seine drei kräftig gewachsenen Söhne und die drei schönen Töchter mit den schwellenden Brüsten und rotwangigen Gesichtern – sie haben Leinwand gewebt, so lange es tagte, und sich jetzt niedergesetzt, eine auf die Bank, die andere auf ein Schemelchen, die dritte auf einen Kübel, das runde Kinn auf die Hand gestützt, begierig, die wunderbaren Mären zu hören, welche Väterchen immer von den Bergen heimbrachte. Auch zwei Gevattern, Freunde und Genossen Sameks, horchten mit Spannung auf, zwei große unvergleichbare Jäger, Jendrek Sieczka aus Symoskowa und Maciek Tatar, welche jetzt dichten, erdrückenden Qualm aus ihren kurzen Pfeifen pafften und sich dabei am guten Ungarwein gütlich taten. Sie sollten mit ihm am nächsten Morgen zum Räuberhause ziehen, um die Decken der verendeten Tiere zu bergen, die, wenn auch im Kampfe zerrissen, ihren Wert nicht verloren hatten, sowie sich das Fleisch und das in allen Krankheiten so heilsame Feist des Bären zu sichern, insofern die reiche Beute nicht schon von Wölfen, Luchsen, Füchsen, Mardern und Raubvögeln zu Schanden gemacht war.

Dort auch hatte er eine wunderbare Erscheinung, nach der die Leute sagten, daß er, wenn er auch Gott weiß wie schlecht wäre, in den Himmel eingehen würde, da der Herrgott ihm schon zu Lebzeiten solches zu sehen die Gnade erwiesen; aber er war nicht schlecht.

Das Unglück wollte es, daß er einmal mit zwei Genossen auszog, um im Mienguszowiezka-Tal Murmeltiere aus ihren Löchern zu graben, und dabei auf sieben Liptauer Jäger stieß und eine Kugel in die Seite bekam. Sie hätte ihn nicht getroffen, denn es wäre Zeit gewesen, zu fliehen, und seine beiden Genossen flüchteten bis gegen den Koprowa-Sattel, aber die Kriegerseele Sameks wollte ohne einen Schuß und ohne den Liptauern zu zeigen, daß sie alle »unfähige Klötze und die Polen Mordskerle sind«, nicht von hinnen und blieb stehen, um den »kapitalsten« aufs Korn zu nehmen. Gott jedoch lieh ihm nicht seinen Segen, denn die Flinte versagte, sei es, daß das Pulver in der Pfanne naß geworden, oder sei es etwas anderes; der eine der liptauischen Jäger hingegen hatte ihm eine Kugel unter die Rippe gejagt. Mit ihr verließ Samek den Schauplatz des Kampfes, im Bewußtsein, daß er sich honorig aus der Sache gezogen, und überschritt blutüberströmt den Mienguszowski-Sattel, kam vom Meerauge bis unter den Woloszyn, ohne etwas zu essen oder zu trinken, denn es war nichts da, es war nämlich alles bei dem Murmeltierloche geblieben, bis ihn endlich hinter dem Maksmundzka-Tal auf einem Abhang die Ermattung übermannte. Er bat seine Seele nur um das eine, nicht früher seinem Körper zu entfliehen, als bis er das Räuberhaus erreicht. Dort sank er auf Tannennadeln, die von irgend einem letzten Nachtlager dageblieben, von Räubern oder von Jägern, und blieb liegen.

Dort – aber »Gott bewahre vom Wundfieber, sondern von Gottes Zulassung«, sah er eine Erscheinung, wie sie bisher ein Gorale nie gesehen.

Vom Blutverlust so schwach, daß er weder einen Fuß noch eine Hand bewegen konnte, schien es ihm plötzlich – und das war nach Sonnenuntergang, halbdunkel, denn der Tag war nebelig und es regnete – daß in der Tür, obzwar sie verschlossen war, ein Schatten auftauche, und dann sofort ein zweiter. Der eine stellte sich zur linken Seite der Tür, der andere zur rechten auf. »Der Tod!« dachte Samek; »aber zu welchem Teufel würden zwei kommen, wenn schon einer mit der ganzen Welt, den Königen, den Bischöfen und Doktors, um so eher mit einem Bauern fertig wird; auch habe ich nie gehört, daß es zweie wären, oder daß er in zwei Gestalten herumginge . . .«

Aber bald wird ihm klar, wer gekommen war, denn der Schatten, der zur Linken der Tür stand, sagt: »Menschenseele, komm zu mir.«

Und die Stimme war so, als wenn eine ungeschmierte Achse knarrte.

»Oho,« dachte Samek und erschauerte, »das ist doch der Teufel! Und das andere gewiß der Tod, oder irgend einer seiner Gehilfen.«

Aber in diesem Augenblicke sagte der Schatten, der zur rechten Seite der Türe stand: »Menschenseele, komm zu mir.«

Und diese Stimme war wie die Rufglocke in der Kirche.

Da erfreute sich Samek sehr, denn er erkannte, daß das nicht ein Gehilfe des Teufels, oder der Tod sei, denn diese hätten sicher nicht eine so schöne Stimme. Und auch das freute ihn, daß dieser Schatten viel heller zu sein schien, als der andere. Er sah sie gut an – ein scharfes Jägerauge hatte er – und er unterschied große Flügel über dem Kopfe sowohl des einen, wie des anderen, aber der hellere hatte Flügel wie eine Schwalbe, und der andere wie eine Fledermaus. Da wußte Samek, daß das eine ein Engel, das andere ein Teufel sei.

»Sie sind um meine Seele gekommen,« sagte er zu sich, »wer wird denn hier der Stärkere sein?«

Der Teufel sagt: »Menschenseele, du bist mein!«

Und der Engel sofort darauf: »Nicht dein, sondern mein!«

»Mein!«

»Nicht dein!«

Sie begannen zu streiten.

»Er hat gestohlen!« sagt der Teufel.

»Der Diebstahl ist Männersache. Wer nicht dazu gewachsen ist, der stiehlt nicht,« antwortete der Engel.

»Er hat getrunken!«

»Aber für sein Geld! Hast du's ihm etwa geliehen?«

»Er hat die Dirnen gern gesehen, als er noch Bursche war.«

»Auch du würdest sie gern sehen, wenn sie dich nur möchten! Gewiß!«

»Er hat schon seit fast drei Jahren nicht gebeichtet.«

»Das ist Sache des Pfarrers, nicht die deine. Dazu ist dort in Chocholow der Pfarrer.«

»Wenn er zornig wird, da flucht er.«

»Also auf dich! Gut tut er daran.«

»An die Heiligen glaubt er nicht recht.«

»Sie ihm auch nicht. Ich weiß das, da wir Genossen sind, du aber nur in die Höhe guckst!«

Der Teufel wird böse und macht sich von der Tür zu Samek. »Komm, Menschenseele! ich nehme dich!« heult er und zieht die Gabel hinter seinem Rücken hervor und geht schnurstracks auf Samek zu.

Aber der Engel sagt, zu ihm gewendet: »Ej, Donnerwetter! hundert Teufel noch einmal! was wär' ich denn für ein Engel, der sich hier nicht mit dir zu helfen wüßte!«

Und er hascht mit der Hand nach der Gabel.

»Da gab's was zu sehen,« erzählte Samek, »denn obzwar der Engel ein tüchtiger Kerl war, – der Teufel war auch nicht schwach. Sowie sich dieser mit der Gabel an mich machen will, da hält ihn der andere zurück. Nur kam es mir seltsam vor, daß sie keinen Lärm machten. Sprechen taten sie so ganz menschlich, aber, daß sie mit den Füßen gelärmt hätten, das nicht. Es war nichts zu hören. Schließlich entriß der Engel dem Teufel die Gabel und warf sie durchs Dach hinaus; nicht die geringste Spur war in den Brettern, nur ein bißchen angeraucht waren sie – und da machte der Teufel auf der Ferse kehrt, und, bums dich, zur Tür hinaus. Fort.«

»No, Menschenseele,« sagte jetzt der Engel zu Samek, »ich habe dich errettet.«

»Gott lohne dir's auch, mein Engelchen!« antwortete Samek.

»Na also, wie wird es, Wojtek? willst du mit mir in den Himmel kommen?«

Samek kratzte sich hinterm Ohr, denn er hatte noch keine Lust, aus der Welt zu gehen, da er erst gegen fünfzig Jahre alt war, und hauptsächlich tat es ihm leid um den Bären mit dem weißen Ring um den Hals, der in dem Ciemne Smreczyny-Tal saß, und um die Hochzeit bei den Sobczak unter der Gubalowka, zu der er geladen war; hier aber einer solchen Person widerstehen, das schickt sich auch nicht. Er kratzt sich also hinterm Ohr und sagt:

»Ej, möchtet ihr mir doch Zeit lassen, daß ich nur zu einem Bären da hinlaufe – mag die Hochzeit dort bei den Sobczak schon euch bleiben, wenn's nicht anders sein kann.«

»Ich hab' ihm da nicht gesagt, wie der Bär ist, oder wo, denn was versteht denn auch ein Engel vom Jagen?«

Und er antwortete: »No, da mag es nach deinem Worte geschehen. Bleibe meinetwegen noch und geh' auf diesen Bären.«

Und er erhob sich auf seinen Schwingen und flog durchs Dach hinaus.

»Nicht einmal Zeit hatte ich, ihn zu fragen, wie er heiße, ob er ein Seraphim oder ein Cherubim sei, oder noch etwas anderes, auch habe ich mich nicht bedankt; das ist halt so hinausgefahren, es hat nur so vor den Augen gezuckt.

»Aber dort oben hat Gott anders beschlossen, als der Engel mit mir vereinbart, denn ich habe sowohl den Bären erschlagen, sobald mich nur die Kugel frei ließ, und auch auf der Hochzeit bin ich gewesen, und bis heute leb' ich noch und vielleicht nicht nur ein bis zwei Jahre mehr.«

Eine seltsamere Erscheinung hat Samek nicht mehr gehabt, obgleich er in einer Nacht beim Hinczowy-See dem »Mönch«Mystisches Gespenst. begegnete. Aber dieses Gespenst sprach ihn nicht an, nur beim Vorbeigehen leuchtete es ihm mit einem Span ins Gesicht und ging weiter.

»Man möchte sagen, daß es nicht schreitet, sondern schwebt, obzwar es unter seinem Gewande die Füße bewegt. Der Bart reicht ihm bis zum Gürtel, und die Augen sind wie mit weißen Schuppen überzogen. Eine spitzige Kapuze hat er auf und so oft er einen Schritt macht, da wackelt sie. Er trägt ein Licht in der Hand, rot und schön. Ich sah ihn da hinuntergehen, gegen den Poprad-See zu. Bald hernach ist die Waag aus den Ufern getreten, und in Rosenberg sind drei Menschen und ein Hund ertrunken.«

* * *

Dort im Räuberhause rasteten einmal fünf Menschen, die den Juhasen in Koperßady am Hawran zwei Ochsen und einen Widder gestohlen hatten.

Das waren der Michael Kaminski aus dem Dorfe Bialy-Dunajec, der sogar die Kirche zu Poronin mit einem Messer in krummer Schneide im Gürtel besuchte; dann der Klimek Zarucki aus Zubsuche, ein Jüngling von schönem und so zartem Gesichte, daß es fast frauenartig war, der sieben Schwestern Michna, eine nach der anderen verführt hatte und dadurch berühmt geworden war, und der noch dazu geläufig das Räuberhandwerk trieb; der Jasiek Wala aus Walowa Gora, der einen Zaun, so hoch wie er selbst, zu überspringen vermochte, ein berühmter Jäger und Dieb; dann Zoska Mocarna, die Witwe nach dem Kuba Piton, und Joachim Topor Jasica aus Hrube, ihr Onkelsonkel, ein alter achtzigjähriger Mann, aber noch rüstig und mutig, unerreicht in seinen Märschen auf Ochsendiebstahl, genannt »die Fledermaus«, da er viel in der Nacht wanderte.

Sie hatten die Ochsen an die Wand gebunden, umwickelten ihnen die Mäuler mit Fetzen, sie am Brüllen zu hindern, machten ein Feuer an und schlachteten den Widder, um sich zu stärken. Zoska war mit dem Kochen beschäftigt, aber Kaminski wartete das nicht ab, sondern schnitt rohes Fleisch mit dem Messer, streute kräftig Salz darauf und führte es in den Mund, und so oft er ein Stück verkaut hatte, setzte er die Branntweinflasche an und trank, und trank so, daß anderthalb Flaschen leer waren, bevor er noch den Hunger gestillt. So »kochte er es in sich«. Aber man merkte es ihm nicht an, denn das war ein kräftiger und gesunder Mann.

Als das Fleisch gar war, und alle sich gesättigt hatten, lagerten sie sich ums Feuer und steckten die Pfeifen in Brand, Zoska ebenso wie die Männer. Und selten vermochte jemand eine solche Rauchwolke auszudampfen wie sie.

Die Sterne begannen schon am Himmel aufzugehen und durch die Dachlöcher hineinzuleuchten.

Es war ein Juliabend, ein lauer Wind flog vom Gebirge herab, so freudig durch den Wald rauschend, als ob er sich an seinen eigenen Fittichen und dem eigenen Flug erfreute.

Joachim Topor Jasica, »die Fledermaus«, lag nahe am Feuer, denn er wärmte sich auch schon gerne selbst wenn die Nacht nicht gar kalt war.

Er bewahrte noch eine sehr alte Tracht, trug um den Hals einen Kranz von Steinchen und Knöchelchen und auf dem Kopfe eine hohe spitzige mit Reihen von Muscheln umwundene Schaffellmütze. Sein Kopf glich dem eines alten Uhu, denn er hatte riesige glotzende Augen und einen Backenbart, der sich um sein Gesicht in langen Zotten kräuselte. Er erinnerte sich einer Menge uralter Dinge und aus der Jugendzeit wußte er noch von einem Bogen an der Wand ihrer Hütte, mit dem seine Vorfahren einst auf die Jagd gegangen waren. Bis in sein spätes Alter konnte er wunderbar das Beil schleudern, so daß er nur jenen Ast abschlug, auf den er zielte, in welcher Kunst ihm einzig und allein seinerzeit der selige Kosla gleichkam.

Die Eltern hatten ihm einen kleinen Besitz an Feld und Vieh hinterlassen. Das Vieh weidete im Sommer auf der Waksmundschen Alm und im Herbste auf den Waldwiesen um die Topor-Seen. Er vermehrte dann die Habe tüchtig, hatte aber einen dummen Streich gemacht, indem er unter seine Kinder, als sie herangewachsen waren, alles verteilte; und die schlechten Kinder jagten ihn aus dem Hause, statt ihn zu pflegen, wie sie es versprochen hatten. Er schweifte also umher und hielt sich größtenteils an die Räuber, denn obzwar schon alt und nicht mehr so kräftig, konnte er es im Marschieren mit den Jüngsten aufnehmen, ja sogar laufen. Überdies aber besaß er auch reiche Erfahrung im Stehlen, die er sich von frühester Jugend an während seines langen Lebens gesammelt hatte.

»Ich war noch nicht achtzehn,« pflegte er zu sagen, »da lief ich schon hinter die Buchen zu den Guten Jungen,Eine spezielle Redensart: zu den Räubern gehen, ein Räuber zu werden. eine solche Lust zog mich zu ihnen. Gar zu traurig war es mir, im Haus zu sitzen, wenn ich hörte, daß einer aufs Rauben ausging! Da war ein BacaOberhirt. bei den Gonsienica-Seen, mit Namen Jano Byrcorz, der in Zakopane gegenüber vom Maciek Gonsienica hauste, und mit dem ging ich zum erstenmal. Dieser nahm nie irgend eine Waffe mit, nur einen Stock, wie ihn die Juhasen tragen, aber wenn er zornig wurde – hej! meine lieben Leut! da fiel so mancher herrliche Bursch ins Gras. Es gab keinen Hetman über ihn! Mit dem ging ich zum erstenmal aufs Rauben aus. Es ist schon lange her . . .«

An diesem Abend war Joachim Gacek traurig . . .

»Die Kinder haben mich vertrieben, ich ziehe in der Nacht herum, man nennt mich Gacek,Fledermaus. sagte er. – Ich hatte vier Töchter und fünf Söhne, drei sind gestorben, sechs leben noch, eine Tochter und die Söhne. Enkel und Urenkel wird es wohl ein halbes Schock geben, oder noch mehr. Ja. Anfangs pflegten sie mich, ich hatte ein gutes Leben; wo ich zu einem kam, da blieb ich. Was irgend mir nur einfiel, das gaben sie mir. Hej! keine zwei Jahre sind vergangen, da hat es sich verändert. Sie haben mich vertrieben. Schon wie sie Kinder waren, dachte ich immer: Es wird daraus nichts werden! – denn sie nahmen sich weder der Jägerei noch des Diebshandwerkes an, nur fürs Feld, nur für die Pferde, Holzhacken im Hause, Heu mähen. Nichts Anständiges griffen sie an. Ich glaubte: ›No, einer muß doch in der Welt etwas sein, etwas ausführen.‹ Hej! Gott bewahre! alle sind sie auf den Acker gegangen – Gazdy!Bauern, Wirtschaftsbesitzer Sie sind nach dem Großvater mütterlicherseits geraten. Sie säen, eggen, pflügen – aber Gute Jungen sein, das ist nicht ihre Sache! Sie haben mich vertrieben. ›Du bringst uns nur Schande, sagen sie – du alter Räuber, du Dieb!‹ . . . Oeuh, wenn ich nicht gestohlen hätte, so hättet ihr keiner je ein Pferd und je drei Kühe, meine Söhnchen! Ich hab' genug Kyrpce euch zulieb zerrissen und bin über zwanzig Jahre, wenn man alles zusammenzählt, im Gefängnis gesessen. Und wie viel Stockschläge ich im Liptauischen, im Orawischen, in der Zips, in Nowytarg bekommen hab' – über tausend! Ja, nichts hättet ihr jetzt, wo ihr Gazdy sein könntet, wenn ich nicht wär'! Hej! ich habe sogar von den Kroaten und aus Bosnien Geld mitgebracht. Wenn's dazu kommt, so führ' ich ihnen selber noch die jungen Stiere aus! Sollen sie nur auf der Hut sein!«

»Misko, gibt's noch Palenka?«Slowakisch Branntwein.

Kaminski reichte ihm die Flasche, und er trank.

Er spuckte aus, wischte den Mund mit dem Ärmel ab: – Gut! . . . gib noch her.

Er trank.

Dann setzte er die Flasche vom Munde ab und brummte: »Sie sollen sich vorsehen, sie sollen sich hüten, die Söhnchen! Morgen in der Früh kann ein Stierchen hier sein! Ja!«

Er trank. Sein Gesicht wurde rot, seine riesigen Glotzaugen über der krummen Nase glänzten, die schmalen, länglichen, an den Mundwinkeln nach abwärts gezogenen Lippen bebten.

»Hej, Söhnchen! Gazdy! Warm ist's euch! das Weib wärmt das Bett! Ja! . . .«

In seinem Kopf begann es wirr zu werden.

»Hej, gab es doch nichts über die Grellen Luscyk, Jozek und Stasek . . . sie waren's, die das Räuberhaus gebaut haben . . . das waren Kerle! . . .

»Es waren brave Burschen, die nun längst dahin sind,
Noch ein kleines Weilchen, gleiches Los auch uns trifft.«

»Die Grellen Luscyk . . . Einmal machten sie einen solchen Feuerschein unweit von Kokawa, daß der ganze Himmel aufloderte . . . Ja! . . .

Die Grellen Luscyk . . . Hej! wenn man nur einen von ihnen in Hrube auf meine Söhnchen, auf die Gazdy loslassen könnte . . . Das Weib wärmt das Bett – freilich! es wär' auch hell! . . .«

Plötzlich sprang er vom Lager auf.

– Ich geh'!

– Wohin? – fragten die Genossen.

– Nach Hrube!

– Wozu?

– Bei den Kindern übernachten. Lebt wohl, meine lieben Leut'.

Bevor sie sich umgesehen hatten, war er fort. Die Reiser knisterten leise um das Haus herum, das Gras raschelte und er verschwand im Walde.

Kaminski und Wala schlafen; tiefe Nacht; da stößt Zoska Mocarna, die neben Zarucki lag (denn er hatte Rippen wie aus Stahl), diesen plötzlich und sagt: »Klimek, schau nur! Ein Feuerschein am Himmel, oder was? Es dämmert doch noch nicht! Wie doch noch der Wagen hoch am Himmel steht!«

Klimek blinzelt hin und sagt:

– Ein Feuerschein. Es brennt irgendwo.

Und er schlief weiter.

Aber Zoska Mocarna sah durch die Ritzen im Dache, wie der Feuerschein zunahm und den Himmel mit fürchterlicher Röte überzog, vor der die Sterne verblaßten.

– Von den Grellen Luscyk hat der Gacek gesprochen und sie ausgerufen, – dachte sie. – Es brennt irgendwo in der Nähe.

Am anderen Morgen, es war schon recht hell, und Michael Kaminski klagte gerade, daß der Gacek ihm am Abend den ganzen Branntwein ausgetrunken, – da stand dieser in der Tür des Räuberhauses.

Sein gekrümmter Rücken schien aufgerichtet und in seinen Augen loderte ein wilder Glanz.

– Habt ihr's gesehen? – fragte er mit atemloser, aber erhobener Stimme.

– Willkommen, Pate. Was hätten wir denn sehen sollen?

– Ich hab' bei den Kindern übernachtet. Habt ihr's gesehen?

– Wie konnten wir's denn sehen, von hier aus?

Aber der Zoska erbebte das Herz in der Brust bei dem Gedanken, der jetzt ihren Kopf durchfuhr.

– Der Feuerschein?! – fragte sie.

Und der alte Gacek nickte triumphierend mit dem Kopfe und antwortete: – Der Feuerschein! . . .

Und dann fügte er hinzu: – Zwei Gazdy, die Söhnchen, sind dahingegangen!

Es wurde still im Räuberhause, sogar Michael Kaminski sperrte die Augenlider weit auf, obzwar er sich selten irgend einer Sache wunderte.

– Habt ihr Brand gelegt?

– Ja. Ich bin zum Jendrek gekommen, poche ans Fenster. – Wer da? – Ich, der Vater. – Geht zum Teufel! – Ich geh' zum Jasiek, denn das ist gleich daneben. – Wer da? – Ich, der Vater. – Welcher böse Geist auch. Geht zum Jendrek! – War schon bei ihm. – Na, dann geht zum Teufel! – Ich ging nicht mehr weiter. Der Branntwein drehte sich mir auch im Kopf. Oeuh! dachte ich mir, ich werde nicht mehr übers Wasser, weder zum Stasek, noch zum Kuba, noch zum Joachim, noch zur Maryna gehen, aber ich bleibe hier bei euch. Wartet nur – Gazdy! Und da tanzen mir die Grellen Luscyk, der selige Jozek, den man in Miklos bei der mittleren Rippe aufgehängt hat, und der selige Stasek im Kopf herum. Hej! sie haben mir schön mitgespielt, meine Söhnchen, ihr beiden Ältesten, als ich euch mit dem Vermögen beteilte! Ich nehm' rasch Schwamm und Feuerzeug – lege Feuer an. In einem Nu hat's gebrannt!

Er wandte sich von der Tür gegen die Täler und streckte die Hand aus.

– Gazdy! Bettler! Ihr habt mich vertrieben. ›Du bringst uns nur Schande,‹ – sagen sie, – ›du alter Dieb, du Räuber!‹ Ihr Söhnchen! Die Rache über euch, daß ich in der Welt herumstrolchen muß! Rache! Hunger sollt ihr jetzt leiden, ihr Bettlergazdy! ihr Abbrandler!

Und zitternd streckte er seine trockene dürre Hand in der Richtung des Dorfes aus und seine Augen funkelten grauenerregend und die schmalen langgezogenen Lippen bebten.

Unterdes schnürte Kaminski seine Kyrpce und brummte: – Alles schön, Pate, wenn ihr nur gestern Abend nicht allen Branntwein ausgetrunken hättet. Nicht ein Tropfen ist geblieben . . .

* * *

Dann ging es schon mit dem Hause zu Ende. Man begann die Wälder unter der Koszysta zu fällen, Weideplätze zu machen, Schuppen in der Nähe zu erbauen.

Das Räuberhaus verödete, niemand besserte es aus.

In einem Herbste riß der Gebirgswind das Dach herunter und zerschlug es, die Wände fingen an morsch zu werden und zu faulen. Ringsherum wuchs eine Menge verschiedener Kräuter, und durch die Wandritzen drangen die grünen düsteren Blätter der Klette, und dann wucherte im Innern das Gras und der himmel- und saphirblaue Bitterwurz. Moos und feuchte Flechten überzogen die Balken der Wände und ließen sie in ihrem blassen Grün grau erscheinen. Ringsumher wucherten der rostbraune traurige Sauerampfer und dunkle schlummernde Nesseln. Die niedrigen Wände verschwanden im Sommer unter dem Pflanzendickicht und im Winter unter den Schneemassen, mit jedem Jahre mehr und mehr. Ein Gebirgswind riß zwei Wände ein, die südliche und westliche; die beiden anderen stürzten einige Jahre später unter der Last des Schnees zusammen. Kletten, Gras, Sauerampfer, Nesseln, himmel- und saphirblauer Bitterwurz und weiße Bergmaiglöckchen überwucherten im Frühling die eingefallenen Balken. Die Erde nahm das modernde und faulende Holz auf, und nach einigen Jahren war von dem Räuberhause nicht eine Spur mehr übrig geblieben.

Nur das Andenken blieb erhalten, zugleich mit den Namen der Grellen Luscyk, des Hohen Kosla aus Pardolowka, der Zoska Mocarna aus Koscielisko, des Samek des Sehers und Jägers, der beklagenswerten Geschwister Jas und Teresia Slodyczka und der alten Fledermaus Topor Jasica aus Hrube, der an seinen Söhnen Rache genommen.

 


 


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