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Zweiter Teil

I

Zwischen der Avenue Friedland und St. Philippe du Roule steigt der Faubourg St. Honoré ziemlich steil hinan. Inmitten dieser Steigung, auf dem Gehsteig zur Rechten, gewahrt man ein Portal in der Form einer riesigen Arche, zu beiden Seiten von stillosen Pavillons gestützt. Man tritt durch dieses Portal in einen weiten Hof. Er war lange Zeit von verschiedenen Baulichkeiten verstellt, die nach und nach auf den Ruinen eines kleinen entzückenden Palastes errichtet wurden, von dem Casanova in seinen galanten Memoiren spricht. Einige Jahre vor dem Kriege wurde der ganze Besitz von dem Crédit Général angekauft, um Räumlichkeiten für den Kupondienst und die Stahlschränke zu schaffen. Man ließ nur das Portal mit den beiden Seitenpavillons stehen, und auf dem weiten Platze erhob sich binnen kurzem ein Zinspalast im amerikanischen Stil, nur in der Höhe nach den Vorschriften des Pariser Bauamtes beschränkt, aber im übrigen mit allem versehen, was man den industriellen Komfort nennen könnte: Licht, Wärme, kaltes und warmes Wasser im Überfluß, Fernsprecher, eigener Telegraphendraht, eine Rollstiege, ein Paternoster-Aufzug für die Güterbeförderung, und Personenaufzüge von einer unvergleichlichen Schnelligkeit, die in der Pariser Geschäftswelt Aufsehen erregten, weil man so rasch auf- und abflog, als wenn man in einer Riesengranate eingeschlossen wäre.

Wenn ein Besucher von dieser Granate bis zum obersten Stockwerk emporgetragen wurde, wo ihn ein Boy in Lila- und Silber-Livree in Empfang nahm, um ihn in die Kanzlei von Camille Engelmann zu führen, so bewunderte er sicherlich den plötzlichen Wechsel der Ausstattung: nachdem er zwei Türen durchquert hatte, schritt er auf herrlichen Teppichen aus Turkestan dahin; kostbare, alte Holztäfelungen verdeckten die Wände, Möbel und Bilder erlesenster Art machten aus den kleinen Sälen ein Museum. Zwei dieser Räume waren allen Kunstsammlern von Paris wohlbekannt. An der Schwelle des dritten Saales besah der Boy eine Platte aus altem Email, die neben der Tür in die Wand eingelassen war. Auf dieser Platte konnte man je nach dem Willen der Bewohnerin dieses dritten Salons einsilbige Befehle lesen: in, out, wait. Wenn es » in« war, so wurde der Besucher ohneweiters eingeführt, » wait« bedeutete eine Pause, bis es durch » in« ersetzt wurde, und wenn es » out« hieß, so erkundigte sich der Boy telephonisch nach den Befehlen der Herrin.

An einem der ersten Vormittage des Februar, etwa zwei Monate nach dem ersten Zusammentreffen zwischen Roger und Albine, saß Camille Engelmann bei ihrem Arbeitstisch, in ihrem so wohlbehüteten Bureau. Der Raum, von mäßiger Größe, war derart gelegen, daß man durch sehr breite Fenster den Ausblick auf den großen Garten eines aristokratischen Palastes der Nachbarschaft genießen konnte. Der Tisch war eine genaue und wundervolle Nachahmung des Meisterwerkes von Sieyès, das man in dem Arbeitszimmer des Ministers des Innern am Place Beauvau sehen kann. Camille erblickte von diesem Tische aus nur die Gipfel der Bäume, die sich vom weiten Horizont abhoben. Auf dem Tische sah man weder Geschäftsbücher, noch Sammelhefte, noch Kartons, nichts erinnerte daran, daß man sich in einem Geschäftsbureau befand. Es war ein eleganter Raum im Stil Louis XV., in dem der Tisch und die Bibliothek eine ganze Wand gegenüber den Fenstern einnahmen, und der ebensogut das Zimmer eines Schriftstellers oder eines Gelehrten sein konnte. Und trotzdem war es der Ort, wo Camille alle Bankgeschäfte studierte und abschloß, ihre Briefe diktierte und unterzeichnete. Aber sobald eine Arbeit erledigt war, verschwanden Aktenbündel und Briefe sofort in einem ziselierten Bronzerachen, von dem sie in das untere Stockwerk zu einem Sekretär befördert wurden.

Dieser Raum war also für gewöhnlich sehr still. Nur einer der Angestellten hatte das Recht, der Herrin zu telephonieren, aber auch das nur in den dringlichsten Fällen und zu bestimmter Stunde. Camille saß nachdenklich vor dem Tische. Ihr elegantes graues Kleid, im englischen Schnitt, verhüllte die Magerkeit ihres Körpers. Ihr Gesicht wies über der Stirne, dicht am Haaransatz, ein breites Juwelenband auf. Dieses Gesicht zeigte heute nicht den gewohnten Ausdruck einer gespannten Energie, Camille überwachte sich nicht, wie sie es in Gesellschaft tat, und man konnte sie sehen, wie sie wirklich war, verwelkt durch eine lange Krankheit. Früher war sie auf ihre wundervolle geschmeidige Gestalt sehr stolz gewesen, während ihr davon jetzt nur eine knochige Silhouette zurückgeblieben war.

Camille war nie von Gesicht sehr schön gewesen, aber ihr feiner, blasser Teint, das Feuer ihrer großen Augen, der brennend rote Mund und das üppige Haar hatten ihr stets die bewundernden Huldigungen der Männer eingetragen. Und wenn sie, bei ihrem gar zu tyrannischen Charakter, wahre Liebe nicht gefunden hatte, so hat sie dafür sehr oft alle Lüste verzehrender Leidenschaft genossen. Dies war jetzt vorbei ... Camille war zu klarblickend, um das nicht einzusehen. Sie kämpfte dagegen an, sie wollte es nicht sehen, aber die Wirklichkeit sorgte dafür, daß ihr manchmal die Augen geöffnet wurden. Es war zuerst die Gleichgültigkeit der Männer, wenn sie spazieren ging, und sie hatte deshalb beinahe ganz darauf verzichtet, sich im Freien zu zeigen. Und es war auch das schmerzliche Erstaunen, das sie jetzt in den Augen derjenigen Männer las, welche sie früher gekannt hatten ... und es war vor allem diese geflüsterte Redensart: »Wie sehr hat sie sich verändert!« die sie beim Eintritt in einem Salon auf den Lippen der anwesenden Frauen und Männer zu lesen vermeinte ...

 

Auf dem Tisch lag ein Umschlag, ein sehr winziges Aktenbündel: zwei Berichte in Maschinenschrift und ein Brief.

Aber diese drei Papiere mußten Camille einen Schlag versetzt haben. Sie las den Brief mit einer verzerrten Miene, mit gespannter Aufmerksamkeit, um sich alle Worte einzuprägen und sich an die Wirklichkeit zu gewöhnen.

Dann warf sie den Brief jäh zurück, stand auf, machte einige Schritte gegen die Bibliothek, ging dann zum Fenster, sah auf die Bäume hinab, auf den klaren, sonnigen Winterhimmel. Doch ihr wahrer Blick war in ihr Inneres gerichtet, in ihr Herz. Sie sah ihre Verwirrung, ihre Verzweiflung. Und wie ein Kämpfer, der die Niederlage fürchtet, raffte sie alle Kräfte zusammen, in einer Spannung ihrer Energie, die ihr seit den Kindheitsjahren geläufig war.

»Nun ... und was dann? Ich bin nicht mehr die Camille von einst! Darüber darf ich mich nicht täuschen. Wenn es Schurken gibt, die sich darüber belustigen, so gibt es auch edle Herzen. Dieser Laurent Sixte vielleicht ... er sagte mir bisher bei allen Begegnungen, ohne die geringste Galanterie, so aufrichtige und warmherzige Worte!«

Aber ihre Gedanken schweiften ab, sie war nicht mehr Herrin ihrer selbst, ein unterdrücktes Schluchzen stieg ihr in die Kehle.

Dann dachte sie wiederum an Laurent Sixte. Sie fühlte seine Augen an ihrem Gesicht haften.

Nach einer Weile, als sie ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte, ging sie zum Tische zurück. Eine Elfenbeinplatte, mit goldenen Ausschaltern versehen, war an dem Rand des Tisches angebracht. Camille berührte einen Knopf, und eine unsichtbare Stimme fragte:

»Gnädige Frau?«

Von ihrem Platze aus, als ob sie zu einer anwesenden Person spräche, sagte Camille:

»Marguerite, ich werde in einer halben Stunde Frau Lorande empfangen, man möge sie sofort heraufführen ...«

»Gut, gnädige Frau.«

»Jetzt lassen Sie Herrn Dutrier rufen ... ich erwarte ihn in fünf Minuten.«

»Jawohl, gnädige Frau.«

Camille drückte auf einen zweiten Knopf, der für den Befehl » in« bestimmt war. Dann schloß sie den Umschlag, der die drei Schriftstücke enthielt, und setzte sich auf ein Sofa, das zwischen der Bibliothek und den Fenstern stand und chinesische Seide mit Goldstickereien aufwies. Sie nahm eine Zigarette, brannte sie an und wartete ruhig. Eine Weile später öffnete sich die Tür und Dutrier trat ein, korrekt, etwas feierlich.

»Gnädigste, ich habe mich beeilt, Ihrem Befehl nachzukommen.«

»Schließen Sie die Tür und geben Sie › out‹!«

Dutrier, mit der Miene eines Mannes, dem solche Aufträge etwas Gewohntes waren, schob den Riegel vor und ging dann zu dem Tische, um den Mechanismus spielen zu lassen. Camille sah ihm dabei zu. Ein schöner Mann von etwa Fünfundvierzig, kräftig und geschmeidig, durch Sport gestählt, sehr gepflegt, die Haare noch dicht, etwas onduliert, die Nägel manikürt, feine Wäsche, Kleider von einem tadellosen Schnitt. Während er sich über den Tisch beugte, blieben die Augen des Mädchens an einer großen Perle haften, die an seiner Krawatte blitzte ... eine Perle von tausend Louisdors. Sie mußte heimlich lächeln.

Dutrier näherte sich jetzt, ebenfalls lächelnd. Seine Haltung war ein sehr geschicktes Gemisch von Respekt und Zärtlichkeit. Camille deutete mit der glimmenden Zigarette auf einen Stuhl ihr gegenüber. Er griff diese Hand im Fluge auf und küßte sie etwas lange. Sie ließ es ruhig geschehen.

»Du bist sehr liebenswürdig,« sagte er, »mich am Vormittag rufen zu lassen! Das erinnert mich an die erste Zeit ...«

Camille erzitterte unmerklich unter diesem Duwort, aber sie protestierte nicht. Dies setzte den Mann in Erstaunen, und er wurde zugleich etwas unruhig. Es war einer jener Charaktere, die nur dann stark und kühn sind, wenn sie Erfolg haben. Wenn sie verwirrt sind, sagen sie gerade das, was man verschweigen muß:

»Ich finde dich etwas sonderbar! Hast du etwas gegen mich?«

Da sie ihre Zigarette schweigend in die Aschenschale legte, nahm er ihre schmalen, mageren Finger in seine fleischigen Hände.

»Etwas gegen dich?« sagte endlich Camille in einem ganz natürlichen Ton, der ihn sofort beruhigte. »Warum denn auch?« Sie betrachtete dieses volle, gesunde Gesicht, das sich zu dem ihrigen hob und den Ausdruck eines glühenden Liebesverlangens trug.

»Und man sagt,« dachte sie, »daß die Frauen sich am besten verstellen können.«

Sie ließ es trotzdem geschehen, daß er ihr liebkosend über die Arme strich, bis zur Achsel.

»Ich denke mir,« sagte Dutrier ungeschickt, »daß du böse bist, weil mir die Banque Provinciale einen Antrag gestellt hat.«

Sie zuckte die Achseln, ohne zu antworten.

»Nun ja ... ich hätte ablehnen können, ohne es dir zu sagen. Aber, teure Camille, jeder Mann hat etwas Eigenliebe! Der Nachbar bietet mir um die Hälfte mehr Gehalt für dieselbe Arbeit, die ich hier leiste ... Das ist doch für mich sehr schmeichelhaft ... und ich war glücklich, meiner schönen Gebieterin zu zeigen, daß sie nicht einen Gewinnsüchtigen als Angestellten hat.«

»Wie ordinär er ist!« dachte Camille. »Wie konnte ich nur ...«

Welche Schmach für sie, daß sie sich durch ihre Sinne unterjochen ließ, die Geliebte dieses Mannes zu werden! Sie beherrschte sich und fragte:

»Du hast also nicht geantwortet?«

Er drückte ihr die Hand noch zärtlicher, ohne sofort zu antworten. »Sehr gut,« dachte Camille angewidert, »diese Zärtlichkeit flößt mir Ekel ein! Ich hatte Furcht, daß er mich von neuem unterkriegen würde. Nun bin ich Herrin meiner selbst!«

Sie war so wenig verwirrt, daß sie auf dem Gesicht des Mannes die fröhliche Hoffnung lesen konnte, sein Ziel erreicht zu haben. Er war sicher, daß sie jetzt sagen würde: »Hier wirst du fortan ebenfalls um die Hälfte mehr bekommen!«

»Nein, ich habe nicht erwidert,« sagte er endlich.

Die schmalen Arme des Mädchens glitten von ihm fort, wie flinke Schlangen.

»Nun gut ... antworte, daß du den Vorschlag annimmst!«

Das gutgefärbte Gesicht wurde plötzlich fahl und er war so verwirrt, daß er mühsam stammelte:

»Wie ... meinst du?«

»Ich habe gesagt, daß du annehmen sollst!« sagte Camille, indem sie auf dem Sofa wegrückte.

Er hatte die plötzliche Gewißheit eines Schuldigen, der sein Geheimnis enthüllt sieht.

»Ah ... man hat mich bei dir verleumdet!«

»Man hat dich nicht verleumdet. Die versteckten Anspielungen, die anonymen Briefe, dies alles habe ich mißachtet, denn sonst hätte ich schon vor langem ... kurz, ich wollte nichts wissen! Ich wollte mein Vertrauen bewahren; aber heute ist die Gewißheit gekommen! Dort auf meinem Tische ... öffne doch jenen Umschlag ... sofort!« herrschte sie ihn an, da er zögerte. Sie war aufgestanden und stampfte zornig mit dem Fuße.

Teils aus angeborener Unterwürfigkeit, teils aus Neugierde kam er diesem Befehl nach. Camille sah ihm zu. Sie bemerkte, daß er etwas schwankte, wie wenn er seekrank wäre, daß er sich auf den Brief stürzte und ihn hastig überflog, daß er zögerte und sich dann mühsam zu fassen suchte.

»Nun?« zischte sie.

»Es ist wahr ... ich habe diesen Brief geschrieben,« erwiderte er, »aber ich war dazu gezwungen! Ein moralischer Zwang, ärger als der, wenn einem die Pistole an die Stirne gesetzt wird ... und ich schrieb ihn ... für ... Sie« (er wagte es nicht mehr, sie zu duzen) ...

Sie unterbrach ihn durch ein schneidendes Auflachen:

»Wirklich wahr? Es ist um meinetwillen, daß Sie Fräulein Juliette Combier, Mannequin bei Lenter, Ihrer Treue versichern, daß Sie Ihr die furchtbare Sklaverei schildern, zu der Sie hier gezwungen sind ... daß Sie ihr meine Leidenschaft schildern, die Geilheit einer Ziege ... das alles steht in diesem Briefe!«

Ein Schluchzen ließ sie innehalten.

»Lump!« murmelte sie. »Und diesen Schurken habe ich geliebt!«

Er nahm diesen Schimpf ohne Widerstand hin, suchte sich aber zu verteidigen.

»Ich habe diesen Brief geschrieben, es ist wahr ... und noch andere dazu. Ich habe sie geschrieben, um ein großes Unglück zu verhüten, vielleicht ein Attentat! Dieses Mädchen war meine Geliebte ... seit fünf Jahren, sie hat ein Kind von mir, man hatte ihr unser Verhältnis hinterbracht und sie war ganz außer sich ... ich suchte sie zu beruhigen, so gut ich konnte ... alles andere eher als einen Skandal.«

Camille unterbrach ihn:

»Lesen Sie doch die beiden Berichte, die neben diesem Briefe liegen, was diese Juliette betrifft, und ersparen Sie sich solch jämmerliche Ausflüchte! Sie kennen das Mädchen erst seit einem Vierteljahr, sie war brav und anständig. Sie ist erst seit sechs Wochen Ihre Geliebte, sie weiß auch gut, in welchem Verhältnis wir zu einander standen. Sie fand sich damit ab, weil sie dabei ihren Vorteil zu finden hoffte! Sie handeln im Einverständnis mit diesem Geschöpf!«

Diesmal war Dutrier ganz vernichtet. Er stammelte:

»Ja ... es ist wahr ... ich habe mich unwürdig benommen! Ist man denn Herr seiner selbst? Es gibt Augenblicke, da man sich nicht beherrschen kann, da man wie trunken ist. Ich wußte nicht, was ich tat.«

Er suchte sich ihr zu nähern.

»Du kennst mich ja, du weißt, daß ich sehr leidenschaftlich bin ...«

Er sah ihr dabei in die Augen, er wollte ihr wahrscheinlich einige heftige Liebesszenen zurückrufen! Als er nach ihren Händen haschte, gab sie ihm einen Faustschlag ins Gesicht, der ihn zurücktaumeln ließ.

»Gauner!« murmelte sie.

In der schrecklichen Stille, die auf dieses Wort folgte, beherrschten sich beide. Dutrier wandelte sich zum respektvollen Angestellten. Camille hatte sich wiederum auf das Sofa gesetzt. Sie strich über das Haar, blickte vor sich hin, dann sagte sie:

»Herr Dutrier, Sie werden meinen Dienst heute noch verlassen.«

»Aber ... mein Vertrag ...«

»Ich habe diesen Vertrag vor einer Weile aufmerksam durchgelesen. Er gibt mir das Recht, Sie ohne Angabe der Gründe sofort zu entlassen, unter der Bedingung, daß ich Ihnen den Gehalt für ein halbes Jahr auszahle ... Das macht 25.000 Francs. Der Kassier hat den Befehl erhalten, Ihnen 50.000 Francs auszufolgen.«

Sie machte eine Pause und fügte dann hinzu, wobei sie aufstand:

»Dies haben Sie redlich verdient!«

Sie sah ihm dabei starr in die Augen und las seine Gedanken: »50.000 Francs ... Teufel ... das ist viel! Aber ich verliere trotzdem, und ich habe sie eigentlich in meiner Hand, ich könnte sie schröpfen ... aber ... schließlich ... sie ist stärker als ich! Ich würde sie nicht besiegen ...«

Dies endigte mit einer Rührszene. Er erwiderte mit einer Stimme, in der Schmerz und Würde sich paarten:

»Gnädige Frau ... ich muß mich Ihrem Spruch unterwerfen! Drei Jahre hindurch habe ich dem Hause alle meine Gedanken, meine ganze Arbeitskraft gegeben. Ich will nur feststellen, daß man mich aus Gründen verabschiedet, die mit meiner Stellung nicht das mindeste ...«

Camille war schnell an ihm vorbeigeschritten, schob selbst den Riegel zurück, öffnete die Tür und sagte:

»Hinaus mit dem Gauner!«

Er zögerte einen Augenblick, dann gehorchte er ...

 

Als sich die Tür geschlossen hatte, sah Camille auf ihre Armbanduhr. Der feine Knöchel, den der brillantenbesetzte Platinstreifen umschloß, zitterte ein wenig. Es blieb noch eine Viertelstunde, ehe Berthe Lorande sich einstellen würde, und Camille mußte diese Zeit nützen, um ihre Nerven zu beruhigen. Sie setzte sich zum Tische, verwahrte die drei Schriftstücke in einem Pergamentumschlag, den sie sorgsam versiegelte. Diese Beschäftigung beruhigte ein wenig ihre Nerven, aber ihren Gedanken konnte Camille nicht Einhalt gebieten. Und diese Gedanken flatterten beständig um Dutrier. Nicht um ihm nachzutrauern, sondern in einem Gefühl des Staunens, der Erbitterung ... Konnten die Sinne auch ein Wesen wie Camille unterjochen und zur Sklavin machen? »Ja ... es ist eine Schmach,« sagte sie sich. »Aber dies kann jedem ... Manne passieren!« Und war sie nicht ein Mann, wenn sie ihre Beschäftigung überdachte? Sie leistete mehr als Tausende tüchtiger Geschäftsleute ... sollte sie nicht auch gewisse Rechte eines Mannes besitzen?

»Und was ich jetzt empfinde,« dachte sie, »ist das, worüber mir manchmal Männer sprachen ... der Ekel vor sich selbst ... Animalis homo! ... Aber seien wir ehrlich! Liebte ich Dutrier? Nein! Achtete ich ihn? Ich wußte doch, was in ihm steckte ... er ist künftighin nichts mehr für mich ... vor allem aus dem Grunde, weil ich wußte, daß seine Liebe erheuchelt war, daß er kein Verlangen nach mir trug ...«

Als sie den versiegelten Umschlag eingeschlossen hatte, blieb sie im Zimmer stehen, mit hängenden Armen. Zum erstenmal wünschte sie deutlich, sich dieser Sklaverei der Sinne zu entziehen ... Denn bisher hatte sie dieses Bedürfnis fast geschäftsmäßig befriedigt, wie ein Mann. Sie fühlte einen sinnlichen Appetit, der immer größer wurde, der ihr Denken zu verwirren drohte, und sie befriedigte diesen Trieb, wie man den Hunger stillt. Aber heute fühlte sie sich ganz entwurzelt. »Es ist dieser Ekel, den ich vor dem davongejagten Gauner empfinde,« suchte sie sich zu entschuldigen. Aber nein ... diese moralische Verwirrung hatte einen anderen Grund ... »Nun ja ... dies ist in mir in dem Augenblick entstanden, als ich Laurent Sixte sah,« sagte sie ehrlich. »Seine ehrerbietige Bewunderung ängstigt mich ... es scheint mir, als wenn er viel mehr von mir hielte, als ich verdiene! Ich möchte ihm die Wahrheit sagen ... und ich wage es nicht ... ich kenne mich in mir selbst nicht aus ...«

Ein gedämpftes Klingelzeichen kündigte ihr an, daß jemand das Vorzimmer durchschritt.

»Es ist Berthe,« dachte Camille. Und sie war so zufrieden über diesen Besuch, daß sie, was sie sonst nie tat, zur Türe lief und selbst öffnete.

 

Nun saßen sie nebeneinander auf dem Sofa. Camille sah ihre schöne Freundin bewundernd an:

»Ja ... du wirst mich auslachen,« gestand Berthe, »aber ich bin plötzlich kokett geworden ... Ich möchte alles um mich herum geschmückt sehen, und für mich möchte ich den schönsten Schmuck, die schönsten Perlen und Saphire. Ich war in den letzten Wochen bei den berühmtesten Schneidern. Ich sah diese Wunderwerke, in Parade vorgeführt von den schönsten Mannequins ... und dies brachte mich zur Verzweiflung ... bin ich wirklich hübsch? Und dann dachte ich an meine kleine Wohnung im vierten Stock, die ich mir selber eingerichtet hatte.«

»Sie ist reizend, deine Wohnung ... ein wahres Liebesnest!« sagte Camille.

»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll; sie erscheint mir jetzt ärmlich, zusammengewürfelt, ohne Stil und Harmonie. Jean ist so zartfühlend. Du kannst dir das kaum vorstellen. Er hat einen so sicheren Geschmack! Ich hatte noch nicht den Mut, ihn bei mir zu empfangen, wie sehr er mich auch darum anfleht.«

»Es ist also die große Liebe, die große Leidenschaft?«

»Ungläubige ... du lächelst ... ohne den göttlichen Sinn dieser Worte zu ahnen! Ah, Leidenschaft! Was birgt sich alles in diesem Wort! Es macht mir Furcht und stachelt meine Wünsche auf, aber ich ahne nicht seinen wahren Sinn ... Lieben? Geliebt werden? Das sind für mich geheimnisvolle Worte, die ich nicht begreife!«

»Undankbare! So viele Männer sind dir bereits zu Füßen gelegen!«

»Nun ja ... aber weiter kam es nicht! Ich habe mich damit belustigt, die Männer verrückt zu machen, ich wollte ihnen gefallen, aber ich erhörte keinen einzigen! Oh, ich hätte mich hingegeben, wenn es einem gelungen wäre, mich ganz zu betören! Ich hätte mich ganz gegeben, für das ganze Leben ... aber sie blieben mitten am Wege liegen ... sie verzichteten auf den Wettlauf, und dann verleumdeten sie mich, statt mir zu danken, daß ich sie für eine Weile aus der Alltäglichkeit hob!«

»Und dieser Jean de Trevoux, an den du heute so inbrünstig denkst,« unterbrach sie Camille, »wird es ihm so gehen wie den andern? Er gefällt dir immer mehr ... dann wird er dir eines Tages weniger gefallen, und du wirst dich ihm nicht hingegeben haben, und er wird dich verwünschen ...«

»Ah ... Jean, das ist nicht dasselbe!«

»Das glaubst du jetzt ...«

»Nein, es ist nicht dasselbe!« Ihr schönes Gesicht wurde nachdenklich. »Ich suche ihm zu gefallen, wie den andern, aber bei den andern war ich meines Erfolges sicher, während ich fürchte, daß er mich nicht wahrhaft liebt.«

»Geh' doch! Er ist ja ganz toll auf dich!«

»Er ist vielleicht toll von einem Bilde, das er sich von mir macht, aber diesem Bilde entspreche ich nicht.«

»Ich begreife dich nicht.«

Berthe legte ihre Arme um den Hals ihrer Freundin und küßte sie.

»Verlange nicht, daß ich dir dies jetzt erkläre, ich hätte nicht den Mut dazu. Vielleicht später einmal ... und du wirst mich dann begreifen! Jetzt will ich mich nur an der Gegenwart berauschen! Ja ... Jean betet mich an! Wenn ich ihm morgen sagen würde: ›Heirate mich ...!‹ so würde dieses Kind von zwanzig Jahren, dieser so gläubig und streng erzogene Mensch, der noch einen Beichtvater hat, keinen Augenblick zögern, es zu tun. Er weiß, daß ich Atheistin bin. Er kennt mein Alter, das sogar im kleinen Larousse steht ... ah ... warum habe ich damals die Unklugheit begangen, das Datum meiner Geburt anzugeben! Ich möchte alle Larousse zusammenkaufen und verbrennen! Damals belustigte es mich, mein Geburtsdatum schwarz auf weiß zu lesen! Ich war noch so jung, als ich mein erstes Buch schrieb ... ich war meiner so sicher! Ah, ich weiß, daß man mir mein Alter nicht ansieht ... Ich bin jung geblieben. Meine Züge, mein Haar, meine Gestalt sind beinahe unverändert wie damals, als ich zwanzig Jahre zählte. Es ist wie ein Wunder, daß mich die Zeit verschonte, aber das dauert nicht immer, und die Menschen wissen nachzurechnen! Siehst du ... alle diese Bücher, die ich schrieb und die mich bekannt machten, ich würde sie unbedenklich hingeben, wenn ich das Alter haben könnte, das man mir nach meinem Aussehen gibt ... Aber ich bin nicht gekommen, um dich in deiner ernsten Arbeit durch ein so törichtes Geplauder zu stören.«

»Du störst mich gar nicht ... dein Besuch macht mir im Gegenteil viel Freude. Ich war melancholisch!«

»Wie! Hast du einen Kummer?«

»Nein ... eine Traurigkeit bloß, die kommt und geht ... und die ich nur durch Arbeit oder Freundschaft bekämpfen kann. Bleibe recht lange, willst du? Wir werden miteinander zu Mittag essen. Auch ich werde dir manches anvertrauen ... aber ... du wolltest mich auch geschäftlich sprechen? Um was handelt es sich?«

»Mein Besuch gilt diesmal meinem Bankier. Wieviel habe ich noch an verfügbarem Gelde hier?«

»Ich werde mich gleich erkundigen, wenn du es willst. Aber sage mir doch ganz einfach, welche Summe du brauchst?«

Berthe sah unruhig drein wie ein ängstliches Kind:

»Höre doch, mein nächstes Buch erscheint binnen kurzem bei Naudin, außerdem habe ich für eine amerikanische Revue, die » Wide World« monatlich eine Chronik zu schreiben, welche fürstlich bezahlt wird. Ich kann insgesamt auf 50.000 Francs rechnen ...«

»Oh, ich habe keine Furcht, daß dein Scheckkonto unbedeckt bleibt,« sagte Camille lachend. »Sag doch, wieviel du willst.«

»Nein, du weißt, ich bin in diesen Sachen etwas genau. Meine Eltern waren bescheidene Geschäftsleute und ich habe von ihnen die Furcht geerbt, mich in Schulden zu stürzen. Aber ich bin dir sicherlich mindestens für eine Summe von hunderttausend Francs gut, bis zum Ende dieses Jahres. Willst du mir diesen Betrag vorstrecken?«

Sie fügte hinzu, den Kopf senkend, reizend in ihrer Verwirrung: »Ich will ein schönes Auto kaufen und ins Rheinland fahren. Ja ... ich will Jean sehen, in seiner Nähe leben, aber ich will ihm Ehre machen, ich will Luxus um mich herum haben. Ich will ihn bezaubern! Ah, du wirst denken, daß ich närrisch geworden bin!«

Beide lachten herzlich und ihre Hände liebkosten einander, in dieser zarten Anmut, die den Freundschaften zwischen Frauen etwas von dem Glanze und der Gebrechlichkeit der Liebe gibt.

»Alles, was du willst, süßes Kind,« sagte Camille. »Mein Kredit hier in der Bank deckt den deinen! Kaufe dir Perlen und Autos ... es ist so amüsant, dich verschwenderisch zu sehen! Du warst immer so vernünftig, so beherrscht! Ich glaube, daß ich dich beneide.«

»Ich bin beneidenswert, es ist wahr,« sagte Berthe. »Vorgestern machte ich mit Jean einen Spaziergang nach St. Cloud, in die Wälder, die jetzt die Farbe von Rost und Ruß haben, unter einer bleichsüchtigen Sonne, aber ich fühlte mich so leicht, so wohl, so berauscht. Es war wie ein Spaziergang zweier blutjunger Menschenkinder, die sich ihrer Liebe noch nicht bewußt sind ... nichts als schüchterne Küsse, und ich war noch schüchterner als Jean!«

Camille hörte ihr begierig zu. Berthe drückte sich enger an sie und fuhr fort:

»Denke dir ... als ich Jean verließ, hatte ich nicht den Mut, in meine bescheidene Wohnung zurückzukehren. Ich hatte das Verlangen, über Jean mit jemandem zu sprechen, mit jemandem, der mich begreift, der sich über mich nicht lustig macht. Zu dir konnte ich nicht kommen, es war deine Geschäftsstunde, wo du unnahbar bist. Ich lief zu Albine Anderny. Und das Wunderbare ist, daß ich an Albine nicht nur eine verständnisvolle Zuhörerin fand, sondern eine ebenfalls jung gewordene Frau ... einen Engel, dem plötzlich Flügel gewachsen sind, wie mir ...«

Sie lachte kindlich.

»Wie dir! Nein ... du übertreibst, denn du hast diese Flügel stets besessen, während Albine die ihrigen schon längst an verschiedenen Flammen versengt hat.«

»Ich versichere dir, daß ihr diese Flügel wiederum wachsen ... und dann, scherzen wir nicht! Die Krise, die jetzt Albine durchmacht, ist großartig, wie alle Regungen ihrer Seele. Albine ist eines der wundervollsten und seltensten Frauenexemplare, die ich kenne. Zuerst wegen ihrer Schönheit: noch heute kann sich selbst die jüngste, die schönste Frau nicht mit ihr vergleichen. Sie hat Geist und Witz, ihre Bildung übertrifft die meine, und mein Beruf will ja, daß ich geistig sehr kultiviert sei. Albine weiß alles, begreift alles. Die Künste, in denen sie sich versuchte, Malerei, Musik, sie hat gezeigt, daß sie sich darin auszeichnen könnte, wenn es ihr ihre Zurückhaltung als große Dame nicht verbieten würde, mit den Künstlern zu wetteifern. Und was die Liebe betrifft ...«

Berthe Lorande zögerte eine Weile, wie jedesmal, wenn sie ihre Gedanken in kürzester Form wiedergeben wollte.

»Was die Liebe betrifft,« unterbrach sie Camille, »so hat sie verschiedene Erfahrungen hinter sich ...«

»Ja ... verschiedene ... aber niemals etwas Entwürdigendes,« erwiderte Berthe, ohne zu bemerken, daß Camille fahl wurde, als hätte man sie brutal vor die Brust gestoßen.

Camille murmelte:

»Leider ... gibt es bei den Männern fast immer einen Fond von Gemeinheit in ihrer Liebe ...«

»Ein Herz wie das von Albine, reinigt diese Schlacken durch sein Feuer! Höre doch ... du wirst mich begreifen. Gouillaux belustigt sich damit, einen Ausdruck zu verbreiten, der eigentlich von Mercueil erfunden wurde, von den weiblichen Lüstlingen ... weibliche Don Juans ... und er wendet diese Bezeichnung auf uns an, auf dich, mich, die Großfürstin Hilda und Albine! Das kann uns gleichgültig sein, nicht wahr? Wenn dieser Ausdruck wirklich einen Sinn hat, so kann er sich nur auf Albine beziehen. Sie allein ist ein weiblicher Don Juan. Auch sie fühlt sich, wie der spanische Held, als das Opfer einer gebieterischen Schicksalstücke. Sie verfolgt ein flüchtiges Ideal, inmitten der enttäuschendsten Versuche, aber in dieses Suchen mischt sich keine Gemeinheit, keine materielle Niedrigkeit. Es ist kein Vergleich zwischen dieser angstvoll Liebenden und einer müden, aber nie befriedigten Messalina. Albine ist von der Natur erschaffen worden, um die glühendste Liebe einzuflößen, und sie muß diesem Ziel beinahe gegen ihren Willen nachstreben. Es ist nicht ihre Schuld, wenn sie von den Männern unbefriedigt blieb, es ist die Schuld der allzu großen moralischen Entfernung zwischen Albine und diesen Männern ...«

Alle diese Worte, mit Begeisterung von Berthe vorgetragen, verletzten heimlich Camille, und trotzdem sie Albine aufrichtig liebte und schätzte, konnte sie sich nicht enthalten, etwas spöttisch zu bemerken:

»Wenn Albine die wahre Liebe nicht gefunden hat, so hat sie sich zum wenigsten bei diesen vielfachen Versuchen sehr bereichert ...«

»Bereichert!« protestierte Berthe. »Albine ist keine käufliche Frau! Du weißt ja ganz gut, daß sie als junges Mädchen sehr reich war. Der zweite Gatte ihrer Mutter hat ihr mehr als eine Million hinterlassen. Später hat ihr Anderny im Heiratsvertrag ebenfalls eine Million ausgeworfen, die Albine, nach deinem weisen Rat, in Dollars umwandeln ließ. Ihr Reichtum würde also trotz der giftigen Verleumdungen eines Gouillaux ihr jetziges Wohlleben erklären. Albine ist nicht käuflich. An dem Tage, da sie ihr erträumtes Glück erhaschen könnte, würde sie mit Freude auf den Luxus verzichten und von ihrer Hände Arbeit leben ...«

Nach einer Stille setzte Berthe hinzu:

»Und das wird wahrscheinlich geschehen ...«

»Für diesen unbekannten Arzt?«

»Ja, für diesen Arzt, der übrigens hoch zu werten ist, was Geist und Wissen betrifft! Albine glaubt, daß sie hier das gefunden hat, was sie so lange suchte: ein völlig uneigennütziges, mißtrauisches, aber edelmütiges Herz. Die andern Männer lagen ihr zu Füßen, flehten sie an, ihre Beute zu werden, aber mit Roger ist es etwas anderes ... alles oder nichts! Für den Augenblick ist es noch nichts, nicht einmal ein Kuß, ich weiß dies von Albine selbst, sie vertraut mir alles an ... es ist die absolute Keuschheit! Aber sie sehen sich alle Tage, denn sie können ohne einander nicht mehr leben. Hast du bemerkt, daß Albine sich nicht mehr öffentlich zeigt, bei keiner Première, bei keinem Rennen, in keinem Restaurant? Selbst, wenn sie in Gesellschaft geht, richtet sie es so ein, daß auch Roger eingeladen wird. Er bereitet ihr ein qualvolles Leben, Eifersucht, Fragen nach der Vergangenheit, Zorn, Reue, Entschuldigungen, Bitten. Sie leidet ... und sie war noch nie so glücklich wie jetzt! Aber auch sie gibt zu, daß dies nicht so länger andauern kann ...«

»Ein Bruch?« fragte Camille.

»Ein Bruch ... oder Heirat,« sagte Berthe. »Sie hat es mir nicht deutlich gesagt, aber ich bin überzeugt, daß sie daran denkt ... doch sie müßte Roger dazu bewegen, und das ist nicht leicht.«

»Das begreife ich, er ist um zwanzig Jahre jünger als sie.«

»Oh ... das würde ihn nicht abhalten. Er hat eine Mißachtung für die hergebrachten Vorurteile, aber es ist da die Vergangenheit Albinens, und ihr Reichtum.«

»Da er doch keine Vorurteile hat!«

»Im Grunde genommen, glaube ich, daß er alle Vorurteile hat! Albine meint es auch. Aber es ist für einen ehrbaren und von seiner Arbeit lebenden Mann kein Vorurteil, wenn er nicht will, daß man ihm einen gewissen Titel gibt ...«

Das Herz Camillens krampfte sich zusammen. Sie dachte an das Wort, mit dem sie den feigen Dutrier gepeitscht hatte.

»Jetzt,« fuhr Berthe fort, »ist die Krise auf ihrem Höhepunkt. Beide fühlten die Notwendigkeit, sich für eine Weile zu trennen, um nachzudenken. Roger ist für eine Woche nach England gefahren, zu einem Arzt, der sein Vormund ist, ein gewisser Hobson, in Penzance. Du weißt, daß Roger ein uneheliches Kind ist, seine Mutter war französische Sprachlehrerin in London. Albine glaubt, daß sein Vater dieser Hobson ist, während sich Roger einbildet, der Sohn eines Lords zu sein, wie es ihm einst seine Mutter erzählt hat. Er hat aber keinen englischen Typus ...«

»In seinem Auftreten trotzdem ...«

»Vergiß nicht, daß er in London erzogen wurde, übrigens, er hat Rasse, und ich begreife Albine.«

»Ich auch,« sagte Camille. »Aber nun mußt du mich entschuldigen ... ich habe hier in fünf Minuten eine Besprechung mit meinen Direktoren. Soll ich dich einstweilen in meinem Boudoir unterbringen, bis zum Mittagessen?«

»Nein,« sagte Berthe aufstehend. »Ich werde in den Bois fahren und werde eine Stunde mein hygienisches walking betreiben. Um ein Uhr bin ich zurück.«

»Das Geld für deine Tollheiten wird bereit sein.«

»Danke!«

Als Berthe verschwunden war, setzte sich Camille zum Tisch und schrieb schnell einen kurzen Brief in geschäftlich kühler Form:

Herrn Laurent Sixte, Vogesen-Bank,

Herr Dutrier verläßt meine Bank, um einen anderen Posten anzunehmen. Ich dachte an Sie wegen dieser Stelle. Sie würden natürlich dieselben Bezüge haben, dreitausend Francs monatlich und einen Anteil an dem jährlichen Gewinn, dessen Höhe von dem Verwaltungsrat bestimmt wird. Herr Dutrier hat in dieser Hinsicht im Vorjahre 20.000 Francs erhalten.

Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir ohne Verzug antworten wollten, denn die Stelle ist von heute an frei.

Camille Engelmann.

II

Half Moon Cottage, Penzance.

Eines vor allem: meine Gedanken sind bei Ihnen, sind voll von Ihnen! Fünf Tage sind verstrichen, und diese große räumliche Entfernung zwischen uns hat nichts geändert. Ich kann an nichts anderes denken als an Sie, und ich stelle das beinahe mit Erbitterung fest. Ich muß das auch gestehen, denn ich habe Ihnen versprochen, nichts zu verhehlen. Unsere freiwillige Trennung hat den Zweck, das eigene Herz zu erforschen, und ohne aufrichtigste Wahrheit kommen wir nicht ans Ziel.

Ich bin an einen Ort zurückgekehrt, wo ich meine Jugend verbrachte, den ich seit zwölf Jahren nicht wiedergesehen hatte, und ich erhoffte von diesem Ort eine Revulsion, wie wir Ärzte es nennen. Schon früher hatte ich manchmal meine bedrohte Freiheit dadurch gerettet, daß ich einen andern Ort aufsuchte, eine fremde Stadt sah, fremde Gesichter, und der Widerschein der abwesenden Personen schwand dahin, ich vergaß, ich wurde ruhig, ich blieb frei.

Heute widerfährt mir das Gegenteil: alles, was mich hier umgibt, scheint hinzuschwinden, und das Bild der Frau, die ich in Paris zurückließ, überstrahlt alles, herrscht unbeschränkt. Ich habe die Überfahrt wie ein Nachtwandler gemacht. London sah ich wie im Traum, selbst dieses englische Wohnhaus, das mir so teuer ist, selbst das Wiedersehen mit meinem lieben Sam Hobson, der noch grauer und noch vollblütiger geworden ist, der einzige Mensch, der mich bisher wirklich geliebt hat ... das alles hat mich aus diesem Traume nicht aufgeschreckt. Und ich sage mir mit einer wirklichen Beklemmung: ›So stark, so heftig ist es!?‹ Trotzdem wird unsere Trennung nicht nutzlos sein. Wenn ich nicht Beruhigung und Vergessen finde, so kann ich dafür besser nachdenken und in mir klar sehen. In Paris hatte ich die Möglichkeit, Sie zu jeder Stunde des Tages wiedersehen zu können, und dies knüpfte mein Leben gleichsam an diese Stunden. Wie sollte man überlegen, sich selbst erkennen, wenn man in einem beständigen Fieber ist! Hier stehe ich des Morgens mit dem Gefühl auf, daß der Tag vergehen wird, ohne daß ich Sie sehe. Das versetzt mich in eine dumpfe Verzweiflung, aber in dieser Leere kann ich denken, überlegen mich erforschen. Und Erkenntnisse, die mir in Paris entgingen, drängen sich mir hier auf. Die eine dieser Erkenntnisse ist, daß unsere Begegnung für uns beide eine verhängnisvolle Laune des Schicksals war. Eine andere Feststellung ist, daß die jetzige Stunde, da wir noch nicht ein Liebespaar sind, uns die Trennung bringen könnte, und daß uns diese Trennung jetzt weniger zerfleischen würde als dies in Paris möglich wäre. Und die dritte Erkenntnis ist, daß wir uns schließlich doch trennen müssen, was, wenn wir diese Trennung erst nach dem Liebesbunde vollziehen, nur Verzweiflung und gegenseitigen Haß bringen kann.

Dies alles würde nicht erfolgen, wenn ...

Nein, ich kann diese Bedingung noch nicht sagen, diese Bedingung, die zwischen uns einen möglichen, wahren, dauernden Bund schaffen würde. Diese Bedingung steht ganz bei Ihnen. Ich glaube aber keinen Augenblick, daß Sie sie erfüllen könnten, ich bin sogar überzeugt, daß sie nicht ausführbar ist. Das ist die bittere Frucht meines Nachdenkens. Und nun will ich mich näher erklären, so klar, als würde ich eine Diagnose abgeben! Wenn ich Ihnen Schmerz bereite, so verzeihen Sie mir ... ich kenne Sie, ich kenne Ihr Herz, und ich glaube, daß ich Ihnen einen noch größeren Schmerz zufügen würde, wenn ich schwiege ...

Seit unserer ersten Begegnung war etwas in mir, das Ihnen feindlich gesinnt war, und dieses Gefühl wuchs. Ich haßte diejenigen Jahre Ihres Lebens, da ich Sie nicht kannte, ich haßte Ihren Luxus, Ihren Reichtum, Ihre Beziehungen, Ihre Lebensführung. Ich habe gar kein Recht, das zu sagen, aber ich muß es sagen ...

Alle Einwendungen, die der gesunde Menschenverstand gibt, habe ich mir gemacht ... ich glaube nicht an die Geschlechtsmoral, ich halte sie sogar für töricht, für erbärmlich. Eine Frau kann ihren Körper noch weniger beherrschen als ein Mann. Es waren die Männer, die diese Lehre fanden, um sich der Frauen zu bemächtigen. Diese Überzeugung war in mir festgeankert, aber von dem Augenblicke an, da ich Sie sah, brannte dieses Vorurteil in mir wie eine eiternde Wunde ...

Das Recht auf Liebe, wovon Sie sprachen, erscheint mir wie eine Ungeheuerlichkeit, trotzdem es meine Vernunft gutheißt. Ich vergehe beinahe vor Schmerz, wenn ich denke, daß Sie selbst dieser Ansicht huldigen.

Bei einer Camille Engelmann, einer Großfürstin Hilda finde ich es ganz verständlich, daß sie viele Männer kannten, aus einem Arm in andere Arme gingen. Aber ich fühle mich vernichtet, wenn Sie selbst an eine derartige Vergangenheit denken!

Das alles ist Wahnsinn ... sind tolle Widersprüche, unwert eines Mannes ... man kann sich ihrer in der Theorie entledigen, aber in der Wirklichkeit knebeln und fesseln sie einen Mann, wie in einer Folterkammer.

Sie haben geliebt, Albine, andere Männer haben von Ihnen Glück und Lust empfangen. Noch schrecklicher für mich ist es zu denken, daß Sie selbst Glück empfanden!

Ah ... ich möchte diese Männer vor mir haben, um sie zu töten, wie ein Bauer seinen Nebenbuhler umbringt, wie ein brünstiger Hirsch seinen Gegner aufspießt! So weit ist es mit mir gekommen! Und diese haßvolle Erinnerung an die Vergangenheit einer Albine, die ich nicht kannte, gibt mir Stärke gegen die Albine von heute. Wollen Sie dafür einen Beweis? So oft schon habe ich mich Ihnen allein gegenüber befunden, ich liebe Sie, und ich weiß; daß Sie mich lieben. Und nicht nur, daß gerade in diesen Minuten, da alles der Liebe günstig war, mich nicht das geringste sinnliche Verlangen überschlich ... es war gerade in diesen Minuten, daß ich Ihr erbittertster Widersacher war! Ich dachte: »An einem ähnlichen Tage hat sich dieser und jener hier befunden ... dieses wunderschöne Gesicht kündigte ihm ... ›Wage doch!‹ ...«

Und er hatte gewagt ... alle diese Männer hatten gewagt ... Und mein Verlangen schmolz dahin, und ich hatte einen Trieb, einen unwiderstehlichen Trieb, zu töten.

Albine, ich kann nicht mehr zu Ihnen kommen! In dieses Haus, wo Paris, das Ihnen huldigt, Sie sah, Sie bewunderte, Sie liebte!

Wenn ich dort andern Leuten begegne, so glaube ich in allen Blicken zu lesen: ›Aha, das ist der Nachfolger der übrigen ... ‹ Und im Gespräch, das ich belausche, höre ich Namen von Personen, die Sie kannten, die mir fremd sind. Man rühmt die Schönheit eines gewissen italienischen Prinzen, eines russischen Adeligen ... Leute, die Ihnen vertrauter waren als ich es bin. Und wenn ich Sie allein antraf, so waren die Zimmer, die Bilder, die Möbel, die Schmucksachen, das alles waren Zeugen früherer Verhältnisse, früherer Begegnungen. Ich bin nicht hinlänglich toll genug, um Ihnen vorzuwerfen, daß Sie sich nicht für mich aufgespart haben, da Sie mich doch nicht kannten. Aber daß diese Vergangenheit noch heute lebendig ist, daß dieselben Leute, dieselben Freunde noch um Sie herum gaukeln, in demselben Rahmen, daß Albine noch immer ›die berühmte Gräfin Anderny‹ ist, das muß mich aus Ihrem gegenwärtigen Leben ausschließen. Ich ertrug dies, als ich Sie noch nicht liebte. Heute ist die Zeit gekommen, das alles zu erkennen!

Ich will nicht nach Paris zurückkehren, um eine solche Höllenzeit nochmals zu durchleben. Und deshalb muß eine Änderung eintreten.

Anderseits weiß ich, daß dies unmöglich ist. Die Idee, daß eine Gräfin Anderny auf ihr bisheriges Leben verzichten könnte, um ihr Leben an das eines unbekannten, armen Arztes zu knüpfen ... das sehe ich ja selbst als undurchführbar an ... eine derartige Rückkehr ist wahrscheinlich nie ausgeführt worden. Ich sehe ja selbst alle materiellen Schwierigkeiten ein.

Nun ... es ist auch der Beweis, daß sich unsere Existenzen nicht vereinigen lassen, denn nur dadurch würde uns ein Zusammenleben ermöglicht werden.

Damit ich dies klar sehe, war die Trennung notwendig. In Paris hatte ich mir mehrmals zugeschworen, Ihnen das zu sagen oder zu schreiben, aber stets hatte ich im letzten Augenblick gezögert, und ich brachte Ihnen nur meine stumme Verzweiflung oder meine verbissene Wut. Nun habe ich gesagt, was gesagt werden mußte.

Und lassen Sie mich Ihnen auch sagen, daß mein künftiges Leben nur in der Erinnerung an Sie bestehen wird. Glauben Sie nicht, daß es einen Haßgedanken gegen Sie enthalten wird, da Sie doch mein bescheidenes Leben zerstörten ... Daß ich in Ihrer Existenz eine Episode bedeutete, dies ist es schon wert, für Sie zu leiden ... Albine, ich wußte nicht, daß es eine Albine gab! Dieser Zauber von Schönheit, diese Unabhängigkeit des Charakters, man hatte mir davon gesprochen, ich glaubte, es gehöre in das Gebiet des Romans, und ich mußte feststellen, daß derlei vorhanden ist! Das hat mich zuerst erbittert, und dann habe ich mich unterworfen. Diese märchenhafte Person hatte ein zärtliches, verstehendes Herz. Soll ich es Ihnen gestehen? Ein mütterliches Herz, das mich tröstete, mich wiegte, mich beschwichtigte ... Ah ... wie genau Sie die Leiden meines eigenen Herzens errieten, wie sehr haben Sie gefühlt, was an mir Wahres und Erkünsteltes sei! Ich sage Ihnen das alles in unzusammenhängender Form, in dem Drang der Gedanken, die auf mich einstürmen. Erinnern Sie sich an den Vorabend meiner Abreise, in Ihrem Boudoir? Ich war böse und zornig, ich hatte Sie zum Weinen gebracht, dann hatte ich um Vergebung gefleht. Ich fand mich zu Ihren Füßen, den Kopf in Ihrem Schoß. Ihre Hände strichen mir über das Haar, und alles schien leichter, erträglicher zu werden. Es ist vielleicht lächerlich, dies einer Frau zu schreiben, die man liebt. Was ich damals vor allem fühlte, war ein unendlicher Frieden ...

Gott weiß, daß ich oft über die platonische Liebe spottete! Ich glaubte, es sei ein Fallstrick der Natur. Aber was nützen alle Theorien? Während dieser Minuten, die ich zu Ihren Füßen verbrachte, habe ich, unempfänglich für jeden Gedanken sinnlicher Lust, ein Glück gespürt, das kein physischer Besitz geben kann. Ich hatte kein Verlangen, einen Engel zu spielen, aber das Tier in mir war tot, oder eingeschläfert. Und wir begriffen uns ... ich spürte, daß Sie dasselbe Glück empfanden wie ich, daß es von derselben Beschaffenheit war. Es war, als wenn dieses Glück in einer Zeit wurzelte, die wir nicht ermaßen, in einer Art früheren Erlebnisses, da sich unser Wesen bereits vereinigt hatte. Und es war trotzdem das Glück! Und an demselben Abend, als ich allein war, ermaß ich, was unser Leben sein könnte, wenn es von allen Fesseln befreit wäre. Meine Verwirrung war unbeschreiblich, ich hatte nicht die Kraft, endgültig zu verzichten. Was tun? Ich entschloß mich, abzureisen, und Sie haben mir zugestimmt ...

Ich schreibe Ihnen diese wirren Dinge in demselben kleinen Zimmer, in dem ich als Student meine Ferien verbrachte, vor zehn Jahren. Durch das Schiebefenster sehe ich eine Landschaft, die mit Wäldchen und Landhäusern bedeckt ist, und in der Ferne einen Streifen des Meeres. Mein Studentenleben ist gleichsam eingeschlossen in diesem hellen, klaren Zimmer, in diesem behaglichen englischen home, das Sie, Albine, in den Palaces und den Sommerbadeorten nicht gekannt haben. Es ist das home des wahren Englands, das arbeitet und denkt. Hier sind noch meine Studienbücher, meine Kollegienhefte, hier mein Sportgerät, hier das Ruder, das ich bei einer Regatta gewonnen hatte. Ich sehe das halb verblichene Bild meiner Mutter, und hier das Bild meines Vormunds, schön und martialisch in seiner militärischen Uniform. Hobson hat mir eine Braut gefunden und ist verzweifelt, daß ich von ihr nichts wissen will. Ah ... ich weiß, daß dies alles sehr kleinlich ist, nicht wert, davon zu sprechen. Ich war ein Student, ich lebte in der typischen Wohnung eines englischen Bürgers ...

Aber vielleicht werden Ihre Gedanken trotzdem an diesem bescheidenen Bilde haften, an diesem einsamen, träumerischen, vorzeitig verbitterten Jungen ...

Das ist mein ganzes Leben! Ach, teure Albine, warum kann ich nicht, in einer so banalen Verkürzung, Ihr ganzes früheres Leben überblicken! Es hat trotzdem in Ihrem Leben eine Stunde gegeben, da Sie mir glichen, da Sie ein unwissendes, unschuldiges Mädchen waren, und ein Mann, wie ich, ist gekommen!

Aber warum an derartige Dinge denken? Besser ist es, den Brief zu beenden ... ich bin schrecklich traurig seit einigen Minuten. Ich habe plötzlich das Gefühl, als würde dieser Brief uns auf immer trennen ... daß ich Sie nie wiedersehen würde! Albine – haben Sie Mitleid mit mir!

Roger.

III

»Er ist erstaunlich, nicht wahr, Prinzessin? Alles gelingt ihm, sogar die Jahreszeit muß sich ihm beugen. Er gibt eine Garden-party am 15. April ... so etwas hat man noch nie gesehen! Wer würde so etwas wagen? Ach Gott, er hat nun einmal diese Kühnheit, und er hat Glück! Denn man würde sich heute im Juni wähnen ... an awfully beautiful place, is it not? Inmitten des sechzehnten Bezirkes hat dieser kleine Palast das Aussehen eines Schlosses. Der Garten mit dem schönen Rasen, und die hohen Bäume. Ah ... und alle diese Blumen, dieser Flieder ... man hat sie erst gestern gepflanzt, aus Furcht vor einem Frost. Sie kommen aus den Glashäusern ... he has spent an amount of money ... er rechnet gar nicht. Er ist wirklich ein Herrscher, man schätzt ihn überall, in Europa, in Amerika. Sehen Sie sich doch den großen Salon an, mit diesen kostbaren Möbeln, auf den Schränken nichts als Photographien prinzlicher Personen, mit schmeichelhaften Widmungen. Ich bin entzückt, daß Sie gekommen sind, teure Prinzessin! Sie werden hier allen Ihren Freunden begegnen, dem ganzen aristokratischen Faubourg, und auch den Berühmtheiten von Paris, Malern, Dichtern ... look here ... there is Lady Stone ... the big lady in carnation ... she looks like a cook ... don't you think? Sie macht Ramon den Hof, er belustigt sich über sie, das können Sie sich denken! and behind her the secretary of the Spanish embassy ... ein schöner Junge, nicht wahr? Schön wie Ramon, nur weniger raffiniert ... Trachten Sie, daß er Ihnen vorgestellt werde ... he likes the blondes ... so wie Sie ... Ah! Der Graf Primoli ... Come va, gentilissimo?«

Sie ließ die griechische Prinzessin im Stich, deren Namen ihr nicht eingefallen war und reichte dem Grafen die Hand. Er tauschte mit der Großfürstin Hilda einige Redensarten und verließ sie dann mit einer Empfehlung, deren Ironie sie nicht begriff:

»Und nun, Hoheit, will ich Sie in Ihren Pflichten bei dem Empfang nicht stören ...«

 

Denn es war in der Tat die Großfürstin Hilda, die hier, mit der Impertinenz einer Herrscherin, die Gäste empfing. Sie hatte mit Ramon alle Einzelheiten dieses Festes entworfen, das zwar nicht die beste, wohl aber die glänzendste Gesellschaft von Paris vereinigen sollte. Man kam zu einem solchen Fest vor allem wegen der Kontraste, die sich diesen blasierten Genußmenschen darboten. Eine Party von Ramon Genaz, von einer Hoheit präsidiert, dies hatte man noch nie gesehen ... Es gab da Berühmtheiten der Café-Chantants und Zuhälter aus den Dancings, sehr nett gekleidete, etwas weiblich aussehende junge Herren, geschminkt und gepudert ... es gab Berthe Lorande, es gab zwei Neger, einen protestantischen Pastor, einen berühmten französischen General, man sah Jeanne Saulnois, die von Gouillaux begleitet war; Albert Saulnois überwachte Berthe, die den General zu erobern suchte, ohne böse Absicht, nur um im Notfall ihrem Jean de Trevoux nützlich zu sein ...

Man sah da den exotischen Prinzen, den wir schon bei dem Abend in Celtic's bemerkten, man zeigte sich einen Monsignore, der sehr elegant, sehr gepflegt aussah, in einer roten Soutane prangte und auf einen jüdischen Namen hörte ... Camille Engelmann tauchte auf, so diskret gekleidet und durch den breiten Hut halb maskiert, daß man sie auf den ersten Blick für reizend hielt. Sie saß neben Laurent Sixte, dessen hübsches Gesicht, auffallend frisch unter dem bereits ergrauenden Haar, den Frauen augenscheinlich gefiel, denn jede fragte erstaunt: »Wer ist es? ...« Man zeigte einander zwei Zeitungsdirektoren, blasiert und mürrisch, und einen Theaterdirektor, der bettelarm war, aber die moderne Bühne reformieren wollte. Drei reizende Frauen, zur großen Welt gehörend, umringten einen kleinen, sehr berühmten Gelehrten, der sie über die Relativität der Zeit aufklärte. Man sah Mistinguette, unweit von ihr Cécile Sorel. Dies alles plauderte, lachte, naschte Bonbons, kostete von Kuchen, trank Porto und Champagner, rauchte ambraduftende Zigaretten, flirtete, lästerte, intrigierte ... suchte sich in Geschäften, in der Politik, in der Liebe zu behaupten, oder betrachtete ganz einfach, wie der Graf Primoli, als Philosoph dieses prächtige Pariser Revuenbild unter der Vorfrühlingssonne, in einer Dekoration, die an ein Theater und an ein Kasino erinnerte.

So sehr bei diesem Feste die Großfürstin sich zur Schau stellte, so bescheiden hielt sich Ramon Genaz im Hintergrund. Man wundert sich manchmal in der Gesellschaft über manche glänzende Erfolge, die ans Wunderbare grenzen, weil sie auf keinem wahren Verdienst beruhen. Aber wenn man näher hinsieht, bemerkt man, daß der Glückliche stets eine Eigenschaft besitzt, die man eigentlich schwer beschreiben und noch schwerer erlangen kann: Takt. Ramon Genaz hatte Takt ... Das Fest, über das morgen ganz Paris sprechen würde, das seine Stellung in der vornehmen Welt festigte, das er schon mehrere Monate vorher in allen Einzelheiten genau vorbereitet hatte ... man hätte jetzt geglaubt, daß es ihn gar nicht interessiere! Er rührte sich beinahe gar nicht aus seiner lauschigen Ecke – höchstens um drei oder vier besonders vornehme Persönlichkeiten zu begrüßen. Er leistete einigen alten Damen Gesellschaft, die nicht sehr elegant waren, aber zum wahren Faubourg St. Germain gehörten und die sich nur sehr schwer herbeiließen, einem solchen Feste beizuwohnen. Man sah da Frau von Juvigny, die ältere Schwester von Frau von Trevoux, dann die vor vierzig Jahren so berauschend schön gewesene Comtesse de Mers, die jetzt eine Siebzigerin war, aber unter ihrem weißen Scheitel noch eine wahrhaft fürstliche Anmut besaß. Diesen alten Damen machte Ramon buchstäblich den Hof, instinktiv einen Rat befolgend, den einst Frau von Morts dem berühmten Vandenesse gegeben hatte: »Eine Frau von fünfzig Jahren wird alles für Sie tun ... eine Frau von zwanzig gar nichts!« Ramon kannte diesen Ausspruch nicht, denn er war unbelesen wie ein Liftboy, aber er hatte ihn gleichsam von selbst gefunden. Er war dadurch der Pflicht enthoben, sich mit den andern Gästen familiär zu machen, er begrüßte sie gleichsam auf Distanz, mit einer leichten Handbewegung, und sie nickten ihm von weitem ehrerbietig zu, nicht wagend, in diesen erlauchten Kreis einzudringen. Das war aber auch das einzige Mittel, um nicht in intime Gespräche mit jungen, schönen Frauen verwickelt zu werden, was ihm seitens der Großfürstin Hilda unvermeidlich gellende Eifersuchtsszenen eingetragen hätte ... Und so konnte er auch nach Schluß des Festes zu Hilda sagen: »Das war Ihr Fest, nicht das meine ...« So wahrte er inmitten dieser schönen Damen, die für ihn als einen unvergleichlichen Tanzpartner schwärmten, die Distanz, blieb unberührt von Kabalen und Ränken der Nebenbuhlerinnen. Und trotzdem blieb er für alle Gäste der wahre Beleber des Festes ... und er würde alle auf seiner Seite haben, wenn er nach einer Weile auf dem beweglichen Parkett, das man über den Rasen gebreitet hatte, an der Seite seiner professionellen Rivalin auftauchen würde, der schönen Ungarin Vitzina, die da zum erstenmal öffentlich einen Tango mit Ramon tanzen wollte. Aber die anderen Tänzerinnen spähten trotzdem beständig nach ihm aus, weniger aus Liebe, als aus Snobismus. Denn war es nicht eine Schmach für die Pariser berauschende und junge Weiblichkeit, daß dieser wundervolle Fremde mit dem Profil eines Antinous, mit dem blauschwarzen Haar, den Odaliskenaugen und dem biegsamen, gertenschlanken Körper das ausschließliche Besitztum dieser vertrocknenden, alternden Großfürstin sein sollte!? Sie waren alle bereit, sich für ihn aufzuopfern, diese Schönen mit dem Vogelgehirn, um einem solchen Skandal ein Ende zu machen. Ah, die herrische Hilda kam in den geflüsterten Gesprächen nicht gut weg ...

Inzwischen befand sich Jeanne Saulnois im » den« von Ramon, einer entzückenden englischen Bücherstube. Maurice de Gouillaux leistete ihr Gesellschaft. Jeanne war wie ein junges Mädchen gekleidet, sehr einfach, in einem fließenden, fliederfarbenen Gewand, ohne jeglichen Schmuck, aber sie war so frisch, so ausgeruht, so entzückend unberührt, daß sie wirklich wie ein junges Mädchen aussah. Sie antwortete ruhig auf die Fragen des Diplomaten, der sichtlich nervös wurde. Er hatte sich vorgenommen, Jeanne auf Berthe Lorande eifersüchtig zu machen. Aber Jeanne wich den einzelnen Fragen so geschickt aus, daß er schließlich irritiert ausrief:

»Ich möchte nur wissen, wodurch er Sie so bezaubert hat, Ihr Gatte! Ich gebe zu, daß er intelligent ist, aber Sie sind ihm überlegen, und schön ist er gar nicht ...«

»Sie wollen mir beweisen,« sagte Jeanne lächelnd, »daß es Männer gibt, die schöner und klüger sind als mein Mann? Männer wie Sie, wahrscheinlich!«

»Nicht gerade ich, aber ...«

»Oder andere, das ist mir gleichgültig! Glauben Sie denn, daß die Liebe eine Münze ist, die man gegen eine gewisse Zahl von guten Eigenschaften eintauscht? Das wäre wirklich drollig, wenn die Frau ihre Liebe vergessen sollte, sobald sich ein Mann einstellt, der schöner ist als der, den sie heiratete. Nein, nein, Freund Gouillaux, ich habe Albert vom ersten Augenblick an geliebt, und er war damals gar nicht verführerisch mit seinem Bart und seinem Zwicker, den er in einem Bazar erstanden haben mußte! Sieh' da ... man macht Musik?«

Ein kleines Orchester, wie für eine Serenade, begann schmachtend unter den Bäumen zu säuseln und zu zirpen.

»Gehen wir,« sagte Jeanne, wobei sie aufstand.

»Nein ... einen Augenblick noch!« flehte Gouillaux. »Das ist sehr interessant, was Sie mir da sagten, denn Sie machen sich ja aus Musik gar nichts, ebenso wie ich. Ah ... er war also gar nicht hübsch, als Sie ihn zum erstenmal sahen, Ihr Albert?«

Jeanne lachte freimütig.

»Hübsch ... doch, er war hübsch, aber provinzlerisch! Und das habe ich ihm ja abgewöhnt! Aber er hatte schon damals seine große Statur, seine blonden Haare, sein geistvolles Gesicht, seine einnehmende Stimme ... aber er war so komisch angezogen, und wußte sich nicht zur Geltung zu bringen ...«

»Wie kam es dann, daß Sie nach ihm Verlangen hatten?«

»Verlangen! Sie sind drollig ... ich hatte kein Verlangen! Ich war ein junges und anständiges Mädchen, gut erzogen. Verlangen hat vielleicht ein Lebemann, der eine leichte Beute vor sich sieht! Sie kennen die Mädchen der französischen Provinz sehr schlecht, Gouillaux! Ich hörte Albert bei einer Preisverteilung eine Rede halten. Seine Art sich auszudrücken, zu denken, dies gefiel mir, ich hatte das Verlangen (nachdem Sie diesen Ausdruck vorziehen) mit ihm zu sprechen, mich mit ihm zu beschäftigen, um ihn vor allem zu veranlassen, sich den Bart abrasieren zu lassen und auf seinen schrecklichen Klemmer zu verzichten, sich bei einem guten Schneider zu kleiden.«

In diesem Augenblick hob im Garten eine dünne Tenorstimme an, von einer Gitarre begleitet:

»Come porti capelli, bella bionda?
Io le porto a l'uso marinaio ...«

Jeanne und Gouillaux waren jetzt ganz allein in dem Zimmer und konnten laut reden, ohne jemanden zu stören.

»Und wie kam es, daß Sie ihn heirateten?«

»Ah, das war nicht ganz leicht! Ich war zwar von meinen Eltern sehr verwöhnt, als einzige Tochter, aber es kostete schwere Arbeit, um sie zu bestimmen, einen Professor des Lyzeums zum Schwiegersohn anzunehmen! Da habe ich zuerst einen Privatkurs für Literatur arrangiert, in unserem Salon, für die jungen Frauen und Mädchen unserer Klasse. Albert ist sehr geschickt, er hatte die kleinen Schwächen von Papa und Mama bald heraus, und das andere ging wie am Schnürchen!«

»Ich sehe wohl, was Albert bei dieser Geschichte gewonnen hat! Ohne Sie würde er noch einen wirren Vollbart tragen, würde einen Nasenklemmer balanzieren, würde seine Kleider fertig in einem Warenhaus kaufen, würde irgendwo in der Provinz sitzen. Er wäre nicht Mitglied des Instituts und würde nicht jetzt mit Berthe Lorande flirten, denn er flirtet ... er scheint ihr sogar eine Szene zu machen ... beugen Sie sich vor! Sie werden es sehen.«

»Ich will es gar nicht sehen,« protestierte Jeanne. »Mein Mann hat alle Freiheit, um Berthe Lorande Schmeicheleien zu sagen ...«

»Gut! Sie sind starrköpfig! Aber was wollte ich sagen? Richtig ... ich denke, daß Saulnois alles zu gewinnen hatte, als er Sie heiratete. Aber Sie, die Sie alles hatten, Schönheit, einen adeligen Mädchennamen, große Weltgewandtheit im besten Sinne des Wortes ... denken Sie, was Sie geworden wären, wenn Sie den Mann erwartet hätten, der Ihrer würdig war ...«

»Was aus mir geworden wäre? Oh, das kann ich Ihnen sagen ... ich wäre eine alte, vertrocknete, zitronengelbe Jungfer geworden ... oder ich hätte einen unserer Nachbarn geheiratet, einen armen Edelmann, der in zehn Jahren meine Mitgift im aristokratischen Cercle von Auch verspielt hätte und mich mit den Dienstmägden betrügen würde! Da bin ich lieber Madame Saulnois!«

Die Stimme des Tenors erklang jetzt in einem heiteren Refrain:

»Tiritomba! Tiritomba!
Tiritomba, l' aria va! ...«

»Gut ... aber wären Sie weniger Madame Saulnois, wenn ...«

»Wenn ich Sie erhören würde, liebenswürdiger Verführer? Ja ... dann wäre ich nicht mehr Madame Saulnois ... denn mein Glück besteht nicht darin, daß Albert Mitglied des Instituts ist, daß wir in der guten Gesellschaft verkehren, daß wir reich sind! Nein – wir sind ein braves Ehepaar, einer ergänzt den andern, merken Sie sich das, Freund Gouillaux, der Sie bei den weiblichen Don Juans verkehren und in allen Frauen Lüstlinge sehen! Ich sollte einem andern als meinem Manne angehören? Mein ganzes Glück besteht darin, daß ich nur diesem gehöre! Ich sollte also die Freude meines Lebens zerstören, um ein Glück zu suchen, nach dem es mich gar nicht gelüstet! Sind Sie mir deshalb böse? Warum? Sie gefallen mir trotzdem ganz gut, als uneigennütziger Freund ...«

Gouillaux stand auf und überlegte. Aber die Furcht, sich lächerlich zu machen, hielt die bitteren Worte zurück, die sich ihm auf die Lippen drängten.

»Gut, einverstanden! Behalten Sie Ihr Glück, Sie haben recht ... aber es hängt nicht nur von Ihnen ab, dieses Glück! Ich wünsche mir nicht eine Rache, die Ihnen wehe tun würde, aber ich fürchte, daß Sie trotzdem bereuen werden ...«

Der spöttische Ton, der ihm gewöhnlich eigen war, hatte einer Art ehrlicher Bitterkeit Platz gemacht. Er verkostete die perverse Freude, Jeanne erbleichen zu sehen. Sie stand ebenfalls auf:

»Was wollen Sie sagen?«

»Nichts! Wenn Ihnen das Glück Ihrer Ehe so teuer ist, werden Sie gut daran tun, nicht zu schlafen.«

Sie konnten nicht weiter sprechen. Die Musik hatte aufgehört, die Gäste strömten in die Salons zurück. Verschiedene Ausrufe wurden hörbar. »Entzückend, nicht wahr?« »Schöne Stimme, dieser Ripardi!« »Eine verrückte Idee, derart veraltetes Zeug in unserer Zeit des Debussysmus zu bringen.« »Wahrscheinlich braucht die Großfürstin solche Schmachtfetzen, um lyrisch zu werden! ...« Jeanne und Gouillaux wurden getrennt, Gouillaux sah sich von Lady Stone angerufen, der er in London den Hof gemacht hatte. Jeanne, aufmerksam gemacht durch das Gespräch mit Gouillaux, sah Folgendes: Berthe hatte mit Albert gesprochen, nun ließ sie ihn jäh stehen, um in den Garten zu eilen, in dem zwei neue Gäste aufgetaucht waren, Jean de Trevoux und Roger. Berthe nahm zärtlich den Arm des jungen Offiziers, während Roger stehen blieb, indem er nach allen Seiten suchend umherblickte.

War es die Wirkung der giftigen Einflüsterungen von Gouillaux? Jeanne war wie von einem Blitz durchzuckt, als sie die furchtbare Herzensangst sah, die sich im Gesichte ihres Mannes widerspiegelte. Albert starrte wie gebannt nach Berthe, die jetzt Jean de Trevoux neben sich auf einen Stuhl gezogen hatte und auf ihn einsprach. Mit dieser Hingabe, die eine verliebte Frau auch in der Öffentlichkeit nicht scheut, um den Erwählten auszuzeichnen, sah sie ihn lächelnd und zärtlich an, und ihre Hände zuckten, als hätte sie Mühe, sie an einer leidenschaftlichen Liebkosung zu hindern. Albert sah dies alles, und auch er verstellte sich nicht; er war nahe daran, sich zu vergessen, einen Skandal zu machen ...

»Sollte Gouillaux doch recht haben?« dachte Jeanne. »Will Berthe meinen Mann verrückt machen? Ah ... dann hat sie es mit uns beiden zu tun! ...«

Sie durcheilte schräg den Garten, gerade als die Diener die letzten Vorbereitungen beendigten, um den Tanzboden an Ort und Stelle zu bringen. Die Gäste blickten auf diese Szene, und niemandem fiel es ein, sich um Jeanne und ihren Mann zu kümmern. Die Frau, mit einem frohen und ganz natürlichen Lächeln, unter dem kein Mensch die innere Herzensangst vermutet hätte, stellte sich neben ihren Gatten, und dieser, plötzlich beruhigt und wie erleichtert durch die Gegenwart seiner Beschützerin, klammerte sich mit beiden Händen an den nackten Armen von Jeanne an, mit der Bewegung eines furchtsamen Kindes. Denn Albert Saulnois gehörte zu den mehr unterwürfigen als treuen Ehemännern, die um keinen Preis auf die Liebe ihrer Gefährtin verzichten möchten, die im Gegenteil versucht sind, sie in die Enttäuschungen einer außerehelichen Phantasie einzuweihen, wie diejenigen Schelme, welche dem Heiligen eine Kerze widmen, damit er ihnen ihre schlechten Streiche verzeihe ...

 

Die Herrichtungen für die Tanzszene verhinderten es auch, daß man die Ankunft von Vaugrenier bemerkte, und auch die unruhige und enttäuschte Miene, mit der er im Garten umherspähte und dann die Säle absuchte. Übrigens kannten ihn nur wenige unter den Gästen, diejenigen, die bei Albine verkehrten, und einige persönliche Freunde wie Jean de Trevoux. Denn diese zwei jungen Leute hatten sich, trotz eines Altersunterschiedes von vier Jahren, gleich aneinander geklammert, von ihrer ersten Begegnung an. Sie glichen sich gar nicht, hatten verschiedene Ansichten, aber eine latente Sinnesverwandtschaft hatte sie einander genähert. Trevoux war sentimental, traditionell, gläubig, und er bewunderte unbewußt in Roger seine eigene, aber befreite Natur. Wenn er mit ihm die verschiedensten Gesprächsstoffe erörterte, hörte er in seinem eigenen Innern den Widerhall der Antworten dieses Atheisten. Roger liebte in Jean de Trevoux das, was er selbst geworden wäre, wenn es ihm das Schicksal beschieden hätte, als Sproß einer alten französischen Familie zur Welt zu kommen. Er schien sich über die Gläubigkeit, über die ererbten Gewissensbisse seines Freundes lustig zu machen, weil er sich nicht eingestehen wollte, welchen Trost sie ihm in seiner eigenen Herzensverfassung boten. Jean sprach beständig von Berthe, mit der fiebernden Inbrunst eines Verlobten. Roger sprach nie von Albine, aber bezog instinktiv alles, was Jean von Berthe sagte, auf Albine, all diese vibrierende, großherzige Verteidigung, die er für Berthe gegenüber der Welt unternahm. Jean hatte natürlich das Herzensdrama erraten, das zwischen Roger und Albine sich abspielte, aber Roger wußte Jean großen Dank, weil er dieses Thema nie berührte, sondern sich mit augenscheinlich ernstgemeinten Lobsprüchen über Albine begnügte. Als Roger nach England abreiste, war Jean das einzige Freundesantlitz, das ihm zulächelte, als sich der Zug in Bewegung setzte, und gleich bei seiner Rückkehr hatte er ihn sofort aufgesucht.

Diesesmal war aber sein Herz allzuschwer. Er hatte dem Freunde sein Geheimnis anvertraut, die wahre Ursache seiner Abreise, den Brief an Albine, die Art von Ultimatum, das er ihr gestellt hatte ... und vor allem die furchtbare Herzensangst, die er empfand, weil die Gräfin schon über eine Woche verstreichen ließ, ohne zu antworten. Aber diese Stille hatte er ja selbst gewollt. Er hatte indirekt gesagt: »Verschwinden Sie aus meinem Leben ...« und diesen Urteilsspruch, den er selbst gefällt hatte, konnte er jetzt nicht ertragen.

»So weit ist es mit mir gekommen,« schloß er. »Ah ... ich bin gar nicht stolz auf mich, mein Alter.«

»Machen Sie ihr doch einen Besuch!« sagte Jean. »Sie fühlen ja, daß sie Sie erwartet!«

»Soll ich sagen: ›Verzeihung ... ich habe mich geirrt?‹ Ich wollte eine Entscheidung ... sie wollte nicht ... nein, nein, ich verlange nichts mehr! So tief bin ich noch nicht gesunken!«

»Wollen Sie, daß ich Berthe benachrichtige? Sie wird Sie beide zusammenbringen ...«

»Das wäre dieselbe Sache.«

»Hören Sie doch ... Ramon Genaz gibt ein Fest, in Passy, heute Nachmittag. Es steht mir frei, meine Freunde mitzubringen. Kommen Sie mit mir ... die Gräfin wird sicherlich dort sein, wegen der Großfürstin, mit der sie sehr freundschaftlich verkehrt. Die Begegnung wird eine ganz natürliche sein, und in fünf Minuten ist das Mißverständnis behoben ... denn es gibt zwischen Ihnen nur ein Mißverständnis ...«

Roger hatte zuerst tausend Einwände erhoben, aber einige Stunden später, als ihn Jean abholte, hatte er ihn fiebernd vor Ungeduld angetroffen; er konnte es kaum erwarten, sich auf den Weg nach Passy zu machen.

Und nun sieht er sich inmitten dieses Festes, das er noch vor zwei Wochen mit allen nur erdenklichen Sarkasmen bedacht hätte. Er sieht sich inmitten dieser Nachkriegsgesellschaft, die er verachtet. Er sieht den Vorbereitungen für die Schaustellung verächtlicher Gaukler zu, und er denkt nicht einmal daran, sich zu entrüsten, er verachtet nicht mehr diese soziale Schwere, ihre erkünstelte Heiterkeit, ihr tolles Verlangen nach kostspieligen Vergnügungen, ihre entnervende Sinnlichkeit. Der Odem einer Gruft, der Verwesungsgeruch, der sich diesem Treiben entringt, legt sich ihm nicht mehr beklemmend auf die Brust ... Zum Kuckuck mit den kühlen Beobachtungen, mit den strengen Theorien oder mit aufrührerischen Predigten! Zum Teufel mit der strengen Moral, mit Würde und Selbstachtung! Was ihm jetzt alles bedeutet, ist nur dies eine: eine Frau auftauchen zu sehen, deren Gegenwart ihm so notwendig erscheint wie die Luft, nach der seine Lungen verlangen ... Um diese Begegnung so rasch als möglich herbeizuführen, hatte er plötzlich England verlassen, hatte Paris im Flugzeug erreicht, als wäre es unmöglich, diese Begegnung auch nur um eine Stunde hinauszuschieben! Und diese Frau ist nicht seine Geliebte ... er hat von ihr nicht einmal die geringsten, schüchternsten Liebesbeweise erhalten! Es ist also nicht die Tyrannei der Sinne, die ihn in Fesseln legte! Es ist etwas anderes ... geheimnisvoll, unerklärlich, aber unabwendbar, befehlerisch, die Hoffnung auf ein Leben, das sich nur an ihrer Seite abrollen kann, mit ihr, an sie gleichsam geschmiedet! Ah ... wenn sie doch nur erschiene, damit er sie sähe! Und selbst, wenn sie ihn hochmütig abweisen würde, wenn sie ihn nicht bemerken wollte ... es scheint ihm, daß schon ihr bloßer Anblick sein Fieber besänftigen müßte!

Aber so sehr er auch die einzelnen Gäste mustert, seine Augen widerspiegeln sich nicht in denen, die ihm heute alles bedeuten ...

Dem gegenüber würde man sagen, daß alle anderen Gesichter heute eine Schärfe, ein Relief gewinnen, das außerordentlich ist, als wenn sie vom Innern aus erleuchtet wären und dadurch gleichzeitig nicht nur die physischen Mängel, bisher ängstlich verhehlt, offenbaren würden, sondern auch die Struktur des Gehirns, die geheimen Gedanken, die Seele ... Die Großfürstin Hilda, beispielsweise. Während sie sich in naiven Anpreisungen erschöpft, um die Gäste rings um den Rasen zu gruppieren, bemerkt sie lebhaft: »Er wird tanzen! Einen Tango mit der Vitzina ... einen Tango für uns allein, wie ihn Paris noch nicht gesehen hat.« Und dabei liest Roger auf diesem vertrockneten, hysterischen Gesicht nicht nur die gierige Sinnlichkeit, sondern auch die Mentalität eines Kindes, das der Berechnung eines andern als Beute dient! Und hier ... Ramon Genaz ... sein sonst unbewegliches Gesicht zeigt auf der Stirne einige Sorgenfalten, seine großen Augen scheinen plötzlich unruhig die Anwesenden zu mustern, seine Bewegungen verraten die große Nervosität, die ihn befallen hat, alles zeigt einen Menschen, der sich verstellt, der voll Kühnheit und doch wieder von Furcht beherrscht ist, der in der Wahl seiner Mittel noch zögert, aber zu den verwerflichsten bereit wäre ... Eine fast übersinnliche Klarheit strahlt von dem Gesichte der schönen Berthe Lorande, die sich Jean de Trevoux darzubieten scheint. Aber durch welchen bösen Zauber ist Jean behext, daß er nicht sieht, was doch in die Augen springt, das vergebliche Glücksuchen, die bohrende Verzweiflung dieser Frau, die sich anbietet? Und Roger liest wie in einem Buche der Leidenschaft, da er Laurent Sixte und Camille Engelmann betrachtet, das Aufkeimen einer neuen, sentimentalen Leidenschaft, er betrachtet das Spiel seines Freundes Gouillaux zwischen Saulnois und Jeanne. Aber nun entsteht ein großes Gedränge, die Großfürstin erhebt beinahe gebieterisch ihre Stimme, alle Gäste sind herbeigeströmt und stellen sich rings um den Rasen, der jetzt ein Parkett im Ausmaß einiger Quadratmeter trägt, das durch einen mit Blumen maskierten Steg mit der Allee verbunden ist.

Auf diesem schmalen Raume sollen die Vitzina und Ramon tanzen, ihre vollendete Kunst zeigen.

Die Großfürstin hatte stolz angekündigt, daß dies der Glanzpunkt dieses Festes sein würde, das unvergleichliche Meisterwerk. Die Argentinier haben ja erklärt, daß man einen Tango auf einer Tischplatte tanzen könne. Und hier sah man wieder einmal die snobistische Kindlichkeit dieses so raffiniert sich gebenden Paris: alle, Frauen und Männer, waren gleichsam elektrisiert bei dem Gedanken, daß man einen feenhaften, unvergeßlichen, berauschenden Anblick genießen würde ... einen Tango, getanzt auf einigen Quadratmetern! Das war wirklich wert, diese wüste Zeit erlebt zu haben ...

 

Während das Orchester, Gitarre, Mandoline und Violoncello, sanft präludiert, erscheinen die beiden Virtuosen der Tanzkunst, einander bei den Fingerspitzen haltend. Sie lösen die schwierige Aufgabe, auf dem schmalen Blumensteg dahinzuschweben, ohne daß man Zeit hätte, zu erkennen, ob sie nebeneinander gehen oder einander folgen. Die Vitzina ist platt, beinahe geschlechtslos, das Gesicht eines etwas verlebten Jungen, grell bräunliche Schminke und Puder im Gesicht, beinahe nackt in einer Art von Krepphemd, das nur die halbe Büste bedeckt und über den Knien endigt. Das rote Haar ist kurz, gelockt. Genaz trägt einen Frack und eine seidene, graue Kniehose, ein Hemd mit einem Jabot, er ist barhäuptig ... Als sie das Parkett erreichen, klammern sie ihre nackten Hände fest an, die Linke des Mannes und die Rechte der Frau, gegen die Achsel des Tänzers, die linke Hand der Frau legt sich ebenfalls auf die Achsel Ramons, während seine Rechte den nackten Rücken der Frau streift. Aber nichts kann anständiger sein als dieser Beginn. Wenn die Zuschauer ein sinnliches Schauspiel erwarteten, so sahen sie sich getäuscht. Man bemerkt, daß sich die beiden Körper beinahe gar nicht berühren. Sie bleiben einen Augenblick unbeweglich, nicht angeschmiegt, aber ganz nahe, die Gesichter sind in derselben Richtung, legen sich übereinander wie Medaillen mit einem doppelten Profil. Die Locken der Vitzina streifen die schwarzen Haare Ramons, aber die Wangen halten sich von jeder Berührung fern. Die wollüstige Kadenz der Musik wird deutlicher ... Tanzen sie? Man weiß es nicht. Sie waren soeben unbeweglich, aber nun scheint sich die Doppelstatue zu beleben, nach einem unmerklichen Rhythmus. Das ist die vollendete Kunst des Paares, und es ist wahrhaftig eine Kunst. Sie haben den berühmten Tanz jeder Gebärde, jedes Wiegens und Schwankens entkleidet, sie haben daraus gleichsam eine Synthese gemacht. Und man begreift mit einemmal, warum sich dieser Tanz die ganze Welt erobert hat. Dieser Tanz ... er ist ein Gedicht der Liebe, gleichzeitig zart, keusch und doch wollüstig, glühend, aber geregelt. Die Füße bewegen sich mit einer solchen Gleichmäßigkeit, daß man wähnen möchte, die Lackschuhe des Tänzers und die mit Diamanten geschmückten Schuhe der Tänzerin seien durch ein Fluidum miteinander verbunden, eine Magnetspitze gegenüber einer Eisenspitze. Und es ist wundervoll, man kann sich nicht denken, daß man vollkommener als dieses Paar die Neigung, die Eroberung, die Unterwerfung einer Frau ausdrücken könnte, durch diesen passiven Gehorsam des weiblichen Fußes gegenüber dem männlichen, einer genau dem andern folgend, ohne ihn je zu berühren. Aber bereits sind die Körper selbst nicht mehr unbeweglich. Sie wahren noch immer diese beinahe unmerkliche Distanz, sind angeschmiegt und trotzdem nicht umschlungen, und man errät, daß sie sich bei den rhythmischen Vibrationen gleichsam mit Elektrizität laden ... und die Zuschauer teilen diese Erregung, als würden sie einer unvergleichlich dargestellten Liebesszene beiwohnen. Sie sehen, wie die Liebenden am Abgrund der Leidenschaft zögern, sie teilen ihre Angst, und sie wünschen die endliche, fieberhafte Umarmung. Und plötzlich, am Höhepunkt dieser Erwartung, besänftigt sich mit einemmal die Musik, das Paar trennt sich, der Tänzer ist nur mehr ein galanter Anbeter, der die Schritte seiner Gefährtin bewacht und hütet. Auf dem schmalen Raume des Parketts führt der Sieger die Beute dahin, wie auf einem steinigen Pfad ... dann durch eine plötzliche Bewegung, die ein Aufjauchzen des Cello unterstreicht, stockt dieser Spaziergang: die beiden Liebenden, einen Augenblick lang unbeweglich, sehen einander in die Augen, und wie durch eine unwiderstehliche Macht, die kaum zwei Sekunden andauert, und die sich trotzdem durch ein Zurückschnellen der Frau kundgibt, in einem letzten Aufbäumen schamhaften Widerstandes, schmiegen sie sich endlich eng aneinander, Brust gegen Brust ... die Frau ergibt sich, die Liebe hat gesiegt ... und jetzt bleiben ihre Blicke aneinander geschmiedet, scheinen im Blick des andern die Wollust lesen zu wollen, oder den Verrat ... die Glieder sind nicht mehr von der früheren keuschen Behutsamkeit, sondern umschlingen einander, ergeben sich in einem jähen Zusammensinken, in dem Augenblick, als die Liebende wie kraftlos an der Brust des Mannes ruht.

»Die Eigenheit ihres Tanzes,« sagte Mercueil am Ohr von Camille Engelmann, »ist der Gegensatz zwischen der Wollust der Gebärden und der Beherrschung der Mienen, das Unpersönliche. Sie begreifen, was ich sagen will. Diese zwei Tänzer sind die größten Meister ihrer Art. Der Tango wurde nicht einen Augenblick lang schlüpfrig, sinnlich, alles war in den geringsten Gebärden ausgeklügelt. Und die Gesichter! Sie waren einander so nahe, daß man nicht einmal ein Zigarettenpapier dazwischen schieben konnte, und trotzdem nicht der geringste Seufzer, keine Erregung ... das ist der wirkliche Tango! Wie schade, daß dieser Tanz von so vielen Stümpern und verrückten Gänsen entweiht, herabgewürdigt wird zu einem orientalischen Bauchtanz ... Ah ... es ist zu Ende!«

»Klatschen wir Beifall! Sieh da ... die Großfürstin scheint nicht sehr zufrieden zu sein ... Das begreife ich ... sie hätte gewünscht, an der Stelle der Vitzina zu sein.«

Während der stürmischen Beifallsrufe, da sich die Hände der Frauen nach Ramon ausstreckten, da man die Vitzina küßte, bahnte sich das Paar einen Weg in die Salons – keineswegs atemlos, vielmehr ganz frisch – nicht der geringste Schweißtropfen an der Stirn, keine Falte am Kleide. Die Gäste traten etwas zurück, um nicht Lauscher einer Szene zu werden, da jetzt die Großfürstin auf Ramon zueilte, den seine Tänzerin verlassen hatte.

Nur Mercueil, der sich in eine Ecke gedrückt hatte, vernahm das Zwiegespräch:

»O Gebieterin! Sie scheinen gegen Ihren Untertan aufgebracht zu sein? Was haben Sie?«

»Ach ... diese Vitzina ist ein schmutziges Geschöpf ... Sie preßte sich an Sie wie eine Kokotte ... Damned whore! Und Sie ... Sie ... Sie haben sie angeblickt, als wollten Sie sie verschlingen ...«

Ramon blieb ruhig.

»Herrin ... wenn Ihre Augen geruhten, sich auf einen Mann zu senken ... sollte es für diesen Mann noch andere Frauenaugen geben? Vitzina ist häßlich, ich glaubte, ein Skelett in meinen Armen zu halten ...«

»Ist das auch wahr?« murmelte die Großfürstin, schnell beruhigt. »Ein Skelett, die Vitzina ... ja, Sie haben recht! Ah, wie geistreich Sie sind, Ramon!«

Ramon beugte sich vor und sagte leiser, aber Mercueil verstand jedes Wort:

»Und einen Atem ...! Ich muß mir jetzt sofort Mund und Nase spülen!«

 

Roger hatte von der Freitreppe aus, auf das Geländer gestützt, dem Tanz zugesehen, mit der genauen und unruhigen Aufmerksamkeit, die einen Kranken überkommt, wenn er einem durch das Fieber hervorgerufenen Traume folgt.

Als er späterhin von seinem Platze durch das Gedränge vertrieben wurde, irrte er wie verloren in den Sälen umher, stürzte dann in den Garten, lief einer Frau nach, in der er von weitem Albine vermutete, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als er in ein erstauntes, fremdes Gesicht blickte. Was sollte er tun? Trevoux war der einzige, dem er seine Verzweiflung hätte anvertrauen können. Aber Trevoux wich nicht von der Seite der schönen Berthe.

»Nun gut, dann werde ich in der Wohnung Albinens nachfragen!«

Aller Stolz war von ihm abgefallen, er konnte sich nicht vorstellen, daß er eine Stunde länger leben könnte, ohne Albine zu sehen. Was dann geschehen, was sich aus der Begegnung ergeben würde, das war ihm noch unfaßbar, aber er mußte sie sprechen! Bereits hatten sich einzelne Gäste verabschiedet, weil die Großfürstin huldvoll erlaubt hatte, daß man nicht zu warten brauche, bis sie selbst das Fest verlassen würde. Denn sie war ja hier eigentlich zuhause ... Bereits hörte man um den kleinen Palast die Autos dröhnen und davonsausen ...

»Ist es der Erfolg dieser Marionetten, der dich so versteinert?« sagte eine spöttische Stimme« hinter ihm.

Eine Hand legte sich auf seine Achsel. Er drehte sich um:

»Ah, Gouillaux!«

Ihre Beziehungen waren etwas kühl geworden seit der ersten Begegnung Rogers mit Albine, denn die gehässigen Bemerkungen seines Freundes über die Gräfin Anderny hafteten wie vergiftete Pfeile in dem Gedächtnis Rogers. Und wenn ihm Albine nicht geraten hätte, einen so gefährlichen Menschen wie Gouillaux nicht zu reizen, so wäre der Bruch zwischen den beiden Kameraden bereits erfolgt. Aber heute, in seiner Verzweiflung, erschien ihm diese Begegnung beinahe wie eine Wohltat. Sie plauderten, und in einer schnellen, sehr ironischen Zusammenfassung regelte der Diplomat gleichsam die Rechnung, die er dem Gastgeber schuldig war. Er spöttelte so grausam über Ramon, über die Großfürstin, über Camille Engelmann und Berthe, daß sich Roger mit einemmal sehr beschämt fühlte, in diese verworfene Gesellschaft gekommen zu sein. Er entschuldigte sich etwas linkisch.

»Es war Trevoux,« sagte er, »der mich hieher beinahe mit Gewalt geschleppt hat.«

»Mein Alter,« erwiderte Gouillaux, »ich bin gar nicht erstaunt, dich hier zu sehen, denn auch unsere gemeinsame liebe Freundin ist hier.«

»Welche liebe Freundin? Albine ist hier?« verriet sich Roger.

»Die Gräfin Anderny ist hier,« berichtigte ihn Gouillaux, wobei er nur mühsam ein Lachen verbiß.

Aber Roger war für Ironie nicht mehr empfänglich. Er fragte hastig:

»Wo hast du sie gesehen?«

»In dem kleinen englischen Salon, den dieser Popanz von Ramon seinen › den‹ nennt. Sie plauderte mit der Großfürstin. Ich glaube übrigens, daß sie erst vor einigen Minuten angekommen ist.«

Er konnte nicht vollenden. Roger hatte ihn verlassen und rannte beinahe in das Haus zurück.

»Bravo ... Albine! Das ist eine tüchtige Leistung!« murmelte Gouillaux.

Roger drängte sich an den Gästen vorbei und trat in den den. Auf der Schwelle stand die Gruppe alter aristokratischer Damen, mit denen früher Ramon geplaudert hatte. Sie warteten ungeduldig, daß die Großfürstin ein Zwiegespräch beendigte, damit sie dann Abschied nehmen könnten.

Es war nicht Ramon Genaz, mit dem die Großfürstin plauderte. Vor ihr saß auf einem niedrigen Stuhl eine elegante Dame, von der man nur die stolze Silhouette sah, in einem knappanliegenden blauen Kleide, und über dem Silberfuchs aufragend der blendende Nacken, die braunen Haarlöckchen.

Das Herz Rogers krampfte sich zusammen. Es war Albine! Er konnte, ebenso wie die anderen Damen, das Gespräch hören, denn die Großfürstin schmetterte förmlich:

»Teure ... oh! Teure ... ich war very anxious, Sie nicht begrüßen zu können! Ein Autounfall, sagen Sie? Das ist schrecklich! Mir ist dasselbe widerfahren, letzte Woche, gerade da man mich auf der schwedischen Botschaft erwartete. Das ganze Fest war gestört! Sie können sich das vorstellen! Ah ... nun will ich Ihnen sagen, warum ich Sie sprechen wollte ... Ich glaube, daß Sie sehr befreundet sind mit jenem Herrn, der Ihr Minister des Auswärtigen ist ... Herr Carnouiller ... oder so ähnlich ... nicht wahr?«

»Herr Cordelier ...«

»Ja ... ganz richtig! Cordelier! Ich selbst will nichts von ihm verlangen, weil er sehr garstig war gegen Ramon ... Er hat ihn sehr gequält, als einen Ausländer, mit Pässen und Dekreten wegen einer Aufenthaltsbewilligung. Wie ist so etwas nur möglich, mein Gott! Ein Mann wie Genaz, der von Herrschern wie ein Freund empfangen wird! Man könnte wirklich mehr Rücksichten haben!«

»Herr Cordelier hat sich mehrmals gegen meine Freunde sehr entgegenkommend gezeigt,« sagte Albine.

»Nun gut, das ist schön! Ich werde in den nächsten Tagen eine Gefälligkeit von Ihnen erbitten ... ich kann es Ihnen jetzt hier nicht sagen ... man würde uns hören (die alten Damen rührten sich nicht vom Fleck)! Ich werde Sie besuchen ... ja, ja, ich will es ... ich werde Ihnen telephonieren, und dann werde ich mit meiner guten Frau Lelièvre kommen.«

Sie war plötzlich aufgefahren. Sie hatte in dem anstoßenden Saal die Vitzina gesehen, die sich von Ramon verabschiedete.

»Wie ...!? Sie ist noch hier, diese widerliche Schlange! Schrecklich ... und er hatte mir gesagt, daß sie sofort verschwinden würde!«

Sie eilte so überstürzt aus dem » den«, daß sie an die alten Damen anprallte. Diese machten in aller Eile eine tiefe Verbeugung, die von Hilda gar nicht bemerkt wurde und dann schritten sie gewichtig dem Ausgang zu. Albine, sich langsam umwendend, fand sich Roger gegenüber.

Sie zeigte gar keine Überraschung, und da er wie berauscht auf sie zuging, streckte sie ihm die Hand entgegen. Er griff nach dieser Hand wie ein Ertrinkender, und sofort, da sich das schöne Gesicht seiner Freundin zu ihm hob, fühlte er, wie alle Ängste von ihm abfielen.

»Sie hatten mich verlassen,« stammelte er ... »Sie ... Sie ...«

Er war beinahe dem Weinen nahe, er hätte sich am liebsten ihr zu Füßen geworfen. Aber ein ernster Blick rief ihn in die Wirklichkeit zurück. Sie sagte sehr gefaßt:

»Setzen Sie sich doch zu mir ...«

In dem Salon war die Großfürstin, unter den belustigten Blicken der letzten Gäste, damit beschäftigt, mit einer unglaublichen Rücksichtslosigkeit die Vitzina aus dem Hause zu weisen. Man hörte die scharfe Stimme: »Nein ... wirklich ... Fräulein, Sie haben sich ja mit dem Tanz das fürstliche Honorar ausreichend verdient ... verlieren Sie nun keine Zeit ... sicherlich warten schon Ihre Tanzschüler auf Sie!«

Dann fanden sich Roger und Albine ganz allein.

Ihre Augen ergriffen von einander Besitz. Sie konnten einander das Glück nicht verhehlen, das sie beide empfanden. Und der Frieden ihres Bundes drang, wie ein geheimnisvolles Fluidum, aus ihren in einander verkrampften Händen. Roger fühlte sich neu aufleben. Er atmete leicht:

»Ah ... Sie hatten mich verlassen! Sie hätten auf meinen Brief antworten sollen ... ich habe so sehr gelitten!«

Trotz der Umwälzung, die diese neue Liebe in ihr bewirkt hatte, war der Trieb, den Mann zu besiegen, noch immer zu mächtig in Albine, als daß sie nicht die Süße dieses Sieges voll ausgekostet hätte. Roger hatte ihr widerstehen wollen, er hatte gegen diese Liebe mit der erbittertsten Energie angekämpft, er hatte den Mut gehabt, zu fliehen ... und nun lag er ihr trotzdem zu Füßen, wie alle die früheren Männer, welche Albine geliebt hatten, entwaffnet, hilflos, demütig. Aber die Zärtlichkeit, die sie für diesen Besiegten fühlte, war trotzdem stärker als ihr Hochmut.

»Welch ein Kind!« murmelte sie.

Er senkte den Kopf, ein Schluchzen, aus Rührung und Freude geboren, drängte sich ihm aus der Brust. Nun konnte Albine sagen, was sie wollte ... er war glücklich!

Sie fuhr fort:

»Ihr Brief war der eines Kindes! Wirklich, Sie warteten auf eine Antwort? Welche Antwort? Wäre es unser beider würdig, Verträge zu unterzeichnen, Bedingungen anzunehmen? Solche Begriffe haben Sie von zwei Herzen, die sich vereinigen wollen?«

Er schüttelte verneinend den Kopf, als Zeichen, daß er sich in alles ergab.

»Wenn ich auf Ihren Brief geantwortet hätte ... glauben Sie, daß wir uns jetzt beim Wiedersehen die Hand gereicht hätten, daß unsere Liebe unversehrt geblieben wäre?«

»Nein ... sprechen Sie mir nicht mehr von diesem unsinnigen Briefe,« stammelte er. »Ich befand mich weit von Ihnen ... ich war verzweifelt, ich war toll ...«

Sie beharrte, mit ihrer schönen, ernsten Stimme:

»Können Sie sich wirklich denken, daß ich Ihnen Rechenschaft ablegen werde, daß ich mit Ihnen verhandle wie mit einem Notar? Denn das wollten Sie doch, nicht? Ich werde mich vor niemandem demütigen, am allerwenigsten vor dem, den ich liebe ...«

»Sie müssen mir verzeihen,« sagte Roger. »Ich will alles tun, was Sie mir befehlen.«

»Ja ... überlassen Sie mir die Sorge um unsere gegenseitige Würde ... ah, Sie ängstliches Herz! Glauben Sie denn, daß ich nicht ahne, welche Gedanken Sie folterten? Aber ich habe sie ja selbst gefühlt, und wenn Sie nicht glauben, daß ich Ihrer würdig bin, so verbiete ich Ihnen, mich zu lieben! Lassen Sie mich und gehen Sie!«

Während sie so sprach, wahrte sie als Weltdame diese Geistesgegenwart, die man selbst in den aufregendsten Augenblicken nicht verlieren darf. Sie blickte aufmerksam nach dem großen Salon. Es waren nur einige Diener dort, die mit leiser Stimme plauderten, auf die kommenden Befehle wartend. Aus dem Hintergrunde, einem kleinen Saal, der neben dem Rauchzimmer lag, drang ein gedämpfter Stimmenschall. Dort hatten sich wahrscheinlich die letzten Gäste versammelt. Man hörte plötzlich singen: ein Säuseln vielmehr. Es war die Manier Ramons, wenn er sich auf der Gitarre begleitete und auf allgemeines Drängen irgendein spanisches oder argentinisches Lied zum besten gab. Es war in der Tat Ramon, der für einige Gäste, die Hilda umringten, sich als Sänger produzierte. Man verstand die Worte nicht. Aber Albine erriet ein Lied, das sie einmal in Andalusien gehört hatte:

La camicia de la Lola
Un chulo se le llevo
Un chulo se llevo ...

Roger, von seinen Gedanken zu sehr in Anspruch genommen, hörte und sah nichts. Albine, mit einer Gebärde, die bei aller Zärtlichkeit keusch blieb, hob seinen Kopf in beiden Händen empor.

»Albine,« flüsterte er.

»Ich will mich nicht demütigen,« wiederholte sie. »Aber wenn Sie sich – um meinetwillen – gedemütigt fühlen sollten, dann würde ich Sie lieber verlieren. Nein, fürchten Sie nichts ... Sie kennen mein Alter, meine Vergangenheit ... ich bin überzeugt, daß man Sie besser unterrichtet hat, als Sie selbst es wünschten. Es ist sicherlich manches wahr an dem, was man Ihnen sagte. Ich habe frei gelebt. Aber wenn man Ihnen gesagt hat, daß es in meinem Leben eine Schlechtigkeit, eine Niedertracht gibt, so hat man gelogen! Vergessen Sie doch diese Verleumdungen, die Ihnen das Herz zerfleischen! Ich will niemandem Rechenschaft geben, aber da ich nicht will, daß Sie leiden, und da ich Sie liebe ... so hören Sie ...«

Einige Akkorde der Gitarre ließen Roger den Kopf wenden.

»Es ist nichts,« sagte Albine. »Diese Marionetten unterhalten sich ... um so besser, sie lassen uns in Ruhe! Hören Sie ... Das Vermögen der Gräfin Anderny besteht zur Hälfte aus ihrem väterlichen Erbteil, die andere Hälfte bekam sie von ihrem Gatten, gemäß den Bestimmungen des Ehevertrages. Das ist alles, und ich will, daß davon nie mehr zwischen uns die Rede sei!«

»Nein ... niemals mehr!« murmelte Roger.

Die zirpende Musik der Gitarre hatte wiederum begonnen – und die näselnde Stimme Ramons. Die Diener, sehr neugierig, hatten sich in die Nähe des Rauchzimmers geschlichen und verbargen sich in den faltigen Türvorhängen. Die andern Räume waren hell erleuchtet, aber man hatte nicht daran gedacht, im » den« Licht zu machen ... Albine und Roger befanden sich beinahe im Dunkel ...

»Kind!« murmelte sie.

Ihre Knie berührten sich. Sie legte wiederum ihre Hände um die heißen Wangen des jungen Mannes. Und sie fühlten aufs neue, wie am Vorabend der Abreise nach England, ein unendliches Glück, und auch diesmal waren beide darüber erstaunt. Andere Frauen hatten bereits den Kopf Rogers in ihre Hände genommen, seine Knie hatten andere weibliche Knie berührt, und diese Frauen waren weniger schön gewesen als Albine, aber trotzdem hatten sie in ihm eine sinnliche Flamme entzündet. Doch nichts von dem verwirrte ihn heute; diese keusche Berührung schien alle seine Wünsche zu erfüllen, und nichts, was er darüber hinaus noch erlangen würde, könnte dieses Glück vergrößern. Der Wunsch, den er empfand, war nur der, daß dieser Kontakt immer bleiben möge.

Und auch Albine hatte in ihrem Leben andere Männeraugen auf ihrem Gesichte brennen gefühlt; sie hatte damals den Rausch des Blutes und der Nerven erfahren, den Wunsch, sich zu geben und zu nehmen, die frenetische Lust, die jedes Schamgefühl überwindet. Durch welches Wunder gab ihr die Nähe des jungen Mannes das Gefühl, reiner zu werden, sich gleichsam entsühnt zu fühlen? Beide erstaunten über diese heitere Ruhe, über diese Wunschlosigkeit, die trotzdem nichts lebloses, vertrocknetes hatte, sondern voll berauschenden Lebens war. Und beide sagten sich: »Dies ... ist die wahre Liebe, die ich noch nie verspürt hatte ... die wahre Liebe heiligt, entkörpert, beruhigt die wüste Erregung unserer Sinne.«

»Albine,« stammelte Roger, »lieben Sie mich?«

»Ich liebe Sie,« erwiderte sie. »Ich habe Sie von jenem Tage an geliebt ... da ich Sie zum erstenmal sah. Jetzt bin ich mir dessen bewußt. Ihre Gesichtszüge waren in mir wie eingegraben geblieben. Als ich Sie von neuem in Paris sah, habe ich Sie sofort erkannt. Wenn es Sie glücklich macht, daß ich Sie liebe ... ah, dann sollen Sie glücklich sein! Wie soll ich Ihnen dies recht eindringlich sagen? Niemand noch ... hören Sie! Niemand noch hat mich so völlig unterjocht wie Sie!«

Sie machte eine Pause, dann flüsterte sie:

»Sie leiden ... Sie leiden wegen der Zeit, da Sie nicht in meinem Leben waren. Sie dürfen nicht mehr leiden, es steht nicht dafür. Das, was Sie mit Eifersucht erfüllt, das ist nicht der Rede wert. Begreifen Sie mich? Glauben Sie mir?«

»Ja ... ich glaube Ihnen,« sagte Roger.

Und er begriff sie wirklich! »Auch ich habe bisher noch nicht geliebt ... ich wußte nicht, was Liebe ist ...«

Sie hob langsam seinen Kopf empor, sah ihm tief in die Augen, und in ihrem Gesicht schien sich alles spärliche Licht zu sammeln, das noch von außen und von dem Salon hereindrang.

»Roger ... was ich Ihnen von mir geben werde, das hat noch niemand besessen, und wird es nie besitzen. Und trotzdem ... mein Herz blutet, wie das Ihrige, bei dem Gedanken, daß andere Männer von mir etwas erhielten, das ich für Sie allein aufbewahren konnte! Während Sie darüber in England brüteten, habe auch ich in meiner Einsamkeit darüber gewimmert. Ah ... warum ist Ihre Stimme, Ihr Wesen, Ihr Blick ... dies alles nicht in einen jungen lebenden Körper gebannt gewesen, als ich ein junges, unberührtes Mädchen war? Oder vielmehr ... warum bin ich heute nicht zwanzig Jahre alt, um Ihnen sagen zu können: ›Mein Leben ist unbeschrieben, nehmen Sie es ganz.‹«

»Albine!« hauchte Roger erschüttert.

»Es ist nicht meine Schuld, wenn ich so lange Jahre verlebte, ehe ich Ihnen begegnete. Es ist nicht meine Schuld ... aber verzeihen Sie mir ...«

Nun war sie es, die beinahe zusammenbrach, und er mußte sie stützen. Und da er sie so fühlte, besiegt, verzweifelt ... sie, deren gewöhnliche Haltung die einer Kämpferin, einer Herrscherin war, ließ dies seine letzten Bedenken dahinschmelzen, und es gab ihm gleichzeitig den übermächtigen Wunsch, sie zu trösten, sich für sie aufzuopfern, wenn es sein müßte.

Sie schluchzte leise und einige Worte drängten sich hervor:

»Verzeihen Sie mir ... Was mir das Leben gelassen hat, ich gebe es Ihnen! Man sagt mir, daß ich noch immer schön bin, und ich glaube, es ist wahr ... Ja, Roger, niemals war ich schöner als jetzt. Kann Sie dies nicht trösten? Ich werde nicht immer schön bleiben ... aber fürchten Sie nichts, ich werde mich dann davonstehlen ...«

Sie sagte das stammelnd, wie außer sich, und gerade diese Verwirrung machte auf Roger einen beinahe pathetischen Eindruck.

»Ich werde Sie niemals verlassen,« murmelte Roger. »Ich will mich für mein ganzes Leben binden, und Ihr Wunsch wird erfüllt werden. Es wird sein, als wenn ich Sie als junges Mädchen gefunden hätte. Ich will nichts von Ihnen, wie ein Verlobter, solange ich nicht Ihr Gatte bin.«

Er sah, daß sie schwankte. Der Rausch seines Entschlusses gab ihm seine Besinnung, sein klares Denken zurück.

»Achtung!« murmelte er. »Man kommt.«

Die letzten Gäste kamen in der Tat zugleich mit der Großfürstin Hilda, in den großen Salon zurück.

Albine steckte ihr Haar zurecht und trocknete sich die Augen.

»Gehen Sie durch diese Tür in den Garten hinaus und kehren Sie über die Freitreppe in den Salon zurück,« befahl sie ihm.

Er gehorchte. Sie blieb noch einige Augenblicke sitzen, dann ging sie der Großfürstin entgegen, die ihre Abwesenheit nicht bemerkt hatte, und zur großen heimlichen Erheiterung der Gäste jubilierte:

»Ist es nicht wahr, dear, daß unser Ramon alles vortrefflich kann? Tanz, Poesie, Gitarre, Gesang!«

»Dabei vergißt sie so manches andere ...« murmelte Gouillaux am Ohre von Albert Saulnois.


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