Rudolf Presber
Der Untermensch und andere Satiren
Rudolf Presber

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Der Untermensch.

Als »Übermensch« ist nicht mehr viel zu holen. Selbst nicht, wenn man sich »Über-Mensch« schreibt. Die Konkurrenz ist zu groß. Es gibt eben schon gar zu viele Über-Menschen. Na und erst die Übermenschen, die sind schon so häufig, wie die Hummern bei Helgoland!

Ich will ja nicht gerade sagen, daß so ein Übermensch, der seinen Zarathustra gelesen hat und sich redlich bemüht, danach zu leben, gerade überall und zu allen Zeiten ein Übermensch zu sein braucht. Ach nein. Ich habe solche Übermenschen sich recht allgemein menschlich, wenn ich so sagen darf, recht »durchschnittlich« benehmen sehen. Ein »Wischer« von oben – denn auch für den Übermenschen gibt's, so wenig man's glauben sollte, noch ein Oben – oder eine versalzene Suppe, oder ein hohler Zahn haben plötzlich alle hohen Empfindungen in ihm getötet. Er ist wieder Mensch, ganz gewöhnlicher Mensch, sogar ohne bestimmte Abzeichen einer begnadeten Individualität. Er schneidet Gesichter – wie ein Mensch. Er schimpft – wie ein Mensch. Er flucht – wie ein Mensch. Und nicht einmal wie ein besonders begabter.

Solche Übermenschen sind mir stets ein Hauptspaß gewesen. Ich nenne sie »partielle Übermenschen.« Sie haben ihr ganz kleines, engumzirkeltes Gebiet, auf dem sie Übermenschen sind, eine imponierende Mischung von Genie und Verruchtheit. Auf allen anderen Gebieten sind sie arme Narren, die sich drucken und ducken und im Leben nicht mucken.

Da ist zum Exempel der »häusliche Übermensch.« Er ist irgendwo ein kleiner Angestellter, der nichts zu sagen und nichts zu bedeuten hat. Er kann sich von seinem knappen Gehalt nur alle drei Jahre einen neuen Paletot kaufen. Er wechselt dann ab: drei Jahre trägt er einen Sommer-Paletot und friert darin in den Weihnachtstagen, wie ein Schneider; die drei folgenden Jahre trägt er einen Winterpaletot und schwitzt im Frühjahr darin, wie ein Suahelineger.

Auf dem Bureau hat er neben seinem Haufen Arbeit nur eine Pflicht: den Mund zu halten. Er hat zwei direkte Vorgesetzte, die häufig wechseln. Aber es trifft sich immer so, daß der eine davon ein aufgeblasener Esel ist, der den armen, schlechtgenährten Kerl, der um sein karges Brot zittert, siebenmal im Tag anschreit, ihm dreimal mit Entlassung droht und ihm alle unangenehmen Arbeiten zuschustert.

Im Wirtshaus, das er an Sonn- und Feiertagen besucht, um in ein paar fettigen, illustrierten Journalen zu blättern, behandeln ihn die Kellner wegwerfend und argwöhnisch, wie einen Zechpreller, weil er nur fünf Pfennig Trinkgeld gibt und in einer zweistündigen Sitzung nur einen Schnitt konsumiert.

Aber – zu Hause!

Ja, zu Hause! Da ist er eben der Übermensch.

Er hat eine schmächtige, kleine Frau, glatt und reizlos, die aussieht, als hätte sie viele Jahre in einer alten Kiste zwischen sporfleckigen Folianten eingequetscht und vergessen gelegen. Es käme kein Mensch auf den Einfall, daß dieses kümmerliche Wesen einmal jung gewesen sein könne. Aber sie altert auch eigentlich nicht. Sie bleibt immer, was und wie sie war: blaß, platt, das Gesicht übersät von Sommerflecken, mit einem armen schmalen Mund und den flehenden Augen des getretenen Hundes.

Ihren Mann betet sie zitternd an. Lieben – nein, das ist kein Wort dafür. Wenn er sie mit einer Zärtlichkeit, einer flüchtigen Liebeswallung beehrt, so klopft ihr armes Herzchen im Takt: Mahadöh, der Herr der Erde, Kommt herab zum sechstenmal . . .

Das schöne Käthchen von Heilbronn ist nicht so demütig vor seinem hohen Herrn gewesen, wie diese gedrückte, sommersprossige kleine Frau vor ihrem Eheherrn, der doch außerhalb seiner vier Wände ein armer Teufel ist, den kein Mensch ernst nimmt.

Zu Hause aber hat er Macht und Größen Ja, er hat sogar eine »Vergangenheit.«

Er deutet das nur an; er redet nie in klaren Worten darüber. Aber »die Weiber« haben in seinem Leben eine große Rolle gespielt; das erfährt sie oft. Er wäre beinahe an ihnen zugrunde gegangen. Gottlob, nur beinahe! Da fand er den Retter Nietzsche. »Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!« las er. Er las es und stammelte nach. Das rettete ihn. Die kleine Frau denkt zitternd, was aus dem Herrlichen geworden wäre, wenn er Nietzsche und die Peitsche nicht gefunden hätte.

Nicht, daß er sie selbst schlägt – o nein. Die Peitsche ist nicht so wörtlich zu nehmen; er gibt das zu. Er straft mit den Augen. Seine Blicke peitschen; und seine zornigen Worte, aus denen die tiefe Verachtung der niedrigen weiblichen Psyche spricht, geißeln . . .

Seine ganze Philosophie baut sich auf diesem einzigen, krampfhaft vom Gedächtnis umklammerten Satze auf. Über Gott und Welt, über Zeit und Ewigkeit denkt er nicht weiter nach. Er hat nur den einen Stolz: ein Mann zu sein, und als Mann ein Übermensch, der mit der Peitsche zum Weibe geht.

Er gedenkt die Lehre Nietzsches in dieser Richtung »auszubauen.« Demnächst. Nietzsche hat mit der Peitsche gezüchtigt; er aber wird mit Skorpionen züchtigen.

Nur vorerst – er hat zu wenig Zeit; zu wenig frische, unverkümmerte Arbeitslust. Das Bureau nimmt ihm alle guten Stunden. Und er ist die Seele dieses Bureaus. Vorgesetzte – pah, er und Vorgesetzte! Die sollen's wagen, ihm gegenüber durchblicken zu lassen, daß sie sich für was mehr halten, für was besseres! . . .

Und der arme Märtyrer seiner Phantasie, der sich vor einer Stunde noch von seinem Direktor hat behandeln lassen wie ein dummer Junge und in seiner würdelosen Hundeangst demütig vor dem ärgerlichen Hansnarren gedienert hat, erzählt jetzt dem Weib, wie er alles und alle unter die Launen seiner Herrennatur zwingt.

An der ängstlichen Bewunderung dieser wasserblauen Augen erhitzt sich seine Phantasie. Er schwärmt von seinen »Neuerungen,« die er eingeführt, von der brutalen Energie, mit der er das ihm gut dünkende durchsetzt. Er erzählt, wie alle die armen Hungerleider um ihn zu ihm aufsehen, wie zu einem Befreier. Denn er ist gütig nach unten, rücksichtslos nach oben. Und wie er bei der geringsten Veranlassung damit droht, seinen Posten niederzulegen, den Kerlen den Bettel vor die Füße zu schmeißen . . .

»Um Gottes willen, du wirst doch nicht . . .« wagt die kleine Frau im Tone heißer Herzensangst zu unterbrechen.

»Nein; sie dauern mich. Ich werde bleiben.«

. . . Einmal hat er mit seiner Frau einen Sonntagsspaziergang auf der Chaussee gemacht. Er redet gerade davon, daß der echte Mann nur zweierlei liebt: Gefahr und Spiel. Das Weib aber ist das gefährlichste Spielzeug. Er weiß nicht recht, stammt der hübsche Gedanke von Zarathustra oder schon von ihm selbst. Der Mann soll zum Kriege erzogen werden, und das Weib zur Erholung des Kriegers. Alles andere ist Torheit.

Da will's der Teufel, daß just sein Vorgesetzter mit Familie daherkommt. Der Übermensch wird ganz blaß; er hört im Geiste den Vorgesetzten morgen schon poltern: »Ja, spazieren laufen auf der Chaussee, das können Sie; aber hier was leisten . . .!«

Und er reißt seinen alten, abgegriffenen Hut vom Kopf, und in tiefster Devotion mit feierlichem Bückling läßt er den Gestrengen vorbei.

Der dankt kaum.

Die Kinder hinter ihm lächeln über den grotesken Mann, der die kleine, schmächtige Frau fast in den Graben wirft beim Gruß.

Dann gehen die beiden weiter. Keiner redet ein Wort.

Knapp vor der ehelichen Wohnung, deren Anblick ihm neuen Mut gibt, fragte der Übermensch: »Hast du bemerkt, Weib, welchen souveränen Hohn ich vorhin in meinen Gruß gelegt habe?«

Und das »Weib« hat es bemerkt . . .

Brave, kleine Frau!

Wenn der Übermensch vor dir stirbt, wirst du ihm einen prächtigen Grabstein auf Abzahlung setzen lassen. Und wenn du an schönen Frühlingstagen hinaus gehst mit dem grünen Gießkännchen, die dunklen Stiefmütterchen zu tränken, dann wirst du ehrlich trauern um einen großen Mann, der unter einem günstigeren Stern ein Cäsar oder Napoleon geworden wäre.

Und du wirst ein bißchen weinen darüber, daß keiner mehr da ist, dir die armselige Geschichte zu erzählen von der Peitsche, die nicht vergessen werden darf . . .

*

Amüsanter, wie die »Übermenschen,« ja selbst wie die »partiellen Übermenschen« sind die Untermenschen.

Wer den Übermenschen entdeckt und benannt hat, darüber ist Streit. Nietzsche war es nicht. Denn schon im »Faust,« in der Szene mit dem Erdgeist, ruft das schreckliche Gesicht aus roter Flamme dem gelehrten Beschwörer zu: »Welch erbärmlich Grauen – faßt Übermenschen dich!« Woraus man die böse Definition schöpfen könnte: ein Übermensch ist ein Mensch, den ein erbärmliches Grauen faßt, sobald seine Beschwörungen sich endlich erfüllen.

Aber auch Goethe hat das Wort zur Bezeichnung eines Titanen nicht etwa erfunden oder doch nach dem längst vorhandenen Adjektiv »übermenschlich« neu gebildet. Es ist vor ihm schon dagewesen; und die Herren von der philologischen Zunft sind jetzt emsig dabei, den Dichter aufzuspüren, der es zuerst siegesfroh in die Welt warf. Der Himmel segne ihr nützliches Werk, bis zu dessen gutem Ausgang die Welt in fieberhafter Spannung den Atem anhält.

Bei der Bezeichnung Untermensch haben die Herren leichtere Arbeit. Die Bezeichnung stammt von mir. Und ich fühle die zwingende Pflicht, zu erklären, was ich darunter verstehe.

Ich konstatiere zunächst, daß ich mit dem Untermenschen nicht etwa die von Ernst Haeckel und seinen Getreuen gesuchte Zwischenstufe zwischen Mensch und Affen bezeichnen will. So wenig, wie der Übermensch von irgend einem Vernünftigen als Zwischenstufe zwischen Mensch und Engel aufgefaßt wird. Der »Untermensch« ist für mich ein Mensch, der – nicht als Idiot, sondern mit vollem Bewußtsein – in seinen Neigungen und Wünschen und Zielen, und in den Äußerungen seiner Affekte und Gedanken hinter allem zurückbleibt, alles anders, bescheidener, vorsichtiger, unzuversichtlicher erfaßt, als der normale Mensch.

Ein Beispiel statt aller Definitionen.

Mein Jugendfreund Balduin Finkenbein. Er mußte schon vor seinem Eintritt in die Welt ein merkwürdig bescheidenes Wesen genannt werden. Er hat siebzehn Tage später das Licht erblickt, als die Eltern, zwei Ärzte und eine weise Frau ausgerechnet hatten. Wie das kam? Man weiß es nicht.

Der Fall ist vor und nach Balduins Geburt nicht mehr beobachtet worden.

In der Schule konnte er seine Aufgaben stets vorzüglich – in den Pausen. Während wir sein Frühstücksbrot aßen, mußte er uns Xenophon übersetzen. Und er tat's mit rührender Geduld. Kam dann die Unterrichtsstunde, so wußten wir unser Pensum; er aber verhedderte sich. Er verwechselte den Cyrus mit dem Artaxerxes und konstruierte Präpositionen mit dem Genitiv, die vor und zu und nach Xenophons Zeit immer nur den Dativ regiert haben. Der Blick des Lehrers verwirrte ihn. Das Ende dieser wissenschaftlichen Unterredung war gewöhnlich für einen von uns eine gute Note, für Balduin Finkenbein eine Stunde Arrest.

Er galt für einen schlechten Schüler.

Nachdem er »das Einjährige« zweimal ins Unreine gemacht und schließlich mit Ach und Krach bestanden hatte, kam er zu seinem Vater ins Geschäft; ein gutgehendes, großes Korsetten-Geschäft. Er mußte aber daraus entfernt werden, da er in seinen Bekanntenkreisen heftige Reden gegen den Schnürleib hielt und die ganze Entartung der Menschheit, die er als vollendete Tatsache betrachtete, aus der Einführung dieses Panzers erklärte.

Mit fünfundzwanzig Jahren heiratete Balduin eine Dame, die zweifellos schon konfirmiert war, als er noch von den Eltern, zwei Ärzten und der weisen Frau mit Interesse erwartet wurde.

Seine Lebensgefährtin war zwar ganz ohne Vermögen, aber außerordentlich häßlich. Sie hatte die Leidenschaft, Fremdwörter und Schminke in einer ganz unwahrscheinlichen, abenteuerlichen Art zu gebrauchen und dicken Korallenschmuck zu tragen, der in Anbetracht ihrer Jahre einen sehr spaßigen Eindruck machte. Außerdem hatte sie ein Glasauge, das bei Tag starr und unbeweglich unter dem Stirnknochen, nachts aber in einem Wasserglas auf dem Nachtschränkchen stand.

Die Verlobung war in ganz rätselhafter Weise erfolgt.

Balduin war eines Mittags um vier Uhr gesund auf einen Wagen der Ringbahnlinie gesprungen. Am Berliner Bahnhof war seine spätere Frau, im Korallenschmuck, eingestiegen. An der Kunsthalle sprachen sie zusammen vom Wetter. An der Hauptpost von der Literatur. Am Holstentor vom Krieg in Westindien.

Am Millerntor waren sie verlobt.

Zu Hause hat Balduin nichts zu sagen. Aber er fühlt sich wohl dabei.

Er steht auf, wenn ihn Kornelie – seine liebe Frau heißt Kornelie – weckt. Er frühstückt mit ihr; Tee, den er nicht gern trinkt, den sie aber für gesund hält. Dann führt er den merkwürdigen Hund spazieren, den Kynologen verächtlich für die Kreuzung eines Geißbocks und einer Fischotter erklärt haben, und den seine Frau zärtlich liebt. Ist er über die Gesundheit dieses vierbeinigen Juwels durch den Morgengang beruhigt, dann kommt er nach Hause und sieht nach, in welchem Zimmer gerade nicht gescheuert wird. In diesem Zimmer hält er sich auf, bis er einen Auftrag bekommt. Zum Beispiel Sand zu holen für den Kanarienvogel oder Bohnerwachs für die Putzfrau.

Mittags wird er bloß vegetarisch ernährt. Kornelie ist einmal durch eine vegetarische Kur vom Typhus kuriert worden. Sagt sie. Deshalb ißt Balduin Montags Gelberübenkotelettes mit Kartoffeln, Dienstags Spinat-Puffer mit Preißelbeeren, Mittwochs Reisauflauf mit Backpflaumen. Und so fort.

Alles Geschäftliche besorgt Kornelie. Er weiß nie, was er hat oder was er ausgeben könnte. Jeden Sonnabend bekommt er ein Taschengeld. Freunde »zufällig« zu treffen, ist ihm streng verboten.

Über Familienereignisse unterrichtet ihn seine Umgebung nur mangelhaft.

Als er den ersten Sprossen seines Blutes erwarten durfte, erfuhr er davon erst ein Vierteljahr vor dem fröhlichen Ereignis. Und eigentlich auch erst dadurch, daß er mit dem Einkauf von Flanell zu Windelhöschen betraut wurde. Und als er am Tage der Geburt von einer fürsorglichen Tante, die seit drei Wochen im Hause das Zepter führte und ihn bei jeder Gelegenheit und auch ohne Gelegenheit anschrie, in eine Droschke verpackt wurde und zum Standesbeamten in der X-Straße fuhr, da passierte ihm, daß er auf die Frage des Standesbeamten das Geschlecht nicht angeben konnte. Man hatte ihn darüber nicht informiert.

Einer politischen Partei gehört Balduin nicht an.

Seinem Bekenntnis nach ist er evangelisch und zahlt regelmäßig seine Kirchensteuer. Durch einen Irrtum ist sein Name aber auch in eine Synagogengemeinde gekommen, und seit einigen Jahren zahlt er auch Synagogengelder. Damals war es ihm peinlich, die Sache aufzuklären, und jetzt, meinte er, müsse es die Leute verletzen, wenn er plötzlich den Irrtum berichtigte. Es sehe das wie ein Austritt aus.

Von der Weltlage hat er stets nur ein unklares Bild, da er meist nur alte Zeitungen zu Gesicht bekommt. Die neuen Zeitungen werden sofort in der Haushaltung verbraucht.

Trotzdem erfährt Balduin zuweilen von großen Kriegen, die in Afrika oder sonstwo geführt werden. Dann ist er mit vollem, reichem Herzen jedesmal auf beiden Seiten. Die unentschiedenen Schlachten, in denen von beiden Gegnern gleich viele Tote gemeldet werden, sind ihm die liebsten. Er erblickt darin die himmlische Gerechtigkeit. Obschon er auch den Menschen nicht widersprechen will, die eine solche leugnen. Seine Frau ist überzeugte Anhängerin Darwins, und er gibt ihr mit schöner Begeisterung zu, daß sie jedenfalls vom Affen abstamme.

Irgendwo an die Spitze zu treten, widerstrebt seiner milden, zaghaften Natur.

Als ihn sein Kegelklub zum Schriftführer wählte, war er tagelang tief unglücklich über diese unverdiente Ehrung, der er sich nicht gewachsen fühlte. Er wurde erst wieder froh, als er mit der rechten Hand in die Nähmaschine seiner Frau kam und sich den halben Daumen vom Finger riß.

Während er genäht wurde, bat er mit todblassen, aber lächelnden Lippen seine »liebe Kornelie,« dem Kegelklub recht bald zu schreiben, daß er leider auf die große Ehre verzichten müsse, weil er vermutlich einige Monate keine Feder und keine Kegelkugel werde halten können . . .

Als er einmal sehr krank war und sein Ende erwartete, tat ich einen tiefen Blick in seine merkwürdige Untermenschennatur.

Er ließ mich per Rohrpost rufen. Und als ich kam, setzte er sich fieberglühend im Bett auf und erklärte mir mit leiser, zittriger Stimme: »Lieber, alter Freund, ich bin in schrecklicher Verlegenheit. Du verstehst, wegen meines Todes.«

»In – Verlegenheit?« Ich fand den Ausdruck denn doch recht seltsam und die Situation wenig erschöpfend.

»Ja, in Verlegenheit. Siehst du, ich habe nämlich vor Jahren einem armen Teufel – Gott, er war so in Not! – sein Erbbegräbnis abgekauft und hab's herrichten lassen für uns. Ganz hübsch und bequem.«

»Ja, da kannst du doch ganz ruhig sein – –«

»Nein, das kann ich eben nicht. Denn ich habe kurz darauf dem Verein für Feuerbestattung auf Bitten von ein paar Herren im Vorstand zugesagt, daß ich mich in Gotha verbrennen lasse.«

»Ja, aber –«

»Nein, warte doch, warte! Das ist noch nicht das Schlimmste. Ich habe nämlich im Vorjahre, als ein Professor bei mir eine sehr merkwürdige Abnormität des Herzens feststellte, um der Wissenschaft zu dienen, dem gelehrten alten Herrn in die Hand versprochen, daß ich meinen Leichnam der Anatomie überlasse. Und jetzt läßt der Professor jeden Tag nachfragen, wie mir's geht.«

»Das ist allerdings –«

»Schrecklich ist's, schrecklich! In solcher Verlegenheit war ich noch nie. Hier das Erbbegräbnis, das meiner Frau – sie hält auf so was! – gar so viel Freude macht. Dort das heilige Versprechen für Gotha, und dort wieder das ebenso heilige für die Anatomie. Was würdest du mir raten? Du weißt, ich bin nun mal ein Mensch, der keinen eignen Willen hat.«

»Ich würde dir raten, leben zu bleiben!«

. . . Und der Untermensch war folgsam.

Er lebt heute noch. Ich kann ihm nie begegnen, ohne daß er mir für meinen guten Rat dankt.


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