Franz Pocci
Lustiges Komödienbüchlein – Fünftes Bändchen
Franz Pocci

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Casperl als Turner.

Zwischenspiel in einem Aufzuge.

Personen.

Casperl Larifari, Privatier.

Grethel, Casperls Frau.

Medizinalrath Dr. Fiberer.

Barrenreck, Professor der Turnkunst.

Nanni, Kellnerin.

Zimmer in Casperls Wohnung.

Grethl tritt mit Dr. Fiberer durch die Mittelthüre ein.

Doctor. Nun, wie steht's mit Herrn Casperl? Sie haben mich wieder rufen laßen. Ich meine aber doch, daß es vor vierzehn Tagen schon etwas besser gegangen, als ich das letzte Mal bei Ihnen war.

Grethel. O mein Gott! Ich hab's auch geglaubt. Aber auf das letzte Recept, das Herr Medizinalrath ihm verschrieben haben, ist's beinah noch schlimmer mit ihm geworden.

Doctor. (gereizt.) Oho, Madame! das pflegt man mir doch selten zu sagen. Auf meine Ordinationen tritt gewöhnlich Besserung beim Patienten ein. Da müßte ich schon bitten.

Grethl. Dießmal scheint es aber nicht der Fall gewesen zu sein. Aber Sie werden sich gleich selbst überzeugen; ich werde meinen Mann hereinholen, damit Sie mit ihm reden können, (ab durch die Nebenhthür.)

Doctor. (allein.) Ei, Ei! das wäre aber doch! Jetzt kurier ich schon ein halbes Jahr an Herrn Casperl und ich kenn mich eigentlich selber noch nicht aus, was ihm fehlt. So was darf sich aber ein praktischer Arzt nicht anmerken lassen, oder zu was hätt' ich denn erst vor 2 Monaten den Medizinalrathstitel bekommen? Wir Aerzte müßen zusammenhalten, besonders wegen der Homöopathen, die aber so zu sagen auch nichts wißen; allein die möchten uns Allopathen ganz ruiniren. Aha! da kommt er.

Casperl tritt ein, große Zipfelmütze auf, ungeheuer wehleidig und affectirt krank und schwach, mit schlotternden Schritten und schwacher Stimme.

Casperl. Guten Morgen, Herr Mudicinalrath. Kommen Sie auch wieder einmal zu einem armen kranken Mann? Gelten's? wie ich ausschau! Zum Verschrecken!

Doctor. No, no, 's passirt. Herr Casperl. Wie ich's letzte Mal bei Ihnen war, haben S' doch noch viel miserabler ausgeseh'n, und mit dem Piedestal – scheint mir – geht's doch jedenfalls besser. Sie marschieren ja ganz brav.

Casperl. O, bewahr's Gott! Ich geh auf meine letzen Füß!

Doctor. Ja weil überhaupt jeder Mensch nur zwei Füß' hat. Nun also: discuriren wir ein bißl miteinand. Wie stet's eigentlich mit'm Appetit; denn das ist immer die Hauptsach bei'm Menschen.

Casperl. Gar nit gut. Wenn ich sechs Leberknödel in der Suppen und acht paar Bratwürst auf'm Kraut gegeßen hab, da is mit'm Appetit schon vorbei.

Doctor. Nun, nun: das kann man sich immer gefallen lassen. Der Magen vertragt noch was. Denken Sie nur, daß Sie gar keine Motion machen, Herr Casperl. Nun – und wie steht's mit dem Durst?

Casperl. Miserabel! So a halbs Dutzend Liter, wie man's jetzt heißt – die thuen's noch; aber da kann ich höchstens noch a paar Maßl draufsetzen nach'm alten Maaß.

Doctor. Das ist immer noch ein ganz erträglicher Zustand und mir scheint doch, daß meine letzte Medizin gewirkt hat. Und jetzt sagn S' amal, Herr Casperl, wie ist's mit'm Schlaf? –

Casperl. Reden Sie mir nur nicht vom Schlaf! Wenn ich mich Abends um a 9 Uhr niederleg, so wach' ich um 8 Uhr in der Früh schon wieder auf und nachher muß ich mich wenigstens noch 3 Mal umkehren, bis ich noch a paar Stündl schlafen kann. Gelten's, Herr Mudizinalrath, das kann man doch keinen gesunden Schlaf heißen?

Doctor. 's passirt, 's passirt, Herr Casperl! jetzt muß ich nur noch nach'm Stuhl fragen. Der soll in Ordnung sein.

Casperl. Ja, ich muß halt seit acht Tag immer auf'm Lehnsessel hocken, weil an dem Stuhl in mei'm Schlafkammerl zwei Füß brochen sind und der ist noch bei'm Tischler zum Leimen.

Doctor. Sie haben mich nicht recht verstanden. Ich mein', ob Sie vielleicht an Obstructionen leiden? An Constipationen?

Casperl. O, elend, elend! von den Destructionen und Conspimtionen haben S' gar keinen Begriff.

Doctor. Hm! Hm! – Bewegung, Bewegung! Herr Casperl! dann werden die Anschoppungen bald aufhören.

Casperl. Was? Anschopfungen? – Ich nimm mein' Grethl alle Tag beim Schopf, und es nutzt doch nichts.

Doctor. Sie müßen Bewegung machen.

Casperl. No! ist das kein Bewegung, wenn ich alle Tag dreimal zum Wirth nüber geh'?

Doctor. All's zu wenig! Ich würde Ihnen das Spazierenreiten empfehlen.

Casperl. Wie? das Spazierenreiten? Erstens: Hab' ich keinen Gaul, und zweitens: Wenn ich auf der linken Seiten auf en Gaul aufsitz', so fall ich auf der Rechten gleich wieder 'nunter.

Doctor. Wißen's was, Herr Casperl? Probiren Sie's mit dem Turnen.

Casperl. Oho! ein Turner soll ich werden? Wär' net übel! 365 Staffeln auf'n Frauenthurm 'naufsteigen und nacher oben Hunger und Durst leiden? Tag und Nacht auf- und abspazieren und zum Fensterl 'nausschau'n, ob's net wo brennt? Auf's Rathhaus 'nunter telegraphiren, anschlagen, feuertrompeten, blasen – oh, oh, was fallt Ihnen ein?

Doctor. Sie haben mich wieder nicht recht verstanden. Ich meine, daß Sie turnen sollen, wie's jetzt überhaupt nach dem neuen Reichsgesetz auch für die deutschen und lateinischen Schulen vorgeschrieben ist. Sie werden doch wissen, was das Turnen ist? Diese herrliche Leibesübung für die deutsche Jugend!

Casperl. Ja, ich weiß schon; aber ich weiß doch nit, ob die Commotion mich nicht zu stark angreift.

Doctor. Jetzt geh'n wir nur gleich in den »Adler« hinnüber. Da kommt der Professor der Turnerei, der Herr Barrenreck täglich zum Essen hin. Ich mache Sie mit ihm bekannt und dann werden wir schon sehen, was zu machen ist.

Casperl. No ja, meinetwegen!'s Bier ist auch gut im Adler. Geh'n wir halt zum Professor Narrenschneck 'nüber.

Doctor. Barrenreck! Barrenreck, Herr Casperl.

(Beide durch die Hauptthüre ab.)

Verwandlung.

Gastzimmer im »Adler.«

Nanni , Kellnerin, ordnet und deckt Tische.

Nanni. Aber heut kommen's wieder spät zum Essen, die Herrn; schon gleich halb zwei Uhr und noch keiner da! Richtig! jetzt fallt's mir ein! die Herrn Offizier haben ja groß' Inspections-Manöver; die werden erst gegen Abend kommen. Die Herrn Beamten sitzen wieder z'lang beim Schöppeln. Denen ihre Bureauxstunden sind auch kurz gemessen. Um 9 Uhr da ziehn's emal auf; um ½ 12 Uhr geht's zum Schöppeln, um Eins zum Essen, nacher zum Caffé, nach a paar Stündeln auf's Bureaux, den Einlauf durchsehen, wie ich's immer reden hör'; nacher zum Nachtessen z' Haus. Da werden die Buben gebeutelt, wer einen hat. Um 8 Uhr in die Herrngsellschaft bis 11 Uhr. Das ist der Lebens- oder Tageslauf eines Staatsdieners, und wenn er's einige Jahrln so durchgmacht hat, dann bekommt er einen Verdienstorden. (Schritte draußen) Aha! da kommt der narrete Professor.

Barrenreck stürmt herein, lange Haare, Vollbart, Turnerkleidung.

Barrenreck. Guten Tag, guten Tag, mein Kind! (brüllt singend.)

Turnerei,
Frank und frei!
Immer sei!
Holla hei!

Guten Tag! Heda, Mädchen, was gibt es heute zum verschlingen? Mich hungert. Habe gerade einen tüchtigen Dauerlauf um die Stadt gemacht mit den Knaben.

Nanni. Heut gibt's gschnittne Nudelsupppen oder Knödel mit Sauerkraut; sauers Nierl, Schweinebraten und Erdäpfel – –

Barrenreck. Holla das ist mein Leibessen. Bringen Sie mir Schweinebraten mit Sauerkraut.

Nanni. Geich. Bier auch?

Barrenreck. Nein, einen Krug Wasser dazu!

Nanni (für sich.) Das ist Einer! Nichts als Wasser! Alle 14 Täg e Mal Bier, wenn's ihm ein Anderer zahlt. (ab.)

Barrenreck (singt wieder.)

Erwacht ihr Schläfer Alle!
Mein Turnerhorn erschalle!
Auf, auf! zu Schritt und Sprung.
Du deutsches Herze, stark und jung!

Nanni (bringt das Bestellte. Barrenreck setzt sich.) So, ich wünsch guten Appetitt, Herr Professor!

Barrenreck. Fehlt nicht, fehlt nicht, mein Kind. (singt.)

Speis und Trank,
Turners Dank,
Sonder Wank,
Niemals krank!

Nanni (für sich.) Wenn der nit noch a ganzer Narr wird, so will ich nit Nanni heißen. A halbeter ist er schon.

Doctor und Casperl treten ein.

Doctor. Guten Tag, Herr Professor und zugleich guten Appetit!

Barrenreck. Ei, Herr Doctor! Sie hier? Eine Seltenheit. Gut Heil! Sie sind ja der Mann des Heiles! (hebt den Wasserkrug auf.) Singt:

Frisch Geselle,
Trink zur Stelle
Aus der Quelle,
Blank und helle!

Doctor. Bedaure, habe keine Zeit mich aufzuhalten, besonders beim Wasser. Meine Patienten warten. Ich wollte nur den Herrn von Caspar Larifari mit Ihnen bekannt machen. Eine meiner Kundschaften, dem ich vor Allem Bewegung verordnet habe, besonders Zimmergymnastik oder Turnen im Freien, und da glaube ich mich an die beste Quelle gewandt zu haben.

Casperl. Ghorsamer Diener! Ghorsamer Diener! (mit Reverenzen.)

Barrenreck. Das ist brav! Turnen ist das Heil der Gesundheit. (schlägt Casperl auf die Schulter, daß dieser gleich hin fällt.) Gut Heil!

Casperl. Oha! das ist eine curiose Art, Bekanntschaft zu machen.

Barrenreck. Gut Heil! Bruder! Schüler! Gut Heil!

Doctor. Nun, wie ich seh', ist ja die Bekanntschaft schon gemacht. Hab die Ehre! (ab.)

Barrenreck. Nun, also Turnen!

Casperl. Ich hab' die Ehre, Herr Professor; mein Herr Doctor meint, daß für meinen bedenklichen Zustand so eine Bewegung zuträglich wäre.

Barrenreck. Was »Professor!« »Freund« – »Bruder« – soll's zwischen uns heißen. Sie gefallen mir. Aus Ihren Zügen spricht deutscher Ernst und Mannhaftigkeit. Lassen Sie uns vor Allem ein Glas zusammentrinken und Brüderschaft machen.

Casperl. Beim Trinken bin ich alleweil. Das ist auch eine gesunde Bewegung, wenn man Viel hebt.

Barrenreck. Kellnerin, bringen Sie Bier.

Casperl. Bravo! Sagen wir nur gleich »Du« zueinand. Du gefallst mir auch, Bruder! (Umarmung.) Barrenreck drückt Casperl so, daß dieser furchtbar schreit.)

Casperl. Auweh! – Das heiß ich einen Turnerdruck! (Nanni bringt Bier.) Vivat! Hoch!

Barrenreck. Hoch, hoch! Bruder, hast du Geld bei dir? Ich habe meine Turnertasche, in der meine Börse ist, auf dem Turnplatze liegen lassen.

Casperl. O ich bitt recht sehr, auf ein paar Maß kommt's mir nicht an.

Barrenreck. So recht, Bruder. Caspar, nicht wahr, so heißt du?

Casperl. Außerordentlich Ja!

Barrenreck. Also, Bruder Casper. Laß uns trinken und singen!

Turnerei,
Frank und frei,
Eins und zwei,
Zwei und drei,
Holla hei!

(wird wiederholt; das zweite Mal singt Casperl mit.)

Casperl. Das laß ich mir gefallen, mit der Turnerei bin ich einverstanden. Mir ist jetzt schon viel leichter und besser! Ein herrliches Mittel.

Barrenreck. Nun aber zur Sache! Kellnerin, bringen Sie wieder ein paar Krüge! Ich bin leer.

Casperl. Nun, der kann's. (Nanni bringt wieder Bier.)

Barrenreck. Jetzt, Bruder, paß auf. Mach ein Mal den Armschwung. (dreht die Arme.) So, so – – (Casperl will's nachmachen und schlägt dabei den Barrenreck tüchtig in's Gesicht.)

Barrenreck. Gut, gut, Bruder. Das geht schon. Nun aber das Fersenheben und Beinstoßen. (macht es vor.) (Casperl stößt mit dem Fuße den Barrenreck auf den Bauch, daß er umfällt.)

Barrenreck. Oho, Bruder.

Casperl. Das g'fallt mir. (stößt immer zu.)

Barrenreck. Holla! Gut! Halt! Halt! Nun ein bischen Dauerlauf! (läuft voraus, Casperl ihm nach, bis er erschöpft hinfällt.)

Casperl. Nein, da dank ich. Das ist ja zum Umbringen.

Barrenreck. Nun ruhe ein Bischen. Trinken wir wieder. Holla so!

Turnerei
Frank und frei
Wie da sei,
Einerlei!

(Beide werden immer betrunkener.)

Casperl.

Turnerei,
Hollerbrei
Und mein Wei'b

Barrenreck. Vorwärts jetzt, versuchen wir den Sturmsprung. (springt über den Tisch.) Casperl ihm nach. (fällt mit dem Tisch um, Alles in Scherben.)

Casperl. Schlipperment, das war aber ein Sprung!

Barrenreck. So ist's recht, Bruder, das war ein ächter deutscher Sturmsprung. Vivat! Gut Heil!

Casperl. Holla, ho, ho! (beide schreien fürchterlich, umarmen sich, tanzen herum. Nanni springt herein.)

Nanni. Aber nein! Das ist doch zu arg! Ah, – ah –

Barrenreck. Ruhig, edle Walkyre! Schenke nur immer ein und schleppe bei. – Bruder, nun auf den Barren in's Freie!

Casperl. Was? auf'n Karren? Warum nit gar.

Barrenreck. Ja auf den Barren! Hinaus, hinaus!

Nanni. Ja, aber ich muß schon bitten, daß Sie zuvor noch zahlen.

Barrenreck zu Casperl. Bruder, das ist deine Sache. (singt:)

Turnerei
Frank und frei!

Nanni. Die Zech macht mit Allem und Allem, was Sie z'sammengschlagen haben, 5 fl. 36 kr.

Casperl. Das wär nit übel – für die erste Lektion? Nix Bruder im Spiel. Das geht nit.

Barrenreck. Bedenke daß wir deutsche Brüder sind; Einer für den Andern. Zahle frei!

Casperl. Ich mag nicht. Das ist eine theuere Bruderschaft.

Barrenreck. Schäme dich!

Casperl. Ich will aber nit!

Barrenreck. Du mußt. Bedenke unsere Ehre.

Casperl. (schlägt mit dem Fuß auf den Tisch und stößt Barrenreck auf den Bauch.) Schlipperment!

Barrenreck. Wie? dieß mir! (schlägt den Casperl.)

Casperl. Wart du Turner! (schlägt und stößt ihn, Balgerei. Nanni ringt die Hände.)

Doctor (tritt ein.) Was für ein Lärm? Aber, meine Herren!

Casperl. Ist der Esel auch wieder da? Was geht Sie unsere Bruderschaft an? (schlägt ihn.)

Barrenreck. So, Bruder, recht hast du. (Balgerei zu dreien.)

Madame Grethel (tritt ein.) Aber nein. Meine Herren! Casperl! Das ist ja furchtbar!

Barrenreck. Was will denn die alte Hex da? Fort mit ihr. (macht sich an sie, sie gibt ihm eine Ohrfeige, er schlägt sie.) Die Balgerei wird allgemein, bis Alle hinfallen. Casperl steht auf, singt:

Turnerei
Frank und frei,
Alleweil,
Wünsch Gut Heil

Ende.


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