Franz Pocci
Lustiges Komödienbüchlein – Viertes Bändchen
Franz Pocci

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Das Schusserspiel

Nach einer Erzählung von Isabella Braun.
dramatisch bearbeitet in Zwei Aufzügen.
Vorsatzblatt

Personen.

Der Amtmann.

Dessen Kinder:
Marie, 12 Jahre alt,
Anton, 9 Jahre alt

Dorfkinder:
Des Sternwirths langer Michel,
Der Bader-Hansjörg,
Der Lechbauern-Veit,
Das Victorl,
Sattlers Baptist.

Taglöhner:
Die Tiroler Walburg,
Der alte Lukas.

Erster Aufzug.

Freier Platz in einem Dorfe. Seitwärts ein Bauernhäuschen mit Eingang und ein paar Fenstern. Neben der Thüre eine Bank.

Michel (einen großen Beutel voll Schusser an seinen Knöpfen hängend). Holla! Heda! Noch Keins da? Das ist mir ein faules Gesindel. Sitzen etwa gar noch in der Nachmittagsschule, die Tuckmäuser. Da bin ich ein anderer Kerl. Ich bin des reichen Sternwirths Michel. Mit der Schul ist's vorbei; Lesen, Schreiben und Rechnen kann ich, was Noth thut – was brauch ich mehr? Ich bin des Sternwirths Michel. Und im Schussern thut mir's auch Keiner gleich von Allen wie sie da sind im Dorf. Ich mach's meinem Bruder Hans nach; der ist der erste Kegelschieber im Dorf, aber da bin ich noch zu jung dazu; was nicht ist kann noch werden. Heda, holla! Ihr Schlingel, wo seid Ihr? Heißt das Wort halten, wenn man sich zusammenbestellt hat?

Sattlers Baptist (läuft herzu). Da bin ich, Michel. Gelt? heut muß der Spielcommandant ein bißl warten. In der Schul gibt's noch Tatzen; sie haben dem Herrn Lehrer seinen Rasierspiegel zerbrochen und Keiner will's gethan haben. Da heißt's noch sitzen bleiben und eine Strafschrift müßen Alle schreiben, weil Keines mit des Sprach heraus will.

Michel. Das sind aber dumme Fratzen; warum sagen sie nicht, wer's war?

Baptist. Ja des Baders Hansjörg hat den Spiegel gebrochen; aber sie halten zusammen und will ihn Keiner verrathen.

Michel. Das ist aber dumm.

Baptist. Und mir gefallt's grad Michl. Schlechtes war's nicht und da wollen sie alle ihrem Kameraden die Strafe ersparen.

Michel. Da wär ich nicht dabei.

Baptist. Kann mir's erklären; denn du bist und bleibst der Sternwirthsmichel oder der »Ich bin Ich« – der an sich immer zuerst denkt.

Michel (lacht). Ha, ha! und bin noch immer gut dabei durchgekommen. Weißt du noch, wie ich dem Maasseppel die Schläge verschafft hab, die eigentlich mir zugekommen wären?

Baptist. Ich weiß schon noch, aber das war eben schlecht von dir.

Michel. Ei schlecht – klug muß Einer sein. – – Aha, da kommt die ganze Sippschaft aus der Schule heraus und der Lehrer steht unter der Thür und droht ihnen noch mit dem Lineal nach. Juhei! Jetzt geht's an's Schussern. (Ruft.) Da her, da her! – heut wirds lustig. Sind des Amtmanns Kinder auch dabei?

Baptist. Die dürfen freilich nicht immer mitthun, der Vater sieht's nicht gern.

Michel. Ja, im Amtsgarten spielen sie zu Zwei »Fangemannl« oder »Schneiderleihmirdeinscheer.«

Marie, Anton, Hansjörg, Veit, Victorl, die Vorigen.

Michel. Grüß Gott beisammen.

Die andern Kinder. Grüß Gutt, Michel, grüß Gott!

Michel. Ach, und welche Ehre! Nach einer ganzen Woch' erscheinen auch wieder der Herr Anton und Mamsell Marie.

Anton. Du brauchst nicht zu spotten, Michel.

Marie. Du weißt schon, daß wir nicht immer aus dem Haus dürfen, wenn wir auch wollten.

Michel (im vornehmen Tone) Wir wissen es, und begnadigen die Nachlässigen. Also angefangen! Mach Einer das Grübl.

Hansjörg. Ich mach's, ich mach's!

Michel. Ja, dir thut's Noth, Spiegelfabrikant.

Hansjörg. Was? Du weißt von der Geschicht?

Anton. S'geht dich auch nichts an, was in der Schule vorgeht.

Alle Andern. Nichts geht's dich an, gar nichts, gar nichts!

Michel. Oho, oho! Ich bin über die Sachen hinaus.

Marie. Freilich bist du drüber hinaus und über gar viel Anderes leider, denn 's ist nicht gut für dich und du bist eben doch auch nur ein Bub, wie ein anderer, wenn du gleich des Sternwirths Sohn bist.

Michel. Die Mamsell ist wieder einmal naseweis. Du mußt einmal Schullehrerin in der Stadt werden, weil du gar so gescheit bist.

Anton. Laß meine Schwester in Ruh, sonst hast du's mit mir zu thun, Großmaul!

Michel (zornig). Was? Ich, ein Großmaul? (Will auf Anton zu.)

Veit. Ruhig und keinen Streit!

Hansjörg. Spielen wir lieber.

Alle. Ja, fangen wir's Schussern an.

Michel. Auch recht. Aber dem Anton ist's nicht geschenkt. Hat jeder gehörig Schusser?

Alle. Ja, ja, ja!

Michel. Wer will's zuerst mit mir wagen?

Anton. Und gerade ich heut.

Michel. Versuch's nur! Heraus mit den Kugeln!

Marie (zu Anton bei Seite) O Anton, fang doch mit dem langen Michel nicht an; der ist so roh und so grob und heute, wo er's ohnedies auf dich hat. Komm, geh'n wir lieber heim.

Michel, (der`s gehört hat.) Aha! laßt Dich das Mädel nicht mitspielen. Nun halt Dich nur an ihrem Rockzipfel, junger Herr Amtmann.

Anton. Schweig', Sternwirth! – Ich werf' – (tritt etwas gegen den Hintergrund und wirft einen Schusser aus.)

Michel. Oho – weit drüber hinaus. Schau' ich mach's anders. (Er wirft.)

Die Andern. Der Michel hat's. (Michel hebt die Schusser auf.)

Anton. Nur weiter: Ich werf sechs aus. (Wirft.)

Michel. Und ich sechs nach. (Wirft.)

Während sich die Spielenden mit den anderen Kindern gegen den Hintergrund ziehen, tritt Marie allein vor.

Marie. Ach! wenn ich ihn nur wegbringen könnte von dem Spiel. Der Vater hat wohl recht, wenn er ungern sieht, daß wir da mitmachen, besonders wenn auch Sternwirth's Michel dabei ist. Mir ist's immer lieber zu Haus im Garten. Mein Bruder und die Vöglein, die da so fröhlich hausen, sind meine liebste Gesellschaft. (Tritt an das Häuschen.) Was macht denn heut' unsere alte gute Walburg? Muß doch seh'n. (Zum Fenster hinrufend.) Walburg! Walburg! bist Du zu Haus?

Die alte Walburg (am Fenster, spricht tirolerisch.) Bin schon z'Haus, Madl, aber'sch will nimmer geh'n mit mir. Komm' en bißl herein zu mir. Ich muß das Fieber haben, denn's beutelt mich elend.

Marie. Wart', ich komm zu Dir und bleib' bis die Buben ausgespielt haben. (Ab in's Haus.)

Nun nähern sich die Spielenden wieder.

Anton. Alles verloren! o weh!

Michel. (lacht). Ausbezahlt, Herr Amtmann! ich verlange kein Geld, aber die Schusser die ich gewonnen hab'.

Anton So viel hab' ich nicht mehr.

Michel. So bring' sie morgen; Credit kannst Du haben; aber die schlechten Lehmkugeln mußt du dann auch austauschen.

Viktorl (zu Anton). Von mir hast Du zwölf geborgt.

Bernhard. Und von mir vierundzwanzig.

Veit. Fünfzehn Gute von mir.

Anton. Seid nur ruhig. Ihr kriegt alle eure Schusser wieder.

Michel. So! heut' ist's aus. Ich muß nach Haus zum Wurstfüllen, denn morgen gibt's Hochzeit bei uns. Heisa, Kinder, da geht's lustig her! Also, Mossje Anton – meine Schusser nit vergessen! Vor der Schule kommen wir hier zusammen, da werden die Schulden bezahlt. (geht singend ab.)

Viktorl. Armer Anton, heut hast aber viel verloren.

Anton. Thut nichts; ein andersmal gewinn ich wieder.

Bernhard Geh'n wir. Mich hungerts nach den Nudeln.

Alle (Anton ausgenommen.) Geh'n wir, geh'n wir! 's ist Zeit.

Anton (allein.) Da steh' ich jetzt und weiß mir nicht zu helfen. Dem Michel will ich nichts schuldig bleiben; das wäre eine Schande. Und woher nehmen? – Die Schusser alle zu kaufen, braucht ich vierundzwanzig Kreuzer. Mein Monatgeld ist bereits verbraucht. An die Sparbüchse trau' ich mich nicht; denn da müßte ich der Mutter sagen warum und wozu. Das ist eine böse Geschichte. Wo ist denn die Marie? Die wird schon heimgelaufen sein. Vielleicht kann die mir helfen; denn wo's möglich ist, thut sie's. Aber auch sie hat von diesem Monat nichts mehr übrig. Jedenfalls kann sie rathen, wie's anzufangen ist. (Ab.)

Marie, die alte Tirolerin aus dem Hause führend.

Marie. So, gute Walburg; ein bischen Luft schöpfen kann Dir gewiß nicht schaden; 's ist ja heut warm und schön. Setz Dich auf die Bank nieder und ich leiste Dir Gesellschaft.

Walburg 's ischt mir schon recht, Madl und ischt allweil, besser in Gott's freier Luft, als in der Stub'n drinnen.

Marie. Ein Glück ist's, daß Du so ein nettes Stübl hast, wenn Du nicht in's Freie hinauskannst.

Walburg. Ja Madl, dank tausendmal, daß mir die gnädig Herrschaft das Stübl da beim Lucas angewiesen und mir's nix kostet.

Marie. Nun, das war aber natürlich; die Herrschaft kennt Dich ja schon gar lang.

Walburg. Ich mein's wohl. Hab ja schon der seligen alten gnädigen Frau – Gott tröst' sie – allwegs die Handschuh geliefert und auf Michaeli wird's grad fufzig Jahr, daß sie mir im Schloßgarten droben das erste Paar abgekauft hat.

Marie. Das ist eine schöne Zeit, Walburg.

Walburg. Wohl, wohl, 'ischt's a schöne Zeit. Damals bin ich aber a luschtig und hübsch Tirolermadl gewes'n und jetzt bin ich en alt's Weib und en arme Wittib. Seit mir die Franzosen meinen guten Antoni vor der Hütten weggeschossen haben, hab ich mich halt durchbringen müssen durch die Welt und hätt' ich jetzt net frei Loschi von der gnädigen Herrscharft, die sich erbarmt hat, und ein bißl Almosen von gute Leut, so müßt ich verhungern, denn ich kann ja nimmer in's Tirol heimmaschiren und mir Handschuh oder Hosenträger holen zum verhandeln, oder Spielhahnfedern und Gamsbart.

Marie. Die Leut hier haben Dich immer gern gehabt, Walburg; hast ihnen ja auch viel Gut's erwiesen, so oft Du heraußen warst.

Walburg. Wohl, wohl. s'muß halt einer dem andern helfen, aber's geschieht halt nit immer.

Marie. Aber sag' mir doch, Walburg, warum haben denn die Franzosen Deinen Mann erschossen?

Walburg. Sie haben ja auch den Sandwirth, den Andreas Hofer erschossen, weil er zu sei'm Kaiser gehalten hat. Wirscht's wohl schon g'hört oder g'lesen haben im Geschichtbüchel, wie der Krieg im Tirol war und wir wieder Kaiserlich geworden sind. Wir hätten weiter nix gegen den König von Bayern. g'habt: das war wohl ein guter Herr; aber das Schreibervolk hat uns Alles genommen und das hätten wir auch noch gelitten, dem König zu lieb; aber wie sie uns auch unsern guten Glauben nehmen haben wollen, da haben unsere Mannsleute waltern aufbegehrt.

Marie. Ei, den Glauben haben sie euch nehmen wollen?

Walburg. Wohl, wohl. War ja selber g'rad dabei, wie so ein vornehmer Schreiber oder Amtmann den Herrn vom Altar weggestoßen hat und wie er die Musikanten auf dem Chor gezwungen hat, daß sie ihm einen Tanz aufspielen und wie er die Mädeln aus die Kirchenstühl gerissen hat und mit uns hat tanzen wollen. Sind aber alle 'nausg'laufen und dann hat er die Soldaten kommen lassen.

Marie. Ach, das ist ja fürchterlich!

Walburg. Ueber ein Weil hat's aber schon gekracht vom Berg herab und der Krieg ist nachher losgangen und die Weiber haben auch dazu geholfen. Meinen Antoni aber haben die Franzosen vor unserm Haus erschossen, weil er ein paar Tirolerschützen versteckt hat. Das war ein Elend, Marie. Nachher sind wir wieder Kaiserlich worden, aber mein Mann, der selige Anton, war todt. Ich hab nachher in ei'm Stübl bei einer Bas'n gehaust und hab halt meine kleine Handelschaft getrieben und bin wohl weit umenand gekommen. Jetzt hab ich Ruh und verlang mir nix als ein ruhiges Sterben und fröhlich Aufersteh'n.

Marie. Ei was! Du kannst noch lang leben, Walburg.

Walburg. 's hat Alles sein End auf der Welt, wann's an der Zeit ist. Ich spür's aber. Der Tod hat schon anklopft bei mir an der Thür. Ischt mir heut Nacht auch meine Holzuhr abg'laufen und ich kann's und mag's nimmer aufzieh'n.

Marie. Geh', liebe Walburg, sei getrost.

Walburg. Bin ja getrost, mein Kind. Auf Gottes Barmherzigkeit hab ich immer Alles gestellt und mein Herr und Heiland wird mir auch in meiner letzten Stund gnädig sein. Geh' Marie, führ mich wieder in mein Stübl; mir wirds schlecht, muß mich in's Bett legen.

Marie. So komm, gute Walburg. Ich will Dir helfen.

(Beide ab in's Haus.)

Abendgebetläuten. Marie tritt nach einer kleinen Pause aus dem Häuschen kniet nieder und faltet die Hände zum Gebet.

(Der Vorhang fällt)

II. Aufzug

Anton. Marie (in die Schule gehend.)

Marie. Anton, ich habe Dir zu lieb doch Unrecht gethan, als ich Dir am vorigen Donnerstag den Vierundzwanziger gab.

Anton. Beruhig Dich, Schwesterlein. Ich kann dir's beweisen, daß du kein Unrecht thatest. Höre: die Mutter gab Dir also fünf Zwanziger, um sie der alten Walburg zu bringen. Sage: fünf und nicht wie sonst gewöhnlich des Monats nur vier . Die Mutter mußte sich überzählt haben. Nun weißt Du, bedurfte ich, Dein geliebter Bruder, gerade 24 Kreuzer; denn hätte ich sie nicht gehabt, so hätte ich an den groben Wirthsmichel meine Schusserschuld nicht abtragen können.

Marie. Und da hätt'st Du vermutlich Schläge von ihm bekommen.

Anton. Und wie! Denn seine Fäuste geben aus und ich wäre ihm auch nicht Herr geworden, denn er ist ja viel älter und stärker als ich. Deine schwesterliche Liebe hätte das nicht ansehen und ertragen können. Von dem fünften Zwanziger wußte ja die Walburg ohnehin nichts und hatte ihn auch nicht erwartet. Auch wollte ich ihn redlich aus meinem nächsten Monatgelde wieder erstatten.

Marie. Ja, aber sieh' Anton, wenn die Mutter dießmal der Walburg fünf Zwanziger geben wollte, so war das ihre Sache und geht uns Kinder nichts an.

Anton. Gedenk'st Du denn nicht der Prügel, die ich bekommen hätte? Das hätten Mutter und Vater doch auch erfahren, und es hätte ihnen Kummer gemacht; und überdieß hätte ich dann der Walburg noch extra Etwas bei den Aeltern aus meiner Sparbüchse erbeten; das geschieht auch noch. In zwei Tagen bekommen wir unser Monatgeld und dann wird die Sache herrlich abgemacht. Vorläufig hat Walburg wie gewöhnlich ihre vier Stück Zwanziger.

Marie. Mich drückt's aber doch, und ich kann der Mutter seither nicht mehr recht in die Augen sehen.

Anton. Ich schon; denn wir hatten keine schlechte Absicht bei der Sache. Der Vater hat gar oft gesagt: ein Schuldenmacher sei nicht viel besser, als ein Dieb; also war es meine Pflicht, nach jedem erlaubten Mittel zu greifen, dem langen Michel Nichts schuldig zu bleiben.

Marie. Du legst's Dir recht pfiffig zu recht; ich aber bleib dabei: ich hätte Dir nicht nachgeben sollen.

Anton. Geh, laß' das. Komm in die Schule, 's ist hohe Zeit. (Beide ab.)

Taglöhner Lucas kömmt aus dem Hause.

Lucas. Ei, ei! die Walburg will mir nit recht gefallen, das heißt, insoweit man das zu sagen pflegt; denn warum sollt mir die Walburg nicht gefallen? Sie war immer ein braves Weibsbild; aber das Gefallen oder nicht Gefallen ist hier was anders. Kurz die Walburg will mir nicht recht gefallen, insofern das gute Weib, wie ich glaube und befürchte, nicht mehr lange leben wird. Heut zum Beispiel machte sie ganz curiose Augen auf mich, als ob's nit richtig sei mit ihr; auch ist ihre Nasenspitz noch feiner zugespitzt, als jemals, und wenn sie was reden will, so geht's nicht und seit drei Tagen hat sie nur ein paar Löffel Supp hinuntergebracht. Die Sach ist immer bedenklich, weßhalb ich's auch bedacht hab' und jetzt ohne weiters zuerst zum Bader und nachher zum Herrn Pfarrer gehen will. Freilich: der Bader, obgleich er schon manche Kur prästirt hat, hat doch noch Niemand am Sterben gehindert, wenn's an der Zeit war und überdieß ist er eigentlich ein Esel, der am lieben Vieh herumprobirt, wenn's krank ist, geschweige erst das Ebenbild Gottes, den Menschen, maltraitirt und in die Ewigkeit schon Manchen expedirt hat, eh's ihm lieb war. Was aber den Herrn Pfarrer anbelangt, so kann ja der geistliche Zuspruch, und was sonst noch Heiliges dabei ist, niemals zu früh kommen, dieweilen aber wohl zu spät, wenn nemlich die arme Seele auf den Herrn Pfarrer nicht mehr hat warten können und schon vorher abgereist ist. – Gott hab sie selig. – Also könnt's auch bei der alten Walburg geschehen; ich will also nach reiflicher Ueberlegung und um keine Zeit zu verlieren, zuerst den Herrn Pfarrer holen, und hernach den Bader Stopflmaier. Ei, ei! die gute Walburg! Wäre mir wahrhaftig recht leid um sie, hat mir immer so schöne Geschichten aus dem Tirolerkrieg erzählt, wenn wir so Winter's beisammengesessen sind und ich mein Pfeifl geraucht, während sie gesponnen hat. Sie ist aber auch schon hübsch bei Jahren, die Walburg. So ein 10 Jähr'ln ist sie mir schon vor. Geduld, Geduld! Ich komm auch schon nachgefahren einmal, wenn der klapperdürre Postillon mich herausblast: Tra, tra, tra, tra – weh, weh, weh, weh! – (Im Abgehen.) Ei, ei! die alte Walburg! Ei, ei! – – will mir nicht gefallen – – (Ab.)

Anton. Also heute keine Schule. Wir hatten's vergessen, daß des gnädigen Herrn Namenstag ist; drum war auch der Vater heut so aufgeputzt, um seine Aufwartung zu machen und den Jägertoni habe ich auch schon in Gala von Weitem in's Wirthshaus gehen sehen, einen bordirten Hut auf dem Kopfe mit grünen Gocklfedern und den Hirschfänger an einem goldenen Borten umhangen. Um so einen Jäger ist's doch was Schönes. Immer im Walde draußen unter den grünen Tannen und bei Hirschen und Rehen. Heisa! wenn's dann aus der Büchse knallt: Puff! – Puff!

Marie (unbemerkt hinter ihm, schlägt ihn auf die Schulter.) Puff! Puff! Schlingel! – Warum nicht zu Hause? Hast Du nicht Deine Aufgabe für morgen zu machen?

Anton. Oho, Mamsell! Sie hätten mich beinahe erschreckt, wenn ich nicht ein Mann wäre.

Marie. Also! »Mann« erfülle Deine Pflicht und geh mit mir heim an die Arbeit. Nachmittags dürfen wir in den Wald; es werden noch Kränze gebunden für heute Abend zur Gartenbeleuchtung.

Anton. Da bin ich auch dabei. Während Ihr das Laub windet, werde ich mit meinem Gewehre einen Rehbock schießen.

Marie. Böcke kannst du genug in deinen Schulaufgaben finden, brauchst nicht in den Wald zu laufen.

Anton. O, Mamsell Superklug, ich bedarf Deiner Witze nicht.

Marie. Sieh' da kömmt der alte Lukas.

Lukas. Die Vorigen.

Anton. Guten Tag, Lukas!

Lukas. Auch guten Tag, ihr Kinder.

Marie. Heut ist wohl keine Arbeit wegen des gnädigen Herrn Geburtstag.

Lukas. Ich könnte schon mithelfen zu den Festivitäten, aber ich muß heut zu Haus bleiben.

Anton. Warum zu Haus?

Lukas. 's geht nicht gut mit der Walburg.

Beide Kinder. Wie – die Walburg?

Lukas. Ja – gerade komm ich vom Bader und hab ihn holen wollen, ist aber über Land bei einem Kranken. Der Pfarrer ist schon drinnen bei ihr; ist durch das Gartenthürlein hineingegangen, geistlichen Trost zu bringen.

Anton. Sag, Lukas, wie meinst Du das?

Lukas. Ich mein halt, daß es mit der alten Walburg heut zu Ende geht.

Marie. Um's Himmelswillen! sie wird doch nicht sterben?

Lukas. Einmal muß's doch sein. Sie ist gewaltig schwach und's will mich bedünken, daß sie so allgemach verhungert.

Marie. Anton (zugleich.) Mein Gott! – verhungert.

Lukas. Das versteht ihr freilich nicht, aber die Geschichte ist so: Hört's nur: Wir armen Leute essen uns selten satt, weil wir eben arme Leut sind. Und – hört's nur, Kinder – da schrumpft uns so nach und nach der Magen ein und wird immer kleiner, weil er nie voll ist. Endlich dörrt er ganz zusammen, absonderlich wenn man alt ist und keine rechte Leibesstärkung hat. Ich helf mir ein bißl hie und da mit einem Gläsl Branntwein auf. Aber die alte Walburg hat den Schnaps nicht gemocht und was hätt' sie sonst gehabt, die gute Walburg? Haben ihr kaum die vier Zwanziger ausgereicht, die sie von Eurer Mutter des Monats bekommen hat. Hie und da hat ihr freilich die gnädige Herrschaft was geschickt; aber's war nicht zu verlangen, denn die hat ihr ja das Stüblein bezahlt und für den Winter 's Holz gegeben. War wahrhaftig nit mehr zu verlangen gewesen.

Anton (in Thränen ausbrechend.) Also verhungert! verhungert!

Lukas. So ungefähr, weil's doch einmal sein muß. Aber was verschwatz ich mich da, ich sollte schon längst wieder bei der Walburg sein – werd wohl bald zum Meßner laufen müssen, daß er's Sterbeglöcklein läut't. (Ab in's Haus.)

(Die Vorigen.)

Anton. Die Walburg stirbt, die Walburg stirbt! und ich bin Schuld daran. Hätt ich ihr nicht den Vierundzwanziger genommen, so hätt sie noch was gehabt.

Marie. Die arme Walburg! – Anton, 's könnte wohl so sein, daß sie ein paar Tage länger gelebt hatte. Anton! Anton!

Anton. Ich möcht verzweifeln! – Marie was soll ich tun? Ich stürz mich ins Wasser! O weh, o weh! ich bin ein abscheulicher Bub, ein Mörder, wenn die Walburg stirbt.

Marie. So arg ist's wohl nicht; aber dein Leichtsinn wird nun bestraft. Ich getrau mich gar nicht hinein zur Walburg, so weh thut mir's.

Anton. Was soll ich erst sagen? was soll ich thun? Hilf mir Marie! Was fang ich an in meiner Verzweiflung?

Lukas eilt aus dem Hause.

Marie (angstvoll.) Wie steht's Lukas? wohin, wohin?

Lukas 's ist schon vorbei mit der guten Walburg; Gott tröst' sie; und schön ist sie gestorben, wie eine Heilige. Euer Herr Vater war' dabei, der hat ihr die Augen zugedrückt; er war vorher mit dem Pfarrer gekommen. Ich lauf in die Kirch, wegen dem Sterbläuten. (Ab.)

Marie, Anton fallen weinend auf die Knie.

Aus dem Hause tritt der Amtmann.

Amtmann. Gott hab sie selig! 's war eine gute brave Seele. Wie? Kinder, ihr da?

Anton (des Amtmanns Knie umklammernd) Mein Vater! Verzeihung! Verzeihung! (kann vor Weinen nicht weiter reden.)

Amtmann. Was soll das heißen? Was hast du begangen?

Marie. Lieber Vater, Anton meint, daß er an der Walburg Tod schuld sei.

Amtmann. Was schwätzest du da?

Anton. Ja, Vater, ich muß es jetzt gestehen – und ich wollte es Dir und der lieben Mutter sagen, allein erst dann, nachdem ich meinen Fehler gut gemacht hätte. – (kann vor Weinen nicht mehr weiter reden.)

Amtmann. Nun? ich versteh Euch nicht, Kinder.

Marie. Um seine Schuld im Schusserspiel abzutragen, beredete mich Anton ihm von dem Geld zu geben, das die Mutter der Walburg durch mich überbringen hieß und da meint nun Anton, sie sei deshalb verhungert.

Amtmann. Was muß ich von Euch hören? Das war abscheulich; nie hätte ich so etwas vermuthet.

Anton. Die höchste Noth veranlaßte uns, denn ich hatte nichts mehr vom Monatgelde übrig, die letzten 12 Kreuzer gab ich der Mutter für die kranke Josepha.

Amtmann. Nichtsdestoweniger war Deine That eine Unterschlagung.

Anton. O Gott, wie hab ich's schon bereut! Ich gäbe ja Alles, Alles, um mich von der Sünde rein zu waschen!

Amtmann. Gut, daß ich Euer Herz kenne; ich will diesen Fehler dem kindlichen Leichtsinn zuschreiben; nehmt Euch aber eine Lehre daraus für die Zukunft. Jede Sünde bestraft sich durch sich selbst in ihren Folgen.

Marie. O wir wissen es. Gewiß, gewiß aber, lieber Vater, hatte der Anton den festen Vorsatz, der Walburg noch mehr zu geben, als er ihr vorenthalten hatte.

Amtmann. Einerlei! Das entschuldigt nicht die That. (Man hört das Todtenglöcklein.) Hört – man läutet für die gute Walburg. Verhungert ist sie nicht, Anton. Dieß möge Dein angstbeschwertes Herz einigermaßen, erleichtern. Denn in ihrer kalten Hand fand ich dieß Lederbeutelchen, vier Gulden darin und ein Zettelchen, worauf von ihr selbst geschrieben steht: »Gebt's den Armen, ich brauch's nicht mehr.« Die gute Seele! – – Ihr Tod war Folge der Altersschwäche.

Marie und Anton. Gott sei Dank!

Amtmann. Nun aber – geht in die Kirche. Betet aus vollem Herzen für Walburg zum lieben Gott und entledigt Euch Eurer Schuld durch das Gefühl der wahrhaftigsten Reue.

Anton. O, wie gerne thun wir's! Wenn aber auch nur Du mir verzeihest, lieber, lieber Vater!

Marie. Und mir!

Amtmann. Die Angst, die Du ausgestanden hast, Anton, möge Dir als Strafe angerechnet werden. Das Vergehen Deiner Nachgibigkeit, Marie, will ich der Schwesterliebe zu gut halten. Ich verzeihe – aber – –

Marie und Anton (dem Vater die Hände küssend.) Nie mehr! Nie mehr!

(Der Vorhang fällt.)


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