Franz von Pocci
Das Eulenschloß
Franz von Pocci

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Vierter Aufzug

Gegend des ersten Aufzuges. Wirtshaus. An der Stelle der Burgruine ein stattliches Schloß in modernem Stile. Morgenbeleuchtung.

Baron v. Eulenschloß (in Jagdkleidung mit Doppelflinte tritt ein). Herrlicher Morgen! ganz zur Jagd geeignet. Ich fühle mich so wohl, so zufrieden und bin in der Tat herzlich froh, daß ich endlich die mittelalterliche Eulenhaut abgestreift habe. Nun bin ich auch ein ganz anderer Mensch geworden, von sittlichem Ernste durchdrungen und doch voll Lebenslust. Ehemals ein roher, ungeschlachter Ritter, jetzt ein feiner Kavalier. Und welch eine angenehme Änderung in der Lebensweise! Ich bin zwar in mancher Beziehung nicht ganz mit dem Fortschritte der Zeit einverstanden, allein gewisse Vorteile sind doch überwiegend. Nehme ich nur z. B. die Umwandlung der Schußwaffen. Wie angenehm jetzt so ein Lefaucheux-Doppelgewehr! Pum! Pum! Dublette auf zwei Hasen! und in einer Sekunde geladen. Und ehemals: Armbrust, Jagdspeer. Welche Mühseligkeit für den Waidmann! Jetzt fliege ich in einer Stunde per Bahn in die Residenz; zu meiner Zeit hatte ich drei Meilen auf einem schweren Hengste zu trotteln. Und wie steht's mit Küche und Keller! An Trüffeln, Gansleberpasteten war ja vormals nicht zu denken. Um all derartige Vorzüge verzichte ich gerne auf die Gewaltherrschaft des mittelalterlichen Rittertums. Das Bauernprügeln war immerhin eine ganz artige Unterhaltung und es wäre auch dermalen bisweilen nicht schlecht angewendet; aber nun ist man die Kerls doch los, seit sie freie Staatsbürger geworden sind. Kurz, es lebe die Kultur unseres Jahrhunderts!

(Gretl kommt aus dem Wirtshaus.)

Eulenschloß. Ei sieh da, die schöne Wirtin!

Gretl. Oh, ich weiß recht gut, daß ich nicht schön bin.

Eulenschloß. Rührende Bescheidenheit bei glücklichem Bewußtsein.

Gretl. Mein Bewußtsein, Herr Baron, ist kein glückliches. Das wissen Sie ja.

Eulenschloß. Ja so, der gewisse Abscheuliche, Ungetreue!

Gretl. Ich bin nicht undankbar und werde die Wohltaten, die mir Euer Gnaden erwiesen haben, niemals vergessen. Was wär' ich denn, und was hätt' ich, wenn Sie mir nicht die Wirtschaft gekauft und mich zur Wirtin gemacht hätten? Aber trotzdem: Meinen Kasperl kann ich doch nicht vergessen.

Eulenschloß. Das nehme ich Ihnen auch nicht übel und finde es auch ganz natürlich.

Gretl (weint). Sie können gar nicht glauben, Herr Baron, wie mir das nachgeht! Und wenn er noch so abscheulich an mir gehandelt hat, ich wollt' ihm doch verzeihen, wenn ich nur wüßt', wo er wär'.

Eulenschloß. Seit seinem Sturze habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er war bereits aus der Residenz verschwunden, als ich mein neues Schloß da bezog.

Gretl. Und ich hab mich als Kellnerin herumgefrett', bis ich aus lauter Sehnsucht wieder hiehergeraten bin, wo Sie sich meiner so gnädig angenommen haben.

Eulenschloß. Sprechen wir nicht davon. Es ist gern geschehen. Ich wollte die Wirtschaft in gutem Betriebe wissen. Sie waren mir aus früherer Zeit bekannt. Nun trösten Sie sich, liebes Gretchen. Vergessen Sie den Treulosen und suchen Sie sich einen braven Mann zum Wirte. Adieu! meine Jagdgäste erwarten mich zum Imbiß. (Geht ab.)

(Hörnerfanfaren hinter der Szene.)

Gretl (allein). Der Herr Baron hat leicht trösten; ich bin und bleib unglücklich, wenn ich meinen Kasperl nimmer sieh.

Lied.

Was nutzt mich all mein Hab und Gut?
Es ist mir nimmer wohl zumut;
Mir fehlt doch, mir fehlt doch –
Mein Kasperl immer noch.

Und geh im Haus ich aus und ein,
Schau nach die Küh und nach die Schwein,
Ins Ofenloch, ins Kellerloch –
Mir fehlt mein Kasperl doch.

Steh ich so einsam in der Schenk',
Es gibt nichts anderes, was ich denk,
Als er allein, als er allein;
Mein Gott! wo wird er sein?

Ja! wo wird er sein? Ich weiß freilich nicht wo. Aber ich bleib ihm treu und gerad jetzt am allertreuesten, weil er vielleicht im Unglück ist. Es muß doch was Erschreckliches sein, wenn einer sein Portefeuille verloren hat, wie sie's heißen, so eine Ministertaschen! War ja das schon ein Mordsspektakel, wie vor 14 Tagen mein Metzger seine Brieftaschen verloren hat und waren nur hundert Gulden drin! – Aber jetzt muß ich hinein; nach die Knödel schaun für die Dienstboten. Mir schmeckt freilich weder Essen noch Trinken. (Ab ins Haus.)

Kasperl (in einen Mantel gehüllt, tritt nachdenkend mit großen Schritten auf. Hochtragisch). So irr ich denn umher – eine gefallene Größe! Ha! und sind nicht größere Größen gefallen? Schlipperment! hab ich einen Hunger und Durst! Ha! Vom Minister zum Bettler! Es war ein schauerlicher Monument, als mir der Herzog in seinem Kabinettl mit buwegter Stimme sagte: »Sie sind entlassen. Geben Sie das Portusol in meine Hände zurück.« Und wie ich die große Taschen auf seinen Schreibtisch niedergelegt hab, da hat er sein rotseidenes Sacktüchl herausgezogen und hat sich's vor die Augen gehalten und mir wieder g'sagt: »Löben Sie wuhl! Göhen Sie, machen wir uns den Abschied nicht schwer.« Nachher hat er sich auf seinen goldenen Fotoilsessel niedergesetzt und hat gesagt: »Mein Volk hat es gewollt.« Dann hat er mir noch eine Zehnguldenbanknoten in die Hand gedruckt und hat mir hinausgewunken. Ich hab den Zehnguldenzettel an meinen Busen gedruckt und bin so hinausmarschiert. (Er macht einige tragikomische Schritte.) Da ist aber der Teufel draußen losgegangen. Daß sie mich nicht geprügelt haben, hätt' beinah noch g'fehlt. Alle, die mir vorher ungeheure Komplimenten g'macht haben – bis am Boden – haben mich mit Verachtung ang'schaut, keiner hat mich mehr gekannt! Und von diesem Augenblicke an stund ich allein! – allein und verlassen!

Lied.

So geht's halt immer auf der Welt:
Wenn einer kommt um Amt und Geld,
Da zeigt sich gleich der blinde Wahn;
Denn niemand schaut ihn dann mehr an.

Ist einer auch ein rechter Lump,
Gibt er nur Tafeln und auf Pump,
So gilt er was und ist scharmant –
Das ist doch wirklich eine Schand!

Das Menschengeschlecht ist treulos! – Aber, Kasperl! Wie hast denn du's gemacht? Bist du besser als die andern? Denk an die Gretl! (Sich umschauend.) Aber wie? wo bin ich? wohin habe ich meine Schritte gelenkt? Ist dies nicht das Haus, in welchem ich einst einen feierlichen Schwur schwur? Ist dies nicht der süße Ort jener unvergeßlichen und doch vergessenen Vergangenheit, wo ich meine Tatzen in ihre böbende Hand gelögt? O fürchterliche Vergeltung des Schicksals! Gräßliches Schicksal der fürchterlichsten Vergeltung! (Tiefbewegt.) Margareta! Kannst du mir vergeben? (Er weint ungeheuer und setzt sich auf die Bank an der Wirtshaustüre, sich in seinen Mantel hüllend.)

(Hiesl mit einer Heugabel tritt aus dem Hause.)

Hiesl. Meine sieben Knödl wären glücklich drunten. Jetzt heißt's auf d'Wiesen zum Heumachen. Was sitzt denn da für eine Figur?

Kasperl (für sich). Auweh! das ist ja der Hausknecht, der Hiesl, der mir damals meine Stiefel geputzt hat.

Hiesl. Heda,! Was tut Er da vorm Haus? Er ist gewiß so ein Vagabund. Also, raus mit der Sprach'! Wir wollen wissen, wer man ist.

Kasperl. Sei'n Sie mit einem Unglücklichen nicht grausam! Gönnen Sie dem müden Wanderer einen Augenblick Ruhe.

Hiesl. Die Wanderer kennt unsereiner schon. Die lassen gern etwas mitwandern. Marsch da! Wo ist's Wanderbüchl oder ein Vorweis?

Kasperl. Man braucht jetzt keinen Vorweis mehr. Weiß Er das nicht? Hat Er nicht die Verordnung im Amtsblattl gelesen, daß die Ansässigmachung frei ist? Also darf ich mich jedenfalls hier niedersetzen.

Hiesl. Da weiß ich nichts davon. Das sind nur so neumodische Sachen.

Kasperl. Kennt Er nicht das Polizeigesetz?

Hiesl. Mein Polizeigesetz ist und bleibt, daß man verdächtige Objekten ausweist; und wenn Er nicht gutwillig geht, so brauch ich meine Heugabel zum Deutlichmachen, was ich mein'. Verstanden? Aber zuvor will ich's doch der Wirtin sagen. Vielleicht gibt's Ihm a Nudl auf'n Weg oder a Stückl Hausbrot. (Ab ins Haus.)

Kasperl. Von allen Türen abgewiesen! eine Nudl! ein Stückl Hausbrot! mir – der ich auf feinen Porzellantellern Austern gegessen hab?!

Gretl (tritt aus dem Hause). Nun, was gibt's da? Wollt Ihr was? Seid's ein Bettler oder möcht's vielleicht eine Arbeit?

Kasperl (für sich). Himmel! sie ist es! – Doch Verstellung! Noch soll sie nicht wissen, wer ich bin. (Mit verstellter tiefer Stimme.) Ich bin ein armer, armer Mann. (Nähert sich Gretchen mit schlotternden Schritten.)

Gretl. Wenn Ihr wirklich arm seid, so will ich Euch gern was schenken. Geht nur ein bißl in die Zechstuben herein.

Kasperl (für sich). Oh, wie gut sie ist! (Laut wie vorher.) Ich bin ein armer alter Mann und suche eigentlich einen armen aber jungen, hübschen Mann auf, der mein weitschichtiger Vetter ist.

Gretl. So? und wer ist denn Euer weitschichtiger Vetter?

Kasperl. Ein gewisser verunglückter, edler Mensch. Er heißt Kasperl Larifari.

Gretl (in höchster Aufregung). Wie? ums Himmels willen! – Kasperl Larifari? – Wißt Ihr was von ihm? Nur schnell!

Kasperl. Liegt Euch denn so viel an diesem meinem Herrn Vetter Kasperl Larifari?

Gretl. O sagt nur, ob Ihr etwas von ihm wißt. Laßt mich nicht so lang in Ängsten.

Kasperl (wirft den Mantel weg und fallt Gretl zu Füßen). Margareta! Sieh ihn hier zu deinen Füßen!

Gretl. Mein Kasperl! Mein Kasperl! bist du's wirklich?

Kasperl (aufstehend, fällt ihr um den Hals). Ja, ich bin's, bin's, bin's! – aber kannst du mir noch gut sein?

Gretl. O es ist alles vergessen, weil ich dich nur wieder hab!

Kasperl. Juhe! Du warst und bist meine allerliebste Gretl!

Gretl. Auf ewig, ewig!

Duett.

Wir haben uns wieder gefunden,
O selige, selige Stunden!
Du mein, ich dein,
Es soll nicht anders sein.

Wie lang mußt' ich dich vermissen,
Mein Herz das war beinah zerrissen!
Nichts trennt uns mehr;
O komme, komm nur her!

(Sie fallen sich in die Arme. Eulenschloß, der mittlerweile eingetreten, nähert sich.)

Eulenschloß (nachsingend).

Wir haben uns wieder gefunden,
O selige, selige Stunden – –

Ha, ha! so geht's auf der Welt. Die Ehen sind im Himmel geschlossen. Ich lade mich zur Hochzeit ein.

Kasperl und Gretl. Ei, der gnädige Herr!

Eulenschloß. Nicht Herr, sondern Freund.

Kasperl. Allzugnädig, allzugnädig. Gretl, wie meinst du? Könnten wir nicht schon in acht Tagen Hochzeit halten?

Gretl. Mir ist's recht. Je eher, je lieber.

Kasperl. Jetzt hab ich das rechte Portefeuille erwischt. Das laß ich aber nimmer aus.

Eulenschloß. Da bedarfst du auch eines Geh.-Sekretärs Eulert nicht mehr.

Kasperl. Nein! Nein! Dieses Ministerium kann ich allein versehen.

(Gruppe. Der Vorhang fällt.)

Ende des Stückes


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