Franz von Pocci
Das Eulenschloß
Franz von Pocci

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Dritter Aufzug

Salon (wie im vorigen Aufzuge). Geheimer Sekretär Eulert in schwarzem Anzuge, Eulenkopf, große runde Brillen, welche die Eulenaugen bilden.

Eulert. Die Stunde der Erlösung naht. Dem Schicksal Dank, das mir den Narren in die Hände geführt hat! Nun habe ich nur noch ein paar Federn am Leibe, die ihm auszuziehen bleiben. Er ahnt es nicht. Ist die letzte verbraucht, so erlange ich wieder meine normale Menschengestalt; diese Sekretärsstelle ist nur ein Interim. Mein Schloß wird aus seinen Trümmern wieder erstehen, und ich werde dort wieder einziehen können in verjüngter Gestalt. Allerdings haben sich mittlerweile die Zeiten sehr geändert. Die ritterlichen Standesvorrechte sind gefallen. Nicht einmal siegelmäßig bin ich mehr. Meine vormaligen Untertanen sind nun freie selbständige Staatsbürger. Ich werde als simpler Rittergutsbesitzer ohne Gerichtsbarkeit auf Eulenschloß leben und muß mich eben in den Fortschritt des neuen Zeitalters fügen lernen. – Er kommt!

Kasperl (tritt ein). Ei, sieh da! mein lieber Eulert. Ich habe soeben das Portefeuille ins Kabinett explodiert. Mein Kopf ist wieder sehr angegriffen. Schlipperdibix! Es wird wieder eine neue Feder kosten. Mit der alten kann ich nichts mehr anfangen. Jetzt hab ich Ihnen gewiß schon ein paar hundert Federn ausgerupft. Nicht wahr, lieber Eulert?

Eulert. Es mag sein, aber das tut ja gar nichts zur Sache. Vorläufig muß ich Eurer Exzellenz eine etwas unangenehme Mitteilung machen.

Kasperl. Wie? Sie machen mich ganz stutzig.

Eulert. Es war ein Mädchen bei mir, welches mit der kühnen Behauptung auftrat, sie habe gegründete Ansprüche auf die Hand Eurer Exzellenz und sie wende sich an mich in dieser Angelegenheit, weil sie von Eurer Exzellenz abgewiesen wurde – – sie wolle – –

Kasperl (Eulert unterbrechend). Wie? was? Schlipperment!

Eulert. Ja – sie wolle sich an die Gerichte wenden.

Kasperl. Pfui Teufel! Das ist infam. Was nicht gar? Ich – Minister und diese ordinäre Person! (Pause. – – Gerührt.) Und doch! Mein Eulert, Mann meines Vertrauens! Ha! Mein Herz ! – Mein Gewissen. Meine Erinnerungen! (Setzt sich.) Raten Sie, Eulert! Helfen Sie!

Eulert. Exzellenz!

Kasperl (in tragischem Pathos, rasch aufstehend). Hören Sie, Eulert: Es war in jener schauerlichen Nacht, wo ich ermüdet, hungrig in die düstersten durstigsten Träume versunken an den Ruinen jenes zerfallenen Schlosses, nicht wissend wo oder wie – in ein ländliches Wirtshaus trat. (Tändelnd.) Ein liebliches Geschöpf trat mir mit freundlichem Willkomm entgegen.

Eulert (bedeutungsvoll). Ich weiß es. In jener Nacht, wo ich Sie als geheimnisvolle Eule umschwebte.

Kasperl. Ja. Sie umschwoben mich und erzählten mir eine Geschichte, eine Geschichte furchtbaren Inhalts; aber ich weiß kein Sterbenswörtl mehr davon. Da trat mir Gretchen wie ein lichter Engel entgegen. (Gerührt.) Ich nahm damals 12 Paar Bratwürsteln, einen Schlegelbraten mit Endiviesalat und noch verschiedenes andere mit verschiedenen flüssigen Stoffen zu mir. Alles, alles aus Gretchens Händen. O sie war so lieb, so gut! Ich hing an ihren Blicken, und sie hing an meinen Blicken! Wir verstanden uns bald. Zwei Herzen schlugen sich entgegen. Ich schwur, sie schwur, wir schwuren – kurz, es war ein gemeinschaftliches Geschwur. Aber – jetzt?! – Ich – Minister! Sie ein untergeordnetes Individuum! Furchtbarer Komplex!

Eulert. Exzellenz, fassen Sie sich. Vielleicht findet sich ein Ausweg, eine Vermittelung. Geduld' und Ruhe!

Kasperl. Oh! Oh! – was soll ich tun? Ich bin konprimiert. (Sich ermannend.) Doch lassen wir diese Privatverhältnisse. Die Staatspflicht geht vor. In einer halben Stunde muß ich zu Seine Durlaucht zum Vortrage. Ich brauche eine frische Feder. Kommen Sie mit mir in mein Kabinett, damit ich Ihnen wieder eine ausrupfen kann.

Eulert. Eurer Exzellenz immer zu Befehl. (Im Abgehen für sich.) Unglücklicher! es ist die letzte!

(Beide ab.)

 
Verwandlung

Vorzimmer in der Residenz. Von zwei Seiten eintretend Staatsrat von Walter und Geh.-Rat Aktenmaier.

v. Walter. Guten Tag, bester Geheimer Rat!

Aktenmaier. Meine Ergebenheit, Herr Staatsrat.

v. Walter. Kommen Sie vom Herzog?

Aktenmaier. Ei, ich vom Herzog? Wer kömmt denn noch zu Se. Durchlaucht?

v. Walter. Sie haben recht. Wer anders, als der Minister?

Aktenmaier. Die ältesten, bewährtesten Diener läßt man fallen.

v. Walter. Nur er hat sein Ohr! Es ist unbegreiflich, dieser Mensch ohne Herkunft, ohne Kultur, ohne Manieren!

Aktenmaier. Der Herzog ist entzückt von seinen Arbeiten.

v. Walter. Alles nur der Eulert. Ich kann Sie versichern: Ohne Eulert müßte er fallen. Der ist seine rechte Hand, sein alles.

Aktenmaier. Haben Herr Staatsrat gehört, wie er sich vorgestern wieder an der Hoftafel benommen? Sie waren nicht geladen, wie ich.

v. Walter. Ja, ich hörte so etwas munkeln.

Aktenmaier. Er fiel wieder einmal betrunken unter den Tisch. Denken Sie sich! Ein Glück, daß nur Herren und nicht auch Damen zur Tafel gezogen waren. Und Se. Durchlaucht – es ist unglaublich – Se. Durchlaucht hatten wieder ungeheuren Spaß an dem Vorfall. Als man den bewußtlosen Minister entfernt hatte, sagte der Herzog: »Das ist doch eine eigentümliche Natur! Trefflich und brauchbar als Staatsmann; aber ein bißchen sonderbar als Privatmann, eigentlich ohne Erziehung, ein Naturmensch; aber immerhin ein guter Kopf, wie nicht leicht seinesgleichen. Und das muß mir doch die Hauptsache sein.« Dies waren des Herzogs Worte. Ich habe sie aus dem Munde des Kammerherrn von Müller, der im Dienst war.

v. Walter. In der Tat, es wird ein bißchen arg. Wo will das hinaus?

Aktenmaier. Das eben frag ich Sie, Herr Staatsrat. Und ist uns dieser Parvenü nicht wie eine Bombe hereingefallen?

v. Walter. Eulert hat ihn dem Herzog empfohlen.

Aktenmaier. Warum aber hat Eulert nicht selbst das Portefeuille angestrebt?

v. Walter. Das wissen die Götter.

(Ein eintretender Hoflakai öffnet von außen eine Seitentüre.)

Lakai. Se. Exzellenz kommen von Se. Durchlaucht dem Herzog. (Ab.)

v. Walter (zu Aktenmaier). Sei'n wir vorsichtig.

Aktenmaier. Ich verstehe.

Kasperl (tritt ein). Ah, bon jour, bon jour, meine Herren!

v. Walter. Euer Exzellenz hatten wieder Vortrag?

Kasperl (ungeheuer wichtig und vornehm). Nur ein kleines halbes Stündchen. Ja, ja, ja. (Für sich.) Schlipperment! Jetzt hab ich meine Feder drin liegenlassen. Ich darf mich zusammennehmen mit den zweien da.

v. Walter. Darf ich mir die Frage erlauben, ob das Bahnnetz schon zur Sprache gekommen?

Kasperl. Wie? was? das Netz? Glauben Sie, ich fische mit dem Herzog?

v. Walter. Exzellenz, glaube ich, haben mich falsch verstanden.

Kasperl. Ich verstehe nie falsch, damit Sie es nur wissen.

v. Walter (zu Aktenmaier beiseite). Wie kömmt Ihnen dies vor?

Aktenmaier. Unglaublich.

Kasperl. Apripos, meine Herren: in welches Wirtshaus gehen Sie heute? In den »Blauen Bock« oder zum »Damischen Löwen«? In örsterem sehr gute Leberwürste, in letzterem ausgezeichnetes Bier, die Maß um 7 Kreuzer.

v. Walter. Herr Minister, das sind Fragen, die wir nicht beantworten können.

Aktenmaier. Weil wir derlei nicht gewohnt sind. Wir besuchen Lokalitäten nicht, in welchen der gemeine Plebs kneipt.

Kasperl. Wie was? wo ein gemeiner Schöps kneipt? (Für sich.) Da muß ich wieder eine Dummheit gesagt haben. (Vornehm scherzend.) Ja, ja meine Herren, das war nur ein Gespaß von mir. (Lacht.) Ha, ha, ha! Wie sollte ich? wie könnte ich? –

Aktenmaier. Das dachten wir gleich, Exzellenz. Aber darf ich fragen, wie steht es mit dem Ersatzposten für den Ausfall in der indirekten Steuer? Wie will der Herzog surrogiert wissen?

Kasperl (für sich). Schlipperment; das ist mir zu hoch. Wie zieh ich mich aus dem Schlamassel? O Feder, o Feder! (Zu Aktenmaier.) Es versteht sich, daß der Posten abgelöst werden muß. Der Ausfall aber war mehr ein Einfall und das angesteckte Feuer ist schon längst gelöscht.

Aktenmaier und v. Walter (gegenseitig). Welch ein Unsinn! Ist er verrückt?

Kasperl. Überhaupt, meine Herren, muß ich mir das ewige Gefrag verbitten. Ich bin kein Schulbub. Verstehen Sie mich? – Wenn nicht, so sag ich Ihnen etwas anderes. Verstanden?

v. Walter. Wie? hörte ich recht? Eine Zurechtweisung? Das lassen wir uns nicht gefallen. Wir sind im Staatsdienst ergraute Beamte.

Aktenmaier. Vergessen Eure Exzellenz nicht unsere Stellung.

Kasperl. Was Stellung? Halten Sie's Maul!

v. Walter und Aktenmaier. Ah, ah! Das ist zu arg!

Kasperl. Ich bin Minister.

v. Walter. Und wenn sechsfach Minister, eine solche Behandlung ist empörend. Kommen Sie, Herr Geh. Rat! Schnell zum Herzog! Es muß uns Genugtuung werden.

Aktenmaier. Ja, der Herzog muß uns hören.

(Beide rasch ab.)

Kasperl (allein). Auweh, pfutsch! Das ist a saubere G'schicht. Jetzt wird mich der Herzog auch gleich rufen lassen, wenn die zwei mich verklagen. Und ich hab keine Ministerfeder bei der Hand! Wenn ich nur den Eulert da hätt'! Ich weiß mir nicht zu helfen, ich lauf davon!

(Er will hinaus, Eulert tritt ihm an der Türe entgegen.)

Kasperl. O Rettet meines Lebens! Geschwind eine Feder, sonst bin ich verloren!

Eulert (feierlich). Du bist es! Die Feder, die du mir diesen Morgen ausgezogen, es war die letzte! Ich bin erlöst!

(Donnerschlag. Kasperl fallt um. Eulert verwandelt sich in einen elegant gekleideten Kavalier. – Der Vorhang fällt.)


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