Franz von Pocci
Das Eulenschloß
Franz von Pocci

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Erster Aufzug

Burgruine im Mondenschein. Der Wind heult. Kauzenveit sitzt in Gestalt einer großen Eule auf Mauertrümmern.

Kasperl (mit Wandersack tritt ein). Uh, Uh! das ist eine schauerliche Nacht. Mich gruselt's und beutelt's vor lauter Furcht. Wo bin ich jetzt eigentlich? Mir scheint, der Weg ist mir unter meine Füß davongelaufen; statt in ein Wirtshaus zu kommen, bin ich an dies Nest geraten, wo ei'm die Mauern über'n Buckel zusammenstürzen möchten. Meine Schulden, die mich aus der Stadt vertrieben haben, die hab ich freilich zu Haus g'lassen und nur meinen leeren Ranzen mitgenommen; allein diese Leerheit ist fürchterlich. Meine Taschen leer, mein Magen leer, mein Beutel leer – alles ist leer. Schauerliche Einsamkeit! Was fang ich jetzt an? (Die Eule ächzt und schlägt mit den Flügeln.) Oho! was ist denn da wieder? Was für ein unbekanntes Wesen sitzt dort auf der Mauer? Pfui Teufel! Das ist ein abscheulicher Vogel.

Heda! wenn Sie ein Vogel sind, der sich in der Gegend auskennt, was ich doch vermuten kann, so zeigen Sie mir gefälligst den Weg in einen Gasthof. Aber, freilich, Sie holen sich Ihre Kost woanders.

Eule (in schauerlichem Tone). Kasperl! Kasperl!

Kasperl. Nun, wär' nicht übel! Wer ruft mich denn da bei meinem Taufnamen?

Eule. Ich bin es! ich bin es.

Kasperl. Ich bin es! ja wo ist denn dieses »Ich«?

Eule (mit den Flügeln schlagend). Ich bin es – ein Unglücklicher!

Kasperl. Ein Vogel, der red't! Das ist einmal was Neues. (Die Eule schwebt zu Kasperl herab.) Alle guten Geister! (Er fallt um.)

Eule. Fürchte nichts. Stehe auf und höre, was ich dir sage.

Kasperl. Da soll man nicht erschrecken über einen Uhu mit menschlicher Stimme! Das ist ja unerhört.

Eule. Ja, es ist allerdings unerhört, drum höre.

Kasperl. Wenn ich hören soll, so kann es nicht unerhört sein. Aber mir ist's jetzt schon einerlei, und ich bin gefaßt. Machen Sie nur ihren Schnabel auf.

Eule. Vernimm eine schreckliche Geschichte.

Kasperl. Wenn die schreckliche Guschichte nur nicht zu lang ist; denn ich hab weder Zeit noch Lust eine schreckliche lange G'schicht anzuhören. Wissen Sie was, Herr von Uhu? Erzählen Sie's dem Publikum, und ich geh derweil hinaus und trink eine Maß Bier.

Eule. Bleibe! Vernimm und staune! Wisse, ich bin ein verzauberter Ritter aus dem Mittelalter.

Kasperl. Wie? ein vermauerter Widder? Das ist wirklich erstaunlich.

Eule. Nun weiter.

Kasperl Gut. Ich gehe weiter. (Will fortgehen.)

Eule. Halt! Ich meine, daß du das Weitere hören sollst.

Kasperl. Sagen Sie mir lieber das Engere, das dauert nicht so lang.

Eule. Ich hauste einst auf dieser Burg, die jetzt in Trümmern liegt, als mächtiger Schloßherr und Raubritter, gehaßt von meiner ganzen Umgebung, weit und breit gefürchtet.

Kasperl. Das geht mich eigentlich gar nichts an und ist ganz und gar Ihre Sache, Herr Raubritter von Uhu.

Eule. Aber ich bitte dich, erbarme dich doch meines Elendes.

Kasperl. Das kann ich nicht, denn mir geht's auch miserabel, also erbarme ich mich über mich selbst und für Sie bleibt nichts übrig.

Eule. Wisse: ich führte ein lasterhaftes Leben.

Kasperl. Ich bin auch kein heiliger Antoni.

Eule. Raub und Mord waren meine Lust. Da traf mich nach vergeblichen Schicksalswarnungen die gerechte Strafe. Ich ward in eine Eule verwandelt.

Kasperl. Auweh! wenn mich nur nicht auch einmal so eine Verwandlung trifft! – Aber ich muß Ihnen doch sagen, daß mir Ihre langweilige G'schicht da sehr verdächtig scheint. Ich glaub immer, daß Sie einer Menagerie entflogen sind und mir etwas weismachen.

Eule. Nimmermehr. Ich will dir den Beweis der Wahrheit geben. Zieh mir die unterste Feder aus meinem rechten Flügel aus.

Kasperl. Also eine Feder soll ich Ihnen ausrupfen? Auf das kommt's mir auch nicht an. Ich rupf. (Er tut es. Donnerschlag: Kasperl fällt um.) No, da dank ich! Das hat einen Kracher getan!

Auf einer Mauer der Ruine erscheint in Transparent römischer Lapidarschrift geschrieben:

»JEDER WUNSCH SEI DIR GEWAEHRT.«

Eule. Nun lies!

Kasperl. Ich kann nicht lateinisch lesen.

(Die Schrift verwandelt sich in deutsche Buchstaben.)

Kasperl. So, jetzt laß ich mir's gefallen. (Liest.)

»jeder Punsch sei dir gewährt.«

Was, was? Punsch? Punsch – gewährt? Ja da muß ich mir schon die Bemerkung erlauben, daß ich den Punsch nicht mag und daß mir das Bier lieber ist.

Eule. Es heißt nicht Punsch, sondern Wunsch.

Kasperl. Ah so! Das ist aber kein W, sondern ein P, wie ich's in der Schul' gelernt hab.

Eule. Einerlei. Die Schrift will dir nur sagen, daß durch die Gewalt dieser meiner Feder jeder deiner Wünsche, wenn er ein vernünftiger ist, erfüllt werde, und ich sage dir weiter, daß dir auch die Mittel in die Hand gegeben sind, mich aus meiner Verzauberung zu erlösen.

Kasperl. Dies ist sehr verzwickelt. Allein, irre ich nicht, so ist diese Ihnen ausgerupfte Feder eine sogenannte Wunschfeder, wie man auch Wünschelruten und so verteufeltes Zeug hat.

Eule. Ganz richtig.

Kasperl. A la bonheur! Nun; weil es vor allem ein vernünftiger Wunsch ist, daß ein vernünftiges Wesen, welches Hunger und Durst hat, sich zu Essen und Trinken wünscht, so wünsche ich mir jetzt ein Wirtshaus, in das ich einkehren kann.

(Donnerschlag. Es erscheint ein ländliches Wirtshaus, gedeckter Tisch an der Türe. Auf dem Schild ist eine goldene Eule gemalt. Kauzenveit schwebt auf das Wirtshausschild und verschwindet.)

Kasperl. Bravo! – »Zur goldenen Eule.« Da wollen wir gleich zusprechen.

Kellnerin Gretl (tritt geschäftig aus dem Hause). Was schaffen S', Gnäherr?

Kasperl. O du lieb's Mauserl du! was ich schaff? Was habt Ihr denn auf dem Speiszettel? Und wie heißt du denn, Trutscherl?

Gretl. Ich heiß Gretl und kann mit allem, was beliebt, aufwarten: Niernbratl, Kalbsschlegel, Karbonadeln, Entenbraten, Bachhendeln, Topfennudeln, Spinat mit Eier, Hirnpavesen, Erdäpfelsalat, saures Voressen, Apfelkuchen, Spanferkel, Limburgerkäs –

Kasperl. Halt ein, höheres Wesen! Sonst geh ich unter im Fluß deiner Rede! Weißt du was? Bringe mir von jeder Speis' nur eine halbe Portion und gleich zwei Maß Bier und eine Flaschen Wein dazu.

Gretl. Sollen gleich bedient sein.

(Trippelt ab. Zugleich erscheinen auf dem Tische viele Schüsseln mit Speisen, Bierkrüge und Weinflaschen.)

Kasperl. Ah! Ah! (Stürzt darauf hin.) Aber wo ist denn mein Eulenvogel hingeflogen?

(Die Eule erscheint wieder auf dem Wirtshausschilde sitzend und schlägt mit den Flügeln, verschwindet aber, wie Gretl aus dem Hause tritt.)

Gretl. Nun, sind Sie nicht zufrieden mit meiner Bedienung?

Kasperl. Du bist eine Halbgöttin. Alles wie hergezaubert.

Gretl. Was ist denn eine Halbgöttin, Gnäherr?

Kasperl. Es begreift sich, daß du nicht auf der Stufe von Bildung stehen kannst, dieses zu wissen. (Vornehm belehrend.,) Halbgöttin ist so viel, wie eine halbe Göttin, die keine ganze Göttin ist, wie z. B. eine halbe Portion Niernbratl nicht eine ganze ist; oder denke dir nur eine halbe brat'ne Gans. Nun weißt du also, was eine Halbgöttin ist.

Gretl. So? also wär' ich eine halbe brat'ne Gans? Das ist weiter nit höflich von Ihnen.

Kasperl. Du verstehst mich nicht. Jedenfalls habe ich dir ein vornehmes Kompliment machen wollen, wie es in der Stadt der Brauch ist. (Ißt und trinkt in einem fort.) Aber sage mir, liebe Gretl, kannst du nicht singen? Ich liebe die Musik beim Göttermahle.

Gretl. Ja freilich; was man halt so verlangen und in der Schul' auf'm Land lernen kann. Der Lehrer und der Pfarrer sind recht zufrieden mit mir auf'm Chor.

Kasperl. Du bist also eine Choristin? Nun so lasse ein's los.

Gretl. Wenn's Ihnen Vergnügen macht, recht gern.

Kasperl. Also ein paar Schnadahüpfeln oder so was!

Gretl. Ich sing Ihnen gleich die G'schicht von der Burgruine da. Als Schulmädeln haben wir's immer bei der Prüfung singen müssen.

Kasperl. Gut. Du singst und ich trinke. Sollst leben!

Gretl. Das Lied heißt: »Das Eulenschloß.«

Kasperl. So steht's auch heute auf dem Kommödizettel. Nun heule mir etwas von dem Eulenschloß.

Gretl (singt mit schauerlicher Instrumentalbegleitung).

Seht ihr auf grauer Felsen Schoß
Die Trümmer von dem alten Schloß?
Da hauste schon vor langer Zeit
Der böse Ritter Eulenveit.

Vom Volke ward er so genannt,
Weil er als Wütrich war bekannt,
Der alles sich zum Raub erkor
Und selbst den Teufel auch beschwor.

Nicht sicher waren Weib und Kind,
Er raubte Rosse, Schaf und Rind,
Und schleppt's wie eine Eul' ins Nest
Dort auf sein Schloß, so stolz und fest.

Doch endlich traf der Strafe Blitz
Den Frevler auf der Felsenspitz:
Durch Feuer ward die Burg zerstört,
Vom Ritter ward nichts mehr gehört.

Kasperl. Du hast aber eine schöne Stimm'! Wie ein Vogerl, wenn's den Pips hat. Diese Stimme drang mir zum Herzen. Aber die Ritterg'schicht hab ich, glaub ich, schon einmal beiläufig irgendwo gehört.

Gretl. Ja und daß Sie's nur wissen: In dem alten Gemäuer geht's noch immer um. Kein Mensch traut sich in der Nacht hinauf.

Kasperl (wird schläfrig und gähnt). Ja, ja, ja, das ist halt so eine Geschicht, die G'schicht da! Sind wir nur froh, daß's jetzt keine solchen Raubritter mehr gibt. Aber Madl, mich schläfert bedeutend. Ich mein, es wär' Zeit, ins Bett zu gehn. Komm, führe mich in mein Schlafgemach.

Gretl. Wie's beliebt.

Kasperl. Habt Ihr doch ein gut's Federbett? Und einen ordentlichen Schlaftrunk möcht' ich auch noch in mein Zimmer hinauf.

Gretl. Ein prächtiges Bett mit einer Duketzudeck und einen echten Ofener, den Spitz zu 16 Kreuzer.

Kasperl. So, da bring mir nur so ein halbes Dutzend Spitzeln hinauf oder lieber gleich ein paar Flaschen.

(Beide ab ins Haus. – Die Eule, wieder sichtbar, fliegt vom Wirtshausschild herab.)

Eule.

Geh nur zu Bett! Wenn's tagt, so bist du mein;
Als Werkzeug brauch ich dich, mich zu befrein.
Vermag ich dich, daß Feder du um Feder
Mir ausziehst, dann naht sich der Freiheit Stunde.
Die Hülle fällt von mir, in die der Fluch
Des Schicksals mich gebannt – ich bin erlöst!
So wollte es die Macht, die meine Frevel
Gestraft, daß meine arme Menschenseele
Stets ruhelos so lang in Tiergestalt
Verwandelt, bitt'rer Reue preisgegeben,
Einmal doch ihrer Qualen werde ledig.
Nun flieg ich wieder dorthin aufs Gemäuer,
Zum Schlafe nicht, denn hell ist nachts mein Aug',
Das sich bei Tageshelle wieder schließt.
O grüßte einmal endlich doch der Sonne
Beglückend Licht mich, Ruh und Frieden bringend!
(Schwebt auf die Ruine.)

(Der Vorhang fällt.)


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