Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ursprung der Carraresen und ihrer Herrschaft in Padua.

Historisches Fragment.

Nach dem Untergang der schwäbischen Kaiser und dem Sturz Ezzelins von Romano bekam auch in Padua, wie überhaupt in Italien, die welfische Partei das Uebergewicht, und die Stadt regierte sich über ein halbes Jahrhundert lang als glücklicher Freistaat, reich an Pferden und Waffen, wie uns ein Zeitgenosse berichtet, mit Türmen wohl versehen, durch edlere Bauwerke ausgeschmückt. Dieser friedliche Zustand aber wechselte schnell, als Kaiser Heinrich von Luxemburg diesseits der Alpen erschien, um seinen Römerzug anzutreten. Geldmangel war der charakteristische Begleiter der Römerzüge. Heinrich war geneigt, den Paduanern Vicenza zu verhandeln, die Paduaner jedoch verschmähten, eine Stadt zu kaufen, die sie bereits seit geraumer Zeit in Besitz hatten. Hierauf sandte Heinrich den Can Grande della Scala, den er zu seinem Statthalter in Verona ernannt hatte, gegen sie ab, und Vicenza ward eingenommen. Auf den Rat des Bischofs von Genf unterhandelten nun die Paduaner mit dem Kaiser und erkauften ihre Freiheit mit hunderttausend Gulden, indem sie noch einen jährlichen Tribut von zwanzigtausend als Versprechen hinzufügten. Thörichterweise aber, und ehe sie noch einen Vorteil davon gezogen, brachen sie diesen Vertrag, bei vorherrschendem Einflüsse der erhitzten welfischen Jugend, welche der geringen Macht des Kaisers spottete. Auch starb dieser bald; aber der Friedensbruch hatte nichtsdestoweniger einen mehrjährigen Krieg mit Can Grande zur Folge, welcher fortwährend zum Vorteil des letzten ausschlug. Vergebens vermittelten die Venetianer.

Unter den damaligen vornehmen Häusern von Padua waren die Carraresen die angesehensten, oder doch den angesehensten gleich. Verschiedenes wird über ihren Ursprung berichtet. Nach einigen sollen sie aus Frankreich eingewandert, nach andern eine lombardische Familie gewesen sein. Aus einem Stammbaume wird ihr Geschlecht bis in die Zeit Karls des Großen zurückgeführt, und bald waren sie als Grafen von Anguillara bereits mächtig in der Lombardei. Bei einer Belagerung gingen jedoch die wichtigsten Dokumente dieses Hauses verloren, da einige Frauen, welche sie bei sich führten, in dem See, über den sie sich zu flüchten dachten, ertranken. So viel scheint gewiß, daß die Familie von Kaiser Heinrich IV. mit Carrara, einem sieben Miglien von Padua entlegenen Städtchen, belehnt wurde; daher Namen und Wappen. Was von Ferrara nach Padua fährt, sieht Carrara rechts, unweit des Fleckens Battaglia. Anguillara liegt an der Etsch, einige Meilen von der Mündung. Der obenerwähnte See heißt noch heutzutage Lago delle Donne. Aus ihm fließt der sogenannte Kanal del Cuori aus, der sich in die Lagunen von Brondolo ergießt. Friedrich Rotbart bekräftigte die Schenkung, wichtiger Dienste dieses Geschlechts eingedenk. So mochten sie sich lange Zeit als Giebelingen behauptet haben, bis ein heftiger Zank, den ein Anguillara in Gegenwart Friedrichs II. mit Ezzelin führte, die Spaltung hervorbrachte, wodurch die Carraresen zur welfischen Partei übertraten, oder sich wenigstens in der Mitte hielten und um die Volksgunst bewarben. Dies erhellt wenigstens daraus, daß sie in Padua Reichtum und Ansehen zu einer Zeit genossen, in welcher die Giebelingen aus der Stadt verbannt waren.

Im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts stand Jakob von Carrara ausgezeichnet unter den Mitgliedern seines Hauses. Sein Charakter erinnerte an Cosmus von Medicis, wiewohl er diesem letztern an Freigebigkeit nicht wohl gleichkommen konnte. Doch that er, so viel in seinen Kräften stand, um sich das allgemeine Wohlwollen zu erwerben. Als einmal ein dem Adel abgeneigter Bürger vor Gericht seine Stimme heftig gegen ihn erhob, flüsterte er demselben die Drohung ins Ohr, ihm die Zunge abschneiden zu wollen; worauf er ihm einen Wagen voll Getreide und ein darauf gebundenes Schwein ins Haus schickte. Sein Widersacher ließ sich hiedurch augenblicklich beschwichtigen. Mit dieser übrigens leicht zu erwerbenden Menschenkenntnis verband Jakob von Carrara entschiedene kriegerische Talente, und wir lesen auf seiner Grabschrift:

Vir fuit hic magnus membris, et corpore fortis,
Doctus et armatae disponere facta cohortis.

Im Jahre 1314 jedoch geriet er in die Gefangenschaft des Scaligers, und dieser sandte ihn nach Padua zurück, um den Frieden zu unterhandeln, den er auch wirklich zustande brachte, wiewohl sich namentlich Maccaruffo Maccaruffi, ein angesehener Paduaner und mit dem Markgrafen von Este verschwägert, widersetzte. Auch konnte Padua nicht lange den Verlust von Vicenza verschmerzen, und nach drei Jahren brachen abermalige Feindseligkeiten aus. Die Paduaner wollten Vicenza überrumpeln, wurden aber zurückgeworfen, und Can Grande eroberte in kurzer Zeit Monfelice und ein paar andre in der Nähe gelegene Ortschaften und bedrängte Padua selbst. Hierauf ließ er abermals Friedensbedingungen vorschlagen. Das eroberte Land sollte er zeitlebens behalten, und die vertriebenen Giebelingen sollten nach Padua zurückkehren dürfen. Maccaruffo widersetzte sich wiederum, da er den Verlust der Freiheit unter diesen Bedingungen als unvermeidlich ansah. Jakob von Carrara jedoch, der fortwährend für den Frieden stimmte, drang durch, und vergebens erregte Maccaruffo einen Aufstand, um den Volksbeschluß zu hintertreiben. Was er voraussah, traf ein. Die Giebelingen kamen nicht als Bürger, sondern als Rächer in die Stadt; viele Welfen wurden erschlagen, ihre Häuser niedergerissen. Die Maccaruffi, nebst vielen Familien, waren bereits vor dem Einzug jener Gäste nach Ferrara zu dem Estenser entflohen.

Sobald ein Staat von zwei Parteien zerrissen wird, die sich gleich stark gegenüberstehn, wird Einzelherrschaft unvermeidlich. Von den italienischen Republiken haben bloß die Venetianer die Freiheit auf die Dauer genossen und gekannt, weil sie keiner fremdartigen Idee Zugang verstatteten und nur die Größe ihres Vaterlands im Auge behielten. Alle Städte des festen Landes wurden, freilich nicht durch ihre eigene Schuld, in den Streit zwischen Reich und Kirche gewaltsam hineingerissen, mit dem sie eigentlich nichts zu schaffen hatten. Aber es war unmöglich, ihn zu vermeiden. Die Kaiser kamen, die Päpste wüteten, und Italien bezahlte die Zeche. Ein regsames, ganz für Freiheit und Selbständigkeit, mehr als irgend ein anderes, geborenes Volk mußte sich in Jahrhunderte langen Kämpfen verbluten, bis es zuletzt völlig gelähmt wurde. Von einem richtigen Instinkt geleitet, wählten sich die meisten der einzelnen Freistaaten einheimische Oberherrn, um wenigstens einen Teil ihrer Eigentümlichkeit zu retten.

So erging es auch im Jahr 1318 den Paduanern. Schon der Scaliger hatte, als Jakob von Carrara sich bei ihm als Gefangener befand, darauf hingedeutet. Jakob war der Liebling des Volks, und die Giebelingen verdankten ihm ihre Rückkehr. Er wurde am 24. Juli zum Herrn von Padua gewählt, wiewohl er eine Zeitlang gezögert hatte, diese Würde anzunehmen. Nachgebend wurde er nach dem Rathause geführt, man übergab ihm den Gonfalon des Volkes, welcher weiß, mit einem roten Kreuz in der Mitte, geziert war, und sodann das Gesetzbuch, auf welches er den herkömmlichen Eid ablegte. Dies Ereignis zu feiern, ward ein Wettrennen veranstaltet, das alljährlich wiederholt wurde.

Um sich auch die Neigung der Venetianer zu erhalten, ernannte der neue Herrscher einen Gradenigo zum Podesta, aus welcher Familie auch seine Gemahlin, eine Tochter jenes berühmten Dogen Peter Gradenigo, stammte. Mit Can Grande hatte er einige Monate später eine Zusammenkunft in Monte Galda, einer Villa am Bacchilione. Bei dieser Gelegenheit wird erzählt, daß beide an einem engen Durchgange anlangten, und keiner vorausgehen wollte. Ein gegenwärtiger Schalksnarr rief: »Der Dümmste soll den Vorrang haben!« worauf der Carrarese aus Bescheidenheit zuerst über die Schwelle trat. In seinen Unterhandlungen mit Can Grande zeigte er sich aber keineswegs des obigen Beiworts würdig; denn er vermied mit Klugheit die Falle, welche ihm der Scaliger zu legen suchte. Dieser betrachtete die Herrschaft der Carraresen bloß als eine Staffel seines eignen Throns in Padua, dessen Bewohner er zuerst durch den Geist der Unterwürfigkeit kirre zu machen suchte. Vor allem verlangte er, daß Jakob die Welfen, welche die Stadt freiwillig verlassen, als verbannt und ihrer Güter verlustig erklären solle, was Jakob standhaft verweigerte. Denn er fühlte wohl, daß der Scaliger ihn auch mit den Welfen zu verfeinden strebe, da die Giebelingen ohnedem von Can Grandes Partei waren. Um den Frieden noch mehr zu befestigen, stiftete er ein Verlöbnis zwischen seiner eignen noch unmündigen Tochter Taddea und dem Neffen des Scaligers Mastino: ein Bündnis, das zehn Jahre später, nach Jakobs Tod, wirklich zustande kam. Merkwürdig ist der Stammbaum, den man im siebzehnten Jahrhundert (zu Ehren der carraresischen Familie Pappafeya) von dieser Taddea entworfen und woraus auf historischem Wege hervorgeht, daß alle damaligen gekrönten Häupter Europas von ihr abstammen, Türken und Moskowiten, wie sich von selbst versteht, ausgenommen. Die Sache wird begreiflich, wenn man erwägt, daß Beatrix, Taddeas Tochter, ihrem Gemahl, dem Bernabo Visconte, zwölf Töchter gebar, welche sämtlich in fürstliche Häuser vermählt wurden. Eine derselben war die Großmutter Friedrichs III., die Gemahlin des bei Sempach gebliebenen Leopolds.

Der Scaliger, der Paduas auf alle Weise sich bemächtigen wollte, haschte nach Vorwänden zum Krieg. Er wußte die beiden Markgrafen von Este, Obizzo und Rinaldo, zu gewinnen und mit ihnen den Maccaruffo, der neidisch auf die Carraresen hinblickte. Hierauf verlangte er, Jakob solle die entflohenen Welfen wieder aufnehmen. Jakob, der wenig dabei zu verlieren hatte, erwiderte, sie möchten kommen, da sie niemand verbannt habe. Can Grande, der sich betrogen fand, warf nun die Maske ab. Er wolle, hieß es, die Volksfreiheit von Padua wieder herstellen. Jakob rief nun die Stadt zur Verteidigung auf, da die von einem Giebelingen angebotene Freiheit niemanden täuschte. Can Grande belagerte Padua von allen Seiten, schnitt der Stadt das Wasser ab und erbaute in der Nähe derselben bei Lassanello ein kleines Kastell, Isola della Scala. – – –


 << zurück weiter >>