August von Platen
Gedichte
August von Platen

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Choröbus der Kassandra

Heroide

                Nicht von Munde zu Mund und nicht von Auge zu Auge
    Darf dir Liebe den Drang ihrer Gefühle gestehn:
Strenge verschließest du dich in heilige, keusche Gemächer,
    Gibst zerstörendem Schmerz, sinnender Trauer dich hin,
Wechselst allein mit dem pythischen Gotte verlorene Worte,
    Der undankbar dafür Jammer und Sorge verheißt.
Zürne, Kassandra, mir nicht und nicht dem verwegenen Griffel,
    Der mir Blicke des Augs, Töne des Mundes ersetzt.
Siehe, mein Land verließ ich, die blühenden Freunde, den Vater,
    Der, von Jahren gebeugt, kindlicher Stütze bedarf.
Dich zu gewinnen mir, zog ich hieher: mit bebenden Händen
    Gab mir den Segen der Greis, als ich die Schwelle verließ:
»Lange«, so sprach er - und könnt' ich der mahnenden Worte vergessen? -
    »Lange berühmt und geliebt blüht mein erhaben Geschlecht.
Viele bewohnten bereits, die nun du verlässest, die Wohnung,
    Selbst Unsterbliche schon lebten und gasteten hier.
Also erschien auch einst mit Hermes Phöbus Apollon,
    Und prophetischen Geists sagte der Deliergott:
›Ewig besteh' dies Haus, wenn nie ein Gebieter des Hauses
    Im unrechtlichen Krieg waffnet die zürnende Brust.‹
Nie begegnete dies, noch soll dies je begegnen,
    Und so hoff ich zu sehn Enkel der Enkel dereinst.
Aber ziehe nun hin zu Phrygiens Königin, Troja,
    Eine von Priams Stamm wähle zur Gattin dir aus.
Denn ihn haben die Götter begabt mit Knaben und Jungfraun,
    Während sie dich mir geschenkt, einziger Sprosse des Stamms.«

Also sagte der Greis und legte die köstlichen Gaben
    Selbst mir im Wagen zurecht, der mich nach Troja geführt.
Damals wohnte noch Helena nicht im Phrygerpalaste,
    Duftiger Rauch umschlang friedlich noch jeden Altar.
Und ich sah dich im Priestergewand, du schmücktest das Opfer,
    Blumiger Äste Gewind zierte das wallende Haar:
Kypria schienst du zu sein, mit großem schmachtendem Auge,
    Aber der Träne Gewicht hing an der Wimper bereits:
»Flieh, Unseliger, flieh!« So sprachst du, »wehe dem Efeu,
    Der mit Liebe sich schlingt um den entwurzelten Baum!«
Doch ich blieb; da kam mit dem Raube der Held Alexandros,
    Aber die Fremdlingin wich dir an Reiz und Gestalt.
Bald erfüllten das Meer die schwärzlichen Schiffe von Hellas,
    Und vor den Toren der Stadt rief es zu wildem Gefecht.
Doch umsonst nur sandte der Vater mir Boten um Boten,
    Ach, wo Liebe gebeut, fruchtet ein ander Gebot?

Was betrauerst du wohl? Was fürchtet die schöne Kassandra?
    Glaube mir, Ilion fällt nie durch Pelasgergewalt;
Denn es verzehren die Feinde sich selbst, in verderblicher Zwietracht,
    Mit dem atreïschen Paar hadert noch grimmig Achill.
Ewiger Klage geweiht, durchlebst du den Tag im Palaste,
    Aber was fesselt dich dort, ewiger Klage geweiht?
Deine Geschwister vielleicht? sie fliehen dich, schöne Prophetin,
    Oder des Phöbus Altar, den du mit Schauder bedienst?
Oder die Stadt, die, wie du verkündiget, in den Staub sinkt?
    Oder die heimische Flur, nun in der Feinde Gewalt?
Ziehe, Kassandra, mit mir zu den freundlichen Wohnungen Mygdons,
    Und mit bräutlichem Schmuck tausche das Priestergewand!
Statt der verhaßten Befehle des Gotts, und der Totenorakel,
    Labe, mit traulichem Ton, Kindergelispel dein Ohr.
Das bedenke du wohl und verjage den wolkigen Wahnsinn,
    Der dir des heiteren Geists lieblichen Äther umhüllt.
Sieh mich an und dich selbst, und unsere glänzende Jugend,
    So vergessen wir leicht künftiger Tage Geschick;
Aber wir ahnen es kaum, es bewahren die Götter ihr Vorrecht,
    Gönnen dem Sterblichen nie ihren unsterblichen Teil.

 


 


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