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X

So schliefen denn Pierre und Berthe Rücken an Rücken, um drei Uhr morgens, in jenen Nächten, die der Liebe gehörten.

Er fühlte sie neben sich wie den stillen Atem eines friedlichen Lebens, wie die Sicherheit eines Glücks, das uns nicht einmal mehr erregt.

Sie war eingeschlummert, da sie müde war, und diese Müdigkeit erinnerte an die Müdigkeit eines kleinen Kindes.

Die Frau erscheint uns schöner des Nachts und ist uns tiefer gewärtig als am Tage. Ach, so schlafen zu können, wenn das Glück uns einschläfert und unsern Schlummer einhüllt wie ein feines Linnen, das fromme Hände gewebt haben!

Die Frau ist Jungfrau und sieht unserm Schutzengel gleich.

 

Als alle drei oben auf dem Treppengang angekommen waren, drückte Bübü sein Ohr an die Türe; er hörte nichts und es war ihm, als vernähme er nur seine Blutadern.

Der lange Jules stieß im Finstern in Adele:

»Geh voran!«

Sie klopfte dreimal, dann flötete sie:

»Ist Berthe da?«

Man hörte etwas, bald wurde die Türe geöffnet und das Licht angezündet.

Adele trat ein und sagte:

»Du machst schöne Geschichten!«

Hinter ihr Bübü, stumm, die Mütze abnehmend, dann der lange Jules, aufgerichtet, die Mütze auf dem Kopf, und er schloß die Tür.

Man hatte sie nicht erwartet.

Bübü, klein und breit, machte zwei stramme Schritte wie ein Möbelpacker.

»Mein Herr, ich bedaure die Umstände. Sie werden verstehen, was das bedeutet, wenn man vier Jahre mit einer Frau gelebt hat. Ich erfülle meine Pflicht.«

Sie richteten sich beide im Bett auf in ihren Hemden und mit ihren Schultern neben der zitternden Kerze, und sahen mit brennenden Blicken drein.

Sie spürte einen Schlag, alle Ohrfeigen, die sie empfing, als einen einzigen Schlag.

Bübü sagte:

»Stehen Sie auf, Madame!«

Sie erhob sich im Bett, die Stirn schmal, die Sinne benommen, so schwach, daß sie nicht wußte, wie man redet.

Er wiederholte:

»Stehen Sie auf!«

Da sie nicht aufstand, begriff Bübü, daß man Energie haben muß, wenn man das Recht hat.

Er näherte sich:

»Verzeihen Sie, mein Herr!«

Und er versetzte ihr eine gehörige Ohrfeige, um ihr ihre Pflicht in Erinnerung zu bringen.

Pierre wollte sagen:

»Aber, mein Herr, wenn Sie Rechte haben ...«

Der lange Jules schnitt ihm das Wort ab:

»Ja, wir haben Rechte.«

Und zu Berthe, die sich erhoben hatte, sagte der lange Jules:

»Sie haben das Glück, Madame, einen Mann zu besitzen, der Sie liebt.«

Dann sagte er:

»Wissen Sie, wir sind in aller Freundschaft hergekommen. Wir haben Ihnen keine Schererein verursachen wollen. Ich habe den Hausdiener gefragt: Wo ist Hardys Zimmer? Wir sind Freunde, die ihn wecken kommen.«

Und Bübü bemerkte:

»Ich bitte Sie um Entschuldigung, mein Herr, daß ich zu dieser Nachtstunde bei Ihnen vorspreche. Übrigens werde ich wiederkommen, um mich besser zu entschuldigen und damit Sie mich unter angenehmeren Umständen kennen lernen.«

Da fühlte sich Adele übel, und ihr schöner Streich erschütterte sie so, daß sie zu weinen begann.

Berthe hatte zu ihr gesagt:

»Ich habe einen guten jungen Mann kennen gelernt, der so und so heißt ...« Und sie hatte alles dem andern erzählt!

Bübü nahm sie bei der Hand:

»Bist du müde, mein Kleines?«

Pierre hatte einen Orangenlikör dastehen, und als Bübü davon in ein Glas eingießen wollte, besann er sich:

»Ich muß das Glas ausspülen. Man muß bei Madame vorsichtig sein. Madame ist krank, Madame hat einen wunden Mund ...«

Berthe zog sich an; ihre Kleider glitten über sie wie nächtige Stille, in der ein Gespenst auftaucht und verschwindet.

Sie zog die an der Ferse durchlöcherten Strümpfe an, die Strumpfbänder, und es war ihr, als bekleidete sie ihren Körper zugleich mit etwas unendlich Traurigem. Sie nahm dann den Unterrock und sagte:

»Habe ich gewußt, daß du wieder frei bist?«

Bübü antwortete:

»Es ist gut, Madame. Wenn man sich für seinen Mann interessiert, wie Sie es getan haben, ist es erstaunlich, daß man das nicht weiß. Ach, Sie haben nicht gewußt, daß ich wieder frei bin! Es gibt so etwas, das Straferlaß heißt, und das haben Sie nicht erwartet.«

Sie war recht kärglich gekleidet für die Winterkälte, und nachdem sie ihr weißes Trikot angelegt hatte, blieben nur mehr Rock und Leibchen.

Sie kämmte sich. Sie ließ ihr schwarzes Haar auf die Schulter fallen und kämmte es langsam, denn sie hatte Zeit genug, zu sehen, was kommen sollte.

Bübü sagte:

»Aha, noch die Haare. Beeilen Sie sich, meine Schöne, wir sind bei Monsieur Pierre und wollen seine Geduld nicht mißbrauchen.«

Der erste Gedanke, den sie hatte, war an den Tod. Er nahm sie so wie einen Gegenstand seines Lebens, den man holt, wo man ihn verpfändet hat. Sie fühlte, daß sie ein Ding war, die ungestalte, kranke arme Berthe, die brauchte, auf immer einzuschlafen, um es zu vergessen ... Und wenn ich ihm nicht folgen wollte, er würde mich töten ... Sie wollte vor dem Tode lieber ein bißchen überlegen und ihn nur dem eigenen Wunsche verdanken. Sie zog jetzt ihr Leibchen und ihren Rock an.

Der lange Jules sagte:

»Sie sehen, mein Herr, daß wir uns wie Freunde benommen haben. Wir wissen, wer Sie sind und daß Madame Ihnen nur gesagt hat, was sie wollte. Sie erlauben, daß ich mir eine Zigarette drehe, bevor ich heruntergeh, und daß ich Ihnen die Hand drücke.«

Bübü sagte:

»Ich bedaure, mein Herr, die Störung, die ich Ihnen verursacht habe. Sie haben Madame sehr gütig aufgenommen. Erlauben Sie mir, daß ich Sie bald besuche, um Sie auf ein Gläschen zu bitten. Ich drücke Ihnen die Hand, aber glauben Sie mir, es war nur eine peinliche Pflicht, die ich erfüllt habe.«

Sie gingen. Auf dem Gang fragte Bübü:

»Haben Sie sich Ihre Liebesnacht bezahlen lassen, Madame?«

Berthe kam zurück:

»Sie wollen, daß du mir Geld gibst.«

»Hier sind hundert Sous.«

Sie schritt hinaus in eine Welt, wo das persönliche Wohltun machtlos ist, denn dort herrschen die Liebe und das Geld, und diejenigen, die Liebes tun, sind unerbittlich und die Freudenmädchen von Anbeginn als die duldenden Tiere gezeichnet, die man auf die öffentliche Weide treibt.

Dann schlug das Tor unten zu. Pierre begriff:

»Ach, ich weiß, daß du weinen wirst. Mein Gott, mein Gott! Ich habe kein Glück. Ich habe nicht Mut genug, das Glück zu verdienen. Weine und stirb! Wie sie dich allein gelassen haben, hättest du im Hemd und mit bloßen Füßen hinunterlaufen sollen und schreien: Zu Hilfe! Du hättest auf die Straße laufen sollen und die Vorübergehenden aufhalten und ihnen sagen: Kommt alle schnell herbei! Sie morden dort eine Frau!«

 

Ende.


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