Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 10. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Kunigunde von Hungerstein.

In einem ungedruckten Jahrbuche des gräflichen Hauses Rappoltstein befindet sich unter dem Jahre 1487 die Geschichte eines Weibes, das nur eines größern Theaters bedurfte, um eine Messalina zu werden. Sie liefert eine denkwürdige Beilage zu den auch in unsern Tagen nicht seltenen Beweisen, daß ein Frauenzimmer, welches einmal den ersten Schritt auf dem Wege des Lasters gethan hat, weit schrecklicherer Ausschweifungen fähig ist, als selbst der männliche Bösewicht, und um desto gefährlicher wird, wenn ihr die allmächtigen Waffen der Schönheit zu Gebote stehen. Die Anekdote ist auf noch vorhandene Archival-Urkunden gegründet, und verdient um so mehr erhalten zu werden, da sie einige Züge darbietet, die in einem Romane angebracht, den Vorwurf der Unwahrscheinlichkeit verdienen würden.

Ritter Wilhelm von HungersteinDas Schloß Ungerstein oder Hungerstein, welches das Stammhaus dieser Familie war, liegt nahe bei der Stadt Gebweiler im obern Elsaß. Die Besitzer derselben trugen es von der Abtei Murbach zu Lehn. war der letzte seines Stammes, der bereits im 135 zwölften Jahrhundert geblühet hat. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlinn, die ihm keine Erben hinterließ, trat er schon ziemlich bejahrt mit Fräulein Kunigunde Giel von GielspergDiese Familie erlosch erst im vorigen Jahrhundert. in die zwote Ehe. »Sie war noch sehr jung und, wie der treuherzige Annalist sagt, über die Maßen schön und gerad von Leib, als kaum eine im Lande.« Allein sie entweihte ihre Reize durch einen wilden Hang zur Buhlerei und Ueppigkeit, der sie gar bald über alle Schranken des Wohlstandes hinausriß. Sie besuchte alle Hochzeiten, Gastmähler und Tänze, ritt öfters ohne Erlaubniß ihres Gemahls vom Schlosse hinweg, und lebte mit mehrern Edelleuten ihrer Nachbarschaft in einer anstößigen Vertraulichkeit. Ritter Wilhelm war zu sehr vom Zauber der jungen Sirene verblendet, um ihre Ausschweifungen zu bemerken, oder zu schwach, um ihnen Einhalt zu thun; er schrieb ihre Neigung zu den Ergötzlichkeiten ihrer Jugend zu, und anstatt sie seinen Unwillen fühlen zu lassen, war er stets bereit, sie zu entschuldigen. Diese Nachsicht fachte den Zunder ihrer Leidenschaften noch mehr an: sie verband die Verschwendung 136 mit der Wollust und den Diebstahl mit der Untreue. Sie machte große Schulden, und versetzte heimlich die Gültbriefe ihres Gemahls. Ihren Vater und Bruder, welche selbst sehr verschuldet waren, und ihre Ausschweifungen begünstigten, berief sie öfters auf das Schloß, und bot die Hand dazu, daß sie die Speicher des Ritters ausleerten, unterstützte sie mit seinem Gelde, und steckte ihnen seine Kleinodien zu, welche als eine gemeinsame Beute verkauft wurden.

Endlich gingen dem Ritter die Augen auf: mit jedem Tage ward er eines neuen Schadens gewahr, den sie ihm zufügte. Zu gleicher Zeit erwachte seine beleidigte Ehre, er beklagte sich, ohne sich zu rächen; allein seine gütlichen Vorstellungen, seine ernstlichen Ermahnungen waren nicht vermögend, die junge Bacchantinn in die Schranken der Ordnung zurück zu führen; sie hatten keine andere Wirkung, als daß sie das Uebel, dem er zu lange zugesehen, vermehrten, und in dem Herzen des leichtsinnigen Weibes einen unauslöschlichen Groll erzeugten. Ihre Verwandten theilten diesen Groll mit ihr, und als ihr Bruder Werner von Gielsperg bei Gelegenheit einer Reise von seinem Schwager einige Kleinodien begehrte, und eine abschlägliche Antwort erhielt, brach er in öffentliche Drohworte gegen ihn aus, und schwur, einen solchen Rumor auf dem Schlosse Hungerstein 137 anzurichten, daß man davon lange würde zu reden haben.

Durch diese Drohungen in Furcht gesetzt, flehte der Ritter Herrn Wilhelm von Rappoltstein, welcher Obersthauptmann und Landvogt im Elsaß und Sundgau war, um Beystand an. Er bat ihn, sagt die Urkunde, daß derselbige ihn wider seines Schwähers und Schwagers unbillige Gewalt schützen und ihm Rath und Hülfe leisten wollte, damit er seiner Schuldenlast und seiner Feinde täglichen Ueberfall entledigt werden, und eine eingezogene Haushaltung führen möchte. Der Landvogt gab seiner Bitte Gehör, verordnete den Beschlag der Güter, und warf dem Ehepaar ein jährliches Deputat an Getreide, Wein und Gelde zu seinem Unterhalt aus. Dem Ritter wurde ein reisiger Knecht, samt einem Hausknecht, seiner Gemahlinn eine Jungfrau und eine Köchinn gelassen, und das übrige Gesinde abgeschafft.

Diese Einrichtung war nicht nach Kunigundens Geschmacke; Wuth und Rachsucht bemächtigten sich ihres Herzens, und gaben ihr den schwarzen Vorsatz ein, ihren Gemahl aus dem Wege zu räumen. Um sich des Erfolgs zu versichern, gewann sie des Ritters beide Knechte durch die Allmacht ihrer Reize und durch alle Gunstbezeugungen, die eine eben so schamlose als 138 verschmitzte Buhlerinn sich erlauben kann. Der Mordanschlag wurde verabredet, und bald darnach vollzogen.

An einem heißen Tage hatte Ritter Wilhelm sich allein in dem Gewölbe seines Schlosses niedergesetzt, um Kühlung und Ruhe zu genießen. Die beiden Bösewichter liefen auf ihn zu, und erklärten ihm: wofern er sein Leben retten wolle, so müßte er unverzüglich einen Brief an seine Verwandten schreiben des Inhalts, daß er zu Büßung seiner Jugendsünden eine Wallfahrt in ferne Lande beschlossen habe, und durch gegenwärtige Zeilen von ihnen Abschied nehme, mit Bitte, daß sie seiner Frau bis zu seiner Wiederkunft mit Rath und Hülfe beistehen, und ihn selbst in ihr tägliches Gebet einschließen möchten. Der Unglückliche gab der Gewalt nach, und als der Brief geschrieben war, wurde er gezwungen, ihn mit seinem Wappen zu versiegeln. Kaum war dieses geschehen, so erschien Kunigunde mit einem Stricke, den sie ihren Mitverbrechern reichte, welche ihn dem Ritter um den Hals warfen, und den alten, kraftlosen Mann mit geringem Widerstande erdrosselten. Sie liessen den Körper in dem Gewölbe liegen, bis die Nacht einbrach, da einer von den Mördern, der reisige Knecht, den Leichnam vor sich auf das Pferd nahm, und in dem benachbarten Walde in eine Grube warf, die er mit Moos und Reisig 139 bedeckte. Kunigunde hatte das Schreiben auf einen Tisch gelegt, und stellte sich anfänglich über ihres Gemahls Außenbleiben sehr unruhig an. Sie ließ ihn überall durch eben die Leute aufsuchen, denen daran gelegen war, ihr Verbrechen zu verbergen. Endlich fand sie den Brief, den sie eher nicht finden wollte, sie eröffnete ihn, und nachdem sie ihn laut abgelesen, wetteiferte sie mit ihren Gehülfen, um die Entfernung des Ritters zu beklagen, und um vollends allen Argwohn von sich zu entfernen, gab sie den Nachbarn, die nach ihrem Gemahle fragten, sein Abschiedsschreiben zu lesen.

Weil aber die Mörderinn ihren beiden Knechten des Ritters Kleider schenkte, und bald darauf Tag und Nacht ihr schwelgerisches Leben fortsetzte, so fing man an, Verdacht zu schöpfen. Daher ernannte Landvogt Wilhelm von Rappoltstein eine Commission von Edelleuten, welche die Sache untersuchten, und den einen Knecht gefänglich einziehen liessen, der die ganze Frevelthat mit allen Umständen bekannte. Hierauf wurde der Körper des Ermordeten aufgesucht, durch die Bannhirten ausgegraben, gerichtlich besichtiget und zu seiner feierlichen Beerdigung nach Gebweiler abgeführt. Die Frau aber wurde gefangen gesetzt, und da es ihr unmöglich war, die That zu läugnen, so gestand sie in ihrem Verhör nicht nur den ganzen Anschlag, sondern auch die Entwendung verschiedener 140 Schuldbriefe, die sie vor und nach dem Morde heimlich verpfändet hatte. Die Richter verurtheilten sie nach der damaligen Landessitte, ersäuft zu werden, welches vermittels eines Sackes geschah, worein die Mörderinnen gesteckt, und in einen Fluß oder Teich geworfen wurden.

»Als nun Kunigunde hingerichtet werden sollte,« sagt der Annalist, dessen eigene Worte wir anführen wollen, »hat eine gewisse Adelsperson, deren Geschlecht ich Ehrenhalber nicht nennen will, welche, wie zu vermuthen, zuvor Kundschaft mit ihr gehabt hat, den Nachrichter angesprochen, und demselbigen 12 Goldgulden verheißen, wo er sie bei dem Leben erhalten und davon bringen könnte, welches der Nachrichter bewilliget, sie hart gebunden, daß ihr eine Ohnmacht angekommen, und alsdann ins Wasser geworfen. Ueber dem Wasser aber hat gemeldter vom Adel mit zwei Pferden gewartet, und als die Verurtheilte ein wenig das Wasser hinabgeschwommen, hat sie der Nachrichter, so in einem Schifflein nachfuhr, mit dem Sail auf das andere Gestad gezogen und gestürztMit abwärts gekehrtem Kopfe emporgehalten, damit sie nach dem noch herrschenden Vorurtheil das eingeschluckte Wasser von sich geben sollte., da sie 141 alsdann bald wieder zu sich selbst kam und erlabet wurde.«

Nach dieser beinahe unglaublichen Rettung, ward Kunigunde insgeheim nach der Schweiz gebracht, wo sie auf einem Schlosse drei Jahr lang unterhalten, und von mehrern ihrer Buhlen öfters besucht wurde. Als nun Wilhelm von Rappoltstein hievon Nachricht bekam, entrüstete er sich über den schändlichen Betrug, und wollte die Befreiung dieser Verbrecherinn nicht auf seinem Gewissen behalten: da sie sich aber nie lange an einem Orte aushielt, so schrieb er an alle benachbarten Obrigkeiten um ihre Auslieferung, denn, sagte er, ob sie gleich ihre Strafe ausgestanden, so verdient sie dennoch als eine abscheuliche Verbrecherinn andern zum Exempel in ewiger Gefangenschaft gehalten zu werden. Es vergingen drei Jahre, bis sie ausgespürt und dem Landvogte verabfolgt wurde. Dieser ließ sie in den Thurn des Schlosses Groß-Rappoltstein verschließen und mit der größten Sorgfalt bewachen.

Auch hier blieb Kunigunde, was sie war. Sie zeigte sich beinahe täglich schön geputzt an dem Fenster ihres Gefängnisses, und wußte endlich im Jahr 1507 den Schloßknecht, Philipp von Bacherach genannt, durch ihre unwiderstehlichen Liebkosungen, dahin zu verleiten, daß er sie bei Nacht vermittelst einer Leiter aus ihrem Kerker 142 befreiete, um sie, wie seine urkundliche Aussage lautet, unehrlicher Weise davon zu führen und zu gebrauchen. Sie wurde aber auf der That ertappt, und die Strafe des Knechts auf Fürbitte hoher Personen, statt der über ihn abgesprochenen Enthauptung, in eine Landesverweisung verwandelt; die schändliche Buhlerinn aber in ihr voriges Gefängniß zurückgeführt. Mehr als zwanzig Jahre brachte sie darinn zu, und Wilhelm von Rappoltstein hielt ihre Reize, auch da sie schon zu welken begunnten, für so gefährlich, daß er seinen Söhnen nicht erlaubte, sich dem Thurme zu nähern, aus Furcht, sie möchten von ihrem Schlangenblicke vergiftet werden. »Denn,« so schließt der Annalist, »sie war von einer ausbündigen Schöne, und von Natur dahin geneigt, daß sie schier jedermann als eine andere Venus zu ihrer Liebe reizte.« 143

 


 


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