Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 3. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Charibert und Adelgunde.

Eine Sage der Vorzeit.

In einem der lachenden Thäler des obern Wasgaues, das ein rauschender Forellenbach durchschlängelt, liegt am Fuß eines Felsen eine kleine Grotte, die dem frommen Einsiedler Charibert zur Klause diente. Vor ihrem Eingange hatte er sich ein Gärtchen angelegt, das einige Obstbäume beschatteten; ein Kranz von Violen umduftete seine Beete, die er mit nahrhaften Wurzeln und heilsamen Kräutern angepflanzt hatte. Unverwelkliches Epheu verbrämte den Eingang der Höhle, in deren Schooße ein niederer Altar von Granit, und dem Altare gegenüber eine Nische mit einem Bette von weichem Moos angebracht war, das eine Binsenmatte bedeckte. An der Vorderseite des Gärtchens erhob sich ein grauer Steinblock, schon zur Hälfte in die Gestalt eines knieenden Eremiten umgeschaffen, der sein traurendes Antliz nach einem FrauenklosterDas Kloster Alspach, oberhalb der ehemaligen Reichsstadt Kaysersberg im Elsaß. wandte, das in einer kleinen Entfernung der Siedeley gegenüber lag. Hier saß Charibert an die unvollendete Bildsäule gelehnt; ein Meißel und ein Schlegel lagen neben ihm, 169 sein graues Haupt war auf seinen Arm gestützt, und der Abendstrahl der Sonne röthete seine bleichen Wangen. Er schien, in tiefe Betrachtungen verlohren, von einem mühsamen Tagwerk auszuruhen. Da kam von der waldigen Anhöhe eine junge Pilgerin herunter, mit deren schwarzen Locken der Westwind spielte. Ihr himmlisches Gesicht trug das Gepräge einer Märtyrin, die den letzten Schritt zu ihrer Vollendung thut. Noch zeigt es die Spuren seiner Leiden; aber sie sind mit dem Schimmer ihrer nahen Verklärung vermischt. Grüß Euch Gott! ehrwürdiger Vater, sagte die Wallerin zum Siedler, als sie an ihm vorbei kam. Dank Euch Gott! schöne Pilgerin, erwiederte Charibert, wohin führt Euch Euere Andacht?

Sie. Ins Kloster.

Char. Ins Kloster? Doch nicht um darin zu bleiben.

Sie. Warum nicht? In seinen Mauern wohnt der Friede.

Char. Und nur allzuoft der Jammer.

Sie. Wohl, so werde ich Schwestern antreffen.

Char. Du bist unglücklich, mein Kind? Oh, so setze Dich zu mir nieder, und vertraue mir Deinen Kummer. Es währt noch wohl eine Stunde, bis das Kloster geschlossen wird, schenke sie 170 mir, diese Stunde, wenn ich Dich nicht trösten kann, so kann ich Dich vielleicht warnen. Die schöne Hildegard blickte den Siedler mit freundlichem Ernst an, und sagte, indem sie sich neben ihn ins Gras setzte: Gott allein kann mich trösten, und dort suche ich seinen Trost. Die Erzählung meines Schicksals, lieber Vater, wird Euch überzeugen, daß Menschen es nicht lindern können.

»Ich bin die Tochter eines Ritters, der jenseits dieser Gebürge die Burg seiner Väter bewohnte. Früh verlohr ich meine Eltern, deren einziges Kind ich war. Theudulf, ein edler Jüngling, aber weit edler durch sich selbst, als durch seine Geburt, warb um meine Hand; daß er mein Herz hatte, wußte er schon. Der Sohn meines Vormunds wollte sie ihm streitig machen. Der Nichtswürdige besas vor ihm keinen andern Vorzug, als einen stärkern Arm. Zween Tage vor unsrer Vermählung forderte er ihn zum Zweikampf, und erschlug ihn. Nun, guter Vater, wollt Ihr mich noch trösten?«

Char. Nein, meine Tochter, das kann ich nicht, wohl aber das Schicksal Deines Bräutigams beneiden, er starb für seine Geliebte, ach! das konnte ich nicht. Höre nun auch mein Schicksal; lang mußte ich es bekämpfen, ehe ich siegte. Diesen grauen Scheitel schmückte einst auch ein 171 ritterlicher Helm, und mein Schwerdt hat mehr als einmal die Unschuld beschützt; aber eben das Herz, das keine Gefahren kannte, schmolz bei dem ersten Blicke der holden Adelgunde. Ach sie war eine der schönsten Blumen in Gottes Garten, und ihre Seele . . . . wenn Dir jemals im Traum ein Engel erschien, so sahst Du das Bild ihrer Seele. Sie thronte ganz auf ihrer weißen, offenen Stirne und in ihrem sanften, himmelblauen Auge. Ich begegnete ihr zum erstenmal am Ehrentage meines Waffenbruders, des Grafen von Pfirt, der ihre älteste Schwester heirathete. Adelgunde verließ damals kaum dieses Kloster, darin sie von ihrer Muhme erzogen wurde, die ihm als Aebtissin vorstand. Ihr Vater bestimmte sie dem Schleier; er hatte keinen Sohn und alle seine Güter seinem neuen Eidam zugedacht. Der Ehrgeitz, der sein ganzes Herz füllte, ließ keinen Raum für die Gefühle der Natur darin übrig. Adelgunde kannte keinen andern Beruf als das Kloster, und hätte ihre zärtliche Mutter sie nicht auf einige Monden zurückgefordert, so würde sie vielleicht nie seine Mauern verlassen haben. Beim Hochzeitfeste meines Freundes ernannte das Loos mich zu ihrem Ritter. Ich hätte diese Ehre mit keiner Krone vertauscht. Ich bediente Adelgunden mit der zärtlichsten Emsigkeit; allein weder beim Gastmale 172 noch beim Tanze schien sie auf meine Dienste zu achten. Ihr Auge antwortete dem meinigen nicht, und mein Händedruck blieb unerwiedert. Beim Ringelrennen erhielt ich den Dank aus ihrer Rechten; ich küßte sie, und fühlte, daß die Hand ihr zitterte. Die Farbe des Morgenroths überzog ihr Gesicht; allein im folgenden Augenblicke schien sie wieder so kalt wie zuvor. Ritter und Knappen drängten sich um sie her, alle hatten mein Loos beneidet, aber keiner war glücklicher als ich. Adelgundens Gleichgültigkeit gegen meine Nebenbuhler nährte meine Hoffnung. In den folgenden Tagen besuchte ich sie öfters; sie empfieng mich immer freundlich; allein ich durfte das als keinen Vorzug betrachten: anders konnte die Holdselige niemanden empfangen. Ich wandte mich an ihre Mutter, ein edles, trefliches Weib, das unter dem Joch eines rohen, herrschsüchtigen Gemahls seufzte. Ich entdeckte ihr mein Herz und meine Wünsche. Mein Namen und mein Vermögen konnten diesen Schritt entschuldigen: ich wurde mit Güte angehört. Nun schwieg ich, und erwartete mit klopfendem Herzen ihre Antwort. Bertha schwieg auch: aber eine Thräne, die ihr ins Auge trat, ließ mich mein Unglück ahnen. Endlich sammelte sie ihre Kräfte: Herr Ritter, sagte sie, wenn Ihr die Ruhe meiner Tochter und meine 173 Ruhe liebet, so entsaget einem Wunsche, der mich nur darum betrübt, weil ich ihn nicht erfüllen kann. Adelgunde ist dem geistlichen Stande gewidmet, und das unschuldige, fromme Kind ergab sich bisher willig in seine Bestimmung. Sie würde ihr zur Marter werden, wenn ein Mann den Weg zu ihrem Herzen fände. Könntet Ihr meinen Gatten gewinnen, dann, Herr Ritter . . . . Doch ich habe schon zuviel gesagt, weil ich weiß, daß sein Vorsatz unbeweglich ist.

Diese Antwort schlug meine Hoffnung nieder, ohne sie zu zerstören. Ich beschloß, einen Versuch bei dem Vater zu wagen. Als den Freund seines Eidams duldete er mich, ohne mich zu lieben. Mehrmals wollte ich ihn sprechen, fand ihn aber nie allein, und so oft ich seine Tochter bei ihm antraf, vergaß ich mein Geschäfte bei dem Vater. Es schien mir, als ob ich ihrem Herzen allmählich näher käme, und nun fürchtete ich mich vor einem Schritte, der mich auf immer von ihr entfernen konnte. Eines Tages kam ich auf die Burg. Bertha sagte mir, ihr Gemahl sey mit Adelgunden im Garten: ich eilte hinunter, und fand nur das Fräulein, den Vater hatte man abgerufen. Sie saß auf einer Rasenbank in einem dunkeln Gebüsche, und fütterte eine Hecke junger Vögel, die mit frohem Gezische um sie herflatterten. 174 Sie hatte sie geätzet und zahm gemacht. Selbst meine Ankunft verscheuchte die traulichen Geschöpfe nicht, nur Adelgunde erschrack. Ich setzte mich neben sie, und bat um die Erlaubniß, ihr holdes Geschäfte mit ihr zu theilen.

Charibert hielt inne, sein Auge trübte sich, seine Brust klopfte laut. Erlaß mir, sprach er, erlaß mir, unglückliche Freundin, eine Erzählung, die für uns alle beide eine Marter seyn würde. Kurz, ich vergaß bei Adelgunden die Bitte ihrer Mutter: ich öffnete ihr mein Herz, und las in dem ihrigen. Nach einer halben Stunde, der einzigen glücklichen meines Lebens, wechselten wir unsere Herzen, und sie ertheilte mir mit schüchterner Stimme die Vollmacht, bei dem Vater um ihre Hand anzuhalten. Ich knieete zu ihren Füßen, und gelobte ihr ewige Treue. Ein Geräusch, das wir in der Nähe vernahmen, schröckte mich auf; Adelgunde erblaßte. Mit zitternder Hand winkte sie mir, mich zu entfernen. Ich gehorchte, mein irrender Schritt führte mich in eine Bogenlaube. Hier fand ich ihren Vater; er warf mir einen wilden Blick zu; Grimm und Wuth zuckten in jeder Falte seiner Stirne. Ich weiß, was Ihr mir sagen wollt, grunzte er mir entgegen, hört meine Antwort. An eben dem Tage, da Ihr meine Burg wieder betretet, werde ich Adelgunden 175 auf ewig in ein Kloster verbannen. Hastig wandte er mir den Rücken zu, und ließ mich starr wie die Bildsäule des Schreckens in der Laube stehen. Ich erwachte aus meiner Betäubung, aber blos für das Gefühl der Verzweiflung und der gekränkten Ehre: die Rache kochte in meinem Busen, die Liebe erstickte sie. Ich schlich mich hinweg von diesem Orte der Seligkeit und der Verdammniß; aber bloß die Martern des Verdammten folgten mir in meine Wohnung. Alle meine Hoffnungen waren dahin, ich konnte mein Schicksal, ich konnte mich selbst nicht ertragen. Adelgunden durfte ich mich nicht nähern, ich schrieb an sie, und wiederholte ihr meine Gelübde. Die Vorsicht, womit ich ihr das Pfand meiner Treue in die Hände zu spielen suchte, war fruchtlos. Mein Brief wurde aufgefangen, und Adelgunde in dieses Kloster verbannt. Ich betrachtete mich als den Urheber ihres Unglücks. Ein Versuch, sie zu befreien, mißlang mir, und vermehrte die Wuth meines Feindes. Er belagerte mich in meiner Burg: sein Eidam begünstigte meine Flucht. Der Tod allein konnte meine Quaal endigen: ich suchte ihn im Kriege, und fand nur Wunden und Bande. Nach zwei Jahren brach ich meine Ketten. Als ein Pilger verkleidet, kam ich in mein Vaterland zurück, ich näherte mich diesen Mauren, ich klopfte an die 176 furchtbare Pforte, und bat um ein Almosen. Die Thürhüterin reichte mir ein Brod und einen Trunk. Ich ließ mich mit ihr in ein Gespräch ein, und erfuhr, daß Adelgunde schon über ein Jahr den Schleier angenommen habe. Die Nachricht von meinem Tode, die sich durch das ganze Land verbreitete, hatte ihren Entschluß beschleunigt. Es wäre Grausamkeit gewesen, dieses Gerücht zu widerlegen. Ich war ja ohnehin todt für die Welt, was blieb mir übrig, als mich neben meiner Geliebten zu begraben. Hier im Angesichte ihres Gefängnisses baute ich mir eine Klause, aus der ich ihre Zelle stets im Auge hatte. Oft sah sie der Arbeit des neuen Siedlers von ferne zu, ohne ihn zu erkennen: aber mein Herz und meine Blicke erkannten sie. Erst nach drei Jahren, da der Name des Bruders Anton den Bewohnerinnen des Klosters bereits lieb geworden war, wagte ich es einst, seine Kirche zu betreten. Mein Bart und die kärgliche Kost hatten meine Gestalt unkenntlich gemacht. Ich sah meine Adelgunde im Chor: schön wie eine Verklärte stand sie da, und sang die heiligen Hymnen; steif war ihr Auge auf mich geheftet, und der Psalm erstarb in ihrem Munde. Ich sah es: meine Gebeine zitterten: ich hatte kaum die Kraft, mich zu entfernen. Fünf lange Jahre verfloßen, ehe ich wieder den Tempel des Klosters besuchte. 177 Ich war indessen ein anderer Mensch geworden; eine höhere Macht hatte meine Seele geläutert und ausgerüstet. Ich sah nun Adelgunden, ohne zu beben: ich liebte sie noch, aber wie man einen Engel liebet. Ich wagte es sogar, eines Tages sie an das Sprachgitter rufen zu lassen. Sie erschien. Ich entdeckte mich ihr; wir weinten beide bittersüße Thränen. Adelgunde, meine Schwester, sagte ich zu ihr, schon acht Jahre athme ich die Luft, die Du athmest; sie nähret meine Liebe zu Dir: aber diese Liebe ist nicht mehr, was sie war: sie ist in ein hohes himmlisches Gefühl umgewandelt, vor dem Du nicht erröthen darfst, und das mich in eine Welt begleiten wird, wo keine Gitter, keine Mauren uns trennen werden. Gedenke meiner in jeder Mitternachtsstunde, wenn die feierliche Glocke Dich ins Heiligthum ruft, auch ich werde dann Deiner gedenken, und wenn der Seiger Mittag schlägt, so zeige mir Dein Antlitz am Fenster Deiner Zelle; täglich wird mein Auge Dir da begegnen. Aber nur einmal im Jahre werde ich hier Dich besuchen. Sie streckte mir ihren Finger durch das Gitter: ich preßte ihn an meine Lippen, ich netzte ihn mit meinen Zähren. Nun sind uns mehr als zwanzig Jahre unter diesem seligen Umgang verflossen. Adelgunde ist indessen die Aebtissin des Klosters 178 geworden, das ihre Tugend zum Paradiese macht. Sie wird von ihren Schwestern als eine Heilige und von den Armen als eine Gottheit verehrt. Niemand kennet unser Geheimniß als Du, holde Pilgerin, Deine Leiden machten Dich werth, es zu erfahren, und in Adelgunden einen Engel des Trostes zu finden. Sie wird es Dir seyn, wenn Du ihr Dein Herz aufschließen und ihr sagen wirst, daß ich Dir das meinige aufgeschlossen habe. Sage ihr dann auch, daß ich noch nach meinem Tode, daß ich noch nach Jahrhunderten das Geschäfte forttreiben werde, das mir das süßeste auf Erden war. Siehst Du diesen Stein, aus dem ein keimender Siedler hervorwächst,Diese Bildsäule ward erst 1793 durch den Vandalismus zerstört. siehst Du, wie sein Auge an dem Fenster klebet, aus dem Adelgundens Auge ihm heute noch begegnete. Wenn ich das Bild vollendet habe, so bleibt nur noch eine Arbeit mir übrig – mein Grab. Zu des Bildes Füßen sollen meine Gebeine ruhen, und Adelgunden trage ich die Sorge auf, sie mit Erde zu decken. Sage ihr dieses, meine Tochter, aber erst dann sage es ihr, wenn das Glöckchen am Eingange meiner Grotte, das ich täglich um die Mittagsstunde anziehe, verstummt seyn wird. Dann wird meine Wallfahrt 179 vollendet und der Seiger meines Lebens abgelaufen seyn.

Charibert schwieg, und Hildegard drückte dankbar seine Rechte. Er legte sie auf ihren Scheitel, und gab ihr seinen Segen. Nun wandelte sie mit feierlich säumendem Schritte nach dem Kloster, dessen Thurmspitze bereits die graue Dämmerung umhüllte. Adelgunde empfieng sie als eine Tochter, und bald wurde sie ihre Freundin. Ihre Seelen waren die einzigen, die sich verstanden: sie brauchten sich ihre Gefühle nicht mitzutheilen; jede fand die ihrigen im Busen der Freundin.

Nach drei Jahren, am Tage der Himmelfahrt, verstummte das Glöckchen vor Chariberts Grotte. Adelgunde bemerkte es zuerst: er ist mir vorangegangen, sagte sie zu ihrer Vertrauten: in der Mitternachtsstunde, wenn die Schwestern im Chor versammelt sind, folge Du mir in seine Klause. Die ernste Stunde schlug, und Hildegard begleitete Adelgunden mit einer Lampe, deren matter Strahl wie der Blick eines Sterbenden aus den Schatten des Todes hervorschimmerte. Sie fanden den Leichnam mit gefalteten Händen auf seinem Bette liegend: seine Augen waren geschlossen, aber auf seiner Stirne thronte sichtbar Gottes Friede. Sie benezten den Schlummernden mit ihren Thränen, und versenkten ihn in die 180 Grube, die schon lange ihn erwartete. Hildegard ergriff den Spaten, der in der Clause lag, und bedeckte die Leiche mit Erde. Auf den Grabhügel verpflanzte sie die Violenstäudchen, die das kleine Gartenbeet einfaßten. Sie schlugen Wurzeln, und breiteten einen blauen Teppich über den Hügel. Ihr Duft erquickte noch spät den müden Waller, der an der heiligen Stätte ausruhte; und als Adelgunde im folgenden Frühling in Hildegards Armen einschlief, schmückte sie den Busen der Vollendeten mit einem Strauße von diesen Blumen. 181

 


 


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