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Sechstes Kapitel

Anfang November fiel der erste Schnee, und wenige Tage darauf erschien schon das erste Wild an der Raufe, allerdings nur G'raffl, wie der Graßl sich ausdrückte, Tiere mit ihren Kälbern, Schmalstückl, zu denen sich hie und da ganz schüchtern ein Reh gesellte.

Die warme Stube, der »Greif« aus der Ofenbank, der mit sehnsüchtigem Blick jede Bewegung seines Herrn nach den Gewehren beobachtete, außen bis dicht zu den Fenstern das Wild, dem sich bald ein paar bessere Hirsche beigesellten, das Jägeridyll war fertig.

Endlos senkten sich die weißen Flocken, man mußte erst abwarten, bis es aufhörte, dann aber galt es, fleißig die Runen im Schnee zu lesen, die ihn völlig aufklären sollten über den Wildbestand. Trat einmal der Gamsbock richtig auf die Brunft, dann ging es auf die Höhen; darauf freute er sich schon lange.

Die Burgl blieb auffallend lang fern, zu lang für Schönau; er empfand wahrhaftig etwas wie Sehnsucht. So weit kann man in der Einöde kommen, belog er sich zu seiner Entschuldigung selbst.

Als er sie aber einmal wirklich durch den Schnee stapfen sah, da schlug ihm ordentlich sein Herz, und er empfing sie mit einem Jubel, den sie auffallend schroff zurückwies. Sie komme nur im Auftrag des Försters, ihn zum Wildriegeln einzuladen.

»Aber setzen können Sie sich doch.« Er nötigte sie auf einen Stuhl, als aber die Lisl eintrat, sprang sie schon wieder auf.

Jetzt war die Geduld Schönaus zu Ende. Es drängte ihn ordentlich zu einer Tat in dieser lauen Ofenwärme. So ergriff er rasch die Hand Burgls und die der Lisl, legte sie ineinander und hielt sie fest: »Und jetzt macht ein Ende mit eurem feindseligen Wesen. Die Lisl hat gebüßt für alles, und Sie, Burgl, sind ein viel zu gutes, liebes Geschöpf, als daß Sie ihr Ihr Mitgefühl versagen könnten.«

Die beiden sahen sich ganz ratlos an, in Lisls Gesicht zuckte es verdächtig, Burgl wurde feuerrot.

»Na wird's?« Schönau sprach es in ganz strengem Tone.

Da lagen sie sich plötzlich in den Armen, und Lisl weinte die hellsten Tränen, um dann jäh, die Hände vor den Augen, als schäme sie sich ihrer Rührung, aus der Stube zu stürzen. Burgl blieb in arger Not zurück. Jetzt stieg wieder der Verdruß in ihr auf über die Macht, die dieser Mann über sie hatte.

Schönau fühlte ihr nach und ergriff ihre beiden Hände. »Ich dank' dir, Burgl, schau, ich brauche Frieden, notwendiger noch, als die Lisl. Es ist da so allerhand drinnen –«, er drückte beide Hände gegen die Brust, »was nicht in Ordnung ist. Ich – ich fühle mich so glücklich hier –« stieß er heraus, »und das – das soll nicht sein, das verdiene ich nicht – noch nicht –«

Das war für Burgl eine neue Sprache. Sie verstand sie nicht ganz, aber sie wirkte mächtig auf sie. Es kam etwas wie Mitleid über sie mit dem jungen Mann vor ihr, der seltsame Gedanke, als ob sie ihm zu irgend etwas helfen, ihn vor irgend etwas retten müsse. Sie war sich der Gefahr solcher Empfindungen gar nicht bewußt.

Es war schwül geworden in der Stube. Schönau öffnete das Fenster und atmete die frische Waldluft ein, es war über ihn ganz plötzlich wie ein Schwindel gekommen, dessen er sich selber schämte. Er fühlte sich wirklich erleichtert, als Graßl eintrat und Rapport über seinen Reviergang machte.

Die Gams waren schon in Bewegung, die guten Böcke suchten schon die Rudel auf. »I weiß gar net,« meinte der Graßl, »kommt's grad mir so vor –, d' Luft da herinn is so stikat, das mach'n grad die Weiberleut', auf'm Berg is so viel schön, da bekomm'ns gleich wied'r a bessre Farb', no g'sund sein, is doch die Hauptsach'.«

Schönau mußte ihm vollauf recht geben. Er war in den letzten Wochen in ein gefährliches Spintisieren hineingekommen über sein Recht, sich ganz von der Welt zurückzuziehen und nur der Jagd zu leben, er fand allerhand locker daran. Das war doch eigentlich Selbstaufgabe in seinem Alter.

Der Graßl beruhigte ihn wieder, ganz recht hatte er, gesund sein ist die Hauptsache, und das war er noch lange nicht, das mußte er erst hier werden an der unverfälschten Quelle des Lebens, die hier sprudelte, und wenn ihm die Jagd dazu verhelfen sollte, so hieß das einfach die Rückkehr zur schlichten Natürlichkeit und Abhärtung des Leibes, und der Seele neue Kraft, gesunde Ausladung eines starken Temperaments, verhalf ihm die Jagd dazu, das Leben in der großen, freien Bergnatur, so war das ein so wohlschmeckendes Heilmittel, wie er es sein Lebtag nicht verdient.

So stürzte er sich förmlich in den »Dienst«, wie er sich ausdrückte. Ja, er wollte dienen, dienen wie der niederste Jagdknecht. Er bat den Förster dringend, ihn als solchen zu verwenden und ihm seine strikten Aufträge zu geben, und nichts verdroß ihn mehr, als daß der Sollacher nur den Baron Schönau, den ehemaligen Offizier, den Freund des Herzogs in ihm sah, der nur zu seinem Vergnügen hier sei.

Da kam die Gamsbrunft gerade recht, er hatte es satt, wie ein Kavalier geführt zu werden, und verbat sich sogar die Begleitung Graßls, der darüber nicht wenig ungehalten war. So packte er seinen Rucksack mit dem Notwendigsten, warf Büchse und Wettermantel um und schlich nach rückwärts ungesehen aus dem Hause. Das erste Wildkalb näherte sich bereits der Futterraufe und sprang schreckend in den Wald zurück, in dem nun auf allen Seiten flüchtige Schalen laut wurden.

Da war er richtig schon an die Lisl geraten, die aus dem Hause kam, um nach dem Grund der Störung zu sehen. Sie bat ihn, wenigstens seinen Aufenthalt anzugeben für den Fall, daß eine Nachricht käme, und überhaupt für alle Fälle, die Gemsjagd sei doch eine ernste Sache.

Das freute ihn, das wollte er ja, eine ernste Sache. Er gab die Wennebrandhütte als sein Standquartier an, von da aus wollte er das Gebiet des hohen Miesing begehen.

»Das is a ganz kritisch'r Berg, das weiß i noch von mein' arm'n Maxl her,« erzählte die Lisl. »Mein Gott, da hat er ein' gut'n Gamsbock ob'n g'habt, an ganz b'sondern halt, seit Jahr'n, sag'n die Leut', is das G'red davon ganga, es soll net ganz richtig mit dem Bock g'wes'n sein. Die ein' hab'n g'sagt, goldene Kruck'n hat er, andre wied'r, die Kruck'n so hoch wie a Mistgab'l, an Schatz hätt' er zum Hüt'n unter der groß'n Wand, grad wo d' Eiskapelle sich dran anlehnt. – G'schwätz halt, aber soviel is doch dran, daß 's ein g'fährlicher Platz is, das hat der Maxl mir selb'r zugeb'n, und oft is er ihm z'lieb ganga, und alleweil hat's was B'sonders g'habt. G'fehlt, versagt, bald hätt' er 'hn gleich über die Wand' unter g'rennt –«

Schönau hörte ihr andächtig zu: »Und soll er noch leben, der verzauberte Bock?«

»Hab' weit'r nix g'hört, daß ihn ein'r umbracht hätt'.«

»Bei der Eiskapelle? Was ist die Eiskapelle?«

»Das weiß i wieder net, Herr, nur soviel hab' i g'hört, daß 's oft noch ganz off'n is, so daß ma neinseh'n kann in die ganze Pracht. – Das soll aber nur an Sonntagskind g'linga, sonst is a richtig's Gletscherloch, drüb'r is Eis und Schnee, aber betrügsam is, und vor kurz'r Zeit soll mal ein'r durchbroch'n sein, wenn ihn net der Gamsbock nunt'rg'stoß'n hat – –«

Jetzt hatte Schönau des Wunderbaren genug. Er hatte ja so etwas für sein Leben gern, das gab ja dem Hochgebirge seinen großen Reiz, dieses Gewebe von Sagen, von Dichtung und Wahrheit. Um das alles voll zu empfinden, sich in die rechte Stimmung zu versetzen, mußte man allein sein, nur dann durchdrang das Auge das Gebirge, als ob es Kristall wäre, und sah die geheimnisvollen Schätze, die es barg; nur dem Einsamen erschien der Gemsbock mit dem goldenen Horn.

Unterwegs begegnete ihm der Vent, welcher auf der Alm das Schindeldach zu reparieren hatte, und brachte ihn schnell wieder auf reellere Gedanken. Was er denn neulich mit der Burgl gemacht habe, ganz verdraht is' aus der Waldei komma, die Augen noch naß. »Ja, Herr, mach'ns ma das Madl net unglücklich, es verdient wahrlich was Bessres.«

Schönau wehrte ihm seine alberne Rede, für wen er ihn denn halte.

Doch der Vent ließ sich nicht abbringen davon. »Mein Gott, des hätt's schnell bei so an arm'n Madl. Der Vater tät's glei' aus'm Haus jag'n. Ja, wenn's net der Baron Schönau wär'n, dann sagat i, Franzl heirat's, du kriegst kei Bessre net, werd' Jagerbauer und spuck auf die ganze Welt, – jawohl – das sagat i.«

Schönau antwortete nichts darauf, aber die Bilder, die die Worte in ihm wachriefen, verließen ihn nicht mehr.

Bald bog der Weg ab in die Wennebrandhütte. Er war zum erstenmal allein! Jetzt galt's die Probe. Die gewöhnlichen Bereitungen in der Stube, das Holzmachen, Feueranschüren, Abkochen kam jetzt ihm zu. Es war gewissermaßen die erste Arbeit seines Lebens, und sie erfüllte ihn mit einer Genugtuung, über die er selbst lächeln mußte.

Jetzt war er erst einer! Er stopfte sich zum Lohn eine pfeife, löffelte seinen Schmarrn aus und gab sich dann der stoischen Ruhe hin, die er an den Holzknechten so oft bewunderte. Und wahrhaftig, es ging. Er stierte in das verglimmende Feuer, sah den tanzenden Funken zu, wie sie an den glimmenden Scheiten entlang liefen, und dachte nichts – gar nichts – nichts Böses, nichts Gutes, bis ihm die Augen zufielen. Und dann in den »Kreischter«, in das frischaufgeschüttete Heu, und die Glieder gereckt, daß sie knackten. – Das war herrlich! Nie erquickte ihn der Schlaf so, und als er bei Tagesanbruch sich erhob, federte jede Muskel in seinem Leib.

Und jetzt auf Gams in dem herrlichen schneestarrenden Morgen. – Ja, was gibt es denn noch Schöneres? Was sucht er denn noch immer nach dem Glück? Er hielt es ja fest zwischen den Fingern.

Hat die Welt je nach ihm gefragt? Also –, was fragt er nach der Welt! Einen frischen Rahmen in den »acht Millimeter«, hinaus in die herrliche Bergwelt, und alles häßliche Gewürm aus der Seele, das ihn immer wieder umnagt!

Der Ostabhang des Wennebrand mit seinen Latschenfeldern, Geröllhalden, steilen Wänden und Gräben war ein hervorragendes Gemsrevier.

Jetzt, zur Zeit der Brunft, handelte es sich um das sonst vom Jäger gering geschätzte Geraffl, das heißt soviel, als in Rudeln stehendes Jungwild. Hat man ein solches unbemerkt angebirscht, dann war es nur eine Frage der Zeit und des unentwegten Aushaltens, trotz Kälte und Nässe, der richtige Bock kam sicher einmal, um nachzusehen.

Schönau kannte von der Hirschbrunft her jeden Winkel. Unter der weißen Wand wimmelte es von Gemsen, Jährlingen, Kitzgeißen mit ihrer Jugend. Ein dreijähriger Bock hatte augenblicklich die Herrschaft und umkreiste gemessenen Schrittes die Schar, dann und wann einen kleinen Angriff machend. Der blieb wohl nicht der Held des Tages. So suchte Schönau sich einen heimlichen Winkel im Gestein, von dem aus jede Bewegung des Rudels genau zu beobachten war. Die Birsch hätte ihn wohl mehr gereizt, dieses freie Streifen und Wagen, aber er wollte sich einmal auf seine Ausdauer prüfen; außerdem war es ihm gar nicht darum zu tun, gleich heute zu Schuß zu kommen, im Gegenteil, er wollte die Einsamkeit recht auskosten.

Es hatte auch ganz den Anschein, als erfülle sich sein Wunsch. Das Rudel vor ihm verzog sich teilweise in die Wände und Gräben, so daß es seinem Blick entschwand, zuletzt blieb nur noch eine Kitzgeiß übrig, die sich mit ihrem Kleinen behäbig in der Sonne streckte, deren Strahlen auf den Schnee niedersengten.

Gerade gegenüber ragte der große Miesing, der Riese, auf, sein breiter Rücken war in Neuschnee gehüllt. Da und dort flitzte ein schwarzes Gams über eine Schneereife. Da gedachte er der Eiskapelle und fing an, mit dem Perspektiv danach zu suchen. Das war die große Wand, die kerzengerade abfiel, und dort, wo sie einen Winkel machte, dicht daran angelehnt eine schneeweiße Kuppel, mehr ein schräges Dach, sichtlich aus Eis und Schnee fest zusammengebacken. Eine rege Phantasie konnte aus der Form eine Kapelle herausbekommen, aber ihre Pforte war dicht verschlossen. Den Blick in das Innere hatte wohl noch niemand getan, das war eben die Sage! Aber eine Gemsfährte erblickte er ganz deutlich, sie zog sich wie eine Schnur durch den von der Sonne grell beschienenen Schnee, gerade auf die Eiskapelle zu. Er verfolgte sie mit dem Glase. Sie führte über das schräge Dach deutlich sichtbar und verschwand dann in den Wänden.

Das war wohl der Gamsbock der Lisl, der mit den goldenen Krucken! Er lachte und ließ doch den Blick nicht von der Fährte, der Zauberbock könnte ja zurückkommen, und sehen möchte er ihn doch! Im ganzen Tal war er ja bekannt, wer ihn schießt, der ist der Held des Tages, und die goldenen Krucken und den Bart bekommt die Burgl!

Jetzt freute ihn schon kein anderer mehr. – – Die Burgl! »Franzl, heirat's doch, du kriegst kei' Bessere net,« wurde der Rat des Vent laut. – –

Wenn er nicht der Baron Schönau wäre! Was doch so ein Titel alles ändert, wie unfrei er eigentlich macht, welche Opfer er fordert, und was er dafür leistet. Und doch ist etwas daran, etwas Ehrwürdiges, etwas Tüchtiges, das man nicht gering schätzen darf, etwas Unüberwindliches, – da stockte er. Unüberwindliches, wenn eine heiße Liebe, er hat sie ja noch nie gefühlt, – wenn eine heiße Liebe, ein fester Glaube an ein Wesen – – –

Da riß es ihn herum! Ein Bock blätterte durch das Gewänd über ihm herein. Die Kitzgeiß sprang auf und stieß das ahnungslose Kleine mit den Krucken, bis es, steif sich dehnend, sich ebenfalls erhob. Jetzt erschien der Bock in einer Felsrinne, blieb stehen und musterte die ganze Gegend. Die Kitzgeiß schien ihn nicht sehr zu locken, er hoffte sichtlich auf jüngere Ware, plötzlich kam er in steifen Sprüngen herab, etwas Kampfbereites lag in seiner ganzen Bewegung. Jetzt entdeckte Schönau den Grund, der Dreijährige war wieder zurückgekehrt, ihm galt der Zorn des Starken, der jetzt den Schnee mit den Läufen schlug, um plötzlich wie der Sturmwind herabzufliegen, gerade dem Gegner entgegen.

Der hielt sich tapfer für seine Jugend, senkte den Grind und legte die Krucke aus zum Angriff. Der gute Bock stutzte, vom Rücken wehte ihm ein so prächtiger Bart, daß Schönau den Schuß nicht lassen konnte. Der Bock sank auf dem Fleck in sich zusammen. Der Dreijährige äugte erst starr auf den Gefallenen, dann sauste er in die Tiefe.

Schönau kam zu keiner rechten Freude, der war doch zu leicht erworben, und es blieb ihm nichts übrig, als ihn selbst nach Hause zu tragen. So brach er ihn auf und trat, den Rucksack zum Platzen voll, den Heimweg in die Hütte an.

Diesmal war es klarer Tag, und niemand saß vor der Hüttenbank. Auch der Graßl fehlte ihm, öd und kalt grinste ihm die Stube entgegen. Er war wahrhaftig zum Einsiedler noch nicht reif, wird es wohl nie werden als unverbesserlicher Weltling.

Die Sonne war schon hinter das Kar gesunken, er hatte länger, als es ihm vorkam, auf dem Stand gesessen, so machte er nicht mehr Feuer, sondern nahm die Mahlzeit aus dem Rucksack, zündete sich eine frische Pfeife an und schwang den Gamsbock auf den Rücken.

Ehe er den Platz verließ, warf er noch einen Blick hinüber aus den Miesing. Die Eiskapelle erglänzte jetzt von der untergehenden Sonne. Ein buntes Farbenspiel! Das Bild zog ihn mächtig an, und plötzlich, gerade als er das Glas absetzen wollte, sprang ein kohlschwarzes Gams herein, genau in die alte Fährte, er sah es sich genau an. Das war er, der sagenhafte Bock, und jetzt sah es wirklich aus, als ob seine Krucke leuchtete wie Gold im Abendsonnenglanz!

Den mußte er sich holen, das war vielleicht sein Glücksbock! Und die geheimnisvolle Kapelle öffnete sich vielleicht für den glücklichen Schützen, und er durfte ihre ganze Pracht bewundern. Er war von jeher ein Freund des Absonderlichen, und Märchen waren von Kind auf seine größte Freude; warum soll er nicht einmal eins erleben, nur allein muß man sein, nicht immer nach Menschen begehren wie er, sonst öffnet es nicht seinen wunderbaren Schrein.

Der Bock war schwer, und Schönau freute sich über jeden Tropfen Schweiß, den er vergoß. Das war doch endlich einmal Arbeit, nach der ihn immer so verlangte. Im Dorf umringte ihn rasch eine Schar Jungen, deren Geschrei auch die Alten herbeilockte. Der »Baron«, der seinen Bock selber vom Wennebrand herunterbrachte, das imponierte!

Auf der Post wurde rasch eine Stehmaß getrunken, die Krucken vor allem einer genauen Prüfung unterzogen, ein halber Zentimeter mehr oder weniger war da eine große Wichtigkeit.

»Könnt' glei' der von der Eiskapell'n sein,« meinte ein Junger, »was weiß man – –«

»Natürlich, ihr Jungen habt's imm'r glei',« sagte ein älterer Bauer, »der schaut nacher do' ganz anders aus, der von der Eiskapell'n.«

»Hast 'hn denn scho' g'seh'n, mit sein'r goldnen Kruck'n, gel?« höhnte der Junge, von seinen Kameraden unterstützt.

»Rotz'r seid's, elendige,« schimpfte jetzt der Alte los, »laßt den Kapell'nbock in Ruh, der is net z'neid'n, der den derschiaßt.«

Die Jungen lachten über den abergläubischen Alten und meinten, der Baron solle doch mit dem »schiechen Aberglauben« ein Ende machen, wegen dem sie von den Draußigen allweil so verhöhnt worden seien. »Wer woaß, ob er net grad auf Ihna wart',« meinte ein ganz verschmitzter Bursche, dem das Hütl auffallend keck auf dem Kopfe saß.

Schönau hörte den Spott wohl heraus und sah sich den Burschen genau an – auf alle Fälle.

Jetzt freute er sich auf die Burgl, was sie wohl sagen wird – aus der ersten Birsch! Ein guter Gemsbock war hier zu Lande ein vielumworbener Preis, seine Erlegung eine Tat, die mit einem gewonnenen Rennen wohl konkurrieren konnte, und zuletzt bildet doch jedesmal der Lebenskreis, in dem man sich befindet, den einzigen Maßstab. Er mußte sich energisch der Anerbietungen, den Bock nach Hause zu tragen, wehren, und schwang sich den zum Platzen gefüllten Rucksack auf die Schulter.

Das imponierte. Der war nicht der rechte Mann für ihre ständigen Hänseleien, das sahen sie alle ein, da war es schon gleich besser, sich gut mit ihm zu stellen, obwohl er ein Ausländischer war, den man noch mit mißtrauischen Augen betrachtete.

Schönau machte den Umweg über den Jägerbauernhof, Burgl sollte die erste sein, die seine Beute zu sehen bekam. Er hatte jetzt eine ordentliche Sehnsucht nach ihr. Das ging überhaupt nicht, daß sie den ganzen Winter die Waldei mied. Da fiele ja ein Hauptfaktor seiner Kur weg. Er wollte doch nichts von ihr, als den segensreichen Einfluß ihrer Frische, ihres geraden, unverbildeten Wesens, er fühlte sich jetzt völlig rein von allen häßlichen Nebenabsichten.

So schritt er mit seiner Last auf dem Rücken, freudig wie ein Kind, voll Wohlbehagen dem Hofe zu.

Es dunkelte schon, als er den Berg hinaufstieg, aber noch bemerkte er kein Licht in der Stube. Könnte sie ihm nicht ein glücklicher Zufall entgegenführen? Wenn der Alte dabei war, hatte er nur mehr die halbe Freude.

Richtig, da stand er schon unter der Haustüre, seine Pfeife schmauchend.

»Na, weil's nur glücklich da sein, Burgl is schon ganz ausanand und d' Lisl erst, der fehlert grad noch so was. Die größten Vorwürfe hat sie sich schon g'macht, von weg'n dem Eiskapell'nbock, von dem's Ihna erzählt hat. Wenden's Ihna a bißl –«

Schönau kehrte sich und der Bauer befühlte die Krucke. »I hab' schon glaubt – Na, der is net, da langt's bei weit'n net, i muß sag'n, so was seh' i nimm'r im Berg. Sie wiss'n, daß i kein Aufdrah'r bin, aber sakra, nach dem tat's mich selb'r g'lust'n, schon was ganz Extra's. Aber d' Eiskapell'n hat ihre Muck'n, allein tät i's Ihna schon gar net rat'n.«

Schon wieder der Zauberbock! Jetzt freute ihn die Last auf seinem Rücken gar nicht mehr. Er fragte nach der Burgl. Sie war in der Waldei, nach ihm zu fragen. So machte er es kurz ab mit den Bauern.

Im Walde war es schon ganz stockfinster, nur das erleuchtete Fenster in der Waldei wies ihm den Weg. Der bereits zur Sage gewordene Bock ging ihm nicht aus dem Kopfe. Er wußte ja, wie das oft so kommt, abergläubisch sind sie alle in den Bergen, aber die Lisl mußte ihm doch mehr davon erzählen.

Jetzt stand er vor dem Fenster und lugte hinein. Am Ahorntisch in der grellen Beleuchtung der Lampe saßen die Burgl und Lisl. Letztere erzählte wohl wieder einmal ihre ganze Leidensgeschichte, dem gramvollen Ausdruck in ihrem Antlitz nach, während die Burgl sichtlich kaum zuhörte und offenbar nach etwas in der Ferne lauschte, nach ihm, nach seinem Tritte. Zu ihren Füßen lag der »Greif«; so lieb er ihm als Begleiter, bei der Gemsbirsch war er ihm eher hinderlich, und deshalb ließ er ihn als Wächter zu Hause. Jetzt warf »Greif« den Kopf auf gegen das Fenster, im nächsten Augenblick mußte er ihn entdecken, auch paßte ihm die Lauscherrolle nicht. Er war doch neugierig, wie sein plötzliches Erscheinen auf Burgl wirken würde. Er klopfte sich nicht einmal die Schneeklumpen von den Füßen und trat rasch ein.

So hatte er sich aber die Wirkung doch nicht erwartet. Burgl sprang jäh auf, starrte ihn erst wie einen Geist an, um ihm dann in ungezähmter Wallung fast um den Hals zu fallen, dabei standen ihr die hellen Tränen in den Augen.

»So was! Einem so Angst mach'n, das is net recht, Herr, weil's einem auch so grusliche Sach'n erzählt, die Lisl. Und an Bock auch noch!« Sie prüfte die Krucke mit kundiger Hand.

»Der Kapellenbock ist es freilich nicht,« meinte Schönau.

»Das will i hoff'n,« erwiderte Burgl, »mit dem unheimlich'n Vieh möcht' i nix z'tun hab'n.«

»Unheimlich? Warum unheimlich?« fragte Schönau lachend. »Glauben Sie wirklich noch an das Märchen?«

»Jetzt setz'n Ihna amal, und den Bock weg.« Sie half ihm mit kräftigen Griffen von seiner Last. »So, und du, Lisl, kochst jetzt was Richtig's und holst a Bier aus dem Keller. No schleun' dich, schleun' dich a bißl, Lisl, der Herr hat Hunger und Durst.«

Die Lisl aber blickte noch immer mißtrauisch auf das Paar, das eine geheime Mienensprache führte, die ihr nicht gefiel, Die Worte des mit ihr so gnädigen Herzogs fielen ihr ein: »Pass' mir auf den Baron auf, ich werde dir's Dank wissen,« – und jetzt sah sie plötzlich eine Gefahr auftauchen, vor der sie ihren Schutzbefohlenen schützen mußte um jeden Preis.

Nur widerwillig entfernte sie sich, und Burgl verstand den mißtrauischen Blick wohl, den sie ihr noch unter der Türe zuwarf, jetzt stieg wieder der alte Groll gegen die verrückte Lisl in ihr aus.

»Was hat sie Ihnen denn wieder alles Schauerliche erzählt, Burgl; bei Gott, ich halt's nicht mehr lange bei ihr aus, ich habe ja Mitleid mit ihr, aber sie kommt mir immer wie eine Wächterin vor mit ihren mißtrauischen Blicken. Ich glaube, sie gönnt mir das bißchen Sonnenlicht nicht, daß Sie, wie immer, in die Waldei hereinbringen.«

»Sie haben's ja selb'r so g'wollt,« erwiderte Burgl, »der Jägerbauernhof war Ihnen ja net gut g'nug –«

»Nicht gut genug, mir?« Schönau sprach es mit tiefem Verdruß. »Kennen Sie mich denn immer noch nicht, was ich will, was ich suche – Gott, wie soll ich Ihnen denn das erklären. Ich – ich will zu mir selber kommen nach einem verfehlten, stürmischen Leben, ich will Ruhe bekommen da drinnen,« er drückte mit beiden Händen seine Brust, »aber dazu gehört doch auch ein bißchen Freude, ein freundliches Gesicht, wenigstens etwas, das einem Mut macht, den Glauben an sich wiedergibt, und sehen Sie, dazu langt nun einmal nicht die Jägerei, das fühle ich, so großen Genuß ich auch darin finde. Sehen Sie, das ist so, wenn ich mich auch abplage, daß die Muskeln schmerzen den Berg herauf, wenn ich dann dasitze und in die große Natur hinausschaue, oder erst wenn ich vor meiner Beute stehe, wie heute, dann bin ich glücklich, ohne Wunsch und dann – dann, wenn ich so nach Hause gehe durch den finstern Wald, dann kommt's anders, ganz anders, dann kriecht das Gewürm wieder heraus aus der Brust, ich möchte am liebsten schreien nach etwas, nach Glück, nach Befriedigung, nach – nach, – nach was, weiß ich, nach – nun ja, nach Liebe. – Verstehen Sie mich recht, nicht nach der Liebe, die ich kennen gelernt, nach – sagen wir, Freundschaft, Kameradschaft, nach einem Menschen – ja, nach einem Menschen, das will ich sagen, nach einem Menschen, der mich versteht, der mir helfen will.« – Er schrie es förmlich aus sich heraus, von einer plötzlichen Not erfaßt.

Burgl war erst fassungslos, solche Gefühlsausbrüche waren ihrem Lebenskreise völlig fremd, dann aber faßte sie Mitleid, sie verstand es wenigstens noch nicht anders, das Gefühl, das mächtig in ihr aufstieg.

Die Scheidewand fiel für einen Augenblick, die zwischen dem Baron und dem Bauernkind stand. Sie drückte seine Hand, die auf dem Ahorntisch lag, eine trotz allem Verbranntsein ungemein sensitive, aristokratische Hand, gegen die sich die ihre trotz aller Proportion ganz plump ausnahm.

»Wiss'ns, was Ihna fehlt, z' jach (hitzig) sind's. Jetzt soll auf amal all's ausg'löscht sein, der Baron, der Husar, die Wienerstadt, all's was amal war, und a ganz g'wöhnlich'r Jäger soll auf amal dasteh'n, fix und fertig, für den die Zell die ganze Welt is. Ja, das geht ja net. Mein'ns vielleicht mir gang's anders, wenn aus der Jagernbauerntocht'r auf amal eine – eine – no, eine – na ja, halt ein vornehm'ns Fräul'n werd'n sollt? Da kam i gut an, wie sich die wehr'n tät und d'Arm aufspreiz'n –«

»Und recht hätte sie, die Jägerbauerntochter, ganz recht,« erwiderte Schönau, von ihren klugen Worten gepackt, »weil es schade wäre um die Jägerbauerntochter, weil die Jägerbauerntochter ein tüchtiges Menschenkind ist, die nichts Besseres tun kann, als bleiben, was es ist, aber ich – ich, der Baron Schönau, der den Husaren ausgespielt hat, der seine Entlassung nehmen mußte, kann der etwas Besseres tun, als rasch aus seiner Haut fahren?«

»Ja, wenn nur gleich die andre pass'n tät, und er soll's auch gar net. Sein' Stand veracht'n, weil's einem drinn' net nausgang'n is, das passert mir wied'r net. Wenn i als a Baronin auf d' Welt komm'n wär –,« sie lachte seltsam auf, »auf die hätt' i mich anders einkreilt, wie jetzt auf die Bauerntochter, und den hätt' i seh'n mög'n, der mir z'nah komma wär.«

Sie glühte ganz in ihrer Erregung, und Schönau konnte den Blick nicht abwenden. Ein Vollweib! Wenn er nur die Hälfte von ihrem Selbstbewußtsein besessen hätte, – und zum erstenmal dämmerte ein Gedanke in ihm auf, eine Möglichkeit, vor der er sich doch wieder scheu in sich zurückzog.

Doch Burgl hatte sich einmal in hellen Eifer geredet, da ging ihr stets der Schnabel durch, wie der Vater sich ausdrückte.

»O, das hätt' i schon verstanden, das spür' i, d' Schlechteste wär i net word'n.«

»Danken Sie Ihrem Herrgott, daß Sie es nicht geworden, sondern das, was Sie sind,« meinte Schönau.

»O warum?« Sie lachte selbstgefällig. »Das bißl, was man so an Bildung und andrer Sach' dazu braucht, hätt' i mir a noch verschafft, – oder glaub'ns das net?« sagte sie herausfordernd.

»Von Ihnen glaube ich alles, alles.« Er sah Burgl mit ungeheuchelter Bewunderung an, »und so was lebt in Zell, während ich – –« Er sprach es wie im Traum. Dann sprang er jäh auf. »Burgl, du weißt ja nichts, ich bin ja ein ganz armer Teufel, den niemand mehr achten kann –«

Da faßte sie seine beiden Hände und sah ihn fest an. »Herr Baron, das sag'ns mir nimm'r, i acht' Ihna, nur a Bauerndirn, aber 's achtn, mein' i, kann ein'm niemand verbiet'n,« ihre Lippen zitterten.

Schönau hörte eine Botschaft aus den Worten, die ihn, so nahe sie ihm ging, doch mit Schrecken erfüllte. Jetzt kam ihm die Lisl wirklich nicht ungelegen, die auf lautlosen Sohlen herangeschlichen war und das Essen brachte.

Ein verlegenes Schweigen trat ein, das das Mißtrauen der Lisl nur steigern mußte: »Paß' mir nur auf den Baron auf,« hatte der Herzog gesagt. Sie war sich ihrer Mission jetzt voll bewußt, und sofort machte sich die weibliche Schlauheit in ihr geltend. Nur nix merken lassen, sagte sie zu sich selbst und setzte das Abendbrot auf den Tisch. Dann ging sie scheinbar arglos zu dem Gamsbock im Rucksack, der auf der Ofenbank lag, und betrachtete die Krucken.

»Der Kapell'nbock is 's net, so viel kenn' i auch,« meinte sie, nur um das drückende Schweigen zu unterbrechen. Da riß es Schönau förmlich herum, immer wieder der Kapellenbock, von allen Seiten mußte er davon hören, als ob er wirklich der Preis der Zeller Jägerei wäre. Dann muß er her, den muß er sich doch wenigstens holen, wenn er so bescheiden war, sich mit der Jagd als männliche Betätigung zu begnügen.

»Jetzt red' einmal, Lisl, was hat es denn mit dem Kapellenbock für eine Bewandtnis. Kennen will ich ihn wenigstens, den alten Aberglauben, red' einmal.«

»Ja schau'ns, wenn's schon wieder vom Aberglaub'n red'n, werd'ns ihn nie zu Gesicht bekomma –«

»Na, dann glaub ich halt daran, wenn du es durchaus willst, aber jetzt setz' dich und erzähl.«

»Das is gleich erzählt,« begann die Lisl, sich auf die Ofenbank zu dem Gamsbock setzend. »In der Eiskapell'n liegt a Schatz, von lang'n Zeit'n her, es gibt heut' noch Leut', die's fest behaupt'n, und wer den Schatz z'sehn kriegt, der kann sich wünsch'n, was er will, und er kriegt's a; weil eben d' Mensch'n alleweil das sich wünsch'n, was ihna zum Schad'n g'reicht, hat der Berggeist den Gamsbock als Wächter aufg'stellt, daß er jed'n nunterstoßt, der so verweg'n is und in die Eiskapell'n schau'n will. So heißt's, was wahr is dran, weiß i net, aber das weiß i,« ihre Stimme nahm jetzt einen drohenden Ton an, »das vom Wünsch'n, das is wahr, und manch'n tät wohl der Gamsbock not, der ihn nunt'r stößt von der Höh', auf daß er noch zur recht'n Zeit zur Besinnung kommt.«

Sie sprach die letzten Worte direkt zur Burgl, die in sichtlicher Bedrängnis sich aufs Lachen verlegte.

»So hab' i's noch mein Lebtag net ausdeutsch'n hör'n, die Sag'. I mein' halt a so, schau, Lisl, aufs Wünschen kommt's gar net an. Was einer aus die erfüllten Wünsche macht, ob er auch der Mensch dazu is, der's gut verwenden kann, das wär' die Hauptsach; is einer der, nacher braucht er kein' Berggeist und kein Gamsbock net, der ihn abastößt. Aber jetzt lass' mir a Ruh mit dem narreten Gamsbock; sein' Zeit is auch noch aus, und grad dank'n tät i's, der's ausmacht, wahrhaftig, daß die Dummheit amal a End' hat. Herrschaft, das wär' so was für Sie, Herr Baron. Was tät'ns Ihna jetzt wünsch'n, wenn Sie 'hn seh'n tät'n, den Schatz?« Es lag etwas Erzwungenes in ihrer plötzlichen Laune.

»Wenig, ganz wenig, Burgl,« erwiderte Schönau, »Frieden, Klarheit über mich selbst und noch etwas, – ja, noch etwas, – daß ich nicht mehr der Baron Schönau bin, sondern ein einfacher Bauernknecht –«

»A Knecht? Warum denn net gleich a Bauer?« meinte Burgl.

Schönau sah sie fest an. »Der würde ich dann vielleicht –« Er sagte es mit einer wehmütigen Innigkeit, die Burgl das Blut in die Adern trieb. Es wollte ihr kein Scherz darauf gelingen. Sie war froh, daß draußen Schritte laut wurden.

Der Förster mit dem Graßl war gekommen. Die Kunde von dem erlegten Bock war längst in das Forsthaus gedrungen. Schönau mußte genau Bericht erstatten, während sich Burgl eifrigst mit der Resl unterhielt, die, von Schönau ganz unbemerkt, lautlos hinter dem Vater hereingeschlichen war. Sie hatte einen unbegrenzten Respekt vor dem Baron und hätte sich nimmer allein in die Waldei gewagt. Schönau war für sie der unglücklich Verbannte, dem sicherlich bitter Unrecht geschehen in der bösen Welt draußen, ausgemacht einer von den Romanhelden, an denen sie sich so oft den Kopf heiß gelesen.

Sein ritterliches und doch förmliches Wesen, das ihn in ihren Augen von allen Männern, die sie bisher kennen gelernt, so mächtig unterschied, hatte es ihr angetan, und immer kam ihr der Gedanke, die Sache müsse einmal auch so ein seltsames Ende nehmen, wie es in den Bücheln stand, – eine bildschöne, vornehme Dame müsse plötzlich auftauchen, eine Gräfin oder gar eine Fürstin, und ihren Geliebten holen, den man vor ihr verborgen, oder irgend etwas ganz Wunderbares müsse sich ereignen. Das Schlimme aber dabei war, daß ihr alle anderen jungen Männer, die sie kannte, nicht mehr gefallen wollten, nicht einmal der junge Förster von Schliers, dessen Besuch sie sonst immer mit Herzklopfen entgegensah, schon weil sie wußte, daß der Vater ihn in die engere Wahl zum künftigen Schwiegersohn genommen. Es soll schon darum einen ernsten Auftritt zwischen ihr und dem Vater gegeben haben, der zum Glück den Beweggrund ihrer Sinnesänderung nicht kannte.

So mied sie ängstlich die Waldei, um seinen Verdruß nicht zu wecken, heute war es gerade das Gegenteil. Als sie erst zögerte, mitzugehen, da fuhr er ganz erregt auf. »Tut er dir denn was, der Baron? Mit euch Frauenzimmer kennt sich der Teufl aus; der wird sich grad um so ein Dirndl kümmern, so a Herr! Marsch dich, mitgehst!«

Das war so seine barsche Art, hinter der seine Gutmütigkeit steckte.

Burgl erschien ihr so ganz anders heute, so aufgeregt und doch viel weicher als sonst, und ihre Reden so hastig, als ob sie sich etwas vom Herzen reden wollte, und so lieb und zutunlich, als ob sie von neuem um ihre Freundschaft werben wollte, die ihr ja längst sicher war. Das mußte doch alles mit der Anwesenheit des Barons zusammenhängen; damit war sie schon auf einer Fährte, und sie hätte nicht die Tochter eines Sollacher sein müssen, wenn sie diese so rasch aufgegeben hätte.

Sie hatte es ja an sich selber erfahren, was so ein Mann für einen Einfluß haben kann, und sie sah ihn doch den ganzen Monat nicht, während Burgl immer um ihn war. Und auf einmal kam ihr der Gedanke: Herrgott, wenn das möglich wäre, – das gäb' ein Unglück –, und allerhand häßliches Empfinden regte sich in ihr, Neid, Mißgunst, Angst vor irgendeiner Katastrophe, die sie auch berühren mußte. Jetzt bemerkte sie erst, daß der Baron alles, was er dem Vater und dem Graßl erzählte, eigentlich zu Burgl sprach, daß im Blick und Wort eine ständige Verbindung zwischen ihr und dem Baron war. Mit der jäh wachsenden Sicherheit ihrer Beobachtungen schwanden die augenblicklichen häßlichen Begierden, und ganz andere traten an ihre Stelle.

Sie hatte stets die Überlegenheit Burgls gefühlt, es steckte etwas in ihr, was sie nie begriff, etwas ganz Absonderliches für eine Bauerntochter, und wenn sie so den Baron neben ihr gesehen hatte, war in ihr schon oft der Gedanke aufgetaucht, wie trefflich eigentlich die beiden zusammenpaßten, so viel auch dazwischen lag, Stand, Bildung, Äußerliches sogar. Warum sollte eine starke Neigung nicht das alles überbrücken können? Sie stand der Natur doch wieder zu naiv gegenüber, um die Tiefe der Kluft begreifen zu können, die zwischen beiden gähnte. Und wenn sie schon in dem spannenden Roman, der sich vor ihren Augen abspielen sollte, selbst nicht in Betracht kam, warum sollte sie dann nicht wenigstens eine bescheidene Rolle darin spielen, als gute Fee vielleicht? Das wäre doch einmal etwas in ihrem einförmigen Leben.

Der Gedanke packte sie plötzlich mit aller Macht, und vor ihrer kindlichen harmlosen Seele erstand ein ganz phantastisches Bild der Zukunft, inmitten des Tabakqualms, der die Stube füllte, der drohenden Stimmen der Männer, die wieder einmal der Jagdfuror ergriffen.

Der Förster hätte wohl lange kein Ende gefunden, wenn nicht Burgl zum Aufbruch gemahnt hätte.

»Warum lassen Sie sich denn gar nicht bei mir sehen, Fräulein Reserl?« bemerkte der Baron beim Abschied. »Bin wohl arg verleumdet worden bei Ihnen, aber es ist nicht mehr so schlimm, die Waldei hat mich ganz zahm gemacht. Man will sich doch auch manches vom Herzen reden, nicht immer von der Jagd, und wenn Sie einmal die Zither mitbringen und Burgl ihre Gitarre, dann können wir ja die schönsten Winterabende verleben.«

Reserl machte einen tiefen Knix und versprach, daß es an ihr nicht fehlen sollte. Sie war so verwirrt von dem heute Erfahrenen, daß sie den Knix fast vor Burgl wiederholt hätte.

Graßl erhielt den Auftrag, ihn in zwei Tagen aus der Wennebrandhütte aufzusuchen, in der Schönau für die nächsten Wochen sein Quartier aufschlagen wollte, um die Gamsbrunft noch ordentlich auszunützen. Er wollte sich auch tüchtig ausarbeiten, ehe der Winter begann, vor dem er eine große Sorge hatte.

Graßl hatte den Gamsbock zum Zerwirken mitgenommen. Nach den lärmenden Stimmen der Männer und dem heimlichen Geflüster der beiden Mädels, das ihm noch im Ohre lag, wirkte jetzt die lautlose Stille ganz beängstigend auf ihn.

Er war aber immer noch der Gesellschaftsmensch, der immerwährende Zerstreuung brauchte, um über sich selbst wegzukommen. Die Einsamkeit war eine gar störrische Braut, die erst mühsam errungen werden mußte. Die Lisl aber mit ihrem bleichen, kummervollen Gesicht war eine schlechte Kupplerin dafür.

Quälende Zweifel stiegen in ihm auf, ob er die Kur, die ihm der Herzog angeraten, nicht doch zu energisch angepackt, und ob die Waldei der rechte Platz dazu wäre. Der Jägerbauernhof wäre doch etwas anderes gewesen, da war doch noch Leben drin, er hätte dort zugleich etwas für seine landwirtschaftlichen Kenntnisse tun können. Der Trieb dazu steckte ihm doch im Blut, und was weiß man, wie es einmal kommt. – Und die Burgl, – sie war ihm zum Bedürfnis geworden, das konnte er nicht leugnen. Das treffliche Wesen, so langsam heranbilden – <i>er</i>, und heranbilden! Ja, verbilden, verderben, er wäre so eine Erziehernatur! – Er lachte über die tolle Idee. – Und wenn dann einer kommt, den der Alte schon lange sucht, der künftige Jägerbauer, dann ist das Unglück fertig, – und der arme Teufel kann dann sehen, wie er mit dem Gift fertig wird, das er ihr eingeflößt.

Um Gottes willen nur das nicht, nur den Fluch, der aus ihm liegt, nicht auch hierher tragen, in dieses friedliche Tal. Höchste Zeit, daß er wieder auf eine Woche auf die Hütte ging, weiß Gott, was sich sonst noch alles in seinem Hirn zusammenbraute. Die Ohren klangen ihm in der Stille, – ganz feine Stimmchen, das war zum Verrücktwerden, er mußte sie zuhalten.

*

Endlich Ruhe, Ruhe des Grabes für den Kulturmenschen, der die weise Rast der Natur nach schwerer Arbeit und ihre daraus erblühende ewige Jugend sich nicht zum Beispiel nehmen will und kann. Der Schnee ist doch der wahre Gleichmacher und damit der beste Friedensbringer. Aller Unfriede kommt von der Ungleichheit. Der Stärkere erdrückt den fruchtlos ringenden Schwächeren, der Große überschattet den nach Luft und Licht strebenden Kleinen.

Mit all dem ist es jetzt glücklich zu Ende, die weiße Last löscht jede Farbe, Ringen und Streben, und wenn die Sonne scheint, glitzert alles in gleichmäßig eitlem Prangen, die stolze Tanne und der bescheidene Strauch, der morsche Strunk und der jüngste Sprößling.

Dabei jeder Form die Härte genommen, allem Spitzen und Stachligen, Eckigen, Rauhen; jede Kampfspur verwischt, jeder Bruch, das Steingeröll im Graben, der zerzauste Windwurf, alles weich und rund, selbst der Schall, der zarteste Widerstand ist gebrochen. Es schweigt der Bach, der rastlose Fall, der Wald ist erlöst vom Daseinsdrang – – Nirwana!

Schönau spähte durch das niedere Fenster aus die gefüllten Raufen, welche die untergehende Sonne mit Purpur übergoß, und gab sich dieser Meditation hin. Da kam die Lisl durch den Schnee gestapft, den mit Kastanien gefüllten Sack auf dem gebeugten Rücken, die grauen Haarsträhnen fielen ihr über das bleiche Antlitz. Schon wieder aus mit dem Nirwana! Wie plump die menschliche Spur. Was muß sich das Reh dazu denken mit seiner zierlichen Schneeschrift, der Hirsch mit seinen kühnen Fluchten, der Fuchs erst, der Jagdkollege mit seinen Silberschnüren, und der Marder, der kaum den Schnee berührt. Ist das ein Rüpel! Wenn der seinen dicken Kopf nicht hätte, mit den häßlichen Stummeln tät er's wohl nicht machen.

Da klappern die Kastanien auf dem gefrorenen Schnee, und rings im Walde wird's lebendig. Graue Köpfe erscheinen, verschwinden, ein Geweih taucht auf, ein Mutterstück mit dem Kalb tritt heraus. Das Vertrauen kämpft mit dem Instinkt, – Schritte vor, – zurück, – dann saust die ganze Kavalkade herab, alt und jung; prallt zurück, drängt wieder vor. Hälse recken sich, Lichter funkeln lüstern, und ringsum regt sich's im Walde; ganz im Hintergrunde die Geweihträger, die ewig Bedenklichen, die geheimnisvollen Schleicher des Sommers, ihres Wertes sich bewußt gegenüber der kahlen Schar.

Ein Muttertier macht den Anfang; nun ist alle Scheu vergessen, ein Drängen und Stoßen beginnt um die Raufe, – die Kastanien krachen. Da kommen die Herren der Schöpfung herab, gravitätisch das Geweih ausgeladen. Hinein auf den Platz. Ein Blick ringsum genügt, ein drohendes Wenden des Hauptes, Weibsvolk und Jugend drängen sich zusammen und harren der Gewaltigen!

Die Kastanien werden aufgelesen, um die letzten klappern die Geweihe, schlagen die Läufe, dann werden die Raufen von dem Pack gesäubert, das Heu herausgerissen, zerstampft, nur dann und wann wagt schüchtern ein Stück, auf zarte Erinnerung der Herbsttage hoffend, Annäherung, dann und wann auch mit Erfolg.

Der Zwölfer läßt sich sogar zu einem koketten Spiel mit dem Geweih über den Rücken der Dame herbei. Er hat mit ihr schwüle Nächte verlebt, weit von hier auf der Steinalm. Er streckt den buschigen Hals vor, als müsse er den Brunftschrei ertönen lassen. Dagegen ist der windige Achter daneben voll Brutalität und teilt rechts und links seine Hiebe aus, als habe er noch nie von dem Geschlechte Liebes genossen.

Spießer balgen sich bubenhaft, während das Schmaltier in bescheidener Grazie mit jedem Abfall zufrieden ist. Wie auf dem Futterplatze des Lebens, – der Stärkere behält recht, – ein rücksichtsloses Stoßen und Drängen: ôte-toi de là que je m'y mette!

Nur hoch oben im Walde unter der weißen Wand steht einer mit mächtigen schwarzen Stangen, sieht hochmütig herab, wirft das stolze Haupt zurück und verschwindet wieder. Und alle Tage macht er es so. Ein Einziger! Ein Eigener! Nimm dir ein Beispiel daran, du Alltagsmensch, das ist wahrer Adel!

Blicke fliegen herüber zum Fenster, hinter dem Schönau, ganz in diese Gedanken verloren, beobachtet. Mancher kennt den verdächtigen Wind, vor dem er schon so oft ausgerissen. Ganz sauber ist's doch nicht mit der Freundschaft, und steigt einmal der Gedanke auf, ist's aus mit der Ruhe. Die Geweihten drücken sich, die Stärksten voraus. Immer rascher wird ihr Gang, bis er zuletzt in wilde Fluchten übergeht. Das Pack bleibt zurück und macht sich nun behaglich breit, bis die letzte Raufe geleert.

Der schleichende Tritt der Lisl ließ Schönau auffahren, sie ging ihm damit geradezu auf die Nerven. Schon wollte er ärgerlich aufstehen, um es ihr von neuem zu unterweisen, da sah er, wie sie sich an der Tischkante anhielt, wie um nicht zu fallen. Das Gesicht war aschfahl, ein düsterer fatalistischer Zug fiel ihm darin auf.

Sie hatte einen zerknitterten Brief in der Hand, feucht vom Schnee oder von Tränen, ihren rotgeschwollenen Augen nach wohl von letzteren.

»Da lesen's.« Sie reichte ihm den Brief und ließ sich auf den Sessel fallen. »Und dann raten's, helfen's.«

Es war schwer, die verwischte Schrift zu entziffern, die offenbar von einer Männerhand stammte. Der Brief trug einen Stempel, der Schönau auffiel, »Strafanstalt Lauffen« las er deutlich. Jetzt war er selber gespannt.

Es war so, wie er fürchtete; der Geliebte Lisls, der Maxl, der ihr zuliebe zum Mörder geworden, meldete seine im Laufe des Dezembers bevorstehende Entlassung. – »Dann komm' i und hol' mir meinen wohlverdienten Lohn, a schön's Christkindl, gel? Aber zusammen tragt's sich doch leichter als allein. Also wart' auf dein Maxl –«

»Nun, und was denkst du denn zu tun?«

»I darf ihn net seh'n.«

»Den Zuchthäusler, meinst du?«

»Also, so schlecht denken's von mir?« erwiderte Lisl, »i Hab' ihn neingebracht ins Zuchthaus und tät mich seiner schäm'n?! Mit off'nen Arm'n tät i ihn aufnehma, wenn sonst nix wär', aber es gibt kein' Gemeinschaft mehr für uns, der Mord liegt zwischen uns, an dem wir alle zwei gleich schuld sind.«

»Ihr habt ihn aber beide ernstlich abgebüßt,« meinte Schönau, den der tragische Fall stark bewegte.

»Da gibt's keine Buß' dafür, ins G'sicht könnt'n wir uns nimm'r schau'n, es gäb nur ein neu's Unglück. Helf'ns, rat'ns, Herr Baron, er kommt, i weiß g'wiß, mit G'walt wird er sein Recht auf mich verlang'n.«

»Da ist schwer zu helfen, eine wirkliche Liebe sühnt ja wieder alles, aber du fühlst wohl nichts mehr für den Mann, – dann allerdings –. Lasse ihn kommen, ich werde mit ihm reden, ihm eine Stellung verschaffen. Eine Unterredung bist du ihm wenigstens schuldig, vor ihm fliehen, wäre eine Feigheit, wenn man's recht ansieht. Aushalten, anders werden, das wär' das Rechte, aber ich begreife deine Lage und werde dir helfen, so weit ich kann.«

Er stand auf und ging erregt in der Stube auf und ab. »Gott, da meint man, in so einer Waldei regen sich keine Gespenster, und unterdes – als wenn man sie nicht mit sich trüge –«

»Mein Gott, Sie – Sie, ein heiß' Blut hab'ns, das is Ihr G'spenst, das Ihna kein' Ruh läßt und Ihna allerhand vormacht, was net is, und net sein kann.«

»Was macht es mir denn vor, Lisl? Es scheint, wir müssen uns gegenseitig helfen.«

»A Glück macht's Ihna vor, das sein Lebtag kein Glück net is für den Baron Schönau –«

Schönau wurde stutzig. »Jetzt rede einmal deutlich, – wie heißt das falsche Glück?«

»Burgl heißt's!« Lisl schleuderte ihm den Namen wie eine Anklage in das Gesicht.

Er prallte förmlich davor zurück. Lisl sprach es offen aus, was in seinem tiefsten Innern, als von ihm selbst noch kaum verstandene Regung verborgen lag. Das kam der verrückten Person nicht zu, so verbat er sich in derber Weise solche Bemerkungen, das käme alles von ihrer Verbitterung, die er ja wohl begreife, aber sich ihm gegenüber energisch verbitten müsse.

»So ist es bei euch kleinen Leuten, das Unglück macht euch böse anstatt gut, erfüllt euch mit Neid und Haß. – Du verleidest mir noch den ganzen Aufenthalt hier.«

»Nimm'r lang, Herr, die Waldei brüt' nix Gut's aus, i hab's an mir erfahr'n.«

Jetzt tat sie ihm wieder leid. »Ich will alles für dich tun, aber das Spionieren mußt du lassen, sonst – wirklich –« Er verließ jäh die Stube, er konnte das bleiche, gramvolle Gesicht nicht mehr sehen.

Aber ihre Warnung saß fest. Jetzt war der Gedanke, der ihm oft draußen in der Einsamkeit gekommen, nicht mehr sein eigen, in dem Munde dieser Unglückseligen war er zum erstenmal zur Wirklichkeit erwacht. Recht hatte sie ja, die Waldei brütet nichts Gutes aus, damit wurde aber alle seine Hoffnung, die er darauf gesetzt, zu schanden. Was wollte er, was sollte er denn noch hier? – Dann schüttelte er sich wieder, wie konnte er auf das Geschwätz dieses verstörten Wesens auch nur das geringste geben. Am liebsten wäre er gleich jetzt aus der Waldei geflohen. Die Nacht war unruhig und gequält, er wälzte Felsblöcke von seiner Brust und konnte sich doch nimmer frei machen.

Es dämmerte kaum, da war er schon fix und fertig gerüstet zum Gang auf die Wennebrandhütte. »Greif«, der rote Schweißhund, sah ihn so flehentlich an, daß er ihn fast mitgenommen hätte, seine Gesellschaft wäre gar nicht schlecht auf der Hütte, aber er war doch noch zu jung und ungeführt, außerdem hinderte er ihn nur bei dem tiefen Schnee im schwierigen Gebirge. »Wart' nur, ›Greif‹, im Sommer sollst du mein treuester Begleiter sein, dann will ich aus dir einen machen, vor dem sie Respekt haben sollen.«

Ringsum ging Wild flüchtig, das die Morgenfütterung kaum erwarten konnte. Dichter Nebel war eingefallen und verspätete noch den Tag, doch fühlte Schönau sich jetzt schon frei von dem Alpdruck der Nacht. Es war wahrhaftig nur die schwere Luft der Waldei und die unglückliche Lisl, was ihn so bedrückte, da kommen einem die albernsten Gedanken. Als ob man nicht jemand lieb haben könnte, ohne gleich an Gott weiß was zu denken. Das war ja gerade das, was ihm an Burgl so wert war, dieses völlige Uninteressiertsein, diese unüberbrückbare gesellschaftliche Kluft zwischen ihm und ihr, endlich einmal eine freie Zuneigung ohne jede Nebenabsicht, das wird er sich doch von einer Lisl nicht vergällen lassen. Allerdings, das mußte er offen sagen, ohne Burgl hielt er es hier nicht aus, der Übergang wäre ein zu schroffer gewesen, zur völligen Askese war er nun einmal nicht geboren. Ein Prachtmädel war sie, voll natürlichen Anstands und klugen Sinnes; wenn er sie neben die Frau seines Bruders stellte, ein Landkonfest erster Güte, aber sie zog der geborenen Gräfin gegenüber wahrhaftig nicht den kürzeren. Er mußte an ihre Worte denken von dem »bißl drum rum«, das sie offenbar sehr gering schätzte.

Was heißt Bauerntochter, Schloß Lungau und Jägerbauernhof! In beiden zog man Vieh, verkaufte Milch und Butter, Käse und Sägprügel, um davon zu leben, nur arbeitete man nicht in Lungau und ließ das alte Schloß verwahrlosen, während hier alles in peinlichster Ordnung war. Aber die ehrwürdige Geschichte, die tausend Dinge, die nun einmal im Blute liegen, die Verpflichtungen gegen den guten Namen, gegen die Familie, das sind wohlberechtigte Einwände, über die man nicht hinwegsehen darf, wenn man noch Zucht im Leibe hat, und die muß der Mann haben, wenn er den Namen verdienen soll.

Er erinnerte sich wohl, wie er sich noch vor kurzem über die Genossen, die alte Standesrücksichten gering schätzen, auf einmal die Aufgeklärten spielen, nur um vielleicht ihre augenblicklichen Neigungen zu befriedigen, lustig gemacht hatte. Er war trotz aller seiner Schwächen durch und durch Aristokrat, und als solcher in diesen Dingen nichts weniger als duldsam. Ja, er erinnerte sich sehr wohl einer jungen Verwandten, die wider den Willen ihrer Eltern einen armen Künstler geheiratet, und mit der er jeden Verkehr abgebrochen hatte. – Und da kommt diese Lisl daher und wirft ihm den Namen Burgl ins Gesicht, als ob er je – – –

Da brach er ab und stieg mit einer unangebrachten Hast bergan. Rosige Lichter huschten über den Schnee, der Nebel zerriß, jede Schneide erglühte, das strahlende Gestirn stieg herauf hinter den Wänden des Miesing. Die große Sonnenfeier begann, die auch das zerrissenste Herz mit Allmacht ergreift und von all dem häßlichen Gewürm des Tages befreit.

Wie klein und unbedeutend erschienen dagegen die Konflikte, Bedenken und Gesetze, all die götzendienerischen Altäre, die man in seinem Innern aufrichtet und mit allem möglichen Tand behängt. Von neuer Lebenskraft durchdrungen, kam er in die Hütte. Da wird es doch besser sein als in der Waldei. Licht, Lust, ganz auf sich gestellt, da wird er sich die Kette der Ehe anlegen – nicht um drei Schlösser!

Ja, wenn man nicht immer herunter müßte ins Tal, da lauern sie auf einen, die wilden Begierden, der nimmersatte Wille, – hier ist das Nirwana, nach dem sich unbewußt doch die ganze Menschheit sehnt.

Er machte Feuer am offenen Herd und kochte seine Brennsuppe. Diese Schlichtheit tat ihm wohl, darin lag ja die Heilung, dann eine Pfeife angezündet und in die Flamme gedöst.

Unendliches Behagen kam über ihn. Mit der Gamsbirsch hatte es ja Zeit, da ging den ganzen Tag das Geschäft. Doch der Rauch biß ihm die Augen, so riß er die Türe auf. Der Miesing leuchtete in seinem Dunst.

Da fiel sein Blick auf etwas Glitzerndes, grell Leuchtendes, als ob ein riesiger Diamant aus den Wänden strahlte. Er nahm das Glas und sah danach – die Eiskapelle! Der geheimnisvolle Schatz leuchtete daraus, der dem Sehenden jeden Wunsch erfüllt.

Er wußte wahrhaftig nicht, was er wünschen sollte, wenn er davor stände, – und doch wär's lustig, damit zu spielen – –. Ein edles Pferd unter sich, das war einmal so ziemlich das Höchste, – jetzt sehnte er sich ja nicht mehr danach. – Liebe! Von der Sorte hatte er ja zum Überfluß genossen, von seiner Sorte allerdings nur, und eine andere kannte er bis jetzt nicht, die, von der die Dichter singen und träumen. Reichtum! Pfui Teufel, da klebt so viel Schmutz daran. – – Ein paar gute Gamsböck, das wär' noch was, und daß die Pfeife sich nicht immer verstopft, und der Tabaksaft in das Rohr steigt – – Er zog daraus, klopfte die Asche aus und stopfte von neuem. Jetzt war er zufrieden mit sich; Franzl, du wirst schon noch, nur Geduld, nur Geduld!

Die Gier, zu Schuß zu kommen, die ihn bisher nicht geradezu gequält, hatte stetig zugenommen, so gelang es ihm, immer besser an dem frischen Naturleben allein Gefallen zu finden, sich immer mehr darein zu versenken. Das wäre es ja, den heißen Willen zum Schweigen zu bringen, der in der Jagdleidenschaft nur seine Form geändert hat, aber nicht sein Wesen.

So ließ er zwei Tage verstreichen, während welcher er sich mit kleinen Birschgängen in nächster Nähe und Beobachtung des Wildes begnügte. Die Einsamkeit machte ihn wieder zum Herrn seiner selbst. Der Abend mit Burgl rückte wieder in ein ruhigeres Licht. Es war doch nichts natürlicher, als daß er in seiner Verlassenheit an dem hübschen, tüchtigen Mädchen, das alle ihre Dorfgenossinnen geistig weit überragte, Gefallen fand, ebenso wie er anderseits sehr wohl begriff, daß sie an ihm Gefallen finden konnte. So weit war er in der Selbstaufgabe doch noch nicht gekommen, daß er darin eine Unmöglichkeit sah. Was sich aber weiter da herumrankte, war nichts als ein Spiel seiner immer regen Phantasie, das ihm wahrlich kein Verbrechen schien. Seines Bleibens war doch nicht immer in der Waldei, da gab es die verschiedenartigsten Pläne und Aussichten – nach der Kur, der Herzog hatte so Andeutungen gemacht.

Er war ein vortrefflicher Reiter und Pferdekenner, verfügte im reichen Maße über hofmännische Allüren, und wenn ihn auch gerade die Aussicht auf eine Anstellung bei Hofe nicht entzückte, im Notfalle wäre es doch immerhin eine seinem Stande entsprechende Stellung, die ihm vielleicht weitere Aussichten bot, eine standesgemäße Heirat war dann auch nicht ausgeschlossen, wenn er auch mit einem gewissen Angstgefühl daran dachte.

Nur die Kur nicht zu rasch abbrechen, er fürchtete die Rückfälle, nachdem er sich über sein verhärtetes psychisches Leiden völlig klar war. Es war eine alte Erbschaft, die seit Hunderten von Jahren im Schlosse Lungau nistete. Der Verfall seines Geschlechtes war aus seiner Geschichte erschöpfend nachzuweisen. Seine Vorfahren gehörten zu dem begütertsten Adel der Landschaft und spielten am kaiserlichen Hofe eine große Rolle. Aber stetig ging es damit bergab, Besitz um Besitz ging verloren, während die hohen Herren in Wien in dem Genusse lebten. Auf seinen Vater, den Freiherrn Nicolaus Lungau, kam nur mehr das Schloß Lungau mit allerdings noch ansehnlichem Grundbesitz.

Ein gar vornehmer Herr, tadelloser Kavalier, aber von der neuen Zeit, die heraufdämmerte, keine Ahnung. Er wurde zum kaiserlichen Zeremonienmeister ernannt, und vor dem Glanze dieser Stellung trat das treue Lungau völlig in den Hintergrund.

Schönau erinnerte sich noch sehr wohl des Aufwandes seines Vaters, der im Hofleben völlig aufging. Da sog er es ja ein, das gefährliche Gift, die Genußsucht und das Großmannsleben. Er sah Lungau kaum, das der Vater selber nur das alte Nest nannte, in dem er nicht leben konnte. Als er starb, hinterließ er ein völlig zerrüttetes Gut und zwei im größten Stile herangewachsene Söhne, ihn und den Erbherrn, den Max!

Daß der Max auf demselben Wege ging, wie er, hatte er nur dem verachteten Lungau zu danken, das ihn wenigstens über Wasser hielt, bis er sich eine reiche Erbin geholt. Im übrigen steckte der väterliche Geist in ihm. Trotz des großen Vermögens seiner Frau ging die Wirtschaft immer mehr rückwärts, Pferdesport, Spiel, das Leben in der großen Gesellschaft, – kurz, dieselben unheilvollen Instinkte, die ihn so weit gebracht. Bruder Max hatte wahrlich keinen Grund, auf ihn, den Enterbten, so herabzublicken.

Erst vor einigen Wochen hatte er erfahren, daß die Schwägerin bald ihrer Niederkunft entgegensehe. Gott gebe, daß es ein Bub war, ein Erbe, er war ihm wahrlich nicht neidisch um das verlotterte Lungau.

Er kannte seine Schwägerin noch als Komtesse Lerne, eine vornehme Erscheinung, der er auf den Hofbällen tüchtig die Kur gemacht. Wer weiß, wie es gegangen wäre, wenn er der Erbherr von Lungau gewesen, so mußte sie natürlich für diesen präpariert werden.

Schönau wußte ganz genau, daß die schöne Schwägerin in der großen Katastrophe, die über ihn so plötzlich gekommen, kräftig für ihn eingetreten, ja, zu jedem Opfer, ihn zu retten, bereit gewesen wäre, wenn nicht der Bruder Max sein Veto eingelegt hätte. Das war es auch, was jedes brüderliche Gefühl in ihm erstickte und seinen Entschluß nur festigte, nie mehr seine alte Heimat zu betreten. So viel war gewiß, Rücksicht auf seine Familie kam bei ihm nicht in Betracht, was auch kommen möge, und wenn er als einfacher Jagdgehilfe sein Brot verdienen müßte.

Unter solchen Erwägungen, Vor- und Rückblicken vergingen rasch die Tage, ohne daß er einen Schuß machte. Aber morgen mußte ein Bock her, abends kam der Graßl, der sollte ihn nicht leer finden.

Ehe er nach der erfolglosen Abendbirsch in die Hütte trat, hielt er noch Umblick. Der Miesing lag schon im tiefblauen Schatten, nur in der Eiskapelle blitzten noch die letzten Lichter, das Eis mußte da ganz frei liegen, den auf und ab laufenden Lichtfünkchen nach, die jetzt in seiner Phantasie zu kleinen Gnomen wurden, Lichtwesen, die aus ihrem Rücken neue gleißende Schätze zu den alten brachten, gerade so huschten sie in langen Reihen herab, alle dem Märchenschacht zu, in dem sie verschwanden.

Er konnte den Blick nicht wenden von dem lustigen Spiel, plötzlich endete es, der Schneekegel lehnte sich in ernster Ruhe an die Wand, kalte Schatten senkten sich herab aus ihn. Da ging wahrhaftig eine kleine Gemsschar schräg unter der Wand der Kapelle zu.

Er beobachtete sie genau durch das Glas. Sie verschwanden im tiefen Schatten, nur auf der äußersten Spitze blieb eines stehen und äugte starr in die Tiefe, wohl ob kein Feind nahte, der den Schatz ernstlich begleichen wollte, – – ein Kapitalbock, der Zauberbock, von dem das ganze Dorf sprach.

Schönau wunderte sich jetzt, daß er ihn nicht schon lange ausgesucht trotz allem Unsinn, der darüber umging. Ein selten guter Bock schien er wirklich zu sein, der beste wohl im ganzen Revier. – Der Graßl tät Augen machen, wenn er ihn morgen damit überraschte, sein Ruhm wäre für alle Zeiten gesichert im Zellertal. Jedenfalls eine hochinteressante Birsch. Er war ja selbst durch und durch Romantiker, da darf er sich den Platz nicht entgehen lassen. Nur der Glaube ist das Wunder, ihm öffnen sich die geheimnisvollsten Tiefen, und überall blitzen Schätze auf.

Wird gemacht, gleich morgen, wer weiß, was der Graßl wieder alles einzuwenden hätte, und dann muß man allein sein, um so ein Märchen auf sich wirken zu lassen.

Es war ein strenger Weg auf den Miesing im hohen Schnee, und zusammenspintisiert hatte er auch genug den ganzen Tag über; so begab er sich früh zur Ruhe.

Es gibt zu der Zeit Morgen im Gebirge, die jeder Beschreibung spotten. Die Luft ist klar und rein, kaum daß man sie fühlt, so umhüllt sie den Körper, der von jedem Druck befreit, die junge Sonne von einer so intensiven Lichtkraft, die die weiße Schneedecke tausendfältig widerstrahlt, während die tiefblauen Schatten, welche die Felsen werfen, langsam vor ihr zurückweichen; draußen im Tale braut das Nebelmeer, aus dem die beschneiten Vorberge wie Inseln herausragen, ein ewiges Branden, Steigen und Fallen, oft bäumt es sich herrisch auf im Lichtkampf, um dann tückisch schleichend die Täler zu füllen.

Da federt jeder Muskel, und unendliches Kraftgefühl erfüllt den jungen Körper, die Leichte der Atmosphäre macht das Blut rascher fließen, jeder Druck weicht, das Gefängnis der Seele öffnet sich, frei und ledig der Hast schwärmt sie aus in den blauen Äther. Die zwingenden Gesetze des Lebens sind aufgehoben, absolute Freiheit in uns, um uns.

So ein Morgen war's, als Schönau vor die Hütte trat. Er sog ihn restlos in sich ein und fühlte seine Heilkraft. Das war wohl der köstliche Schatz, der der Sage nach noch in dem Berge schlummerte, und jeder konnte ihn heben, der reinen Herzens sich ihm nahte.

Sein Entschluß stand fest, der Kapellenbock mußte her, und wenn er die ganze Woche opfern sollte. Er hatte einen weiten Weg zu machen, und das Revier durfte nicht beunruhigt werden. Jede flüchtige Schar stellte den Erfolg des Tages in Frage, und gerade heute wimmelte der ganze Berg, den er zu durchqueren hatte, von Gams. Allerorten tauchten die schwarzen Gestalten auf, entweder in Ruhe lagernd oder sich treibend, bald im heiteren Spiel, bald im gierigen Ernst.

Es war lustig zuzusehen, von jeder Leutegier befreit. Ein starker Fünfjähriger führte ihn stark in Versuchung, mit wachelndem Bart am Rücken, förmlich nach lief er ihm, und immer wieder bot er sich zum Schuß.

Schönau freute sich über seine Selbstbeherrschung, das hätte er vor Wochen noch nicht fertiggebracht. Der dichtverschneite Steig war schwer mehr einzuhalten, oft kam er ab davon und mußte ihn mühsam wieder suchen, um sich nicht im Gewänd zu verlieren. Aber das reizte ihn alles nur, seinen Willen durchzusetzen. Darin kam ihm schon in seiner schlimmsten Zeit keiner gleich, am Rennplatz und vor der Front, und seltsam – im übrigen ein ausgemachter Schwächling, ein Sklave seiner Triebe. Der Ehrgeiz mußte in ihm geweckt werden, sonst taugte er nichts, ob Rennplatz oder Gamsbock, ganz gleich.

Was weckte ihn denn eigentlich jetzt, daß er auf den Kapellenbock wie versessen war? Wollte er ihn den Zellern bringen, die ihn in der Kneipe damit geuzt, oder dem Jägerbauern, oder dem Förster – oder der Reserl –? Alles Unsinn, nur einer wollte er ihn bringen, der Burgl, wenn er ehrlich sein wollte.

Da war er schon wieder bei ihr! Gerade in dieser Umgebung, von Fels und Wand umstarrt, erschien sie ihm eine vollendete Harmonie. Genau so mußte sie sein, wie sie war, und nicht anders, auch keine harte Linie durfte fehlen, kein Ton, keine Farbe; was kann man denn Besseres sagen von einem Menschenkind!

Es war höchste Zeit, daß er seine Träume aufsteckte, schon hatte er Gamsrudel flüchtig gegangen, und über ihm ließ eine Kitzgeiß den Warnungsruf ertönen, der ringsum sich wiederholte. Jetzt schlug er den nächsten Weg zum Miesing ein. Ein bequemer Steig führte quer durch die Gräben, Laner und Wände des Wennebrands dahin, um direkt über einer großen Sandreiße in das Geschröff des Miesing zu münden.

Es war eine reizvolle Birsch, überall Wild zu sehen, die Gams schienen heute einen besonders aufgeregten Tag zu haben, wiederholt bot sich ein prächtiger Schuß, aber dann war der ganze Miesing auch leer. Bei so klarem Tage wirft es den Schall weithin, von Wand zu Wand. Darüber kam der Mittag, das ist eine tote Zeit in der Gamsbrunft. Erst gegen 3 Uhr regt es sich wieder im Revier.

Die Pause mußte er benutzen, um über die völlig ungedeckte Sandreiße zu kommen, die im Sommer von wildem Geröll erfüllt, jetzt eine sanft geneigte, butterglatte Schneedecke bot. Fährten gingen kreuz und quer, G'raffl nach G'raffl und gute Böcke.

Auf die Eiskapelle brannte die Sonne kerzengerade herab, und unter der Basis des Eises und Schnees rieselte aus einem schwarzen Loch ein Wässerlein, das im Sommer wohl zum brausenden Strom wurde.

Zwischen der Kuppe des Kegels und der nächsten Wand führte ein enger Paß, der richtige Gamswechsel, Schale um Schale zeigte sich im Schnee. Den mußte er beschießen können, so richtete er sich auf einen guten Büchsenschuß den Stand im Gestein weiter oberhalb, entschlossen, hier den Abend abzuwarten. Der Paß war genau der Platz, an dem er den Bock zweimal durch das Glas beobachtet, und wenn dieser schon der Wächter des Schatzes war, wie die Lisl erzählt, dann gab es ja für den Burschen keinen besseren Platz, um alles zu übersehen, als hier.

Er machte Mittag, an das Rucksackmenü war er längst gewöhnt, ein Schluck Enzian oder Bierschnaps mußte den Pommery ersetzen, während er mit wahrer Todesverachtung sich über die Schlackwurst hermachte, die er vor einem Jahre noch nicht einmal seinen Bedienten zugemutet hätte. Dann steckte er sich eine Pfeife an, studierte den Wind, der höchst günstig war, und begann mit dem Glase eine eingehende Untersuchung des Eiskegels.

Er war von Hocheis gebildet, das sich hier im Zeitraum von Jahrhunderten aufgebaut im ewigen Schatten der Wände, in die höchstens eine Stunde am Tag die Sonnenstrahlen dringen, nur an einigen Stellen war die Schneekruste aufgetaut oder abgefahren, da sahen dann die reinen wasserblauen Eiskanten und Spitzen heraus. Daß es drinnen in den Eisbergen nicht so rosig herging wie außen, bewies das schwarze Tor zu seinen Füßen, aus dem der Eisbach für die allgemeine Starre ringsum stürmisch genug drang. Er hatte offenbar den Steinschutt allein herausbefördert, der sich vor seine Mündung wie ein Wall gelegt. Es bestand da gewiß eine unterirdische Verbindung mit dem Gebirge, die wohl auch den Anlaß zu dieser seltsamen Sage von dem verzauberten Eisberg abgab.

Er war wohl nicht der Reinste, dem der Schatz sich offenbarte, und der treue Wächter wird sich nach ihm gar nicht umsehen. Aber spannend war es doch, darauf zu warten. Einmal sprang eine Geiß herein durch den Paß, da fühlte er es schon wie einen elektrischen Schlag. Sie wechselte quer durch die Eiskapelle und verschwand jenseits, und kein Klümpchen Schnee kollerte herab, so fest war das sonderbare Bauwerk.

Gegen drei Uhr begann eine pompöse Lichtfeier, die ganze Kapelle glühte wie von einem inneren Brande; es hätte Schönau nicht gewundert, wenn plötzlich aus der Spitze eine Flamme zum Himmel aufgeschlagen wäre. Jetzt begann wahrhaftig das Wunder, er brachte das Glas nicht mehr von den Augen. Ein berückendes Lichtleben wallte in dem Eiskegel auf und ab, und dort, wo das Firneis bloß lag, glaubte man wahrhaftig in das Innere zu sehen; es gehörte nicht einmal Phantasie dazu, um an einen Schatz zu denken. – – Er mußte ja darüber lachen, aber er gedachte des Wunsches.

Es war ganz lehrreich, wie schwer es ist, zu wünschen! Seine Gedanken flogen zurück und vorwärts, aber immer schob sich nur ein Bild vor, die Burgl im Schein der Lampe, wie er sie zum letztenmal gesehen. Was hat das Bild mit seinen Wünschen, – – da gingen Steine irgendwo, ein Schneeklumpen sprang herab.

Rasch sah er auf, – der Bock stand gerade in dem schmalen Paß und äugte kerzengerade aus ihn herab. Er war es, kein anderer. Die Krucke ragte hoch über die Luser, und augenblicklich glühten sie wirklich im roten Glast wie Gold. Er konnte den Blick nicht davon wenden, den Arm nicht heben; beim ersten Ruck, den er machte, wäre der Bock verschwunden.

Der drehte den Grind hin und her, schlich unschlüssig, was er aus dem schmutzigen Klumpen da in dem weißen Schnee machen sollte, und die Krucken wuchsen immer höher und gingen immer mehr in das Weite in Schönaus Augen.

Da wagte er es zuletzt doch, von unerhörter Leidenschaft erfaßt, und hob das Gewehr – doch das war nur ein Wischer, und der Schwarze oben verschwand, nur ein höhnender Pfiff ertönte noch hinter den Wänden.

Schönau fühlte sich noch nie so abgespannt. Was war das? Ein Gamsbock, natürlich wie alle andern, nur daß er die stärkste Krucke hatte, die er je gesehen, wahrscheinlich ein Nachkömmling des berühmten Kapellenbockes, der schon seit hundert Jahren hier spukt, ganz erklärlich, edelste Rasse, die sich rein erhalten in dem Eiswinkel hier.

Und den muß er verpatzen mit seiner ewigen Träumerei. Er sah hinauf auf den leeren Paß, und das Verlangen wuchs immer mehr. Er kannte ja das Terrain nicht, das dahinter lag; eher wie nicht hatte der Bock dort Halt gemacht, das hatte er ja schon oft erfahren. Es handelte sich nur darum, ihm mit gutem Winde beizukommen.

Wenn er denselben Weg machte, wie vorher die Kitzgeiß, mußte er gerade recht herauskommen, aber ein kritisches Durchsteigen war's, und es rieselte ihm kalt über den Rücken, wenn er auf den Eisbach hinunter sah, der etwa neunzig Fuß unter ihm heraussickerte, ein Fehltritt, und er lag unten.

Da probierte er es doch lieber aus dem Paß, um Rundschau zu halten, wie die Verhältnisse drüben lagen. Der Aufstieg war da schon mühselig genug, aber der Gedanke an die herrliche Beute ließ ihn das nicht fühlen.

Jetzt war er oben, hob mit äußerster Vorsicht den Kopf – ein wirres Steingewirr, keine Latsche, nichts, nichts als zerklüftete Wände, abenteuerliche Steintürme, wie aus verfallenen Burgen herausragend, und mitten darin der Bock! Der kohlschwarze Fleck war im Weiß ringsum sofort sichtbar.

Er sprengte eine Geiß, wohl dieselbe, die vor einer halben Stunde die Kapelle überstiegen, und achtete nicht auf den Jäger, obwohl der Wind abwärts ging.

Von da war ihm absolut nicht beizukommen, er mußte ihm den Wind abgewinnen, wenn er zu Schuß kommen wollte. Bald verlor sich der Bock aus dem zerrissenen, Terrain, bald erschien er wieder auf irgendeinem ragenden Platz.

Schönau hatte vollauf Gelegenheit, ihn zu betrachten, den schwarzen zottigen Pelz, der im Luftzug wehte, die massiven Läufe, aus denen er wie festgewurzelt stand, das zierliche, schwarz und gelb gestreifte Haupt mit dem viel umworbenen Preis, die ganze selbstbewußte Art, mit der er den Schnee mit der Krucke furchte, um dann wieder trotzig umher zu äugen, als ob er einen Nebenbuhler erwarte.

Das war die reine Idee des Gams, als ob die steinerne Materie ringsum, das ganze Gebirge in ihm zum Leben erwacht. Und er kam keinen Schritt näher, die blauen Schatten brachen immer weiter vor –

Etwas mußte geschehen! Da dachte er an die Geiß. Nur auf dem Wege ging's, quer über die Eiskapelle, dann kam er gerade unter dem Bock heraus, und dann war er sein!

In solcher Situation gibt's kein langes Besinnen. Zur Sicherheit band er sich die Steigeisen unter die Sohlen, dann stieg er ein, indem er in die Gamsfährte trat.

Es ging vortrefflich, ein bißchen halsbrecherisch wohl, aber das fürchtete er nicht, nur den Bergstock tüchtig eingestemmt und festen Stand gefaßt, ehe man den andern Fuß hebt. Wenn er nur einmal die Linie erreicht, die den Eisberg mit der Wand bildet, an die er sich lehnt, dann war es ein leichtes, dicht an die Wand gedrückt überzusteigen. Um das Ziel zu erreichen, mußte er aber die Gamsfährte verlassen und eine Strecke gerade hinauf. Es war höchste Zeit, der Schatten kam wie eine geschmeidige Katze heraufgekrochen.

Jetzt mußte er schon Stufen treten und den Bergstock tüchtig einsetzen. Endlich war er oben und konnte sich an die rauhe Wand halten, aber er mußte noch weiter vor, um Ausblick zu haben. Um sein Ziel zu erreichen, mußte er zuletzt mit dem Bergschuh Stufen schlagen, es klang seltsam hohl – da stand er schon vor der Wand, nur fünf Schritte vor, dann hatte er besten Ausblick.

Gerade noch zur rechten Zeit zog er den Kopf zurück, der Gamsbock stand dicht unter dem Eisberg. Aber er mußte doch festen Tritt haben zum Schuß. Noch hinauf hinter das Stellwandl, dann ging's – – wenn nur der Schnee besser hielt unter seinen Tritten –

Jetzt erblickte er den Bock in seiner ganzen Pracht. Dieser ahnte nichts und äugte starr auf die Geiß hinab. Er war unbedingt sein, wenn er den Schuß abgeben konnte. Aber der Schnee wich unter seinem Fuß, da stieß er den Bergschuh ganz zornig hinein und hob die Büchse – –

Und nun geschah etwas Furchtbares, Unerklärliches, von dem er sein ganzes Leben hindurch nur einen verworrenen Begriff hatte, ein dröhnender, ihn völlig durchschütternder Lärm, ein endloses Fallen oder Fliegen – dann schwanden ihm die Sinne in stahlharter, eisiger Nacht. –

Als er nach unbestimmter Zeit, für die er kein Maß finden konnte, dumpfen Sinnes erwachte, erblickte er hoch über sich, wie durch ein Fernrohr, einen großen blitzenden Stern, und er wunderte sich selbst, daß er den leuchtenden Punkt als solchen erkannte. Er lag auf dem Rücken und eine eisige Kälte durchdrang ihn, die Beine standen in die Höhe, und er lehnte sich an etwas. Der Arm, auf dem er lag, schmerzte stark, und die Brust schien ihm, dem Gefühl nach, von etwas Schwerem eingedrückt. Er griff danach, es war seine Büchse, die sich mit dem Riemen irgendwo verhängt.

Das Bewußtsein wurde immer klarer, trotz dem dröhnenden Schmerz im Kopf. Er griff mit der einen Hand um sich und faßte eisige Wände. Er richtete sich mühsam und ächzend auf und griff wieder eisige Wände, – ihm zu Häupten leuchtete der Stern in azurner Klarheit. Er erkannte die zackigen Ränder eines Schlundes, in den er gestürzt sein mußte, – der Stern leuchtete immer kräftiger, – – er fädelte sich förmlich an seinem Strahl empor zur Erkenntnis der Wahrheit.

Der Schlund war die Eiskapelle, unter ihm, wie es schien, in endloser Ferne – der Eisbach!

Er lag in einem engen Kamine, links und rechts war das Gestein mit den Händen erreichbar. Oben bei dem Sterne lag die Welt, das Leben, und mit diesem Gedanken erwachte die Liebe zu ihm, ein wilder Trotz gegen die dunklen Mächte, die ihn in diese Tiefe geschleudert.

Seine Rufe hatten keinen Klang, sie konnten nicht hinaufdringen zum Leben, das ihm auf einmal wieder so begehrenswert erschien, – die Sonne, die Berge, das Tal, die Waldei, der Jägerbauernhof – Burgl!

Er rief laut den Namen, als ob alle seine zähen Lebensgeister in ihm zum Laut wurden, dann nestelte er plötzlich an dem Büchsriemen, der ihm um den Hals lag. Es gelang ihm, die Mündung des Gewehres nach oben zu richten, als ob er den Stern anvisieren wollte, der eine mystische Kraft auf ihn ausströmte.

Der Prall des Schusses ließ eine förmliche Schnee- und Eislawine auf ihn herab. Die Hoffnung, durch den Knall einen Retter herbeizuführen, verfiel sofort in nichts.

Der Graßl wird, wenn er die Hütte leer findet, den Tag abwarten und dann vielleicht seiner Fährte folgen, wenn er es nicht vorzieht, im Tale nachzusehen, ob er nicht unterdes von einer anderen Seite heimgekehrt. Darauf warten, war der sichere Tod, die Nacht war eisig, und der Lebenswille ist erfinderisch. Wo vom Schuß sich Schnee und Eis gelöst hatten, mündete offenbar ein Kamin nach oben, der sehr eng sein mußte; er berührte rechts und links seine Wände. In diesem sich hinaufarbeiten war die einzige Rettung. Er hatte oft von ähnlichen Wagstücken im Bergsport gelesen.

Nachdem er sich überzeugt, daß kein Fuß gebrochen, begann er die furchtbare Reise; den Rücken an das Eis gestemmt und mit den Füßen mühselig sich fortschiebend, gelang es ihm, einen höher gelegenen Absatz zu erreichen, der ihm Halt zum Ausruhen bot. Die Öffnung über ihm war sichtlich größer geworden, aber der Stern näherte sich immer mehr dem Rand und drohte ganz zu verschwinden.

Das beunruhigte ihn am meisten, wenn er nur noch zuvor den Mund des Schachtes erreichte. Zu seinem Entsetzen fand er, daß sich der Schacht plötzlich erweiterte und daß das Stemmen mit Rücken und Füßen enden mußte, – dann war er verloren.

In solchen Augenblicken wachsen alle Kräfte der Beobachtung. Die letzten Strahlen des Sternes spiegelten sich in zwei eng zusammenstehenden Eissäulen, die sich an den Schlundrand lehnten. Da gab es kein langes Besinnen mehr, er beschloß, sich dazwischen hinauszudrängen. Dazu mußte er in der gefährlichen Lage mit dem Weidmesser in die eine Eissäule Kerben schneiden, um sich mit den Füßen daran zu stemmen, während er den Rücken an die andere Säule preßte.

Mit unsäglicher Mühe gelangte er so bis dicht an die Öffnung, glaubte sich gerettet, da erlosch der Stern, dichte Finsternis umhüllt ihn, ein Fuß gleitet aus den Eiskerben, und er stürzt wieder in die Tiefe, zum Glück nur bis zu dem obenerwähnten Bande. Besinnungslos lag er aus dem Fleck, wo jede Bewegung der Tod war. Als er erwachte, hielt er das unschätzbare Messer in der erstarrten Hand, und über ihm stand wieder der Stern und segnete ihn mit seinem lebenspendenden Strahl.

Die Tränen traten ihm in die Augen, und ihm war, als sehe er alles voller Sterne, die über ihm einen Reigen tanzten. Bei dem Anblick packte ihn neuer Lebensdrang, ein zorniger Wille. Es mußte gelingen, um jeden Preis, die Zähne fest aufeinander gebissen, die Beine gestemmt, den steifen schmerzenden Rücken wie eine Katze gekrümmt, schloff er nach aufwärts.

Das heißt ums Leben ringen, und wenn er es erringt, dann verdient er es auch, dann ist es ganz sein eigen, dann macht er damit, was er will, ohne Vorwurf, ohne Reue.

Endlich, er traute dem Anblick selber nicht, der Berg im Morgensonnenlicht, das blaue Himmelsgewölbe, in dem der letzte Stern erblich, sein Stern. – Mit letzter Anstrengung schob er sich über den Rand des Schlundes.

*

Burgl konnte den Abend in der Waldei nicht vergessen. Nachdem sie den düsteren Ort verlassen, kam ihr alles erst recht zum Bewußtsein, jedes Wort, das der Baron gesprochen. Es waren das ja alles Dinge, die sie schon lange wußte, und doch öffneten sie ihr eine neue Welt.

Dieser qualvolle innere Kampf, der sich da in ihr abspielte, dieser krankhafte Haß gegen sich selbst und den ganzen Kreis, der sich um sie zog, und doch wieder ein gewisses Sehnen danach, und zuletzt die herzbewegende Bitte um Erlösung von dem allem, die aus seiner Stimme klang, aus seinen Augen blickte, wie er sich direkt an sie wandte, – hilf mir, du kannst es! –

Ja, um Gottes willen, wie soll denn sie, die Burgl, das dumme Ding, das nix gelernt hat als mit dem Vieh umgehen, das vor jedem Herrischen förmlich Angst hatte, das nur auf ihrem Grund und Boden den Mut zum Leben nahm, wie sollte sie helfen – – – Ja, ganz unglücklich machen – – und doch – doch –, wenn sie ihn so ansah – wer weiß, – so ein bißl runter, so ein bißl nauf, und in dem mittlern Weg kommen's zusammen. – – – Da rannen ihr die Tränen über die Backen, und ein Glück kam über sie, wie sie es nie begriffen.

In der Waldei vernahm sie, daß er auf die Wennebrandhütte gezogen. Zum erstenmal empfand sie etwas wie Sorge, sonst ihr, der inmitten der Jägerei Aufgewachsenen, etwas völlig Unbekanntes. Wenn er nur den Kapellenbock in Ruhe läßt, den ihm die Lisl wieder in den Kopf gesetzt, a schiach'r Platz is alleweil, und allein soll man ihn net aufsuch'n –

Das war das Schlimmste, was man ihr sagen konnte. Ein schlimmer Tag folgte. Burgl spekulierte das ganze Gebirg durch das Fernrohr ab, das der Jägerbauer unter dem Dache stehen hatte, besonders die Gegend um die Eiskapelle, deren spitzer Kegel deutlich sichtbar war.

Als sie am frühen Morgen des dritten Tages, nach einer schlaflosen Nacht, die sie mit greulichen Bildern ängstigte, wieder vor den Tubus trat und ihn mit zitternden Händen auf die Eiskapelle richtete, glaubte sie am Rand des Kegels etwas Dunkles liegen zu sehen, was gestern noch nicht da war, zugleich bemerkte sie deutlich eine Fährte, die quer über das Schneefeld der Kapelle zuführte. Weiter war nichts zu unterscheiden. Doch je länger sie hinsah, desto mehr gewann ihre Vermutung Gestalt.

Das Entsetzen, das sie ergriff, mußte rasch ihre Entschlossenheit reifen. Im Nu alarmierte sie das ganze Haus. Der Vater, der Vent, Knechte, Dirnen, alle kamen. Aber sie ließ keine Zeit zu längeren Beobachtungen und Besprechungen, sondern ordnete im Flug das Rettungswerk. Selbst vom Förster, in dessen Haus die Schreckensbotschaft schon gedrungen, ließ sie sich die Führung nicht nehmen, als ob sie ihr alleiniges Anrecht wäre. Die Knechte mußten sich mit Seilen und Äxten versehen, eine Tragbahre wurde eilig zusammengezimmert, zum Doktor nach Schliersee geschickt, keine halbe Stunde währte es, und die Rettungsexpedition war zum Abmarsch bereit.

Da kam die Lisl von der Waldei mit aufgelösten Haarsträhnen, todblaß, hellauf kreischend und mit den Armen in der Luft herumfuchtelnd.

Sie packte Burgl mit eisernen Griffen: »Auf der Eiskapell'n liegt er, red'? Dann hab'ns 'n umg'bracht, das is der Zweite!«

Man wehrte ihrem Ungestüm, da schrie sie laut auf: »Laßt mich mit!«

Da trat die Burgl vor sie. »Du bleibst, und i geh'.« Sie sprach es im streng befehlenden Tone, die Lisl aber reckte sich dagegen mit geballten Fäusten, und wilder Haß loderte auf im irren Blick. »Du Elende! Aber auskomma is er dir doch, dei' Herzallerliebst'r,« rief sie mit dem Lachen des Wahnsinns.

Die Männer packten sie und trugen sie ins Haus, während der Zug sich rasch in Bewegung setzte. Kein Wort fiel, jeder war bedrückt und fürchtete das Schlimmste. Man mied das Dorf, das Gefolge von Neugierigen fürchtend.

Burgl fühlte sich stark und gefaßt. In der letzten halben Stunde war sie sich voll bewußt, was ihr dieser Mann war, und mit dieser Erkenntnis wuchs sie bereits über sich selbst hinaus. Wie schienen da alle menschlichen Bedenken klein vor der Frage: lebt er noch oder ist er verloren für immer!

Außerdem leuchtete ihr noch eine Hoffnung. Warum war der Graßl nicht nach Hause gekommen, wenn er seinen Herrn in der Hütte nicht gefunden hatte, eine Täuschung war doch noch möglich.

Doch kaum betrat der Zug den Wald, da kam er mit pfeifendem Atem durch den Schnee gewatet, von weitem schon fragte er nach dem Baron, und als er die Kunde vernahm: »Bei der Eiskapelle liegt er,« knickte er zusammen. Der bittere Vorwurf, daß er nicht gleich seiner Fährte nachgegangen, in dem Glauben, er sei auf einem andern Weg heimgekehrt, nahm ihm den letzten Atem. Man konnte sich nicht weiter mit ihm befassen und eilte weiter.

Burgl schritt mächtig aus, bald war sie um einen Büchsenschuß voraus, Weg und Steg kannte sie ja weit und breit, es war ihr eine Wohltat, allein zu sein mit ihren Gedanken. Sie glaubte sich jetzt sicher erinnern zu können, daß der mit dem Tubus beobachtete schwarze Punkt wiederholt immer ein wenig seine Lage verändert hatte; dann lebt er, und wenn er lebt, kommt sie nicht zu spät. Nur ein Wort noch von ihm, dann soll er, wenn es sein muß, seinen ewigen Frieden haben, um den er sie angefleht, und sie wird ihr stumpfes Leben weiter tragen, das ihr jetzt plötzlich so furchtbar arm erschien.

Sie hatte längst ihre Leute aus dem Auge verloren, je weiter sie kam, desto mehr drängte sie dem Ziele zu, und ihre Angst, zu spät zu kommen, wuchs ins Unermeßliche. Der Schnee flimmerte vor ihren Augen, der Berg wuchs bis zum Himmel, und noch war sie nicht einmal auf der Wennebrandalm, obwohl sie den nächsten Weg nahm, allem Schnee zum Trotz.

Doch es war, als ob ihre Kräfte unter der Anstrengung wuchsen, der Atem ging ihr leichter, und jede Muskel federte in ihrem elastischen Körper. Den Bergstock aber führte sie sicher und fest wie ein Mann, nur die Haare hinderten sie, die völlig gelöst ihr über das Gesicht hingen; sie mußte sie mit dem Brusttuch festbinden, das sich wie eine schwarze Krone um ihr Haupt legte. So schritt sie trutzig vorwärts, mit dem Berg um das letzte Wort des Geliebten ringend, das war ihr der Unglückliche in diesem Augenblick. – –

Der Mann vor dem Eisschlund kam erst zu sich, als schon die Spitzen ringsum sich leise röteten; ein schmerzhafter Frost durchschüttelte seinen Leib, und jeder Versuch, auch nur ein Glied zu rühren, war vergebens.

Die Erinnerung an das Geschehene war völlig verwirrt, von unausfüllbaren Lücken durchsetzt, jeder Zusammenhang ausgeschlossen. Ein dröhnender Fall, ein schmerzhaftes Aufschlagen irgendwo – ein großer roter Stern – – dann wieder nichts – gar nichts, – dann nach langer Zeit ein Aufwärtsschweben dem Sterne zu, wie von einem breiten Rücken emporgehoben, – schaurige Kälte – der Stern platzt, überrieselt ihn mit eisigen Stücken – der Rücken krümmt sich unter ihm, schleudert ihn irgendwohin – Brausen eines Wasserfalles – ferne Rufe – Franzl! Franzl! – bekannte Gesichter – Nebel darüber. – Nur eines bleibt länger, ein weibliches – Burgl!! dann verschwindet auch das.

Mühsam hebt er das Haupt, blickt um sich, die Spitzen glühen jetzt, die Kälte wird unerträglich, – wenn er nur den Mantel aus dem Rucksack – er spürt es, er liegt darauf. Endlich gelingt es, er zieht ihn über die Brust herauf, die so arg schmerzt. Die Anstrengung genügt, ihm wieder die Besinnung zu nehmen – –

Aber die Wärme läßt ihn träumen, wunderbar träumen, wirres Zeug, so lustig, so froh, – üppiges Leben. – Und die Wärme nimmt zu, überwallt ihn ganz, und mit der Wärme wird er froher, immer lustiger, Pferde, Kameraden, schöne Mädchen, und alles ruft nach dem Franzl – –

Die erstarrten Glieder bewegen sich, nur erheben konnte er sich nicht, – da vernahm er wirkliche Stimmen, – – sie näherten sich offenbar – – Das gespannte Horchen schwächte ihn wieder, warf ihn wieder zurück. Die Stimmen vermischten sich mit denen des Traumes, eine Flut von Licht und Wärme ergoß sich über ihn. – Jetzt war es nur mehr eine Stimme, als ob sie geradeswegs vom Himmel käme, als ob der Stern zu reden anfinge, dessen Leuchte ihn noch immer nicht verließ, der ihn so blendete, daß er die Augen schließen mußte.

Da beugte sich etwas über ihn, etwas Eiskaltes legte sich auf seine Stirn, die Augen wurden ihm gewaltsam geöffnet, ein Gesicht dicht über ihm, ein heißer Atem – – Er umfaßte mit beiden schmerzenden Armen eine menschliche Gestalt, das Leben, – unsagbare Wonne – – dicke Tränen lösten sich aus seinen Augen. Ein Finger wischte sie hinweg, und plötzlich sah er alles klar – – Burgl kniete vor ihm und erweckte mit zitternden Griffen das Leben in ihm.

Sie hob sein Haupt, sie flößte etwas zwischen seine noch immer unbeweglichen Lippen. Sie sah ihm in die Augen, und ein wilder Jubel strömte von ihr aus in unverständlichen Worten und Lauten, die er nie vernommen, und die ihn doch so selig machten.

Er ließ sie gewähren und sog mit gierigen Zügen dieses glühende Leben ein, das ihn plötzlich umgab, ohne mit einem Wort diese glorreiche Feier seiner neuen Menschwerdung zu stören.

Erst die Rufe der Kommenden weckten ihn schmerzhaft, und das erste Wort, zu dem sich die Lippen formten, war – »Burgl!«

Vor der Größe dieses Augenblicks versank alle Vergangenheit, schlossen sich alle Klüfte. Zwei neugeborene Menschenkinder lagen sich erschüttert in den Armen, inmitten der erhabenen Gottesnatur, in der das Licht triumphierte.

Sie wußten beide, im nächsten Augenblick griff das Leben wieder brutal nach ihnen, das Gefühl erhöhte noch den Sturm der Gefühle. –

Die große Natur duldet keine Schwätzer, ernst und gefaßt, ohne unnütze Fragen ging man an das Werk der Bergung, wobei Burgl so energisch ihre Weisungen gab, daß niemand ihr zu entgegnen wagte. Es ging etwas von ihr aus, das nicht den geringsten Widerspruch duldete.

Schönau verlor keinen Blick von ihr, ja, es war ihm, als müßten ihm sofort wieder die Sinne schwinden, ohne ihren Anblick. Er sah jetzt etwas in ihr, was mit der Jägerbauerntochter gar nichts zu tun hatte, und es war gut, daß er nicht sprechen konnte, so schmerzte die Brust.

Auf der Wennebrandhütte wartete der Arzt. Er konstatierte nach einer eingehenden Untersuchung einen doppelten Rippen- und Beinbruch. »Den Winter über werden's schon z' tun haben damit, bei guter Pfleg'. Am besten ist's, wir bringen ihn gleich ins Krankenhaus hinaus, die Waldei ist grade nicht der beste Platz für ein' Schwerkranken,« meinte er.

Als aber Burgl energisch bemerkte, »das lassen's nur meine Sorg' sein, Herr Doktor,« da glitt über Schönaus Antlitz ein sonniger Zug des Dankes.

Unten im Tal angelangt, hatte Burgl alle Mühe, die Neugierigen abzuhalten, die dem Zug entgegenkamen. Sie tat das aber in so resoluter Weise, daß es niemand einfiel, dem Verunglückten nahe zu kommen, an dessen Seite jetzt Burgl wie eine Wache schritt.

Als aber der Zug nach der Waldei einbiegen wollte, da befahl sie kurzweg: »Zum Jägerbauernhof.« Das war dem Vater, mit dem sie den ganzen Weg her kein Wort gewechselt, doch zu viel.

»A bißl mitz'red'n, glaub' i, hätt' i doch a,« wagte er sich heraus, »und er wird's selb'r anders woll'n.«

Schönau, der alles gehört, griff mühsam nach der Hand Burgls. »Nicht in die Waldei,« brachte er zur Not heraus.

Da half auch der Widerspruch des Bauern nichts mehr, so schwere Gedanken er sich auch darüber machte.

Als noch dazu der Graßl, der in die Waldei vorausgeeilt war, um die Lisl zu benachrichtigen und alles für seinen Herrn zu ordnen, mit dem »Greif« an der Leine nachgeeilt kam und die überraschende Nachricht brachte, die Lisi sei überhaupt nicht mehr da, und das Haus stände angelweit offen, da war die Sache endgiltig entschieden.

»Greif« zerrte wie wahnsinnig an der Leine, um zu seinem Herrn zu kommen, um dann, als ihm dieser die Hand auf den Kopf legte, in ein Freudengeheul auszubrechen.

Der Vent kam aus dem Stall gewankt und ließ es sich nicht nehmen, sich vor seinem Herrn hinzuknien und ihm die Hand zu küssen. Das Försterreserl kam den Berg heraufgelaufen und legte einen frischen Blumenstrauß auf die Brust des Verunglückten, ohne vor Schluchzen nur ein Wort hervorzubringen.

So zog Schönau in den Jägerbauernhof ein, und es war ihm, als ob er darin aufgewachsen, als ob er seine Heimat wäre.

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