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Drittes Kapitel

Ein blitzblauer Augusttag, kühl, tauig, die Berge im zarten, blauen Duft; Jagdtagmorgen, was kann es Schöneres geben! Da müssen alle bösen Geister weichen, das ist Jugend, Kraft, Glück!

Das ganze Dorf war in aller Früh lebendig, niemand dachte an Arbeit. Auf dem Treffsplatz, auf der »Hochwies'n«, stand um 6 Uhr schon alles in heller Erwartung. Die Treiber unter dem Befehl des Jägerbauern, die gesamte Jägerei unter dem Graßls, des Oberjägers, und ringsum das ganze Dorf, jung und alt, als Zuschauer. Der Sollacher aber war der Beherrscher von allem, seine weißen Bartfahnen flogen ihm über die Schultern im frischen Luftzug, seine grauen Augen blitzten ganz jugendlich. Da gab's auch noch alles Erdenkliche zu mahnen.

»Daß ihr mir ordentlich Linie halt's, unt'n ordentlich nachdruckt's, net einer dem andern nachlauft, wia die Schafl, wenn's a bißl kritisch hergeht; und es Jung'n, net gleich schrein und blärn, erst wenn's vor die Schütz'n seid's, nacher richtig, daß sich was rührt. Der Graswang steigt beim Herzog sein Stand eina, daß 's auch was gleich siecht, weißt schon, Graswang, wie's die Herrn woll'n. Und der Graßl, der Graßl kommt beim Baron Schönau raus, lieber wär's mir freilich, du bleibst gleich auf sein' Stand, weg'n dem z'früh schieß'n –«

»Braucht's net, Herr Förster, der schießt net z' früh, das weiß i.«

»So und dann, daß ihr mir nur auf die Exzellenz, den Herrn Finanzminister aufpaßt's, der muß z' Schuß komm'n, und wenn er was ang'schoss'n hat, daß ihm ordentlich nachsucht's, g'fund'n muß es werd'n, das Stückl – dafür is er Finanzminister. Und den Herrn Forstrat net am Stand vergess'n, der find't ja sonst net 'runter mit seine schlecht'n Aug'n, und d' Frau Herzogin glotzt's mir net alleweil an, sie kann das net leid'n. Und no' was – aufpass'n, daß kein Unglück net g'schiecht, net daß weg'n so an damisch'n Loder die ganze Jagd verpatzt is.«

Der Herzog fuhr vor, seine Gemahlin an der Seite, und machte den endlosen Mahnungen ein Ende. Ein wohleinstudiertes Hoch empfing ihn. Ein schlanker Herr mit einem scharfgeschnittenen Denkerkopf, nur das windige Hütl mit der Spielhahnfeder und die vornehme Haltung erinnerten an frühere, leichter genommene Zeiten. Dann folgten die Gäste von weniger weidmännischer Art, der Herr Geheimrat paßt nicht recht in das Berglergewand, die schlohweißen Knie, die behäbige Gestalt, die Brille vor den Augen stören, ebenso wie die militärischen Allüren anderer, welche in diesem Gewande gewöhnlich verkehrt wirken.

Da war nun Baron Schönau ein wohltuender Gegensatz. Da war alles Natur, wie aus ihr herausgewachsen, die schlanke Gestalt, das gebräunte Gesicht, die kraftvollen, sicheren Bewegungen, ungezwungen, das klare, feste Bergauge, die Erbschaft Lungaus. Man hätte ihn für einen Jagdgehilfen halten können, wenn nicht der feine Bau der Hände und Füße ihn verraten hätte.

Der Aufstieg begann. Sollacher stellte die Schützen an, nicht ohne seine kleinen Bosheiten loszulassen. »Herr Geheimrat, wenn's so g'fällig wär'n, wiss'ns, schon vor zwei Jahr'n hab'ns da an Gamsbock g'fehlt, grad a bißl besser herlass'n.«

Der Herr Geheimrat ist nicht sehr erfreut über diese Erinnerung in Gegenwart der ganzen Gesellschaft.

»Exzellenz, wenn i bitt'n dürft, a bißl eng, aber in die Weit'n langt's do' nimm'r mit 'm Sehn. Für den zweit'n Bog'n grad umkehr'n. So a fünf Stund' wird's dauern. Nur net einschlaf'n, gel? Der zweite Bog'n is der beste, kunnt gleich a guter Hirsch a kommen.«

»Königliche Hoheit, da brauch' i nix z' sag'n, grad wenn i bitt'n dürft, Treib'r ganz reinlass'n, die alt'n Böck steck'n sich gern.«

Der Herzog nahm seinen Stand ein, nur noch der Baron war übrig. »Also, Franzl, Obacht, führ' dich gut ein bei der Zeller Jägerei,« sagte der Herzog.

Schönau stutzte, als er seinen geschmückten Stand sah, das konnte nur eine Frauenhand getan haben. Der alte Roué regte sich wieder in ihm, wehmütige Erinnerung stieg einen Augenblick auf.

»So san's die Mädln,« erklärte der Sollacher, »Wissen's, der Husar steckt ihna halt im Kopf. Also ich bitt' Ihna, net eher z' schieß'n, eh's die Treib'r seh'n, Sie san ja a Jaga, was i so kenn'. Weidmannsheil!«

Schönau ließ seinen Träger mit dem Förster gehen, er sehnte sich, allein zu sein. Er nahm die Edelweißsterne und steckte sie auf den Hut. »Die Burgl und keine andere hat das getan, ein Blitzmädel das!« Nicht leicht hatte ihn eine Huldigung so gefreut. Er war ganz stolz auf sich, daß er so harmlos darüber dachte. Sonst tauchten im ähnlichen Falle gleich böse eigennützige Gedanken auf, der Bauerntochter stand er unschuldig gegenüber ohne jeden schlimmen Hinterhalt, und das tat so wohl, erschien ihm viel männlicher als diese ewige wilde Jagd, dieses ewige Überlisten und Verführen.

Er richtete sich in seinem Stand zurecht, die alte Jagdlust erwachte, heiliger Hubertus, nimm mich an deine Hand!

Groteske Wände stiegen steil in einen latschenbewachsenen großen Graben an, stark begangene Wechsel führten hindurch, sein Jägerauge erkannte sie sofort. Dann begann das wohlige Träumen auf einsamem Stand, kein Laut, nur irgendwo sickerte leise ein Wasser über das leuchtende Gestein, dessen seltsame Formen förmlich Leben annahmen, der blaue Himmel von kleinen, weißen Wölkchen durchsegelt.

Da dringt der Friede in die Seele, und das kleine Gewürm in ihr verkriegt sich. Es handelte sich für ihn gar nicht um die Jägerei, mehr um die Rückkehr zu den Quellen, weit zurück vielleicht, die aus dem heimatlichen Boden fließen, den er zu früh verlassen mußte. – Eine neue Heimat suchen, neue Wurzel ansetzen! Wie er diesen Jägerbauern beneidete, so zuwider ihm sonst der Mensch war, so fest gefügt, bodenständig; gegen ihn war er ja doch der ausgemachte Proletarier, da konnte der Baron nichts daran ändern.

Donnerwetter, ein Gams! Er faßte die Büchse fester. Ein guter Bock stieg dicht vor ihm ins Gewänd, verhoffte nach rückwärts, wieder ein Sprung vor, wie ein Scheibenbild stand er da. Schon war die Büchse an der Wange. Gerade noch besann er sich. Schäme dich, Mensch! Die Blutwelle, die in ihm aufgestiegen, verebbte wieder.

Der Bock verschwand in den Latschen, dann aber wurde es auf allen Seiten lebendig. Überall wand sich eine gelbe Linie, das Gamswild, durch das Gestein. Doch die Treiber mußten noch weit sein, dem harmlosen Gebaren des Wildes nach. Die Alten stießen sich mit den Jungen, als gälte es nur ein Spiel, es war lustig zuzusehen, plötzlich aber kam Bewegung in die frohe Schar. Die Grinde fuhren unruhig hin und her, dann oben ein Pfiff, und unter rasselndem Steinschlag ging's hinunter in den Graben, dicht am Stand vorbei, dann wieder zurück, abwärts.

Am Herzogsstand knallte es fort und fort, vor Schönau war wieder alles leer. Das war eine gute Lehre für den Anfang. Endlich einmal seinem Trieb nicht rücksichtslos folgen. Er war ganz stolz darauf, das große Kind.

Da vernahm er die ersten Treiber, ein Hut tauchte oben auf der Schneide auf, die ganze Kette näherte sich mit Steckengeklapper und Hussa, Hurra, wau, wau!

Jetzt kam seine Zeit, die Gemsen drückten jetzt nach oben, ein Einsamer schlich listig ab, verschwand in den Latschen, tauchte wieder auf. Die alte Begierde schlug in ihm auf, es pochte im Zeigefinger, es kam ihm vor, als presse sich seit Monaten zurückgedämmte Leidenschaft in diese eine Sekunde. Einen Augenblick genoß er die Wollust des gefaßten Zieles, dann schoß er. Der Bock kugelte in den Graben, einen breiten Schweißstreifen im gelben Gestein zurücklassend. Jetzt kochte er, das Blut stieg ihm in die Augen. Ein zweiter Kapitalbock sauste herüber, er streckte ihn im vollen Lauf, daß er dicht bis vor den Stand kugelte. – Ein drittes Stück! Er hatte den Zügel verloren, es kollerte schlecht geschossen in den Graben, und ein Kitz erschien an seiner Stelle.

Da erwachte er aus seinem Taumel vor Scham. Eine Kitzgeiß aus dem ersten Stand – das war er, der leichtsinnige Husar, der Sklave seiner Leidenschaften! Schande!!

Da gingen von neuem Steine. Er tat keine Patrone mehr in den Lauf. In den Latschen regte sich etwas – er will nicht mehr schießen. Eine Hahnenfeder tauchte auf, – ein Treiber wohl. – Jetzt hob sich ein Arm mit dem Bergstock, ein Kopf erschien, verschwand ebenso rasch wieder hinter einem Latschenbusch. Es war Schönau, als ob jemand durch das Geäst hindurch ihn beobachte.

Das war unvorsichtig, wenn er rasch schießen müßte, konnte ein Unglück geschehen. Eben wollte er rufen, da hob sich wieder der Kopf, ein Mädchenkopf – Burgl! Was wollte sie hier? Den Spion spielen, die Blumenspenderin, oder ihren Lohn einheimsen? Das verdroß ihn, altes Mißtrauen erwachte.

Da winkte sie ihm schon zu und stieß einen lauten Juchschrei aus. Offenbar machte sie kein Geheimnis aus ihrem Kommen, trieb wohl immer mit, nur er sah wieder alles Erdenkliche dahinter, – er gab den Ruf zurück.

Jetzt mußte sie einen engen Gemswechsel annehmen, um in den Graben zu gelangen. Es sah gefährlich aus, unbezwingliche Angst stieg in ihm auf.

»Obacht, Burgl!« rief von oben eine Männerstimme. »Die Wand is hübsch roglich (brüchig)!«

Da fühlte er sich einen Augenblick gelähmt vor Entsetzen, das Mädchen hing jetzt förmlich mitten in der Wand und schien nicht mehr vorwärts zu kommen. – Da sprang er auf, ihr entgegen. Gewandt in allen Leibeskünsten, war er im Nu dicht unter ihr.

Sie lachte nur. »Aber Herr, i komm' schon außa!« Dann gab sie sich einen Schwung auf die Platte hinüber, von der sie ein Steinriß trennte, und ehe er sich's versah, lief sie selbst wie ein Gams das schmale Band entlang bis zu seinem Stand, während er Mühe und Not hatte, sich aus seiner Lage zu helfen.

Lachend empfing sie ihn. »Ja, schaun's, die Burgl laßt sich net so mir nix, dir nix hol'n. War Ihna wirklich angst um mi?«

»Arg, Burgl, ich sah dich schon stürzen.«

»Das wär' weit'r kein Unglück g'wes'n,« erwiderte sie mit einer großen Bitterkeit. Sie band die gelösten Zöpfe hinauf und trocknete ihr glühendes Gesicht.

»So spricht man nicht, Burgl, wenn man so wenig Grund dazu hat wie Sie.«

»Meinen's, weil i die Jägerbauerntocht'r bin?«

»Weil Sie frisch und gesund sind, auf sich selbst gestellt, frei und stolz.«

»Stolz? Auf was denn? Frei – frei, ja das bin i, mit Herz und Hand! Macht's mir a kein'r streitig, mein' Freiheit! Au weh, a Kitzgeiß!« Sie wies auf das gefällte Stück im Graben, das ihr geübter Blick sofort richtig ansprach.

»Ein sauberer Jäger, denken Sie wohl,« sagte Schönau. »Sehen Sie, das ist die ungezügelte Leidenschaft. Schämen muß ich mich.«

»Husarenleidenschaft halt,« meinte lachend das Mädchen.

»Ich will sie mir aber gründlich abgewöhnen, deshalb bleib ich ja hier. Wollen Sie mir helfen dabei, Burgl?«

»I – so a Bauernmadl – dem Herrn Baron? Das müßt sich gut ausnehma –«

»O dieser Baron! Daran stoß' ich mir noch meinen armen Kopf wund! Da nehmen Sie meine Hand, so, wir wollen Freunde sein. Ich brauche einen, notwendig, Burgl, und Ihnen traue ich.«

Sie erwiderte unwillkürlich den Druck seiner Hand. Es lag etwas in seiner Stimme, was auch ihr Vertrauen weckte. »Bei uns hat's ja keine G'fahr net,« setzte sie in ihrem alten, bitteren Ton hinzu.

Der Treiberlärm näherte sich und schwoll immer mehr an. Wild, das sich gesteckt, rasselte in toller Flucht daher. Schönau schoß noch einen guten Bock in voller Flucht, daß er dicht vor Burgls Füße kollerte. Sie stieß einen lauten Juchzer aus, und die Treiber fielen im Chor ein.

Von Graßl geführt, stiegen sie in den Graben. Jener aber stand wie erstarrt auf seinem Köpfl und blickte zu dem Baron hinüber, der mit Burgl eine förmliche Gruppe bildete. Ein bitteres Gefühl stieg in ihm auf. Er liebte Burgl wie sein Kind und war längst auf den Vent, den Schweizer, eifersüchtig, – sollte er jetzt mit noch ein' eifern müssen. Leicht san's schon die Herrn – da aber hätt' er's mit ihm zu tun, so gern er ihn hat!

Der Herzog kam herauf und gratulierte zu dem Erfolg. »Du hast dich ja gut eingeführt, und die Burgl auch schon da!« Er drohte mit dem Finger. »Franz! Franz! Pfui Haas!«

Das verdroß ihn. Immer dieser häßliche Verdacht, als ob er der ständige Verführer sein müßte, und er fühlte sich diesmal wirklich rein. – – –

 

Auf der Jägerbauernalm stand der Vent unter der Tür, sein schwarzes Lederkäpplein in der Hand, eifrig nach den Ankommenden spähend. Jetzt hatte er ihn erkannt, seinen Liebling von Lungau, und, wie wenn es sein sollte, er ging dicht neben der Burgl, seinem zweiten Liebling auf der Welt, und ein Paar war's, nix Schöneres nimmer auf Erden. Die Augen gingen ihm fast über. Ja, wie war's denn nur möglich, sein geliebter Franzl von Lungau, jetzt ein Mordsmensch, gewachsen wie ein Radl, und die Burgl, grad als ob's so sein müßt'. Er dachte dabei wahrhaftig nicht das geringste, aber die hellen Tränen liefen ihm über das runzlige Gesicht herunter. Dann kam er mit eingeknickten Knien seinem ehemaligen jungen Herrn entgegen, die Lederkappe zwischen seine braunen Finger pressend.

»Ja, san' Sie's denn wirklich, Baron Franz, mein Franzl. Ja, kenn'ns mi denn nimm'r? Der Vent von Lungau, der Kühmensch, der Ihna alleweil auf den Flax hat reit'n lass'n. Das war a Stierl, kein schönres hab' i mein Lebtag net g'seh'n, und der Geisbock, der Ihna amal aufgabelt hat! Da hab' i's kriegt von der Frau Mutter. Mein Gott, wenn i denk' – dann san's zum Militär, und mi' hat's daher trag'n. Aber weil i Ihna nur wieder seh' – und a Mannsbild san's word'n. Jessas, der Franzl! Verzeih'ns scho', Herr Herzog,« den hatte er bis jetzt ganz übersehen. »Aber er war so viel gut mit mir, der Herr Baron.«

Schönau packte die Jugenderinnerung, er drückte dem Alten herzhaft die Hand, der sie demütig küßte. »Ja, ja, das waren andere Zeiten. Jetzt lassen wir sie ruhen. Ich werde dich schon öfter aufsuchen, dann wollen wir plaudern davon.«

Der Vorfall blieb nicht unbeachtet, er weckte unwillkürlich Sympathie für den jungen Mann. Niemand aber freute sich mehr darüber als Burgl. Diese Anhänglichkeit des alten Mannes, das herzliche Entgegenkommen des Barons, der trotz aller seiner Erlebnisse in der Welt den alten Freund aus der Heimat nicht vergessen hatte, machten einen starken Eindruck auf sie. Das muß ein guter Mensch sein, der so was kann.

Sogar der Jägerbauer sah sich zu einer Bemerkung veranlaßt. »Das lob i, Herr, daß den alt'n Vent net vergess'n hab'n. Ja, ja, die Heimat, die laßt halt net aus, so lang man die hochacht't, is net so weit g'fehlt.«

»Freut mich, daß Sie mich noch nicht ganz aufgegeben haben,« erwiderte nicht ohne Spott der Baron, »das darf man nie, ehe man einen Menschen nicht ganz genau kennt.«

Burgl freute sich königlich über diese Zurechtweisung. »Jetzt hast's, Vater.«

 

Kalte Küche war vorbereitet, Bier und Wein. Die Strecke des Triebes war sehr befriedigend. Schönau hatte den besten Bock, die Kitzgeiß hatte Graßl zur rechten Zeit auf die Seite geräumt.

Der Platz war herrlich, weite Aussicht auf das Flachland bis in die Münchnerstadt, deren mächtige Türme durch den zarten Nebel sichtbar waren. Ringsum weidete das Vieh, und die Geißglöckerln bimmelten. Eine Jägeridylle sondergleichen.

Urwüchsiges Behagen ergriff alle, man fühlte sich wieder einmal ganz als Mensch, alle Scheidewände fielen. Der Herzog unterhielt sich mit den Treibern, die Exzellenzen und Geheimräte schnitten Burgl, die Brot und Schinken kredenzte, die Tour. Der Vent aber saß unter der Tür und war glücklich, ganz im stillen seinen Franzl bewundern zu können.

Der Graßl hatte ihm schon alles erzählt, daß der Baron ganz hier bleiben werde; wird ihm halt irgend was fehlen, das sich hier ausheilen soll, meinte er. Grad mit der Burgl sei's halt so a Sach', so a ganz saubres Ding und so a Herr im selben Haus. – »Wenn's du ihm halt klar machen kunnst, daß die Burgl keine solche is, weißt schon, wie so Herrn oft denken.«

Da kam er aber schlecht an beim Vent, was er denn nacher von sein' Franzl glaub, einsteh'n tät er allezeit für ihn.

Doch der Graßl ließ sich nicht so leicht beruhigen. »Jung is jung, und a Unglück is da gleich g'scheh'n.«

Und jetzt saßen sie wirklich gerade beisammen, der Franz und die Burgl, und dem Vent gingen die Augen über über das schöne lebfrische Paar.

»Ja, wenn die Menschen net so narret wären und ein Einseh'n hätt'n, so vom Anschau'n tät'ns wohl z'samm pass'n, wie nix zweit's net, und die beste Zucht könnt's geb'n, und der Jägerbauernhof war a net zu veracht'n – – Aber – aber, mein alter Vent, was du all's z'samm träumst.« Er mußte die Augen wischen, so biß ihn das Naß darin.

Das Horn blies zum Aufbruch! Die Kitzlahner war ein berühmter Trieb, und lange Mittagsrast schwächt immer den Erfolg. Kopf, Hand und Augen müssen ruhig sein, darum ist der Morgen die beste Jagdzeit.

Schönau hatte den höchsten Stand, ziemlich eng in den Latschen, aus denen da und dort weiße Felsköpfl heraussahen, die er nicht aus den Augen lassen durfte. Der Förster ließ ihm die Wahl, wen er auf dem Stand behalten wollte, den Graßl oder den Jägerbauern. Er wählte absichtlich den letzteren. Der sollte keinen Schatten werfen in den genußreichen Tag, der ihn so zukunftsfreudig machte.

Der Jägerbauer nahm unter ihm wohlgedeckt Platz. Kein Wort kam über seine Lippen. Schönau sah sich ihn erst jetzt genau an. Er kam sich ganz schmächtig vor neben dem derben, breitschulterigen Mann, dem ein schwarzer Vollbart das Gesicht umrahmte. Unbedingt eine Persönlichkeit, die zu gewinnen vielleicht mehr Wert hatte, als ein Dutzend andere. Absolute Offenheit schien ihm der einzig richtige Weg.

»Sag' einmal, Jägerbauer, was hast du gegen mich?«

Der Bauer sah mit gemessener Bewegung aus und ihm scharf ins Gesicht, verlegen war er nicht.

»Was soll i denn hab'n?«

»Du magst mich nicht, denn du achtest mich nicht.« Schönau stieg das Blut ins Gesicht.

»Wer sagt Ihna das?«

»Du selbst, dein ganzes Wesen.«

»Na, dann verzeih'ns, Herr, i kann mich net anders mach'n, als i g'wachs'n bin, – i bin halt a Bauer, und Sie san a Herr.«

»Ist das ein Grund, sich feind zu sein?«

Jetzt fühlte der Jägerbauer sich doch in die Enge getrieben, das vertrug er nicht. »Na, dann grad raus, Herr, i weiß net recht, was i aus Ihna mach'n soll, – nix für ungut, aber man is was oder is's net.«

»Also ich bin der Baron Schönau, hast du was dagegen?«

»G'wiß nix, aber der Graßl sagt, daß S' hier bleib'n woll'n in der Zell – zum Jagern,« sagt er.

»No, und was paßt dir denn nicht? Bist du nicht selber Jäger?«

»Aber z'erst bin i der Jägerbauer –«

»Dann bin ich halt zuerst der Baron Schönau für dich –«

»Wollt's ein Grund kauf'n hier, oder nur a Häusl?«

»Gar nichts will ich kaufen, wozu denn –«

»Also grad in der Miet' wohn'n und grad jagern wie der nächste beste Jagdgehilf', a Baron – I hab' mir halt denkt, a Baron müßt an Grundbesitz hab'n, oder no' was anders sein, a Beamter oder was –«

Schönau fühlte die Berechtigung des Zweifels, und er schämte sich nicht. »Du weißt doch, daß ich Offizier war – –«

»Wohl, wohl, aber jetzt san Sie's nimm'r –«

»Weil ich ein Leichtfuß war, weil ich mein Vermögen verputzt habe, – wirst es schon gehört haben.«

Der Bauer nickte.

»Und das paßt dir nicht, das findest du schlecht –«

»Grad raus,« lautete die kurze Antwort.

Schönau ließ sich nicht irre machen. »Aber die Gründe kennst du nicht, das verführerische Leben in Wien, die Verführungen für ein junges Blut, die Leidenschaft, die Erbschaft des Blutes, das alles kennst du nicht –«

»Wohl net so g'nau, aber i mein halt, so a Herr, der Sohn von ein' Schloßbesitz'r, der auf sein' eigenen Grund und Bod'n sitzt – mein' ich halt – der sollt was anders werd'n wie a Jäger –«

Schönau zuckte unwillkürlich zusammen. Die Worte trafen ihn. »So meinst du? Und wenn ich wieder mehr würde, wenn ich mich wieder hinaufarbeiten könnte, über den Jäger hinaus, – dann – dann könntest du mich wieder achten, sag nur, wie du's meinst –«

Der Jägerbauer ließ sich nicht irre machen. »Wohl, das könnt' i und freu'n tat's mich a.«

Diese Offenheit imponierte Schönau. »Na, dann laß mich's doch versuchen, – willst?« Er reichte ihm die Hand.

Der Jägerbauer drückte sie derb, es ging sichtlich eine Wandlung in ihm vor. »Das is a seltsam'r Mensch, man kann ihm net feind sein,« ungefähr so dachte er sich's.

Der Trieb hatte längst begonnen. »Obacht, Baron, gleich werd'ns da sein,« warnte der Bauer. Der bekannte Funke knisterte über zwischen beiden Männern, und schon erschien ein Gams aus einem der weißen Schnaken, verhoffte, sprang herab in den Latschenwald. Ein zweites, ein drittes folgte, eine ganze Reihe.

Über Schönau war jetzt eherne Ruhe gekommen. Lauter Geraffl, Kitzgeiß, Jährlinge, Zweijährige. Es hätte der ständigen Warnung des Bauern, nicht zu schießen, nicht bedurft, die Guten kommen immer am Schluß. Endlich, da stand einer, mindestens fünfjährig, Knall und Sturz in die Latschen. Ein zweiter folgte ihm. »Jetzt schieß' du, Bauer, wir wollen uns teilen.«

»Das gibt's net, a Reisjäg'r hat nix z'schieß'n, wenn er bei an Herrn is.« Er ließ sich nicht bewegen.

Ein Geweih wurde sichtbar in den Latschen, ein Achter! Er rannte dicht gegen den Stand in seiner Verwirrung. Schönau lag schon im Anschlag.

»Lass'n 's lauf'n, den Teufl, in ein paar Jahr bist froh drum,« meinte der Bauer.

Schönau setzte sofort ab.

»Schau, das lob' i, das kann net jeder von die Herrn.«

»Ich bin auch kein Herr mehr, merk' dir das, Jägerbauer; wenn ich's wieder bin, sag' ich dir's schon.«

Jetzt trat Ruhe ein auf dem Stand.

»Deine Burgl ist ein braves Mädl,« begann Schönau plötzlich. »Die gefällt mir, da steckt Rasse drin.«

»Sei so gut und sag's ihr, is eh' nimma zum derreit'n vor laut'r Stolz.«

»Sei froh, ein Mädl kann nicht stolz genug sein.«

»So, und mein einziges Kind – wer soll denn nacher einmal Jägerbauer werd'n –«

»Das wird sich schon finden, paßt auch nicht jeder zu ihr, laß ihr nur Zeit –«

»Bis's a rechte Dummheit macht, – gel?«

»Was nennst du Dummheit?«

»Wenn's ein bringt, der net auf 'n Hof paßt.«

»Wenn sie ihn aber liebt.«

»Lieb – lieb – das gibt's net bei die Bauersleut! Wirtschaft, Wirtschaft, das andre is grad für die Herrisch'n –«

»Ich sag' dir aber, wir sind alle Menschen, Herrische und Bauersleut, und brauchen Liebe, viele Liebe.«

»I hab's mein Lebtag net braucht und is a ganga, – mir soll's komma! Aber jetza,« die Gestalt des Bauern sank förmlich in sich zusammen, »unt'n bei der weiß'n Platt'n, sehn's ihn? Die dritte Kron – sakra schieß'ns.«

Ein Zehnerhirsch schlich, den Hals weit vorgestreckt, wie ein Fuchs den schmalen Wechsel durch die Latschen heraus. Die Burgl und der Jägerbauer und alle guten Vorsätze waren vergessen. Der Jagdteufl hatte Schönau wieder in den Krallen. Sein Auge trank das edle Wild – nur noch hinter der Latsche hervor, – der verdient einen sicheren Schuß. Einen Augenblick stutzte der Hirsch, der Wind war wohl umgesprungen, da brach sich schon der Schuß wie ein Peitschenknall an der Wand gegenüber. Der Hirsch polterte noch abwärts in den Graben, um dann, zwischen zwei große Steine geklemmt, zu verenden.

Schönau war in höchster Erregung. »Jägerbauer, an die Stunde denken wir noch öfter.« Sie reichten sich nach Weidmannsbrauch die Hände und sahen sich fest in die Augen.

Dem Jägerbauern schwand jedes Mißtrauen, es war ihm, als habe er dem Baron etwas abzubitten; dann stieg er zu dem gestreckten Hirsch hinunter, schnitt ihm mit dem Knicker die »Grandln« heraus und brachte sie dem Schützen.

»Die müss'ns Ihna schon extra fass'n lass'n, als die ersten Zell'r! Die muß die Frau Baronin tragen am Hochzeitstag.«

Schönau sah ihn zum erstenmal lachen. »Die Frau Baronin wird auf sich warten lassen, habe auch kein verlangen danach.«

»Was man net weiß, das geht oft schneller, als man meint.«

In dem Augenblick drang Burgls Stimme herauf. »I gratulier', Herr Baron.«

Das Mädchen stand in dem steinigen Graben vor dem Hirsch und winkte mit einem Latschenbruch herauf, den sie echt weidmännisch in den aus dem Blattschuß rinnenden Schweiß getaucht hatte. Schönau war unwillkürlich betroffen, ein wahrer Segen, daß es nur die Burgl war, abergläubisch war er genug, an irgendeinen geheimnisvollen Zusammenhang zu glauben.

Schönaus Renommee als Schütz und Jäger war jetzt fest begründet, die Zeller sahen ihn nun mit ganz anderen Augen an.

Die Jagd war zu Ende, man traf sich wieder auf der Waldwiese. Schönau war der Jagdkönig mit vier Gemsböcken und einem Zehnerhirsch.

»Du kannst mit dem heutigen Erfolge zufrieden sein,« bemerkte der Herzog zu ihm. »Von den Exzellenzen bis zu dem jüngsten Treiberbuben ist alles entzückt von dir, von unseren Zellerdamen gar nicht zu reden, ein wahres Glück, daß sie keine Objekte für den Herrn Husaren sind.«

Wenn auch die Worte des Herzogs nur scherzhaft zu nehmen waren, im Grunde genommen war Schönau doch vollauf zufrieden mit sich. Das war alles mögliche für einen Tag. Den Förster für sich zu gewinnen, der in seinem Hierbleiben doch immer eine Kontrolle sehen mußte, den widerspenstigen Graßl zum Freund gemacht, den strengen Hausherrn, der ihn gestern noch gründlich verachtete, herumgebracht, den alten Vent, den Jugendfreund, gefunden, als Jäger und Schütze gefeiert, vom schönen Reserl angeschwärmt, die Burgl zur Freundin gewonnen, wenn er wirklich noch der Husar wäre, er müßte ganz stolz sein auf seinen Erfolg, – aber er war es wirklich nicht mehr, er war dankbar für jedes gute Wort, jeden wohlgemeinten Rat und nur von guten Vorsätzen geschwellt.

Mag der Jägerbauer noch so verächtlich von der Jägerei denken und alle die Exzellenzen und Geheimräte dazu, so soll ihn doch nichts irremachen, ihr von der Pike auf zu dienen, Körper und Geist wieder an ihr zu stärken, um einen neuen Absprung für das künftige Leben nehmen zu können; die Zellerluft, ein schlichtes, freies Leben wird das übrige zu seiner Reinigung tun. Von dieser Notwendigkeit einmal überzeugt, sah er allen Entbehrungen, allem Verzicht auf die Freuden der Welt mit Gleichmut entgegen. Die Jagd als Erzieher! Warum nicht? Er hat, weiß Gott, schon viel schlechtere gehabt. Kommt alles darauf an, wie man's treibt. Nur wieder ein Mann werden, der sich selbst in der Hand hat. Anstatt des vagen, betrügerischen Ehrbegriffs der großen Welt, der oft nur ein leerer Schemen ist, seinen eigenen festgefügt besitzen, der in dem großen Buche der Natur geschrieben steht, diesem ewigen Kodex des Rechtes, dann sollen sie nur kommen und über ihn die Nase rümpfen und ihn gering schätzen, wenn sie können.

Vor allem mußte er einen Platz zum freien Wachstum seiner Wurzel haben. Als er den Jägerbauernhof betrat, kam es plötzlich wie eine Erleuchtung über ihn, das war nicht der rechte Platz dazu, – der zähe Bauer, – Burgl, – nein, das ging nicht. Schon wieder stand ein frischer Blumenstrauß auf dem Tisch, der das ganze Zimmer mit seinem Duft füllte. Schade! Aber es ging nicht, er mußte für sich sein!

Als er den Jägerbauern darüber zu Rate zog, war dieser ganz ungehalten. »Paßt Ihna was net bei mir?«

Er erklärte ihm, daß er ein Häusl für sich allein haben möchte, wenn auch noch so bescheiden, und eigene Wirtschaft.

»So überlass' dem Baron doch die Waldei, das wär' so a Jagerheimat,« meinte Burgl.

»Tu's net gern, die ›Waldei‹ –« Er schüttelte bedenklich den Kopf. »Es hat was damit. Aber schau'n ma's uns amal an, grad an Büchsenschuß, weiter is's net, wenn's Ihna paßt. A heimlich's Platzl is's wohl, und kein Wunder wär's net, wenn's drin spuk'n tät –«

Der Graßl lachte nur. »Da kommst bei so an Herrn grad recht –«

»Was Herr, was Bauer, das is Glaubenssach',« erwiderte der Jägerbauer verstockt. »Also woll'n Sie's Ihna noch anschau'n oder net, mir liegt's gut a so, die Waldei.«

Schönau bestand jetzt erst recht darauf, das Haus zu besehen, die Bedenken des Jägerbauern reizten ihn nur.

Dieser hielt mit der Geschichte der Waldei nicht zurück. Sie wurde als Futterstadl auf dem Grund des Jägerbauern erbaut mit der Bedingung, daß, falls die Fütterung aufgegeben oder die Jagd in andere Hände kommen würde, alle Baulichkeiten auf dem Platze dem Jägerbauern anheimfallen sollten. Seines Vaters Bruder ging in herzoglichen Jagddienst, starb in der Waldei als Wildfütterer im hohen Alter. Seine Tochter, die ob ihrer Schönheit im ganzen Tale berühmte Lisl, heiratete einen jungen Jagdgehilfen, der in die Waldei einzog. Damals war eine böse Zeit, die Wilderei in vollster Blüte, die Tiroler waren wieder locker geworden, die ständigen Feinde des Zeller Reviers. Der Maxl aber war ein pflichttreuer Jäger, dem die Sach' arg nah' ging; so wagte er alles daran, sein Revier zu säubern. Zwei Tiroler hatte er schon »durchtan«, wie der Volksausdruck war, dann aber kam er selbst an die Reihe. Mitten vom Futterplatz schossen ihn die Kerle weg. Die Lisl, sein junges Weib, fand ihn, als sie vom Dorfe zurückkehrte, schon in den letzten Zügen vor der Haustüre. Sie tat ihm noch den Schwur, nicht zu ruhen, bis sie sich an dem Mörder gerächt habe. Man ließ sie allein mit ihrem Töchterl in der Waldei, das bißl Füttern im Winter konnte sie ja auch besorgen. Man sah sie nicht mehr im Dorf, und wenn es geschah, schreckte man sich vor dem wilden, scheuen Wesen, das sie zur Schau trug – –. Man vergaß sie und die Waldei, ja, man schlug ein Kreuz, wenn man daran vorbei kam. Es war nicht geheuer in dem finstern Wald, in dem sie lag. Der Maxl fand seine Ruhe nicht, bis er gerächt war, machte sich die Lisl zurecht. Sie war auf ständiger Kundschaft, hüben und drüben der Grenze, ja, es hieß, sie zettle die verwegensten Verhältnisse an, alles nur, um hinter den Mörder des Maxl zu kommen. Ein Jäger im Tiroler Nachbarrevier half ihr dazu. Der Jäger war jung, die Lisl ein bildsauberes Weib, sie versprach ihm ihre Gunst um blutigen Preis. – Da wurde eines Tages dicht an der Grenze, wo es zum sogenannten Tatzlwurm ging, ein Tiroler erschossen aufgefunden. In seinem Rucksack fand sich ein Abschraubgewehr, also ein aufgelegter Mord. Der Untersuchungsrichter kam, der Tirolerjäger stellte sich selbst als Täter. Warum er geschossen habe, da der Mann sein Gewehr im Rucksack hatte? Da gestand er, daß er seinen Kollegen aus dem Bayerischen habe rächen wollen, den Mann der Lisl aus der Waldei. Der Beisatz war verhängnisvoll. Ob die Lisl ihn vielleicht dazu gebracht, ihm ein Versprechen gegeben? Da gestand er alles, die Lisl wurde verhaftet. Fünf Jahre Gefängnis war das Urteil, für den Jäger zehn Jahre Zuchthaus. Als sie nach der Haftzeit wieder heraus kam, war sie gebrochen an Leib und Seele. Auf Befehl des Herzogs überließ man ihr wieder die Fütterung in der Waldei. Das Unglück hatte sie gefeit, man hatte eine heilige Scheu vor ihr und betrat nicht gern ihr Revier.

»Ausschaun tut's grad net recht heimlich, aber sonst is das beste Leut', das seine Wirtschaft in der Ordnung halt.«

»Schau'ns, da is die Waldei, die Hütt'n is alleweil noch gut und laßt sich zu an richtigen Jagdschlößl herrichten. Weiter wird's kein Anstand hab'n beim Herrn Herzog, denk i. Und die Lisl, – die Lisl muß halt hinaus, wenn der Baron einziehen will, obwohl sie keine schlechte Hauswirtin war, was i weiß.«

»Die Lisl bleibt,« erklärte Schönau fest. »Oder ich zieh' überhaupt nicht ein, und jetzt schaun' wir sie uns einmal an, die Waldei. Der Name tät mir passen.«

Schönau nahm nur den Jägerbauern als Führer mit. Einen Büchsenschuß vom Hof lag ein uralter Fichtenbestand, der einen schnurebenen Boden bildete und sich ununterbrochen hinaufzog bis zu dem Almland des Wendelsteins. Der Forstmann konnte diesen Waldkomplex, der längst schon überständig war, allerdings nicht rechtfertigen, aber für den Jäger bildete er einen trefflichen Winterstand; so wurde er seit einem Jahrhundert wie ein Bannwald gehalten, sintemal der Jägergeist in der Zell über Sägprügl und Kubikmeter noch nicht ausgestorben war.

»Muttergottes von Birkenstein, hab' Dank dafür,« pflegte der alte Sollacher zu sagen, der vor keiner Hirsch- oder Gamsbrunft oder überhaupt wichtigem jagdlichen Ereignis versäumte, den allverehrten lieblichen Wallfahrtsort, eine Stunde von Zell entfernt, aufzusuchen.

Das Haus, ganz aus mächtigen Steinen gefügt, lag mitten zwischen den altersgrauen Stämmen und glich eher einer verlassenen Försterei in seiner breiten Behäbigkeit, nur die dunkle Farbe verlieh ihm einen gewissen Ernst, während vom Giebel die ganze frohe Heiterkeit des Jägerlebens herabblickte. Scheiben mit zerschossenen roten Herzen, humorvolle Jagderlebnisse, Geweihe, Gamskrickl und Rehgewichtl, ein zerzauster Auerhahn, Eichkatzl, phantastische Wurzeln, alles in buntem Durcheinander.

Daran angebaut der Heustadl, ringsum Wald, die Futterraufe, wohlgedeckt gegen den Schneefall. Die Front des Hauses war wohlgegliedert, hier befand sich das gutgepflegte Blumengartl, das allerdings mehr den jungen Baumpflanzen ein Asyl bot; und wenn jetzt der Wendelstein, hoch über dem Wald sich erhebend, das grelle Licht der Abendsonne auf die Waldei zurücksandte und mit einer stillen Glorie übergoß, während in den schweren Fichtennadeln schon die Nacht sich einnistete, da war die Waldei ein ganz feierlicher Platz, der auf Schönau in seiner augenblicklichen Verfassung einen tiefen Eindruck machen mußte.

So kam es auch wie eine Erleuchtung über ihn, da muß es sich vollziehen, das Wunder in seinem Innern, sonst nie und nirgends mehr.

Der Jägerbauer rief nach der Lisl. Es erschien aber erst nur ein Hirschkalb auf der Schwelle des Hauses, das wohl auf den gleichen Namen hörte, dann zwei Stallhasen, die ihre Löffel ängstlich streckten und ärgerlich über die Störung mit den Läufen schlugen – dann erst kam die Lisl selbst, auf einen Stock gestützt, das schon ergraute Haar mit einem grünen Band aufgebunden.

Schönau hatte sich das unglückliche Wesen ganz anders vorgestellt. Das war keine vom Schicksal Zermürbte, sie gab sich sichtlich einen festen Ruck, als sie die beiden Männer erblickte, und stand nun kerzengerade, wie auf ein Schwert gestützt. Die Züge waren streng, aber nicht bösartig, der Blick der grauen Augen hatte allerdings etwas Weltfernes, Verlorenes, doch das findet man bei einsamen Menschen. Sie war einfach und reinlich gekleidet. Schönau glaubte, eine Familienähnlichkeit mit der Burgl zu entdecken.

»Was machst alleweil, Lisl?« fragte der Jägerbauer, einen möglichst jovialen Ton anschlagend.

»I leb', Jägerbauer, is das net g'nug. Aber kommt's eina, oder paßt's dem Herrn net?« Sie warf einen prüfenden Blick auf Schönau.

»Dem paßt's erst recht,« erklärte der Bauer. »I mein' alleweil, 's paßt ihm so gut, daß er ganz dableiben will.«

»Danach schaut er grad net aus. Mein Gott, Herr, da muß ma' schon recht viel Hart's derlebt hab'n, sonst halt' ma's net aus.«

»Das weißt du ja nicht, ob ich's nicht habe, Lisl,« bemerkte Schönau, näher tretend. »Ja, schau nur, Lisl.«

Sie sah ihn forschend an. Dann sagte sie: »Derlebt schon viel, aber doch net, was ein'm sein Herrgott noch dank'n laßt um die Waldei. Da les' i noch allerhand anderes, Herr –« Sie brachte ihr Gesicht ganz nahe an das seine, daß ihm ganz unheimlich wurde unter dem forschenden Blick. »Ja, 's Leb'n laßt ein' net so schnell aus, Sie woll'n schon noch was davon, werden's seh'n – –«

»Na, dann probier's halt mit mir, Lisl. Im schlimmsten Fall schnür' ich halt wieder mein Bündl, groß ist es nicht. Willst du meine Haushälterin werden? Freiherrlich Schönausche Haushälterin! Ist das kein schöner Titel? – Willst du? Dann schlag' ein, ich nehme dich.«

Sie zögerte einen Augenblick. »Herr, wissen's denn a all's?«

»Alles!«

»Und doch woll'ns mich? – Da schlag' i ein.« In ihrem ganzen Wesen lag etwas Außergewöhnliches, Imponierendes. Wenn sie nicht verrückt war, war sie ein treffliches Wesen.

»Probieren ma's einmal zusammen.«

Das Innere der Waldei war in etwas verwahrlostem Zustand, doch das ließ sich leicht richten und ganz behaglich gestalten. Eine große Stube mit mächtigem Kachelofen, dunkel vertäfelt, eine geräumige Küche mit offener Herdstelle, eine Stube für die Jagdgehilfen, Hundestall und Hühnerhof, mehr als genug, und die Lisl – das Kalb leckte ihm jetzt schon die Hand. Weit und breit kein Haus, Wald und Wendelstein die Welt. Wenn hier die Kur nicht glückt, dann glückt sie nie mehr.

Der Herzog, der allein über die Waldei zu verfügen hatte, war völlig damit einverstanden und gab sofort Auftrag, daß die Waldei auf seine Kosten in besten Stand gesetzt werden sollte.

Der gute Wille Schönaus, des verwöhnten Kavaliers, gefiel ihm, da war wirklich noch Hoffnung auf gründliche Heilung. Der Arzt in ihm, der die Seele so gut in den Bereich seines Wissens zieht wie den Körper, gewann jetzt Interesse. Die Sache war abgemacht. Der Baron galt jetzt schon gewissermaßen als Jagdmeister des Herzogs.

Die Jagden verliefen zur allgemeinen Zufriedenheit. Schönau lernte das Revier durch und durch kennen. Mit scharfem Blick erkannte er die Fehler, die gemacht wurden, alte, verknöcherte Traditionen, die im Wege standen, die kleinen Sünden des Personals, von denen auch sein geliebter Graßl nicht frei war. Der Abschuß war nicht genügend geregelt, Grenzen konnten günstiger reguliert werden, Tirolerlumpen konnten besser vom Revier ferngehalten werden, ein Bannrevier mußte ausgesucht werden, in dem das ganze Jahr kein Schuß fallen sollte, um daraus das Gemswild immer von neuem aufzufrischen, den Laken und Sulzen größere Aufmerksamkeit gewidmet werden, kurzum, frisches Leben in die Bude, mehr Beweglichkeit!

Der Reiteroffizier regte sich in ihm, der er trotz all seinem Leichtsinn gewesen.

 

Zell war wieder für sich, die Herzogswoche gehörte schon wieder der Geschichte an.

»Der Baron,« wie er allgemein hieß, kam die ganze Woche nicht nach Hause und trieb sich allein oder mit seinem Spezl, dem Graßl, im Revier herum. Jetzt war er von einem Jagdgehilfen nicht wegzukennen, verbrannt, der sprossende Bart schlecht gepflegt, Joppe und Hose von der Patina des Waldes. – »Doch a bißl schiach für an Baron,« hieß es.

Der Verkehr mit Burgl war ganz abgebrochen. »Das In-die-Waldei-Ziehen zur Lisl hat sie arg verschnupft,« meinte der Graßl einmal am abendlichen Herdfeuer in der Jagdhütte. »Ja, das is a ganz a Seltsame, die lernt ma so schnell net aus. Die hätt' a Gräfin oder so was werd'n soll'n, net die Jägerbauerntocht'r, grad als wenn's einer vertrag'n hätt'. Und jetzt kommt einmal ein'r, der was bess'rs is, und dahin is er a schon.«

»Ja, aber sie wird doch nicht glauben –«

»Gar nix glaubt's, g'wiß net, da is viel z' hell zu, aber halt a, wiss'ns ja, wie's san die Weib'r – –«

Der Baron seufzte tief auf. »Das weiß ich, Graßl, besser als du –.« Die Unterredung machte ihn nicht geneigter zu näherem Verkehr.

Der Jägerbauer aber arbeitete selber rastlos an der Waldei. Vor der Hirschbrunft sollte sie fix und fertig dastehen. Durch den stillen Wald tönte zum erstenmal Axthieb und Sägegekreisch.

Die Lisl aber scheuerte und putzte, kaufte neues Leinenzeug und Geschirr und nähte rastlos an einem neuen Gewand. Jetzt hatte doch ihr Leben wieder einen Zweck, und die entsetzliche Angst vor dem Jäger, der, aus dem Zuchthaus zurückgekehrt, seinen Lohn für die Bluttat verlangen konnte, war auch vorbei. Sie wollte ihm eine treue Dienerin sein, dem jungen Herrn, den's doch auch arg wo drucken mußte, daß er in die verrufene Waldei herüberkam.

Nur eines verdroß sie, daß sich die Burgl immer in die Renovierungsarbeiten mischte, als ob sie irgend etwas mitzureden hätte. Da hieß es gleich: »Ich weiß viel besser, was so ein Herr für ein' Geschmack hat, und zuletzt gibt er doch mir die Schuld, wenn etwas nicht recht ist.«

»Dir? Ja, was hast denn du mit dem Baron?«

»Nix, gar nix – das andere verstehst net –«

Lisl horchte hoch auf, sie glaubte das andere sehr wohl zu verstehen. Na, das könnt weit'r kein Unglück geb'n, dazu werd'ns 'hn grad hereing'schickt hab'n in die Waldei. Da war aber auch sie noch da. – »Daß du mir auf den Baron gut aufpaßt,« hatte ihr der Herzog gesagt, als er sie in der Waldei aufsuchte. Das war für sie ein Auftrag, mit dessen Erfüllung sie viel wieder gut machen konnte.

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