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Zweites Kapitel

Der große Tag war endlich da, um 5 Uhr traf der Herzog und seine Jagdgesellschaft ein.

Bei der Einförmigkeit des Lebens in einem so entlegenen Gebirgsdorf erhielt sich die Spannung von Jahr zu Jahr immer frisch, wurden doch im endlosen Winter die Eindrücke der Jagdwoche gründlich verarbeitet, so daß bereits im Frühjahr eine förmliche Leere eintrat, die höchstens der Hahnfalz mit einem oder zwei Gästen einigermaßen füllte und im Sommer in einen richtigen Heißhunger nach neuer Sensation ausartete.

Die Jagdgehilfen waren wieder die gesuchtesten Gäste im Wirtshaus, und alle ihre Unarten, die man das ganze Jahr wohl oder übel hinnehmen mußte, Anzeigen über Almvieh, dessen Zählung und Weidegerechtsame vom Forstamt aus ihnen zukam, und andere Plackereien waren wieder vergessen, sie waren wieder die Gnadenverteiler, mit denen man's nicht verderben durfte. Sie bestimmten den Förster bei der Verteilung der Treiber und Trägerdienste auf die einzelnen Anwesen, ein vielgesuchter und gut bezahlter Dienst, sie besaßen zur rechten Zeit das Ohr des Herzogs selbst, der sich von ihnen gerne seine Berichte über die Dorfschaft einholte, und manche Bitte konnte durch sie am wirkungsvollsten angebracht werden.

Da war es vor allem der alte Graßl, der das Vertrauen des hohen Herrn ganz besonders besaß, selbst ein Zellerkind und stets bereit, den Vermittler zu machen. Er war sich dieser Macht aber auch voll bewußt, und je näher es an die Jagd ging, desto energischer strich er sich seinen grauen Schnurrbart hinaus, desto gnädiger war sein Gruß; er rauchte dann keine Pfeife mehr, sondern nur Zigarren, die ihm von allen Seiten zugesteckt wurden, und ging nur mehr in der grauen Joppe mit der Herzogskrone am Kragen, zu der die zerschlissene Lederne gar nicht mehr stimmte, doch die wurde lediglich am Tage der Ankunft des hohen Jagdherrn mit einer frisch ausgenähten vertauscht.

Jetzt stand er im vollen Staat vor dem tannreisgeschmückten Forsthaus, an der Spitze der Zeller Jägerei die hohen Herrschaften erwartend. Seine dürren, sehnigen Beine waren vom vielen Steigen nach außen gekrümmt, die Haut war wie aus Pergament, das scharf geschnittene Gesicht zeigte eigentlich keine Altersfalten, sondern tief eingeschnittene Runen, wie die Rinden alter Bäume; die Nase krümmte sich habichtartig über den weißen Schnurrbart, die grauen Augen hatten einen stechenden Ausdruck, wie ihn ständiges scharfes Beobachten verleiht.

Der Förster sah dagegen ganz rosig aus mit seinem vollen, behäbigen Gesicht, aus dem zwei lustige Augen blitzten, seiner lebhaften Beweglichkeit.

Auf dem Antritt vor der Eingangstür standen das Reserl und die Burgl im vollen Ornat, Blumensträuße in der Hand. Alles hatte die Erwartung gepackt, selbst die Hunde an den Leinen, den roten »Hirschmann«, dem die Zunge ellenlang heraushing, den »Waldl« und den »Schnaps«, ein Dachspaar von Vollblutrasse, die Lieblinge des Jagdherrn, den »Roller« und den »Gams«, die stämmigen Schweißhunde mit breiter, kräftiger Brust. Die »Lisl« aber, das Alttier, trippelte unruhig herum, warf die Luser vor und streckte den langen Hals in Erwartung der Dinge.

Da löste sich ein Böllerschuß aus der Höhe hinter dem Hause, wo der Wendelstein seine Steinmassen über dem dunklen Fichtenwald erhob. Ein zweiter, ein dritter! Das Echo rollte durch das Tal, von Berg zu Berg, immer von neuem angefeuert. Am Eingang des Dorfes eine Staubwolke, vornehmes Rädergeräusch. Die erste Equipage blitzte auf – der Herzog!

Der Sollacher ließ einen Befehlshaberblick über die Leute schweifen. Man rückte in Reih und Glied, die Hunde gaben schallend Laut, die »Lisl« drückte sich, wie Hilfe suchend, an die beiden Mädchen. Die Resl war jetzt schon feuerrot, und die Burgl kämpfte trutzig mit einer Erregung, über die sie sich selber ärgerte. Beide hatten nur einen Gedanken: »Der Husar kommt,« von dem sie in den letzten Tagen unermüdlich geplauscht.

Der Herzog fuhr an, zur Rechten seine Gattin. Schallendes Hoch! Er sprang elastisch aus dem Wagen und hatte für jeden ein freundliches Wort, einen warmen Händedruck. Die Burgl und Resl aber begrüßte er besonders herzlich.

»Weil wir nur wieder da sind, Kinder!« Er weitete die Brust und tat einen wohligen Atemzug.

Der »Roller« und der »Gams« erdrosselten sich fast an der Leine, um zu ihrem Herrn zu gelangen. Der Donner der Böller rollte fort und fort, als ob man den Gemsen und den Hirschen im ganzen Revier den Beginn der Jagd anzeigen wollte. – Dann hielt Wagen um Wagen. Da sah man strenge Gelehrtenköpfe mit ehrwürdigen Bärten mitten unter strammen Offiziersgestalten und jugendlichen Kavalieren, und alles war voll gesunder Lebenslust, geschwellt von der Hoffnung auf frohe Tage. Alle Fesseln des Lebens waren wieder einmal gesprengt, die Berge winkten, das grüne Tal, und der Herzog war der letzte, der dieses heitere Bild durch konventionelles Wesen störte. Man sah ihm an, daß er Mensch sein wollte unter Menschen und alles abstreifen, was ihn behindern könnte, diese kleine herrliche Welt um sich zu genießen.

Nur einer fehlte noch: der mit größter Spannung erwartete Husar. Ganz Zell interessierte sich für den leichten Herrn, von dem so viele Gerüchte gingen, vom Sollacher ins Rollen gebracht und bereits bis zum hellen Unsinn vergröbert.

Burgl und Reserl gaben der Herzogin und ihren Hofdamen, die sich auf die beiden Mädels in ihrem Drang nach echter Natur mit einem wahren Fanatismus stürzten, ganz verkehrte Antworten, den Blick immer auf die Dorfstraße gerichtet.

Endlich, – eine Staubwolke erhob sich, – wieder eine Enttäuschung, ein Einspännerl, von einem plumpen Bauerngaul geführt. Natürlich, das wird er sein, der Husar. Burgl und Reserl lachten, als sie die Vermutung aussprachen. Aber wahrhaftig, der Einspänner bog in den Weg zum Forsthaus ein. Der Führer knallte zweimal, – da war er schon! Ein junger Mann stieg aus in Jägertracht nach österreichischer Art, in kurzer Joppe, in silbergrauer kurzer Hose, einen Steyerischen mit mächtigem Gamsbart auf dem Kopf, einen Koffer neben sich.

Reserl stiegen die Tränen in die Kehle, – der Husar im Einspännerl! Burgl aber kniff nur die Lippen zusammen; das war in ihren Augen niederträchtig, den armen Menschen vor allen Leuten bloßzustellen. Grad so gut als die gar gescheiten Doktoren hätt' der Husar auch in einen herzoglichen Wagen gepaßt. Daß der Herzog den jungen Mann auf das herzlichste begrüßte, konnte an dem Tatbestand nichts mehr ändern. Die Wirkung entging auch nicht den Leuten ringsum; natürlich für den Schuldenmacher, für den armen Baron tut's ein Einspännerl auch.

Jetzt trat Burgl erst recht ostentativ auf den neuen Ankömmling zu, indem sie ihre Freundin nachzog. »Grüß Gott, Herr Baron!« damit reichte sie dem jungen Mann treuherzig die Hand. »Lass'ns sich's Ihnen recht gut g'fall'n bei uns.«

»Daran kann's nicht fehlen, wenn man so herzlich begrüßt wird.«

Baron Schönau war eine schlanke Reiterfigur, das Gesicht war nichts weniger als schön, die starkgebogene Nase war zu vorherrschend, einige Blatternarben auf Stirn und Wangen trugen auch nicht dazu bei; die scharfgeschnittenen Züge hatten etwas Müdes, Verlebtes, Burgl meinte etwas arg Trauriges. Er stak in dem Jägergewand wie darin geboren, das Kavaliermäßige war sogar sichtlich vermieden; wie aus dem Zellerboden selbst herausgewachsen, stand er mit seinen sehnigen Beinen daraus, alle andern dagegen sahen wie kostümiert aus.

Burgl, das echte Zellerkind, fühlte das sofort heraus, es kam ihr gleich vor, als wenn ein Heimatgenosse vor ihr stände. Das war der »Jäger«, wie sie ihn zu sehen gewohnt war, nicht der Baron oder Offizier, der sich einmal den Spaß erlaubte, als solcher zu erscheinen.

Ebenso erschien ihm die Burgl nicht wie zum Empfang der Hoheit kostümiert und aufgerichtet, sondern wie ein echtes Kind der Berge. Ein leiser Funke von Sympathie knisterte über, von dem sich beide wohl keine Rechenschaft gaben. Der junge Lebemann, von den Genüssen des Lebens übersättigt, gesellschaftlich schiffbrüchig, von der Gnade seines hohen Freundes, des Herzogs, gehalten, sich wohlbewußt, in diesem Kreise, der ihn jetzt umgab, als Gescheiterter betrachtet zu werden, fühlte sich von der herzlichen Begrüßung dieses Bauernkindes geradezu erquickt und gehoben. Es gab ihm, dem einst gefeierten Husaren, etwas von seiner Selbstachtung zurück, an deren langsamem Verlust er innerlich krankte.

Das war Grund genug zu einer gewissen Dankbarkeit der Jägerbauerntochter gegenüber, während die liebreizende Erscheinung des Reserls mit ihrem Erröten ihn eher an frühere, leichtlebige Zeiten erinnerte, in denen es ihm ein Vergnügen bereitete, so ein naives Blümchen zu pflücken. Das waren alles nur flüchtige Eindrücke, die rasch wieder verflogen.

Der Herzog nahm ihn sichtlich deshalb in Beschlag, um ihn gewissermaßen in den Augen seiner Gäste zu heben, für die der verunglückte Reiteroffizier keine Figur sein konnte.

Er wies auf den Kranz von Bergen ringsum und erklärte ihm die verschiedenen Jagdbögen. »Wirst sehen, Franzl, da genesest du,« sagte er abseits zu ihm, »die große Natur, die unverdorbenen Menschen, die Jägerei, wirst sehen, das heilt aus. Lebe dich nur recht ein, werde selber ein Zeller, lerne erfahren, daß der wahre Genuß des Lebens ganz anderswo liegt, als in unserem jugendlichen Schlemmen, in unserer Gier nach Lust und Sensation. O, ich hab's an mir selbst erfahren.«

Der junge Mann war sichtlich bewegt von diesem herzlichen Zuspruch, er hätte am liebsten seinem hohen Freund die Hand geküßt, wenn dieser sie nicht jäh zurückgezogen hätte, – so trafen ihn die Worte.

»Aber Hoheit, gestatten – wie können Hoheit nur mich Leichtfuß mit sich vergleichen, eine verbummelte Existenz, voll von Selbstvorwürfen, und so ein ernstes Streben, wie Hoheit erfüllt.«

Der Herzog schüttelte nur gutmütig lächelnd den Kopf. »Lass' nur, Franzl, lass' nur – ich war wie du, ein Durchgänger, weißt ja selbst. Auch mich hatten die Weiber schon unten, da fand ich einen wohlmeinenden Freund, der mir den rechten Weg wies; daß er zur Wissenschaft führte, war Glück und Zufall, es gibt auch noch andere, gewiß, die Natur selbst, eine Leidenschaft, vielleicht in einer ganz anderen Richtung gelegen, die Natur ist ja so reich an Heilmitteln. So lass' mich nun auch an dir meine Kur versuchen, gelingt sie mir, habe ich die größte Freude. Franzl, du bleibst hier als mein Oberjägermeister, wenn du willst. Der Sollacher wird nicht eifersüchtig werden, und der Graßl wird so zu alt. Bist ja ein geborener Weidmann, und hier wirst du erst lernen, was die Jagd für eine Gottesgabe ist. Alle Wissenschaft in Ehren, aber ein Jungbrunnen ist sie doch. Wo bist du denn einquartiert?«

»Beim Jägerbauern, Hoheit.«

»Ah, – also bei der Burgl? Die ist nämlich die Jägerbauerntochter. Da kannst du ja gleich deine Zellerstudien beginnen. Ein Prachtmädel, nur ein bißchen zu oben hinaus – pfui, Haas,« der Herzog drohte lachend mit dem Finger. »Ich schätz' es sehr, das Mädl, bester Zellerschlag!«

Diese Bemerkung klang bald wie eine Warnung, die den jungen Mann verlegen machte, und er tat im stillen den Schwur, den Schützling seines hohen Gönners auch stets als solchen zu respektieren.

Nun beehrten ihn auch die Geheimräte und Exzellenzen mit einem gnädigen Händedruck, wobei ihm eine gewisse joviale Herablassung deutlich verriet, daß den Herren seine Vergangenheit wohl bekannt sei. Doch ein gewisses Gefühl, daß für ihn noch lange nicht alles verloren sei, durch die Worte des Jagdherrn eben noch gestärkt, ließen ihn rasch darüber hinwegkommen.

In dieser Luft lag für ihn etwas Stärkendes, das er mit vollen Zügen einatmete, und es kam ihm wirklich vor, als ob dieses liebliche Tal, diese trotzigen Berge ringsum seine Heimat werden könnten.

Das Mahl war einfach zugerichtet, frische Bachforellen, Wildbret und Knödel. Das Reserl trug selber auf, die zwei Sennerinnen hatten nur Helferdienste zu tun. Der Herzog liebte es so. Da man in Joppe und kurzer Hose steckte, so trat die Etikette in den Hintergrund, und es entwickelte sich rasch eine laute Unterhaltung. Die Jagdwoche warf ihre belebenden Strahlen voraus. Jeder fühlte sich wie von einem Alp befreit, Amt und Beruf lagen weit zurück, die höchsten Titel klangen hohl und leer; man stürzte sich jetzt schon mit einem wahren Fanatismus in die Natürlichkeit.

Da war der »Franzl«, wie der Herzog den Baron Schönau zu nennen beliebte, in seinem Fahrwasser. Keinem gelang es so gut; das war kein Extempore, wie bei den meisten andern, sondern ureigenstes Wesen. Man verzieh ihm rasch seine bedenkliche Vergangenheit, die ersichtlich den Grund seines Wesens noch nicht berührt, und ließ sich von der kräftigen Lebenswelle, die von ihm ausging, gerne mit forttragen.

Nach der Mahlzeit mußte das gefeierte Reserl einige Lieder vortragen, »Den Hahnfalz«, »Den Wendelstein«, und die Burgl begleitete sie auf der Gitarre. Es war köstlich anzusehen, wie die beiden sich ergänzten, das blühende Förstertöchterl mit dem sentimentalen Einschlag und das trotzige Bergkind, die Burgl, die mit strenger Miene, als handle es sich um ungeheuer Wichtiges, die Gitarre schlug. Den Franzl hielt es kaum auf seinem Stuhl, bis er auf einen Wink des Herzogs zu den Mädchen trat, eine Mundharmonika aus der Joppentasche nahm und in so vollendeter Weise, mit so innigem Rhythmus die Begleitung machte, daß ihm allgemeiner Beifall zu teil wurde.

Das ganze Gesinde hatte sich unter der offenen Türe versammelt, Kopf an Kopf, der Förster, der Graßl und der Jägerbauer. Und die zwei Mädln, von der ihnen so unerwarteten Begleitung ganz begeistert, fanden gar kein Ende; ihre ganze Leidenschaft mußte heraus, und der Franzl wurde dadurch keinen Augenblick in Verlegenheit gebracht; das machte ihm selbst der Hobltoni nicht nach, der beste Fotzhoblspieler im Tal.

Im Nu hatte er aller Sympathie gewonnen. Bis zu dem Treiber- und Jägertroß, der draußen im Garten um das Bierfaß lag, pflanzte sich das Gerücht von dem Franzl fort. Worüber man vor zwei Stunden noch bedenklich die Köpfe geschüttelt, über den Schuldenmacher, den windigen Husaren, der's Gnadenbrot vom Herzog bekam, das förderte jetzt nur seine Popularität.

Der Förster war ganz gewonnen. »Das is a Jaga, das sag' i euch. Das kann a anderer net, da liegt a G'müt drinn,« war sein Schlußresümee.

Der Herzog hatte ihm bereits Mitteilung davon gemacht, daß Baron Schönau wohl längere Zeit in Zell bleiben würde und jagdlich völlig freie Hand haben sollte. Erst machte ihm die Sache arge Bedenken, der Fall war ihm noch nicht vorgekommen und bedrohte seine eigene Machtvollkommenheit. Jetzt aber war er wirklich beruhigt, das war sein Mann; zwei richtige Jäger verstehen sich alleweil, und der Graßl muß, das wird man ihm schon klar machen.

Sofort rief er ihn herbei und stellte ihn dem Baron als seinen künftigen Adjutanten vor, der ihn in das Revier einzuführen habe. Da staunte er nicht wenig, als der Graßl ganz demütig den Hut abnahm und dem Baron treuherzig die Hand bot.

»Werden's seh'n, Herr, wir komm'n ganz guat mitanander aus. Wissen's, grad die Schiaßer kann i net leid'n, wia's aus der Stadt außakomm'n, und no' ein' – die Aufdraher, wissen's schon.«

»Aber wie weißt du denn, daß ich nicht auch dazu gehör'?« fragte Baron Schönau.

»Na, na, oh na, i hab' schon den richtigen Wind, der betrügt mi' net,« meinte der Graßl.

»Den hast aber no' net lang,« bemerkte der Förster lachend, »wissen's, Herr Baron, der z'widere Teufl is aber a Jaga, kein Zweiter net.«

Baron Schönau drückte dem Gehilfen die Hand und sah ihm fest ins Auge, und der Graßl hielt seinen Blick aus. Von dem Augenblick an waren sie Freunde.

Franzl hätte laut aufjubeln mögen, so gefiel ihm hier alles, als ob wirklich ein gütiges Geschick ihn hierher geführt habe; er fühlte jetzt schon etwas wie Heilung der Gebrechen seines früheren Lebens.

Nur ein Mensch störte die Stimmung, die über ihn gekommen, und dieser eine war der Jägerbauer, der Vater der reizenden Burgl. Der Fürst stellte ihn als seinen Herbergsvater vor. Das offene Entgegenkommen des Barons wirkte auf ihn sichtlich nicht, der Mann blieb verschlossen, eher abweisend. Der Förster machte die Sache nicht besser mit der Bemerkung: »Der Herr Baron bleibt wohl ganz hier, sieh' zu, daß alles stimmt.«

»Hat no' alleweil all's g'stimmt bei die höchsten Herrn,« lautete die unwirsche Antwort. »Der Herr kann sich ja selb'r um ein Logis umseh'n, das ihm paßt.« Das klang schon fast wie eine Abweisung. Da regte sich wieder sein Standesgefühl, was wollte denn der Bauer! Er fühlte sich so wohl, so befreit hier, daß ihn dieses Benehmen doppelt verletzte. Burgl, der der Vorgang nicht entging, war empört und drückte ihm ostensiv ihre Freude aus, ihn als Hausgenossen begrüßen zu dürfen. So konstruierte sich rasch eine offene Gegnerschaft zwischen ihm und dem Bauern.

 

Die Jagdgehilfen bliesen auf Jagdhörnern Signale, die Gäste brachen auf, um sich in ihre verschiedenen Quartiere zu begeben.

Graßl mußte Schönau führen. »Halt' dich nur an die Burgl, wenn dir was fehlt, Franzi,« rief ihm der Herzog nach.

Burgl ging mit, der Gast sollte nicht allein das Haus betreten. Die Nacht war klar und warm, die Berge leuchteten ringsum im Sternengefunkel. Zell lag im Frieden der Sommernacht.

»Gott, ist es da schön!« Schönau blieb jeden Augenblick stehen und sog gierig die balsamische Luft ein. Vor ihm stieg Burgl den steilen Weg hinan, ihre kraftvolle Gestalt, jede Bewegung eine gewisse Vornehmheit zeigend, war für den jungen Mann eine Augenweide. Das stimmte alles so zusammen, alles ringsum atmete Gesundheit und Kraft, unwillkürlich schweiften seine Gedanken zurück zu seinem früheren Lebenskreis, und es kam über ihn wie eine Erlösung.

Graßl erzählte ihm von dem guten Stand, den er morgen einnehmen sollte, nicht ohne ihm wohlmeinende Ratschläge zu geben. »Mir kommt's so vor, als ob i zu an richtig'n Jaga redet,« meinte er.

»Ich war's einmal,« erwiderte der Baron, »von ganzem Herzen, wie ich noch bei meinem Vater war. Dann kam's ein bißl anders, leider, – jetzt will ich's aber wieder werden, und du mußt mir dazu verhelfen, Graßl.«

Die Worte gewannen den Alten völlig. »I – ja, i – das is – ja was ganz anders. I tu's ja um mein Brot, Herr, und Sie san a Kavalier –«

»Nix da mit dem Kavalier,« entgegnete Schönau ganz ärgerlich, »den hab' ich ausgespielt; wie du will ich Jäger werden, als ob ich mein Brot damit verdienen müßte. Nur nichts mehr vom Kavalier, Graßl, wir wollen gute Freunde sein.« Er reichte ihm die Hand, die Graßl nur zögernd ergriff.

»Dann lass' i mi' glei' derschiass'n für Ihna.« Die Tränen standen dem Alten in den Augen.

Burgl hörte jedes Wort. Was der Mensch für eine Art hat, alle Leut' sich zu g'winn'n, jetzt hat er den z'widern Graßl a scho', grad den Vatern bringt er net rum.

Der Jägerbauernhof präsentierte sich in der klaren Nacht doppelt vornehm mit seinem weit ausladenden Vordach, seinen reich gegliederten Altanen, seinen trefflich gehaltenen Stallungen; strenger Bauernsinn und Wohlhabenheit sprachen daraus, etwas Aristokratisches, das Schönau, der Gutsherrnsohn von Lungau, stark herausfühlte. Das wär's gewesen, was ihn auch bewahrt hätte vor all dem häßlichen, was er durchgemacht, eigener Besitz, eigener Boden unter den Füßen. Was ist dagegen all der äußerliche Glanz, der falsche Schein, mit dem er sich seit Jahren umgeben.

Burgl führte ihn auf sein Zimmer. Ein stattlicher Raum mit gediegenen Möbeln aus Lärchenholz. Ein frischer Blumenstrauß stand auf dem Tisch, zu dem offenen Fenster herein leuchteten die Berge, und der Duft frisch gemähten Heues füllte die Stube.

»Laß'ns Ihna halt was recht Gut's träum'n, 's erstemal unter unserm Dach, Herr Baron, und Weidmannsheil für morgen.« Burgl entfernte sich mit einem tiefen Knix, und Schönau schlug die Absätze zusammen, als ob er vor seinem Obersten stünde.

»Wecke mich morgen, Graßl,« befahl er dem Jäger. »Ich bin ein rechtes Faultier, aber das soll alles anders werden.«

 

Franz von Schönau war der zweitgeborene Sohn des Majoratsherrn Theobald von Schönau auf Schloß Lungau. In allem Überfluß des Lebens, mitten in einer großen Bergnatur, in kräftiger Luft aufgewachsen, körperlich gesund, von tadellosem Blut, alle groben und feinen Instinkte gesteigert, voll Lebensgefühl, von Dienerschaft, Pferden und Hunden und all den reichen und kraftvollen Freuden des Gutslebens umgeben, die schrankenlose Jagdleidenschaft des Vaters in allen Adern, die vor nichts Halt machte, selbst nicht vor der Sorge für seine Familie, von der Mutter mit doppelter Liebe umfangen, welche die Gefahren für den Zweitgeborenen, gewissermaßen Enterbten, recht wohl kannte, ohne die Macht zu besitzen, sie abzuwehren, machte sich der Jüngling keinerlei Gedanken für die Zukunft.

Der Vater fand in seinem von Sport und Vergnügen erfüllten Leben nicht die Zeit, ihn darüber gründlich aufzuklären, die Mutter brachte es nie über das Herz. Das ging so weit, daß sie den Älteren, Egon, mit einer gewissen Mißgunst betrachtete, des Vorzugs willen, den dieser als künftiger Majoratsherr vor ihrem geliebten Franz hatte. Die schlimmen Folgen dieser unverständigen Mutterliebe waren eine frühzeitige Entfremdung der beiden Brüder, die förmlich mit ihnen aufwuchs.

Egon, der ältere, war kein Jäger; schwächlich von Körper, von verschlossener Gemütsart, bildete er sich immer mehr zum Bücherwurm und Zimmerhocker aus, ein Umstand, der ihm auch die Sympathie des Vaters kostete, dessen frühzeitiger Jagdgenosse Franz wurde.

Sein erster Rehbock war ein großer Festtag auf Lungau, an dem sich die ganze Gemeinde beteiligte; sein erster Hirsch war gewissermaßen die feierliche Mannbarkeitserklärung. Die herbstliche Jagdwoche bildete den Höhepunkt des Lungauer Lebens.

Franz gewöhnte sich frühzeitig daran, in der Jagd anstatt ein Vergnügen seinen ganzen Lebensinhalt zu sehen. Plötzlich, ganz unvorhergesehen, nie besprochen, kamen die Jahre der Berufswahl. Ein schmerzhafter Trompetenstoß mitten in die lässige Ruhe.

Ein nachgeborener Lungauer wird Soldat und nach alter Tradition Husar, dabei kann man immer noch Jäger sein, meinte der Vater.

Also zum Husarenregiment nach Wien! Die erhitzte Leidenschaft des jungen Jägers verlangte nach Lebensbetätigung. Pferde, Weiber, Spiel ersetzten bald die Jägerfreuden. Dann und wann die Rückkehr in die Heimat, auf die ureigene Scholle, der er entsprossen, zur geliebten Mutter, heilte oberflächlich die sich immer mehrenden giftigen Wunden, die dieses Leben seiner Seele schlug.

Da starb jäh der Vater; Egon, der ältere, trat das Majorat an, der elterliche reichliche Zuschuß versagte, das Wenige, das auf ihn traf, war für sein gewohntes Leben unbedeutend. Noch hielt ihn die opferfreudige Liebe der Mutter, auch sie starb, den Liebling in gänzlich zerrütteten Verhältnissen zurücklassend. Jetzt begann das rasche Sinken, jede Kraft zur Erhebung fehlte, Schulden türmten sich auf Schulden, es gab keine Hilfe mehr. Der Bruder, ihm entfremdet, versagte seine Unterstützung. Der Husarentraum ging schmählich zu Ende. Noch ein verzweifeltes Jahr, ein vergeblicher Kampf mit den Schulden, ein qualvolles Erwachen aus dem Taumel jahrelanger Lust, knapp vorbei an Schmach und Schande, und er mußte den Rock ausziehen, dessen bunter Schimmer alle Lüge seines Lebens deckte.

Ein letzter Hoffnungsschimmer tauchte noch auf, sein Jugendfreund, sein Regimentskamerad, der jetzt regierende Herzog, der ihm herzlich zugetan. Er versagte nicht, der Freund half vor dem Äußersten. Er mußte die Hilfe annehmen, aber die Scham, die ihn darüber ergriff, war auch der Anfang der Heilung.

Der Herzog rief ihn zu sich, gab ihm den Rat, auf einige Jahre aus der Gesellschaft zu verschwinden, und schlug Zell zu seinem Aufenthalt vor. Der innige Verkehr mit der Natur, unter schlichten Menschen, sollte sein Heilmittel werden, die Jagd die Ablenkung seiner Leidenschaften in ein gesünderes Bett vorbereiten.

So kam er nach Zell. Und schon die ersten Stunden überzeugten ihn von der Trefflichkeit der Kur, die sein hoher Freund mit ihm vorhatte. Als ob sich in ihm alle Kräfte regten, Heimatkräfte. Sein Entschluß stand jetzt schon fest, die Kur bis zur vollen Heilung zu gebrauchen. Fort mit dem Baron, mit dem Leutnant, sie konnten ihn nur daran hindern. Ganz untertauchen wollte er in dieses neue Lebenselement, das ihn hier rings umgab.

Der Anfang war gut, das herrliche Gebirge, das alle Jugenderinnerungen weckte, die alte erwachte Jägerlust, die herzliche Aufnahme hier, das liebe Mädel, die Burgl, deren frisches Wesen auf ihn so wohltätig wirkte, – nur der Jägerbauer. Aber was kümmerte ihn dieser Mensch! Er wird sich ein Häusl mieten, leben wie ein Jagdgehilfe, sich auslüften lassen von der kräftigen Bergluft, die alle kranken Keime in ihm vernichten wird. Es atmete sich ja jetzt schon viel leichter, was kümmerte ihn der grämliche Bruder Egon, er hätte jetzt nicht getauscht mit ihm.

Er trat an das offene Fenster und atmete die balsamische Luft ein. Der »Wendelstein« glänzte im sanften Mondlicht, die Wände des »Troad'n«, und die Glocken bimmelten auf den Herbstweiden. Glücklicher Friede ringsum, wie er ihn noch nie gefühlt.

Er sah die Burgl aus dem Stall kommen. Sie blieb stehen und schaute einen Augenblick in die Berge hinaus, ein Bild der Kraft und Gesundheit. Das wär's, wenn er das noch erreichen könnte – wer weiß, vielleicht verhalf sie ihm noch dazu, seine junge Freundin. Gefahr war ja keine dabei, der Baron Schönau und die Jägerbauerntochter! Er mußte selber lachen darüber; das wäre ja das Heilende, freundschaftlicher Verkehr mit so einem natürlichen, harmlosen Wesen ohne die leidige Leidenschaft, die einen ruhelos umherpeitscht.

Ob sie wohl noch heraufsah, die Unschuld? Sie tat es aber nicht, sie streichelte den Kettenhund vor dem Stall, der sich zärtlich an sie schmiegte, und ging ins Haus, ohne auch nur einen Blick zu ihm heraufzuwerfen. Das verdroß ihn doch, den verwöhnten Husaren; so eine Bauerndirn! Na warte nur! Dann ärgerte er sich wieder über sich selbst und warf das Fenster zu, ohne hinunter zu blicken. Mit der Heilung ging es, wie es schien, doch nicht so rasch.

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