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[Vorwort]

Die älteren und wertvollen Ritterromane sind Prosaauflösungen noch früherer Versromane – mit Unrecht würde man diese Dichtungen als »Epen« bezeichnen – und die ältesten und wertvollsten von diesen sind wieder entstanden aus noch älteren Balladen und Romanzen. Man muß bei diesen Werken der mittelalterlichen Dichtung sehr streng zwischen den alten echten Büchern und den späteren Nachahmungen unterscheiden, die meistens als Fortsetzungen oder als Erzählungen von den Söhnen, Enkeln und Urenkeln des ursprünglichen Helden bezeichnet werden. Denn so schön die alten Bücher sind, so elend sind meistens die Nachahmungen; und das durchaus unverdiente Schicksal der Vergessenheit, welches diese Werke getroffen hat, ist durch die Albernheit dieser Nachahmungen erzeugt, welche zuletzt die echten Werke fast ganz verdrängt hatten: wie ja wohl immer in der Kunst das Schlechte das Gute verdrängt, dem es ähnlich ist.

Die Guerras civiles de Granada nehmen unter diesen Romanen eine besondere Stelle ein.

Schon Friedrich Schlegel hat darauf hingewiesen, daß in Spanien die mittelalterliche Literatur sich am spätesten entwickelt und am längsten gehalten hat, und daß man die große Menge der älteren spanischen Lyriker mit den Troubadours und Minnesingern zusammenstellen müsse. Die Guerras civiles sind sehr spät geschrieben; ein Gines Pérez de Sita, der im XVI. Jahrhundert lebte, wird als Verfasser genannt. Der erste Druck des ersten Buches stammt von 1588; das zweite Buch, das man vielleicht mit jenen oben charakterisierten Nachahmungen vergleichen kann und das mir persönlich einen andern Verfasser zu haben scheint, erschien zuerst 1604. Der grundlegende Unterschied von allen andern Ritterromanen ist, daß die Erzählung nicht die Prosaauflösung eines Versromanes ist, sondern direkt nach den alten Romanzen ausgearbeitet wurde. Die Ausarbeitung hält sich sehr treu an die Originale, die sie häufig selbst anführt. So haben wir in dem Werk ein Stück Volkspoesie vor uns, wenn man den Ausdruck Volkspoesie in dem einzig richtigen Sinn nehmen will, nämlich als Dichtung, die zwar von Einzelnen geschaffen wurde, die aber unbekannt geblieben sind und so im gemeinsamen Geiste des Volks dichteten, daß ihre Werke sogleich vom ganzen Volk aufgenommen wurden.

Es liegen den einzelnen Stücken nicht nur historische Vorgänge zugrunde, sondern die ganze Erzählung hält sich auch streng an den historischen Vorgang, der freilich so geglaubt wird, wie ihn das Volk sich nach kurzer Zeit erzählt, nicht wie er in schriftlichen Aufzeichnungen von Beobachtern festgelegt oder aus gleichzeitigen Aktenstücken von Gelehrten kombiniert ist. Dadurch ist der bloße Stoff bereits poetisch geworden, vor allem indem an die Stelle der staatlichen Beweggründe allgemein menschliche getreten sind und durch das mündliche Erzählen, so getreu es auch das Geschehene berichten will und auch wirklich berichtet, bereits in Gliederung und Aufbau ein künstlerischer Rhythmus sich entwickelt hat. So sind denn die alten Romanzen ganz sachlich, ohne Phrase, ohne falsche Gefühlstöne. Der Verfasser, besonders der des ersten Buches, hat diese edle und schöne Einfalt in seiner reinen und klaren Prosa beibehalten. Die Vorgänge selbst, der Stoff des Buches, sind so schön und ergreifend, so bedeutend und groß, daß durch dieses glückliche Zusammentreffen eines der vorzüglichsten Bücher der Weltliteratur geschaffen ist.

Die Spanier haben in ganz kurzer Zeit eine erstaunliche Höhe der Literatur erreicht: von den modernen Völkern haben sie wohl die schönste und reichste Dichtung. Ein Zusammenwirken verschiedener Ursachen hat diese Dichtung bei ihnen selber sehr zurückgedrängt und durch die Nachahmung fremder Vorbilder lange die dichterische Kraft brachgelegt. Die Abgeschlossenheit der Nation kam dazu, das übrige Europa in Unkenntnis über ihre herrlichen Schätze zu halten, und die langjährigen literarischen Hauptvermittler zwischen Spanien und den übrigen Ländern, die Franzosen, waren gerade die ungeeignetsten, die man für dieses Geschäft hätte finden können. So konnte es geschehen, daß nicht nur das vorliegende Werk, sondern vieles andere Herrliche und Schöne aus Spanien jahrhundertelang fast unbekannt blieb. Erscheint doch erst jetzt eine Gesamtausgabe des größten spanischen Dichters, des Lope de Vega, nachdem seine Werke, vor allem seine Dramen, jahrhundertelang in inkorrekten und dazu fast unauffindbaren alten Ausgaben – von der gedruckten Sammlung der Dramen sollen nur zwei vollständige Exemplare bekannt sein – vorlagen und ein großer Teil seiner Arbeiten überhaupt nie im Druck erschienen war.

Von den Guerras civiles wird wohl die letzte Ausgabe, die in den vierziger Jahren des XIX. Jahrhunderts in Paris in der Sammlung der Autores españoles erschienene Ausgabe sein, die auch schon längst vergriffen ist. Dieser gegenwärtigen Uebersetzung liegt ein alter Brüsseler Druck von Verdussen zugrunde, der eine häufig fragwürdige Erklärung schwieriger Worte in französischer Sprache enthält. Am zugänglichsten war das Buch wohl bis jetzt in der nicht so sehr selten vorkommenden französischen Uebersetzung von Sané, die 1809 in Paris in zwei großen Quartbänden erschien. Sie ist sehr frei, wie die französischen Uebersetzungen häufig, und versüßlicht den alten Autor in recht unangenehmer Weise. Nach dieser sehr wenig empfehlenswerten Uebersetzung wurde eine deutsche Bearbeitung gemacht, deren Verfasser zu ihr ungefähr in dem Verhältnis steht, wie Sané zu dem Original. Ein Fragment ist aus dem Original übersetzt im ersten Band von Bertuchs »Magazin der spanischen und portugiesischen Literatur 1780«. Diese, wohl von Bertuch selbst herrührende Arbeit ist sehr gut und treu, aber sie ist eben auch nur Fragment.

Die vorliegende Uebersetzung ist auf meine Anregung von Paul Weiland gemacht. Der hochbegabte, noch nicht dreißigjährige Mann wurde, als er die Arbeit noch nicht ganz vollendet hatte, der Literatur, seinen Eltern und Freunden durch einen plötzlichen Tod entrissen. Möge dieses Buch, an welches er seine ganze schöne Kraft und seinen edlen Willen setzte, seinen Namen erhalten, den er, wäre ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen, mit einem größern Ruhme geschmückt hätte.

Paul Ernst.


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