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Erstes Buch.
Ekstatikon

 

Wenn der See deiner Seele meinen
Widerschein bewahren könnte, würde
ich dich »meine Schwester« nennen.
Doch du gehorchst dem Monde und
den Wolken, die ziehen …

 

Die Gewißheit

Rückblick

Der Bezauberer

Die Wollust der Augen

Die Schönheit in der Liebe

Das Schweigen des Mittags

Nachtwache der Liebe

Die Lippen des Androgyns

 

 

1.
Die Gewißheit

Paula, auf einem Schemel sitzend, lehnte sich an Nebos Knie, in der koketten Hingabe eines vertrauten Pagen. Sie senkte nachdenklich den Kopf und sah nicht die zärtliche, fast leidenschaftliche Betrachtung dieses jungen Mannes im roten Gewande, der bewegt war, trotzdem er in dem geschnitzten Lehnstuhle sich wie ein Priester hielt. Es lag etwas Wunderbares in dieser Gruppierung; und die Wunder dauern nicht.

Der Platoniker, Zuschauer statt Handelnder, hätte, als er diese Frau zu seinen Füßen kauern sah, an einen plötzlichen Anfall von Vertrautheit denken können, der sie auf seine Knie setzte: sofort wäre der Lehnstuhl verschwunden, und mit ihm das priesterliche Aussehen.

Dieses lebende Bild gab die seelische Situation der beiden Wesen wieder, und auch den Eindruck, daß eines Tages, wenn auch noch so fern, das Umgekehrte eintreten könne: der Alcide sich, besiegt und gebändigt, an Omphales Knie lehnend, die dann thront.

Sie hob den Kopf.

– Sie würden meine Bitte, Ihnen beichten zu dürfen, zurückweisen, da Sie wissen, daß ich die Vergangenheit Peladan, Einweihung des Weibes. auslöschen möchte, wie ich meinen Ehrgeiz daran setze, die Zukunft zu erfüllen; und mein Ohr ist nicht ungeschlechtlich genug, um Ihren Vortrag über die süßen Sünden anzuhören; doch, mein Romeo, sind Sie vor mir einem Androgyn begegnet, dem Entwurf, dessen Meisterwerk ich bin, jener Rosalinde Sie wehrt den Sturm der Liebesbitten ab,
steht nicht dem Angriff kecker Augen, öffnet
nicht ihren Schoß dem Gold, das Heil'ge lockt.
Shakespeare, Romeo.
, die auf den Montague Eindruck machte, bevor er auf dem Balle Julia erblickte?

– Ein Wesen kam zu mir, das mich liebte und das ich noch lieben würde, wenn es nicht die Flüchtigkeit des Sonnentyps gehabt hätte. Ein prächtiges Exemplar der edelsten Rasse, unterlag sie nur der höheren Anziehung; nicht nur unfähig, sich hinzugeben, ohne zu lieben, sondern auch außerstande, einen Unwürdigen zu lieben. Wenn der Geist fehlte, war der Ruhm wenigstens nötig, sie zu fesseln: eine edle Frau, die Gefühl mit Güte verband. Wir liebten uns mit tiefer Zufriedenheit, und diese Liebe ist meine beste Erinnerung: der Geist spielte dabei eine ebenso große Rolle wie das Herz. Doch konnte sie eine Neugierde des Geistes nicht unterdrücken, eine Sehnsucht nach dem berühmten Unbekannten. Tanneguy Peladan, Einweihung des Weibes. machte Eindruck auf sie; Nergal Peladan, Einweihung des Weibes. nahm sie gefangen; sie erschlaffte, wenn sie Farlède Peladan, Einweihung des Weibes. las und bebte sogar bei der Lektüre von Cruas Peladan, Einweihung des Weibes., Bandol Peladan, Einweihung des Weibes., Théoule Peladan, Einweihung des Weibes.. Ich konnte ihr nicht sagen, daß ich unter der geschlechtlichen Sympathie litt, die sie in ihre Bewunderung legte! Meine Liebe hypnotisierte sie nicht; diese Leidenschaftliche hatte keine Scheuklappen: wenn ihr Herz an meines schlug, streifte ihr Geist umher. Ich hatte in ihr einen Diamanten, der vom Genie geritzt war; einen Nachtfalter, der sich in Gedanken um die Fackeln der Epoche drehte. Da ich im tätigen Leben dem den Vorrang zuerkannte, der geschaffen und durch ein Werk sein Recht bewiesen hat, litt ich viel, zumal ich stets mehr seelische als körperliche Eifersucht gekannt habe. Ich war unglücklich, obgleich ich geliebt wurde. Um so mehr war ich gezwungen, dieses Leiden zu verbergen, als sie mich freigebig zum Vertrauten machte in ihrem Kult der großen Zeitgenossen. Da ich leidenschaftlich war, wurde ich leicht ungerecht: ich besaß damals noch nicht diese Gewalt über mich, die mich abhält, ein Leiden, das aus mir selbst kommt, ungerecht zurückzugeben. Da sie freimütig und ehrlich war, ja nicht einmal diese Maske trug, die das zweite Gesicht der gewandten Frauen ist; da sie in sich lesen ließ, sah ich oft Gedanken in ihr, die nicht mir galten: ich zweifelte; ich wurde eines Tages verstimmt; sie nahm es übel; es ist ein Mißverständnis nötig, um das Leben zu ändern … Ach, Prinzessin, in der niedrigen Menschheit läuft dieses Sprichwort um: man muß die Liebe durch die Eifersucht wecken, die einen Mann hindert, der Geliebten zu sicher zu sein. Umgekehrt: wer mir nicht die Gewißheit gibt, hat mir nichts gegeben. Im Herzen Rosalindes gab es nur Vorübergehende, Besuchende; aber während sie vorübergingen und besuchten, verdunkelten sie den Herrn. Ein Gatte oder ein Geliebter schätzt sich glücklich, der sich sagen kann: ich habe unter der Sonne nur fünfzig Nebenbuhler, die möglich sind, die meisten sind unmöglich! Tut nichts! Wenn der Glaube verschwunden ist, bleibt nur die Kameradschaft: man löscht seine Flamme aus, um nicht darunter zu leiden.

– Welcher Schmerz, rief Paula, zu denken, daß diese Augen, in denen man den Himmel sucht, andern Augen süß sind; daß diese Hand, deren Berührung das Herz schwellen läßt, eine andere Hand drückt …

Sie erhob sich und wanderte im Zimmer umher.

– Diese Beschwörung hat mich körperlich fast vereist: sehen Sie nicht, daß ich ganz blaß davon geworden bin?

– Und wer würde nicht erblassen, rief Nebo, bei dieser beständigen Furcht! Es ist der letzte Tag eines Verurteilten, unendlich verlängert. Sich sagen zu müssen: sie hat überlegt, daß es mir an Kraft oder Anmut fehlt; ihre Seele, müde, mein Bild einzuschließen, will es verwerfen; fühlen, wie das Herz, an das man sein Leben gehängt, mit seinem Schlag zurückstößt. Ich erinnere mich, auf der Rhone Peladan ist in Lyon geboren, 1859. eine gebrechliche Barke gesehen zu haben, die an einem Schlepper hing, der den Strom hinauffuhr: das Kabel reißt, und die Barke, sich wie ein Strohhalm drehend, zerschellt am Pfeiler einer Brücke, hundert Meter stromabwärts. Immer, wenn ich diese Szene wiedersehe, ist die Barke für mich das Symbol des Wesens, das keuchend seinem Geliebten folgt und von Minute zu Minute fürchtet, von ihm getrennt zu werden und in einen Abgrund zu stürzen! Die furchtbarste Offenheit ist besser als die Ungewißheit, die der Resignation nicht erlaubt zu kommen. Die vollendete Tatsache trägt in sich den Charakter des Schicksals: indem sie uns lähmt, erspart sie uns vergebliche Anstrengungen; solange man hofft, kämpft man … Aber was machen Sie denn, Paula?

– Ich wasche nur den Gedanken an diese düstern Bilder ab.

Sie tauchte ihren blonden Kopf in einen Strauß weißer Rosen, die in einer bronzenen Vase blühten.

– Und was sagen Ihnen diese Rosen? fragte Nebo.

Sie erhob ihren Kopf, der von Wassertropfen perlte, und legte ihre gefalteten Hände schmeichlerisch auf die Schulter ihres Bruders.

– Sie sagen mir, dich zu lieben, und dir die Gewißheit zu geben.

 

2.
Rückblick Dieser Rückblick bezieht sich auf Peladans Romane »Weibliche Neugier« und »Einweihung des Weibes«, die Nebo und Paula zusammen erlebt haben.

– Man könnte glauben, man sei in der Kirche; ich wünsche, die einzige Gläubige zu sein, mein junger Gott … Aber warum eine solche Wolke von Weihrauch … Erlauben Sie, daß ich lüfte … Bei der Hitze des Tages dieses heilige Räuchern …

Die Prinzessin öffnete die beiden Fenster, ohne daß Nebo auf ihre Frage etwas anderes antwortete als das ausweichende Geständnis, daß er eine Vorliebe für die kirchlichen Düfte habe. Wäre er offen gewesen, so hätte er gestanden, daß seine Atmosphäre sich schon mit dem Fluidum des jungen Mädchens lud; daß er ihre berauschende Ausströmung gefühlt und daß ihr vorzeitiges Kommen an diesem Tage die Reinigung der Luft durch die magischen Düfte unterbrochen hatte.

Das Gespräch wurde schwierig, da Nebo seine früheren Ansichten änderte, da Paula fürchtete, sich zu erhitzen und das Feuer leuchten zu lassen, das in ihr brannte. Schon legte sich eine Heuchelei zwischen sie, die nötig geworden war. Die Liebe ist kein großer Plauderer, besonders wenn sie unbefriedigt ist; die Liebe ist ein armer Plauderer, besonders wenn sie heftig ist. Der Kuß wird immer das schönste Wort bleiben, das auf menschliche Lippen kommt! Lacordaire Lacordaire, Kanzelvorträge in der Notre-Dame-Kirche. Deutsche Ausgabe, Tübingen 1846. ruft in seiner schönen Steigerung der Achtung, der Bewunderung, der Liebe aus: »Wenn Sie gesagt haben ›ich liebe dich‹, so müssen Sie schweigen. Tausend Worte gehen diesem voraus, keines folgt ihm, in keiner Sprache.«

Wenn Sie gesagt haben, »ich liebe dich«, dachte die Prinzessin, gibt es noch ein Wort, »den Kuß«, und dieses höchste Wort verbot man ihr.

Empörungen erhoben sich in dieser Eva, die selbst noch nicht die Heftigkeit ihrer Natur kannte, vor diesem Adam, der zum Triebe sagte: »Du wirst nicht weiter gehen,« und, stärker als die Natur, sie zwang, auf eine Art zu lieben, deren Schilderung als lügnerisch, erfunden, nicht erlebt gelten würde.

Mit dem geliebten Wesen eingeschlossen sein und keinen Kuß von ihm erhalten, von ihm, der auch liebt: dieses Entbehren jeder Liebkosung wurde ungerecht, da jeder Gedanke an Sünde bei allen beiden fehlte!

– Sind wir weise genug, Nebo, fragte sie, indem sie das Armband von ihrem Handgelenk mit gewolltem Ungeschick zurückschob, um ihren Handschuh auszuziehen.

– Genug, das heißt, zu sehr, erwiderte er und half ihr galant.

Paula benutzte das, um die Hand des jungen Mannes in ihrer warmen und duftenden festzuhalten.

– Ich denke an die Einweihung, die Sie mir gegeben haben, und eine Traurigkeit überfällt mich, daß Ihre Anstrengungen, die so außerordentlich waren, auf nichts hinausgelaufen sind. Ich sehe mich wieder im Park Montsouris Peladan, Weibliche Neugier., als Sie mir sagten: »Um Ihnen nichts zu verbergen, ich fürchte für Ihre Sinne.« – Beruhigen Sie mich erst über Ihre eigenen, habe ich geantwortet. – Sie haben geschworen, daß Sie nicht geschlechtlich werden, und Sie halten Wort. Was mich betrifft, »ich glaube zwischen zwei Betrügern zu stehen, den Dichtern und den Priestern« … Heute, nachdem ich alles gesehen und über alles nachgedacht habe, glaube ich, daß der Dichter recht über die wahre Liebe, und der Priester auch recht hat über die gewöhnliche Liebe. Sie haben mich gegen das gewappnet, was mich nie gereizt hätte, und Sie haben mich von jeder Verteidigung gegen meine einzige Gefahr entblößt. Armer lieber schöner Geist, Sie haben mir den großen Schrecken Peladan, Weibliche Neugier. gezeigt, ohne zu denken, daß Sie der lebende Beweis des großen Glanzes sind. Denken Sie, o inkonsequenter Denker, die Umarmung Nebos und der Prinzessin Riazan genügt der Einbildungskraft nicht, um die Wirkung Ihres ekelhaften Bildes zu vernichten? Die ganze Umseglung von Paris hat in meinen Augen nur einen logischen Untergrund: Sie lieben machen … Werfen Sie nichts ein, Nebo, und erfahren Sie von Diotima, daß diese Operation, die darin bestand, meinem Traume alle Zugänge zu verschließen, mein ganzes Herz und mein ganzes Verlangen auf Sie selbst zurückgeworfen hat. Wahrhaftig, Nebo, Sie haben nicht bedacht, daß ich da bin! Im idiotischen Café würde ich glücklich mit Ihnen sein; wenn es sein müßte, würde ich Sie im »Erotic Office« treffen; und das große Leben, das wir zusammen führen würden, erschiene mir wirklich groß. Was die Prostitution, den Sozialismus, die Kuppelei, das Verbrechen angeht, meine Natur wird davon abgestoßen, meine Barmherzigkeit wird vom Mitleid bewegt: doch welchen Platz kann das in meinem Gedanken, in meinem Leben haben? Möge der Prinz von Trier eine Dirne in die Welt einführen, möge ich selbst einen Jean Davèze retten, möge Byzanz Byzanz sein und Thamar dessen Königin, möge Don Juan eine klägliche Wandlung durchmachen: was ist das alles Peladan, Weibliche Neugier. für mich? Nicht einmal eine Zerstreuung des Geistes … Die Berührungen des Balles, die mich bei einem Gleichgültigen oder Abstoßenden erbeben machen, von Ihnen würde ich sie mir gefallen lassen. Ist es ganz sicher, daß ich mich weigern würde, in wilder Ehe mit Ihnen zu leben? Um den Kuß Chesters von Ihnen zu erhalten, würde ich in gewissen Augenblicken tausend Goldstücke geben. Die gefühlvolle Kahnfahrt von Joinville-le-Pont, mit der nächtlichen Rückkehr durch das Dickicht, würde eine paradiesische Freude sein. Ich habe alte Buhlerinnen und bedeutende Schriftsteller sprechen hören, ich habe festgestellt, daß die gesetzlichen Freuden Ironien sind; daß schlecht lieben den Geliebten quälen heißt; daß die Liebe für gewisse Leute ein Mittel ist, während andere daran sterben Peladan, Einweihung des Weibes.. Die Folge? Machen Sie, daß ich mir nicht, wie jede Frau, schmeichle, besser und beseligender zu sein … Die wirkliche »Einweihung« datiert von dem Tage, an dem Sie aus meinem Glase tranken: an meiner Lust, auf dem Kristall die Stelle Ihrer Lippen wiederzufinden, habe ich gefühlt, daß es für mich nichts als meine Liebe gab! Alles, was Sie vor jenem feinen Souper aufgebaut haben, ist eingestürzt: das Blühen des Paradieses gärt darin, um mit seinem Safte die Trümmer und Ruinen der Schreckenshochzeit Peladan, Weibliche Neugier. zu ertränken … Es war unnütz, daß Sie unser Leben und meinen Ruf aufs Spiel gesetzt haben, wenn Ihr Ziel nicht war, mich zu erobern. Ich bewahre nur drei Erinnerungen: die Sitzung für mein Porträt Peladan, Weibliche Neugier., das Abendessen zu zweien Peladan, Einweihung des Weibes., den Kuß von Saint-Fulchran Peladan, Einweihung des Weibes.: das sind die goldenen Meilensteine, von denen alle meine Gedanken ausgehen.

– Und der Schluß dieser tiefsinnigen Rede? fragte Nebo etwas ängstlich. Nachdem ich einen so falschen Weg gegangen bin, muß ich demütig den nehmen, den mir Diotima Plato, Gastmahl., die Wissende in Liebesdingen, zeigen wird.

– Glauben Sie nicht, daß ich Ihren Geist verkenne; aber glauben Sie auch nicht, daß Ihre Absichten offen und ehrlich waren. Es kommt Diotima zu, Ihnen den einzigen Weg der Wandlungen des Weibes zu zeigen, auf dem ein Träumer des Seltenen und Unmöglichen befriedigt werden kann. Lieben Sie ein Weib, das Sie liebt: im Feuer der Leidenschaft wird es sich gern nach dem Muster umschmelzen, das Sie wünschen. Der Androgyn, mein Meister, ist der Sohn der Liebe: eine Frau muß diesen Traum lange reifen lassen, und zwar unter den Küssen ihres Herrn, damit er sich verwirklicht …

– So? fragte Nebo nervös.

– Sie sind verstimmt, ich mache, daß ich fortkomme.

Mit übertriebener Eile ergriff sie ihren Sonnenschirm und verschwand, sich ihres guten Abgangs bewußt.

 

3.
Der Bezauberer

– Heureka, Heureka, rief sie auf der Schwelle.

Nebo erstaunte über diese bubenhafte Art, die ihm das Spiel schwierig machte.

– Ja, mein kleiner Nebo, ich habe gefunden, was unserm Glück fehlt: wir brauchen jemand, der unsere beiden Richtungen ausgleicht; ein Heilmittel gegen das Lächerliche, das uns bedroht: wir brauchen einen Gatten.

– Dieses »wir« ist verrückt, wenn Ihre andern Worte seltsam sind.

– Ich hätte sagen sollen, »Sie brauchen«, denn ich persönlich könnte ihn sehr gut entbehren, aber es ist die Bedingung, ohne die Sie nicht lieben … Sehen Sie, dies ist ein Gesetz: wenn keine Katze da ist, tanzen die Mäuse. Da wir nicht tanzen, brauchen wir eine Katze.

– Welcher Unsinn, sagte Nebo, der sehr gut verstand.

– Sie sind so wenig scharfsinnig, daß Sie die literarische Sprache wollen! Es sei! Das Auge, das sich ans Schlüsselloch legte, wenn wir zusammen sind, sähe ein Paar, das aus Furcht vor Ueberraschung immer eine Haltung beobachtet, die, wenn auch schmachtend, zu erklären ist: die Horcher fürchtend, verbleibt es in einer Uebersinnlichkeit, die kaum flirtet. Sie empfangen mich in einem Raume, der in seiner Strenge düster ist; ich setze mich auf einen hohen Stuhl aus Holz und ohne Kissen, Ihnen gegenüber; wie eine Aebtissin und ein Kardinal plaudern wir in Chorstühlen über christliche Interessen. Meine rosa Toilette läßt mich in diesem düstern Rahmen wie ein Schmetterling erscheinen, der in eine Gruft gefallen ist. Da wir das Bedürfnis der Sicherheit haben, kommen Sie ins Haus Vologda: vor meiner Tante könnten wir uns fast dieselben Worte sagen und ebensoviel tun, ja, ebensoviel!

Diese gut geführten Angriffe zeigten Nebo eine Kühnheit des Begehrens, die sogar über die Scham hinwegging und über jeden andern gesiegt hätte; wenn er den Stoß parierte und diese Jungfrau, die kriegerisch gekommen war und verliebt angriff, beruhigt wieder fortschickte, so täuschte er sich nicht über die mögliche Dauer seines Widerstandes.

Bei einem gewöhnlichen jungen Mädchen hätte er sich der Heuchelei bedient, welche die heutige Erziehung zuläßt; hätte er aber der Prinzessin von Tugend, Jungfräulichkeit und Pflicht gesprochen, würde er eine kühne Antwort erhalten haben: »Meine Tugend sind Sie; meine Jungfräulichkeit schätze ich nur, wenn Sie sie nehmen; Pflichten habe ich nur gegen Sie.« Das Mittel, sie zurückzustoßen; der Grund, sie abzulehnen? Die schienen nicht zu finden zu sein: der Scharfsinnigste hätte es aufgegeben! Doch Nebo verwirklichte dieses Unmögliche durch eine außerordentliche Fähigkeit, die Musset geahnt hat, wenn er von einer Person sagt, sie überließ sich der mystischen Kunst, durch die Stimme zu entzücken: der Platoniker besprach das junge Mädchen.

Diese Gabe, augenblicklich zu überzeugen, mit Hilfe der schlechtesten Beweise und selbst ohne Beweise, diese Handlung eines Willens, die ein Gehirn zum Gehorsam bringt, durch eine unendlich liebliche Wirkung, findet sich nur bei den Wesen, die außergewöhnlich kultiviert sind und außerhalb der Gesellschaft stehen. Der Bezauberer, der David, der mit der bloßen Harfe seiner Worte ein Wollen einschläfert und eine Leidenschaft beruhigt, gehört immer der orphischen Rasse an, selbst durch das äußere Benehmen. Allein, wie auch die Fähigkeit sei, sie arbeitet nur, indem sie aufsaugt, sowohl den Samen wie das Gehirn: wenn man den Samen ergießt und das Gehirn der Mode anpaßt, wird diese Kraft unfruchtbar. Sie wirkt nur, wenn man körperlich enthaltsam ist und sich geistig von den Interessen der Masse scheidet. Einer Partei angehören, mit einer Sekte paktieren, einen Finger in der Politik haben, einer Bewegung folgen: all das macht ohnmächtig.

Der Bezauberer ist einsam, ohne Bande, ohne Geschäft, ohne Amt: nur wenn man sich in sich selbst zurückzieht, häufen sich die verbalen Kräfte an. In jedem Punkte übersinnlich, denkt er persönlich und gehorcht den Vorurteilen und den Gesetzen nur, um für sich und seine Jünger Sicherheit zu genießen. Für seine Jünger: denn abgesehen von seiner Willenshandlung, die sich auf das Wesen erstreckt, das er leiten will, strahlt der Bezauberer so aus, daß er Ergebenheit und Liebe einflößt, die nicht aus dem Verstand, sondern aus dem Instinkt kommen. Als einem geborenen Könige gehorchen ihm sein Volk, wenn er ein Genie ist, sein Hof und seine Jünger, wenn er unbekannt ist, nach Gesetzen, die ziemlich geheimnisvoll sind: wie eine Fackel zieht sein Wesen alle unentschiedenen und flatternden Seelen in das Halbdunkel, in dem sie sich ausbilden, nach Rang und Verhältnis.

Mit einer geschlechtlichen Weihe, lieblicher als die des Priesters, weil sie das Weib in einen männlichen Duft hüllte, legte er seine Hand sehr langsam auf Paulas Haar; vom theatralischen Charakter seines roten Gewandes Gebrauch machend, zog er anmutig und edel den andern Arm an seine Brust, den Aermel geschickt zurückschlagend, so daß sein sorgfältig enthaarter Oberarm weiß glänzte; mit einer etwas leisen und langsamen Stimme, mit zarten Orgelpunkten bei den Worten, auf die es ihm ankam, sprach er, ohne zu überlegen, was er sagte, der dreifachen Wirkung seines Hauches, seiner Stimme und seines Mienenspiels vertrauend:

– Verzeihen Sie, Paula, daß ich Sie mit einer Selbstsucht genossen habe, die Ihnen keinen Teil an der Wollust gewährt. Verzeihen Sie mir, daß ich von Ihnen trunken wurde, während Sie sich nicht an mir berauschen konnten.

Schon irregeführt, hatte die Prinzessin ihren ganzen Vorteil verloren, und Nebos Hand auf ihren Haaren verursachte ihr ein Vergnügen, das sie ganz erfüllte.

– Ich selbst habe, wie der gewöhnliche Mann, die Wollust nur fleischlich trinken können, und alle Frauen haben mir nur ein Vergnügen gewährt, indem ich sie braute, »wie man ein Bad braut«, hat d'Aurevilly gesagt … Ja, nur in der Verlegenheit des Besitzes habe ich von den Frauen etwas gehabt, das man Vergnügen nennt; und wenn ich plötzlich einem so wollüstigen Wesen gegenüberstehe, daß der bloße Anblick mich entzückt, wollen Sie, daß ich dieses Wesen auf die Tiefe dessen ziehe, was durch meine Arme gegangen ist, es niederwerfe und mich darauf wälze. Sie wollen, daß ich mich vor einer Schale Ambrosia nicht sammle, sondern sie wie eine Suppe verschlinge. Sie, der mit Leidenschaft bekleidete Pfau, wollen, daß man wie ein Bauer oder ein Arbeiter losfrißt. Ich muß Sie daran erinnern, Paula, daß Sie eine Prinzessin sind, und als solche müssen Sie sich freuen, den höchsten Adel der Gefühle entstehen zu lassen: den geistigen Besitz! Selbst in Ihrer Gegenwart träume ich, eine solche Tiefe hat das, was Sie in mir erzittern lassen: wenn Ihre Hand mich berührt, fühle ich die Berührung bis ans Herz, und Ihre Blicke drücken berauschende Küsse bis tief in meine Seele. Erinnern Sie sich, daß sich Ihr Stolz in Auflösung befindet vor der Ausströmung Ihrer zwanzig Jahre; haben Sie etwas Freude daran, statt meiner Sinne meine Gedanken zu sehen, die alle im anbetenden Chor gebeugt sind, um Sie zu verherrlichen. Verzeihen Sie mir, wenn in einer Umkehrung der Eigenschaften meine Männlichkeit zittert, sich verwirrt und vor Ihrer Jungfräulichkeit stammelt.

– O Bezauberer, rief die Prinzessin, die Ohren rosig vor Vergnügen, die Brüste wogend.

Diese köstlich einförmige Stimme wiegte sie, wie die lateinischen Worte der Kirche, ohne daß sie sich verteidigen konnte, in eine köstliche Betäubung. Am Ufer des Meeres, an den Abenden in Landhäusern, überall, wo die Natur, selbst beim künstlichen Gesellschaftsmenschen, eine idyllische Ausströmung hervorbringt, hatte sie viele Romanzen ohne Musik gehört, viele an sie gerichtete Artigkeiten: nichts ließ sich mit diesem wunderbaren Vortrag vergleichen, der so verschieden von dem des Theaters war …

– Wenn Sie mir von Liebe sprechen, habe ich nur noch Ohren; wenn Sie mich anblicken, nur Augen. Wenn Sie mich liebkosen, strömt meine ganze Empfindung an die Stelle, die Ihre Hand berührt: eine religiöse Bewegung, eine furchtsame Andacht, die Angst, die Erde zu berühren, wenn man im köstlichen Halbtraum ätherisch wird. Sie erheben mich bis zu dem Punkte, daß mir die Freuden der bloßen Gegenwart genügen! Aber ich sehe Sie nur eine Stunde lang an den Tagen, an denen ich Sie besuche, und außer dieser mit Ihnen verbrachten Stunde, der einzigen, die ich lebe, bin ich mir selbst überlassen, das heißt, einer Frau, die wirklich Weib ist und mit allen ihren Sinnen nach dem Geliebten strebt. Ich blicke in Gedanken auf die kurze Zeit zurück, die wir zusammen erlebt haben, mein Verlangen übergeht diese Erinnerungen und bildet Träume: fordernde und aufrührerische Träume, welche Sie jedesmal beruhigen und die ich Ihnen jedesmal verstärkt wiederbringe.

Als der Platoniker die Lippen öffnete, um seinen Gesang fortzusetzen, schloß sie ihm mit der Hand den Mund.

– Schweigen Sie, Nebo, aus Gnade: eine Hellsicht, die ich ausnutzen will, rät mir, und ich sehe ein Licht in dem Schatten, darin ich mich sträube. Sie besitzen mich geistig, haben Sie mir gesagt, eine höhere Wollust strahlt von meinen Reizen, und Sie entschuldigten sich eben, daß Sie mich genießen, ohne daß ich Sie genieße. Nun, ich nehme das zur Grundlage, und die Einzelheit dürfte Ihnen nicht mißfallen von einem Ganzen, so wunderbar, daß es durch den bloßen Anblick berauscht. Also, mein lieber Herr, Sie werden mir künftig meinen Teil der Wollust geben, da dies ein Recht ist, das Sie mir zugestehen. Mein Anblick entzückt Sie: wir werden uns gegenseitig betrachten, vielleicht gerate ich auch in Entzückung. Der geistige Besitz verliert nichts von seinem Adel, das ist klar, wenn man sein Objekt bestimmt und umgrenzt. Ich bin eine Schale mit Ambrosia, meinetwegen, aber um diese Schale läuft eine mannigfaltig getriebene Arbeit: studieren wir die verschiedenen Reliefs und die Facen zusammen. Wenn Sie geistig meine Hand besitzen, können Sie Ihren Gedanken aussprechen; ebenso kann ich Ihre Hand besitzen und sagen, was sie mir einflößt. Also, mein geliebter Nebo, wir sind einig: wir werden uns geistig und einzeln besitzen.

Sie sah sehr wohl den Verdruß Nebos in unwillkürlichen Falten der Stirn erscheinen, aber das hielt sie nicht zurück, sondern mit seltsamer Stimme sagte sie:

– Morgen, mein Meister, werden wir einander Auge in Auge entzücken.

Als sie verschwunden war, nahm der Platoniker, sonst so ruhig, einen Buddha aus Jadeït vom Tische und warf ihn, weiß vor Zorn, an die Wand, wo er zerbrach.

 

4.
Die Wollust der Augen

– Prinzessin, Sie haben seltsame Augen, von einem grünlichen Himmelblau, von diesem Ton, der nur durch das alte Wort »pers« Vom mittellatein. persus, schwarzblau. bezeichnet wird: Goldkörner streuen Seltsamkeit in Ihren Blick. Es gibt nur drei schöne Blicke: den schwarzen, der die Nacht aus den roten Strahlenbrechungen nimmt und im bildlichen Sinne ein Halbdunkel hervorruft, in dem Geheimnis und Blut liegt; den blauen, der einzige wirklich weibliche, der den Eindruck eines reinen und blassen Himmels macht; den grünen, der den Gedanken an einen See oder ans Meer hervorruft, das ist das seltenste Auge, und zieht am meisten an. Während das schwarze leicht hart und männlich wird – was genügen würde, um es vom spanischen Typ zu trennen, dem Typ erfahrener oder ländlicher Unzucht – wird der blaue leicht fade; der grüne aber ist beunruhigend, ohne hart zu werden … Sehr wenig Liebhaber könnten die genaue Farbe der Augen ihrer Geliebten nennen. Dasselbe Auge geht von grünblau in dunkelblau über, wenn ein lebhafter Eindruck wirkt. Aber ich habe auch Frauenaugen beobachtet, die in Paris nicht dieselbe Färbung hatten wie auf dem Lande. Es liegt immer viel vom Mond im Blick des Weibes. Nergal Peladan, Einweihung des Weibes. hat mir erzählt, daß eine Geliebte von ihm nach dem Liebesgenuß eine Verklärung zeigte, welche sie »Sonntagsaugen« nannten. Ich kenne im Abendlande eine Prinzessin wie Sie, welche die schönsten Augen hat, die es gibt, Ihre ausgenommen: vier oder fünf Menschen haben sie nur gesehen! Sie hat jene Augen nur, wenn man sie ihr gibt, und es ist nicht ihre Schuld, wenn sie jene Augen nicht öfters hat. Sie langweilt sich und sagt: »Wenn ich ein Wesen beschwöre, das würdig ist, geliebt zu werden, kehrt meine Seele in meinen Körper zurück; das erleuchtet die Fenster und macht den verliebt, der diesen Anblick gerade genießt.« Ich gestehe, daß ich eine Vorliebe für diese Natur der verschlossenen Schönheit habe: eine Frau, die den Mut hat, jahrelang einfach hübsch zu sein und ihren Reiz für einen Königssohn aufspart, ob er kommt oder nicht, hat für mich ein Feingefühl und eine Sinnlichkeit, die ich bewundere … Und jetzt, meine Prinzessin, wollen Sie das große Geheimnis des Blickes kennenlernen? Wenn das ganze Wesen sich dem Geliebten entgegenwerfen möchte, ihn aber nur mit den Augen berühren darf: die zurückströmende Begierde wirkt die Kraft und den Zauber der Augäpfel …

Die Prinzessin unterbrach ihn:

– Sie täuschen sich, Nebo, und der Beweis hängt nicht von mir ab! Doch legen Sie Ihre beiden Hände in meine, drücken Sie die, als wären wir Liebende, und betrachten Sie mich, nicht mit Zärtlichkeit … mit Liebe …

Gefesselt und noch mehr verführt, drückte Nebo die Hände des jungen Mädchens.

Unter der Liebkosung dieses Druckes vergrößerten sich die Augen Paulas, die Pupille erweiterte sich maßlos, wie unter der Wirkung von Atropin; der Goldfunke glänzte und das Grün wurde feucht. Aber über diese Erscheinungen von Formen und Farben hinaus erfolgte ein Zauber, den man kaum beschreiben kann: mit dem Willen einer Verliebten, einer längst begehrenden Verliebten, hatte Paula nichts Lebendes mehr als die Augen; ihre Hände wurden steif in denen des jungen Mannes. Sie gab sich mit einer solchen Macht hin, daß Nebo überwältigt wurde und nicht mehr den Druck der Hände noch den Blick der Liebe heuchelte: eine Minute noch, und seine Lippen legten sich auf Paulas Lippen. Das waren die großen Quellen der Seele, die hervorsprangen und sich auf ihn ergossen.

Bei diesem überirdischen Blicke ahnte er, daß die Wollust, welche die Augenlider so oft schließt, den Blick der Prinzessin mit einem unerhörten Glanz erleuchten müsse. Er, der Magier, wurde bei dieser Magie der Augen schwach: zum ersten Male vielleicht erfaßte er die Geschlechtlichkeit, ohne zu erschrecken. Mit einer plötzlichen Bewegung des Schwimmers, der den Strudel durchschneidet, um nicht fortgerissen zu werden, erhob er sich schwankend, etwas trunken, und sagte mit der rauhen Stimme der Geständnisse, die schwer fallen, ohne sie anzusehen:

– Ich habe den schönsten Anblick gehabt, den es auf der Welt geben mag.

Von diesem Umschwung bis zu Tränen gerührt, stürzte sich Paula auf ihn und ergriff seine Hände.

– O mein Trotzkopf, ich habe hundert, ich habe tausend ebenso schöne Anblicke dir zu bieten! Und du gibst sie mir zurück, süßer Nebo. Weißt du, daß er großartig ist, dein bestürzter Blick: es ist ein köstliches Gefühl, wie er in mir forscht. Die unbestimmte Farbe deines Augapfels hat einen wunderbaren Widerschein. Du strahlst von dem Gedanken wider, wenn du mich betrachtest: ich fühle mich stolz, deine Augen auf mich ziehen zu können, die sich immer zum Himmel erheben oder ins Innere versenken, um das Geheimnis des Wesens zu erforschen. Gestehe, daß du angefangen hast, dich vor mir zu verteidigen, mit deinen drei Blicken! Man hat den Blick seiner Seele, man hat den Blick von dem, was man fühlt. Alles täuscht von der Zehe bis zum Haar: der Mund, der beißen möchte, lächelt; die Hand, die kratzen möchte, liebkost. Das ganze Gesicht lügt: das Auge lügt nicht. Man trifft hübsche Augen, schöne Augen bei Wüstlingen, bei Friseuren: ihr Blick ist nicht schön. Sieh die Koketten, die Mondänen: hübsche Augen, der Blick nichtssagend. Nimm einen Gelehrten, er ist kurzsichtig, schielt, hat fast keine Augen mehr, aber er hat einen Blick. Das Auge, das muß das Meisterwerk Gottes sein, vom irdischen Gesichtspunkt, weil er am meisten vom Himmel hineingelegt hat. Stelle dir Augen vor, die meine Flamme und deine Tiefe hätten, nichts als diese Augen, ohne Körper, die vor dir herschreiten würden, wie bei Baudelaire …

– Der Engel, der Ihre Augen magnetisch machte, war sehr weise, Paula.

– Ja, da es der Engel Nebo ist! Wann haben Sie die so magnetisch gemacht? Sie haben zuerst Worte hineingesetzt, wie ein Augenarzt einem Gläser anprobiert, und Sie sind zu dem schwarzblauen Auge gekommen; und weil Ihre Hände sich mit meinen Händen vereinigt haben, weil Sie mich anziehend betrachten, habe ich keine Augen mehr, ich habe einen Blick: das heißt, eine Entfensterung meines Herzens … Ach, mein Freund, es wäre wertvoller gewesen, wir hätten einander in die Augen geblickt, als die Menschheit auf dem Pariser Misthaufen herumwimmeln zu sehen. Wie, Platoniker, Sie hassen das Gemeine und haben nur Ihre Augen auf mich zu richten, um mir die Schöpfung zu verhüllen? Statt dieses Einfache und Liebliche zu tun, verbringen Sie Monate damit, mir unnötigen Ekel zu zeigen, was das Schlimmste ist! Ich bin Ihnen böse …

– Paula, wenn Sie mir schon böse sind, werden Sie mich morgen, sobald eine andere Wollust auf uns herabgestiegen ist, hassen.

– Nein, sagte sie ernst, an der Heftigkeit des Gefühls, das ich empfunden habe, sehe ich, daß die so schmerzliche Mäßigung tief begründet ist, und ich beuge mich. Sehen Sie mich noch einmal an. Oh, nicht so, ich werde weinen … Mein Gott, was haben Sie denn so Trauriges zu denken?

– Fragen Sie mich nicht, liebe Seele … Sie sind meine ganze Freude … Aber ich verstehe es nicht, freudig zu sein. Der Grund von allem, was edel ist, ist voller Herzensangst: daher kommt es, daß die Wollust bei gewissen Wesen niemals lacht.

– Habe ich Ihnen mißfallen?

– Sie haben mich entzückt.

– Nun, das Entzücken paßt nicht zu dieser Melancholie.

– An dem Tage, o meine Prinzessin, wo ich von Ihrer Liebe ganz trunken sein werde, werde ich Ihnen nicht mehr sagen können, daß meine Liebe ewig ist. Begreifen Sie?

– Nebo …

– Mein Kind, meine Schwester, jetzt lassen Sie mich.

Mit einer sanften und gebieterischen Gebärde verabschiedete er sie.

 

5.
Die Schönheit in der Liebe

Beim nächsten Besuche erschien Paula in einem wunderbaren Kleide, ganz schwarz, das ihre Hautfarbe, wie Milch so matt, hervortreten ließ. Als sie ihren Spitzenumhang abnahm, verzog Nebo die Lippen: bei dieser seltsamen Liebe mit umgekehrten Rollen verkehrte sich, was sonst Freude machte, in Laune.

Auf ihren Schultern, auf ihrem Rücken, auf ihren Armen, selbst auf ihrer Brust verhüllte eine Spitze, Spinnengeweben gleich, mit Blumen reliefartig bestickt, ihre glatte und weiße Haut, hier verschleiernd, dort zeigend: eine Abwechslung von unsagbarer Wollust. Bei gewissen Bewegungen schlängelten sich, durch dieses melancholische Schwarz und dieses unwirkliche Elfenbeinweiß die wunderbar blauen Adern.

Sie schob einen Schemel neben den Lehnstuhl, setzte sich darauf und lockte ihn mit lächelnder Gewalt, ihrer Schönheit in dieser Entkleidung sicher, ruhig fordernd, ihres Reizes an diesem Tage gewiß.

Stumm gehorchend, näherte sich der junge Mann ihr: diese blauen Adern fesselten ihn, seine Augen hingen daran wie an Netzen, er glaubte sie schwellen zu sehen, sie schienen sich mit Blau zu sättigen.

Paula stützte ihre nackten Ellbogen auf die Knie des Geliebten, die unter der dünnen Andrinopel beinahe nackt waren, damit der Blick Nebos in ihren duftenden Busen tauche, wo das blaue Netz ultramarinblaue Farben annahm. Er sah: und unter seinem bloßen Blicke verhärteten sich ihre Brüste!

Er warf sich gegen die hohe Lehne zurück, stützte sich auf, wie man sich stützt, wenn man schwach wird: seine Hände klammerten sich an die geschnitzten Armlehnen, sich dort einen Augenblick festhaltend, um nicht der köstlichen Versuchung nachzugeben, diese von himmlischen Bändern durchzogene Haut zu berühren.

Mit seltsamer Aufmerksamkeit folgte Paula dem inneren Kampfe ihres Bruders; einen Augenblick hoffte sie, ihn besiegt zu haben; unbewußt veränderte sie ihre Stellung, wie ein Löwe bereit, auf seine Knie zu springen.

Plötzlich hörte Nebo auf das Holz zu umklammern, an dem er sich die Nägel zerbrochen hatte, und öffnete seine Augen wieder, die nun Herr ihres Ausdrucks waren. Zugleich seine große Erregung wie seine Macht über sich selbst eingestehend, spottete er sanft:

– Sie haben mir ein schreckliches Verlangen der Blutschande eingeflößt, meine Schwester, und das verherrlicht Ihr blaues Blut; aber die Begierden durchziehen mich, ohne mich jemals fortzureißen, und das verherrlicht auch Ihre blaue Seele. Ich bezahle Ihrem Körper die Schuld meines Körpers, aber ich werde Ihre Seele niemals um einen Heller, nicht um einen Finger, nicht um einen Nagel schädigen: bin ich nicht ein gerechter Herr mit gerechten Händen?

– Mit schönen Händen, sagte die Prinzessin, indem sie seine Hände ergriff. Erinnern Sie sich noch an den Tag unserer Begegnung Peladan, Weibliche Neugier., als Sie mir sagten: »Nähern Sie Ihre Prinzessinnenhand meiner Bauernhand.«

Indem sie eine der beiden Hände losließ, streichelte sie die andere mit der verliebten Ahnung dieser kitzelnden Berührung, die Schauder und Entnervung in die empfundene Liebkosung legt.

– Ihre Hand hat nicht die Kleinheit, die bei einem Manne wenig hübsch ist; sie hat die Schlankheit der Rasse und den spitzen Finger des Ideals. Sie haben eine Hand des Segens: segnen Sie mich!

– Schwester Tartüff … warum sagen Sie nicht offen: berühren Sie mich?

– Weil … ich Ihnen mißfallen würde … wenn ich Ihnen alles offen sagte.

Sie fing wieder an:

– Finden Sie nicht, Nebo, daß die heutige Kunst und Literatur sehr ungerecht gegen den Körper des Mannes ist und daß die Frauen, die über die Liebe geschrieben haben, sehr heuchlerisch und wenig künstlerisch sind? Scheint es Ihnen nicht, wie mir, daß man, seit Athen, die Schätzung der männlichen Schönheit verloren hat, indem man nur dieses dumme Ding, die Männlichkeit, sieht, statt die plastische Einzelheit, die oft reizend ist, zu schätzen?

– Würden Sie glauben, Paula, wie man es in der gelehrten Universität glaubt, daß die Plastik so vollkommen war, weil man die Gewohnheit hatte, ganz nackt zu gehen? Lassen Sie sich vom heroischen Kostüm täuschen, das dem Fehlen des Kostüms in der Vasen- und Bildhauerkunst gleichkommt? Glauben Sie, daß die Alten sich schlugen, wie Raoul Rochette im David des Louvre, mit einem runden Schild ausgerüstet?

– Ich glaube, mein Freund, daß der Reiz in der Entblößung zu unserer Ehre liegt, nicht in ihr selbst. Als Mann würde ich es lieber haben, daß eine Frau den Saum ihres Kleides für mich allein hebt, als sie im Badeanzug zu sehen. Folglich gewährte die antike Frau weniger Freude, wenn sie ihre Schleier fallen ließ, als die moderne, die ihren Staat ablegt. Und dann, eine Beobachtung, das stets der Luft ausgesetzte Fleisch der Dirnen, die ich gesehen habe, hat einen tierischen Ton, einen alltäglichen Ton. Ja, die gewöhnlich bekleidete Haut hat fürs Auge einen Sammetglanz und einen Gefühlswert, den ich nicht ausdrücken kann: aber ich empfinde ihn. Ich komme auf die männlichen Reize zurück. Ihre Hand ist meiner ebenbürtig: der Ansatz Ihres Handgelenkes ist fein, wenn er nicht rund ist, und Ihre Arme sind weiß … Ich wette, Sie haben keinen spitzen Ellbogen?

Sie schlug seinen weiten Aermel zurück.

– Sie sehen, ich analysiere auch. Ein hübscher Winkel des Armes ist die Aderlaßstelle an der Biegung: das Fleisch ist dort wie vertrieben, wie erregt.

Sie schlug ihren eigenen Aermel zurück.

– Und sehen Sie, da ist etwas vom Himmel … Oh, es ist nicht rosig: beleben Sie es.

Sie erhob ihren Arm und streckte ihn nach Nebos Mund hin: da dieser keinen edlen Widerstand zu finden wußte, drückte er einen schweigenden Kuß darauf.

Sie bog den Arm an ihre eigenen Lippen und nahm die unmerkliche Feuchtigkeit von den Lippen des Geliebten mit einer Röte der Freude auf.

– Sie geben der Schönheit in der Liebe die größte Wichtigkeit, Paula, und das ist die beste der Paten, aber nicht die Hüterin eines Herzens.

– O unkörperlicher Nebo, Sie fühlen das Bedürfnis, sich von einem armseligen Streifen des Armes durch erhabene, reinigende, beschwörende und besonders erbauliche Gedanken zu säubern.

– Närrin!

Er berührte ihre Schläfe mit dem Finger und die Schläfe klopfte.

– Sehen Sie, wie empfindlich ich für die geringste Liebkosung von Ihnen bin: kaum streift mich eine Berührung und das Blau erscheint. Das allein gefällt Ihnen bei mir, es ist die Farbe der Reinheit: ohne mein lasurfarbenes Filigran würde ich wegen meines hübschen Kleides gescholten worden sein! Hübsch ist es allerdings: sagen Sie, daß es hübsch ist.

– Es ist an Ihnen, es wird Sie, und ich liebe Sie.

– Welch hübsches Kompliment!

– O nein, das ist eine Lehre, Kind.

– Wenn man Lehren hat, die Komplimenten gleichen, läßt man arme Prinzessinnen das glauben, was ihnen schmeichelt. Ach, Sie ließen sich eher hängen, als daß ein wenig Schmeichelei von Ihrer Lippe fiele! Denn ich, ich mache Ihnen den Hof, mein Herr, und zwar sehr lebhaft.

– Zu lebhaft, Paula.

– Und wenn ich Ihnen auf die Knie springen würde, gestehen Sie es, großer Nebo, daß Sie sehr verlegen sein würden: ihr rotes Gewand erspart Ihnen vieles, aber …

– Genug Meuterei! Seien Sie weise, sonst ziehe ich meine Hand zurück.

– Oh, das wirst du nicht tun! rief sie aus mit den Augen einer Hirschkuh, die mit dem Tode kämpft.

Wirklich, in dieser Sekunde hatte sie die Empfindung, es gebe nichts Schmerzlicheres auf der Welt, als wenn Nebo seine Hand zurückzöge. Die Frau, die diese wunderbare Kindlichkeit nicht gekannt hat, wo ein Nichts zu einem Unglück wird, durch eine verliebte Spannung, hat niemals die Leidenschaft kennengelernt.

– Ich sagte Ihnen, meine liebe Prinzessin, daß die Schönheit, welche die Liebe hervorruft, sie auch zerstört. Wenn ich Sie Ihrer Augen oder Ihrer Gestalt wegen liebte, könnte ich, durch den Zufall einer Begegnung, man trifft alles in Paris, etwas Besseres oder scheinbar Besseres finden. Eine Frau wird nur geliebt, wenn man ihre Unvollkommenheiten mehr liebt als die Vollkommenheiten einer andern. Die mir die größte Wirkung verursachten, wenn sie mir ihre Hand gaben, waren in diesem Punkte nicht am besten ausgestattet; ich habe einen ermüdeten Busen, einen welken Busen, wie den der großen »Nacht« Michelangelos »Nacht« in Florenz., den rundesten Brüsten der Erde vorgezogen. Uebrigens, die Schönheit ist die Wollust der Augen: bei der Berührung gibt sie nicht so viel, wie sie beim Anblick verspricht.

– Mein verehrter Nebo, ich bin weise und habe Sie nicht unterbrochen; aber ich möchte eine Bitte an Ihre Barmherzigkeit richten, ohne Sie zu erzürnen. Sagen Sie aus Mitleid nicht mehr zu mir: »die Frauen, die mir verursachten … ich habe solch einen Busen vorgezogen«: es tut mir so weh.

– Armer Engel, erwiderte Nebo gerührt, sei wenigstens überzeugt, daß keine Hand den Druck der meinen empfangen, kein Busen von meinem Blick geliebkost werden wird, und daß meine Begierde, die deine Befriedigung nicht will, wenigstens auch keine genießen wird.

– Oh, guter Nebo, guter Nebo!

Sie küßte ihm das Knie, dann sagte sie zu sich selbst, tief nachsinnend: niemals Befriedigung!

– Die Liebe, der große Zauberer, der große Alchemist, verwandelt das gewöhnliche Metall in reines Gold; und bei der leidenschaftlichen Verwandlung, wie bei der metallischen, ist es das »Wort«, das den Ausschlag gibt. Die Schönheit, meine Prinzessin, die wahre, deren man nie müde wird, die allen Rivalitäten trotzt, ist nicht die, welche die Frau besitzt; es ist die, welche man ihr gibt.

Für jeden sind Ihr Busen und Ihre Arme schön: für mich wogt er, für mich adern sie sich.

Für jeden sind Ihre Augen bezaubernd: auf mich gerichtet, sind sie bezaubert.

Für jeden haben Sie schöne Lippen: für mich allein zittert der Kuß darauf.

Für jeden sind Sie die Prinzessin: für mich sind Sie mein Werk.

Ich liebe in Ihnen nur Ihre Liebe: im Kaukasus habe ich Ihresgleichen gesehen, ja siegreiche Rivalinnen.

Ihr Zauber ist nicht die Festigkeit Ihrer Brüste: es ist ihr Klopfen.

Ihr Zauber ist nicht die Rundung Ihrer Arme: er liegt darin, daß sie gegen mich gestreckt sind.

Ihr Zauber ist nicht die Farbe Ihrer Augen: es ist die Art, wie sie mich anblicken.

Ihr Zauber ist nicht der Purpur Ihrer Lippen: es ist deren Streben nach meinen.

Ihr Zauber ist nicht die Krone der Prinzessin: es ist die Haltung der besiegten Frau.

Und ich liebe Sie, nicht weil Sie schön sind: einzig und allein, weil Sie mich lieben.

 

6.
Das Schweigen des Mittags

Nebo hatte eben gefrühstückt und zündete seine Zigarette an, als zu seiner Ueberraschung die Prinzessin eintrat, außer Atem, unter einer dichten Jacke schwitzend.

– Wenn Sie im Betragen nicht unvernünftig werden, so doch in der Kleidung. Wie können Sie sich so anziehen?

Die Erregung des jungen Mädchens ließ ihn nicht daran denken, daß gerade die Jacke ihn bedrohen könnte: sie keuchte und ruhte einen Augenblick aus, um Atem zu schöpfen.

Nebo hatte sein rotes Gewand nicht an; er trug ein Trikot aus schwarzer Seide und eine kurze offene Bluse aus weißem Satin, über einem Hemd aus Bastseide ohne Kragen, das sehr tief am Halse durch das Sinnbild des Merkur in Platin geschlossen war.

– Ich will Ihnen sagen … morgen bin ich durch allerlei in Anspruch genommen, und heute kommt eine Base um zwei Uhr; das Frühstück ist der Augenblick, da meine Tante mich genießt, wie sie sich ausdrückt: ich müßte also zwei Tage vergehen lassen, ohne Sie zu sehen. Da das Leben einen oft genug büßen läßt, bin ich nicht das Mädchen, ihm dabei zu helfen: sobald meine Tante mich bitten ließ, habe ich einen Vorwand gefunden und diese Jacke übergeworfen. Daraus erklärt sich die keuchende Prinzessin. Erklären Sie mir nun die Geheimnisse Ihres Anzuges: Sie sehen aus wie ein florentinischer Bräutigam von 1500: Sie sehen sehr, sehr, sehr gut aus! Sie haben sich nur so gekleidet, weil Sie mich nicht erwartet haben: Sie sind nicht großmütig mit Ihrer Schönheit, Nebo.

Die Prinzessin schwitzte reichlich und Nebo war so unvorsichtig, zu sagen:

– Ich, der Schamhafte, bin der Meinung, daß Sie diese verrückte Wolljacke ausziehen, die Sie mit Hitze quälen muß.

Die Prinzessin schien zu zögern.

– Da sieht man die Frau: sie wird ohne Grund ihr Bein zeigen, um eine Situation zu fälschen, aber sie wird ersticken, um eine Jacke anzubehalten, wenn es ihr paßt.

Er sah nicht das Lächeln über Paulas Lippen gleiten und in den Winkeln ihrer Augen leuchten.

– Ich begreife, daß Sie keinen Geschmack an meinem Bein finden, da Ihres ebenso schön ist, wenn auch etwas zart; was den Busen angeht, bin ich allerdings reicher als Sie …

Er drehte ihr einen Augenblick den Rücken, da er ein Stück Brokatstoff, der sich von der Wand gelöst hatte, befestigte.

Als seine Augen wieder auf die Prinzessin fielen, stieß er einen vielsagenden Ausruf aus: der Reiz eines Angriffs auf seine Sinne, der Aerger, getäuscht worden zu sein, die Verwirrung einer überraschten Wollust sprachen mit.

Paula hatte die erstickende Jacke ausgezogen und stand da: die Arme nackt, den Hals nackt, die Brüste nackt.

So wundervoll sah sie aus, daß Nebo den unvermuteten Angriff hinnahm; er setzte sich ihr gegenüber, auf einen erhöhten Sitz, und rettete durch ein einziges Wort das Erotische der Situation, indem er mit der Dankbarkeit eines bewundernden Künstlers ausrief:

– Danke!

Er kreuzte die Beine, er kreuzte die Arme; sie schloß die Augen, als schlummere sie; und ein großes Schweigen begann.

Der Fall der Schultern, die geneigte Mitte, die Fläche des Busens waren schön; doch auch auf einem Ball zu finden: das Wunder waren die Brüste selbst, die plötzlich ansetzten und nicht rund waren, wie die Schablone des Bildhauers. Sie verjüngten sich nach vorn mit einer unwirklichen, heraldischen Haltung; sie spitzten sich nicht in der Warze zu, sondern in ihrer ganzen Form, in Nebos Augen zum ersten Male den Ausdruck »spitze Brüste« rechtfertigend.

Diese Sphinxbrüste, wie sie die Prinzessin ihm zeigte, hatte er noch nicht kennengelernt. Da die Entblößung der Mode von Frauen bestimmt wird, die einen schönen Busen, aber keine schönen Brüste haben, bietet sie dem Auge nur eine Neigung des Körpers, mit einer Blume besteckt, oder mit einer Lücke, die nur eine Falte ist. Viele erzielen damit einen hübschen Trug; und einige, oh, sehr seltene, verlieren dabei den Schmuck ihrer Schönheit.

Der Bildhauer des Königs Eros Peladan, Einweihung des Weibes. vertiefte sich in eine wachsende Bewunderung: er hatte, lebend vor Augen, die Brüste der Sphinx, schöner in der Wirklichkeit als unter dem Zeichenstift seiner Träume.

Der Zwischenraum zwischen den Brüsten, glatt und weit, tauchte nicht über die Seitenlinie: die ganze Entwicklung ging gerade nach vorn durch ein fortschreitendes Vertiefen der Rundung. Die birnenförmigen Brüste, die er auf den Bazaren von Konstantinopel und Kairo studiert, hatten eine tierische und verlängerte Warze, während der rosige Knopf der Prinzessin, wie ein Rubin aufgesetzt, nicht an der Zuspitzung des Umrisses teilnahm.

Auf dieser idealen Form eine unwirkliche Farbe, die Haut der Lilie; und die Adern, die wunderbaren blauen Filigrane, machten auf die Augen den Eindruck von blaßblauer Seide unter alter Spitze.

Erst nach einem langen Studium dieser schönen Nacktheit erinnerte sich Nebo an das Herz, das für ihn unter der linken Brust schlug. Von dieser Plastik überrascht, hatte er vergessen, daß sie einander liebten. Plötzlich flammte eine unendliche Freude in ihm auf: er war der Gott dieses Tabernakels.

Der schönste Busen des Weltalls umschloß sein Bild! Dieser Gedanke gab ihm eine Minute lang ein absolutes Glück: der Mensch und der Künstler in ihm waren zu gleicher Zeit beseligt. Er erhob zu Gott ein tiefes »danke«, daß er ihm diese Verwirklichung erlaubt habe.

Die Prinzessin öffnete die Augen nicht wieder; ihre feuchte und halb geöffnete Lippe lächelte; sie war glücklich, sich so besessen zu fühlen; denn, seltsame Wirkung der nervösen Spannung, sobald Nebos Bewunderung verliebt wurde, härteten sich ihre Brüste, und ihr Rubin rötete sich; als der Blick des Platonikers sinnlich wurde, erschauerte der nackte Busen wie unter einem Kusse.

Nebo bemerkte diese fluidische Uebertragung; er erschrak, daß er schon bis zu diesem Punkt der Magnetisierung gekommen war, aber der Zauber ergriff ihn wieder. Er gefiel sich in dieser seltsamen Wollust: die Brüste Paulas bewegten sich bei seinem Blick wie das Meer unter der Gewalt des Mondes.

Alle beide schätzten sich glücklich, eines so großen Adels der Gefühle fähig zu sein; sie waren nicht nur hohe Geister und schöne Herzen, sondern auch köstliche Körper, die sich vor andern auszeichneten; wie die Weisen des Morgenlandes sich von Düften nährten, so genossen sie mit den Augen.

Alle beide sagten »nein« zu den Gesetzen des Triebes, und die Unwirklichkeit ihrer Lage, eine solche Unwirklichkeit, daß niemand sie begriffen hätte, gab ihnen die Empfindung, daß sie jede Gemeinschaft mit der Menschenherde gebrochen hatten. Wo fast alle Menschen sich nur zu paaren gewußt hätten, betrachteten sie einander, jung, schön, voller Begierde, die sie einschläferten und zähmten. Ja, jeder schien sein Tier niederzutreten, mit einem engelhaften Fuße, und ohne größere Anstrengung als der heilige Georg von Raffael, der eine schöne Gebärde um einer schönen Gebärde willen macht, der es nicht nötig hat, seine Muskeln schwellen zu lassen, um den Bösen zu Boden zu strecken: es genügt ihm, der heilige Georg zu sein.

So groß ist die Macht des Geistes über den Körper, der uns nur durch unsere beständigen Feigheiten beherrscht, daß sich die Wollust bald für alle beide entkörperlichte: die Prinzessin hätte es ihm nicht mehr erlaubt, mit den Lippen zu berühren, was er mit den Augen berührte. Sie sandten einander Strömungen von Träumen zu, sie trieben einander in diesen Rausch, der beiden wunderbar neu erschien: sie schwebten über der Begierde, sie spielten mit dem Feuer, ohne sich zu verbrennen, in einer allmächtigen Verachtung der Natur, die ihr Erzengelwille sich unterwarf.

Wunderbare Stunde, die sie aus höheren Sphären hatten herabsteigen lassen und die ihnen selbst das Bild eines Paradieses der Regungslosigkeit fühlbar machte.

Eine drückende Julihitze brannte draußen, und sie dachten an die Bäuerinnen von Rubens, deren Brüste durch die rauhe Hand von Flegeln entblößt wurden; an Menschen, die eine Brunstzeit haben wie die Tiere, und die dem Appetit wie einem Verhängnis gehorchen. Sie dachten an flämische Kirchmessen, burgundische Hochzeiten; an Heuerinnen, die im Getreide tierisch zu Boden gestreckt werden; und bei diesen Visionen faltete das Lächeln des Leonardo, das göttliche Lächeln des Geistes ihren Mund. Ihre Wollust war so auserlesen, so fein gewollt, daß sie von einem königlich gütigen Herzen zum Mitleid mit der tierischen Menschheit gerührt wurden.

Noch nie hatte Paula diesen wunderbaren Eindruck gehabt, der das ganze Vergnügen des Heiligen und des Genies ist: mit den Füßen über der Stirn der Menge zu stehen. Die gleiche Liebe, welche die Welt schmückte, bekleidete den Rausch des Geschlechtes und des Körpers mit engelhafter Form.

Die Prinzessin öffnete die Augen nicht wieder: ihre Brüste streckten sich den Blicken Nebos entgegen, seinen Blicken, die küßten.

Nach dem Künstler, nach dem Liebhaber kam der seltsame Okkultist: er gab dem zitternden Busen Paulas den Rhythmus, den er in seinen eigenen Augenlidern schlagen ließ. Wenn er lebhaft blinzelte, sah er den Busen der Prinzessin in beschleunigten Bewegungen keuchen; wenn er verlangsamte, indem er den Schlag gleichmäßig machte, wogten die Brüste mit ernster Langsamkeit.

Plötzlich fühlte er eine fluidische Verbindung zwischen seinen Brustwarzen und Paulas Brüsten entstehen, eine lebhafte Strömung von den einen zu den andern gehen. Das machte ihn ernst; die Standuhr war im Bereiche seiner Hand; sie hatte die Augen geschlossen; mit einer schnellen Bewegung ließ er es ein Uhr schlagen.

Paula fuhr zusammen: sie war köstlich in ihren Anstrengungen, die Vision zurückzurufen. Mit Mühe erhob sie sich und schwankte.

– Man träumt vom Paradies unter Ihrem Blick, sagte sie und rundete ihre beiden Arme, um sich die Augen zu reiben.

Langsam zog sie die Wolljacke, den Vorwand zu dieser schönen Stunde, wieder an.

– Nebo, dieser Mittag verlangt eine ähnliche Mitternacht. Ich werde übermorgen kommen. Grollen wir mit dem Fleisch, o mein Platoniker, aber grollen wir nicht mit dem Herzen. Wir werden uns nicht mit der Fingerspitze berühren, wie es sich ziemt, wenn man Bruder und Schwester ist, aber den Traum von Angesicht zu Angesicht, den Traum zweier Herzen, den können Sie nicht verbieten! Nebo, wir werden eine Mitternacht haben, diesem Mittage ähnlich.

Sie ging schnell hinaus, um dem Verlangen zu entweichen, diesen jungen Mann in der Bluse aus weißer Seide, dessen Blick ihre Brüste härtete, zu umarmen.

 

7.
Nachtwache der Liebe

Da er sich unmöglich zurückziehen konnte, überlegte Nebo, womit ihn dieser nächtliche Besuch bedrohen könne, kam aber zu keinem Ergebnis.

Er fühlte sich noch zu sehr als Herr der Situation, um zu fürchten, daß Paula seiner wirklichen Verteidigung trotzen würde. Was hatte dieser Geist einer unbefriedigten Geliebten ersonnen? Sein Scharfsinn sah nichts.

Er zog die schwarzen Kniehosen Hamlets an, ein Hemd aus Seide mit roten Bändern, und wartete, indem er rauchte.

Als die Glocke läutete, hielt er den Atem an und fühlte in den Beinen die Lähmung des Schauspielers, der die Bühne betreten soll und seine Rolle nicht kann.

– Liebster Oberon, Titania hat dein Dach erwählt, um diese Nacht darunter zu schlafen.

– Träume, das ist alles, was Oberon besitzt: wird das Titania genügen?

– Ja, wenn Oberon Titania träumen sieht.

– Welcher Gebrauch meiner Augen könnte süßer für sie, edler für mich sein als der Schlaf meiner Fee!

– Dann führe mich an dein Lager, Oberon!

Nebo fragte mit einem Blick, über den Sinn dieses Wortes zögernd.

– Alltäglich ausgedrückt, an Ihr Bett.

– Sie wollen in meinem Bette schlafen?

Sie bestätigte es, mit dem Kopfe nickend. Wenn er zögerte, verlor er sein Ansehen. Entschlossen ergriff er einen Leuchter und ging ihr voran in sein Zimmer.

Es war mit gelber Seide bespannt, die goldene Nägel festhielten, und zeigte keinen andern Schmuck als eine silberne Lampe in italienischer Fassung, die an Ketten hing; ein Betpult in der Ecke und in der Mitte Berge von Kissen aus gelbem Leder, neben einem sehr schmalen Bett aus Bronze.

– Warum ist hier alles gelb? fragte die Prinzessin, die indessen dieses Zimmer schon zur Zeit der Umseglung Peladan, Weibliche Neugier. von Paris gesehen hatte, als sie es durchschritt, um sich in dem Gemach, das sich im Hintergrunde öffnete, zu verkleiden.

– Um die Einwirkung der Sonne anzuziehen.

– Ach, ich möchte heute abend den Mond anziehen! Es ist symbolisch bei Ihnen, unbequem auch! Wo soll ich meinen Staat ablegen, um mich bei Tage ohne Mühe wieder anzuziehen?

Nebo blickte sie mit einer betroffenen Unruhe an, welche sie nicht sehen wollte.

– Ich werde Sie Ihrer Bequemlichkeit überlassen; Sie werden mich rufen …

– Sie könnten ebensogut bleiben, aber wenn Sie es vorziehen, bei meinem Auskleiden abwesend zu sein, so entfernen Sie sich.

Er grüßte sie und ging bestürzt hinaus. Wollte sie einen entscheidenden Anfall versuchen? Besonders ihre Ruhe machte ihn irre: er sah irgendeinen geschickten Streich voraus, der die Formen umging und ihn vorwärts stieß, trotzdem er sich sträubte.

Einige Minuten vergingen: dem Platoniker war beklommen. Endlich rief sie.

Wie erstaunte er! Statt eine Frau zwischen seinen Laken zu finden, sah er einen Pagen in weißer Seide sich auf seinem nicht aufgedeckten Bett ausstrecken.

Die Prinzessin genoß die Ueberraschung ihres Geliebten; sie hatte, bevor sie kam, diese reizende Verkleidung unter ihren Röcken angelegt.

Wirklich, er hätte ebensogut bleiben können: ein Trikot aus weißer Seide mit Bauschen am Aermel; eine Jacke aus demselben Stoffe, den Hals entblößend, ohne Spitze und Borte; ihre Haare waren in Helmform zurückgenommen.

– Jetzt, Nebo, löschen Sie Ihren Leuchter und öffnen Sie das Fenster dem Monde, der heute abend rund ist wie die Wange eines Engels.

Nebo gehorchte; dann ordnete er Kissen und setzte sich darauf, den Ellbogen aufs Bett stützend.

– Nun, mein lieber Herr und Meister, habe ich Ihr Mißfallen erregt?

– Ach, Prinzessin, Sie gefallen zu sehr: das ist Ihr Fehler!

– Ich werde mich nicht bessern. Der schwarze Page, der den liebeskranken weißen Pagen bewacht: welch hübsche Legende für einen englischen Stahlstich. Wie der Mond uns anblickt: er fragt sich, warum ich ein jungfräuliches und Sie ein Trauergewand tragen. Mein Nebo, du schweigst: wenn meine Freude dir Kummer bereitet, so verzichte ich darauf. Lieber will ich allein weinen als dich düster sehen, wenn ich mich anklagen muß, daß ich dir diese Trauer auf die Stirn gieße.

Und sie erhob sich entschlossen.

Nebo legte sie mit sanfter Gewalt zurück.

– Bleib, mein schöner Page, und klage dich nicht wegen meiner Herzensangst an. Wenn du mich düster und versonnen siehst, wenn ich deiner Anmut schmolle und deine süße Liebe beinahe grob behandle, so sage dir den Vers: »Er sucht das Wort zu schreiben: die Herzen stets vereint.« Fühlst du nicht das Schöne, das wir verächtlich machen würden, wenn ich einen Augenblick vergäße, daß wir uns fürs Leben wollen.

– Fürs Leben! Ist das genug für deinen Wunsch? Das Leben ist nur der erste Kuß der Liebe! Jene Pforte des Todes, die sich auf das Geheimnis öffnet, öffnet sich also der Ungerechtigkeit?

– Wenn ich dich das ganze Leben in meinem Herzen getragen habe, glaubst du, weil die Eingeweide verwesen, wird mein Herz nicht immer schlagen, und immer für dich? Und wenn du selbst diese Welt mit meinem Bild verläßt, fühlst du nicht, daß die Strömungen des Aethers uns zu einander tragen werden? Wenn wir zu büßen haben, wird Gott, der uns erlaubt hat, hier unten zusammen zu leiden, uns auch erlauben, dort oben zusammen zu büßen. Selbst wenn du allein im Fegefeuer wärest, glaubst du, unser Herr würde mir verweigern, zu weinen, zu weinen, bis ich keine Augen mehr habe oder bis das Feuer deiner Qual erloschen ist? Sobald wir beide geläutert sind, werden wir die drei größten Heiligen, den heiligen Joseph, den Schutzpatron des Geheimnisses, der dir vertraut sein muß, den Vorläufer Johannes und den von Patmos Johannes, Offenbarung 1, 9: »Ich … war auf der Insel, die da heißt Patmos.« bitten, daß man uns am selben Chorpult singen läßt. Die Jungfrau Maria würde es nicht erlauben, daß ich mich die ganze Ewigkeit an einem Ende des Paradieses ängstige und du am andern.

– O mein Geliebter!

Nebo hatte Paulas Hand ergriffen und küßte sie lange.

– Du siehst, süßer Freund, daß du selbst, wenn du zu lebhaft fühlst, nicht mehr sprichst, sondern liebkosest.

– Wenn ich sicher wäre, mein süßer Engel, daß solche Liebkosung nicht verhängnisvoll zu einer andern führt! …

– Hier bin ich's, die dich zurückhält. Diese selbe Prinzessin, die bis zur Verzweiflung grübelt, wie sie sich dir hingeben kann, ohne daß du sie nimmst, achtet deinen Willen: den Kuß, den ersten, du wirst ihn mir geben. Das ist kein Trotz, das ist Gehorsam. O mein Freund, ich liebe dich so, daß ich's nicht mehr sagen kann!

Sie rückte ganz an den Rand des Bettes.

– Höre eine Erfindung meiner Zärtlichkeit: lehne deinen lieben Kopf an meine Brust und … träumen wir.

Nebo lehnte gelehrig seine brennende Wange an den Busen der Prinzessin; aber die Erregung war so stark, daß er sich wieder entfernte.

Das junge Mädchen machte eine herzzerreißende Gebärde; dann zog sie sich zurück und streckte sich auf dem Rücken aus, das Auge im Raum des offenen Fensters verloren.

Sie wandte den Kopf nach ihm.

– Glaube nicht, mein Nebo, daß ich Launen habe, wenn es gegen meinen geringen Geist geht, mein Verlangen deinem anzupassen

Sie sammelte sich, ganz in dem Gedanken, daß sie auf dem Bett des Geliebten ruhe, und bald färbte sich ihr Gesicht mit Befriedigung.

– Sei nicht finster, o mein Bruder: deine Schwester ist glücklich.

Sogleich fuhr sie fort:

– Ich bin glücklich, sage ich dir; mein Glück ist so fein und schön und ruhig wie das Gebet einer Nonne! Auf dem Lager des Geliebten ruhen, unter dem Blick des Geliebten: oh, möge Gott uns so bleiben lassen, ich will nichts weiter wünschen. Stelle dir vor, Nebo, daß tausend Kilometer uns trennten, wenn diese Mitternacht schlägt, daß ich einem ungeliebten Manne angehörte, der sich Gatte nennt. Oh, ein schrecklicher Gedanke! Wer kann die Zahl der Ehesklaven zu dieser Stunde nennen? Wie viele ersticken sich nicht, statt sich zu umarmen! Die sich nicht lieben, wenn sie einander nicht fliehen können.

Sie richtete sich auf, von Bewegung geschüttelt.

– Weiß das junge Mädchen, auf was sie verzichtet, wenn sie die wirklich gefundene Liebe abschlägt? Hat sie eine Ahnung von dem lächerlichen Ersatz, den die Welt ihr für diese Liebe geben wird? Die Ehre einer Frau, dieser zerbrechliche Kelch einer blassen Blume, die man mit einem geschickten und heuchlerischen Gewebe schützen oder mit seinem reinsten Blute begießen muß: hat es noch Zweck, sie zu bewahren, wenn man Füße gefunden hat, die schön genug sind, um sie darauf zu entblättern!

– Ach, teure Geliebte, Sie glauben, daß alle Frauen Prinzessinnen sind, das heißt reich, denn man schafft Liebe nur mit Gold, und das ironische Schicksal gibt den großen Herzen fast nie eine volle Börse.

– Können Sie die Geldfrage mit dem erhabenen Geschenk, das man dem Geliebten mit seinem eigenen Selbst macht, vermengen?

– Sie träumen, glaube ich, und verlieren das Bewußtsein der Erde und des Lebens, das man dort führt. Wehe, wehe dem Armen, der liebt Peladan, Das allmächtige Gold.: die Liebe ist ein Luxus, der törichtste Luxus. Wenn ich wenig Gold besäße, würden Sie, um in mein Zimmer zu kommen, von einer Türhüterin frech angesehen werden. Wenn wir in einem möblierten Zimmer hausten, würde die Polizei nach Ihrem Namen fragen! Wenn ich wenig Gold hätte, sähen Sie mich, statt in ein Phantasiekostüm gekleidet, in zerrissenem Hemd, zu großen Schuhen, und die Prinzessin Riazan streckte sich auf einem Strohsack aus! Lieben ohne Gold heißt, in den Kampf ohne Degen gehen. Stellen Sie sich vor, daß Sie, Frau Nebo, von den Aerzten aufgegeben sind; die einzige Hoffnung bleibt ein Wechsel des Klimas und Konsultationen medizinischer Größen, von denen die eine in Petersburg, die andere in Leipzig wohnt: aber Nebo hat nur sechstausend Franken Zinsen. Ach, lieber keine Liebe als die Liebe in Armut! Man müßte denn sehr einfach von Natur sein, mit einer Büchse auswandern und dem Jaguar und der Boa ihr Leben in den Pampas streitig machen! Die Lilien, die Wesen, die nicht spinnen und niedrige Arbeit verrichten können, mögen ihr Herz ersticken: das wird weniger schmerzlich sein als das beständige Bluten des geliebten Wesens … Verstehen Sie die »Portia« von Musset Musset, Dichtungen, Deutsche Ausgabe, Verlag Lattmann, Goslar.? Deren Geliebter Dalti ist immer noch ein Fischer: machen Sie aus ihm einen Aktenmenschen oder einen Handwerker! Ja, Sie werden mir die Antwort geben, die Ihnen die Begeisterung der Stunde einflößt, weil Sie niemals an diese Dinge gedacht haben, die für Sie nicht vorhanden sind. Sie sind frei, Paula, und Sie verbringen die Nacht bei dem geliebten Manne. Ich hätte Ihnen später begegnen können, hätte Sie schon verheiratet finden können.

– Selbst um nur deine Schwester zu sein, hätte ich alles verlassen und wäre dir gefolgt.

– Kind, wenn ich dir nicht einmal das bürgerliche Leben hätte geben können, siehst du dich, o Prinzessin, wie du Nebos Hosen flickst. Stelle dir ein einziges Zimmer vor, wo wir essen, wo wir schlafen; sieh den Ofen, der streikt, die Lumpen, die herumliegen, und kein Kleid zum Ausgehen! Ah, bei diesem Bilde hört der Protest auf, nicht wahr? … Eine seltsame Erinnerung kommt mir.

Der junge Mann erhob sich und ging durchs Zimmer.

– Sie war dreißig Jahre alt, eine ausgezeichnete Gattin und Mutter, als ER, der Sieger, der Unwiderstehliche, erschien, dem man ins Feuer und unter den Blitz folgen würde und bis ins Verbrechen und durch den Schmutz folgt. Er kam in dieses reiche Leben, ohne Gold zu besitzen. Was tat diese Geliebte? Sie gab sich für Geld preis! Oh, nur vier Männern. Seit zehn Jahren leben die beiden glücklich, in einem kleinen Hause der Allee des Boulogner Wäldchens. Ich kenne die Frau: sie wird nie unter Gewissensqual leiden. Es gibt einen Gesichtspunkt, wo die Ehebrecherin, eine gewisse Ehebrecherin, bei einer schuldigen Glaubwürdigkeit anlangt, die Boccaccio sehr scharfsinnig, als er über Dante spricht, andeutet: der Reiche ist dazu bestimmt, die Frau der Ausnahme für die Liebe des Träumers zu schmücken. Ach, was wird aus der Moral, wenn die Aesthetik sie durchkreuzt: ist es nicht ebenso wichtig, daß eine Frau schön ist, wie daß sie keusch ist. Ihre Schönheit wird vielleicht eine fruchtbare Quelle für Bestrebungen und selbst für Werke sein; aber ihre Keuschheit befriedigt das Auge der Engel. Ach, Paula, es gibt Augenblicke, da der Geist wie ein geblendeter Adler sich im Raume dreht und rollt, ohne noch zu fühlen, ob er zur Sonne hinaufsteigt oder auf die Erde hinabsinkt.

Er kniete neben dem Bette nieder, faltete die Hände und dann, als habe er gebetet, seufzte er sehr sanft:

– Ich liebe dich, mein schöner Page.

Ein Schauer überlief die Prinzessin bei diesen Worten; mit feuchten Augen wandte sie sich zu ihm und schmeichelte:

– Du liebst mich und du hast mich … und doch bist du nicht glücklich! Die Ahnung des Morgen vergiftet dir das Heute; du stößt den Zauberbecher zurück, da du meinst, seinen Grund zu sehen! Bevor du dich berauschest, willst du sicher sein, daß die Trunkenheit ewig sein wird, und weil sie nur augenblicklich ist, glaubst du nicht an das Vergnügen. O mein Nebo, laß dich nicht durch erkältende Lehren vereisen: das sind Töchter der Vereinsamung und falsch wie alles, was die Einsamkeit eines Geistes gebiert! Laß dich nicht von dem Phantom einer bestreitbaren Größe täuschen und sieh die glücklichen Stunden so, wie sie schlagen! Du scheinst mir ein Adam, der keine Frucht von Eden berühren möchte, aus Furcht, eines Tages ihrer beraubt zu werden. Du hast gesehen, daß die Liebe bald endet, schlimm endet; und du, der Mutige, willst sie nicht beginnen. Oh, es sind nicht meine gespannten Nerven, die sich im Augenblick, da ich spreche, bemerkbar machen, nicht körperlich begehre ich dich: durch eine erhabene Harmonie läutert sich meine Zärtlichkeit und geht deinem Wollen voraus, wie eine süße Braut, und ich glaube dich endlich so zu lieben, wie du es willst, nicht wahr?

Nebo küßte ihr lange die Hand, die vor Freude feucht wurde.

Sie bekam Durst: der junge Mann verließ das Sonnenzimmer.

Als er zurückkehrte, hatte Paula die Hosen und die Jacke ausgezogen: unter dem Trikot aus weißer Seide war sie wie nackt.

Sie trank und gab das Glas zurück.

– Jetzt, mein Engel, erinnere dich deiner Macht: ich möchte in meiner ganzen Schönheit, daß der Schlaf mich erfaßt und daß dein Blick mich einwiegt.

Sie breitete ihre offenen Arme aus, schloß die Augenlider, lächelte und rührte sich nicht mehr.

– Du suchst, ob nicht eine Falle in dieser Ausstellung meiner verborgenen Formen liegt, in dieser Entschleierung des Schoßes? Nein, Bruder, deine Schwester will, daß ihr ganzes Sein dir gehört: weil von deinen Sinnen allein deine Augen mich hinnehmen, gebe ich mich ihnen in dieser äußersten Schamlosigkeit … ganz.

Nebo legte ihr seine Hand auf die Stirn und ließ sie dort, bis sie schlief.

Dann bewunderte er das Knie, wie er die Brüste bewundert hatte; der Künstler berauschte sich an den reinen und edlen Linien dieses verschwindenden Schoßes.

– Hätte ich nicht andere Pflichten: sie ist zu schön, um besessen zu werden.

Er fiel auf die Knie, stützte seine gefalteten Hände aufs Bett, und er wachte und er weinte diese ganze Nacht. Noch nie hatte er sie so geliebt: in ihm wandelte sich die Glut der Leidenschaft auf großartige Weise in Gebete, die vor Inbrunst bebten. Er bat Gott, diesem Engel, der ihm im Traume zulächelte, gnädig zu sein.

Als die Morgenröte, mit den letzten Sternen, die Lampe dieser Liebesnacht erbleichen ließ, war der junge Mann, der auf den Knien lag, die Hände faltete und feuchte Augen hatte, noch bleicher.

 

8.
Die Lippen des Androgyns

Der Gleichgültige des Watteau, der köstliche Pilger der »Abfahrt nach Kythera«, seufzte so stark, sich nicht wieder verkörpern zu können, daß der Erzengel, der im Gebiete des Malkut Papus, Kabbala. Deutsche Ausgabe, Max Altmann, Leipzig, 1910. dem Hübschen vorsteht, der einzige, der in einer künftig für das Schöne nicht empfänglichen Kultur noch etwas zu tun hat, ihn erhörte, indem er ihn verweiblichte.

Der Dreispitz mit goldenen Schnüren wurde gegen einen kleinen Zweispitz vertauscht, der seitwärts auf eine gepuderte Perücke gesetzt wurde, deren Zopf den Nacken schlug.

Die lange Jacke verschwand; ein feines geschlitztes Mieder entblößte den Busen; die Hüften fassend und bis zu den Brüsten aufsteigend, um sie zu stützen, rollte sich mehrere Male eine »Tayolle« aus indischer Seide, der Büste ein Fußgestell gebend und in einen Rockschoß mit goldenen Fransen endend.

Die kurze Kniehose ersetzte ein Beinkleid aus schwarzem Sammet, das Leib und Kreuz verband, sich ans Knie anschmiegend und sich auf mexikanische Art über einen Fuß erweiternd, der einen rosafarbenen Strumpf mit goldenen Zwickeln trug und in einem kleinen und offenen Lackschuh steckte.

Eine Weste aus schwarzem Sammet, bis zur Mitte des Rückens reichend, mit Aermeln, die sich an die Arme schmiegten, die Hände in den Taschen: so war der neue Androgyn geboren, mit seinem wiegenden Gange, in dem sich etwas vom Bauchtanz und die Lebhaftigkeit eines Pagen wiederfinden. Ein Tuch um den nackten Hals geschlungen, so erschien dem Gavarni der unsterbliche Schiffsauslader, so erschien die Prinzessin dem Platoniker.

– Oh, Sie ahnen meine geheimen Wünsche und verwirklichen sie schöner, als ich sie fasse …, rief Nebo, als aus einem englischen Regenmantel dieser wunderbare Gavarni heraussprang.

Sie hatte den Ton und die Bewegungen ihres Kostüms.

– Ich erhebe keinen Einspruch, Nebo: es gibt Stunden, in denen ich mir so gefalle, daß ich mir selbst nicht widerstehen würde! So barock es klingt, es ist wahr: wenn ich mir selbst den Hof machen könnte, meine Tugend würde nicht lange standhalten.

Und wieder melancholisch werdend, sagte sie plötzlich:

– Daß ich nicht der Schiffsauslader Ihrer unheilbaren Traurigkeit sein kann, daß ich nicht mit der ganzen Anstrengung meiner Schönheit, mit dem ganzen göttlichen Sinn meiner Liebe Ihre teure Seele von allen schwarzen Ahnungen, von allen düstern Voraussagen befreien und Sie lachen sehen kann! Es muß gut sein, wie Kinder zu lachen, knabenhaft zu lachen, und ich sehe Sie niemals so. Der gallische Geist, der ganze Champagner, den man heute abend in Paris trinkt, würde es Ihnen nicht mitteilen! Uebrigens haben Sie Champagner?

– Gekühlten?

– Nein, ich will heute abend toll sein.

Sie lenkte ihren Gedanken ab.

– Ein Spitzbogenrelief, ich weiß nicht, in welcher Kirche, zeigt sie, die klugen Jungfrauen, mit ihrer Lampe voll Oel, und die törichten Jungfrauen … Welches Mitleid liegt in diesem Worte: töricht … Hören Sie die Meinung, nicht die, welche einige Klatschbasen oder ebensoviel Weltkinder machen, sondern die geschriebene, von Namen gezeichnet, die Denker bedeuten! Es hält sich ungefähr im Gleichgewicht: die einen verlangen nach Rabelais vom Leben nur Materielles, wollen kühlen Wein trinken; die anderen, unheilbar verwundet und das Mögliche verachtend, strecken ihre Arme nach der Chimäre aus. Wo sind die Klugen, wo sind die Törichten?

– Fragen Sie, warum die Eule wacht und sieht, wenn die anderen Vögel schlafen; warum die Fische die verfehlten Formen, die absolute Häßlichkeit der belebten Schöpfung vorstellen, während der Löwe uns mit seinem Glanz demütigt? Die Menschheit, das heißt, die Gesamtheit der menschlichen Rasse, die unsterbliche Reihe hat ihre Leiter: bei jeder Stufe verändert sich der Trieb. Es gibt Menschen, die schweben; andere, die kriechen; es gibt Pelikane und Tiger; unter uns finden sich der Mensch von Charakter, der Mensch des Luxus, die nützliche und häßliche Kröte, der unnütze und prächtige Paradiesvogel. Das Altertum folgte im sozialen Plan dem göttlichen Plane; in der Gegenwart hat sich die Anarchie aufgetan … Kann man durch eine gleichmachende Inschrift Gesetze erlassen, daß der Pelikan-Mensch durch seine Barmherzigkeit ein Recht auf die Achtung aller hat, und der Pfau durch sein Gefieder ein Recht hat, in seinem Schmuck auf einer Plattform zu leben? Die Optimisten sind die menschlichen Karpfen, denn der Optimismus ist die Dummheit, das heißt der Zustand, der dem Tier am nächsten liegt. Folgen Sie den Pessimisten: deren große Blicke sind vorm Mysterium bestürzt, deren Seelen erheben die Flügel zu den höheren Geschicken, die ihrem heroischen Wesen gebühren, die sie ahnen, die sie fieberhaft erwarten. Die Torheit des Kreuzes ist die höchste Weisheit. Wenn dieser große Schleier, den man Tod nennt, zerreißt, tritt man in die Wirklichkeit seiner Träume: man erlebt die Erhörung seines Gebetes oder seiner Lästerung …

– O wie kurz ist mein Gebet! Es ist dein Name …

– O liebe, liebe, liebe …

Nebo faßte sie um die Taille und zog sie in das Zimmer, wo die Gedecke nebeneinander gedeckt waren, mit einem Plaudersofa als einzigem Sitz.

– Du willst mich also ins Paradies bringen; du willst mich also vor Freude närrisch machen.

Sie nahm den Kopf ihres Geliebten in ihre Hände und sagte ernst:

– Deine geringste Zärtlichkeit berührt mich so tief, daß ich, wenn du mir zu viel davon erwiesest … ich sage dir sinnlose Dinge, ich fühle sie; ich sah sie, jene Tollheiten … überhäuftest du mich plötzlich mit Ausdrücken der Liebe, wie es an deiner Stelle jeder andere tun würde … du würdest mich töten …

Ein leichtes Lächeln glänzte in Nebos Augen.

– Du siehst also nicht, o mein Luchs der Metaphysik, daß ich bei einer krankhaften Empfindlichkeit angekommen bin: dein bloßer Blick berauscht mich, das Zusammentreffen mit deiner Hand genügt, um mich ganz zu bewegen, ich könnte um ein Nichts ohnmächtig werden. Du bist mein Gott, ich berühre dich, du Gott, und du erstaunst, daß eine göttliche Liebkosung mich wie ein Blitz treffen kann.

– Damit unsere Liebe gesegnet sei, damit ihr Weihrauch als reinster zu IHM emporsteige, der dir ein so schönes Herz gegeben hat: nenne mich nicht beim Namen des Absoluten, mich, dessen Seele sich demütig vor deiner Seele fühlt.

– Schweige, du lästerst …

Der alte Diener trat ein und brachte die Schüsseln. Er unterbrach ihre Verzückung, denn der junge Mann widerstand dieser Beredsamkeit nicht mehr, wo die Worte blaß und tonlos waren neben der Ausdrucksfähigkeit des ganzen Körpers, der sie übernatürlich und unwiderstehlich machte.

Nebo trug ein Trikot aus grauer Seide, Kniehosen aus rotem Sammet und eine Jacke aus rotem Satin, die sich über dem mit goldenen Arabesken gezierten seidenen Hemd öffnete.

– Es ist ein Glas zu viel, ein Gedeck zu viel, wir sind nur eine Person.

Sie nahm sie vom Tisch, der mit flachem Tafelgeschirr gedeckt war, von zwanzig Kerzen in Wandleuchtern erhellt wurde.

– Liebe, bemerkte Nebo, bewilligen Sie uns wenigstens zwei Gabeln und Servietten.

– Nein, sagte sie, allerliebst despotisch, ich habe nur auf das Hunger, was Ihre Lippen berührt hat. Wir sind hier, um zu essen, wie man auf dem Balle ist, um zu tanzen.

Sie setzte sich, indem sie sich über die Größe des Sofas beklagte, und schmiegte sich entschlossen an Nebo, berauscht von einer vorweggenommenen Trunkenheit.

Nebo hatte viel Mühe, zu verhindern, daß er nicht wie eine Gans genudelt wurde.

Die Prinzessin fühlte, daß diese hübsche Kinderei, ihrem Geliebten den Schnabel zu stopfen, nicht für seine Art paßte.

Sie verweigerte entschlossen den mit Früchten gekühlten Champagner.

– Paula, meine Freundin, wenn Sie sich berauschen, mache ich Sie trunken.

Diese, ebenso flott wie ihr Kostüm, füllte das hohe Glas. Um ihm zu beweisen, daß die abscheulichen Bilder aus der Umseglung Peladan, Weibliche Neugier. von Paris keinen Eindruck mehr auf sie machten, parodierte sie mit der Ueberzeugung ihrer Liebe die seltsame Torheit des Mädchens Peladan, Weibliche Neugier. aus der Bierschenke:

– Auf deine Augen, Nebo, auf deine Lippen, auf alles, was dein ist …

Plötzlich schmollte sie und sprach, als sei sie allein:

– Die Grazien würden ihn vergebens zu bewegen suchen: ich liebe ein Gehirn, nichts als ein Gehirn.

– Das Sie um die Taille faßt, was nicht vom Gehirn ausgeht, sagte er, seine Worte bestätigend.

– Ja, eine Minute lang.

– Ich glaubte, Prinzessin, unsere Minuten seien Jahrhunderte wert.

– Sie würden es wert sein, wenn …

– Wenn?

– Sie wissen sehr wohl, daß meine Lippen zu etwas anderem Lust haben als zum Plaudern.

– Meine auch! Nehmen Sie, oder vielmehr nehmen wir von dieser Mayonnaise.

– Nein, geben Sie mir eine Erdbeere.

– Eine einzige?

– Ja, aber geben Sie mir … gut.

Er wählte eine aus und zerdrückte sie auf den Lippen Paulas, die ihm die Finger leckte.

– Noch eine, bat sie.

Indem sie sich ein wenig auf ihn zurückwarf, knabberte sie an seinen Fingern.

Sie verkindlichten sich in diesen wunderbaren Nichtigkeiten, welche die Sprechweise nicht hervorruft und die man erlebt haben muß, um zu begreifen, wieviel Seele darin liegt und welch unglaubliche Lust sie gewähren.

Gegen seinen Willen schielte Nebo etwas nach den Brüsten, deren Warzen unter dem feinen Hemde ein leichtes Relief bildeten. Mit der Schlauheit einer verliebten Buhlerin ließ sie das Mieder, das sehr wenig verbarg, sich noch mehr öffnen.

Einen Augenblick dachte sie daran, ihren Platoniker trinken zu lassen, doch verzichtete sie darauf, aus Furcht, er werde ihre Absicht bemerken. An diese verehrten Lippen gelangen: ohne daß sie es erklären konnte, kam ihr eine seltsame Hoffnung, daß sie diese Wonne in nicht zu langer Zeit genießen würde.

Eine Pfirsichhälfte, die der junge Mann hielt, vom Ton des Fleisches, steckte sie wie eine Blume zwischen ihre Brüste.

– Holen Sie die!

Er streckte die Hand aus.

– O pfui, die Früchte sind für die Lippen, wenn geschält.

Er beugte sich über das Mieder und streckte die Lippen vor. Die Prinzessin stützte ihm den Kopf, die Frucht wurde etwas zerdrückt und glitt tiefer.

Sie strahlte: sie hatte einen Kuß von Nebo erhalten; sie hatte einen Vorwand, sich weiter zu entblößen.

Nebo gab den Reiz dieses Treibens und auch ihre verliebte Logik zu. Während Paula sich gehen ließ, die Augen halb geschlossen, wie eine Katze auf dem Aermel ihres Herrn schnurrend, dachte er über diese furchtbare Frage der Wollust nach und mußte über die »Einweihung« Peladan, Einweihung des Weibes. innerlich lächeln. Wie oft hatte er die Prinzessin über die Menschen und die Dinge des Lasters aufgeklärt …

– An was denkt mein Nebo, seufzte die Prinzessin.

– Ich denke, daß ich meinen Platz auf diesem Sofa nicht hergeben würde, um den eines Thrones zu teilen, und daß Sie die verehrungswürdigste Frau der Welt sind … und ohne daß es sich zeigt … die verehrteste.

– Die verehrteste … Sie haben gesagt, die verehrteste: ich hätte gern gehört, die allerverehrteste.

– In welcher Tonart, meine Anspruchsvolle, Sie es wünschen.

Sie lehnte sich in seine Arme zurück: ihre Augen ertranken, ihr Mund bebte, ihre Brüste schwollen vor Erwartung.

Nebo beugte sich langsam: sich seiner Begierde widersetzend, wartete sie, mit langen Schauern, die sie ganz erschütterten. Sie las den bewilligten Kuß in dem vor Zärtlichkeit überfließenden Blick des jungen Mannes.

– O Geliebter, o Verehrter, stammelte sie.

Nebos Mund hakte sich in ihren Mund; sie umschlang ihn heftig, trunken und auffahrend beim Gedanken an diesen Sieg; aber die Wollust ließ sie schwach werden; sie keuchte unter diesen geliebten Lippen, die ihre Lippen nicht losließen.

Einen Augenblick, wunderbare Marter, glaubte sie zu ersticken, und wollte um Gnade flehen: dieser Kuß, den die Atmung nicht schwächte, hatte so starke Heftigkeiten, daß sie schmerzhaft wurden. Sie machte sogar eine Bewegung, um sich loszulösen, fand aber nicht die Kraft dazu. Nebos Lippen verschlangen unerbittlich ihre Lippen. Dieser einzige Kuß, dachte sie, ist die Summe aller Küsse, die er mir verweigert hat; er gibt mir auf einmal zurück, was meine Augen ihm gaben.

Dann dachte sie nicht mehr; sie wand sich, als ersticke sie; empfand ein gebieterisches Bedürfnis zu schreien und mußte sich zurückhalten, um Nebo nicht wie eine Katze zu kratzen.

Der Begriff der Zeit schwand; sie wußte selbst nicht mehr, was sie fühlte, abscheulich und göttlich zur gleichen Zeit. Ihre zerbissenen Lippen brannten, sie fühlte sie anschwellen, die Zähne stießen vor Entnervung aufeinander; von der Verzückung zu schmerzhaften Krämpfen übergehend, beinahe wahnsinnig unter dem Uebermaß dieser Lust, die Marter wurde, unfähig, die Augen wieder zu öffnen, ins Unbekannte der Empfindung rollend, verlor sie das Bewußtsein, wurde starr und ihr Gehirn brannte.

Als Nebo seinen Mund von Paulas Munde löste, war sie ohnmächtig. Keuchend, legte er die Hand auf sein Herz, wo ein schmerzhaftes Klopfen ihn stach; doch auf seinen blutenden und etwas angeschwollenen Lippen zeichnete sich ein Lächeln des Triumphes ab: er hatte nach seinem festen Willen gehandelt.


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