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6.
Der Solofänger Nummer Eins

Der Sachse Häberlein von der Schwadron des Majors von Planitzer nahm im ganzen Regiment der roten Husaren so etwas wie die Stellung eines Orakels ein.

Er konnte lesen wie ein Schriftgelehrter, er schrieb und rechnete wie der geriebenste Kriegskommissar und gehörte auch nicht zu jenen Zaghaften, die ihr Licht unter den Scheffel stellen!

Der Strom seiner Rede war wie ein brausender Wasserfall, seine Gier nach Neuigkeiten hörte nimmer auf – mit allem, was sich auf Erden zutrug oder zutragen konnte, wußte er besser Bescheid als ein Bataillon von Klatschbasen. Wo das Regiment auch biwakierte, spürte er sofort das Platzorakel oder wenigstens eine Zeitung auf und war sofort über die politische Konstellation des Tages unterrichtet. Hätte er die Fäden der hohen Diplomatie in Händen gehabt, Europa hätte anders ausgesehen, und das Königreich Sachsen erst recht.

Nun hatte er leider Gottes nur die Gesamtdiplomatie seiner Schwadron zu führen, und er tat es mit einer Geduld und einem Opfersinn, der nur von seiner unersättlichen Neugier übertroffen werden konnte. Zu dieser Geheimdiplomatie gehörte vor allem die heikle Aufgabe, den des Schreibens Unkundigen – und sie waren in der Mehrzahl – die Briefschaften ihrer Familienangehörigen zu entziffern und sie, gegen ein geringes Entgelt für Tinte und Papier, nach den Wünschen der von solchem Ereignis Betroffenen zu beantworten.

Insbesondere profitierte von diesen seinen unschätzbaren Eigenschaften sein Nebenmann rechts, der Wasserpole Gajewsky, der in jedem Nest, wo die Schwadron durchkam, eine Braut sitzen hatte, die auf das hehre Eheglück polnisches mit ihm wartete und entsprechend vertröstet werden mußte. Ohne Dolmetscher war aber auch er außerstande, diesen Trost zu spenden. Denn er war aus edelstem Schlachtschitzenblut, hatte Ahnen bis ins Blaue hinein und entstammte einem uralten polnischen Hause, das einst, in den Tagen des Glanzes, über Tausende von Seelen geherrscht hatte, jetzt aber kaum noch der eigenen Seele Herr war. Denn dessen Mitglieder, über sotane Künste erhaben, ließen sich nimmermehr herab, sich mit Lesen oder Schreiben oder irgendeiner Art von Buchgelehrsamkeit abzugeben – was ja in besseren Häusern stets zu den dienstlichen Obliegenheiten eines Beichtvaters zu gehören pflegte.

Als Edelmann hatte er ja alle Hände voll zu tun, die Herzen zu brechen; am Spieltische wurde nicht gerechnet; war die Tasche leer – und sie war es meistens –, so hatte er die glänzendsten Revenuen aus den im Monde gelegenen Stammgütern zu erwarten, pumpte darauflos, solange sich gläubige Seelen fanden, leerte den Becher, solange der Wein floß, ließ die Würfel rasseln, küßte die schönen polnischen Weiber und was ihm da noch von anderen Rassen mit unterlief, und balgte sich nach Herzenslust mit den Nebenbuhlern herum.

Heute zwirbelte er melancholisch seinen blonden Schnurrbart und hörte kaum auf das, was der brave Sachse ihm vorschwefelte. Man hatte ihn gewaltsam aus den Armen der Liebe gerissen, die im letzten Kantonnement besonders weich und wohlig gewesen waren – hatte ihn in Marsch gesetzt, mit der gesamten Schwadron hierher in den Hinterhalt gelegt, wo sie in aller Herrgottsfrühe aufmarschieren und immer noch auf Befehl zur Attacke warten mußten.

Noch brannte der letzte Kuß auf seinen Lippen, die nicht einmal Zeit gehabt hatten, mit dem üblichen Schwur ewiger Treue im Augenblick der Trennung zu quittieren.

»Is sich nichts als purer Niddertracht, Panje Blücherr seiniges«, knurrte er verdrießlich. »Ruft sich aus Quarrthier der Hund, ech sich hat der Hahn gegackert!«

»Is ä Sauerei, der kanze Griech!« pflichtete der Sachse bei.

»Denk ich: Mordio, will sich gebben Monsieur Ohnehos Rendezvous zeitiges cheute! Werrd ich lerrnen ihm fallen Husar polnisches unter Küsse seinige! Hat sich gerufen: pascholl! In die Sattel! Tatarata! Und dann Nitschewo! Ahles nix! Nix Feind! Nix dreinhauen! Nix Küsse! Betrug hundsgemeines!«

»Eja, freilich!« krähte der Sachse. »Nichts als ä unnütze Lauferei, der kanze Griech! Mir siechen und siechen und siechen! Mir nähmen dem Franzosen Ganohnen, Kefangene, Pakasche, – alles! Mir hauen ihm in die Pfanne! Gaum aber looft er, da loofen mir egal ooch! Aber nich hinterher, nee, zurücke loofen mir und gucken in den Rhein, wie sein Wasser ooch davonlooft, und freien uns dann gechenseitig, – der Vater Rhein und mir! Wie mir aber mit der Medode nach Baris gommen dhun, wees der Gugguk!«

»Bischt ebens a Subalterner!« fiel ihm sein Nebenmann, der wortkarge Schlesier Landeck, in die Rede. »Host nischts zu wissen! Maul holten, dreinhauen, ist oalles, woas du nötig host!«

»Dreinhauen, jawohl! Aber 's Maul halten, nee, nu äben nich! Und morgen ooch nich! Duht's unser Pliecher etwa? Hält der 's Maul? Reißt er's nicht uff wie 'n Nilpferd, verdonnert die schockschwerenotverdammten Österreicher, die uns egal immer unsere Fikdorien versauen, daß es eine Schande ist?! Pakasche! Schweinebande, hundsmiserable! Egal räumen sie irgendwo eine Lienje, und mir müssen mit! Gaum hamm mir uns irgendwo recht scheene einkerichtet, da müssen mir wieder raus!«

Der Schlesier tat wieder sein Maul auf.

»Host auf die Österreicher nich zu schimpfe! Bischt aus Sachsen; schimpf auf die Preußen, bei dena du dienscht!«

»Die Preußen, eja, freilich! Die gennen mir ooch was! Da hätten mir ooch die Nase dicke voll von!«

»Is sich blasiert derr Preuß!« warf der Pole ein und zwirbelte seinen Schnurbart hoch. »Frißt sich zu vill – liebbt sich zu wennig! Wird sich faul und dumm!«

»Und pequem!« eifert der Sachse. »Guck ä mal bloß die meerschten von den Offiziers an! Ih, du Kieticher, ist das een Fuhrwerken, eh so 'n oller dicker Major in den Sattel gommt! Und sitzt er endlich mal drinne, dann schreits: ›Mei Güchenwaachen!‹ und das ist nun allemal das erschte. ›Wo ist mein Güchenwaachen, Ginner? Wo steckt er bloß? Gönnt ihr ihn nicht sähn?‹ Da muß unserm Pliecher so 'ne Arche Noah von einem Güchenwaachen bloß in die Quere gommen! Der versteht's! ›Ausspannen! In den Graben werfen! Pferde vor die Ganohnen!‹ Der schafft's! Mordselement!«

»Ja, der hot's! Aso a Teiwelskerl is dos!« stimmte der Schlesier bei.

»Heut fiel er wieder vom Färd!« flüsterte der Sachse. »Baßt ä mal uff, Ginner, des giebt wieder eene Sache! Wenn der vom Färd fällt und wieder hochgommt, da setzt's allemal Schläge für den Feind und Fikdoria für uns! So ist's immer kewäsen, da gönnt ihr Kift druff nähmen, und des stimmt, als wie zwee mal zwee is finfe!«

Der Pole machte runde Augen.

»Fill sich vom Ferrd, der Panje Blüchherr, saggst du?«

»Kopfieper runterkesaust!«

»Habb ich nicht gesehhen!«

»Siehst äben bloß, wo die Weibsbilder fallen!«

Der Pole lächelte martialisch.

»Hatt sich gebrochen Genick seiniges, der Panje Blüchherr?« fragte er.

»Wo wird er wohl?!«

»Nu, wo werrd ich denn sehhen? Weiß ich doch: hat sich ein Schweineglück, der Panje Obberst!«

»Ein Schweineglück«, wiederholte der Sachse. »Hättest ihn sähn sollen, wie sein Färd rücklings in den Kraben trat! Wie 'ne Stahlfeder schnellte er aus dem Sattel auf den Weech rauf! Wie 'ne Gerze stand er vor der Front ohne eene eenzige Schramme – wo er doch von Rechts wegen mit gaputte Gnochen unterm Färd liegen mußte!«

»Er is gefeit«, sagte der Schlesier kurz und bündig. »Oof ihn beeßt kee Stich, kee Hieb. Die Kugeln biegen vor ihm aus. Und wenn a fällt, fällt a imma hinoof. Fällt a as Oberscht, kommt a as General hoch! Fällt a as General, kommt a as Feldmarschall wieder in den Sattel!«

»Nu äben!« lachte Häberlein. »Warum nicht ooch? Wenn der Schläsier sein Maul uffdhut, da nimmt er's allemal dicke voll!«

Der Schlesier sagte nichts. Er saß nur da, wieder wie eine Statue, ohne eine Miene zu verziehen, und blickte geradeaus.

»Unheimliches Kerl!« dachte der Pole fröstelnd. Denn es war noch früh im Mai und das Gruseln leicht.

Bum, schossen drüben die Franzosen. Bum, Bum!

Ihr Feuer lag links auf Neustadt zu, wo die Hauptmasse der Blücherschen Truppen jetzt herauskam und auch zu kanonieren anfing. Aber eine Kugel fand auch den Weg nach rechts. Über den Wald, wo die Planitzer lagen, warf Steine und Sand über die Reiter und dem Sachsen ins Maul, da er's eben auftat. Er aber geschwind die Bescherung ausgespuckt. Und hinterher brauste seiner Rede Strom mit doppelter Gewalt.

»Nu saacht ä mal bloß: Was hat wohl der Alte mit uns vor? Mir stampfen hier egal uff eenem Fleck und lassen uns mit Dreck schmeißen! Warum nähmen mir nich dem Kroppzeug drüben die Ganohnen wech? Die schiessen ja wie die Schweine! Am Ende treffen die ooch noch! Und dann ade reiten! Een, zwee!« fing er an, die Schüsse zu zählen. »Des reene Salutschießen! Akrat wie in Billnitz, wo wir mit den Rekruten durchkamen und die Maschestäden ooch da waren! Eja, des war scheen! Der Geenich von Sachsen, der Geenich von Preißen und der Gaiser Leopold ooch noch, Gott hab ihn sälig! Und hinter ihnen her der ganze Schwanz von hohen Herren und Gonfusionsräden! Die machten nu fix een Gollech um den grünen Disch rum, zogen die Schlafmützen feste ieper die Ohren runter und taten damit dicke, wie sie den lieben Gott wieder in Frankreich einsetzen wollten und den Geenich Lurwich ooch! – Und des war nu nichts als wie 'n Schpadziergang, und des Hamm sie nun verbrieft und besiegelt und begossen und waren noch lange nicht mit der Beschärung fertig – da hat der Franzos die Frechheit und erklärt uns den Griech und haut seinem Lurwig den Döskopp ab und ist ieper die Krenze, ehe die Gonfusionsräde wach wurden! Nich ä mal ä Griechserklärung hamm sie fertig gebracht – nicht mal im Traum! Die gennen nu die Franzosen wieder alleen rausschmeißen – die Gonfusionsräde! Mir dhuns nimmer mehr, wenn mir so weiter siechen!«

»Is sich ein Schweinewirtschaft hundsmiserables!« stimmte der Pole bei.

»Mir Roten sind schon parat – daran fehlt's nicht! Da ist schon unser Oberst hinterher wie der Deibel! Bei den Hufschmieden, in den Gammern, auf den Futterböden – ieperall hat er hineingerochen! Mundierung und Sattelzeug, Pulver und Blei – nach allem hat er gesähn, und daß die Glingen scharf geschliffen sind, war ihm allemal die Hauptsache! Mir sind parat! Aber die anderen! Die Räde und – nun, ich will nichts gesagt haben – der Geenich ist jaeen kuter Mann – een seelenkuter Herr! Wo er aber zu schpät Geenich wurde – nachher steht ooch alles andere im Lande zu schpät auf! Beim Gaiser Leopold ooch! Na, nu ist er ja tot, und dakechen ist nichts zu sagen! Aber sein Läben lang dachte der nicht daran, Gaiser zu werden – der steckte dicke drinne im fetten toskanschen Getreidegeschäft und war een kuter Mann! Da stirbt der Bruder, und er muß auf den Thron! Na, nu ist er das Alend ooch los, und sein Sohn kann seine Leute mit Mehlspeis und Backhändl füttern, bis ihnen die Bäuche platzen! Hättest drüben bei den Österreichern bleiben sollen, Schläsier, wo du schon warst!«

»Mei Atzung find' ich ieberall!« entgegnete der Schlesier.

»Nun wenn schon – warum suchst du sie denn gerade hier bei den Preißen, bei den Hungerleidern?«

»Was suchen die Sachsen und die Polen dahier? Am Ende wollte ich nur sehen, wie mir der rote Dolman sitzt, wo ich doch dahier im selbichen Rechiment schonn den schwarzen trug!«

»Nun schlag einer lang hin! Wo mir schwarz waren, bist du ooch mit kewäsen?«

Der Schlesier saß da wieder wie in Erz gegossen und antwortete nicht!

Bum! schossen die Franzosen vor Kirrweiler. Bum! sekundierte eine andere Kolonne, die mehr rechts, durch Edenkoben herauszukommen begann. Die Kugeln kamen jetzt von rechts und von links. Die Leute wurden unruhig, die Pferde tanzten hin und her.

»Is sich ein verdammtes Schissen!« knurrte der Pole. »Wär' ich Obberst, hätt' ich gebben längst Siggnall!«

»Ihr Polen habt's immer eilig mit dem Überlaufen!« sagte der Sachse anzüglich. »Ihr liebt den Franzmann! Wenn ihr mit ihm Hiebe tauscht, denkt man, es sind Gomplimente!«

Der Pole wollte antworten. Da bliesen endlich die Trompeten zur Attacke, die Roten sausten aus ihrem Hinterhalt heraus und begriffen jetzt, warum ihr Oberst sie so lange hatte warten lassen.

In die Flanke der Kolonne, die über Kirrweiler vorgedrungen war, ging es mit schwindelnder Fahrt. Hier riß eine Kanonenkugel eine breite Bahn durch die vorstürmende Masse – dort sank mancher Reiter, von einer wohlgezielten Flintenkugel getroffen, aus dem Sattel. Aber die Lücken klafften nur einen Augenblick, dann schlossen sich die Glieder, vorwärts fliegend, und die Roten waren drüben und droschen mit ihren Säbeln auf die Köpfe der »Ohnehosen«, daß es nur so eine Art hatte.

Der Schlesier, der Sachse und der Pole wetteiferten mit den anderen im blutigen Handwerk und hieben und stachen und bekamen manche Schramme ab. Es war ein Gewühl, ein Gedränge, ein Stampfen, ein Wiehern, ein Röcheln der Sterbenden, ein Fluchen und Schreien, ein Schmettern der Trompeten. Lange währte es nicht, da war der Widerstand gebrochen, die Kanonen genommen, die Franzosen in voller Flucht und die Roten hinterher – wie die Apokalyptischen Reiter, Tod und Verderben in die Reihen der Fliehenden säend.

Durch das Dorf Kirrweiler ging es auf Frischlingen zu, wohin alles in voller Auflösung floh. Die wilde Jagd folgte – allen voran Blücher selbst, alles anfeuernd und vorwärts drängend. Mit ihm noch mehrere Züge brauner Husaren, die jetzt ihren roten Kameraden halfen, den Sieg zu vollenden. Dann sauste Blücher mit ein paar Schwadronen noch rasch nach rechts gegen Edenkoben hin, um der darüber hinaus vorgestoßenen französischen Kolonne in die Flanke zu fallen und auch ihr die Kanonen abzunehmen. Es gelang nach heftigem Kampf mit der feindlichen Infanterie. Die Franzosen wurden auch da in das Dorf zurückgeworfen und in den engen Gassen, wo sich alles staute, kurz und klein gehauen. Das Schlachtfeld war weit und breit mit gefallenen und verwundeten Feinden besät.

Blücher triumphierte.

Am Morgen, als ihm das Anrücken der Franzosen gemeldet worden war und jene ihre Tirailleursketten ausschwärmen ließen und mit der Kanonade anfingen, da war sein General und Prinz Hohenlohe zu ihm geritten, hatte ihm geraten, sich lieber vor der Übermacht auf Neustadt zurückzuziehen, ihm aber freie Hand gegeben. Blücher, dem der rechte Flankenschutz der preußischen Armee oblag, dachte nicht einen Augenblick daran, zu retirieren, sondern nahm den Kampf mit der Übermacht auf. Und das Glück war ihm hold. Mit Kavallerie allein gewann er einen glänzenden Sieg über ein ganzes Armeekorps, schlug es entscheidend, nahm ihm Kanonen, Munition, Gefangene und Pferde ab, und verbesserte so nicht nur seine eigene Stellung, sondern auch die der ganzen preußischen Armee.

Die Belohnung blieb nicht aus. Nach kurzer Zeit traf seine Beförderung zum Generalmajor ein. Und zugleich wurde er Chef des Roten Husarenregiments, des früheren Bellingschen, in dessen Reihen sein ganzer Aufstieg erfolgt war, und das von nun an nach ihm benannt werden sollte.

Als frischgebackener General nahm er dann seinem Regiment die Parade ab.

In langer Front standen seine Braven, Schwadron an Schwadron – die Pferde mit den Köpfen wie nach der Schnur aneinandergereiht, in steter Bewegung und ungeduldig auf die Trensen beißend, daß der schneeweiße Schaum im Winde flog.

Prächtig leuchteten die roten Dolmans gegen das helle Vorsommergrün. Und als auf Kommando die Säbel aus den Scheiden flogen, um den Chef zu salutieren, züngelte ein tausendfacher Blitz über das Feld. Es war ein prächtiger Anblick, und wohl dazu angetan, das Herz eines rechten Soldaten zu erfreuen.

Dann kam der neue Chef heran in vollem Galopp, schlank wie ein Jüngling, stolz wie ein Sieger. Spielend leicht lenkte er sein Pferd mit gewaltigem Sprung über die das Feld umschließende Hecke und hielt jäh an, gerade vor der Schwadron des Majors von Planitzer, wo auch der gute Sachse Häberlein seinen Kopf noch aufrecht hielt, aber von unzähligen Binden zu einem dicken weißen Knäuel verunstaltet, durch den sein sonst so rühriges Mundwerk zur Untätigkeit verdammt wurde.

Die dunkelblauen Augen Blüchers blitzten vor Freude, als sie die Reihen seiner kriegserprobten Kämpfer überflogen.

»Guten Morgen, Husaren!« rief er mit weithin schallendem Baß.

»Guten Morgen, Exzellenz!« kam es aus den Reihen zurück, daß es nur so donnerte.

»Ich freue mich, euch zu sehen!« setzte er die Rede fort. »Ihr habt euch immer brav gehalten! Ich habe mich auch gefreut, Seiner Majestät melden zu können, daß ihr unter meiner Leitung schon elf Kanonen, sieben Munitionswagen und fünf Fahnen erobert und einen Generalleutnant, hundertsiebenunddreißig Offiziere, dreitausenddreihundertsiebenundzwanzig Mann, elfhundertvierunddreißig Pferde gefangen habt, sowie, daß kein Offizier des Regiments in Gefangenschaft geriet und kein Unteroffizier gefallen ist. Seine Majestät haben daraufhin geruht, mir selber zu schreiben, haben mir den Roten Adler verliehen, mich zum Generalmajor und zum Inhaber des Regiments gemacht, außerdem mich beauftragt, euch seine Allerhöchste Zufriedenheit auszusprechen. Eurer Tapferkeit und eurem unwiderstehlichen Mut verdanke ich diese Ehrungen, die euch allen in meiner Person zuteil werden.

Kinder, ihr habt euch einen guten Namen gemacht! In der ganzen Armee achtet man die Roten Husaren, und der Feind fürchtet sie! Ich bin stolz auf euch und freue mich, daß das Regiment von jetzt ab meinen Namen führen soll! Das eine merkt euch aber: ein Blücherscher Husar stirbt, aber er kapituliert nicht! Seine Parole ist: immer vorwärts und nimmer zurück! Sein höchster Stolz: Blut und Leben für König und Vaterland opfern zu dürfen! So wollen wir's halten, und das geloben wir, indem wir rufen: Seine Majestät, unser allergnädigster König und Herr, er lebe hoch!«

Donnernd brausten die Hochrufe über das Feld, die Fahnen senkten sich, die Tambours schlugen den Generalmarsch. Der rangälteste Offizier schickte sich eben an, im Namen des Regiments zu danken und Glück zu wünschen. – Da löste sich aus dem ersten Gliede der Schwadron von Planitzer eine Gestalt und kam langsam und feierlich auf den General zugeritten. Er scherte sich nicht das geringste um das Entsetzen der Offiziere und Mannschaften, schreckte auch nicht vor dem zornigen Blick zurück, der ihm aus den Augen Blüchers entgegenblitzte, er zuckte mit keiner Miene, ritt bis dicht vor den General heran, salutierte mit dem Säbel und sprach ohne das geringste Zittern in seiner Stimme: »Holten zu Gnaden, Exzellenz, wenn ich vorwitzig bin und mich vor Dero Antlitz dervorwage! Wo aber Dero Exzellenz heut eene geworden sind, und ich an de Sache nich aso ganz unschuldich bin, mecht ich alleruntertänichst melden, daß ich ooch meine ganz besondere Freide an Dero Erhebung habe!«

»Wieso, mein Sohn? Was meinst du damit? Sprich aus, was du auf dem Herzen hast!« antwortete Blücher, dessen Augen anfingen, schelmisch zu leuchten. Sonst von unerbittlicher Strenge beim geringsten Verstoß gegen die Disziplin, war er heute gern gesonnen, ein Auge zuzudrücken, wenn keine Böswilligkeit vorläge. Und der Bursche, der einen ernsten, soliden Eindruck machte, hatte wohl einen besonderen Grund zu seiner Dreistigkeit.

»Wieso meinst du, daß du an der Sache nicht unschuldig bist?« fragte der General nochmals.

»Weil Dero Exzellenz ohne mei Derzwischenkumma nich General geworden wären!«

»Sieh nur! Sieh nur! Du hast denn wohl beim Könige eine Fürbitte für mich getan?«

»Zu Befehl nein, Exzellenz! Ich hob den Keenig aber daderzu derholfen, aus dem Oberschten Blücher oanen General zu mache!«

»Da soll der Donner dreimal dreinschlagen! Du bist dreist, Bursche!«

»Ich sage nur die Wahrheet: Und die Wahrheet is, daß der Keenig, ohne den Oberschten Blücher zu hoben, ooch nicht hätte aus ihm a General mache kenna!«

»Da hast du recht, mein Sohn! Nun hatte er mich aber –«

»Nun ja, das hatte er! Und das hat er ebens mir zu danke!«

Blücher blickte ihn groß an. Er fing an, zu begreifen.

»Erinnern Dero Exzellenz noch das Gefecht am Kavelpaß? Exzellenz waren dazemal a schwedischer Junker, und ich wie itzt Reiter im Regiment. Den Junker fing ich! Ich hoab's getan! Und aso bekam der Keenig von Preußen den Mann, den er heute zum General machte und wohl noch heeher steigen lassen wird, so Gott will!«

»So Gott will – das war ein gutes Wort!« sagte Blücher. »Denn daran liegt's, und so war's auch am Kavelpaß, denk' ich! Er wird's gewollt haben und nicht du!« Er rieb sich die Nase. »Dein Name?« fragte er.

»Landeck!«

»Landsmann?«

»Aus Esterreisch'-Schlasien!«

Blücher betrachtete ihn forschend.

»An dein Gesicht kann ich mich nicht erinnern! Es ist ja auch lange her. Und bei der bewußten Gelegenheit wird mir wohl der Schädel von den vielen Hieben gehörig gebrummt haben! Aber das weiß ich, und darauf kann ich schwören: ein Husar war's sicher, der mich fing! Und wo du ein Husar bist und wo du behauptest, derjenige zu sein, so bist du's wohl auch gewesen, dem ich mein Glück zu verdanken habe! Nun erkläre mir aber eins, mein Sohn – denn ein wenig dämmert's mir doch noch von der Begebenheit –, spricht man noch heute – in Schlesien – so gut Schwäbisch wie damals?«

Der Husar blickte ihn an, ohne zu begreifen.

»Der, der mich fing, mein Sohn, der schwäbelte nämlich ganz gehörig, das habe ich mir gemerkt! Nicht nur sein Säbel, auch sein Schwäbisch schlug mir bös um die Ohren!«

Landeck kratzte sich hinter dem Ohr.

»Exzellenz,« sagte er dann keck, »ob ich dazemal schwabbelte, ich weeß es nicht mehr! Das aber weeß ich: ooch in Schlasien gab's dazemal Schwabben die Masse – nich bloßich in Preußen. Und es gibbt se halt noch, und aso leechte wird se halt nich los, wer se hoat!«

Blücher lachte.

»Gut geantwortet, mein Sohn«, sagte er. »Sei's drum! Du bist mir der Richtige! Du wirst heute mittag einen Löffel Suppe bei mir essen! Und nachher wollen wir miteinander auf den schwedischen Junker anstoßen, den du leben ließest! Den preußischen General können wir dann auch leben lassen! Und nun, mein Herr Solofänger, marsch auf deinen Platz! Und daß du mir nicht noch einmal ohne Befehl aus der Reihe heraus reitest! Sonst brummst du bei Wasser und Brot, und wenn du mich zehnmal gefangen hättest!«

Gesagt – – der Schlesier warf sein Pferd herum und saß im nächsten Augenblick wieder wie vorhin, unbeweglich wie eine Statue und salutierte mit den anderen, daß die Sonnenblitze von den Säbeln nur so übers Feld züngelten, als der neue Chef und Inhaber des Regiments, von seiner Suite gefolgt, die Front abritt.


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