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Pfälzer Land.

Das alles ist Pfalz diesseits und jenseits des Rheines, ein gewesenes Kurfürstentum, das in tausend Erinnerungen nachlebt, Traum und Wehmut um das Heidelberger Schloß. Diese Pfalz war einmal im Begriff, ein rheinisches Königreich zu werden. Schon hatten die Kurfürsten im Schutz der Mannheimer Zitadelle ein Klein-Versailles gebaut. Aber ihr Staat zerfiel. Die majestätischen Säle von Mannheim sind jetzt angefüllt mit den Schätzen des Pfälzer Heimatmuseums und einer Bibliothek, die noch immer zu den wertvollsten des Festlandes gehört.

Dem linksrheinischen Pfalzland, das einst bis zur Mosel reichte, nähern wir uns jetzt von einer anderen Seite. Auf der alten Pariser Straße nämlich, die von Mainz ausgeht und über Alzey, Kaiserslautern, Saarbrücken und Metz nach Frankreich führt. Das ist die Heerstraße, auf der einmal die Soldaten der Revolution nach Deutschland stießen, wie ein Jahrhundert früher die Heere Ludwigs XIV. Jetzt ist sie eine Landstraße wie die andern, Obstbaumreihen zwischen Dörfern und Bächen, Hügel ab und wieder hinauf zum Ausblick über Wiesen und Äcker, aus denen in der Ferne der dunkle, geschmeidige Buckel des Donnersberges aufragt.

Wie der Wind sind wir aus Frankfurt hinausgefahren. Der Taunus lag da wie ein zusammengefalteter blauer Großvaterschirm. Aber die Böschungen der Autostraßen flammten feuergelb von Sonnenblumen. Als hätten die Ingenieure, die diese Böschungen bepflanzen ließen, nachholen wollen, was die Bauern aufgegeben haben. Aus diesen fröhlichen Sonnenblumenreihen entließ uns die Stadt zum Rhein hin. Über dem weiten Taunusvorland standen die Morgenwolken mit weißen, flaumigen Rändern.

Bei den niederen Straßenmauern vor Hochheim hängen schon die Weinberge in das Tal hinab. Noch sind die Pforten geschlossen, die Lese hat noch nicht begonnen. Schon beginnen die Obstgärtchen wieder. Die verwitterten Heiligenfiguren am Kreuzweg verkünden die Nähe der Bischofsstadt. Die Sonne glänzt breit vom Strome wider. Aus der Mainzer Brücke schauen wir im Fahren durch das dünne gleichmäßig vorüberlaufende Gitter. Es legt einen meergrünen Streifen in die vom Strom gespaltene Landschaft. Ein Bogen um die Stadt, schon kommt das Land in ein sanftes Wogen. Oben sind Dörfer mit alten Wirtshäusern, geräumigen Torfahrten und kleinen gelben Ziegeleien. Unten ist die Ebene ein einziges, gleichmäßiges Grün. Das Weinland beginnt.

Wir haben Nieder-Olm, Ensheim und Wörrstadt hinter uns, die Straße führt jetzt in einem knappen Halbkreis um kleine Häuser und Schuppen, in das Schattengesprenkel hoher Platanen und dann mitten in die Landstadt, die an ihrem Rathaus das Wappen mit der Laute trägt. Aus Alzey kam der tapfere Spielmann Volker, von dem das Nibelungenlied erzählt.

Zuvor gabeln sich noch die Landstraßen nach Worms, Kreuznach und Bingen. Aber das Leben auf der schmalen Hauptstraße von Alzey sieht nicht aus, als hätte die Außenwelt hier viel zu bedeuten. Schöne Fachwerkhäuser stehen an der Straße. Ein Löwenbrunnen wirft seine Strahlen in den kunstvoll behauenen Trog, den eine von kräftigen Pfosten getragene Laube schützt. Der Platz daneben ist fast zu klein für das Karussell, das sich offenbar von den Anstrengungen des gestrigen Abends ausruht. Es ist ein Karussell ohne hölzerne Pferdchen, ohne Orchestrion, aber ein wundervolles großes Spielzeug mit reichbemalten Tüchern unter der Zeltdecke. Die Stehfläche, von Menschenkraft gedreht, wird breit genug sein für Dutzende Burschen und Mädchen. Die Gasse führt durch das Mauertor aus der Stadt hinaus. Ein Garten liegt vor der Stadtmauer, darüber blinkt der Kirchturm mit seinen stahlfarbenen Knäufen. Ein heller Hausgiebel, eine dunkle Buche bilden die Rückwand, zwischen den Beeten erhebt sich das Spalier des Laubenganges. Dort steht auf der Leiter mit aufgereckten Armen ein kräftiges Mädchen, in ihre Arbeit ganz vertieft. Die Hände durchsuchen das Laub nach den ersten reifen Trauben.

Noch erklärt uns ein Mann am Rand der Straße ein hohes altes Gemäuer, das dicht von Giebelhäusern umschlossen ist. Die mächtige Torfahrt ist in ein Gäßchen verwandelt, zu dem ein Treppchen hinaufführt. Es ist die Burg. Sie mag einst streng genug neben dem Dorf gestanden haben. Jetzt ist sie Amtsgericht mit hundert heizbaren Stuben. Ein Männchen mit wehendem weißem Haar geht vorüber wie ein Sekretarius aus einem verschollenen Jahrhundert.

Und dann ist wieder offenes Land. Wir weichen nach Süden. Es regt sich die Wißbegier auf die nächste, wohl ebenfalls tausendjährige Stadt, auf Kirchheimbolanden, das einmal der Mittelpunkt einer reichen Grafschaft war und noch immer berühmt ist durch die seltenen Bäume im Schloßgarten.

Wir kommen bald am weißblauen Grenzpfahl vorüber, aber die Einfahrt in das Städtchen mit seinem Saum enggestellter kleiner Häuser vor einer zu den Gärten abfallenden Terrasse weckt nicht das Gefühl, in Bayern zu sein. Eher entsteht eine kuriose, flüchtige Erinnerung an Kassel. Enge Gassen samt Stadtmauer liegen im Hintergrund. Eine breite dörfliche Straße zwischen seltsam niederen, bunten Häusern führt aufwärts. Auf dem Berge zwischen Feldern ist der Kurpark, dort steht ein Schillerturm. Nicht weit davon gibt es eine pyramidenartige Erhöhung der Erde. Sie ist von einem Fußpfad umwunden wie ein Schneckenhaus. Oben überschaut man erst richtig das Land, eine große Weite. Die Stadt mit dem alten Schloßgarten ist ganz in die Delle eingebettet.

Am Ausgang des Städtchens steht ein Birnbaum in Blüte. Die Landstraße könnte nicht langweiliger beginnen, doch bald kommen Wälderstücke, Wiesengründe mit Erlenreihen, ein Hügel, von einem Hain tragender Apfelbäume überzogen, fast eine berechnete Steigerung, da nun der Donnersberg quer vor uns im Lande steht, ein dunkel bewaldetes Gebirg mit weit geöffneten Schluchten. Ein Buchenwald geht auf das Dorf zu, das sich am Fuß des Berges breitet. Dieses Dannenfels liegt da wie Falkenstein am Taunus. Ist es nur ein Zufall? Das nächste Dorf heißt wirklich Falkenstein. Vielleicht benannten es einmal so die nassauischen Grafen, die hier herrschten und wohl gern die große Stadt Mainz geschluckt hätten, die mitten zwischen ihren Grafschaften lag.

Wir sind nach Westen abgewichen, der Rand der Berghöhe lenkt uns wieder nach Süden, nach Göllheim (93,1 km) zu. Dort muß das Schlachtfeld liegen, auf dem vor sechshundert Jahren Adolf von Nassau fiel. Zehn Jahre nach jener Schlacht lag auch sein Gegner Albrecht von Österreich neben ihm in der Speyerer Gruft. Die Höhen des Donnersberges verebben. Über gepflügten, kakaofarbenen Feldern zeigt sich schon in grauen neblichen Wäldern die niedere Lehne der Haardt. Schafe weiden auf dem Hügel, kahl geschorene Tiere, fast nackt.

Ein erstaunlich großes Dorf tut sich auf, breite Straßen mit Torbogen, die einer barocken Befestigung anzugehören scheinen. Wir suchen das Königkreuz, wir finden es nicht an der Straße, fahren weiter bis in den Wald und kehren um. Dann zeigt man uns in der Häuserreihe die kleine umgitterte Anlage und die schmale, säulenartige Kapelle, die das alte steinerne Kreuz beschützt. Dieses Denkmal und ein paar einfache Tafeln bezeichnen die Stelle, wo König Adolf fiel. Göllheim liegt doch nicht so nah bei Speyer wie die Geschichtsschreiber vermuten lassen. Es ist mindestens ein Tagmarsch bis dorthin.

Jetzt reihen sich die Dörfer an der Straße. Weinberge schließen sich zusammen. Es sind Weinfelder ohne Stecken. Der Rebstrauch ist auf Drähte gezogen und in schnurgeraden Gassen abgesetzt wie gekämmt. Noch arbeiten die Leute erst an den Rändern. Am Straßengraben hält der Wagen mit den Bütten und der Presse. Das fleckige, grüngelbe Laub verbirgt die schwarzen Trauben fast. Man beginnt mit dem Lesen der Portugiesertrauben, die hellen kommen später. Frauen in blau, mit weißem Kopftuch, stehen gebückt, ihre Gruppen dringen immer tiefer in die Reihen. Eine Egge rasselt an der Straße vorüber, die Obstbäume rauschen verlassen im Herbstwind, ein Schweigen liegt auf der Höhe. Man sieht ins Land, bis über den Rhein hinüber, wo die Wand des Odenwaldes sich andeutet. Drüben, ganz im Hellen, stehen zwischen Schornsteinen, von Bäumen kaum zu unterscheiden, die Türme des Wormser Domes. Ganz klein sind die weißen Fabrikwolken über Ludwigshafen.

Wir kommen durch Grünstadt und Obersülzen, durch ländliche Straßenzüge, vorbei an Schienenfeldern und an welkem Mais. Dann gibt uns ein düsteres, wuchtendes Stadttor Einlaß. Wagen mit Bütten, schwer von Trauben, knarren daher. Am kahlen Marktplatz des »pfälzischen Rothenburg«, das aber Freinsheim (90,9 km) heißt, steht ernst mit ihrem kantigen, schwarzen Turm die Kirche, eng daneben der Treppenaufgang des Rathauses, eines der wenigen, die unversehrt die Zerstörung der Pfalz überdauerten. Und nun kommen Kallstadt und Ungstein auf dem Wege nach Dürkheim hin, der Bäderstadt mit dem Kurgarten in der Mitte und den winkligen Gassen, in denen überall die Küfer hämmern. Zahllos sind die Höfe, und überall werden Fässer gefahren, alte und neue. Purpurfarbene Bütten lehnen zum Trocknen an der Hauswand, es ist, als bereite sich alles im Land darauf vor, die Flut des Rebensaftes einzufangen. Bad Dürkheim hat von allen Dörfern und Städten in Deutschland die meisten Reben. 3500 Morgen Weinberge überziehen das Land wie eine Decke. Sie steigen den Berg hinauf, gehütet von weißen, tempelartigen Wächterhäuschen, sie dringen bis tief in die Stadt. Und am Rand des Städtchens steht das haushohe, bauchige Faß, an dem Platz, auf dem vor kurzem, wie jedes Jahr, der Wurstmarkt gefeiert wurde. Diese tonnenförmige Trinkhalle ist wahrhaft ein Symbol des derben, lebensfrohen Landes, dessen Weinbau der Grund von soviel Reichtum wie von Sorgen ist, wie die Weinkarte eine Litanei des Übermuts, ein Studium der Kenner, ein Rätsel oder ein Gedicht.

Doch die Feststraße, die Weinstraße, die Via triumphalis der Pfalz, das ist gewiß jene einzige, am Ende zweigeteilte Landstraße, die von Dürkheim nach Neustadt führt. Da liegen alt, behäbig und voll fröhlicher Überraschungen die Nester, deren Namen so bekannt sind, daß man sich wundert, sie als Namen von Dörfern aus Stein und Holz, und nicht von Dörfern aus dem Traumland der Zecher wiederzufinden. Sie heißen Wachenheim, Forst, Deidesheim, Ruppertsberg, Mußbach, Königsbach. Da sind Märkte mit uralten Linden, Brunnen mit Bacchusfiguren, Terrassen des Winzervereins und der Winzergenossenschaft, alte Wirtschaften mit Tischen, aber auch mit Fässern im Hof, Gassen, über die das Rebenlaub in Girlanden hinwegwächst, Dörfer ehrenvollen und lieblichen Namens, wie Gimmeldingen, deren alte Giebel, von Hügelwellen eingeschlossen, in der Rebendecke fast verschwinden. Der Rebenüberzug des Landes reicht bis nach Neustadt (98,7 km) hin, das sich nur abhebt in scheibenförmigen Hügeln und untermauerten Terrassen, die sacht und breit die sonnigen Höhen der Haardt hinansteigen. Da ist Königsbach, mit seinen alten Herrenhäusern und luftigen, farbigen Terrassen, an den Berg geklebt, das hochberühmte Forst, dessen Geländekarte ein einziges Verzeichnis schönster Lagen ist. Ein Glas Gewürztraminer am Nachmittag – er schmeckt aufs zarteste nach Aprikosen –, eine Flasche Forster Ungeheuer am Abend – das ist immerhin eine edle Art, einen Tag zu beschließen.

An den Straßen von Neustadt werden Trauben verkauft, saftige Birnen, frische Walnüsse, Mandeln in pelziger grüner Schale, Pfälzer Gewächs. Sattes, fruchtbares Land!

*

Ungeheuer ist der Blick in die Weiten von Land und Himmel. Es ist, als presse die Größe des Bildes und die Klarheit der Luft das Herz zusammen zur feierlichen Sammlung. Unten liegt Heidelberg, drüben, jenseits des Rheins, hinter rauchenden Schloten die Pfalz. Der Spielplatz hier über Wäldern ist dem Berge aufgesetzt als eine Arena von solcher Geschlossenheit, daß man vom Wort der Menschen nur das Größte fordern muß. – Dieser gestaltete Raum ist außer allem Vergleich durch die Schönheit und Freiheit seiner Lage, durch die Weite der Überschau auf die silbern und golden blitzende Ebene. Die Waldeshöhen umher sind düster, doch durch die Höhe des Orts überwunden. Je höher man die Stufen des körnig glitzernden Steins hinansteigt, die rötlich sind wie die Steinbrüche am Main und am Neckar und wie das Heidelberger Schloß, das auf der anderen Seite des hier unsichtbaren Tales liegt, desto weiter wird, was sich unten breitet. Der Neckar glänzt sanft hervor, man spürt in dem fernen Schimmer des Rheins den magnetischen Zug des strömenden Wassers zwischen Alpen und Nordsee. Die rebentragende Pfalz mit dem Fleiß und der Fröhlichkeit ihrer Menschen, aber auch die Türme von Speyer und Worms sind in diesen Schicksalsblick nach Westen eingeschlossen. Gut, die steinerne Muschel dieses Schauplatzes leer zu sehen. Die Phantasie bevölkert das schweigende Halbrund mit Sprechern, mit schreitenden Chören. Vielleicht weht morgen Regen auf die dampfenden Wälder nieder, vielleicht wandelt sichtbar das leuchtende Taggestirn um diese Höhe ihre Bahn. An den Straßen da unten reihen sich die Dörfer und die Städte, Dome und Fabriken. Ihr Lärm ist nichts in dieser Ruhe. Dieses Land um Main und Rhein, um Nahe und Mosel, um Lahn und Neckar ist nie auszuschöpfen. Wir dringen ein. Wir lieben dieses Land.


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