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Zwischenspiel um Dreieich.

Diesmal geht die Fahrt zur Sachsenhauser Warte hinauf. Welch ein Denkmal der alten Messestadt ist dieser feste Wartturm, wo einst die Boten des Rats den fremden Handelsherren einen ersten Willkommen brachten. Die alten Mühsale der Landstraße sind vergessen. Die Wegschilder nennen verlockende ferne Namen. Man kommt von hier dem Odenwald auf vielen Wegen bei. Fast erscheint schon das wie in einer Rodung ausgedehnte Neu-Isenburg mit seinen endlos langen Straßen als der Anfang einer neuen Landschaft. Aber auch das nahgelegene Buchschlag ist es noch nicht, diese reizende Villenkolonie, wo einmal jeder sich noch sein Landhaus nach eigenem Belieben baute, jeder darauf bedacht, unter geschonten und geliebten Bäumen den Garten als Ruheplatz und den Ruheplatz als Ziergarten anzulegen. Das von fleißigen Arbeitsleuten bewohnte Dorf Sprendlingen (11,2 km) wird durchfahren. Da biegt die kaum noch dörfliche Straße, eh sie auf den runden Platz vor der Kirche auftrifft, schließlich ab, sie gabelt sich hinter dem bunten Zelt der Tankstelle. Gradaus geht die Fahrstraße nach Darmstadt und an der Bergstraße entlang. Seitwärts geht es nach Dreieich. Leicht erreichbar ist hier der berühmte Messeler Park mit seinen weiten, von Wildzäunen und Holztoren überschnittenen Schneisen. In diesem Jagdgebiet, wo es zwar keine Sauen, wohl aber Muffelschafe gibt, liegt das anmutige Jagdschloß Kranichstein (29,4 km) mit der Menge seiner Jagdbilder und Waffen, seiner Sammlung von Geweihen und sonstigen Waidmannstrophäen aus der Zeit des Waldhorns. Der Schloßteich beherbergt Gänse vom Nil und anderes seltenes Geflügel.

Die Bergstraße – das ist für uns nicht die uralte Römerstraße, die am Saum des Odenwaldes entlangzog, sozusagen ein Doppelgeleise der bedeutenderen Römerstraße auf der andern Rheinseite drüben. Es ist die erste Landschaft südlich der Mainlinie, die schon ganz den Eindruck von Süddeutschland erweckt. Der Odenwald mit seinen meergleich wogenden Höhen hat etwas Geheimnisvolles. Der violettbraune Boden der Buchenwälder deckt alte Fährten, Mauerreste verschollener Burgen. Da sind auf den Höhen die Felsenmeere, die erstarrter Lava gleichen. In schmalen, vom Gedräng der Baumwipfel verfinsterten Tälern stehen zerbröckelte Kruzifixe, zerfallene Mühlen. Doch die Bergstraße ist die breite, sonnige Landschaft, vor der das tiefgrüne Meer des Odenwaldes haltmacht. In der Höhe reiht sich Kuppe an Kuppe, jede breit und behaglich gelagert, keine ohne ein Gemäuer, das Aussicht bietet. Wälder fließen ins Tal hinab, sie zeigen über Weinbergen und Wiesen ihre durchsichtigen Ränder.

Nirgends schließen sich die Pfeiler der Buchenstämme, die Spitzbogen der Wipfel feierlicher zusammen als an jener Stelle, die Notgottes heißt, nicht weit von Auerbach. Im Waldboden sind die Grundmauern einer verschwundenen Kirche freigelegt. Wie eremitenhaft ist doch vieles in der Nähe dieser freundlichen kleinen Städte, die zwischen Darmstadt und Heidelberg zu finden sind. Sie sind wie eine lockere Kette von hellen Häusergruppen, schon sind Gebäude aus dem roten Neckarsandstein hineingemischt; diese stehen besonders gut in den Pfirsichblüten und Apfelblüten des Frühlings, im blutroten Schwarzdorn des Sommers.

In diesem Landstrich verdient der Frühling seinen schönen Namen wirklich. An der Bergstraße beginnt im April dieses duftige, lockere Schäumen der Natur, das sich in weißen und rosa Blütenströmen zögernd fortsetzt und am mittleren Rhein noch den Mai vollkommen ausfüllt. An der Bergstraße mischen sich die Obstgärten, die Blumengärten, die Beerengärten, die Treibhäuser. Durch die Felder ziehen hohe Alleen. Über Gartenmauern hängen die Ranken. Überall ein reiches pflanzliches Leben, aus dem zuerst im Jahr das Blühen der Mandeln und Pfirsiche hervorbricht. Der Berghang ist sanft wie ein Kanapee. Alles atmet Wärme. Um paradiesisch zu sein, müßte freilich dieses Land dem Menschen die harte und keineswegs sorgenlose Arbeit ersparen, ohne die es ja doch in unserm Klima nicht abgeht. Denn hier, wo das Jahr lange dauert und viel Arbeit im Freien möglich macht, treibt neben nützlichen Gewächsen auch das Unkraut, und die Arbeit verdoppelt sich zwischen Feld und Garten.

Von Darmstadt (28,1 km) mit seinem barocken Schloß in der Mitte, den geraden Straßenzügen, den krummen landstadtmäßigen Gassen des älteren Teils und den Villenvierteln, die ein einziger Park sind, führt eine Allee von kunstvoll verkrüppelten Kiefern zum Großen Woog, der in der Richtung zum Rhein liegt. Und wie fast alle Städtchen und Dörfer der Bergstraße ihren östlichen Ausgang gleich in die Wälder öffnen, so umschlingen Waldpfade die Stadt nach den Höhen zu ins Unendliche. Versteckt in den Tälern, doch zuweilen auch mit Kirchtürmen auf den Höhen sichtbar, liegen die Dörfer dort. In den Wäldern des Odenwaldes liegt der Born, aus dem der junge Held Siegfried trank und von dem grimmen Hagen durchbohrt wurde.

Das alte Eberstadt mit seiner Festungskirche, Pfungstadt mit den Altertümern seines Rathauses und seines Zehntgerichts, Bickenbach mit dem Alsbacher Schloß in der Nähe, Zwingenberg (45,9 km) mit seinen Wehrmauern um die hochgelegene Kirche und den von der Stadtmauer fast zerdrückten Giebelhäusern, selbst Jugenheim mit dem einst von Zaren besuchten Heiligenberg auf der waldigen Anhöhe, die zum Felsberg weiterführt, – alle verraten ihre bewegte Geschichte. Die große Heerstraße brachte Verdienst und Wohlstand, aber auch Überfälle, Gefahren. Über Zwingenberg ragt der Melibokus, der höchste Berg dieses Höhenzuges. Von der Spitze des schönen Berges reicht der Blick an klaren Tagen weit bis zum Neroberg über Wiesbaden, er trifft im Westen die Haardt und die Vogesen. Und auf seinen Wegen von Tal zu Tal kommt der Wanderer dann zum Auerbacher Schloß, der größten Ruine unter den vielen Burgen der Bergstraße. Schön ist dort der Blick von der Zinne, die Berge liegen offen wie die Ebene. Nicht weit ist das gepflegte Bensheim (51,4 km) mit seinen schattigen Gartenwirtschaften. Hier führt die Allee eine Wegstunde weit durch die Felder. Sie mündet in das dörflichere Heppenheim, dessen regelmäßig gekreuzte Gassen einen guten Ruhepunkt zu entdecken geben, den reichgegliederten Fachwerkbau des Rathauses. Nun ist schon der Übergang ins Badische nicht mehr fern.

Bensheim an der Bergstraße

Folgen wir aber, um einmal nichts als eine beschauliche Fahrt durch den Abend zu machen, dem Seitenweg, der hinter Sprendlingen in ein weites Wiesental führt, so werden uns helle quergestellte Siedlungshäuser bald das alte Dorf Dreieichenhain verraten, das einmal den Grafen von Isenburg, von Solms und von Hanau gemeinsam gehörte. Das enge Stadttor in der Nähe des Bahnhofs läßt einstige Festungswerke ahnen. Wenige wissen, daß das Burggemäuer am Ende des Ortes mit seinen zerbrochenen Mauern, tiefen Brunnen und Kellerlöchern schon mehr als tausendjährig ist. Noch sind die Säle und in ihnen Säulen und Herdstellen gut erkennbar. Der Teich verrät das einstige Wasserschloß. Es ist erbaut auf den Fundamenten einer Jagdhütte Karls des Großen. Einst lag die Burg mitten in dem ungeheuern Urwald, der sich vom Odenwald bis an den Taunus erstreckte. Nur der Kaiser hatte das Recht, darin zu jagen. Zu diesem Ländchen Dreieich gehörte Frankfurt samt seinem jetzigen Stadtwald. Nannte man nicht später einmal Frankfurt die heimliche Hauptstadt von Deutschland? Liegt nicht Deutschland in der Mitte von Europa und Europa in der Mitte der Welt? Also wäre eigentlich Dreieichenhain der Mittelpunkt von allen? Hier lag ein Sumpf, der Driesch, aus dem wohl das Wort Dreieich entstanden ist. Aber auch ein heiliger Hain war in der Nähe. Das Nachbardorf heißt Götzenhain noch heute. Und der Berg, eine Viertelstunde entfernt, heißt der Hexenberg. Die Bewohner »des Hains« haben noch heute ihre Freude an Liedern und Sagen. Aus ihrer Mitte ist der Musiker Ludwig Erk hervorgegangen, ein Sammler und Wiedererwecker vieler Volkslieder. Und noch feiert das Dorf in jedem Sommer die Heimat. Es veranstaltet Freilichtaufführungen, die den Burghof in ein von bunten Lampions beleuchtetes Festgetriebe verwandeln.

Nicht weit liegt das Schlößchen Philippseich in der Wiesenlandschaft. Das Hoftor steht offen. In wenigen Fenstern nur ist Licht. Vielleicht haben jetzt Leute aus der Stadt hier ihre Sommerwohnung im Heuduft der Wiesen, im Schatten und Rauschen des Gehölzes.

Man muß nur ins Auto steigen können, dann hat auch diese Gegend zwischen Frankfurt und Darmstadt nichts Entlegenes mehr. Man hat den Anstieg zum Odenwald vor sich, man bleibt aber, um in eine der Städte zurückzukehren, auf ebenen Feld- und Waldwegen. Die nach Frankfurt führen über Dietzenbach nach Offenbach a. M. Nicht ohne Bewunderung betrachtet man unterwegs in Heusenstamm, das an dem Flüßchen Bieber liegt, das einst zum Empfang eines Kaisers gerichtete, mit dem Wappen der Grafen von Schönborn gezierte Schloß und die von dem großen Würzburger Meister Balthasar Neumann gebaute Kirche.


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