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Ein Stück Neckar.

Jetzt sitzen wir in Eberbach auf der Terrasse. Man hat im Hof den Fischtrog aufgedeckt und aus dem Fischgewimmel einen Aal herausgenommen, der nach gebührender Frist in gut gebratenen und panierten Stücken, mit Salbei gewürzt, auf dem sauber gedeckten Tisch erschien. Jenseits des Flusses stehen kleine Villen in der Reihe, rötliche, violette, hellgrüne, rote Farbflecken hinter Bäumen. Ein wenig oberhalb legt die Eisenbahnbrücke ihr Gitter über den Fluß. Drüben bleicht auf grünem Rasen schneeweiße Wäsche. Ein paar Männer richten ein weißes dünnes Gestänge her. Es sind Buchstaben. Man entziffert das Wort »Kuckuck«. Der Kellner gibt Auskunft und erklärt zugleich die Transparente, mit denen wir die Straßen beim Eingang in den Ort geschmückt sahen: jedes Jahr vom 7. bis 9. September ist in Eberbach der berühmte Kuckucksmarkt. Er ist Pferdemarkt, Landwirtschaftsschau und Volksfest in einem. Und das Gerüst dort drüben ist für das Feuerwerk bestimmt.

Ein Weilchen betrachten wir ausruhend das Leben am Flusse, – die gemächliche Arbeit eines blaugekleideten Mechanikers, der ein Auto repariert, das unbeeilte Dahinschreiten eines Mannes in weißer Bluse, der die Angelrute wie eine Lanze in der Hand trägt und sich am Flußufer eine Stelle sucht, wo er fischen kann. Die Fähre mit dem jungen, ebenfalls blaugekleideten Fährmann kommt über den Fluß. Der Nachen ist innen rot, am Rand sitzt ein Mädchen in roter Bluse. Das Wasser des Flusses ist jetzt vom Himmel hell beglänzt. Der grauseidene Schimmer ist grünlich vom Widerschein der Wiese.

Bis zum Häuschen des Kanu-Clubs hat der Neckar oberhalb Eberbach etwas besonders Schönes, Einfaches. Der Wald drüben am Ufer reicht bis ans Wasser. Vor einer roten, angebrochenen Felswand, die sich mitten im Walde zeigt, steht einsam ein Wohnhaus mit einem Rosengarten. Und gerade in dieses Stück der Landschaft, durch das der Neckar ohne Biegung fließt, legt die Staustufe Rockenau ihren Schleusendamm. Drei rosaweiße kurze Türme, die den rostroten Brückensteg tragen, sind die Vorposten des kleinen, würfelförmigen Kraftwerks an der Seite.

Vor ein paar Jahren war der Neckar noch der gelenkige, sprudelnde Fluß. Jetzt liegt er da wie ein Waldsee. Gelassen trägt er seine Fesseln. Die Wehre mit ihren Schleusen, Walzen und Spannwerken fügen sich als etwas Selbstverständliches in die Landschaft. Sie sind es, die den Fluß bis Heilbronn hinauf in einen Kanal verwandelt haben. Die Eisenbahn berührt den Fluß mit ihren Dämmen. Sie durchfährt die schwarzen Tunnels unter der weitläufigen Burg von Hirschhorn, unter den Rundtürmen von Zwingenberg und unter den Landhäusern von Eberbach. Und sie erreicht schon vor uns bei Neckargerach einen tiefen Einblick in das sich biegende Tal. Der Fluß spiegelt nun breiter den Himmel. Eine andere Staustufe, die von Guttenbach, macht ihn aufs neue zu einem See. Die kleine Ebene hier ist das Delta des Elzbaches, der zwischen Feldern und Weinbergshängen aus dem Seitentale kommt. Drüben ragt auf waldiger Höhe der Rest einer Burg. Es ist vielleicht nur die Schmalwand des Pallas. Gebräunt runzelig, bärtig, steht die Mauer und schaut wie ein Greisengesicht ins Tal. Wir fahren an dem hochgezogenen Schlagbaum vorüber in das mit Mais und Bohnen bewachsene Land. Äpfelbäume stehen an der Straße. Eine Horde Buben wandert, den Tornister auf dem Rücken. Eine Schar Mädchen fährt auf blitzenden Fahrrädern. In unserer Zeit ist der Mensch zur Gruppe geworden. Aber Jugend, Wanderfreude und Anmut sind sich gleichgeblieben.

Im Hintergrund des Tales liegt Mosbach (125,8 km), das einst bewehrte Landstädtchen, das einmal einem Zweig der kurfürstlichen pfälzischen Linie gehörte. Gleich an der Landstraße beginnen die neueren Gebäude des Orts. Das eigentliche Mosbach mit seinen verwinkelten Gassen ist noch mittelalterlich. Zahlreich sind die Seitengäßchen, wie von jeher durch die Leiterwagen, die Fässer und Holzklafter versperrt. Kindheitserinnerungen werden lebendig. Ob wohl eines dieser alten Häuser noch das Lädchen, die Wohnung und die Backstuben enthält, und dahinter den Hof mit dem Schweinestall? Ja, das Haus steht noch. Es ist umgebaut, nur das Kellerloch neben der Haustür ist geblieben. Die Familie des früheren Bäckers ist längst verschwunden, die Alten sind gestorben, die Jüngeren in Amerika. Aber wieder wohnt ein Bäcker in diesen Mauern. Ob es auch heute noch so viel Ameisen im Hausflur gibt wie damals? Die Rinnen im Pflaster, in denen das Wasser abfließt, die Holzstapel und die tiefen Keller an der Ölgasse, der Harnischgasse und dem Gartenweg an der Stadtmauer sind unverändert. Damals führte ein Steg über den Bach zu den nach Buchs duftenden Bauerngärten hinüber. Dahinter stiegen die Weinberge an, die jetzt mit wildem Buschwerk bewachsen sind. Ein Mann arbeitet am Sägebock. Das Holz, das er mit dem Beil zerkleinert, stammt aus dem großen Mosbacher Wald, der wie seit uralten Zeiten jedem Bürger jährlich seine vier Festmeter Holz einbringt. Das ist gerade recht für den Ofen im Winter, aber auch zum Bauen und zum Küfern. Vor der Kirche fließt der Brunnen wie einst. Die alten Fachwerkhäuser haben neue Läden, die Fenster Vorhänge bekommen und mehr Blumenstöcke als damals.

Wir kehren nach Neckarelz zurück. Ein starker Verkehr durchflutet dieses Dorf. Es liegt dem von den Römern gegründeten Obrigheim und den umbuschten, unzugänglichen Felsenhöhlen gegenüber, in denen einst die sagenhafte Einsiedlerin Notburga wohnte. Von Neckarzimmern dann mit seinen verträumten Herrenhäusern und seinen drei Schleusentürmen geht wieder eine Eisenbahnbrücke schräg über den Fluß. Am Ufer schützt ein quer ins Wasser gelegter Balken die Badestelle. Das Dorf dahinter ist Haffmersheim. Vor den Pappeln liegt ein flacher Strand. In den bäuerlichen Gassen wohnen die Neckarschiffer, die fleißig den Rhein zwischen Rotterdam und Basel befahren.

Den Rand des Flusses schützen Weiden, den Begleiterinnen des Weinbaues. Hoch auf den rebenbesetzten Höhen liegt das Kloster Himmelreich, zuvor aber ragt Burg Hornberg über dem Tal. Das ist der Turm da oben, in dem Götz von Berlichingen, der alte Raufbold, seine Greisenjahre verbrachte. Welch ein Blick über die Weite! Die Rampe des Fahrweges durchschneidet die Terrassen der Weinberge. Das satte Goldgrün der Wiesen drüben, das Waldgrün der Anhöhe, das finstere Grün des Hochwaldes, den das Licht der Sonne stark durchbricht, das alles gibt der Landschaft eine innige Kraft. Der Spiegel des Flusses glänzt als rinne dunkles Wasser im gleichmäßig geschnittenen Flußbett wie ein Luftstrom. Das Dampferchen da unten geht seinen Weg durch dieses Rohr wie ein Projektil. Auf wuchtiger Felsenstufe liegt das mit Terrassen und Anbauten zum Sanatorium umgewandelte Schloß Hornegg, ein wenig tiefer das Städtchen Gundelsheim, in seine unversehrten Mauern eingeschnürt.

Noch immer sitzen auf der unversehrten Stadtmauer von Wimpfen (139,3 km) am Berg die Türme und Giebel. Und in einer Lücke, über Brettern und Latten, stehen ein paar zierliche Arkaden, letzte Erinnerung an den Königssitz aus fränkischer Zeit und an die Pfalz der Hohenstaufen. Die Stadtmauern, die Häuser und die spitzbetürmten Kirchen sind derbe Feldsteingotik. Nur diese wenigen romanischen Säulenbogen zeigen noch die Bauweise Friedrichs II., der die rotbraunen Berge Apuliens am blauen Mittelmeer mit Kastellen besäte. In dieser Pfalz von Wimpfen lebte ein paar Jahre der in Frankfurt als Kind zum deutschen König gekrönte Heinrich VII. Oft mag der Jüngling hier über dem Tal gestanden haben, verzehrt von Sehnsucht nach seinem, dem italienischen Verhängnis abgewendeten deutschen Königreich. Umsonst. Die Pläne des Prinzen zerbrachen am stärkeren Willen des Vaters. Wie mag dem Sterbenden in der Malarialandschaft des Südens weh gewesen sein um dieses weite, grüne Neckartal!

Wir fahren durch Mauerbogen in die Stadt hinauf. Auf dem Bergrücken stand das Kastell, versorgt aus Scheunen und Teichen und unterirdischen Gängen. Erst der Dreißigjährige Krieg zerstörte die reiche Landstadt. Viele Häuser sind nicht wiedererbaut worden. Ihre Stätten sind kleine, viereckige Gärten voller Rosen und Küchenkräuter. Der seitliche Zugang zur Pfalzkapelle ist vermauert, der Altan dient als Jugendherberge. Aber Schmied und Küfer hämmern an den ländlichen Gassen. Der Brunnen fließt über den mit funkelndem Wasser gefüllten Becken am kleinen eingezwickelten Platz, seine Säule zeigt das Wahrzeichen der Stadt: einen Adler mit dem Schlüssel im Schnabel. Das Haus des Bürgermeisters steht am Steingeländer der obersten Gasse. Es sieht recht alt aus mit dem Erkerchen und den ausgetretenen Stufen, doch sein Fachwerk ist fest und schwarz. Ein Gespinst von Legenden webt um die von Strebepfeilern gestützten Kirchen. Bilder dunkeln in der Sakristei, auf den Grabsteinen wächst Moos. Doch vor die Scheuer neben der Stadtkirche knarrt ein Wagen, schwer mit Mais beladen. Und Autos aus allen Städten des Umkreises, aus Ludwigshafen, Darmstadt, Heilbronn parken vor dem Mathildenbad, das sich dem hochgelegenen Kurgarten anschließt. Die Fernsicht von der Terrasse ist für die kaffeetrinkenden Besucher da. Die Landschaft unten ist wie ein ungeheures Becken, in dem aus vielen Taleinschnitten die Straßen zusammenlaufen. Schlangenmäßig glänzt der Fluß. Die weißen Prellsteine zeigen einen Teil der Landstraße, sie führt aus einem Dorf an einem großen Gutshof vorbei, sie geht durch Wimpfen im Tal, die mitsamt ihren grauen romanischen Kirchtürmen und alten Dächern ganz in das Mauerviereck eingeschlossene Ortschaft. Der Blick schweift über große Fernen. Die Gleichmäßigkeit der Feldereinteilung mit den bunten Vierecken und Dreiecken zwischen den Wegen, dieses Flickenhafte, Parzellenmäßige, wirkt wie die saubere Rechenschaft in einem aufgeschlagenen Buch. Und auf der Hochfläche drüben liegt wie ein Pelz ausgebreitet der Mosbacher Wald.

Im Heidelberger Schloßhof

Jetzt ist die Zeit der Sonnenblumen. Wie stolz flammt der goldgelbe Blätterkranz um die mit dunklen Kernen ausgefüllte Scheibe. In den Bauerngärten standen sie einst wie Märchenbäume. Ihre rauhen, markigen Stengel sind wie Lanzen, bereit, den kommenden Frösten Trotz zu bieten.

Warum sieht man Sonnenblumen nur noch so selten? Über die Zäune der Bauerngärten ragt dünnes, langstengeliges, zitronengelbes Zeug. Dahinter ducken sich die purpurnen Sternchen der Herbstastern, die gelben, weißroten Georginen. In ganzen Büschen und Wäldchen stehen die hageren Stauden. Gewiß, die Bauerngärten sind bunt geblieben. Aber oft sind es nur noch schmale Vorgärten an der Straße; es ist, als hätten sie nicht mehr die derben, echten Blumen. Was sollen diese gebrochenen lila Farbentöne? Manchmal ist es, als stammten sie aus irgend einer Samentüte, mitgebracht aus der Stadt. Selbst die feinen, bescheidenen Reseden sind seltener geworden, auch die Nelken beginnen zu fehlen. Gewiß, sogar Herbstastern können hübsche Farbenblumen sein. Doch manchmal stehen fade, melancholische Sorten dazwischen. Herzhafte Blumen gehören in die Beete, die den Garten mit dem Baumstück verbinden. Vor allem Sonnenblumen. Wir vermißten sie schon am Neckar und auf der Fahrt von Wimpfen nach Heidelberg (78,9 km) zurück. An der Landstraße, die den Neckarbogen abschneidet, stand der Mais. Üppig standen die hochsommerlichen Tabakfelder. Ochsenfuhrwerke zwangen uns zum Stehenbleiben. Auf den Äckern gingen braune Pferde, ihre silberblonden Mähnen wehten, vor dem Pflug. Wir jagten ohne uns aufzuhalten durch das liebliche Solbad Rappenau, an Sinsheim vorbei und kamen nach Neckargemünd, durch einen Torbogen, der schon fast so stattlich war wie das Heidelberger Karlstor.


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