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Der Rheingau.

Wir finden das reizend und warm gelegene Schlangenbad in voller Vorbereitung für die Kurzeit. Alle Fensterläden sind hochgezogen, die Zimmer nach der langen Winterruhe geöffnet, die Betten und Teppiche auf den Veranden ausgelüftet. Tische und Stühle stehen schon im Freien, die Gärten stehn in Blüte, die Waldwege, soweit sie noch Zugänge in die Tiefe der Wälder sind, sind gefegt. Nun fährt der Wagen das Tälchen hinab. An der Straße liegt das alte Schmalspurgeleise. Der Weg geht an Mühlen, an Wiesen mit Schafherden und an Waldsäumen entlang; er führt über eine niedere Paßhöhe. Es ist wohl kaum eine Viertelstunde Fahrt bis in die freundlich geöffneten Straßen von Eltville (50,1 km), die nach dem Rande zu aus gelben und rosafarbenen Ziegelhäusern bestehen. Über die Gartenzäune hängen Flieder, Goldregen und Rotdorn in südlicher Pracht. Wir stehen an einem Kreuzweg, vor einer Auswahl von Landstraßen in den Rheingau.

Eine, die alte Landstraße, kaum höher als die grünen Auen des Rheinufers, führt an der Lehne der Weinberge entlang, an Zehntausenden, Hunderttausenden von Weinstöcken hin, die sich in immer neuen schnurgeraden Reihen dem Beschauer zuzuwenden scheinen. Hier sprossen, erst am Boden sichtbar, die Rebenpflanzen und schlucken die kräftige Sonne. Von Eltville, das früher Elfeld hieß, bis Erbach und bis Hattenheim dehnt sich an der Landstraße die lange schützende Mauer. Sie erinnert an das Gebück, das einst den ganzen, vor allen deutschen Gauen als Königsbesitz ausgesonderten, fast italienisch warmen Rheingau vor der Habgier der Nachbarn und der umherziehenden Kriegerscharen schützte. Das Gebück war eine mit lebenden Baumstümpfen solid in den Boden gerammte, mit ihren Zweigen dicht und kunstvoll geflochtene, unübersteigliche Hecke. Man kann es in seiner Urform noch auf der Saalburg bei Bad Homburg sehen. Die Weinbergmauer, an der wir entlang fahren, hat nur an einer einzigen Stelle eine Nische. Dort steht der vor zweihundert Jahren in rotem Sandstein erneuerte Brunnen, der die Grenzmark des Gemeindebesitzes bezeichnet. In der Nachbarschaft dieses Brunnens wächst ein Wein von ausgezeichneter Art und Berühmtheit, der Markobrunner.

Unsere Wochenendfahrt ist nicht als Weinreise gedacht, aber werden wir der Versuchung widerstehen, in einem dieser Rheingaudörfer einzukehren, deren lange schmale graue Gassen wir in der Richtung des Rheins durchfahren? Da ragt an einem Hoftor der Besen in die Luft. Hier ist eine der Straußwirtschaften, die einem der kleineren Winzer gehören, die von uralten Zeiten her das Recht haben, ihr Gewächs an Gäste auszuschenken. Sie benutzen für diesen Zweck ein mit einfachen Tischen und Bänken hergerichtetes Zimmer ihrer Wohnung oder auch das Höfchen, oder einen Winkel des Gartens. Man tut gut, sich zum Glas Wein, das man in friedlicher Gesellschaft austrinkt, ein paar Wecken vom Dorfbäcker, vielleicht auch ein Viertel Leberwurst mitzubringen. Das ist nicht gerade die Art, wie Autoreisende sonst einzukehren gewöhnt sind, und wir möchten vom Besuch der lustigeren Rheinterrassen nicht abraten, die sich an die geräumigeren, beschatteten Gärten, an die mit Kies bestreuten Vorplätze der berühmten Gasthäuser in Eltville, Oestrich, Hattenheim, Geisenheim oder Rüdesheim anschließen.

Zumal dort der Blick auf die breite Fläche des Stromes und auf das Leben, das sich immerwährend an ihm abspielt, noch hinzukommt. Stolz fahren die weißen Personendampfer vorüber. Die schwarzglänzenden, mit den Farben ihrer Reedereien gezierten Schlepper ziehen rüstig ein halbes Dutzend Schleppkähne an eisernen Fäden hinter sich her. Die runden dicken Wellen, die am Bug dieser Fahrzeuge entlanggleiten, breiten sich zu flacheren Schleppen aus, auf denen es schön ist, im Kahn zu tanzen.

Herrlich ist die Breite des Rheins bei Walluf. Russische Kriegsgefangene begrüßten einst hier den Strom mit ihren choralartigen seligen Liedern vom Dnjepr, von der Kama und der Wolga. Hier hat das Bild des Rheins seine Größe, und die schmalen, langen, bewaldeten Inseln sind doch geräumig genug, um von Gutsherrschaften und Bauern bewohnt zu werden. Diese Auen liegen wie ankernde Floße in der silberhellen, strömenden Breite. Über den Strom hinweg sieht man schon die Rochuskapelle auf der Anhöhe drüben; fleischrot leuchtet der Steinbruch davor. Im Strom kommen immer wieder Schiffe, diesmal ein Kahn mit breiten rotblauen Streifen um das Heck, und auf dem Heck die Wohnhütte, kreideweiß, mit Blumentöpfen an der Fensterluke.

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Aber wir können in Eltville auch die andere, die höhere Landstraße wählen, die über Kiedrich (53,4 km) fast am Saum des Gebirges entlangführt und den Blick in die Weite des Tales freigibt. Kenner und Liebhaber des Rheingaues nennen dieses tausendjährige Kiedrich eine Perle. Seine Pfarrkirche mit ihren glühenden Glasfenstern, mit ihrer berühmten Orgel ist eine Insel der Gotik. Ein Engländer hat sich so sehr in das abseitige Nest verliebt, daß er sich dort niederließ und ein Vermögen dafür ausgab, das Städtchen auszuschmücken und seine Kirche wieder instandzusetzen. Der Ort nimmt sich von der Autostraße her genau so hübsch aus, als ob man auf einem Feldweg zu ihm käme.

Von Kiedrich geht die schattenlose Landstraße über die von Feldern und Weingärten bedeckte Höhe an der ummauerten Anstalt Eichberg vorbei. Dann ist es nur noch eine Kurve am Wald, und man steht vor dem goldgekrönten Bild der Muttergottes über dem Portal des Klosters Eberbach (56,5 km). Fischteiche und Gärten mit dunklen Ziertannen und Taxushecken umgeben die tiefer gelegene Abteikirche. Maurer und Steinmetzen sind an der Arbeit, das gotische Maßwerk des Seitenschiffes wiederherzustellen und eine innere Mauerwand zu entfernen, die den entweihten Raum in Schuppen und Vorratsräume aufteilte. Die Zugangsstraße, die quer durch die Halle zu den Innenhöfen des Klosters führt, liegt höher als der einstige Boden der Kirche.

Altes Haus an der Gasse in Kiedrich

Im übrigen ist das Klostergebäude, das einmal eine wahre Kaserne geistlicher Landarbeiter war, im Besitz des preußischen Staates, der nun den Besitz als Domäne bewirtschaftet. Auf der luftigen Terrasse stehen die weißen Tische und Stühle. Man kann die Hallen besichtigen, die über die Brücken und Zugänge her zu betreten sind. Im einstigen Dormitorium, dessen Gewölbe noch barocke Bemalung zeigt, liegen Eicheln in großer Fläche ausgebreitet, Futter für die Wildschweine, die ja dem Kloster seinen Namen gegeben haben. Noch immer werden ein paar Eber im Graben gehalten, man beobachtet die Freßgier und die Eifersucht dieser struppigen Bestien, wenn man ihnen von der Brücke herab ein wenig Atzung zuwirft. Es gibt für die hinabgeworfenen Eicheln einen besonderen Trichter und eine Röhre, die wie ein Dachkändel unten vor der Behausung der Tiere endet.

Sagen und Anekdoten umranken die reiche Geschichte des Klosters. Die Weinversteigerungen, die dort noch jedes Jahr Ende Mai stattfinden, gehören zu den besuchtesten im Rheingau. Dann sitzen auf den strahlenförmig geordneten Bänken des Refektoriums die Händler und Kommissionäre als ernste Weinkenner an den mit Gläsern bedeckten Tischen. Sie lauschen dem Versteigerer, wie einst die Mönche dem Wort des Predigers. Im Keller darunter soll jene hübsche Geschichte von den beiden Mönchen vorgekommen sein, die sich über den Geschmack einer Weinsorte nicht einig werden konnten. Der eine glaubte mehr einen Nebengeschmack von Eisen, der andere Leder herauszuspüren. Bis sich dann, als das Faß leer war, herausstellte, daß ein Schlüssel an einem Lederbändchen in das volle Faß gefallen war. So behielten die Kenner beide recht.

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Wir fahren nach Hattenheim (54,5 km) hinunter, das mit seinem Schloß Reichartshausen ehedem ein Weinlagerplatz für das Kloster Eberbach war. Es gibt hier mitten im Ort den alten, burgartigen Gutshof der Langwerth von Simmern, die noch zu den großen Weingutsbesitzern des Rheingaues gehören und an einem Teil des Jahres hier ebenfalls nach altem Herkommen eine Straußwirtschaft betreiben. Um nicht gegen viele andere Gasthäuser des Landstrichs ungerecht zu sein, wollen wir die Namen der Krugwirtschaft und des benachbarten Hotels am Rhein nicht nennen, die uns auf der Zunge liegen, aber in beiden gibt es außer gutem Wein auch den behaglichen Aufenthalt in der getäfelten Wirtsstube. Unter den »großen Sorten«, die man hier mit Zutrauen trinken kann, wird man dem Markobrunner begegnen, um dessen Hervorbringung Hattenheim und das benachbarte Erbach sich streiten. Der Wein jedenfalls, den man hier bekommt, ist rein. Die Wochenendfahrt in den Rheingau ist unversehens doch eine Weinfahrt geworden. Wir werden uns das nächstemal mehr an das Wasser halten.

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Keine Gegend Europas ist so dicht mit mineralischen Quellen punktiert wie das Rheinland. Es sind heiße Sprudel und warme Wildbäder, kalte Stahlbrunnen, und schäumende Sauerwasserbrunnen mit perlendem Wasser. Es handelt sich da gleichsam um ein anderes, quergestelltes Land der Gewässer, das nur in der Mitte von dem vielgeschmückten Strom durchzogen ist. Unter den launisch gebogenen Flüssen und Bächen, die zu ihm hingehen und Himmel und Hügel spiegeln, sind tief in der Erde die kristallenen Grotten, die von ewigen Feuern geheizten Schichten. Aus dumpfen Brunnenkammern steigen die Wasser, mit den Kräften der Erde gesättigt, empor. Tief im Unzugänglichen muß es viele solcher Höhlen und Grotten geben, in denen Seen und Ströme sich sammeln und unter dem geheimnisvollen Druck der Erdrinde Raketen von Wasser emporsenden. Von den schwefligen Ablagerungen ältester Vulkane, von den Erzlagern, von Ton und Kalk haben sie ihre Beimischungen, ihren schwefligen, salzigen und bitteren Geschmack, ihre Gase, ihre rostigen und erdigen Teilchen. Niemals würden wir von den verborgenen Schätzen erfahren, wenn nicht das Wasser sie verriete. Durch seine Temperaturen zeigt es die Tiefe dieser Lagerstätten an.

Das Gebiet der rheinischen Heilquellen reicht von den Ardennen bis zum Taunus, bis zum Vogelsberg und zum Spessart hinüber. Es beginnt am Niederrhein. Es greift an den Abhängen des Schwarzwaldes entlang und bis in die Alpen hinein. Dieses ganze Land ist ein Land der geologischen Geheimnisse. Sie sammeln sich besonders dicht am Rheingau, im Bereich des Weinbaues. Der Mittelrhein ist ja der mächtige Durchbruch des Stromes durch ein Schiefergebirge, das jetzt zwar mit steilen, zerrissenen Wänden in den Strom abfällt, aber oben längst zu ruhigen Flächen ausgeglichen ist. Zu diesem Gebirge gehören die hochgehobenen, rauh durchfurchten Schrägflächen des Hunsrücks, die mit Heide und kargen Äckern bedeckten Rücken des Westerwaldes, die schön geflochtenen Gipfelketten des Taunus, die wogenden Höhen des Odenwaldes. Es wird eingefaßt von den mit tiefen, klaren Seen ausgefüllten Kraterhöhen der Eifel und von dem stillen Vogelsberg, dem toten Vulkan, auf dessen Triften die wild umhergeschleuderten Basaltblöcke liegen. In allen diesen Gebirgen fließen die Quellen. Über den stärksten dieser Quellen sind Ortschaften entstanden, von denen viele schon in ihrem Namen den Hinweis auf das Wasser, das Salz oder das Bad enthalten. Wiesbaden und Aachen sind durch ihre Heilbrunnen die volkreichen Städte geworden. Andere Quellenorte sind klein geblieben wie Nauheim oder Homburg, wie die alten Reichsdörfer Soden und Sulzbach im Taunus oder auch wie Schwalbach und das kaum noch genannte Selters. Da sind die Kurhäuser, die Brunnen, die Heilanstalten, die Gasthäuser, die Ärzte und die Gärten. Da sind Musik und Spiele. Aber auch Bahnhöfe, Autohaltestellen, Fabriken. Alle leben vom Wasser und setzen viele Berufe in Nahrung.

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Wir versprachen uns diesmal mehr an das Wasser als an den Wein zu halten. Wir bleiben noch auf der Landstraße, die das rechte Rheinufer begleitet. Da wir von dem Gebück erzählten, das in alter Zeit den reichen Sondergau des deutschen Königs, eben den Rheingau, umgrenzte, so soll nachgetragen werden, daß Spuren dieser lebenden Mauer noch heute in dem urwaldähnlichen Gehölz zwischen Erbach und Hattenheim zu finden sind. Man kann dort an alten, schon angefaulten Knorren sehen, wie einst das Geäst und Gezweig der eingepflanzten Buchen so kunstvoll gebunden und verflochten war, daß es kein Hindurchkommen gab.

Auf Hattenheim folgen die miteinander längst zu einer einzigen Ortschaft verschmolzenen, schon den Römern wohlbekannten Dörfer Oestrich und Winkel. Das von Beetgärten und Obstspalieren breit umgebene Geisenheim (63,8 km) schließt sich an, und nun fahren wir an den Glaskästen und Veranden entlang, mit denen Rüdesheim (65,7 km), ganz zum Rhein hingewendet, sich der Aufmerksamkeit und der Einkehr der Ausflügler empfiehlt, die an jedem einigermaßen freundlichen Frühlingstag die Rheindampfer in Scharen besteigen. Diese Rheindampfer! Sie haben ihr eigenes Leben, ihr besonderes Gemisch von Realismus und Seligkeit. Seitdem es Dampfer gibt, dient ein Teil der Dampfschiffahrt auf dem Rhein dem Vergnügen und der Bequemlichkeit reisender Menschen. Es sind breite, weiße Schiffe mit klatschenden Schaufelrädern. In den flachen, winddurchwehten, durch Glasscheiben geschützten Hallen des Vorderschiffs sitzt es sich nicht weniger angenehm als in den wärmeren Regionen des Hinterschiffs an den weißgedeckten, mit Batterien von Weinflaschen besetzten Tischen. Mittschiffs aber, wo an den Stationen das Aus- und Einsteigen, der Anschluß an die Landungsbrücke sich vollzieht, ist um das Maschinenhaus herum die reizvolle Enge der schmalen Durchgänge mit den Kammern und Aussichten an der Seite, und es vermischen sich hier die lockenden Gerüche der Küche mit dem schweren Dunst von Stahl und Öl aus der Tiefe des Maschinenraums. Draußen aber duftet das Wasser, das Holz und der Teer.

Wir fahren rasch durch Rüdesheim, an dem schmalen Saum des Bergvorsprungs entlang. Oben liegt, von dem gegenüber aufgestellten Mäuseturm beobachtet, in kahlen felsigen Weinbergstufen die Ruine der Burg Ehrenfels. Diese längst zerbrochene und verlassene Burg ist einst die wohlbewachte Schatzkammer der Erzbischöfe von Mainz gewesen. Bankschließfächer gab es damals noch nicht. Wenn man einmal nachforschte, welchen einzelnen Zwecken die Burgen dienten, deren Trümmer in unendlicher Kette den Rheinstrom begleiten, man käme auf manche Spur kleinstaatlicher Politik der winzigen Fürsten und Grafen, die einst das ganze üppige Rheinland als das Spielfeld ihrer Interessen betrachteten und sich um den Sinn des Rheines wenig kümmerten, die große Schlagader eines mächtigen Reiches zu sein.

Fast zu einem Dreieck gestaltet, mit der Spitze in das Tal hineingezogen, in das der Wanderer hinabsteigt, wenn er von Rüdesheim her den Gang über die Höhen und die Wälder macht, liegt nun Aßmannshausen (71,1 km) vor seinen schieferfarbenen, mit Reben bepflanzten Hängen. Aßmannshausen, einer der wenigen namhaften Orte des deutschen Rotweins, berühmt durch seine Gasthäuser, hat außerhalb des Ortes eine so starke Mineralquelle, daß es sich lohnte, dort ein Kurhaus in einem hübschen Parkgarten zu errichten. Diese Quellen gehören schon zu der Gruppe starker Solquellen, die an der Nahe, jenseits des Rheines, auch in Kreuznach und in Münster am Stein, aufbrechen. Die Aßmannshäuser Quellen, schon im 15. Jahrhundert erwähnt, waren später durch eine Hochflut des Rheins zerstört worden und in Vergessenheit geraten. Erst seit 1873 sind sie wiederhergestellt.

Unser Ziel ist Lorch (79,4 km). Der Rhein zur Linken erscheint uns als eine leere, breite Wasserstraße. Doch in der Nachmittagsbeleuchtung treten bald wieder die Schiffe farbig und rauchend hervor. Ein Nachen, vollbesetzt mit Frauen, die aus den Weinbergen kommen und weiße Kopftücher tragen, fährt seltsam abgehoben in seinem dichten schwarzen Umriß durch den blendenden Glanz an das andere Ufer hinüber. Vor Lorch liegt im Rhein die langgestreckte, von feierlichen, düsteren Baumgruppen bestandene Toteninsel, die eine Zeitlang als der Ort eines nationalen Denkmals ausersehen war. Schon umschließen uns die engen Straßen. Der Bahndamm schneidet Lorch vom Anblick des Rheines ab. Nur ein schmales Vorgelände mit der Allee und den Nachen am Ufer bleibt übrig. Von den alten hier aufgereihten Häusern ist das in gotischer Zeit gebaute Hilchenhaus das reichste und prächtigste noch heute. Die ansteigende Gasse daneben erinnert an einen italienischen Gebirgsort. Doch die Trinkstube mit ihrem schweren Gewölbe und ihrem behaglichen Gestühl könnte nicht deutscher sein – kühl und schattig im Sommer, im Winter durch ihren Ofen und ihre in die Winkel eingebauten Eichentische eine herrliche Zuflucht vor den Stürmen und dem Schneetreiben des Rheintales.

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Dieses mittelalterliche Lorch mit seinen Gassen, die ein wenig in das Tal und über die Mündung des Wisperbaches hinweggebaut sind, liegt zwischen Bergkuppen, von denen die eine immer wieder einmal durch einen Erdrutsch die Häuser gefährdete. Das Tal aber, das sich hier mit schmalem Zugang öffnet, um tief in den Taunus hineinzuführen, gehört zu den stillsten und schönsten, die der Frankfurter Rundhorizont aufzuweisen hat. Die Landstraße geht am Boden dieses Tales fast ununterbrochen an Wäldern und Wiesen hin. Eine Zeitlang wird sie von einem Schmalgeleise begleitet, auf dem kleine Rollfuhrwerke, von Pferden gezogen, den Transport von Baumstämmen besorgen. Ohne Stadt, ohne Industrie ist dieses Tal mit seinem klaren, oft von Erlen bestandenen Bach. In dem Wisperwind, der diesem Tal den schönen Namen gegeben hat und der als kühler Fallwind gegen Abend von den Wäldern niedersinkt, um gegen den Rhein zu verströmen, weht ein Hauch des Volksliedes vom kühlen Wiesengrunde. An der Seite der gut gehaltenen Landstraße steht nur selten ein Landhaus. Ungefähr in der Mitte des Tales, das von Lorch bis Schwalbach 33 Kilometer mißt, liegt die Laukenmühle (70,5 km über Schwalbach) mit ihrem moosgedeckten Schieferdach. Über ihr die kleine verfallene Laukeburg, einst wohl der Sitz eines Ritters, der an Gütern nicht eben reich, in seiner Wehrkraft nicht bedeutend, mit seiner weltverlorenen Lage aber vielleicht nicht unzufrieden war. Einmal wird der Anstieg in das Gebirge von einem einsamen Dorf unterbrochen, dessen Fachwerkhäuser die gebogene Straße säumen. Dann geht es auf einer herrlichen Kurve die Höhe hinauf, und von den Wäldern da oben, nach der Wegkreuzung mit der nach Ems führenden Landstraße, sinkt die Fahrt in den Talkessel nach Schwalbach hinunter.

Wandelhalle des Weinbrunnens in Bad Schwalbach

Ein Engländer beschrieb vor hundert Jahren die Straße über dem Taunus, die wir hier erreichen, als eine der schönsten, die er kenne. Sie hieß die Bäderstraße. Damals ging die Postkutsche durch die Wälder von Wiesbaden nach Schwalbach, durch Hochwald und nun über die Kemeler Heide in das Lahntal nach Nassau und Ems hinab. Den selben Weg fährt heut wieder der Postomnibus. Jetzt lockt uns mit seinen Häuserreihen in schmale Täler ausstrahlend Bad Schwalbach (52 km) wie ein Stern.

Schon vor dem Dreißigjährigen Krieg war dieses Schwalbach wegen seiner kohlensauren Eisenquellen sehr bekannt. Es gibt von Merian das Bild des Städtchens und seines offenen Badehauses mit den gemeinsam Badenden. Man nannte mehrere Brunnen, den Ehbrunnen, den Brodelbrunnen, den Weinbrunnen, jeder hatte seinen eigenen Ruhm. Und heute wie damals ist Schwalbach das Bad für Blutarme, für Rheumatiker, für Frauen. Von Blumenbeeten weit umgeben sind die Bauten des Kurviertels. In den Tannen des Paulinenberges erhebt sich hell und stattlich das neue Gastgebäude. Es schaut von hoch oben auf den im schlichten Stil eines vergangenen Jahrhunderts errichteten Bau des Stahlbadehauses und auf die Trink- und Wandelhalle des Weinbrunnens hinunter. Eine doppelte Allee führt zu dem Weiher und zu den Wiesen der Anlagen.

Wälder umwogen diesen Ort wie ein ungeheures Meer. Man muß nicht krank sein, um nach Schwalbach zu kommen. Die Höhenluft, der reine Hauch dieser Wälder, die Liegestühle im Park, die große Auswahl der Spaziergänge machen Bad Schwalbach zu einem höchst erquicklichen Aufenthalt.


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