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Die Versucherin

Drei Monate waren vergangen. Der Winter war vorüber. Überall in den Bergen, in den Schluchten und in den Wash-outs ertönte das Rieseln, Plätschern und Rauschen des Schneewassers, das zu Tale rann. Noch wehten des Nachts zuweilen rauhe und kalte Winde. Doch an den windgeschützten Stellen, die am Tage von der warmen Sonne beschienen waren, keimte zwischen den braunen Halmen, die jetzt niedergedrückt waren, bereits das junge Gras. Auch in den Schluchten schimmerte hier und dort an Busch und Baum schon ein zartes, duftiges Grün.

Das Wild lief in Paaren. Krähen und Elstern bauten geschäftig ihre Nester, – und auf manchem Platz in den Bergen, wo während der langen Wintermonate kaum ein Laut die Stille durchbrochen hatte, erklang nun vom Morgen bis zum Abend frohes Vogelgezwitscher.

Besonders lebhaft war es am Fuße einer Felsenkette, die sich von Norden nach Süden erstreckte. Dort war ein Bach, der jetzt stark angeschwollen war, durch Biber immer wieder abgedämmt worden. Er hatte sich in viele Arme geteilt und bildete so gleichsam einen großen See, bevor er durch eine schmale, bewaldete Schlucht seinen Weg brausend fortsetzte. Hier lag eine mit Buschwerk, langem Schilf und Gras bewachsene Insel bei der anderen. Unzählige Enten hatten hier ihre Brutstätte erwählt. Sie flogen laut schreiend hin und her und ließen sich bald hier, bald dort nieder.

Plötzlich erhob sich die ganze Schar unter ohrenbetäubendem Lärm. Gleich darauf krachte ein Schuß. Zwei Enten fielen getroffen herab, während die übrigen einen weiten Bogen durch die Luft beschrieben und dann auf ihre früheren Plätze zurückkehrten. Aus einem Busch am Rande des Sees tauchte ein Mann empor. Er trug eine Flinte in der Hand. Er eilte auf die Stelle zu, wo er die erlegten Tiere vermuten durfte, und fand sie auch sofort, da sie auf eine kleine, mit kurzem Gras bedeckte Fläche gefallen waren.

Er nahm sie schnell auf und sagte vor sich hin, indem er sich umblickte: »Wer mag die Gesellschaft aufgescheucht haben? Ein Mensch muß in der Nähe sein.«

»Richtig geraten!« fuhr er lachend fort und schritt auf ein Buschwerk zu, das sich bis zu der Schlucht erstreckte. In ihm kam soeben ein Mann hinter einigen höheren Büschen zum Vorschein, der ebenfalls suchend umherspähte.

»He, Tom Collins! Hier bin ich, wenn Ihr mich sucht!« rief er.

»Hallo, Ben Körber! Ja Ihr sollt es sein!« gab der Indiantrader zurück. »Ich war schon in Eurem Turm. Da ich Euch dort nicht fand, dachte ich mir, daß ich Euch bei Euren Bibern antreffen würde.«

»Mit dem Biberfang ist es bis zum Herbst vorbei«, sagte der Trapper, als die Freunde beieinander waren und sich die Hände geschüttelt hatten.

»Vor einer Woche fing ich den letzten, und dessen Fell taugte nicht mehr viel. Jetzt ist das Wasser auch überall zu hoch, und eine günstige Stelle für die Falle ist schwer zu finden. Ich habe mein Fangzeug für die Sommerrast schon vorbereitet, geölt und beiseite gelegt. Heute habe ich mir hier,« – er hob seine Jagdbeute triumphierend empor – »einen Entenbraten geholt, der uns beiden schmecken soll.«

»Es ist eigentlich grausam, daß man die Tiere von ihren Eiern fortschießt. Wenn man sich aber den ganzen Winter über einundzwanzigmal in der Woche mit Hochwildfleisch begnügt hat, sehnt man sich auch einmal nach etwas anderem. In der kurzen Zeit des warmen Frühlingswetters sind die Tiere schon merkwürdig fett geworden. – Kommt mit zu meinem Heim!«

»Ja in der letzten Zeit ist es herrlich!« sagte Tom Collins und schaute entzückt über den See, während er dem Freunde folgte.

Im Westen, Norden und Osten stiegen Berge an, die im hellen Sonnenschein lagen. Ihre zum Teil noch schneebedeckten Kuppen hoben sich scharf vom blauen Äther ab.

»Im Winter, wenn Eis und Schnee alles wie mit einem Leichentuche überzogen hat, auf das dann auch noch meistens der bleigraue Himmel recht trübselig herabsieht, ist es mir oft, als gehöre auch ich unter diese Decke. Mir ist dann, als habe das Leben keinen Wert mehr für mich. Wenn aber im Frühjahr die Natur aus ihrem Schlummer erwacht, klage ich mich an, daß ich mich derartig tiefsinnigen Gedanken hingeben konnte. Dann fühle ich mich wie umgewandelt, wieder jung. An dem Keimen jedes Blattes, jedes Halmes habe ich meine herzinnige Freude.«

»Na! In diesem Winter, wenigstens in den letzten Monaten hattet Ihr, sollte ich meinen, keine Ursache, trübe gestimmt zu sein«, versetzte Ben Körber verschmitzt lächelnd. »Mir scheint es fast, als wenn sich Euer Wunsch erfüllte, und aus Eurem Schützlinge ein vernünftiger Mensch werden wollte.«

»Ihr habt recht!« nickte der Indiantrader und rieb sich vergnügt die Hände. »Ja, es ist wahr. Ich darf die besten Hoffnungen hegen. Mit jedem Tage wird seine Lust zur Arbeit größer. Man sieht ihn jetzt kaum noch eine Minute ohne Beschäftigung. Auch im Lesen und Schreiben macht er wunderbare Fortschritte. Mr. Gloster ist ein wirklich vorzüglicher Lehrmeister in diesen Fächern. Noch gestern sagte er mir, daß er anfangs nur aus Scherz damit begonnen und nie gedacht habe, daß er bei dem Jungen einen derartigen Erfolg erzielen würde. Ich bin überzeugt, er reist nur deshalb noch nicht ab, weil er den Unterricht nicht unterbrechen will. Seine Wunden sind vollständig geheilt.«

»Der hat sich auch sehr zu seinem Vorteil verändert«, meinte der Trapper. »Er ist wirklich ein prächtiger Kerl, den man gernhaben muß.«

»Na! Und meinen Jungen habt Ihr nicht minder in das Herz geschlossen, nicht wahr?« fragte Tom Collins heiter.

Ben Körber blickte schmunzelnd zur Seite. »Wenn ich aufrichtig sein soll, habe ich ihn schon vom ersten Augenblicke an gern gehabt. Das war damals, als ich ihm im Fort Fetterman die Büchse abnahm, mit der er in seiner Wut auf die Soldaten schießen wollte. Er hat etwas an sich, was mich zu ihm zieht. Ja – es ist merkwürdig! Ich weiß nicht, liegt es in seinem Gesicht, in seinem Auge oder in seinem ganzen Wesen. Er scheint mir bekannt; und dennoch sah ich ihn noch nie vorher. – Diese Empfindungen brachten mich schon auf recht sonderbare Vermutungen. Doch – – – fort damit! Ich bin ein alter Narr!«

Beide legten den Rest des Weges bis zu dem Heim des Trappers schweigend zurück. Dieser war in Gedanken versunken, und sein Freund, der es wohl bemerkte, wollte ihn wohl nicht stören.

Ben Körbers Behausung lag unmittelbar am Fuße der Felsenkette vor einem mächtigen Haufen Felstrümmer. Sie hatte wirklich das Aussehen eines Turmes. Sie war schmal und hoch.

Ihr oberer Teil diente zur Aufbewahrung der erbeuteten, in Reifen getrockneten Biberfelle. Obgleich der Trapper spät mit seinem Fang begonnen hatte, füllten die Felle nebst einigen zu Waschleder verarbeiteten Hirsch- und Rehhäuten jetzt dennoch beinahe die ganze obere Hälfte der Hütte aus.

Im übrigen war ihre Einrichtung mehr als einfach. Der Tisch bestand aus einem Brett, das horizontal in einer Ecke bei der Türöffnung befestigt war. Vor ihr hing eine aus Schilf geflochtene, dicke Matte. Ein Holzblock vertrat den Stuhl. Zur Linken der Feuerstelle, die aus Feldblöcken, Steinen und Lehm erbaut war, lagen Sättel, Decken, Büffelfelle und Kleidungsstücke. Auf der rechten Seite befand sich ein Bort mit Lebensmitteln in Blechbüchsen und Säckchen und darunter eine Anzahl Kochgeräte, Näpfe und Blechgeschirre. Sämtliche Fallen waren nun auch noch in einer Ecke aufgeschichtet. So blieb für einen einzelnen Menschen kaum ein genügender Platz, wo sich Ben Körber nachts in seine Decken gehüllt, niederlegen konnte.

»Spottet nur!« sagte er zu seinem Freunde, der lächelnd einen Blick in den kleinen Raum warf. »Meine Hütte hat ihre unbezahlbaren Vorteile. Erstens läßt sie sich rasch durchwärmen, und dann bewahrt sie mich vor lästigen Besuchern: arbeitsscheuen, faulen Herumtreibern, Cowboys, die im Winter beschäftigungslos sind, und derartigem Gesindel, das von der Gastfreundschaft der wenigen Seßhaften im Lande lebt. Früher wurde ich sehr oft von solchen Leuten überlaufen. Einer schien es dem anderen zu sagen, daß ich ein gutmütiger Kerl bin. Dann richtete ich mich klein und bescheiden ein und beleidige nun keinen ungebetenen Gast, wenn ich ihn wegen Raummangel wieder fortschicke.«

»Ja, ja! Es ist wahrlich nicht angenehm, von solchen Leuten heimgesucht zu werden, die einem häufig mit der größten Unverfrorenheit wochenlang zur Last fallen«, erwiderte der Indiantrader. Beide hatten sich vor der Hütte auf zwei Holzblöcken niedergelassen, die dort zum Zerkleinern bereit lagen. Sie begannen, die zwei Enten zu rupfen. »Säße ich nicht so versteckt in meinem Fuchsbau, so würde meine Behaglichkeit auch oft genug durch sie beeinträchtigt.«

Eine längere Zeit stockte die Unterhaltung. Dann hub Ben Körber zuerst wieder an:

»Es ist merkwürdig, wie die Erinnerung an längst vergangene Zeiten plötzlich in uns wieder auftauchen kann. Mir erging es vorhin so, als wir von Eurem Schützling sprachen. – Na! es ist erklärlich, daß er Vergangenes in mir erweckt. Ich hatte einst einen Sohn, der heute etwa so alt wie Andrew Brown sein würde, wenn er noch lebte. Er wurde in seinem vierten Jahre mit seiner Mutter bei einem Überfall von Indianern getötet.«

»Du lieber Gott! das war für Euch ein harter Schicksalsschlag«, sagte Tom Collins voller Teilnahme.

»Noch härter, weil ich nicht zugegen war, als das Unglück geschah, und ich im anderen Falle vielleicht beide hätte retten können«, meinte der Trapper mit trauriger Miene.

»Ich war nur wenige Tage abwesend. Als ich zurückkehrte, zeigte man mir die Gräber von Weib und Kind. Mein Sohn war ein aufgeweckter Junge, und schon früh schmiedete ich allerlei Pläne für seine Zukunft«, fuhr er in Gedanken fort. »Bis zu seinem sechsten Jahre sollte er bei mir und der Mutter bleiben, so hatte ich damals gedacht. Dann wollte ich ihn unter die Aufsicht eines Bruders geben, der im Osten ansässig war, und in eine gute Schule schicken. Ich sparte eifrig, damit es mir nicht an Mitteln für seine Erziehung fehlte. Es ist alles anders gekommen. Und der liebe Herrgott hat es wohl sehr weise eingerichtet, daß er den Jungen sterben ließ. Mein Bruder verlor bei einem Eisenbahnunglück das Leben und ich gleichzeitig meine ganzen Ersparnisse durch den Bankrott eines Bankhauses. Ich hätte meinen Sohn, er wäre damals elf Jahre alt gewesen, wieder zu mir nehmen müssen, und was wäre dann aus ihm geworden? Dasselbe, was sein Vater ist: ein nichtsnutziger Fallensteller. Nein, nein! Lieber weiß ich ihn tot.«

»Und dennoch betreibt Ihr euer Handwerk mit Leib und Seele«, warf der Indiantrader ein.

»Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß ich nicht gern Trapper bin. Ist ein freies, ungebundenes Leben inmitten Gottes herrlicher Natur nicht beneidenswert? Aber mit Fallenstellen und Biberfangen wird der Lebenszweck eines Menschen nicht erfüllt. Das ist es, was mir am Herzen nagt. Und heute noch etwas anderes anzufangen, dazu bin ich zu alt. Mir bleibt nur noch ein geringer Trost und fördert meine Tätigkeit. Jeden Cent, den ich eben entbehren kann, spare ich und lege ihn zu den übrigen. Dieser Ertrag meiner Arbeit soll einst nach meinem Tode zu einem guten Zweck verwandt werden. Dann, so hoffe ich, habe ich dennoch vielleicht nicht ganz umsonst gelebt.«

Tom Collins reichte ihm bewegt die Hand. »Weshalb habe ich wohl das sehnlichste Verlangen, Andrew Brown auf den rechten Weg zu führen? O, lieber Freund! Ähnliche Gedanken wie Euch verkümmern auch mir mein Dasein. Der liebe Gott möge geben, daß sich mein Wunsch erfüllt. Dadurch würde ich mir das Bewußtsein erringen können, daß ich nicht ohne Zweck und Ziel lebte. – Ja, ja! Jetzt sind wir beide zu alt, um noch einmal mit Erfolg umzusatteln und dabei nach etwas Würdigem zu streben. Das soll der Mensch von jung an tun; nur dann wird es ihm ganz gelingen. – Wie leicht wurde es mir gemacht. Doch ich spielte mit dem Glück, bis es mir verdientermaßen den Rücken kehrte und ich schließlich nach manchen Irrfahrten hier im Westen Indiantrader wurde. Was hätte bei den glänzendsten Aussichten, die sich mir einst boten, aus mir werden können! Aber mein seliger Vater hat recht behalten! Er sagte mir oft trostlos, wenn ich schon in der Schule meine Pflicht versäumte: ›Aus dir wird nie etwas Tüchtiges, Junge!‹ – Leider kommen viele zu spät zu der Erkenntnis, daß sie ihrem Vater für jeden Schlag, den er ihnen einst gab, von Herzen dankbar sein müßten.«

Ein Räuspern veranlaßte die Freunde, sich umzublicken.

Mr. Gloster trat, sein Pferd am Zügel, hinter der Hütte hervor auf sie zu.

»Ich mochte nicht länger den Lauscher spielen«, sagte er und streckte beiden Männern die Hand hin. »Als ich vor einer Weile kam, wollte ich Euch in Eurer Unterhaltung nicht stören. Nun wurde ich ihr Zeuge, und gewiß nicht zu meinem Nachteil. – O Freunde! Laßt es mich aussprechen, wie es mir ums Herz ist. Mir wurde eines klar – schon kurz, bevor Ihr, Tom Collins, mich in Eure treue, sorgsame Pflege nahmt: Lächerlich, ja erbärmlich denken diejenigen, die voller Dünkel auf ihren Reichtum und ihre Geburt eine höhere Stellung im Leben beanspruchen zu dürfen glauben als diejenigen Mitmenschen, die ihr Brot im Schweiße ihres Angesichtes verdienen.

Doch wer weiß, wenn ich ohne Unfall von der Jagd wieder nach England unter die früheren Verhältnisse zurückgekehrt wäre, ob mir diese Erkenntnis genützt hätte. Im Umgang mit Euch, Ihr beiden, hat sie sich in mir für immer gefestigt. Euer unentwegtes Streben, Tom Collins, den halbwilden, trotzigen Burschen zu einem Menschen zu erziehen, hat mir die Augen vollends geöffnet. Ich merkte auch mir manches Wort, das ihm galt. Und Eure emsige und wahrlich nicht leichte Tätigkeit in Wind und Wetter, Ben Körber, deren edler Zweck mir nun auch bekannt ist und mich Euch doppelt zu achten zwingt, hat das seine dazu getan. Gottlob! Ich bin noch jung genug, um nachzuholen, was ich versäumte. Die Lust zur Arbeit fühle ich in mir. – Morgen will ich zurück zum Fort Fetterman und dann unverzüglich nach England weiterreisen. Dort will ich mir eine Lebensaufgabe suchen, und ich will mich mit allen Kräften bemühen, sie zu erfüllen, eingedenk der Erfahrungen und guten Lehren, die ich hier empfangen habe. Meine Freunde werden darüber wahrscheinlich noch mehr Ursache haben zu staunen, als über meine breiten Narben auf Schulter und Arm,« fügte er lächelnd hinzu.

»Euren Entschluß in Ehren! Doch Ihr befürchtet wohl, daß Ihr ihn bereuen könntet, weil Ihr so plötzlich aufbrechen wollt,« meinte Tom Collins schmunzelnd. Dabei überreichte er dem Trapper die mittlerweile von ihm gerupfte und ausgenommene Ente. Der salzte sie mit der seinigen und legte beide in einen schon bereitstehenden Kessel, den er auf ein Feuer stellte, das er schnell entzündete.

»Ist es der Fall,« fuhr Collins dann fort, »so will ich Euch nicht halten. Sonst geduldet Euch noch wenige Tage, dann reiten wir zusammen. Auch meine Erholungszeit ist zu Ende.«

»Und mich könntet Ihr gleichfalls mitnehmen,« sagte Ben Körber. »Mit meiner Fallenstellerei bin ich fertig, wie ich schon vorhin erwähnte. Ich möchte nur noch die Gegend etwas abstreifen und mich nach einer anderen Stelle umsehen, die zum Fang geeignet ist. Ich möchte im nächsten Winter nicht wieder gezwungen sein, zu feiern, wenn sich hier die Arbeit nicht mehr lohnt.«

»Ich warte natürlich gern, bis Ihr mich begleitet,« erwiderte der Engländer. »Nein, nein, Tom Collins, seid ohne Sorge! Was ich mir einmal vorgenommen habe, setze ich auch durch. Es geschah bisher allerdings immer nur, wo mein Vergnügen in Frage kam. Nun aber werde ich beweisen, daß ich es auch im Ernste des Lebens vermag.«

»All right!« lachte der Trapper. »Bringt Euren Gaul dorthin zu dem meinigen und zu dem unseres Freundes Collins,« – er zeigte nach der Schlucht, wo mehrere Pferde weideten – »und dann setzt Euch zu uns. Ich lade Euch hiermit feierlichst zum Geflügelbraten ein.«

Mr. Gloster zog lächelnd den Hut und verneigte sich tief. »Gentlemen! Es wird mir eine hohe Ehre sein, mit Euch zu speisen,« entgegnete er scherzend. Schnell führte er sein Pferd hinweg.

»Seht! Da haben wir, ohne es zu wissen, ein gutes Werk getan,« sagte Ben Körber heiter. »Der wird seinen Vorsatz durchführen, dessen bin ich sicher.«

Der Indiantrader nickte schmunzelnd. »Vielleicht sind wir doch nicht solche nutzlosen Kerle, wie wir uns einbilden, he? – Und unseren Jungen habt Ihr nicht mitgebracht?« wandte er sich an den zurückkehrenden Engländer.

»Er ritt mit mir fort, hierher. Aber auf meinen Wunsch macht er einen Umweg durch die südlichen Berge«, erwiderte Mr. Gloster, indem er bei den beiden Männern Platz nahm. »Gestern, auf der vergeblichen Jagd nach einem neuen Wild für unseren Unterhalt, glaubte ich, einen Indianer gesehen zu haben. Ich erwähnte es nicht weiter, da ich es nachher für Täuschung hielt. Heute morgen aber – ich hatte gerade einen Rehbock erlegt – erblickte ich deutlich nur etwa zwanzig Schritt vor mir wieder ein rotbraunes Antlitz, das zwischen zwei Felsen hervorlugte. Ich tat, als hätte ich es nicht bemerkt, und ging langsam auf jene Richtung zu. Als ich bei den Felsen anlangte, sah ich jemanden eilig fliehen, und – dieses Mal täuschte ich mich nicht – es war ein Indianermädchen.«

»Ein Mädchen?« wiederholten die beiden Freunde erstaunt.

»Ja – ein Mädchen! Ich dachte, daß auch deren Angehörige vielleicht in der Nähe weilten, und durchstreifte einen Teil des Geländes. Ich konnte jedoch keine Spur von ihnen entdecken. Auch das Mädchen war verschwunden. Als wir nun hierher ritten, schickte ich Andrew Brown mit der Weisung fort, er solle nach ihnen ausschauen. Er meinte, daß das rote Volk möglicherweise schon das Winterlager verlassen habe und auf dem Wege nach den Sommercamps sei.«

»Das wäre sehr früh!« sagte Tom Collins nachdenklich. »Gewöhnlich pflegen die Indianer nicht eher aus ihren Winterdörfern fortzuziehen, bis das junge Gras überall und hinreichend wächst. – Sie hegen doch nicht etwa wieder Kriegsgelüste?«

Ben Körber lachte. »Na! Ich sollte meinen, die wären ihnen vor drei Monaten gründlich vergangen. Die Zahl war nicht gering, die das Militär seinerzeit zu den glücklichen Jagdgründen sandte. – Nein, nein, Freund! Derartige Aussichten sind ausgeschlossen.«

»Ihr vergeßt, daß damals nur der Stamm der Arrapahoës, der in den Bad-lands hauste, beteiligt war. Auch die Crows und Cheyennes wohnen nicht weit von hier. Sie haben sich seit zwei Jahren merkwürdig ruhig verhalten. Das ist für das kriegslustige rote Volk eine lange Zeit.«

»Allerdings!« nickte der Trapper. »Dennoch glaube ich, daß die völlige Niederlage der Arrapahoës ihren Eindruck auch auf sie nicht verfehlt hat. Sie werden daher wenigstens vorläufig den Frieden vorziehen.«

»Ich will es schon meines Handels wegen hoffen,« versetzte der Indiantrader. Dann brachte er das Gespräch auf den bevorstehenden Aufbruch und verwunderte sich darüber, daß sein Schützling so lange ausbleibe.

Der Bursche befand sich nicht weit entfernt. Mr. Gloster war sehr langsam hergeritten, da er den herrlichen Frühlingstag genießen wollte und die Gebirgslandschaften anschaute, die ihm heute doppelt reizvoll erschienen. Andrew jedoch trieb sein Pferd auf den Wegen durch die Berge, die er gut kannte, zu größter Eile an.

So traf er gleich nach dem Engländer bei Ben Körbers Heim an. Er befand sich jedoch auf dem Gipfel der Felsenkette. Dort ließ er seinen Gaul zurück, kletterte in einem Spalt herab und zwischen die Felstrümmer hinter der Hütte. So belauschte er die beiden Männer, die soeben die Enten zu rupfen begannen. Obgleich er sich mit Ben Körber einigermaßen ausgesöhnt hatte, traute er ihm dennoch nicht recht. Als er nun hörte, wie jener traurig von seinem Sohne und seinem Weibe sprach, die ihm von Indianern getötet wurden, überkam es ihn wie Mitleid. Ihm wurde verständlich, daß der Trapper dem roten Volke nicht wohl wollte, wie er aus manchen Äußerungen erfahren hatte. Er verstand jetzt auch, warum Ben Körber auch ihm, wohl wegen seiner Abstammung von den Indianern, mißtraute. Er fühlte das sehr gut heraus, wenn es jener auch stets zu verbergen trachtete.

Und Ben Körber hatte seinen Sohn in eine Schule schicken wollen? Tom Collins hatte ihm erzählt, daß man dort viel lerne, außer Lesen und Schreiben noch manches andere. Das war gewiß schön. Er dachte mit Vergnügen an das, was er bereits durch den Engländer gelernt hatte, und er empfand ein mächtiges Verlangen, noch mehr, immer mehr zu wissen. Ach! Wenn doch auch er eine Schule besuchen könnte!

Ein großer Felsblock entzog Mr. Gloster, der dem Gespräch der beiden Freunde lauschte, seinen Blicken. Noch bevor der Engländer zu ihnen trat, erklomm Andrew Brown die Höhe wieder. Hier durchspähte er eine Weile scharf das östliche Gelände.

Die Mitteilung des Engländers hatte ihn sehr überrascht. Im ersten Augenblick dachte er daran, daß das Mädchen, das jener sah, vielleicht Nohoste-ia gewesen sein könne. Aber wie kam sie von den Bad-lands hierher? Was wollte sie hier? Auch jetzt schüttelte er den Kopf und eilte mit seinem Pferde nach der Schlucht. Dort stieg er in den Sattel und ritt gemächlich auf die Hütte des Trappers zu.

Die drei Männer hatten sich dahin geeinigt, noch eine Woche in den Bergen zu bleiben und dann gemeinschaftlich nach Fort Fetterman aufzubrechen.

Ben Körber holte soeben einige Blechteller und Gabeln herbei, um die Mahlzeit zu beginnen, als der Indiantrader Andrew bemerkte.

»Hallo! da ist er, der Junge!« rief er erfreut. »Du kommst zur rechten Zeit! Vorwärts! Hier gibt es Entenbraten!«

Andrew Brown schwang sich von dem Rücken seines Pferdes, nahm diesem die Zügel ab und gab dem Tiere einen leichten Schlag. Es trabte zu den anderen Gäulen.

»Nun? Hast du etwas entdeckt?« fragte der Trapper.

»Nein!« antwortete der Bursche in gleichgültigem Tone. »Ich fand auch nirgends eine Fährte.«

»Na! Dann setz' dich und laß es dir schmecken!« sagte Ben Körber heiter. Er übergab ihm einen Blechteller und eine Gabel und drückte ihn sanft auf einen Holzblock nieder.

»Und nun greift auch ihr zu, Freunde, und rechnet dabei nicht auf mich! Ihr seht,« – er deutete auf den See, wo die Enten nach wie vor schreiend hin und her flogen – »meine Vorratskammer ist gefüllt und ich kann mir den Genuß solcher Braten verschaffen, so oft ich will.«

Das Mahl, das allen vorzüglich mundete, wurde unter Lachen und Scherzen der drei Männer verzehrt. Der Trapper neckte Andrew Brown, der wie gewöhnlich still und in sich gekehrt blieb. Er meinte, daß das Indianermädchen möglicherweise eine Neigung zu ihm hätte und durch diese hergetrieben sei. Tom Collins half seinem Freunde bei dieser Neckerei, was er bisher nie getan hatte. Er fühlte sich Ben Körber seit heute noch enger verbunden.

Das ärgerte Andrew. Er verstand den Scherz nicht. Das Mißtrauen, das er gegen Ben Körber hegte und nicht zu bannen vermochte, übertrug sich minutenlang auch auf den Indiantrader.

Nach der Mahlzeit holte er die Pferde. Der Trapper erwähnte nochmals, daß es dabei bleibe, die Reise in acht Tagen gemeinschaftlich anzutreten. Dann ging es zurück zu Tom Collins Fuchsbau.

Der Weg dorthin bot wenige Schwierigkeiten. In kaum zwei Stunden hatten sie ihn zurückgelegt.

Der Bursche sattelte die Pferde ab und führte sie auf die andere Seite des Flusses zu ihrem Futterplatze. Inzwischen betrachteten der Indiantrader und sein Gast den Untergang der Sonne von einer nahen Anhöhe aus.

Sie sank karminrot hinter den westlichen Bergen hinab. Wie mit Purpur übergossen lag das weite, wellige Gelände da. Im Norden allein schimmerte goldig das ehrwürdige, noch schneebedeckte Haupt des Cloud-Peak, das noch von den vollen Strahlen des scheidenden Tagesgestirnes beleuchtet wurde.

Doch allmählich wurde jene Färbung dunkler und dunkler. Zugleich erblaßte das Rot auf Tal und Hügel, bis die Sonne vollends verschwand und die Abendschatten herniedersanken. Ein Stern nach dem anderen erschien am Himmel. Es wurde Nacht. Die Kuppe des einzelnen Berges glühte noch mehrere Minuten unheimlich, wie in Blut getaucht. Dann hüllte auch sie sich in die Finsternis, die weit und breit herrschte.

»Das bedeutet Krieg!« sprach Andrew Brown leise vor sich hin. Er war unbemerkt hinter die beiden Männer getreten, die im Anschauen versunken waren.

»Deutet das rote Volk es so, wenn die Sonne in so wunderbarem, allerdings seltenem Glanze untergeht?« fragte ihn Tom Collins freundlich. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er in dem gleichen Tone fort: »Du glaubst jetzt doch nicht mehr an derartiges, nicht wahr, mein Junge! Wenn unser Auge ein solches Wunder sieht, soll es uns mit Andacht und Dankbarkeit gegen Gott, unseren Vater, erfüllen. Er schuf seine Meisterwerke, um uns das Dasein zu verschönen. Es ist sündhaft, Gottes Werken nichtige Zeichen unterzulegen.«

Andrew folgte den Männern stumm in die Behausung. Hier entzündete er ein Feuer. Die von der Decke herunterhängende Petroleumlampe verbreitete ein freundliches Licht. Dann nahm er ein Buch aus der Kiste neben der Feuerstelle und begann, in ihm zu blättern. Es enthielt die ersten Leseübungen. Ben Körber hatte es eines Tages von Fort Reno mitgebracht. Er hatte es von einem Offizier erhalten, dessen Kinder mit ihm in der Befestigung weilten und von einem Hauslehrer unterrichtet wurden.

Mr. Gloster setzte sich zu seinem Schüler. Nachdem er ihm verschiedenes erläutert hatte, was ihm noch nicht ganz verständlich war, ließ er ihn buchstabieren und lesen. Dann veranlaßte er ihn, mehrere Worte, darunter die Namen des väterlichen Freundes, des Trappers und seinen eigenen mit Bleistift auf ein Blatt Papier zu schreiben.

Tom Collins saß in seinem Sorgenstuhl. Er rauchte seine Pfeife und sah den beiden schmunzelnd zu.

Plötzlich klang in der Ferne der klagende Ruf einer Eule. Andrew Brown zuckte zusammen. Der Bleistift zitterte in seiner Hand. »Ein Greuel ist mir der Vogel«, stotterte er, als der Engländer ihn erstaunt anblickte. Er meinte auch, daß in dem Blick etwas Forschendes war.

»Hast recht«, nickte der Indiantrader. »Manchem ist der Vogel zuwider. In den großen, leuchtenden Augen liegt etwas Falsches. Sein Ruf klingt unheimlich!«

Sie setzten den Unterricht fort. Die Gedanken des Burschen waren aber nicht mehr bei der Sache. Worte, die er sonst schon mit Leichtigkeit abgelesen hatte, brachte er stammelnd und unsicher hervor. Den richtigen Laut für mehrere Buchstaben brachte er erst hervor, nachdem er verschiedentlich einen falschen gebraucht hatte.

»Du bist müde. Da wollen wir uns nicht länger quälen,« sagte Mr. Gloster und klappte das Buch zu. »Der Körper muß frisch sein, wenn die Kopfarbeit gelingen soll.'«

»Wir waren heute alle drei früh munter!« meinte Tom Collins und klopfte seine Pfeife gähnend aus. »Laßt uns zur Ruhe gehen!«

»All right! Ich bin es zufrieden«, entgegnete der Engländer. Auch Andrew Brown schien mit dem Vorschlage recht einverstanden zu sein.

Der Indiantrader lag bald in seiner Bettstelle, die mit dürrem Gras gepolstert war. In der Ecke ihm gegenüber ruhte Mr. Gloster auf seinem Gummibette. Andrew hatte sich in der Ecke bei der Tür in seine Büffelfelle und wollenen Decken gerollt. Schon nach kurzer Zeit schnarchte Tom Collins laut, und nur wenig später stimmte der Engländer kräftig in das Schnarchen ein.

Der Bursche bemerkte bald, daß seine Gefährten fest schlummerten. Er richtete sich halb auf und lauschte mit der größten Aufmerksamkeit. Die hohle Hand legte er an das Ohr, doch er mußte sich sehr anstrengen, weil die schnarchenden Töne der Schläfer ihn störten. Minute auf Minute verrann. Ihm war es, als sei bereits eine Ewigkeit vergangen, da ertönte wieder der Schrei der Eule. Dieses Mal klang er klagender und näher als vorhin. Sein scharfes Ohr vernahm deutlich den Unterschied zwischen dem wirklichen Ruf des Vogels und der Nachahmung.

»Sie ist es!« flüsterte er. Leise, aber hastig kleidete er sich wieder an und schnallte den Gürtel mit Revolver und Messer um die Hüften. Dann ergriff er seine Büchse und schlich behutsam zur Behausung hinaus. Vorsichtig schloß er die Tür hinter sich. Der Mond schien beinahe tageshell vom klaren, sternbesäten Himmel.

Soeben klang der Eulenschrei noch einmal; jetzt an der anderen Seite des Powder-River, etwa dort, wo die Pferde weideten. Andrew Brown eilte schnell nach dem Fluß. Er sprang behende von Felsblock zu Felsblock. Rauschend brachen sich die stark geschwollenen Fluten an den Steinen; doch sicher erreichte er das jenseitige Ufer.

Nun ahmte auch er leise den Schrei der Eule nach und sofort erhielt er die Antwort vom Fuße der Höhen, die ungefähr zweihundert Meter entfernt waren.

Andrew lief rasch weiter. Eine Minute später trat ihm im Schatten der Höhen eine weibliche Gestalt entgegen, die sich aus dem Dunkel eines Busches löste.

»Weshalb rufst du mich, Nohoste-ia?« fragte Andrew atemlos.

»Du wohnst wie der Fuchs unter der Erde,« gab sie zurück. »Schon seit gestern suchte ich dich!«

»Ich weiß es,« erwiderte er kurz. »Rede! Was führt dich hierher?«

»Vor meines Vaters Tibi hängt kein Totem mehr. Woternihit-scha ist Häuptling.«

»Was kümmert es mich?« sagte er verächtlich.

Schüchtern fuhr sie fort: »Das Volk murrt und glaubt, daß der gute Geist zürnt, weil es dich nicht zum Krieger ernannte. Woternihit-scha schickt mich zu dir. Du sollst es werden, wenn du zurückkehrst.«

In dem Antlitz des Burschen blitzte es triumphierend auf. Dennoch entgegnete er stolz und so verächtlich wie vorher: »Früher wollte das rote Volk nicht. Jetzt will ich nicht.«

»Dir sollen fünf Pferde gehören, die Woternihit-scha den Dakotas abnahm,« sprach sie erregt weiter. »Die Weiber bauen schon einen Tibi für dich, und die Krieger zwangen meinen Vater, daß er mich ohne Gegengabe dir zum Weibe gibt.«

»Ohne Gegengabe?« wiederholte er spöttisch. »Hast du in den Augen der Krieger keinen Wert mehr? Oder warst du bereits das Weib Woternihit-schas, und ist er deiner jetzt überdrüssig? – Gib dir keine Mühe, Mädchen! Dein Volk ist falsch; es ist verlogen, hinterlistig und betrügerisch! Will es mich zu sich locken, damit es sich an mir rächen kann? Es weiß doch, daß ich es in den Krieg und in das Verderben trieb! Ich bin nicht so dumm wie ein Fisch, der blindlings in das Netz läuft.«

Sie trat dicht zu ihm heran. »Öffne dein Ohr!« flüsterte sie hastig.

»Die Crows und die Cheyennes sind wieder die Freunde unseres Stammes. In ihren Jagdgründen bauen Weiße ihre hölzernen Wigwams und töten Büffel und Hirsche. Die Indianer hungern. Schon sind die Streitäxte ausgegraben! Die Arrapahoës ziehen mit ihnen; denn die Brüder, die sie vor drei Monaten in die glücklichen Jagdgründe sandten, schreien nach Rache. Woternihit-scha aber ist wie eine feige Elster, obgleich er jetzt das Kleid des Adlers trägt. Er bietet es dir, wenn du zurückkehrst! Du sollst die Brüder zum Siege führen! Zum Beweise, daß er nicht mit doppelter Zunge redet, schickt er dir dieses hier, Ataha-sa! Nimm!«

Sie nestelte ihr Lederkleid vorn an der Brust auf. Dann trat sie wieder in das volle Mondlicht hinaus und hielt ihm einen Otterschwanz hin.

In Andrew Browns Auge leuchtete es von neuem wild und triumphierend auf. Voller Verlangen hob er die Hand. Doch ebenso schnell ließ er sie wieder sinken. Nachdem er einen Blick in die Richtung geworfen hatte, in der die Behausung des Indiantraders lag, erwiderte er abwehrend: »Nein! Auch das soll mich nicht reizen. Ich will bei den Weißen bleiben. Sie sind meine Freunde.«

»Bist du dessen gewiß?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Ja!« antwortete er kurz.

Sie knüpfte eine Lederschnur los, die sie um ihre Hüften gebunden hatte. An ihr war ein Stab aus weißem Holze befestigt, den sie ihm reichte. »Kennst du das?«

Er betrachtete den Stab genau, ohne ihn jedoch zu berühren.

»Er saß vermutlich an einem Gestell, in dem die Weiber deines Volkes ihre Säuglinge tragen«, sagte er gleichgültig.

»So ist es!« sprach sie rasch. Dann fuhr sie fort und betonte scharf jedes einzelne Wort: »Es ist einer der Stäbe des Gestelles, in dem deine Mutter dich hegte, – deine Mutter, die dein Freund schnöde verließ, der dort in den Bergen Biber fängt. Er ist dein Vater. Und Graubart – – –«

Andrew umklammerte bestürzt das Handgelenk Nohoste-ias. »Ben Körber? Du lügst!« stieß er heftig hervor.

»Zeige ihm den Stab! Dann wird dein Gesicht dir sagen, daß ich nicht mit doppelter Zunge rede«, versetzte sie.

Sie wand sich unter seinem eisernen Griffe. »Er grub seine Zeichen mit eigener Hand in das Holz.«

Der Bursche riß den Stab an sich und ließ das volle Mondlicht auf die eine Seite fallen, die weißer als die andere war. Dort waren zwei Wörter eingeschnitten und mit schwarzer Farbe ausgefüllt.

Sein Auge hing starr an den Schriftzeichen. Langsam buchstabierte er, wie er es heute abend noch unter der Anleitung Mr. Glosters getan hatte: »B – e – n, Ben, K – ö – r – b – e – r, Körber, – Ben Körber.«

Sein ganzer Körper erbebte. Wie Wetterleuchten zuckte es in seinem Gesicht.

Das Mädchen stand mit der gespanntesten Erwartung vor ihm.

Plötzlich drang ein stöhnender, zischender Laut zwischen seinen Zähnen hervor, die er fest aufeinander preßte. Er gebot Nohoste-ia durch einen Wink, zu warten. Wie der Wind flog er über die Grasfläche zu dem Flusse hin. Nach wenigen Minuten kehrte er mit Sattel und Zaumzeug zurück. Schnell hatte er sein Pferd von den übrigen Gäulen abgesondert, die unruhig umherliefen. Er fing es ein.

Er schaute noch einmal dorthin, wo Tom Collins' Behausung lag. Es war für einen Augenblick, als wanke er in seinem Entschluß.

»Komm! Ich gehe wieder zu dem roten Volke«, sagte er, und seine Stimme klang heiser. »Gib mir den Otterschwanz.«

Sie erfüllte sein Gebot rasch und mit freudig aufblitzenden Augen. »Willst du nicht noch einige Pferde mit dir nehmen?« flüsterte sie.

»Nein! Vorwärts!« rief er rauh. »Stehlen ist Sünde.«

Er zog sie mit kräftigem Arm vor sich auf den Sattel. Noch einmal sah er sich scheu um. Dann ritt er eilig davon.


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