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Nicht weiss, nicht rot

Die Befestigungen gegen die Indianer im Westen Nordamerikas bestehen nicht, wie viele glauben, aus starken Bollwerken mit Schanzen, Pallisaden und Gräben. Eine Anzahl Blockhäuser umgeben im Kreise einen weiten Platz, in dessen Mitte an Sonn- und Festtagen das Sternenbanner der Vereinigten Staaten an einem hohen Pfahl im Winde flattert.

So war auch das Fort Fetterman am Platte River angelegt. Im Süden lagen die Kasernen und Ställe, Blockhäuser von beträchtlicher Länge. Daran reihten sich östlich das Hospital und mehrere Gebäude, in denen Vorräte an Lebensmitteln, Schießbedarf, Waffen, Ausrüstungsgegenstände für die Soldaten und anderes mehr lagerten. Dann folgten nach Norden dicht am Flusse eine große Anzahl von Blockhäusern. Die meisten waren im schweizer Stil erbaut und waren zum Teil auf das behaglichste und bequemste eingerichtet. Sie dienten den verheirateten Offizieren und Unterbeamten mit ihren Familien als Wohnung. Kleinere Blockhäuser für verschiedene Zwecke schlossen endlich den Kreis nach Westen. Dort stand auch die sogenannte Agency, ein größeres Gebäude, in dem die Indianerstämme, die mit der Regierung befreundet waren und die Befestigung besuchten, ihre Tauschgeschäfte erledigten. Das Gebäude stand unter der Aufsicht eines Beamten oder Agenten, der hierfür besonders angestellt war.

In der Agency befand sich außerdem ein Store, d. i. ein Laden, in dem die Soldaten ebenso wie die Rancher und die Trapper, die in der Umgebung der Befestigung lebten, ihren Bedarf kauften. Hier versorgten sich auch manche Indiantrader mit den Waren, die sie für ihren Handel brauchten. Auch eine Schankstube war dort. Der Laden und die Schankstube waren Eigentum von Mr. Butterfly, der sich bei seinen Kunden und Gästen einer ganz besonderen Beliebtheit erfreute.

Die Schankstube war selten leer. Dort saßen heute zwei Männer am Tisch vor dem Fenster, durch das man auf den weiten Platz sah, wo im Abendsonnenglanze noch einige Rekruten in die Anfangsgründe ihres zukünftigen Berufes eingeweiht wurden.

Bei den Männern in Lederhemd und Wams, mit hohen Stiefeln, mit Revolver und einem Messer am Gürtel saß ein Soldat. Sie hatten jeder ein Glas Whisky-Grog vor sich stehen.

Mr. Butterfly war ein wohlbeleibter Mann mit rundem, bis auf einen Kinnbart glattrasiertem Gesicht, hoher, breiter Stirn, kurzgeschorenen schwarzen Haaren und dunklen, freundlichen Augen. Er lehnte sich in einer Ecke des Zimmers in der Nähe der Bar, des Zahltisches, auf dem in musterhafter Ordnung Reihen gefüllter Flaschen und Gläser von verschiedenen Größen standen, an die Wand. Neben ihm strahlte ein Ofen eine wohltuende Wärme aus.

»Na, James Jimsby!« sagte er lächelnd. »Ihr starrt ja zum Fenster hinaus nach den neu Eingestellten, als bereutet Ihr, daß Ihr dem Beispiele Eurer beiden Freunde nicht gefolgt seid und auch den bunten Rock angezogen habt.«

»So unrecht habt Ihr nicht«, entgegnete der Angeredete. Er wandte sein rotbärtiges Gesicht, das durch Blatternarben nicht verschönt wurde, vom Fenster ab.

»Jingo and Jehosaphat!« rief er aus. »Wenn ich mir's gründlich überlege, war ich ein Narr, daß ich's nicht tat. Im Sommer schlägt man sich hier im Lande schon durch. Da gibt's mit Holzfällen, Aufbauen von Blockhütten und dergleichen allerlei zu verdienen. Aber winters in Eis und Schnee hole der Henker das Handwerk! Bis zum November habe ich noch geschafft. Aber dann wurde es mir zu toll. Jetzt ist's Februar. Mein bißchen Erspartes geht bedenklich auf die Neige, – Ihr steckt's nach und nach in die Tasche! – und noch gestern fror's, daß es nur so brummte. Im bunten Rock sitzt man warm. Die Regierung rüstet ihre Soldaten winters wahrlich so aus, als sollten sie nach dem Nordpol ziehen. Das bißchen Dienst ist für die Katze, und dazu gibt's einen Sold, wie ich ihn mit meinem Handwerk kaum verdiene.«

»Na, na! Bildet Euch nur nicht ein, daß wir solch ein rosiges Leben führen«, sagte der Soldat und strich seinen langen, blonden Schnurrbart.

»Augenblicklich liegen wir allerdings auf der Bärenhaut«, fuhr er fort. »Wer aber weiß, ob das rote Volk nicht schon morgen irgendwo wieder übermütig wird! Und dann heißt es hinaus in die Kälte und vielleicht wochenlang ohne Dach! Dabei muß man obendrein fortwährend damit rechnen, daß einem das Lebenslicht ausgeblasen wird. Gut schießen können die roten Halunken! Das muß ihnen der Neid lassen.«

»Ich begreife nicht, boys, daß euch die Kälte solches Grauen verursacht«, meinte der andere Mann lächelnd, dessen lederfarbiges Gesicht, das von einem großen, farblosen Vollbart umrahmt war, erkennen ließ, daß er nicht viel im geheizten Zimmer hockte. »Es ist alles Gewohnheit! Lange vor Tagesgrauen schon stehen wir Trapper im kalten Wasser und zwischen dem Eise und untersuchen unsere Fallen. Ich muß aufrichtig bekennen, daß das nicht sehr angenehm ist, aber es ist doch erträglich. Der Biberpelz taugt nur im Winter etwas. Daher fällt unsere Hauptbeschäftigung in diese Zeit. Mit dem Fang gibt es dann den ganzen Tag vollauf im Freien zu tun, – besonders wenn man allein ist, wie ich es bin. Nachts liegt man dann in der kleinen Hütte, im »Dug-out« Dug-out ist ein Loch, das in das steile Flußufer gegraben wird. Es wird oben mit Zweigen und Erde bedeckt und vorn mit einem Fell oder einer wollenen Decke verhängt. oder in einer Höhle. Da ist es meistens auch nicht sehr warm. Am Elk-Creek lohnte sich der Fang leider nicht mehr. So mußte ich von dort fortziehen. Sonst säße ich heute gewiß nicht hier. Na! Morgen geht es auch schon wieder ins Geschirr!«

»Und wo gedenkt Ihr Euch jetzt niederzulassen, Ben Körber?« fragte Mr. Butterfly mit sichtlicher Spannung.

Seit einem Jahre nämlich rüstete sich der Trapper, an den er sich wendete, bei ihm mit Lebensmitteln aus, und er befürchtete, daß er den guten Kunden verlieren könnte, wenn dieser sich zu weit von der Befestigung entfernte. Außerdem schätzte er den fleißigen Mann, der immer nüchtern war, wie einen Freund.

»Ihr kennt Tom Collins, den Indiantrader. Er hat mir schon häufig gesagt, daß im Powder River und dessen Zuflüssen, – dort, wo er winters haust, noch viele Biber sind. Ich will mein Heil darum einmal in dieser Gegend versuchen.«

»Das ist weit von hier«, meinte der Ladenbesitzer besorgt und zupfte an seinem Kinnbart.

»Na! Hundert bis hundertfünfzig Meilen sind keine Ewigkeit«, lachte Ben Körber. »Jedenfalls werden sie mich nicht hindern, im Frühjahr wieder bei Euch einzukehren, wenn meine Tätigkeit als Fallensteller ein Ende hat.«

Mr. Butterfly rieb sich schmunzelnd die Hände. »Das würde mir sehr erfreulich sein!«

»Da seht Ihr's, Biesterfeld!«, wandte sich James Jimsby lebhaft an den Soldaten und zeigte durch das Fenster nach den Rekruten. Sie eilten soeben, von ihrem Vorgesetzten entlassen, nach den Kasernen.

»Kaum eine Stunde exerzierten die Kerle jetzt und heute morgen nicht mehr als zwei Stunden. Jingo and Jehosaphat! Ist das ein Leben! Wenn ich mich nur nicht gleich verpflichten müßte, fünf Jahre zu dienen, ginge ich sofort zum Hauptmann Grover und ließe mich einschreiben!«

»Was sind fünf Jahre, Freund?« erwiderte der Soldat lächelnd. »Sie sind im Handumdrehen dahin. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Oft glaube ich es kaum, daß ich den bunten Rock bereits vier Jahre und sieben Monate trage.«

Der Blatternarbige kraute sich hinter dem Ohr. »Eigentlich hält mich noch etwas anderes zurück. Ich bin ein sonderbarer Kerl. Ich bin nicht zufrieden, wenn ich nicht sehe, was ich schaffe. Baue ich eine Hütte, – ja, fälle ich nur einen Baum, so habe ich stets meine Freude an der Arbeit, wenn sie vollendet ist. Das würde mir beim Militär fehlen.«

»Oho!« rief Biesterfeld. »Da bietet sich Euch im bunten Rock eine viel höhere Befriedigung. Arbeiten wir nicht der Kultur vor, indem wir das rote Volk zur Vernunft zwingen, bis es mürbe wird und sich in sein Schicksal ergibt? Ich sollte meinen, das ist doch wahrlich ein viel schöneres Bewußtsein, als eine lumpige Blockhütte erbaut oder einen Baum gefällt zu haben! Das könnt Ihr außerdem als Soldat tun, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Seht, das Fort Fetterman wurde auch nur vom Militär erbaut.«

»Ich lebe auch nicht in den Tag hinein«, fuhr er fort, als der Blatternarbige schwieg. »Ich bedenke auch, weshalb ich auf der Welt bin, alter Freund! Ich habe mich schon in manchen Fächern versucht, und ich habe keine Befriedigung in ihnen gefunden, wahrscheinlich, weil ich nicht genügend leisten konnte. Seht, ich gehöre zu denen, die leider zu spät eingesehen haben, daß sie in der Jugend hätten fleißiger lernen müssen. Ich hatte mich bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß ich ein unnützes Glied der menschlichen Gesellschaft bleiben würde. Ich wäre vermutlich auch nach und nach gänzlich verlottert. Da kam ich durch einen Zufall unter die Soldaten. Jetzt bin ich mit meiner Lebensaufgabe derart zufrieden, daß ich mich sofort wieder auf fünf Jahre einschreiben lasse, wenn ich meine ersten fünf Dienstjahre beendet habe.«

»Hm, hm!« brummte James Jimsby sinnend und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Ihr habt nicht unrecht!«

»Ich übernehme die Felle gern wieder«, sagte Mr. Butterfly und schüttelte dem Trapper, mit dem er sich inzwischen leiser unterhalten hatte, die Hand. »Und das Geld wünscht Ihr also wieder auf die Bank von Chicago angewiesen? All right! Wir können die Angelegenheit nachher ordnen. Wenn Ihr nicht vorzieht, Euch im Frühjahr selbst mit den Händlern in Verbindung zu setzen, bin ich mit Vergnügen bereit, Euch auch alles das abzunehmen, was Ihr noch bis dahin am Powder River einheimst.«

»Einverstanden!« nickte Ben Körber. Dann deutete er durch das Fenster. »Na! Was hat der rote Bursche hier zu tun? Ich sah ihn schon heute morgen. Ist es nicht auch hier Gesetz, daß jeder Indianer, der die Befestigung besucht, sie eine Stunde vor Sonnenuntergang verlassen haben muß? Der dort scheint keine Eile zu haben!«

»Hat er auch nicht nötig«, sagte Biesterfeld. »Er gehört zur Armee, als Indianerscout.« Spion und Führer.

»Wie? Der junge Mensch?« fragte der Trapper erstaunt.

»Ja, jung ist er, – da habt Ihr recht«, sagte Mr. Butterfly.

»Wir haben uns alle nicht wenig gewundert, daß er als Indianerscout angestellt wurde. Die Absicht Hauptmann Grovers war es gewiß nicht. Was wollte er aber machen? Er hatte einmal A gesagt, nun mußte er auch B sagen.«

»Erzählt! Erzählt! Darüber muß ich genaueres wissen!« drängte Ben Körber begierig.

»Laßt es Euch von Biesterfeld berichten! Der hat es aus erster Quelle«, sagte der Ladenbesitzer und ging mit dem Glas James Jimsbys an die Bar, um es von neuem zu füllen.

»Der Bursche nennt sich Andrew Brown und ist Halbindianer«, begann der Soldat.

»Halbindianer?« wiederholte der Trapper überrascht.

»Ja! Früher gesellten sich Weiße sehr häufig zu einem Indianerstamme. Meistens waren es nichtsnutzige, faule Kerle, die sich dann eine Indianerin zum Weibe nahmen und dieses für sich arbeiten ließen, wie die Indianer es ja auch tun.«

»Ich weiß es«, nickte Ben Körber. »Der Spottname dieser Leute ist squaw-men. Sie sind überall mißachtet.«

»Und mit Recht!« schaltete James Jimsby ein.

»Dann ist es Euch auch bekannt, daß den Kindern dieser Leute kein beneidenswertes Los zuteil wird. Sie werden weder von den Indianern noch von den Weißen als ihresgleichen betrachtet«, fuhr Biesterfeld fort. »Andrew Brown hat diese Erfahrung jedenfalls bei dem roten Volke gemacht. Er wurde von ihnen vielleicht obendrein noch niederträchtig behandelt, sonst würde er ihnen wohl nicht so feindlich gesinnt sein, daß er der Regierung seine Dienste als Indianerscout anbietet.«

»Im November«, so berichtete Biesterfeld weiter, »kam er von den Arrapahoë, die in den Bad-lands südlich von den Black-Hills hausen, hier bei uns an. Hauptmann Grover, der ihn nicht durch eine kurze, abschlägige Antwort kränken wollte, stellte ihm die Aufgabe, die zwanzig Pferde wiederzuschaffen, die Duncan Earley unterwegs abhandengekommen waren, als er eine größere Herde für die Regierung von Cheyenne hierher brachte.

Andrew Brown ritt sofort wieder ab. Jeder dachte natürlich, daß er den schwierigen Auftrag nicht ausführen könne und deshalb auch nicht zurückkehren werde. Nach kaum einer Woche war er aber wieder da und brachte neunzehn von den verloren gewesenen Pferden mit. Sie befanden sich in einem jämmerlichen Zustande, der bewies, daß sie während ihrer Abwesenheit nicht unbenutzt geblieben waren. Sie waren mager, durchgeritten und mit Peitschenwunden bedeckt. Die Knochen des zwanzigsten Gauls, so behauptete der Bursche, bleiche die Sonne.

Hauptmann Grover mußte wohl oder übel sein Versprechen einlösen und Andrew Browns Anerbieten annehmen. Er bewährte sich bis jetzt schon sehr gut. So zeigte er dem Militär bei einem Streifzuge durch die Black-Hills Richtwege, die sich auf keiner Karte befanden. Im Falle eines Krieges mit den Indianern könnte er von großem Nutzen sein.«

»Leider schauen ihn fast sämtliche Soldaten über die Achsel an«, fuhr Biesterfeld fort. »Nicht allein wegen seiner Jugend und Abkunft sowie wegen eines gewissen Stolzes, den er zur Schau trägt, sondern wahrscheinlich auch aus Mißgunst. Denn der Hauptmann und die Offiziere verkehren mehr freundschaftlich als dienstlich mit ihm. Wir bedauern ihn aufrichtig –, nicht wahr, Butterfly? – Und wo ich es vermag, schütze ich ihn vor den Neckereien meiner Kameraden, die oft sehr roh sind.«

»Ich habe ihn am Weihnachtsabend in mein Herz geschlossen«, sagte der Schankwirt und Ladenbesitzer. »Biesterfeld hatte eine hübsche, kleine Pechtanne auf seinen Jagdstreifzügen in die Umgebung gefunden, –«

»die ich dank der Güte unseres Hauptmanns häufiger unternehmen darf«, warf der Soldat schmunzelnd ein.

»Ich putzte sie mit Nüssen, Äpfeln und Lichtern auf und lud mir einige Freunde zur Feier ein«, berichtete Mr. Butterfly weiter. »Die Offiziere begingen das Fest in ihrer Familie, die Soldaten in ihren Kasernen, und niemand dachte an Andrew Brown. Ich sah ihn vor dem Hause, als ich nach einem Gaste ausschaute, der noch nicht erschienen war. Er stand dort auf seine Büchse gestützt, von der er sich nie trennt, und blickte sinnend zum Himmel hinauf, der mit Sternen übersät war.

Es kostete mich große Mühe, ihn zu bewegen, daß er bei mir eintrat. Schließlich tat er es. Ich öffnete langsam die Tür, während Biesterfeld und zwei seiner Kameraden das deutsche Weihnachtslied: ›Stille Nacht, heilige Nacht‹ sangen. Ich werde den Ausdruck seines Gesichtes nie vergessen, als er den im Weihnachtsglanze strahlenden Christbaum sah. Eine Minute lang stand er wie versteinert. Dann bemerkte ich, wie Tränen in seinen Augen schimmerten, Tränen im Auge dieses Abkömmlings des roten Volkes, das keiner edlen Gefühle fähig ist. In jenen Augenblicken brach die Natur seines weißen Vaters in ihm durch.

Ich war überwältigt, und als er sich etwas beruhigt hatte, erzählte ich ihm die Bedeutung unseres Festes. Er hörte mir gespannt zu. Da er die englische Sprache ausgezeichnet versteht, entging ihm kein Wort von dem, was ich ihm sagte. Den ganzen übrigen Abend war er wie im Traum. Als er schied, drückte er mir warm die Hand und flüsterte: ›Der böse und der gute Geist bei dem roten Volke sind Lüge. An Euren Gott möchte auch ich – – –.‹ Einer meiner Gäste kam hinzu. Er stockte verlegen und eilte davon. Seitdem besucht er mich häufig, und nach und nach hat er auch mir gegenüber seine Scheu verloren. Ich möchte behaupten, daß in ihm mehr von seinem weißen Vater sitzt als von dem, was er vom roten Volke geerbt hat«, sagte der Ladenbesitzer und entzündete eine Petroleumlampe, die von der rauchgeschwärzten Decke herabhing.

»Da er jung ist, mag er noch zur rechten Zeit von seinen roten Brüdern getrennt worden sein«, sagte Ben Körber nachdenklich.

»Gewöhnlich sind die Halbindianer, die unter dem roten Volke aufwachsen, viel gefährlicher als die Indianer selbst. Diese hält Dummheit und Furcht immer noch in gewissen Grenzen. Hat das rote Volk diebische und betrügerische Gelüste und auch andere Untugenden, die die Natur mehr oder weniger auch in sie verpflanzte, so wurden diese bei den Halbindianern durch das ständige schlechte Beispiel meist sehr gründlich ausgebildet. Infolge ihrer weißen Abkunft kommt hierzu noch eine durchtriebene Klugheit, – sie kennen nicht die Angst, die alle Sinne verwirrt, die die Indianer befällt, wenn sie plötzlich überrascht werden –, ähnlich wie die wilden Tiere sie haben. Es ist jedenfalls ratsam, ihnen noch weniger als den roten Halunken zu trauen.«

Draußen wurden Stimmen laut. Gleich darauf trat ein noch junger, langer, hagerer Mann mit einem feinen, nagelneuen Jagdanzuge in das Zimmer. Auch die knarrenden, hohen, glänzenden Stiefel waren neu, und ebenso der patronengespickte Gürtel und der blitzende Revolver in der juchtenledernen Tasche.

Zwei wasserblaue Augen in dem länglichen Gesichte, das bartlos und nicht gerade unschön war, glitten mit gleichgültigem Ausdrucke über die Versammelten zu dem Schankwirte, der hinter der Bar Biesterfelds leeres Glas füllte.

Leicht mit der Hand grüßend, sagte er in näselndem Tone: »Mr. Butterfly, – he? Komme vom Hauptmann Grover, wünsche Unterkunft bei Euch. Mein Name ist Gloster – Lord Gloster, wenigstens bald.«

Nun grüßte er auch herablassend die drei Gäste mit einer nochmaligen Handbewegung: »'d evening!« (n' Abend!)

»Evening, Sir!« klang die Antwort kurz, und James Jimsby fügte spöttisch hinzu: »Ihr kommt wohl direkt aus einem Kleidergeschäft?«

Der Fremde rümpfte die spitze Nase etwas und wandte sich wieder an Mr. Butterfly, der dem Soldaten das Glas zurückreichte, das mit dampfendem Grog gefüllt war. »Nun, Sir? Wie ist es?«

»Ich bedaure, Euren Wünschen nicht entsprechen zu können«, versetzte der Schankwirt achselzuckend. »Hauptmann Grover wird Euch gesagt haben, daß ich nur solche Gäste beherberge, die mit einigen alten Säcken als Unterlage vorliebnehmen. Danach aber seht Ihr mir nicht aus.«

»Ein Bett besitze ich«, sagte Mr. Gloster rasch und ungeduldig. »Nur ein Zimmer möchte ich haben. Geld spielt bei mir keine Rolle. Ich brauche es nur für eine Nacht; denn morgen früh breche ich von hier schon wieder auf. Der Hauptmann, an den ich empfohlen bin, ist zu seinem lebhaften Bedauern nicht in der Lage, mir in seinem Hause eine Unterkunft zu gewähren.«

»Wenn Ihr hier meine Schankstube als Aufenthalt für die Nacht benutzen wollt, so habe ich nichts dagegen«, erwiderte Mr. Butterfly leichthin. »Ich kann sie Euch jedoch nicht früher zur Verfügung stellen, bis sich der letzte Gast heute abend entfernt hat.«

Der Fremde rümpfte wieder die Nase und musterte den Raum verdrießlich. »Hm, hm! Ihr habt also sonst keinen Platz? Well! Ich werde Euch mein Bett schicken. Solltet Ihr bis dahin noch ein – hm, hm – etwas reinlicheres und – hm – etwas weniger dunstiges Zimmer ausfindig machen, so würde es mir sehr lieb sein. Wie gesagt, – Geld spielt bei mir keine Rolle.«

James Jimsby räusperte sich. »Wenn ich fragen darf, – was ist der Zweck Eures Aufenthaltes hier im wilden Westen, Mylord?«

Mr. Gloster fühlte sich durch den Titel offenbar geschmeichelt. Er reckte sich zwar noch etwas länger, aber er antwortete bedeutend herablassender:

»Ich will Bären schießen. Deshalb kam ich besonders von England herüber.«

Der Blatternarbige lachte laut, und auch das Gesicht der übrigen Gäste verzog sich zu einem Lächeln.

»Allein?« fragte der Trapper.

»Hauptmann Grover wird mir einen Burschen, ein Mittelding zwischen Indianer und Weißen, zur Begleitung mitgeben.«

»Andrew Brown«, sagte Mr. Butterfly.

Der Engländer nickte. »Ich glaube, der Name wurde mir genannt. Der Bursche soll jeden Stein im Lande kennen. Da er unter den Indianern aufgewachsen ist, wird es ihm nicht schwer werden, die Plätze zu finden, wo sich die Bestien aufzuhalten pflegen.«

»Das ist nicht unmöglich«, sagte Ben Körber gedehnt.

»Zweifelt Ihr vielleicht daran?« fragte Mr. Gloster mißbilligend. »Ihr hörtet soeben meine Ansicht – ich muß aber aufrichtig gestehen, daß mir Euer Unternehmen etwas gewagt erscheint. Unsere Grizzlybären lassen nicht mit sich spaßen, und da wäre es für Euch besser, wenn Ihr statt des jungen Burschen – noch von anderen Gründen abgesehen – lieber einen Mann mitgehen hießet, der dergleichen Handwerk versteht.«

»Ihr seid sehr gütig,« sagte der Engländer mit leisem Spott. »Beabsichtigt Ihr vielleicht, mir Eure Dienste anzubieten?«

Ben Körber schüttelte den Kopf ärgerlich. »No, Sir! Gott sei Dank habe ich es nicht nötig.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Mr. Gloster kurz und stolz.

»Na!! Weil mir mein Handwerk so viel einträgt, daß ich getrost mein eigener Herr bleiben kann.«

»Mr. Körber ist bereits seit zwanzig Jahren Trapper,« erklärte der Schankwirt.

»Wie? Ihr seid ein Trapper?« rief der Engländer überrascht. Seine Miene und sein Ton waren plötzlich gänzlich verändert. »Seit zwanzig Jahren? Das ist ja äußerst interessant! Freut mich ungemein, Eure Bekanntschaft zu machen,« fügte er lächelnd hinzu und neigte höflich das Haupt, indem er den kleinrandigen Lodenhut lüftete.

»Sehr schmeichelhaft, Sir!« entgegnete der Trapper gelassen.

»In diesem Falle bitte ich tausendmal um Entschuldigung,« sprach Mr. Gloster rasch weiter. »Was ist meine Kenntnis der Bären hier im Lande, die ich nur aus Büchern schöpfte, gegen Eure langjährige eigene Erfahrung! Würdet Ihr gestatten, daß ich einen Augenblick bei Euch Platz nehme?«

»Weshalb nicht?« lachte Ben Körber und nötigte ihn auf einen Stuhl. »Mr. Butterfly, ein Glas Whisky-Grog für den Herrn. Ihr erlaubt doch, daß ich Euch dazu einlade, Sir?«

Der Engländer rückte verlegen auf seinem Sitze hin und her. Das hatte es bisher noch nicht gegeben, daß einer seiner Mitmenschen, die gesellschaftlich unter ihm standen, ihn aufgefordert hatte, etwas mit ihm zu genießen. Jedoch rasch kam ihm ein glücklicher Gedanke. Er konnte so die Aufmerksamkeit wenigstens sofort hinreichend erwidern.

Er zog schnell eine gefüllte Zigarrentasche hervor und hielt sie dem Trapper und den anderen beiden Gästen geöffnet hin. »Darf ich Sie bitten, Gentlemen?«

Er mußte innerlich lachen. Was würden seine Freunde in England wohl sagen, wenn sie ihn hier in dieser gewöhnlichen Schankstube mit diesen gewöhnlichen Leuten rauchen und Whisky-Grog trinken sehen könnten? Im Geiste sah er mit gelindem Gruseln langgezogene, empörte Gesichter.

»Gesundheit, Sir!« rief der Trapper heiter, nachdem jeder seine Zigarre angezündet hatte und Mr. Gloster ebenfalls mit Getränk versorgt war. »Möge Eure Jagd einen guten Erfolg haben!«

»Danke! Danke bestens!« Der Engländer mußte wohl oder übel mit allen dreien anstoßen. Dann nippte er behutsam am Glase.

»Ihr glaubt also, daß ich lieber auf die Begleitung des Burschen verzichte, den mir Hauptmann Grover empfohlen hat? Er wäre doch ausgezeichnet als Führer!«

Ben Körber nickte. »Allerdings! Ihr müßt ihn nur immer scharf im Auge behalten.«

»Aha! Ihr meint, weil ihm als einem Halbindianer nicht zu trauen ist!«

Der Trapper zuckte die Achseln. »Erwiesen ist es nicht. Mr. Butterfly stellt ihm sogar kein schlechtes Zeugnis aus. – Aber, Ihr wißt, Vorsicht ist die Mutter der Weisheit. Ich riet Euch, einen erfahrenen Mann mitzunehmen, weil unter Umständen nur die größte Ruhe vor den scharfen Krallen und Zähnen eines Grizzlybären retten kann. Ich vermute, daß – – –«

»O, die besitze ich in vollstem Maße«, rief Mr. Gloster eifrig und nahm in Gedanken einen tiefen Zug aus seinem Glase. »Vor zwei Jahren habe ich es gezeigt, als in Edinburgh der Tiger aus der Menagerie entsprungen war und sich in den Park meines hochverehrten Onkels, des Lord Bradfield, geflüchtet hatte. Ich kaufte dem Besitzer die Bestie ab und suchte sie. Ich war mit einer Büchse bewaffnet. Schließlich fand ich sie am Fuße eines Baumes, wie sie eben einen der großen Windhunde meines hochverehrten Onkels verzehrte. Ich näherte mich dem Tiger kaltblütig – meine Freunde, die aus der Ferne zuschauten, bewundern mich deswegen noch heute. Der Tiger wandte sich mir grimmig mit weit geöffnetem Rachen zu. Ich kam bis auf wenige Schritte heran und schoß ihn durch den Kopf. Ein zweiter Schuß in die Flanke tötete ihn vollends.

O, no, Sir! Wenn Ihr mir Euren freundlichen Rat nur erteiltet, weil Ihr meine Ruhe bezweifeltet, so seid ohne Sorge! Die verläßt mich niemals. Ich könnte Euch noch zahlreiche Beispiele erzählen.«

Wieder trank er in Gedanken. Doch nun bemerkte er es, als es geschehen war, und rasch erhob er sich. Hatte es nicht den Anschein, als zeche er hier wirklich mit diesen Leuten? Seine Freunde hätten recht, wenn sie empört darüber wären, daß er sich so weit erniedrigte.

»Ich muß fort,« sagte er errötend, »Hauptmann Grover erwartet mich. Es war mir sehr angenehm, Eure Bekanntschaft zu machen, Mr. Körner.«

»Körber,« verbesserte der Trapper lächelnd, indem er sich ebenfalls erhob.

»Ach! – Bitte um Entschuldigung! Mr. Körber, hoffe auf Wiedersehen! – Also, Mr. Butterfly,« wandte sich der Engländer wieder in herrischem Tone an den Schankwirt, »Ihr wißt Bescheid! Ein besseres Gemach wäre mir erwünschter. – Wie gesagt, Geld spielt keine Rolle. Mein Bett werde ich sofort schicken.« Er nickte dem Trapper wohlwollend noch einmal zu. Die beiden andern am Tische grüßte er ebenso wie Mr. Butterfly mit herablassender Handbewegung »'d evening!« – und mit gemessenen Schritten verließ er das Zimmer.

»Jingo and Jehosaphat!« lachte James Jimsby. »Der Kerl ist einen Dollar wert! Aber seine Zigarren sind ausgezeichnet,« fügte er hinzu und sog den ausgeblasenen Rauch mit Behagen durch die Nase wieder ein.

»Ich bin neugierig, wie der mit Andrew Brown fertig wird,« meinte Biesterfeld schmunzelnd. »Bei dem richtet er mit einer herrischen Behandlung nichts aus.«

»Sobald er es einsieht, wird er sich schon anders gegen ihn benehmen,« erwiderte Ben Körber. »Daß er noch nicht vollständig vom Hochmutsteufel besessen ist – oder besser, daß er nicht ganz dumm ist –, denn der Hochmut ist ein Zeichen von großer Dummheit – hat er bewiesen, indem er hier bei uns Platz nahm und sogar einen Grog mit uns trank.«

»Na! Das ist ihm nicht leicht geworden,« sagte der Schankwirt spöttisch, »und es gehörte nicht viel Menschenkenntnis dazu, um zu bemerken, wie er sich plötzlich bewußt wurde, daß er sich nach seiner Ansicht unverantwortlich verhielt. Er sprang auf, als habe ihn jemand auf den Fuß getreten, und er machte ein Gesicht wie einer, der aus Versehen mit beiden Händen in den Schlamm gefaßt hat.«

Bei diesen Worten erschien ein Mann in der Tür des Zimmers, der mit einem großen Bündel beladen war. »Bin ich hier recht?« fragte er. »Ich bringe das Ruhelager seiner zukünftigen Lordschaft.«

»All right!« nickte Mr. Butterfly. »Legt es nur dort in die Ecke.«

Der Mann folgte der Aufforderung und trat dann an die Bar. »Den Genuß, der meiner Nase zuteil wird, indem sie den lieblichen Duft eines höchst angenehmen Getränkes wahrnimmt, möchte ich ähnlich auch meiner Zunge gewähren. Ich bitte daher um ein Glas Whisky-Grog. Seine Lordschaft hatten die Güte, mir ein solches angelegentlichst zu empfehlen. Sie händigte mir zugleich soviel klingende Münze ein, daß ich mindestens eine Leiche wäre, wenn ich sie sämtlich für diesen Zweck verwendete. – Ein sonderbarer Kauz ist dieser Sohn Albions.«

»Ihr müßt ihn kennen, wenn Ihr sein Diener seid,« meinte der Trapper.

»Gewesen, Sir, gewesen,« versetzte der Mann und entzündete eine Zigarre, die nach ihrem Wohlgeruch und Äußeren auch aus dem Besitze des Engländers zu stammen schien.

»Mit dem heutigen Tage überlasse ich meinen Herrn seinem Schicksale, da ich durchaus keine Sehnsucht nach Bärenkämpfen verspüre. – Er ist übrigens nicht so schlimm, wie man denkt. Er ist nur etwas verschroben, und auch das hat sich schon bedeutend gebessert. Mehrere vernünftige Leute, wie man sie hier im Westen durchweg trifft, haben ihm einige Male gründlich die Wahrheit gesagt.«

»In Council Bluffs verabschiedeten sich seine beiden Diener von ihm.« fuhr er fort, »und dort fand er in mir einen Ersatz für sie. Von diesen erfuhr ich, daß er sich bisher daheim in England ausschließlich damit beschäftigte, sein Vermögen zu verzehren, was ihm vortrefflich gelang. Eines Tages bemerkte er mit Schrecken, daß ihm nicht mehr viel übrig blieb, um das Leben, das er gewohnt war, noch lange fortzusetzen. Er kam auf den kühnen Gedanken, hier im wilden Westen auf die Bärenjagd zu gehen, um sich mit Anstand von seinen Genossen zu entfernen. Hierher mochte ihn natürlich keiner seiner Freunde begleiten. Hat er Glück, so stirbt mittlerweile ein steinreicher Onkel, den er hat, und hinterläßt ihm neben dem Lordstitel auch sein Vermögen. Dann kann er seine frühere Beschäftigung mit Glanz wieder aufnehmen, wenn er nach England zurückgekehrt ist.«

»Der Mensch tut mir leid,« sagte Ben Körber mit aufrichtigem Bedauern. »Wie bald wird er gegen die fortwährenden Genüsse abgestumpft sein, in denen er lebt. Dann bieten sie ihm nicht den geringsten Reiz mehr. – Solche Menschen fühlen sich gewiß noch viel, viel elender als diejenigen, die wohl arbeiteten, aber es dennoch zu nichts auf dieser Welt brachten,« fügte er nachdenklich hinzu.

Der Mann, der bisher Mr. Glosters Diener war, hatte das Bündel aufgeschnürt und ihm einen langen, großen Gummisack entnommen. Nun blies er ihn durch eine Öffnung auf, die an einer Seite angebracht war. Darauf verschloß er diese durch eine Kapsel und schob die Unterlage, die jetzt wie eine Matraze aussah, in die Ecke.

»Jingo and Jerusalem! Das ist nicht übel!« rief James Jimsby. Darauf muß es sich so weich liegen wie auf Sprungfedern oder Daunen!«

»Und warm,« ergänzte der Mann, indem er mehrere wollene Decken über die Unterlage breitete.

Der Trapper nickte beistimmend. »Kann es mir denken.« Dann wandte er sich zur Tür. »Meine Pferde müssen gefüttert werden. Wenn ich zurückkomme, müssen wir unsere Sachen ordnen, Mr. Butterfly.«

»All right!«

»Ich begleite Euch,« sagte der Soldat und bezahlte seine Zeche. »Heute nacht habe ich einen der Außenposten am Platte-River zu beziehen, und wenn es auch bedeutend wärmer geworden ist, will ich mir doch lieber meinen Pelz und meine Pelzstiefel hervorsuchen. Man kann nicht wissen, ob das Wetter nicht ebenso rasch wieder umschlägt. – Auf Wiedersehen!«

»So long!« antwortete James Jimsby und streckte sich lachend auf dem Gummibette aus. »By Jove! Darauf liegt man wie in Abrahams Schoße.«

»Es ist merkwürdig milde,« sagte Ben Körber, während er mit Biesterfeld über den Platz schritt, den der Mond hell beschien. Sie gingen auf eine der letzten Kasernen zu.

»Vielleicht wird es ähnlich wie im vergangenen Jahre,« erwiderte der Soldat. »Erinnert Ihr Euch nicht? Da hatten wir bis um diese Zeit eine grausige Kälte. Dann schien es Frühling werden zu wollen, und es dauerte bis gegen Ende März. Doch der Winter kehrte noch einmal wochenlang in seiner ganzen Strenge wieder.«

»Ganz recht! Mir erfror damals meine große Zehe am rechten Fuß. Das ist jetzt kein schlechter Wetterprophet, und nach seiner Ansicht ist es vorläufig mit der Kälte vorbei. Wäre es der Fall, so hätte Seine Lordschaft, der Bärenjäger, wahrlich viel Glück, denn er scheint keinen Begriff von einem winterlichen Aufenthalt hier im Lande zu haben.«

»Zum Henker!« rief Biesterfeld und zeigte nach einem Haufen schreiender und lachender Soldaten vor der letzten Kaserne. »Ich möchte wetten, daß sie dort wieder ihren Spott mit dem jungen Indianscout treiben.« Beide schritten rascher weiter.

Biesterfeld hatte sich nicht geirrt. Die Soldaten umdrängten Andrew Brown von allen Seiten. Er bemühte sich vergeblich, seine Büchse im Arm, zwischen ihnen durchzuschlüpfen. Sie verhinderten es, indem sie ihn immer wieder mit Püffen und Stößen zurücktrieben.

»Fuchs in der Falle!« riefen sie. »Gefangen, roter Spion! Versuch's noch einmal! Dieses Mal glückt dir die Flucht vielleicht mit einigen blauen Rippen und einer Handvoll Haare, die du verlierst! Vorwärts, rote Kröte! Klapperschlange! Feigling!«

Die Geduld des Burschen mußte schon auf eine harte Probe gestellt worden sein. Aus seinem Auge leuchtete eine unheimliche Glut – und plötzlich lag seine Büchse im Anschlag.

Die Soldaten wichen erschrocken zurück. Keiner von ihnen hatte daran gedacht, daß er es wagen würde, die Waffe zu gebrauchen. Zu gleicher Zeit wurden mehrere von ihnen zur Seite gestoßen. Mit einem Ruck hatte Ben Körber dem gehänselten Andrew Brown die Büchse entrissen.

»Bist du von Sinnen, Junge!« rief er zornig.

Die Augen des jungen Halbindianers richteten sich jetzt voller Wut auf den Trapper. »Bin ich ein Hund, der sich treten läßt?« stieß er bebend hervor.

»Ja, das bist du, feiger roter Spion! Schlagt ihn nieder, den Heuchler, den Augendiener, den Schmeichler!« schrieen die Soldaten erbost und drangen wieder auf den Burschen ein, dessen Hand nach dem Messer am Gürtel faßte.

»Halt!« rief Ben Körber, zu dem sich nun auch Biesterfeld gesellte. Beide traten schützend vor den Bedrohten. »Keiner rührt ihn an! Ihr sollt Euch schämen, Leute, Euch an jemanden zu vergreifen, der noch ein halber Knabe ist!«

»Ja, schämen sollt ihr Euch!« sagte Biesterfeld voller Entrüstung. »Was hat der Bursche Euch getan? Ihr wollt zivilisierte Menschen sein, die den Indianern mit gutem Beispiele vorangehen sollen? Und da fallt Ihr wie wilde Tiere über einen einzelnen Schwächeren her? Hat er da nicht ein Recht, sich so zu verteidigen, wie er es vermag? Morgen melde ich Euch sämtlich dem Hauptmann. Dann wird Euren niederträchtigen, feigen Neckereien hoffentlich endlich und für immer ein Ende gesetzt.«

Die Soldaten brummten noch einiges unwillig, aber dann entfernten sie sich einer nach dem anderen.

»Ich lieferte die Waffe am liebsten an Euren Vorgesetzten ab,« wandte sich der Trapper an Biesterfeld. »Sie ist kein Spielzeug für die Hand eines Knaben.«

»Ach was! Gebt sie ihm wieder,« entgegnete jener gutmütig. »Wenn uns jemand übermäßig reizt, könnten auch wir fähig sein, etwas zu tun, was wir nicht zu verantworten vermöchten. Wieviel eher ist es bei diesem Sohne der Wildnis zu entschuldigen!«

Ben Körber zögerte eine kurze Zeit, dann reichte er die Büchse an Andrew Brown zurück. Er riß sie hastig an sich und eilte quer über den Platz fort.

»Hm, hm!« brummte der Trapper vor sich hin. »Wenn ich es mir recht überlege, muß ich aufrichtig gestehen, daß ich an der Stelle des Jungen vielleicht dasselbe getan hätte.«

»Ich – gewiß!« sagte der Soldat bestimmt. »Und ich würde auch wahrscheinlich sofort geschossen haben!«

In der Mitte des Platzes hielt Andrew Brown im Laufen inne. Zähneknirschend vor Wut drohte er mit der geballten Faust nach der Kaserne. »Ihr sollt es büßen, Buntröcke! Und dir, weißer, bärtiger Mann, will ich auch beweisen, daß ich kein Knabe mehr bin!« murmelte er ingrimmig.

Tom Collins hatte richtig prophezeit. Er war wieder bitter enttäuscht worden, vielleicht noch schlimmer als bei seinen roten Brüdern. Diese hatten ihm ihre Mißachtung nur angedeutet, während sie ihm hier ohne Scheu gezeigt wurde, wo er sich blicken ließ. Sein alter Freund hatte ihn gescholten, weil er seines falschen Vaters wegen alle Weißen haßte. Jetzt erst hatte er Grund zu diesem Haß.

Ja, – er haßte sie wie seine roten Brüder, und schon seit Wochen grübelte er darüber nach, wie er sich an ihnen und an jenen zu rächen vermöchte.

Noch zitternd vor Erregung, Zorn und Haß stand er am Flaggenpfahl gelehnt. Seine treue Büchse umklammerte er krampfhaft mit beiden Händen, als sollte sie ihm noch einmal entrissen werden. Da schoß ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf, bei dem es frohlockend in seinen Augen aufblitzte. Er dachte an den Mann, den er auf der Jagd begleiten sollte. Er hatte den Vorschlag gern angenommen, um seinen Peinigern entrückt zu werden. Jetzt konnte er mit seinem Streifzuge durch das Land noch einen anderen Zweck verbinden. Er schaute nach dem Hause Hauptmann Grovers, in dem auch zwei Fenster im Erdgeschoß beleuchtet waren. Dort lag das Gemach des Hauptmanns, vor dem er schon oft abends, dicht an die Wand gedrückt, belauscht hatte, was dort drinnen besprochen wurde. Auch jetzt trieb es ihn dorthin. Er eilte hastig weiter. Bald darauf stand er vor dem einen Fenster und blickte vorsichtig durch die Scheiben.

Im Zimmer befanden sich der Hauptmann Grover und ein jüngerer Offizier, der im Begriffe war, sich zu verabschieden.

»Noch eins, Patterson!« sagte der Hauptmann. »Ihr habt es wohl schon gehört. Morgen wird Andrew Brown als Führer mit dem Engländer gehen, der mir von einer kaum bekannten Seite empfohlen wurde, – die Unverfrorenheit mancher Menschen ist wirklich zu bewundern! Ich benutzte die Gelegenheit, den roten Burschen hier zu entfernen. In erster Linie, weil er sich infolge seiner Jugend bei unseren Leuten keinen Respekt verschaffen kann – und außerdem traue ich ihm nicht recht. Ich glaube, er ist wie ein schwankendes Rohr im Winde. Er scheint mir fähig, heute für uns zu wirken, um uns morgen, wenn es um seinen Vorteil geht, zu verraten. Ich befürchte, meine Gutmütigkeit hat mir einen Streich gespielt. Es wäre besser gewesen, wenn ich sein Anerbieten damals gleich abgewiesen hätte. So stellte ich ihm Bedingungen, die ich nachher wohl oder übel erfüllen mußte.«

»Auch meine Kameraden und ich teilen Eure Ansicht, daß dieser rote Geselle unzuverlässig ist,« erwiderte der Offizier.

»Well! Der Ordnung halber macht morgen auch den Urlaub des Burschen auf unbestimmte Zeit dienstlich bekannt, wenn Ihr die übrigen Angelegenheiten mitteilt. – Gute Nacht!«

»All right, Captain!« Leutnant Patterson grüßte militärisch und ging.

Andrew Brown hatte jedes Wort der Unterredung vernommen. Über sein Gesicht glitt ein höhnisches Lächeln. »Falsch war auch Eure Freundlichkeit, Häuptling der Buntröcke!« sprach er vor sich hin. »Bisher gab ich euch noch keinen Grund, mir zu mißtrauen. Jetzt will ich ihn euch geben!«


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