Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Zweiter Theil
Henriette Paalzow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Herren des Special-Gerichts versammelten sich mit lebhaft erregter Erwartung der bevorstehenden Konferenz, in der endlich Thomas Thyrnau zum Reden kommen und, wie sie nicht zweifelten, seine Vertheidigung beginnen werde, obwol er dies gerade von sich abgewiesen hatte und nach Maaßgabe ihres besonderen Interesses zeigte sich die Spannung in dem Verhalten der Versammlung. Auffallend war Kaunitz das Betragen des Fürsten von S., und er machte sich ein Vergnügen daraus, seine großen hellen Augen hinter ihm hergehen zu lassen, und wer den Fürsten mit seinem rothbraunen Gesicht, seiner breiten bäurischen Gestalt, die Arme auf den Rücken gezwängt, in dem kleinen Raume des Vorzimmers auf und nieder rennen sah, die Blicke am Boden und die dicken Lippen grollend aufgerollt, und den blassen graden Grafen daneben so ironisch unbeweglich, bloß mit den Augen dieselbe Linie ziehend als der Fürst, der hätte an die Menagerien denken müssen – deren Wächter sich, wie man sagt, allein der Macht ihrer Augen bedienen, das wildeste Thier sich unterzuordnen. Der Fürst fühlte diesen Blick und er reizte ihn bis zum Aufschreien, aber er bezwang sich, denn er fühlte den Stärkeren über sich.

Graf Bartenstein war der Letzte – er hatte schon das Ereigniß in der Jesuiterkirche erfahren und theilte es dem Grafen Uhlefeld heimlich mit – man schien unsicher, ob man es Kaunitz sagen solle; als man es endlich versuchte, verneigte er sich bei den ersten Worten, um anzudeuten, daß er es wüßte, und fügte, die zurückgehaltenen Gedanken der beiden Andern aussprechend, hinzu: es ließe sich nicht annehmen, daß Ihro Majestät dem Ereigniß auf ihre Gesinnungen Einfluß gestatten werde, da Verwandtenliebe sehr wohl verdient sein könne, ohne Verbrechen gegen den Staat zu vertreten. Die Herren ärgerten sich nun, daß er ihre verhehlten Befürchtungen errathen hatte, und man ging jetzt ziemlich übellaunig in das Konferenz-Zimmer, in welches, nachdem sie Platz genommen, sogleich die beiden Angeklagten, der Graf von Lacy und Thomas Thyrnau, eingeführt wurden.

»Meine Herren,« hob Thomas Thyrnau an, indem er ruhig sich seinen Richtern gegenüber stellte – »der sehr ausführliche und weit in die Vergangenheit reichende Bericht Sr. Durchlaucht giebt mir den Faden an die Hand, dessen Anfangspunkt ich aufsuchen muß, um mein Leben und seine reichen und mannigfachen Beziehungen zu erklären. Ich darf annehmen, meine Herren, daß ich von Ihnen Allen der Aelteste bin, daß mir Erfahrungen möglich waren zu machen, die Ihre Jahre oder die Entfernung von dem Boden, worauf sie zu machen waren, Sie verhinderte. Indem ich mein Alter anführe, weise ich mit Erwähnung meiner Jugend auf eine Zeit hin, welche der gegenwärtigen sehr unähnlich ist – um aber den Erscheinungen derselben, welche ich jetzt erklären soll, gerecht werden zu können, wird es nöthig bleiben, den Zuständen nachzufragen, welche damals Geltung hatten. Ich werde von den Handlungen meiner Jugend, welche mich als einen Schuldigen vorfordern, mit der Begeisterung sprechen müssen, welche nur ein tiefes heiliges Recht einzuflößen vermag, und die ich doch der Zeit verfallen erklären muß, und denen ich ohne Vorwurf zwar und mit vollem Antheil nachsehe, jedoch jetzt mit Stolz und froh fühlend, ihrer nicht mehr zu bedürfen.«

In diesem Augenblick unterbrach die Erscheinung einer kleinen alten Dame in steifer Tracht mit feinen klugen Zügen aber bescheidener Haltung die Rede Thyrnau's. – Sie näherte sich mit vielen Knixen der Tafel und dem Fürsten von S. und sagte jedem Einzelnen der Herren, die sich jedesmal bei ihrer Annäherung ehrfurchtsvoll erhoben, ein paar Worte unhörbar ins Ohr, worauf sich Jeder tief verbeugte und sie mit tiefen Knixen weiter zog, bis sie endlich mit Allen fertig in gleicher Devotion das Zimmer verließ und der Vorhang sich wieder schloß. – Kaunitz schnitt sogleich die Feder weiter, die er schon vorher bearbeitet hatte, und die Blicke der Andern, die einen Augenblick gespannt auf ihm ruhten, gingen an der wichtigen Miene verloren, mit der er eben die Feder auf den Daumnagel legte, um die Spitze zu schneiden.

Thyrnau, welcher die Unterbrechung beendigt hielt, fuhr ohne Aufforderung sogleich fort.

»Ich fühle meine Brust von einem warmen Lebensstrom durchglüht, von einem heil'gen Stolz gehoben, wenn ich denke, daß mein ganzes Leben tief begründet in dem Leben meines edlen Vaters ist, daß es daraus hervorgegangen ist wie die Frucht von dem Baume – ich war der einzige Sohn einer spät geschlossenen kurzen, höchst glücklichen Ehe.«

»Seine Kindheit fällt in die letzte Zeit des dreißigjährigen Krieges, und ich würde zu weit zurückgehen, wenn ich diese Periode, die schon als abgerundetes Bild der Geschichte übergeben ist, schildern wollte. Der Westphälische Friede war vors Erste nur ein Damm, hinter dem das veranlaßte Elend zum Bewußtsein aller Völker kam. Böhmens Schicksal war viel früher schon mit der Schlacht am weißen Berge entschieden, dieser Friedenschluß änderte seine Lage nicht mehr. Ferdinand der Dritte behielt die Willkür zu strafen und die katholische Kirche geltend zu machen und verfolgte das zugestandene Recht mit grausamer Härte. Alle volksthümlichen Gefühle wurden tief verletzt – die Auswanderungen dauerten fort und das Land ward der nützlichsten und thätigsten Einwohner beraubt, und die, welche durch Armuth und Elend verhindert wurden dem Beispiel zu folgen, blieben immer schutzloser der Willkür hingegeben.«

»Die Priester mischten sich in alles Oeffentliche und Geheime – die großen Besitzungen des Hochadels wurden vermehrt, indem man ihnen die Güter der Geächteten und Hingerichteten gegeben – viele Fremde wurden mit den Gütern unglücklicher Böhmen bereichert, welche jetzt Spanier, Italier und Irländer durch Krieg herbei gezogen unter sich sahen.«

»Das Schicksal der Städte und Dörfer war gräßlich. Es gab keine Stadt, welche nicht wenigstens einmal gebrandschatzt oder eingeäschert worden. Sechzehn Meilen um Prag lag Alles wüst, denn der dritte Theil von Böhmen hatte in Flammen gestanden.«

»Das war das äußere Schicksal Böhmens, und welcher moralische Verfall damit verbunden sein mußte, ist einleuchtend – dennoch lebt Etwas in der Brust des alten Czechen-Stammes, was ihn vor gänzlicher Entartung schützt, und das ist ein tiefes nationales Bedürfniß, eine feurige Anhänglichkeit an seine von langher ihn schützenden Gesetze, eine nie ganz zu erstickende Sehnsucht nach seinen souverainen Freiheiten, und darum eine Richtung behaltend, welche der aufkeimenden Kraft ihren Platz anweist.«

»Dieses tief begründete, durch das gehäufte Elend nur gesteigerte, Gefühl für eine den volksthümlichen Bedürfnissen gemäße Handhabung ihrer Regierung blieb ihnen überall unerfüllt. Bei der hierdurch erregten tiefen Erbitterung zeigte sich allgemeiner Unwillen und die drohendsten Aussichten für die Zukunft, und wer befriedigt schien, zog die Verachtung seiner Landsleute auf sich und hatte sie in den meisten Fällen verdient, denn die Bereicherung Einzelner auf Kosten der Gerechtigkeit gegen Andere war das Abscheu erregende Mittel von Oben, den Gemeinsinn zu trennen und die Demoralisation zu vollenden.«

»So entstand Aufstand und Verschwörung überall und Niemand wollte dem tief verletzten Zustande zu Hülfe kommen, die Gewalthaber wollten ihn nur unterdrücken, und schauderhaft gemißbraucht erhob sich das Panier des Glaubens, um die Greuelthaten des Hasses und der Ungerechtigkeit zu decken, die alle um des Zweckes Willen gerechtfertigt gehalten wurden.«

»Nur ein kleiner Kern sich bewährender Männer blieb in diesem verbreiteten Elend sich selbst getreu. In dem Heiligthum ihrer Herzen bewahrten sie das alte volkstümliche Leben, unter dessen weisen Vorschriften Böhmen einst Deutschland voraus, blühend in Reichthum und geistiger Kultur, das Land der Lieder und des Gedankens war.«

»Sie gingen mit blutendem Herzen wie der gute Hirte durch das Land und suchten zu sammeln, was der Zerstörung entging.«

»Aber Böhmen, vormals reich an den goldenen Schätzen der Kunst und Wissenschaft, an denkenden Geistern und begeisterten Sängern – Böhmen sonst reich an betriebsamen Arbeitern, erfindungsreichen Handwerkern, war eine Wüste geworden, die keine Kunde gab von dem früheren Zustande, dessen Träger theils das Land verlassen, theils umgekommen, theils von dem Druck der nun waltenden Regierung niedergehalten, an dem Wiederaufleben besserer Zeiten verzweifelten.«

»Da bildete sich ein heiliger Haß in dem Busen dieser Wenigen; auf den rauchenden Trümmern ihres Vaterlandes reichten sie sich die Hände und gelobten sich, dem entweihten Boden seine Kinder wieder zuzuführen, das erstorbene Leben der Wissenschaft und Kunst, des Gewerbfleißes und des Ackerbaues wieder hervor zu rufen, es zu schützen und zu vertreten mit allen Kräften, selbst mit allem erdenklichen Widerstand gegen die herrschende Regierung, die kein Herz zu ihnen herüber brachte, die ein fremder Zuchtmeister blieb, fremd und ohne Antheil dem Versinken eines edlen Volkes zusah, welches sie nicht anders zu sich rechnen wollte, als um es auszusaugen und zu belasten.«

»Die Namen dieser Edelsten der Nation, dieser Ehrensäulen des Vaterlandes waren in einer langen Reihenfolge von Jahren Wenzel Eusebius Lobkowitz – Caspar Eusebius Thyrnau – Joseph Erbgraf von Lacy Wratislaw, der Großvater dieses Lacy. Kein Mittel blieb unversucht, Oesterreich auf die wahren Bedürfnisse des unterjochten Landes aufmerksam zu machen, kein Versuch der Nachgiebigkeit unterblieb bei ewig verfehlten Maßregeln, Ruhe und Einigkeit und Bewahrung des geleisteten Unterthanen-Eides zu erhalten.«

»Jedes Mittel blieb umsonst, und mein Vater hat die Aktenstücke, die dies belegen, wohl gesammelt, und sie werden ein leuchtendes Zeugniß der Wahrheit meiner Worte sein. So kamen diese Männer endlich zu der traurigen Gewißheit, von Oesterreich nie verstanden und vertreten zu werden, und das alte Recht der Souveränität lebte so, von den Beherrschern selbst geweckt, in diesen Männern wieder auf, und sie wollten den König, der sie gegen heillose Bedrückungen schützen könnte, sich selbst wählen und ihn auf den Thron ihrer alten Rechte setzen. Nicht übereilt, nicht ohne Zweifel, nicht ohne der Zeit ihre großen Rechte zuzugestehn, traten diese großen Entschlüsse ins Leben.«

»Gehindert und verfolgt auf allen Wegen, sammelten sie die umher Irrenden und suchten auf allen Punkten unter allen Ständen Träger ihrer großen Absichten aufzurufen, den alten Fleiß, den früheren Geist der Forschung, den veredelnden Einfluß der Künste suchten sie zu wecken und die Jugend ihnen zuzuführen. Ja! sie revoltirten, meine Herren – aber gegen Rohheit und Entsittlichung – gegen Müßiggang und Aberglauben, sie wollten Unterthanen bleiben, aber nicht um den Preis ihrer Seele, nicht um den Preis ihres alten Geistesglanzes! Frankreich blühte indessen – sie holten von dort den Saamen herüber, den sie in die Asche des Vaterlandes streuten. – Als er aufging, wollten sie auch den Gärtner von dorther holen, er müßte, dachten sie, verstehn, was aus jenem Saamen heranwuchs!«

»O! hüten wir uns des Wortes Hochverrats wenn wir dem leidenvollen Kampfe eines edlen Volkes zusehn, das von Dem zur Gegenwehr getrieben wird, der es bewahren sollte.«

»Gern bleibt ein Volk im stillen treuen Geleise – und baut mit Fleiß, wozu der Geist es treibt, und wahrt ein dankbar Herz dem Herrscher, der es in seinem Treiben schützt, und vergilt es, bereit zu dessen Wohl das still Erworbene zu benutzen. – Nur wer das Buch der Geschichte zuschlägt und seinen Inhalt leugnet, wird sagen dürfen, vom Volke ging der Kampf aus, und es sei gesinnungslos und ohne Treue, leicht dieser oder jener Fremdmacht zugewandt, die ihm den versagten Vortheil böte. – Es läßt im Gegentheil mit vollem Bewußtsein die Unbill geschehen, die vom alten lang angestammten Herrscher ihm geschieht, es keucht in seinen Leiden hin – es giebt die wohlerworbene Habe, es bietet sich und seine Kinder ohne Murren zum Schutze dar – und ob es gleich der Noth kein Ende sieht, will es doch die Hülfe nur von Dem, der ihm die Noth gelassen. Volksaufruhr ist das Gericht der Fürsten, es hat seine Ursache da, wohin zuletzt die lang verhaltene Strafe zurückfällt – es ist der Pfeil, der abgeschossen von der Scheibe zurückprallt und den Schützen tödtet!«

»Die Reihefolge aller Versuche Böhmens, sich selbstständig herzustellen – oder, wie es meinen Richtern erscheinen muß, die immer wiederholt angeknüpften hochverrätherischen Verschwörungen – sind in ihrer Zeitfolge der Wahrheit gemäß dargelegt worden. Auch sind die Ursachen richtig angegeben; warum man diese Unterhandlungen so oft abbrach – unsere Bedingungen wurden verworfen, da sie nicht den Verrath Oesterreichs umschlossen – auch war Frankreich in der Periode Colberts nicht so tief gesunken, den sich schützen wollenden Böhmen den Verrath Oesterreich anzubieten: man überließ uns lieber unserm Schicksal und zog sich kalt zurück. Als im Jahr 1705 Joseph den Thron bestieg, stand das arme Böhmen voll Hoffnung in der Eigenhülfe still und blickte vertrauend zu dem neuen Sterne auf.«

»Er hätte uns nicht getäuscht! – Und die Andeutungen, welche die sechs kurzen Jahre seiner Regierung gaben, bestätigten das warme Vertrauen, mit dem wir auf seine Hülfe harrten. Doch der unglückliche spanische Erbfolgekrieg, den er ununterbrochen für seinen Bruder Karl führte, entzog uns die Segnungen, die sein aufgeklärter Geist, sein milder Karakter uns hoffen ließen. Aber so blieb es nicht, als Karl der Sechste nach seinem Bruder den Thron bestieg; mit ihm zog das düstere Gefolge der Jesuiten und der spanischen Etikette über uns her.« –

Es entstand eine Pause, und wie sie veranlaßt ward, blieb unentschieden. – Es war schon einige Male bei den kühneren Wendungen in Thyrnau's Rede bei den Vorsitzenden Herren eine Art Unruhe entstanden, die allein Kaunitz nicht zu theilen schien, sondern im Gegentheil mit einem fragenden Blicke zu beschwören suchte. – Jetzt nahte man sich der Periode, welche der gegenwärtigen so nah vorangegangen war, daß man die Gegenwart, wie es schien, in ihr mit beleidigen konnte. – Ob das Thyrnau selbst fühlte, ob die Mimik vor ihm seine Gedanken darauf richtete – genug, es trat eine Pause ein, die doch von der Gegenpartei, wie billig zu verwundern stand, nicht zu einigen Ermahnungen benutzt ward.

Thyrnau weckte es aus seinen Selbstbetrachtungen, daß es ihm war, als habe plötzlich der Kopf der alten Dame durch die Vorhänge der Thür gesehen – als er aufblickte, sah er, daß alle Herren bis auf Kaunitz, welcher mit dem Rücken dahin saß, die Augen nach derselben Richtung gewendet hatten, doch schon war Alles verschwunden und Graf Bartenstein sagte hastig: »Fahren Sie fort.« – Kaunitz prüfte die geschnittene Feder auf einem kleinen Blättchen Papier und malte mit der wohlgerathenen Feder die Namenszüge der Kaiserin. Thyrnau konnte kaum ein Lächeln wehren – wie wohl gefiel ihm die ironische Ruhe des großen Mannes.

»Wir hatten Frieden behalten,« fuhr er dann fort – »Böhmens Grenzen waren geschont geblieben und der Boden, der so lange von Blut und Trümmerhaufen geraucht, zeigte wogende Kornfelder, duftende Wiesen, und Heerden weideten, wo Kriegsrotten gekämpft, Städte und Dörfer zeigten ihre empor wachsenden Häuser – wer vorüber wanderte, mußte den gesegneten Anblick des Landes preisen. Aber die verderbliche Auflösung, die es erfahren, gährte noch durch alle Verhältnisse fort, und der wahre Patriot stand mit bekümmertem Herzen unter den Segnungen, die der schöne Boden des Landes darbot und einen Wohlstand erzeugte, der kein Heil für das höhere Leben seiner Bewohner darbot.«

»Die Inquisition, diese finstere scheußliche Ausgeburt des Despotismus, welche unsere mehr spanischen als deutschen Herrscher aus ihrem Geburtslande zu uns herüber geführt, sie ward den einst freien Böhmen aufgebürdet und trat mit schrankenloser Willkür in ihr tödtendes Amt. – Es gab weder Freiheit des Gedankens noch des Besitzes und regte auf verdammliche Weise die Sündhaftigkeit der Menschen an, welche erst anfingen, aus der Versunkenheit, die so langes Krieges- und Despoten-Elend über sie verhängt, in einzelnen hoffnungsvollen Symptomen aufzutauchen, die der edle Männerbund genährt und geschützt. Der Adel war tiefer schon verderbt durch seine habsüchtigen Bereicherungen, die er durch gefügige Schritte gegen den Hof und die herrschende Priesterpartei zu erhalten trachtete. Er war dabei gemischt durch die mit dem Kriege veranlaßte Übersiedelung fremder Edelleute, denen man in Böhmen die confiscirten Besitzungen überlassen hatte, ihre Dienste zu bezahlen – sie mischten vollends ohne Liebe für das neue Vaterland ihre verderbten Sitten in den aufgelösten moralischen Zustand, den sie vorfanden, und setzten rohe Gewalt den schwach beschützenden Gesetzen entgegen. Die Bauern wurden aufs Neue den empörendsten Bedrückungen Preis gegeben und ihnen kaum menschliche Rechte zugestanden. Ihre alten Privilegien blieben ihnen entzogen, der Gutsherr blieb ihr Henker und ihr Gerichtshof – und wo die Verzweiflung sie nicht zu Bösewichtern machte oder zu Aufständen führte, die neue verstärkte Strafgerichte nach sich zogen – versanken sie unter den dumpfen Druck des Unglücks und wurden bald, nicht ohne Grund, nicht höher angeschlagen als die Bewohner der Ställe und Weiden. Um so weniger war hier auf Abhülfe von Oben zu hoffen, da diese großen Grundbesitzer, die so verfuhren, als brauchbare Zwingherren einer Masse, welche sich schon oft furchtbar gezeigt, angesehen wurden, und da noch der Grundsatz galt, daß der Geringere gegen den Vornehmeren Unrecht habe. Zwischen diesen Konflikten war der Mittelstand gewachsen – der Ritterstand hatte sich ihm angeschlossen und die edlen Großen Böhmens, die nicht mit unrechtmäßigem Zuwachs ihren alten Erbsitz belastet, schlossen sich nach und nach ihnen an. Dies war der ehrenwerthe Kern der Nation – er war zugleich der Gegenstand der Verfolgung, als der einzige, der zu fürchten war, auf den sich die Späherblicke der Inquisition richteten, um ihn in sich zu trennen, zu entzweien und die Einzelnen zu vernichten!«

»Das Institut, welches man ohne unser Zuthun die Fürstenschule nannte, war der erste Gegenstand der Verfolgung. Die Feinde einer freien menschlichen Entwicklung hatten vollkommen Recht, diese Schule zu fürchten, denn von ihr hatten sich bereits bedeutende Menschen verbreitet, welche die empfangene Gesinnung weiter pflanzten, und in seinem Schooße wurden fortwährend die Keime der Geistesentwicklung genährt, die noch keinen Boden fanden in der Gesammtmasse.«

»Die Geister, die in Deutschland, England, Frankreich und Holland damals aufstanden, befruchteten mit ihren Lehren das kleine Gebiet, das dies Institut umschloß. Leibnitz, als Weltweiser und Seelenforscher – Newton, der die Geheimnisse des Himmels und der Natur ergründete – Montesquieu, als Staatslehrer und Bürgerrechts-Freund – Börhave, als Scheidekünstler und Arzneiverständiger – Bayle, als Mährchenzertrümmerer und Geschichtsbegründer – ihnen Allen war der Altar in dem kleinen Kreise aufgerichtet, an dem die heranreifende Jugend dem heiligen Dienste für das Wiederaufleben des Vaterlandes geweiht ward.«

»Die Jesuiten, so lange als die berühmtesten Schullehrer bekannt, sahen mit Haß und Entsetzen die eben genannten großen Geister erstehen, die in so kurzer Zeit alle ihre Erfolge weit hinter sich ließen, und wer ihnen anhing, den traf ihre Verfolgung. Mein Vater und der Graf von Lacy erlebten den Schmerz nicht mehr, das Institut vernichtet zu sehn, von dem sie mit Recht so Großes gehofft. Ohne Widerstand befolgte ich den Befehl, es aufzulösen, und horchte des Schrei's, den dieser Gewaltstreich unter meinen Anhängern verbreitete. Doch wenn ich die Leiden und Bedrückungen hier andeute, die wir unter Karl dem Sechsten erlitten, ist mir die Unbefangenheit geblieben, ihn selbst von diesen Erfolgen zu trennen – er hat das Gute überall gewollt, selbst gegen dies ewig gemißhandelte Böhmen, und er hat vielleicht geglaubt, seine Gesinnung habe ausgereicht – aber ihn trennten zwei furchtbare Mächte von den warm pulsirenden Herzen seiner Unterthanen: die unüberwindliche Etikette und der nothwendig damit verknüpfte starre Einfluß einzelner dadurch bevorrechteter Personen, welche die zur ausgedehntesten Hingebung bestimmte Wesenheit des Fürsten, zu der Einmauerung eines Gefangenen verurtheilen und ihn mit den tausend Bannformeln dieser Etiquette an jedem natürlichen Zugeständniß vorüber führen. Diese werden es einst vor dem höchsten Richterstuhle zu verantworten haben, daß sie mit ihren erlogenen Rechten den von Gott berufenen Fürsten von seinem Platz verdrängt und das natürliche Verhältniß des Menschen durch Absonderung und Menschengeringschätzung von ihm abgehalten.«

»Wehe dem Fürsten, dem die Stimme fehlt, die ihm zuruft: Sei erst Mensch – wenn Du Fürst sein willst – frage die Gebräuche, mit denen man Dich ummauern will, ob sie sittlich begründet – ob sie Dich nicht von Gottes Wegen ablenken, wenn sie Dich auf eine Höhe leiten wollen, die Deine Natur mit knechtischer Ueberredung zu entmenschlichen versucht – und den Segen, den Gott unfehlbar auf die Häupter seiner Fürsten legt, den finde in der Kraft, die Dich – und nähmest Du den Reifen vom Haupte – als Fürsten belassen würde! Karl der Sechste fand diese Stimme nicht – er sah durch fremde Augen – er hörte die fern gehaltene Stimme seiner Unterthanen nicht – als redeten sie eine andere Sprache, so kannte er ihre Worte nur in der Übersetzung, welche die Hofsprache ihm zutrug. Wir waren gut unterrichtet und wußten, daß wir in den Steppen Asiens nicht entfernter von ihm liegen konnten. Seine Krönung in Prag änderte hierin nichts – nur festeren Fuß faßte die Bedrückung, und das Elend des Bauernstandes wuchs in eben dem Maaße, und bald war die kurze Hoffnung und der damit verbundene Volksjubel verschwunden.«

»Im Jahr 1727 ging ich zuerst mit Joseph von Lacy nach Paris, denn Lacy und Thyrnau die Väter lebten in den Söhnen fort. Fleury stand an der Spitze der Geschäfte und er kannte unsere Lage, ehe wir sie ihm vortrugen. Die Dokumente über diese Zeit finden sich vor. Wir wollten aufs Neue die Unterhandlungen um einen französischen König anknüpfen, unter denselben Bedingungen, die uns gegen Oesterreich unabhängig, aber nicht feindlich stellen sollten. Fleury verwarf diese Bedingung gänzlich, und wir trachteten nach dem Ohr des Königs, von dem wir über diesen Punkt größere Nachgiebigkeit hofften. Der Weg zu ihm ging nur durch das Boudoir der Herzogin von Chateaux Roux – sie versprach uns Unterstützung und wir reisten ab. Fleury wollte Zeit gewinnen; er hoffte, die Verfolgungen, vermehrt durch Einflüsterungen über diese beabsichtigte Verschwörung, sollten den Haß steigern und uns geneigter machen, unsere Bedingungen zu verlassen. Oft noch kehrte ich dahin zurück, und obwol ich noch der Träger dieser Unterhandlungen war und Alle mich als ihren Bevollmächtigten ansahen, kehrte ich doch jedes Mal weniger dafür geneigt zurück, und dies aus dem doppelten Grunde, weil ich die Absichten Frankreichs immer deutlicher erkannte und immer tiefer verachten lernte, und auf der andern Seite in Böhmen selbst eine Veränderung vorging, die mir nach und nach eine andere Hoffnung aufgehen ließ.«

»In der Zeit liegt eine Selbsthülfe, gegen die noch kein Despotismus die Schranke gefunden hat – und der Widerstand gegen ihre Entwicklung wird oft grade das Mittel zu ihrer Förderung. – Das Land zeigte seine tiefe, ihm einwohnende Thätigkeit auch unter dem geistigen Drucke der auflauernden Beschränkung, die es überall erst zu überwinden fand. In den Städten regte sich ein Leben, das die herrschende Partei nicht wollte und das doch fort wuchs und eine Macht heran bildete, die gerade bekämpft ward und doch zunahm – ein unsichtbarer Geist verbreitete überall das Getriebe des Geistes, der unterdrückt werden sollte, und überall seine Zeichen wahrnehmen ließ. Schon seit der Auflösung des Instituts waren meine und Lacy's Kräfte vereinigt, um für den Wohlstand der unterdrücktesten, hilflosesten Klasse unserer Landsleute – für den Bauernstand zu wirken. Lacy hatte angefangen auf seinen Besitzungen das Elend zu mildern und diese Unglücklichen als Menschen herzustellen. Es war mit dem großmüthigen Willen hierbei nicht abgethan – diese tief gesunkene Klasse war der Wohlthat kaum empfänglich, die vorhandene Generation zeigte sich wenig bildungsfähig. Rohheit oder Stumpfsinn verhinderte jede freiere Ansicht. Wir mußten uns der Jugend bemächtigen, uns erst Menschen erziehen, um ihnen nur den Willen nach Freiheit einflößen zu können – außerdem fanden wir die feindlichsten Anfechtungen bei Lacy's Standesgenossen – Aufreizungen der blödsinnigen Menge gegen uns, und um nicht Alles zu verlieren, mußten wir die größten Opfer, die edelsten Pläne geheim halten und Mittel erdenken, gegen den Willen der schwer Bedrückten sie zu entlasten.«

»Während dieser Zeit hatten wir entschieden jede Beziehung zu Frankreich abgebrochen und vertrauten den langsam nach Innen wachsenden Kräften.«

»Hier trat eine Zeit der Trennung zwischen mir und Lacy ein, unsere freundschaftlichen Beziehungen hatten aufgehört – ich lebte theils in Prag, theils an verschiedenen kleineren deutschen Höfen und zuletzt an dem Hofe Sr. Durchlaucht des hier anwesenden Fürsten von S., indem ich die Angelegenheiten dieses Fürsten mit dem Nachbarstaate des Fürsten von Z. zu reguliren übernommen hatte.«

»Diese Verhältnisse währten einige Jahre und nahe an ihrem Abschluß entriß mich eine höhere Pflicht ihnen für immer.«

»Lacy, der edle Freund meiner Jugend, rief mich zu seiner Hilfe herbei. Was uns getrennt, sollte uns aufs Neue und von da an fürs Leben vereinigen. Lacy besaß einen Sohn. – Die besonderen Verhältnisse desselben zu meiner Familie hatten früher die Väter entzweit. – Eine tiefe melancholische Stimmung, welche danach dem jungen Manne geblieben, zu zerstreuen, da sie an seinem Leben nagte, schickte ihn der Vater nach Italien, und seine Rückreise führte ihn durch Frankreich.«

»Dieser Jüngling war unter unsern Augen erwachsen und vom Knaben an ward er genährt mit der Vaterlandsliebe, die ihm seine nationale Czechenliebe sichern sollte. Unzertrennlich von uns Beiden, kannte er alle unsere früheren Pläne mit Frankreich, und da er uns oft als Sekretair gedient und ein vortreffliches Gedächtniß besaß, waren ihm jene Verhältnisse so gegenwärtig als uns selbst. Die Veranlassung unserer Trennung hatte dagegen dem jungen Manne nur eine Richtung der Gedanken und Gefühle gelassen; jede politische Beziehung, jedes vaterländische Interesse war davon verdrängt, und so muß ich annehmen, daß ihm unsere gänzlich aufgelösten Verhältnisse zu Frankreich und die Hoffnungen für unser Vaterland, die uns dazu berechtigten, unbekannt blieben oder doch von seiner völligen Gleichgültigkeit gegen Alles, was ihn umgab, übersehen wurden.«

»Als mich mein Freund Lacy, der Vater des jungen Mannes, mit den Worten berief: Gedenke nicht meines Unrechts, sondern unserer alten Freundschaft und unseres Vaterlandes! – fand ich ihn in Verhältnissen, die, wenn uns nicht das Gefühl unserer Wiedervereinigung aufrecht erhalten hätte, uns kaum den erforderlichen Muth zu dem, was nun über uns kam, gelassen hätten.«

»Der Jüngling – den ich eingeweiht nannte in alle unsere Verbindungen mit Frankreich – war auf diesem gefährlichen Boden angekommen und mit völliger Unkenntniß des augenblicklichen Standpunktes der Dinge in die Schlingen gegangen, die man ihm gelegt. Er war dabei pekuniäre Verpflichtungen eingegangen, die darum so ungeheuer waren, da sie früher vor der Auflösung des Männerbundes von den bedeutendsten Kapitalisten mit ihrem Vermögen und ihren Verbindungen gestützt, jetzt auf den einen Namen Lacy garantirt waren. Er hatte mit der rastlosen Wildheit und Ungeduld eines Unglücklichen gehandelt, er hatte unseres Rathes nicht mehr zu bedürfen geglaubt, sein Name, der schon so wohl bekannt in diesen Unterhandlungen war, hatte ihm seine Unbesonnenheiten erleichtert. – Was bereits geschehen war, hatte die Sache zu einem Punkte getrieben, auf dem sie früher noch nicht gestanden, er hatte ungeheure Schulden gemacht, um dem Prinzen, der sich zu unserer vermeintlichen Rettung an die Spitze stellen wollte, ein Truppenkorps zu geben, mit dem er sich in dem von französischen und preußischen Truppen, für Karl Albrecht vorläufig besetzten Böhmen festsetzen wollte, in der sicheren Erwartung, dasselbe werde alsdann sogleich zu seinen Gunsten aufstehn. Ja es mußte uns wahrscheinlich werden, daß wir mit dieser scheußlichen und einfältigen politischen Mißgeburt durch die Ausführung selbst überrascht worden wären, wenn die Schulden und die eben so großen Verpflichtungen, die der unglückliche junge Mann gemacht, ihn nicht gezwungen, uns von dem Stande der Dinge in Kenntniß zu setzen und die Geldmittel zu fordern, die, wie er wußte, früher für diesen Zweck bereit gelegen hatten.«

»Unsere erste Handlung war, ihn zurück zu rufen; wir enthielten uns dabei jeder schriftlichen Erklärung über die gethanenen Schritte und forderten blos seine Gegenwart. – Er leistete unserm Willen Folge und traf ein, ehe wir noch zu einem festen Entschlüsse gekommen waren, ehe wir übersehen konnten, auf welche Weise wir dem Uebel zu steuern im Stande sein würden; denn, meine Herren! jetzt hielten wir selbst jeden Schritt der Art für Hochverrats und kein Gerichtshof der Erde hätte uns stärker verklagen können als wir selbst, wenn noch ein Hauch in uns diese Pläne begünstigt hätte.«

»Durchaus verändert war der Zustand des Landes; denn Böhmen und Oesterreich waren ein Vaterland geworden, sie hatten einen Herrscher – einen Herrscher, wie Gott sie nur selten in großen und wichtigen Entwickelungsmomenten der Weltgeschichte auf den höchsten Standpunkt beruft, in ihrem Geist ihnen die Gewalt sichernd, mit der sie der harrenden Zeit ihre Hüllen abstreifen.«

»Die Schranken unseres Vaterlandes waren geöffnet – Maria Theresia stand im vollen Waffenschmuck, und ihre Worte waren die Herolde, die dem staunenden Europa verkündigten: daß ein Fürstenherz, das sich seiner heiligen Bestimmung bewußt ist, sich unbesiegbar fühlt und versichert, daß das Rechte sein Ziel erreicht! Wenn wir schon in der letzten Zeit der Regierung Karls des Sechsten schweigend der Zukunft geharrt, so war es die Ahnung, daß in der jungen Fürstin, die ihm folgen sollte, ein großes Herz schlüge. Wie war diese Hoffnung gerechtfertigt, als sie auf dem großen Schauplatz ihrer Thaten erschien und jeder Schritt eine wichtige Handlung war, jede Begebenheit ein Mißgeschick, an dem sich ihre Kraft entwickelte.«

»O! wer geschmachtet hat nach dem Ideal einer Herrschergröße, die das Leben nicht zur Wahrheit machen will, wer mit Schmerz und Widerstreben sich in anderer, von ihm selbst fast angefeindeter Richtung nach dem Schutz umsah, den er so gern allein von dieser wirksamsten höchsten Stelle empfangen hätte – wer nach diesem Kampfe plötzlich erlöst wird durch das Wahrwerden des ersehnten Traumes, der wird mich verstehen, wenn ich sage: jetzt fühlten wir uns Alle wiedergeboren! Ein Jeder durfte sich in seiner Kraft bekennen – Alles, was ihn getrieben, durchdrungen, was er entwickelt, wonach er mit Inbrunst sich gesehnt, es fand jetzt seinen Platz: denn das göttliche Gefühl der Vaterlandsliebe erweckt und fördert die edelsten Kräfte des Menschen, und wenn es zusammen fällt mit der heil'gen Liebe zu einem großen Herrscher, der seine Zeit versteht, dann ist dies Gefühl der Triumph der Menschheit, dann sehen wir ein Volk die Riesenschritte thun, die es an die Spitze der Nationen führen und ein Sieger aus ihm werden, unter dessen Panier die Edlen aller Länder sich sammeln mochten, um der Freiheit theilhaftig zu werden, die kein Widerstand mehr ist!«

»Mit welcher Lust fühlten wir, daß Maria Theresia uns selbst von aller Schuld entlastet hatte – daß nicht mehr Sünde und Hochverrath genannt werden konnte, was sie selbst als Frucht der Zeit erkennend mit sicherer Hand vom Baume der Erkenntniß brach – daß Jeder ihr die vergrabenen Schätze zutragen durfte, versichert, sie werde Gold erkennen und ihm den Stempel aufdrücken, der es beglaubigt.«

»So fühlten wir und mit uns Alle, die noch von dem ehemaligen Männerbunde der Tod verschont. Kurz vorher hatten wir die schönste Vereinigung getroffen, – die, auf Tod und Leben, mit allen unsern Kräften, mit Gut und Blut Maria Theresia uns zu weihen – und Den, der davon abweichen würde, unter uns als Hochverräther zu bezeichnen – ihn auszustoßen aus dem heil'gen Bund; ihn unschädlich zu machen auf jede Weise!«

»Und um diese Zeit traf Lacy, den treuesten Anhänger dieses Bundes, der entsetzliche Schlag, daß sein Sohn der Erste war, den der Name Hochverräther traf. – Nachdem wir Alles, was uns von dem wahnsinnigen Plane des jungen Lacy vorlag, wol erwogen, rief ich dem gebeugten Vater zu: Wohlan! wir haben gelobt, Jeden, der von der Richtung abweicht, die wir jetzt allein für Recht und ehrenhaft erkennen – unschädlich zu machen auf jede Weise – das Wort wollen wir uns halten und müßten wir Beide Alles daran setzen, was wir besitzen!«

»Als der junge Mann uns mündlich seine Pläne und seine Anordnungen enthüllt, war es nicht schwer, ihm die Thorheit derselben zu zeigen, und als er, getrennt von den Verführern, die seine Schritte geleitet, schnell an der klaren Auseinandersetzung unserer Gegengründe bis zur Erkenntniß seiner maaßlosen Verschuldung kam, war diese Erkenntniß zu viel für den erschütterten Jüngling. Schaudernd wandte er sich von sich selber ab und bald überzeugten wir uns, er werde unfähig sein, die unglückliche Angelegenheit, die auf das grausamste verwickelt war, zu beendigen, und da keine Zeit zu verlieren war, indem der augenblickliche, durch den Krieg sehr unglücklich gewordene Zustand Böhmens benutzt werden sollte, entschloß ich mich, nach Paris zu gehen und um jeden Preis diese verderblichen Pläne zu hintertreiben.«

Der Fürst von S. hatte während des letzten Theils der Erzählung Thyrnau's nicht geringe Unruhe gezeigt und mit Blicken und ironischem Lächeln und Zucken von Kopf und Schultern gegen die Tafel hin ungeschickte Andeutungen versucht, die Rede Thomas Thyrnau's zu verdächtigen. Da die Herren sich überhaupt jeder beschränkenden Einmischung enthielten, war ihm dies ohne Störung hingegangen – jetzt verlor er jedoch seine Mäßigung völlig. – »Hintertreiben,« schrie er mit dem Lachen des Hohn's. – »O! Du alter Kumpan! Du hast Deine Fuchsrolle gut auswendig gelernt – von der Leiter zum Galgen wirst Du Dich noch herunter lügen – gut hast Du die Sache gewendet, aber ich bin auch noch da und war mit Dir zur selben Zeit an Ort und Stelle und habe Deine Wege bewacht!«

»Und ich die Ihrigen unschädlich gemacht,« sagte Thomas Thyrnau mit der Ruhe der Ueberlegenheit, und sein Hoheit sprühendes Auge überlief den widerwärtig tumultuanschen Zustand, in dem der Fürst von S. sich zeigte. »Euer Durchlaucht würden es sich selbst zuzurechnen haben, wenn ich meine Mittheilungen an Dinge streifen ließe, die Euer Gnaden nicht wünschen würden, in ihrem wahren Lichte dargestellt zu sehen – seien Euer Durchlaucht aber überzeugt, daß ich dieser Dinge nur gedenken werde, wenn sie nothwendig im Zusammenhange liegen – es hat sehr wenig Interesse für mich, das Leben eines Mannes ans Licht zu ziehen, dessen Dasein zu vergessen meine Aufgabe als Christ ist.«

»Oho!« rief der Fürst – »Herr Advokat, wir sind noch sehr stolz in unsern Entgegnungen – das Ende wird uns demüthiger machen.«

»Ich glaube,« entgegnete Thyrnau – »es ist hier nicht der Ort, ein Wortgefecht zu halten, ich muß um Raum bitten, meine Erklärungen abgeben zu können!«

»Euer Durchlaucht wollen sich geneigtest zurückhalten,« sagte der Graf von Bartenstein.

»Gut! gut!« rief der Fürst – »ich kann schweigen – die Rede wird wieder an mich kommen und dann wird sich Alles finden.«

»Herr Thomas Thyrnau,« sagte der Baron Binder – »Sie haben das Wort!«

Nach einer Pause des Nachdenkens fuhr Thyrnau fort: »Ich fand die Angelegenheit bei meiner Ankunft in Paris schlimmer und besser, als ich dachte. Die hohe Person, die sich als König von Böhmen zu zeigen geneigt war, hing weder mit dem Hofe noch mit den Ministern des Königs – einen Einzigen ausgenommen – zusammen, glaubte aber beim Hervortreten der Absicht auf Aller Schutz rechnen zu können. Meine Unterhandlungen richteten sich zuerst auf diesen Prinzen, und indem ich mich so schonend als möglich bemühte, die Unbesonnenheit aufzudecken, die ihn selbst verleitet hatte, mußte ich doch zugleich den Jüngling berücksichtigen, dessen Name mir so theuer war als mein eigner – auch durfte ich die erwähnte hohe Person durch meinen Widerspruch nicht so reizen, daß sie sich geneigt fühlen konnte, meine Unterhandlungen abzulehnen, denn Alles lag uns daran, die völlig bloßgestellte Ehre des Jünglings zu schonen, die mit der Bekanntwerdung dieses Planes an unsere früheren Verbündeten fast unwiderruflich verloren schien.«

»Wir hatten uns das Wort gegeben, jedes Opfer zu bringen, um den schmählichen Verdacht dieses jetzt abscheulichen Complotts von dem Namen Lacy abzuwenden, und ich fand dadurch gehäufte Schwierigkeiten – denn ich entdeckte jetzt, die Sache immer genauer ergründend, daß viele höchst unbesonnene Verbindungen mit den kleinen deutschen Fürsten angeknüpft waren, welche gegen ansehnliche Versprechungen sich verpflichtet hatten, diesen Plan zu unterstützen. Es war daher die große Schwierigkeit zu lösen, Alle in ein und dasselbe Interesse zu verwickeln und Alle in dieselbe Gefahr zu bringen, sobald die Sache entdeckt ward.«

»Meine Erzählung erlaubt mir jetzt, in Sprüngen zu berichten, da ich hier nicht mit der Absicht stehe, anzuklagen, sondern die Wahrheit bloß den gemachten Anschuldigungen entgegen zu halten. Es gelang mir durch einen kühnen Entschluß, die einflußreichste Person Frankreichs für alle meine Verlegenheiten zu interessiren. Die Feindschaft derselben zu dem erwähnten Prätendenten half mir. Ludwig der Fünfzehnte bedrohte, von ihr unterrichtet, den Prinzen mit seiner Ungnade, wenn nicht jede Unterhandlung abgebrochen werde, und jetzt ward ich selbst ersucht, die Sache zu beendigen, allerdings mit der Verpflichtung, die bereits bestehenden Verbindlichkeiten einzulösen.«

»Ha!« rief Kaunitz hier und drückte die sorgfältig geschnittene Feder so heftig auf den Tisch, daß der Spalt auseinander fuhr – »so ist das Resumé: daß der König von Frankreich und seine Umgebungen schon damals, als der Krieg noch unter uns stattfand, – die Absicht dieser Hochverräther nicht unterstützten.«

»Wir haben dafür das Zeugniß des Angeklagten,« entgegnete der Graf von Bartenstein – »ich werde nicht nöthig haben, Euer Gnaden darauf aufmerksam zu machen, daß dies uns erst als Beweis dienen kann, wenn wir seine Richtigkeit ermittelt haben. Auch möchte die damalige Stimmung Frankreichs gegen Oesterreich von wenigem Belang sein: die Feindseligkeit war ausgesprochen, offen ward der sogenannte Karl der Siebente von Frankreich begünstigt, Böhmen war im selben Augenblick der Kriegsschauplatz; ob man es für Karl Albrecht, den Kurfürsten von Baiern, oder für sich selber zu rauben dachte, blieb ziemlich gleichgültig. – Aber wichtiger muß es scheinen, daß wir Belege finden, wie noch bis in die neueste Zeit die Verbindungen fortbestehen und ungemein große Zahlungen durch den Advokaten Thyrnau und den Grafen Lacy geleistet wurden, welche ein Fortbestehen von Bestechungen zu unerlaubten Zwecken darzulegen scheinen.«

»Dies ist vollkommen richtig,« entgegnete Kaunitz – »und Sie, mein Herr Advokat Thyrnau, werden Sie ausreichende Gründe anführen können, welche nachweisen, wie Sie bis zu unserer Zeit in so auffallendem Verhältniß zu Frankreich blieben?«

»Es kann darüber kein Zweifel sein,« erwiederte Thyrnau – »die Handelshäuser und Lieferanten, die bei den Zahlungen betheiligt sind, haben dargethan, wofür die Summen, die sie empfangen, bezahlt worden sind. Es ist hier nicht das kleinste weiter gehende Einverständniß nachzuweisen, es zeigt sich überall nur das Verhältniß eines Privatgeschäfts, und ich habe soeben erzählt, wie die unglückliche Intrigue des jüngeren Grafen von Lacy das Aufgebot großer Geldmittel, welche seine unbesonnenen Verpflichtungen geräuschlos tilgten, nöthig machten, um den Namen Lacy vor dem traurigsten, gewiß unaustilgbarsten Verdacht zu schützen.«

»Wer gab diese Geldmittel?« fragte hier der Graf von Uhlefeld. – »Sie sagen, daß Sie diese Sache der Kenntniß der früheren vermögenden Verbündeten entzogen haben, daß sie unter dem Grafen von Lacy und Ihnen abgemacht worden ist – aber wir wissen sehr genau, daß der Graf Lacy damals nicht über so große Geldmittel zu gebieten hatte, da die Neuerungen auf seinen Gütern den Ertrag geschmälert und das Kriegsunglück überdies sein Vermögen zurückgebracht hatte.«

»Sollte die Beantwortung dieser Frage wirklich zur Sache gehören?« sagte Thyrnau plötzlich in etwas stolzem und gereizten Tone. – »Wenn aus denen Ihnen zu Gebote stehenden Beweisen hervorgeht, daß diese Zahlungen ein Privatgeschäft sind und keinen andern Zweck als den angegebenen hatten, was kann es für Wichtigkeit haben, woher diese Mittel flossen? – ich werde mich der Beantwortung keiner Frage entziehen, diese aber entweder gar nicht oder unter besondern Bedingungen beantworten.«

»Wir müssen Ihnen zu bedenken geben,« erwiederte Graf Bartenstein, – »daß nur die größte Offenheit, die klarste Darlegung der ganzen Sache Ihnen nützlich werden kann.«

»Nützlich?« betonte Thyrnau. – »Meine Herren, was mir nützlich oder nachtheilig werden kann, ist hier nicht die Hauptsache. Die Wichtigkeit meiner Aussagen haben bloß den Werth, ob sie in diesem Augenblick eine neue politische Treulosigkeit Frankreichs erweisen können ober ihren Ungrund bestätigen – dazu werden meine Aussagen nützlich sein, und das ist der Werth, den ich selbst noch habe. Es kann hart scheinen, daß ich im siebenzigsten Jahre von Handlungen meiner Jugend Rechenschaft geben soll. Doch ich kann das kaum finden – indem ich sie jetzt eingestehe, kann ich sie doch nicht verdammen, ja ich halte sie für ein damals edles begründetes Rechtsgefühl, und nenne sie so mit Achtung und Ueberzeugung in einem Augenblicke, wo ich mich ihres Mißlingens freue und jedes ähnliche Unternehmen jetzt mit vollem tiefen Unwillen: Hochverrath nennen würde!«

»Meine Papiere sind in Ihren Händen – die Lücken darin bin ich bereit auszufüllen – wenn ich dies geleistet, sehe ich mit der Ruhe, die mir seit lange über diese Angelegenheit inne wohnt, den Erfolgen für mich entgegen. Meine Wünsche für diese Welt sind nur noch auf ein zartes junges Leben angewiesen, das mir anhängt – wird es in meinen Fall verwickelt, so hat Gott das Senkblei für seine Leiden – ich habe diesen Augenblick erwartet und es erfüllt mich mit Dank, daß ich erst so spät und zu einer Zeit in meinem Berufe gestört werde, wo ich ihn selbst als aufgehoben ansehe – selbst nur noch ein Zuschauer mich fühle, den großen Katastrophen gegenüber, denen mein Vaterland entgegen eilt!«

»Warum aber weigern Sie sich, anzugeben, woher diese Geldmittel strömten, die zu einem bedeutenden Vermögen zu berechnen sind?« sagte Graf Bartenstein. – »Es ist nicht gut, daß Sie dabei ein Geheimniß zu verbergen haben – ich kann Ihnen nicht vorenthalten, daß dadurch der Verdacht verstärkt wird, als haben die früheren Verbindungen noch denselben Fortbestand. Wir wissen, daß Sie mit einer sehr einflußreichen Person am französischen Hofe in Korrespondenz sind, daß diese selbst durch den anwesenden Grafen von Lacy eine bedeutende Summe Geldes erhielt, wodurch derselbe in den Verdacht gerathen, der ihn vor's Erste zu Ihrem Mitschuldigen zu machen scheint!«

»Ich danke Eurer Durchlaucht,« sagte Thomas Thyrnau, sich gegen den Fürsten von S. verneigend – »Ihr Antheil an meinen Angelegenheiten ist sehr groß gewesen. Nachdem ich es Ihnen unmöglich gemacht habe, Ihre für einen deutschen Reichsfürsten wenig passenden Pläne auszuführen, ist es Ihnen wohl gelungen, die Schritte eines Mannes auszuforschen, den Sie im Gefühl Ihrer eignen Handlungen zu kompromittiren hofften.«

»Ich muß aufs Neue bemerken, daß der Glaube an die Aussagen dieses Redners Sie nicht irre führen dürfen,« rief hier der Fürst von S. – »Meine Schuld an der Sache habe ich eingestanden – Euer Gnaden haben die Namen-Listen der damals so wie ich verführten jungen Fürsten gesehn – ich will daher nicht leugnen, daß wir diesen Herrn Thyrnau zu unserm Advokaten in Paris gemacht hatten, ich muß außerdem sagen, daß ich das Vertrauen der Frau Marquise von Pompadour genoß, und immer daraus die Schritte des Herrn Advokaten beobachten konnte, welcher sich gleichfalls das Ohr dieser einflußreichen Dame erschlichen hatte, welche mir immer sagte, sie hoffe mit Hülfe Thyrnau's jene Angelegenheit glücklich zu Ende zu führen.«

Thyrnau's Angesicht überflog ein Lächeln – er ließ den hastig Redenden vollenden. – »Ich werde meine Verbindung mit der geistreichsten Frau Frankreichs nicht leugnen, und ich bin überzeugt, die geehrten Anwesenden haben schon vorher vollkommen verstanden, daß ich nur sie meinen konnte, als ich des Beistandes einer einflußreichen Person gedachte. Doch habe ich über die Art dieser Verbindung keine Beweise. – Wir haben theils alles Wichtige mündlich verhandelt, und der scherzhafte Wechsel kleiner Billets, die hin und her flogen und freilich nicht mehr in meiner Hand sind, würden doch auch in ihrer heitern Form noch darthun, daß ich nur Agent Seiner Durchlaucht, und einiger seiner Standesgenossen ward, damit es kein Anderer werden konnte – daß die Frau Marquise durch meine Klagen über die ungeduldige Betriebsamkeit Seiner Durchlaucht vermocht ward, ihn selbst darüber zu beruhigen. – Daß sie dies jedoch mit der neckenden Weise that, die Ihr eigen ist, und daß Seine Durchlaucht gerade dadurch geneigt wurde, das Gegentheil von dem zu glauben, was wirklich geschah, muß ich in der That ablehnen zu vertreten.«

Das Lächeln, was hier von Kaunitz, dem dieser Thomas Thyrnau mit jedem Augenblick lieber ward, nicht unterdrückt werden konnte, reizte den Fürsten zu einem ungestümen Aufbrausen des Zornes.

»Wie?« rief er wild in die Höhe fahrend – »wollt Ihr andeuten, ich sei von dem liederlichen Weibe betrogen, verlacht, hinter's Licht geführt worden? Wollt Ihr mit dieser groben Lüge Eure eignen falschen Wege verdecken – hofft Ihr den Schlingen zu entgehn, indem Ihr sie um andere Füße legt – hütet Euch! ich habe geschworen, Euch an den Galgen zu bringen – seid sicher, ich halte es!« –

Schon hatte Thyrnau den Mund geöffnet, um zu antworten, schon zeigte die lebhafte Bewegung der Gerichtsherren die gleiche Absicht, – als Alle von ihren Sesseln aufsprangen, und Todtenstille das Gemach erfüllte. –

Die Vorhänge des Nebenzimmers waren von der kleinen Dame zurück geschoben worden und mit ihrem vollen erhabenen Anstande und glühend vor innerer Aufregung trat die Kaiserin in das Gemach. –

»Vor Allem,« rief sie mit ihrer tönenden Stimme – »vergeßt nicht, Herr Fürst von S., daß ich Euch meine Gegenwart habe anzeigen lassen! Wer wagt es, hier einem meiner Unterthanen zu drohen, so lange wir und das Recht nicht über ihn entschieden? Der Mann,« sagte sie, und ihr blitzendes Auge überlief Thomas Thyrnau – »hat viel Gutes gesagt, und es will uns scheinen, daß wir dem schlechten Dank wissen werden, der uns mit so alten Verschuldungen belästigt hat, wie Euer Durchlaucht gethan. Wie dazu sonderliche Lust bei Euer Gnaden sein konnte, steht überdies billig zu verwundern, da Sie, denk' ich, selbst tief genug hinein gerathen waren.«

»Meine Herren,« fuhr sie fort, sich gegen die Tafel wendend und den Lehnsessel einnehmend, den Frau Gutenberg ihr nachgerollt – »ich denke, das sind veraltete Geschichten – und in der Art und Weise des Anklagen liegt viel, woran man Glauben fassen kann. Die vergangenen Zustände, die er aufgeführt, zeigen uns leider manches wahre Bild – und wir begreifen, daß diese Angeklagten von seinem Standpunkte aus noch gerechtfertigter erscheinen mögen, denn wir können uns eher zu der Bedrängniß des Unterthanen herablassen, als dieser umgekehrt sich zu unserm erhabenen Standpunkt erheben kann und die Bedingnisse einsehn, unter denen wir zu handeln oft gezwungen sind, warum wir veraltete Uebel nicht gleich über den Haufen rennen, da es sehr häufig darauf ankommt, in welcher Ordnung wir unsre Reformen vornehmen, und dazu eben die Uebersicht gehört, die nur wir besitzen können. Wir müssen es daher geschehen lassen, daß Jeder gleich sich für vergessen und übersehen hält, weil gerade die kleine Stelle, die er übersieht, nach unserer höheren Ordnung noch nicht an der Reihe war. Daher ist – bei dieser unleugbaren Wahrheit – Unterthanentreue, das heißt: fester Glaube an die Gerechtigkeit und ausreichende Fürsorge des Fürsten, eine über Alles nöthige Pflicht des Unterthanen, und die Uebertretung derselben ist, wie billig, von Alters her als die größte Vergehung mit den härtesten Strafen belegt worden.«

»Denn wie Gott schon mit dem Regieren unter günstigen Umständen den Herrschern der Erde ein schweres Amt übertragen, so möchte ich fragen, wie auszukommen sei mit Menschenkräften, wenn jeder Unterthan gedächte, es solle nach Plänen gehen, die er in seinem kleinen Bereich erdacht. Ein Reformiren, was wir Jedem gern zugestehen, und was uns Hülfe bringen kann, das heißt: auf dem Platze, wo er steht, seines Amtes mit Verstand und Fleiß warten – was meint man – wird daraus nicht endlich das wahre Reformiren erwachsen? – und wird überdies leichter sein, als was uns übertragen ist: Reformen zu beschließen und auszuführen, die Keiner versteht und daher Alle zu tadeln Gelüst haben – die wir durchführen müssen und wohl wissen, erst nach Jahren werde sich darthun, warum wir just so hinein griffen und die unbeholfenen und übelwollenden Klügler, deren Reden wir gar wohl kennen, werden indessen so viel Zweifel dagegen erregen, als möglich ist, um der Sache zu schaden, die sie nicht verstanden haben. Das ist Regentenplage, die wohl arg zu nennen ist, und wogegen uns nur die uns von Gott gegebene heil'ge Geduld schützt, die uns lehrt, Menschenbeifall entbehren, wenn uns große, Gott gefällige Zwecke vor Augen liegen.«

Wunderbar bewegt von dem, was sie sprach, hatte die Kaiserin sich wahrscheinlich, wie alle einsahen, gegen ihren Willen in der Mitte ihrer Rede gegen Thomas Thyrnau gewendet, welcher glühend mit dem Ausdruck der Begeisterung, hoch aufgerichtet von Freude und Stolz, auf Maria Theresia, seine große Gegnerin, blickte und ihre Worte mit seinen Blicken zu verschlingen schien.

Kaunitz übersah diese merkwürdige Scene mit einem Jubel, der ihm fast die Brust sprengte. Auf seine Kniee hätte er vor Maria Theresia sinken mögen und den Saum ihres Kleides küssen – dies Selbstvergessen – diese Gegenrede, die sie dem angeklagten Advokaten Thyrnau hielt, gegen alle Ordnung ihres erhabenen Standes – hingerissen von dem höheren Geiste, der vor ihr die Schwingen gerührt und dessen Gewalt sie anerkannte in dem geringen Bürgerlichen, den sie werth genug hielt, um ihm zu entgegnen, daß er Verständniß gewönne ihrer Ansicht – dies schien ihm eine Größe des Geistes, wie sie noch kein Thron besessen, und er gelobte sich, ihr zu dienen mit allen seinen Kräften, möge dieser Geist auch neben seiner Größe ihn treffen wollen mit seinen elektrischen Schlägen. Er wußte, daß Alles, was hier vorging, gegen ihren Willen war – er wußte, sie hatte sich allein von Frau Gutenberg im tiefsten Geheimniß in das Vorzimmer begleiten lassen, und obwol sie den Herren ihre unsichtbare Gegenwart ankündigen ließ und befohlen hatte, die Verhandlung durch keine Einreden zu beschränken, war sie doch fest entschlossen, sich eben so geräuschlos zu entfernen. Sie hatte sich also selbst vergessen – und grade daß sie das gekonnt, schien Kaunitz der herrlichste Triumph ihrer Größe und erhabener – mehr Kaiserin als jetzt – war sie ihm auf ihrem Thron noch nie erschienen. Auch war sie noch nicht fertig.

»Ihr habt schlimme Zeiten erlebt,« – fuhr sie fort – »gar wohl weiß ich das! Aber Euer Unverstand war groß, als Ihr Euer Böhmen abreißen wolltet und es dem verderbten Frankreich hingeben – wär's was Anderes worden als eine französische Provinz? hattet Ihr Macht, das zu hindern? – und hat Frankreich je an solche Zugeständnisse für seine Provinzen gedacht, als Ihr in Eurer Ueberspannung erlangen wolltet? Diese eitlen Thoren haben nur immer eine Puppe gehabt, die sie herausputzten, um sie dem Auslande vorzuhalten und diese Puppe hieß Paris. – Da waren Concessionen zu erlangen, da ward an Aufschwung in Kunst und Wissenschaft gedacht und die Bestrebungen fanden Beachtung – aber die Provinzen – da lag tiefe Noth, da waltete barbarische Willkür, da verstummte der geistige Aufschwung, und Finsterniß lag über großen Verschuldungen. Armer Mann! was habt Ihr geträumt von sittlicher Würde, um deren Begründung Ihr ranget – habt Ihr vergessen, warum mein Ahnherr Leopold dies französische Wesen so tief verabscheute? – Weil dieser Heros der feinen Sitte und Kultur, dieser Ludwig der Vierzehnte, Rotten von Mordbrennern aus seinen Unterthanen bildete, die Euer Böhmen zu öden Brandstätten umwandelten! Unsere Archive bewahren noch die schrecklichen Beweise dieser nie genug zu verabscheuenden Politik.«

»Euer Lobkowitz hat uns auch ein Besserer geschienen, als das damalige Verfahren anließ, obwol ihm auch schwerlich der Preis gebührt, den Ihr ihm gern zugestehen möchtet, und sein französisch Wesen ihn in große Verwirrung stürzte und Euren Vater mit hinein zog, woraus Euch von Jugend an das rebellische Blut kam.«

»Bei Euch und Eurem Treiben ist Spreu vom Waizen schwer zu unterscheiden – Ihr hättet Nutzen stiften können – das sind die Köpfe, die Herrscher oft vergeblich suchen und worauf Ihre Umgebungen, die ihnen suchen helfen sollten, nicht eher die Augen des Herrschers lenken, als bis es zu strafen giebt, bis der Geist, der sich so ungewöhnlich regt und dem die rechte Bahn der Thätigkeit verschlossen blieb, in einer selbst gewählten Richtung sich bemerkbar macht, die dann oft mehr unsern Tadel als unsern Beifall fordert. Nicht Allen kommt zur rechten Stunde noch die bessere Einsicht! – Ihr habt keck und unverholen Euch geäußert, doch wußtet Ihr nicht, daß ich Euch hörte.«

»O! hätt' ich es gewußt!« rief Thyrnau hier mit einer Stimme, gepreßt von überfließendem Gefühl – »dann hätte ich die Stunde mit Bewußtsein erlebt, welche mir seit lange der Preis schien, um den es sich zu leben lohne.«

»So!« sagte die Kaiserin und der Mund zuckte fast, als verberge er ein Lächeln – »Ihr seid ein gefaßter Mann! Ihr wollt mir andeuten, daß Ihr selbst die Kaiserin nicht fürchtet.«

»Und hatt' ich sie zu fürchten?« rief Thyrnau fast zu lebhaft. – »Wer hat unsere große Kaiserin zu fürchten, der Zeitlebens vor dem Thron eines großen Gedankens stand und über dem düstern Drucke seiner Zeit dem höhern Glauben seine Kräfte weihte, es sei ein edles Volk bestimmt, die in ihm wohnende Kraft zu höherer Einsicht, freierer Erkenntniß zu entwickeln! Darf der Erfolg – darf selbst der Irrthum – darf überhaupt die äußere Gestaltung dessen, was er gewollt, den Muth ihm rauben, der erhabenen Idee, der er sein Leben weihte, mit warmem Herzschlag getreu zu bleiben? – Kann er den Muth verlieren und eben dann, wenn mit dieser Idee vertrieben, verfolgt durchs ganze Leben, er endlich mit ihr vor dem Hafen anlangt, der sie rettend aufnimmt? Kann er den Sturm noch fürchten, der nur die Planken des Fahrzeugs auseinanderreißt, auf denen sie so lang getragen ward?«

Die Kaiserin hatte mit einem leisen Nicken die Worte begleitet – dann wandte sie das königliche Haupt nach Kaunitz um – und sah ihn an und nickte. O! welch ein Ehrenstern schien dieser Blick dem edlen treuen Diener! Er wußte es ganz gewiß, an Allen vorüber, die ihrem eignen Gelüst in der Sache bis dahin geschmeichelt, an Allen vorüber glitt ihr Blick und suchte Den, der ihr mit unverdrossenem Muthe widerstrebt, dem sie gezürnt und mit dem sie jetzt das Verständniß zu theilen sicher war. –

»Thomas Thyrnau,« sagte die Kaiserin – »Ihr seid ein Schwärmer! – Das sind die wunderbaren Frevler, die dem Monarchen aufstoßen: sie würden ihren Leib für den in ihrem Sinn handelnden Herrscher mit Jubelhymnen zum Tode schleppen – und um die Idee zu schützen, die in ihrem heißen Kopfe brennt, würden sie gegen eben diesen Herrscher den Fehdehandschuh ziehen, wenn er dieselbe zu bedrohen schiene! – Und was folgt nun? Sollen wir mit solchen Schwärmern Gemeinschaft machen?«

»Maria Theresia kann es; und wäre sie das erste gekrönte Haupt, das es versucht! Denn das Wort, das im Munde der Menge den müssigen Träumer anzudeuten scheint, wird ihr den ahnungsvollen Geist bezeichnen, der voran der schweren Zeitentwickelung das Prognosticon den Sternen abgelauscht und die Feuersäule prophetisch zeigt, welche die Masse durch die glücklich erlauschte Furth zum andern Ufer – zum gelobten Lande führt. Das ist der Schwärmer, mit dem Maria Theresia Gemeinschaft halten kann – sie ist es selbst! Sie ist es gewesen vom ersten Schritte zum bestrittenen Thron der Väter – und von uns armen gescholtenen Schwärmern ist seitdem die Sünde genommen, die man uns angeheftet, zur Wahrheit ist mit ihr geworden, was wir gewollt – was wir bekennen.«

Maria Theresia senkte das Haupt – es entstand eine tiefe Stille – sie dachte nach – ob schon jemand so kühn zu ihr geredet habe – es kam ihr vor, als habe sie ihn schon gehört – vielleicht geträumt von ihm – er hatte in ihr großes Herz geschaut!

Plötzlich stand sie auf – sie schritt gegen die Tafel vor und sagte mit ihrer hohen Würde: Ich will, daß man die alten halb verjährten Geschichten, welche diesem Manne zur Last gelegt werden sollen, mit Rücksicht auf seine jetzigen Gesinnungen ansieht. Man thut uns schlechte Dienste, wenn man damit die Erinnerung an Zustände weckt, die uns eben so wenig gefallen, als Denen, die damals darunter litten. Diese letzte Geschichte vom Jahr 1741 muß dagegen noch klarer dargethan werden – dieser Thyrnau ist anzuhalten, alle Wege anzugeben, die seine bis jetzt fortbestehende Verbindung mit – der sogenannten einflußreichen Person am französischen Hofe darthun – dann muß sich ergeben, wie der junge Graf von Lacy hinein kam – und endlich sich auf seine Weigerung, nachzuweisen, wo die bedeutenden Geldsummen herflossen, nicht einzugehn.«

»Erlassen Euer Majestät mir nur dies Eine,« rief Thyrnau mit ehrerbietigem Tone – »so werden alle übrigen Beweise aufzufinden sein – die Abzahlung dieser Summe ist durchaus ein Privatgeheimniß!«

Die Kaiserin sagte, ohne ihn anzusehn: »Thörichter Vorbehalt – Ihr könnt selbst nicht denken, daß Euch das zugestanden wird – und was wollt Ihr – es ist ja zu Eurem Besten!«

»Vielleicht,« sagte sie, indem ihr Auge wieder Kaunitz streifte – »vielleicht wäre ihm zu gestatten, da er von Privatverhältnissen spricht, die wir gern schonen, daß er einen meiner hier anwesenden Räthe sich erwählte, der ihm besonderes Vertrauen einflößt, um ihm ein Geständniß zu machen, worüber wir von selbigem nachher bloß ein allgemeines Gutachten entgegen nehmen könnten.«

»Diesem würde auf Befehl Euer Majestät nichts entgegen stehn,« entgegnete ehrfurchtsvoll der Graf von Bartenstein.

»Und dennoch kann ich diese tief empfundene Gnade meiner erhabenen Kaiserin und wäre selbst der Graf von Kaunitz der, welcher sich zu meinem Vertrauten hingeben wollte, nicht annehmen!«

»Ha,« rief die Kaiserin, sich in ihrer lebhaften Weise wieder zu ihm wendend – »Ihr seid ein hartnäckiger Mann!«

»Wenn Euer Majestät wüßten, was mich bestimmt, so zu handeln, Sie würden sagen: es ist ein ehrlicher Mann!«

»Aber,« fuhr er fort, indem er der Kaiserin ehrfurchtsvoll näher trat – »ich kenne eine Stelle auf dieser Welt, wo sich mein Vorsatz ändern würde – eine Person, der ich Alles sagen könnte, wenn sie sich herabließe, das Bekenntniß zu empfangen.«

»Nun! nun!« rief die Kaiserin fast zornig. – Thomas Thyrnau beugte das Knie und blieb mit gesenktem Haupte in dieser Stellung vor der Kaiserin.

»Was?« rief diese – »mich meint Ihr? – Ich soll Euer Beichtvater sein – dem Advokaten Thyrnau soll ich seine Geheimnisse abfragen? Mann! – solche Dreistigkeit ward mir noch nicht geboten und wohl sehe ich ein, daß ich Anrecht hatte, mich hieher zu begeben – hier wird meine Person arg mißkannt.«

Doch ward es ihr fast schwer, die letzten Worte ihres Zornes auszustoßen, denn Thyrnau hatte sich erhoben und stand ihr so ruhig und fest aufgerichtet gegenüber, daß sie den Glutblick, womit er sie durchdrang, fast nicht zu ertragen vermochte.

»Ja!« sagte er mit sanfter ruhiger Stimme– »ich meinte Euer Majestät, als ich die einzige Person nannte, der ich das heiligste Geheimniß meines Lebens anvertrauen wollte – habe ich zu viel begehrt, so wird Euer Majestät mir vergeben – und dies Geheimniß möge meine Sache erschweren, wie es will, es wird in meiner Brust begraben bleiben – nimmermehr aber darf meine erhabene Kaiserin denken, Ihre erhabene Person sei von Ihrem treuesten Knecht verkannt worden – er im Gegentheil glaubte sie in Wahrheit zu erkennen, ja ihr fast göttliche Ehren zu erweisen, indem er das vor ihr gelobte auszusprechen, was Keiner, was von nun an Keiner theilen darf, als Gott!«

»In Wahrheit, Kaunitz,« sagte die Kaiserin milde, ja fast lächelnd auf ihren Stuhl zugehend – »ein Monarch muß sich wie die Gottheit selbst die absonderlichsten Sorten der Verehrung gefallen lassen und lernen die Absicht zu erkennen, die oft in der unpassendsten Form verborgen liegt. Dieser heftige Mann will immer Recht behalten und sein weißes Haar räth uns Nachsicht gegen ihn!«

Kaunitz hatte sich lächelnd verbeugt und wie ein Kammerherr den Stuhl geschoben – ihm war jeder Augenblick, den sie länger blieb, unbezahlbar, und er vertraute ihrem herrlichen sanguinischen Gemüth, welches sie fortzureißen versprach, selbst das Richteramt fortzusetzen – er segnete alle so geräuschlos getroffenen Maaßregeln, die sie dazu verführten und hätte den Geistes- und Herzens-kühnen Thyrnau an seine Brust drücken mögen; denn er wußte sehr wohl, daß er es war, der die erhabene Frau fesselte, daß sie von neugierigem Erstaunen vor einer so seltenen Erscheinung getrieben ward, immer wieder ihr Angesicht ihm zuzuwenden – seinen Worten noch immer mit Achtsamkeit und heimlichem Vergnügen zu lauschen. Schon sah Kaunitz, wie sie aufs Neue ihr ausdrucksvolles Auge dem kühnen Sprecher zuwendete, und schon hoffte er, diese geheimnißvolle Audienz gewährt zu hören, da sprach eine leise Stimme: »Ich kann sie nicht länger zurückhalten, sie weint so sehr!« Dies sagte die Gutenberg zur Kaiserin – »Wer?« rief diese entgegen – heftig auffahrend. –

»Ach Gott, da ist sie schon selbst,« erwiederte die alte Dame und machte der Prinzessin Therese mit einem tiefen Knixe Platz.

»Erhabene Kaiserin,« rief dieselbe und fiel mit beiden Armen in den Schooß derselben – »macht mit mir, was Ihr wollt! schickt mich hinterher in ein Kloster – in eine Festung, wenn Ihr wollt – aber hört mich – ich bin jetzt keine leichtsinnige Thörin, die Ihr immer zu schelten habt – ich bin ganz vernünftig und bodenlos traurig!«

Dies mußte man ihr glauben – die frischen Züge dieser Schönheit waren blaß und so entstellt, daß sie sich kaum ähnlich sah – und ihre Augen verweint und noch mit Thränen angefüllt – ihre herrliche Gestalt zeigte sich dagegen in der vernachläßigten Toilette noch schöner, und die Kaiserin deckte, freilich mit wenigem Erfolg, ehe sie noch ein Wort erwiederte, den Kantenschleier um die herrliche Büste.

»Was wollt Ihr hier, Prinzessin?« sagte sie dabei, »was Ihr mir zu sagen haben könnt, gehört für eine andere Zeit – wer kann Euch verrathen haben, daß ich hier bin? – es ist sehr unpassend – wir sind kein Freund von Scenen, und unsere Person muß damit nicht behelligt werden.«

»Ach, laßt das Alles!« rief die Prinzessin noch immer wie ein Kind, das nichts von nöthigen Formen weiß, in dem Schooß der Kaiserin liegend – »nur zügelt Eure Strenge, damit ich reden darf, sonst mache ich Thorheiten, sonst werdet Ihr bereuen, Eure arme Muhme nicht gehört zu haben –« sie brach dabei aufs Neue in Thränen aus.

Harte oder leichtsinnige Menschen erfahren durch ihre gelegentlichen Rührungen immer großen Erfolg – man wird schon vorher für das eingenommen und hält es für wichtig, was sie so aus sich heraus zu treiben vermochte und eine kleine Zugabe von Neugier erleichtert es ihnen, Gehör zu finden.

»Aber hier!« sagte die Kaiserin mild – »hier – was kann denn so dringend sein, um uns hierher zu verfolgen und unsere Geschäfte zu unterbrechen?«

»Weil Alles, was ich zu sagen habe, dazu gehört – weil Ew. Majestät meinen Thyrnau nicht strafen dürft, bis Ihr mich gehört habt und dies hier gelesen!« Damit zog sie ein kleines Portefeuille aus ihrer Tasche. – »Da, da! das sind all seine Briefe an die Pompadour und die Ihrigen dazu – diese hat mir Thyrnau geschenkt, und um jene habe ich so lange gebettelt, bis sie mir sie gab, und sie war viel zu leichtsinnig, um noch daran zu denken, wie viel von diesem Ehrenmanne quittirte Rechnungen darin lagen – mich aber trieb die Ahnung, als ich sie dabei ließ – obwol mich nur die Lust an diesen Briefen und ihren anmuthigen Scherzen dazu antrieb.«

»Aber was habt Ihr denn mit diesem Thyrnau,« sagte die Kaiserin – »der ist ja ein wahrer Hexenmeister und mit allen Menschen in Familiarität.«

»Ach,« sagte die Prinzessin – »ich denke oft, ich verdanke ihm mehr, als ich noch jetzt übersehen kann – gewiß ist es aber, daß er der einzige Mensch ist, der mich jemals gekannt hat, der es wahrhaft wohl mit mir gemeint! Von den Kinderschuhen an hat er mich beobachtet und Gutes mir zugedacht; als es ihm mißglückte, was er für mich beschlossen, ließ er mich nicht aus dem Auge, und als wir uns wiederfanden auf dem sündhaften Boden Frankreichs, wohin die weise Politik meiner hohen Verwandten mich gestoßen – da hat er oft mit Gewalt die Binde von meinem thörichten Augen gerissen – mich aus Verlegenheiten gezogen, in die mein Leichtsinn mich gestürzt, und stets in mir selbst das Bessere geweckt und es erhalten, indem er in mir das heiligste Gefühl, das ich je gekannt, zu erhalten strebte. An ihm ist kein Falsch zu finden – kein unedler Gedanke hat je sein edles Blut erregt, und man muß so im wüsten Leidenschaften grau geworden sein wie sein Gegner, um ihn hassen zu können.«

»Nun wahrlich,« sagte die Kaiserin – »der Herr Thomas Thyrnau hat sich einen sonderbaren aber eifrigen Advokaten erworben! Mäßigt Euch jetzt – Ihr seid immer zu heftig bei allen Euren Vorhaben.« Sie öffnete indessen das Portefeuille – zuerst fiel eine quittirte Rechnung über zwei Brillantarmbänder heraus – acceptirt von Thomas Thyrnau und mit der Jahreszahl 1741. – »Aha,« sagte die Kaiserin – »wir sehn, umsonst wurden hier keine Dienste geleistet – doch,« fuhr sie fort, Alles zusammen fassend und es über ihre Schulter hinüber an Kaunitz reichend – »Das ist Amüsement für Euch – das ist Euer berühmtes französisches Witzhaschen – hier werdet Ihr von Eurer merkwürdigen Frau – einige Chatullen-Geheimnisse erfahren, nach denen wir nicht begierig sind – das Resumé, welches sich auf die uns vorliegende Sache des Thyrnau bezieht, werdet Ihr uns alsdann mittheilen.«

»Ja,« sagte die Prinzessin, indem sie aufstand und Kaunitz fest anblickte – »thut das und findet Ihr darin etwas Anderes als die Bestätigung dessen, was er gesagt, dann sollt Ihr es mit mir zu thun haben.«

»Prinzessin,« sagte Thyrnau leise – »ich bitte Euer Durchlaucht sich zu mäßigen.«

»Und ich,« sagte der Fürst von S., sich gegen die Prinzessin wendend – »muß billig mein Erstaunen zu erkennen geben, daß Euer Durchlaucht bei dem obwaltenden Verhältniß unter uns sich zur Vertheidigung eines Mannes hergeben, der uns so bedeutende Veranlassung zur Unzufriedenheit gab, uns zwang, die Gerechtigkeit seines Vaterlandes gegen ihn aufzurufen.«

»Laßt mich in Frieden und gebt Euch nicht das Ansehn von zugestandenen Verhältnissen unter uns – ich erkenne nichts an – als das Recht, mich von Euch loszumachen!«

»Wird das möglich sein? Euer Gnaden übersehen ganz die besondere Stellung Ihrer Angelegenheiten zu den meinigen – wir haben zu Zeiten ein sehr ausreichendes Vertrauen zu einander gehabt – Ihre damals mitgetheilten unschätzbaren schriftlichen Mitteilungen enthalten so viel, was ein fortbestehendes vertrauliches Verhältniß unter uns nöthig zu machen scheint, daß ich fast glauben möchte, es sei überflüssig, Euer Gnaden daran zu erinnern.«

So wie er das letzte Wort ausgesprochen, sank die Prinzessin aufs Neue vor dir Kaiserin aufs Knie: »Hören Euer Majestät! er wagt mir zu drohen! Aber was ich auch verdient haben mag, leiden Euer Majestät nicht, daß ich ihm deshalb zum Opfer falle. Ich will jeden Vorwurf von Euch ertragen, jede Demüthigung hinnehmen, die mein Leichtsinn verschuldet – jedes Bekenntniß ablegen, was darthut, mein leichtsinniger Mund habe sich selbst gegen Eure geheiligte Person in losen Scherzen vergangen – Alles das, womit er mir droht, wodurch er Gewalt über mich zu behaupten hofft – das will ich selbst bekennen – aber indem ich jede Strafe von Eurer Majestät geduldig hinnehmen will, sei doch die nicht dabei, die Ihr in Eurem Zorn ausgesprochen habt, die – das thörichte, einst mit ihm geschlossene Verlöbniß zu vollziehen – denn so wahr Gott über uns ist und mich hört, ich werde mich diesem Ausspruch nicht unterziehn, und zwingt man mich dazu, so stelle ich mich unter den Schutz meines Vetters in Frankreich – oder ich ermorde ihn!«

»Muhme! Muhme!« rief die Kaiserin, sie heftig vom Boden aufziehend, indem sie ihr das zürnende Gesicht dicht vorhielt – »ist solche Scene geeignet, meine Nachsicht zu erhalten? Euer Betragen macht mir viel zu schaffen und Eure Reden sind noch viel unbesonnener als Eure Handlungen – denn, meine Herren! ich will hiermit bemerkt haben – an den Sitten dieser Prinzessin, der Muhme des erlauchten Hauses Lothringen, hängt auch nicht der kleinste Makel – aber sie giebt den Beweis, wie selbst eine Dame von so hoher Geburt auf dem frivolen Boden des französischen Hofes in mancherlei Anfechtungen verfallen konnte. Prinzessin! vergessen Sie Ihre Stellung nicht – ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Ansprüche des Fürsten geprüft werden sollen und Sie Niemand zwingen wird, gegen Ihre Neigung zu handeln.«

»Dem Himmel sei Dank!« sagte die Prinzessin – »Eure Absichten, Herr Fürst von S., werden alle scheitern, wie ich es Euch vorher gesagt; denn unbesonnen und thöricht war ich, aber nicht hinterlistig und falsch!«

»Euer Majestät,« rief der Fürst, bebend vor Zorn – »die Prinzessin Therese wird mich zwingen, ihre Handlungen aufzudecken – selbst ihr Verhältniß zu diesem Thyrnau –«

»Herr,« unterbrach ihn die Kaiserin – »wir wollen Ihnen zu bedenken geben, wozu Sie unsere Gegenwart zu mißbrauchen wagen. Viel zu lange schenke ich dieser Privatangelegenheit mein Ohr, sehr abweichend von dem, was ich hier zu erfahren hatte, scheint mir, sind diese gegenseitigen Reden, und sehr geneigt sind Euer Liebden Beide zu vergessen, in wessen Gegenwart Ihr Euch ungezügelt Euern Leidenschaften überlaßt.«

»Das trifft Alles mit großem Rechte den Fürsten,« erwiederte die Prinzessin – »was ich aber dagegen gethan, war ja ganz im Interesse der Sache, welcher Euer Majestät Ihr Ohr geschenkt. Ist es denn nicht außerdem, daß ich die Briefe des ehrlichen Thyrnau und der Pompadour eingereicht, aus denen so klar hervorgeht, daß seine Aussagen wahr sind – ist es denn nicht außerdem wichtig zu erfahren, daß der Ankläger sich an dem Verklagten zu rächen trachtet dafür, daß Jener zur rechten Zeit einschritt und dem bereits gelieferten Opfer die Schlinge löste, aus der es noch zu entwischen vermochte? – Ich habe es gesagt, daß Thomas Thyrnau über mich gewacht, mich nicht aus den Augen verloren hat – ich setze hinzu: er hat Vater und Mutter bei mir ersetzt, und nicht seine Schuld ist es, wenn er nicht alle meine Thorheiten verhindern konnte. Als ich aber von meinem tief verletzten Gefühl verführt ward, den Heirathsanträgen des Fürsten Gehör zu geben und mit kindischem Eigensinn das durchzusetzen suchte, wogegen ich von Allen Widerstand fand, da eilte er zu meiner Rettung herbei und enthüllte mir den Charakter Desjenigen, den freilich Niemand besser kannte als er selbst. Für das großmüthige Opfer dieser Entdeckung, welches die schmerzlichsten Wunden seiner Brust aufregte, habe ich ihm schlecht gedankt, denn mein Ungestüm riß mich hin, dem zudringlichen Fürsten in meinem Zorn Alles zu verrathen, und er schwur im selben Augenblick, sich um jeden Preis an dem Urheber dieser Entdeckung rächen zu wollen.«

»Das lautet Alles sehr übel,« sagte die Kaiserin, den Kopf schüttelnd – »und ich denke, man ist sehr leichtsinnig in der Instruktion dieser Angelegenheit gewesen.«

»Besonders nachdem ich mir die Durchsicht dieser Papiere erlaubt habe,« fiel jetzt Kaunitz lebhaft ein. – »Es ist eine Sammlung von Billets, die während der von Thomas Thyrnau erwähnten Angelegenheit mit der Marquise von Pompadour gewechselt wurden – und außerdem, daß sie das Muster humoristischer Eleganz sind, thun sie bestimmt dar, daß der Fürst von S. sich bei wirklicher Verfolgung des oft erwähnten Komplotts in dem Falle befand, sowol von Thyrnau wie von der liebenswürdigen Marquise arg persiflirt worden zu sein.«

»Hölle und Teufel!« schrie der Fürst und sprang wie ein wüthendes Thier in die Höhe – »ich erdroßle den Bösewicht – ich will mich rächen!«

»Fort! fort!« rief die Kaiserin – »wer wagt sich so in meiner Gegenwart zu vergehen!« und mit lautem Gemurmel des Unwillens war er im selben Augenblick von den anwesenden Herren umgeben und nach dem Nebenzimmer zugedrängt. Als die Vorhänge sich hinter ihm schlossen und die Minister wieder stehend ihre Plätze eingenommen, sagte die Kaiserin, aus ihrem mißmuthigen Nachdenken erwachend: »Es scheint mir, daß mir bei besserem Willen und größerer Einsicht sehr viel Unangenehmes hätte erspart werden können. Ich will jetzt Niemand Vorwürfe machen, da ich vielleicht selbst zu hastig den vorgefaßten Ansichten Gehör gab und den vorsichtigeren Rath andrer Seits unbeachtet ließ. Der Angeklagte ist nicht gerade frei zu sprechen, doch wollen wir uns durch seine Gegenwart nicht hindern lassen zu bemerken, daß wir gerade eine Verschuldung gegen unsere Person und gegen unsere Regierung nicht wohl herauszufinden wissen – wenn – stelle ich die unerläßliche Bedingung – Thomas Thyrnau sich entschließt, den Nachweis zu geben, woher die Geldmittel flossen, die so bedeutenden Rückhalt andeuten – und wenn sich bei genauer Untersuchung darthut, daß sie zur Tilgung der damals vom Grafen von Lacy gegen den Willen der Betheiligten unternommenen Verpflichtungen dienten. In diesem Falle sehe ich dann einigen mildernden Vorschlägen meiner Minister über das fernere Schicksal eines Mannes entgegen, den wir geneigt sein werden, mehr für unbesonnen als schuldig zu halten.«

»So werde ich verurtheilt bleiben,« sagte Thyrnau ruhig und fest – »denn so Gott mir helfe, werde ich nur in dem einen Falle, den ich gewagt auszusprechen, diese Erklärung abgeben!«

»Heiliger Himmel, welch ein hartnäckiger Mann!« rief die Kaiserin lebhaft – »so müssen wir ganz aufgeben, ihn unsere Milde erfahren zu lassen.«

Jetzt trat Kaunitz vor – »Ich wage Eure Majestät an Dero eigene Worte zu erinnern – daß ein Monarch wie die Gottheit selbst sich die absonderlichsten Formen der Verehrung muß gefallen lassen – Euer Majestät haben immer nur das höchste Vorbild vor Augen – wo wäre ein Zeichen zu finden, daß der Geringste weg gewiesen würde von der höchsten Stelle, wo er sich zu entlasten denkt.«

»Und Thomas Thyrnau!« sagte die Prinzessin.

»Auch Ihr?« unterbrach sie die Kaiserin und blickte milde auf Beide. –

»O! ich,« fuhr die Prinzessin bewegt fort – »wer hat denn auch mehr Recht, für ihn zu bitten – Hört ihn, meine erhabene Kaiserin – wahrlich, er wird mit seiner Entdeckung Euer Majestät um einen neuen herrlichen Zug des Menschenherzens bereichern.«

»So wißt Ihr darum?« fragte die Kaiserin scharf.

»Nein,« sagte die Prinzessin, »ich weiß nichts davon – aber alle Handlungen dieses Mannes tragen den Stempel der Erhabenheit und Güte!«

Die Kaiserin schwieg und langsam hob sie dann ihr mildes prüfendes Auge zu dem Manne auf, als wolle sie ihn noch einmal mit den eben gehörten Worten vergleichen. Seine ehrwürdige Gestalt drückte zugleich Kraft und Bescheidenheit aus – es war kein übermüthiges Entgegenstellen seiner Person, keine Herausforderung in diesen sanften edlen Mienen – es war die Hoheit der Seele darin ausgesprochen, die den Menschen so still zu sich selber stellt, daß er des Eindrucks nicht mehr gedenkt, den er hervorrufen könnte!

Als die Kaiserin ihn so einen Augenblick vor sich gesehn – winkte sie mit der Hand und sagte ruhig und gefaßt: »Man lasse mich mit diesem Manne allein!«

»Jetzt,« sagte die Kaiserin, als der Vorhang Alle im Vorzimmer absonderte – »sollt Ihr Euren Willen haben – was hielt Euch aber ab, einem dieser ehrenwerthen Männer Euer Vertrauen zu schenken – warum gerade uns?«

»Warum gerade Euer Majestät? Darauf gäbe es viele Antworten,« sagte Thyrnau bewegt – »aber ich habe nur meinen tiefsten ehrfurchtsvollsten Dank auszudrücken, daß Euer Majestät mir diese höchste Wohlthat gewähren. Das Geheimniß, was ich auszusprechen habe, ist nicht allein das meinige – es umschließt die zeitliche Existenz des edlen jungen Mannes, der unverschuldet meine Verhaftung theilt. – Ihm muß diese Entdeckung geheim bleiben, wenn ich ihn nicht den nutzlosesten Verwirrungen hingegeben sehen will.«

»Sonderbar!« sagte die Kaiserin – »doch Kaunitz hätte Euch an Verschwiegenheit sicher sein müssen!«

»Aber er ist ein Edelmann wie Lacy selbst, und ich durfte nicht dulden, daß es Einen gab, selbst den Edelsten nicht, der um die besondere Stellung des Grafen Lacy wußte, die ich gewagt, ihm zu verbergen. Nur Euer Majestät auf dem erhabenen Standpunkt, der Sie zugleich isolirt und über alle Verhältnisses Ihrer Untertanen stellt, nur Euer Majestät durfte ich dieses leicht verletzliche Schicksal des jungen Mannes anvertrauen – hier allein hörte jedes Zusammentreffen der Interessen auf.«

Thomas Thyrnau entwickelte nun mit Klarheit und Einfachheit den Gang der Begebenheiten, die wir bereits kennen. Die Aufopferung seines Vermögens, um die Verpflichtung in Frankreich zu tilget – und dafür die Uebernahme der Herrschaft Tein! Wie er getrachtet, Lacy an seine Besitzungen zu fesseln, wo er so nützlich zur Förderung ihrer Pläne gewesen, wie endlich unter ihnen der Heirathsplan entstanden sei, den sie durch gegenseitige Testamente gesichert, wodurch die Erbin von Tein die Gemahlin des letzten Lacy werden sollte und die Besitzungen dadurch in dieselben Hände zurückgekehrt wären. Er schildertete der Kaiserin sodann mit der Wärme des Gefühls den verhängnißvollen Tag, wo Lacy in Tein ankam und sein Verlöbniß mit der Fürstin Morani eingestand.

»Es war ein schwerer Augenblick,« fuhr Thomas Thyrnau fort – »aber er enthielt, während er all meine Pläne und Hoffnungen zertrümmerte, einen herrlichen Lohn in sich – das Mädchen, das ihm bestimmt war, die wir Beide mit unserer Liebe, mit unserer Gesinnung und allem Geiste, der in mir und Lacy lebte,« genährt – sie bewährte sich in ihrem ersten und größten Seelenschmerz! Noch früher als ich selbst entschied ihr richtiges Gefühl, was uns aus so drohend aufsteigender Gefahr retten konnte – und ehe Lacy von dem Geheimniß, was vor ihm in einem versiegelten Kästchen lag, Kenntniß nehmen konnte, forderte sie von mir seine Vernichtung, und bevor der junge Mann zur Besinnung kam, loderten die beiden Testamente und all' die wichtigen Dokumente, die dazu gehörten, im Kamin in hellen Flammen auf.«

»Heil'ger Gott!« rief die Kaiserin – »versteh ich recht, so war das Euer ganzes Vermögen!«

»Es war der bei weitem größte Theil desselben – es war der Werth der Herrschaft Tein! Mein Vater besaß großes Vermögen – ich hatte es vermehrt – es deckte kaum die zu lösenden Verpflichtungen – Lacy hatte dazu noch einige, nicht zur Herrschaft Tein gehörige kleinere Güter verkauft – nur dies große Besitzthum, wo wir schon unsere Pläne in der zweiten jetzt heranwachsenden Generation anfingen verwirklicht zu sehn – nur dieses wollten wir nicht wieder in die Hände fremder Willkür und Rohheit zurückfallen sehen, daher kaufte ich es, und mein alter Freund nannte sich seitdem nur noch meinen Intendanten.«

»Mann,« rief die Kaiserin – »Ihr also seid der Besitzer von Tein – arm ist dieser Lacy – und Ihr habt ihm diese Besitzung zurück geschenkt und er weiß nichts davon – und Ihr seid jetzt vielleicht der Arme? Hört! Ihr seid Einer wie mir selten vorgekommen – seht – mehr Unrecht wie Recht kommt uns vor, und was Ihr thatet, ist so unglaublich!«

»Ja!« unterbrach Thyrnau sie fast – »ich will Euer Majestät einen Zeugen stellen – unter dem Siegel der Beichte kannte der Pater Hieronymus vom Prämonstratenser Orden zu Prag das Geheimniß, denn das Mädchen, was damit genährt ward von Beiden – will ich Euer Majestät nicht nennen!«

»Doch! doch!« sagte die Kaiserin – »ich kenne das Mädchen – gestern redete sie mich auf meinem Kirchweg an und bat mich, Euer Gefängniß theilen zu dürfen. Ihr seid Beide ungewöhnliche Menschen – und obwol wir nur Euer Wort haben, machten wir doch gern an dem Ungewöhnlichen Glauben fassen! – Und ist es denn noch immer Euer Vorsatz, in dem großen Opfer zu beharren – ist Euch bis dahin denn keine Reue gekommen? Nicht das Bedenken, daß Ihr Euch eines fürstlichen Einkommens – Eure Enkelin so großer Ansprüche beraubt? Seid Ihr sicher, daß diese Gesinnung bei Euch vorhält – denkt Ihr nicht wenigstens daran, diese Ansprüche in der Stille wieder herzustellen, selbst wenn Ihr anständet, sogleich damit hervorzutreten?«

»Nein! nein, Euer Majestät! ganz anders ist unser beider Gefühl darüber: wie die größte Gnade von Gott empfinden wir es, gleich im ersten Augenblick das Rechte erkannt zu haben. Diese Handlung hat Alles gerettet, was zu retten war, und Alles, was uns trösten kann, ist erreicht, so lange sie verborgen bleibt – würde eine Ahnung in dem jungen Mann hierüber erregt, so wäre es ferner in keine menschliche Macht gestellt, ihn in seinen angestammten Besitzungen zu erhalten!«

Die Kaiserin schwieg wieder sinnend – dann sagte sie: »Ich muß sagen, daß ich Euch Euren ganzen Bericht glaube – dessen ungeachtet erheischt unser kaiserliches Ansehn, daß wir nicht leichtsinnig uns durch diesen unsern Glauben bestimmen lassen – ich will also diesen Pater Hieronymus darüber sprechen, dann werde ich – wenn Euer Geheimniß von ihm bestätigt wird – solches verschweigen helfen und denken, daß ich des Vertrauens eines edlen Mannes theilhaftig ward. Eure Lage ist sonderbar – ich habe nicht mehr, wie ich möchte, volle Gewalt darüber – kann Euch nicht versprechen, ob Ihr ganz frei weg kommen werdet – um so mehr aber werde ich so milde als thunlich einschreiten, wenn Ihr jetzt ohne Rückhalt gestehen wollt, warum ihr fortfuhrt, mit dieser französischen Marquise in Verbindung zu stehen und sie noch zuletzt durch den jungen Lacy, als er Kaunitz begleitete, so große Geschenke von Euch empfing.«

»Allein dem Einfluß dieser Dame verdanken wir es, daß uns zur Tilgung unserer dortigen Verpflichtungen so viele Jahre Frist gestattet wurden. Was ich an baarem Gelde durch Banquierhäuser von meinem Vermögen schnell in die Hände bekommen konnte, tilgte die dringendsten Forderungen – mein übriges Vermögen war Grundbesitz – der Moment, ihn zu veräußern, höchst ungünstig, da Böhmen vom Kriege bedrückt ward. Um nicht durch übergroße Eile zu viel zu verlieren, war es nöthig, die Forderungen auf Zinsen zu bringen, mit langsamer Abtragung des Kapitals fortfahren zu können; dazu gehörte eine Fürsprache, die mir damals so schwer zu erlangen war, da ich jedes Vertrauen scheuen mußte, was so leicht Verrath werden konnte. Die Marquise Pompadour übernahm die Garantien, die wir nöthig hatten und die uns aus großen Verlegenheiten rissen; aber ich gestehe es, obwohl ungern, da ich ihr nicht in den Augen Euer Majestät schaden möchte – sie hat die Naivität, nicht gern etwas umsonst zu thun – sie fordert dafür, was ihr wieder ein Vergnügen zu versprechen scheint.«

»Und was liegt Euch daran, wie meine Meinung von dieser Frau ist?« sagte die Kaiserin etwas trocken.

»Ich bin in ihrem Vertrauen – und ich weiß, sie würde eine ihrer schönen weißen Hände darum geben, wenn sie mit der andern den Saum dieses Kleides fassen könnte. – Niemand, der die gegenwärtigen Zustände dieses unglücklichen Frankreichs kennt, kann zweifeln, daß diese Frau den Scepter des Landes hält. Sie hat sich dieses Heiligthums nicht bemächtigen können, ohne daß etwas von einer höheren Stimmung in sie übergegangen wäre. – Sie hat es seit lange gewagt, die Blicke zu Euer Majestät zu erheben – sie möchte etwas Großes für ihr Vaterland thun – sie erkennt, daß dies Große eine Allianz mit Euer Majestät wäre – diese Idee verfolgt sie mit ihrem feurigen Gemüth und seit den empfangenen Hoffnungen dazu –«

»Wer hat ihr dazu Hoffnungen gemacht?« fragte die Kaiserin streng – »was wißt Ihr davon?«

»Ich bin ihr Vertrauter, sie hält mich für einen guten Unterthan – sie will von mir über mein Vaterland hören!«

»Ha,« rief die Kaiserin – »das wagt sie – und Ihr macht ihren Spion?«

Thyrnau trat einen Schritt zurück – es entstand eine Pause. – »Wenn Euer Majestät das Wort gebrauchen wollen für die treusten Dienste eines Unterthanen? – Seit Dero großer Minister Kaunitz diesen Gedanken in ihr angeregt, theile ich ihre Gedanken darüber und suche die Thorheiten zu bezwingen, die immer dazwischen ihren herrlichen Verstand untergraben, und da Graf Kaunitz das größere Feld der Politik vor ihr entfaltet, habe ich es unternommen, diesen großen Plänen in ihrem Kopfe Stetigkeit zu geben und sie in die Sprache zu übersetzen, die ihr am leichtesten zugänglich ist – und jetzt, glaube ich, ist sie zu der wichtigen Ueberzeugung gekommen, daß sie den Abbé Bernis nicht länger werde halten können. Ihre Anfrage deshalb an mich habe ich noch Zeit gehabt zu beantworten – ich habe ihr noch einmal die Unhaltbarkeit ihres bis jetzt mit Bernis verfolgten Systems auseinander gesetzt und ihr dagegen alle Vortheile gezeigt, die der Ministerwechsel mit dem Herzog von Choiseul herbei führen müßte – dieser Brief muß jetzt in ihren Händen sein – er ging einen Tag vor meiner Verhaftung ab.«

»Nun wahrlich,« rief die Kaiserin – »wir haben da ein schönes Staatsgeheimniß! – Aber jetzt antwortet mir eins auf Euer Gewissen! und tretet näher herbei,« fügte sie hinzu, ihr großes Auge auf ihn heftend – »seid Ihr mit Kaunitz im Bunde? – Die Wahrheit, sage ich – dann will ich nicht zürnen – hört Ihr?«

»Den Grafen Kaunitz kannte ich so wenig, daß es für mich ein besonderes Interesse hatte, ihn unter den Ministern, die ich vor mir sah, heraus zu finden. Ich war nicht lange im Zweifel! – Graf Kaunitz kennt eben so wenig meine Verbindung mit Madame de Pompadour – die Marquise wollte, was sich bei den Unterhandlungen mit ihm herausstellte, als ihre eigene Ansicht darstellen; sie wollte nicht, daß Graf Kaunitz mit mir zusammen träfe und er vielleicht dadurch erriethe, woher manche ihrer Ansichten stammten. Ich gestattete ihr gern diesen kleinen Vorbehalt, und wollte redlich gegen sie bleiben, darum vermied ich die Entdeckung unserer Verbindung!«

»Ihr seid ein merkwürdiger Mann,« sagte die Kaiserin – »und wir erstaunen, wie wir fünfzehn Jahr regieren konnten, ohne von Euch zu hören – Ihr tüchtigen Köpfe, was thut ihr uns Herrschern der Erde für Schaden, daß Ihr nie unsere Pläne zu verstehen sucht und Eure Fähigkeiten anwenden wollt, dieselben zu fördern und uns die schwere Arbeit zu erleichtern. – Ihr scheint Euren Geist nur zu haben, um uns mißzuverstehn und in entgegengesetzter Richtung etwas anzufangen, woran Ihr Euch abmüht, um endlich in Widersprüche und auf dunkle Wege zu gerathen, die uns – wenn sie zu unserer Kenntniß kommen, besorgt machen müssen, und worin wir dann oft nicht mehr den guten Kopf erkennen, der vielleicht dennoch unsere Beachtung verdiente.«

»Dies ist nur eine scheinbare Wahrheit, Euer Majestät! und am wenigsten passend für unsere große Kaiserin! Hat ein Regent wirklich wohlthätige Pläne für sein Volk, ist er bis auf den Grund bewegt von dem großen Beruf, es zu veredeln, seine Zustände zu heben, dann steht er an der Spitze der Nation und darf weder auf die großen Geister desselben warten, noch darf er fürchten, von ihnen mißverstanden zu werden. Der freiste Sinn wird sich der Beschränkung unterwerfen, die dem Mitarbeiter von dem Erfinder des Gedankens auferlegt wird – seine Bestrebungen werden zusammenfallen mit dem großen Geiste, der ihm vorangeht – er wird dann alles das sein, was Euer Majestät von einem begabten Unterthan fordern – er wird helfend, fördernd, arbeitend sich dem Guten zeigen, das bald verständlich sein wird, weil es Wahrheit ist!«

»Mein guter Enthusiast!« sagte die Kaiserin wohlwollend – »es dauert lange, ehe selbst Wahrheit verstanden wird – die Uebelwollenden, die Tadelnden sind die Masse und langsam erst bildet sich ein kleiner Kern der Besseren, die nicht allzu viel vermögen, denn alles Neue und sei es das Wohlthätigste – sei es das hingebendste Opfer des Fürsten – es fällt zuerst in den Mund der müßigen Schwätzer, die dadurch aus ihrem Schlendrian gerissen, sich erzürnen, daß es anders wird, als sie es gewohnt waren.«

»Aber die Besseren,« – sagte Thyrnau bewegt – »die schaaren sich indessen und Einer zieht den Andern herbei zum Verständnis der Wahrheit – dieser Kern wird wachsen und er verdient allein den Namen des Volkes – die gährende Masse wird er ausstoßen und seine Läuterung damit selbst bewirken. O! behüte Gott jeden Herrscher, die wie Euer Majestät vor dem höheren Thron der Wahrheit steht, vor dem Zweifel an dem zu erreichenden Einverständniß mit seinem Volke – wer diesen Zweifel erregt, wer ihn zu nähren wagt, das ist der Hochverräther! In seinem eigenen Herzen ist die Verschwörung gegen seinen Fürsten, gegen das Gute, gegen das Volk, dem er angehört!«

»Ihr habt Gedanken, Thyrnau,« sagte die Kaiserin – »und einen Menschen-erfahrenen Blick – dabei seid Ihr mit Eurem weißen Haar so feurig wie ein Jüngling! – Euer Prozeß, scheint mir, ist zum Spruche reif,« fuhr sie fort – »das junge Mädchen, das so eifrig ist als Ihr selbst, soll zu Euch gelassen werden – was auch über Euch entschieden wird, Ihr werdet der Gnade Eurer Kaiserin Euch gewiß halten dürfen – wie sie sich zu Euren Gunsten wird äußern können, werde ich erst erfahren nach der Berathung mit meinen Ministern.«

Sie rührte eine Glocke, auf deren ersten Ton die Gutenberg erschien. – »Die Minister!« sagte die Kaiserin – »und der Graf von Lacy!«

Als Alle sich ehrfurchtsvoll um sie herum gestellt, hob sie an: »Der Fall mit dem Nachweis der Zahlungen an Frankreich ist erledigt – doch bleibt der Spruch über den Angeklagten ausgesetzt, bis ich eine gewisse Person gesprochen, die noch zu ermitteln ist – danach werde ich meine Meinung über die Sache vollends aussprechen. An dem Grafen von Lacy kann ich kein Unrecht finden – überlasse dies jedoch dem Special-Gericht zur Entscheidung. Jedenfalls ist sein Arrest aufzuheben. – Ich freue mich, Graf Lacy, daß Ihr den Degen Eures edlen Oheims sobald zurück empfangen werdet.« –

»Euch, Graf Kaunitz, erwarte ich nach der Sitzung in meinem Kabinet – Graf Bartenstein – Graf Uhlefeld – Baron Binder – ich lobe Euer Aller Eifer und hoffe, wir werden ihn von heute an auf ernstere Angelegenheiten richten können.«

»Thomas Thyrnau, – nach dem Erkenntniß werdet Ihr mehr von uns hören! Wir werden Euch wohlwollend eingedenk bleiben.«

Jetzt erhob sie sich und Alle mit dem Nicken ihres Kopfes grüßend verließ sie das Zimmer.


 << zurück weiter >>