Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Zweiter Theil
Henriette Paalzow

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Unterdessen hatte Magda alle Mittel angewendet, um in die Stimmung zu kommen, die ihr dem Gaste gegenüber, der in so besonderen Beziehungen zu ihr stand, würdig schien. Sie hatte endlich in der uns bekannten reichen Kleidung der Prager Bürgermädchen, die sie immer tragen mußte, wenn sie im Dohlenneste war, ihren Thurm verlassen, und nachdem sie wie gewöhnlich mit allen ein Wort nach ihrer Art gesprochen hatte, ging sie zum Hause hinaus und wanderte, in einiger Entfernung von Bezo gefolgt, in den Wald, der an das Landstädtchen Kaurzim stieß, indem sie einige Geschenke für die Kinder des Dorfes Tein kaufen wollte. Warum sie gerade heute diesen Weg nahm, wußte sie sehr genau. Sie wollte ihn nicht erwarten; sie wollte sich mit etwas beschäftigen, was ihr Herz erleichtern sollte. Bezo trug ihr einen großen Korb auf dem Kopfe nach und jodelte dabei die lächerlichsten Nachahmungen aller möglichen Kreaturen. Doch diesmal Mal ohne Magda's Aufmerksamkeit zu erregen, was doch allein seine Absicht schien.

In der kleinen Stadt angelangt, sah sie bald, daß eine ungewöhnliche Aufregung in ihr herrschte. Gruppen von Männern und Frauen waren aus den Häusern getreten und redeten und schienen etwas zu erwarten, oder etwas erlebt zu haben, was sie der leeren Straße noch ansehen wollten. Denn ihre Augen und Hände waren beredt wie ihre Worte, einander etwas zu erklären oder anschaulich zu machen, was mit der Straße in Verbindung stand. Magda war von Allen gekannt; der Korb auf Bezo's Kopfe verrieth ihre Absicht, und wer nur irgend in seinem kleinen Laden einen Gegenstand zu besitzen hoffen konnte, der sich für eine solche Einkäuferin paßte, trat mit fragendem Blick voll Erwartung in die Thür zurück, seine Bereitwilligkeit anzeigend oder den Gegenstand nennend, den er für sie passend hielt. Magda schien auch geneigt, von Vielen Einiges zu kaufen, und so kehrte sie bald da ein, wo vor der Thür an einer Schnur einige Dutzend kleiner rundgesteppter Kindermützen hingen, die im Winde hin und her wehend und in allerliebsten muntern Farben, wie kleine runde Kinderköpfchen aussahen. Die ganze Schnur spazierte in Bezo's Korb hinein, und dieser schlug ein wildes Freudengeschrei auf und machte augenblicklich alle mögliche schreiende und jubelnde Kinderstimmen nach. Der nächste Laden lieferte bunte Tücher; dann kamen Röckchen, und endlich an dem vornehmsten Hause der Stadt, zwei Stockwerk hoch und am Markte gelegen, sollte Spielzeug gekauft werden. Als Magda aber um die Ecke der ersten Straße bog, die dahin führte, sah sie viel neugierige Gaffer um das Haus, zu dem sie wollte, versammelt, und mehrere Diener in reichen Livreen, die ein schönes Pferd am Zügel hielten, das seinen Herrn noch zu erwarten hatte.

Magda wäre lieber zurück getreten, aber so wie sie sich zeigte, ward ihr Platz gemacht und sie gegen ihren Willen genöthigt in der kleinen Straße, die sich öffnete, vorzuschreiten. So stand sie vor dem Hausflur, und gedachte schnell einzutreten und den Laden, welcher rechts vom Hausflur lag, zu erreichen, als die auch dort versammelten Menschen herausliefen und Magda, im selben Augenblick zurücktretend, plötzlich den warmen Kopf des Pferdes, welches die Diener näher geführt hatten, auf ihrer Schulter fühlte. Sie schaute sich rasch um, aber es war ein Augenblick, wo Niemand ausweichen konnte, so viel der Diener sich auch darum bemühte – und Magda – obwol sie es selbst nicht fand, schien in Gefahr. Ehe sich ihr aber die Verwirrung mittheilte, hörte sie eine lebhafte männliche Stimme scheltend sich Bahn machen, und fast eben so schnell ward sie ergriffen und stand gesichert auf der Schwelle des Hauses.

»Mein liebes Mädchen,« sagte dieselbe Stimme – »es ist Dir doch nichts zu Leide geschehn?«

Magda schlug jetzt die großen Augen zu der Stimme auf, die ihr in der Seele wohl that, und sah in das schöne edle Gesicht eines Mannes, dessen erhabene Gestalt sich liebevoll zu ihr niedergebogen hatte und mit forschender Güte ihr in die Augen sah.

Magda's Blick blieb an dem Antlitz haften, das ihr so wohlwollend nahe war und sie fragte sich: Wo bist Du mir schon erschienen? wo hast Du mir wohl oder wehe gethan? Diese ganz in Liebe glühenden blauen Augen, diese niedrige geheimnißvolle Stirn, diese ganze Gesichtsbildung? – Magda erwachte erst bei dem Lächeln, womit der Fremde die kluge Musterung des schönen Mädchens hinnahm. Da erröthete sie tief und rasch sich von ihm losmachend, sagte sie: »Nein! nein! mir geschah nichts!« und floh nach der Thür des Ladens, der sie sogleich verbarg.

Der Fremde sah ihr nach. Er hätte gern gewußt, wer sie war, und als er umher sah, schien es ihm, als könne sie hier Niemand kennen. Sinnend bestieg er sein Pferd; sein Auge blieb an den Fenstern des Ladens haften; aber das Weinlaub hing zu dicht darüber hin – er sah nichts mehr – und nun wandte er langsam sein Pferd und ritt durch die kleine Stadt, hinter sich die Einwohner, die so weit als möglich den vornehmen Herrn begleiten wollten.

Indeß trat Frau München, die Eigenthümerin des Hauses, zu Magda heran, welche noch hinter den Blättern des Weingeländers stand und nachsann, wer der schöne Fremde in der reichen Generals-Uniform sein möchte.

»Ach, lieb Jüngferchen!« rief sie – »nehmt's nicht übel, daß ich so verwirrt bin! Aber seht, auf mir lastet Alles – die Noth seit gestern Abend – wer hat solch' Haus in dem alten Kaurzim als ich? Wer also Nachtlager haben will, wie ein vornehmer Herr, der klopft hier an. Na! diese Noth! – Alles schon zu Bett – da kommen erst die voranreitenden Polizei's oder Stadtwachen und melden den vornehmen Herrn – einen Fürsten, denkt Euch! Ach, den Namen? Der steht auf dem Briefe, der schon aufs Rathhaus geschickt ist – also die Angst! Wäre der Herr selbst nicht so gut gewesen, ich hätt' meiner Unruhe kein Ende gewußt – so aber ging's besser, als man denken sollte. Alles nannte er gut – schön – hinreichend – solche Worte machen Muth und kleiden den Vornehmen prächtig. Da fällt einem auch ein kluger Gedanke bei und sie kriegen mehr, als wenn man vor Schreck seine ganze Habseligkeit vergißt!«

»Und Du weißt nicht, wer es ist, Frau München?« fragte Magda.

»Nein, lieb Jüngferchen – den Namen nicht. Aber ein Fürst ist er – ach! und ein vornehmer General. Ach, meine Tochter! es steht schlimm mit uns. Alle sagen, er ist gekommen und rüstet den Krieg. Es steht nicht gut, überall soll's wieder losgehen; Alle wollen sie wieder über unsere gnädigste Frau Kaiserin her und soll der vornehme Herr voran und soll, was man einen Riegel vorschieben heißt, denn was wird's sein? In unserm armen Böhmerland soll's wieder anheben. Aber sie sagen, gegen den kleinen König von Preußen, den wir schon mal gehabt, gegen den soll nichts helfen. Es ist ein Ketzer, lieb Schätzchen! und da hat er denn auch die Hülfe von da her, wo sie kein frommer Christ hernehmen kann. Aber diesmal soll die Geistlichkeit voranziehen mit dem Allerheiligsten und dem Kreuze – und da wird sich's denn zeigen – da können sie dann nicht weiter – und wird greulich anzusehen sein – wie der Erbfeind davor fliehen muß.«

»Und den Namen weißt Du nicht?« fragte Magda noch einmal, alles Andere überhörend.

»Nein! nein! mein Jüngferchen! Aber ein Prinz ist er, so wahr ich hier stehe! Und weiter geht er durch's ganze Land und läßt die Wälle bemannen und die Feuerschlangen zurecht legen. Bereit wollen sie Alles wohl machen – was dann hilft, wird sich zeigen – denn noch letzten Sonntag hat der Abt von St. Brigitte gesagt, die Preußen seien alle Ketzer und mit dem Teufel im Bunde.«

»Ich will gehn,« rief Magda sich aufschüttelnd. »Schütte nur dem Bezo den Korb voll Spielzeug und gieb ihm braunen Zucker und Honigkuchen für die Dorfkinder, auch Mandeln und was Du sonst hast. Hier hast Du ein Goldstück; was übrig ist, das stecke doch in die Armenbüchse.«

»Schön, schön, mein Püppchen! Gottes Segen, mein artig Kind! Das Beste, was ich habe, ist für so ein wohlthätig Närrchen! Alles will ich besorgen und der Heller, den ich mir nehme, wie mir als einer redlichen Handelsfrau zukommt – glühe in meiner Hand wie eine Kohle!«

Magda hörte sie nicht mehr. Es trieb sie fort, den Weg zurück; sie wußte nicht, wie ihr der Fremde so wichtig war. Erst als der tiefgrüne Wald mit seinen rieselnden kühligen Wassern sie aufnahm, fühlte sie, daß sie sehr rasch gegangen sei. Sie suchte seitwärts den Platz unter hohen Buchen, wo der Moosgrund wie ein Teppich war, um sich auszuruhen. Als sie sich aber aus dem kleinen dichten Haselnußgesträuch vordrängte, befand sie sich neben dem Fremden, der mit übereinander geschlagenen Armen unter einem Baume stand, während seine Leute in einiger Entfernung mit seinem Pferde beschäftigt waren, dem sie das lose gewordene Hufeisen festklopften.

Beide sahen sich verwundert und mit sichtlicher Freude an. »Das dachte ich,« rief der Fremde – »daß ich Dich wiedersehen würde! Darum mochte ich unter den Menschen dort gar nicht weiter mit Dir reden. Ich wußte gleich, Du könntest nicht zu ihnen gehören.«

Magda sah ihn abwechselnd an, bald schlug sie die Augen zur Erde; endlich sagte sie, als sein freundlich dringender Blick sie immer lebhafter zum Sprechen aufforderte: »Ich erwartete Sie hier nicht! Aber auf dem Wege, dachte ich, würde ich Sie sehen.«

Der Fremde hütete sich wohl, ihr zu verrathen, daß sie ihm mit dieser Entgegnung gestanden, sie habe ihn auch wieder sehen wollen und sein warmer teilnehmender Blick enthielt nicht den Ausdruck befriedigter Eitelkeit. Es war ein durchaus edles männliches Wesen in ihm.

»Nun,« sagte er sanft – »da wir uns zusammen gefunden, wollen wir uns erst ein wenig ausruhn und dann wirst Du mir vielleicht sagen können, wie ich hier durch den Kaurzimer Wald bis nach Tein komme, ober eigentlich bis zum Dohlennest, wenn Du das Haus kennst, was so heißt.«

»Ob ich?« rief Magda freudig – »da komme ich her und bin dort zu Hause.

»Zu Hause?« rief der Fremde – und wunderbar schnell schwand alle Farbe von seinem Antlitz. Er faßte Magda's Hände – und die seinigen zitterten – und der ganze kräftige Mann war bis auf den Grund erschüttert. »Mädchen, liebes Mädchen, sprich! O Gott! sprich – wer bist Du?«

»Magda bin ich – die Enkelin des Thomas Thyrnau!«

»Heil'ger Gott!« rief der Fremde, schlug beide Hände vor die Augen – riß sie eben so schnell wieder weg – blickte das erstaunte Mädchen entzückt an – breitete die Arme aus, als wollte er sie umarmen und wandte sich dann plötzlich mit einer schmerzlichen Bewegung von ihr – verhüllte sein Gesicht und ging abwärts von ihr in den Wald hinein.

Unruhig blickte ihm Magda nach. Wie gern hätte sie ihn getröstet, da sie sah, er habe Kummer. Aber sie konnte nicht fassen, warum sie dies Gefühl in ihm erregt, und deshalb blieben auch die Worte aus, denn sie fand keins, was ihr wie das rechte erschien. Er überließ sie auch nicht lange ihren Zweifeln – gefaßt kehrte er zurück.

»Mein liebes, liebes Mädchen!« rief er – »führe Du mich nach dem Dohlennest. Ich gehe mit Dir; meine Leute können langsam mit dem Pferde folgen.« Magda war dazu bereit, er gab seine Befehle und sie drängten sich nun Beide den Weg zurück, den Magda gekommen und wandelten den Waldpfad, der am Rande des kleinen Baches fortlaufend, vor ihnen ausgebreitet lag.

»Sie kennen also wohl meinen lieben Großvater?« fragte Magda.

»Ja,« sagte der Fremde – »seit lange kenne ich ihn. Viel Zeit ist vergangen, in der wir uns nicht sahen. O erzähl ' mir von ihm, liebes Mädchen! Werde ich ihn treffen – werde ich ihn gesund finden? Sag' mir – bist Du immer bei ihm – war er so glücklich, Dich zu erziehn? Liebst Du ihn – liebst Du ihn recht herzlich?«

»Ob ich ihn liebe? O Herr – wie anders? Aber er ist auch so recht ein Mann zum lieben – und so recht für junge Leute! Es gefällt mir immer, was er thut, so gut, daß ich mich schon im Voraus auf Alles freuen muß, was vorkommen wird, denn es ist mir allemal aus dem eignen Herzen geschält.«

»So! so!« sagte der Fremde – »ich glaube Dir, schönes edles Mädchen. Seine Seele muß groß sein – Dein Herz frei, wie das seinige.«

»Nein,« rief Magda abwehrend – »glauben Sie das nicht! Es ist nicht so leicht, zu sein wie er – und Manches kann ich ja gar nicht fassen, wie es in ihm kommt – so anders wie in Andere – und ein halbes Kind wie ich bin! Aber oft merke ich selbst, daß ich ihn besser verstehe als Hieronymus, oder andere Männer. Das macht, wenn ich allein bin, muß ich immer denken: »»Was würde er hierzu sagen, oder damit thun«« – und kann nicht ruhn, bis ich es ungefähr fertig habe, wie er es machen würde, und so wie ich es ihm abgemerkt. Versteht mich!« sagte sie und blieb stehn – »das ist wie eine Uebung auf seine Gedanken! Ist er nun dabei und kann ich's haben, es selbst mit anzusehn, so hilft mir die Uebung; ich eile förmlich und bin oft in Gedanken eben so schnell mit dem fertig, was er thun wird, wie er selber, so daß ich dann das bloße Zusehn habe. Und wenn er nun sagt oder thut, wie ich dachte – das ist eine Herzensfreude!«

»Ha!« rief der Fremde – »Du weißt zu lieben. Der Mann, der Dich einst gewinnt – er wird beneidenswerth sein. Doch wer wird es verdienen?«

Magda senkte den Kopf. Sie war erglüht, daß er den Purpur bis in den Nacken steigen sah. »Sei mir nicht böse,« bat er sanft. »Ich bin unbesonnen, unbescheiden gewesen, denke deshalb nichts Uebles von mir.«

»Nein gewiß nicht,« sagte Magda und blickte ihm voll und groß in die Augen – »ich könnte nie von Ihnen Uebles denken! Wenn ich nur wüßte, wo ich Sie schon gesehen habe und warum mir das halb wohl, halb weh thut? Waren Sie vielleicht in Wien?«

»Ja, liebes Mädchen, oft und lange. Solltest Du mich dort gesehen haben?«

»Wenn Sie in St. Ursula waren, – sonst weiß ich's nicht.«

»Nein, da war ich nicht,« entgegnete der Fremde – »doch wozu brauchen wir den Nachweis! Uns zieht es Beide zu einander hin, und wir können es allein in unsern Herzen ergründen; denn auch ich empfinde Dich wie mein Eigenthum. Als einen theuern Schatz für mein ganzes Leben fühle ich das Glück, Dich gefunden zu haben, und dennoch kann ich es nicht fassen – und wie nahe Du mir vielleicht stehst, will ich nicht denken, denn es überwältigt mich ganz.«

Magda sah ihn verwirrt von der Seite an. Das war ihr zu viel. Er war so leidenschaftlich und noch zu jung, um sie nicht verblöden zu können. Doch er bedachte den Eindruck nicht, den er machte. »Theures Mädchen,« sagte er daher sogleich – »sag' mir offen, – sage mir, liebst Du schon? Hast Du den Mann schon gesehen, dem Du, nach Deinem Großvater ganz innig vertrauen könntest? O sei offen und zürne mir nicht! Gestehe es nur ein, wir können das gewöhnliche Maaß für Bekanntschaften bei uns nicht anlegen! Sag' es mir, wie ich es Dir sage – wir sind bekannt – Du vertrauest mir, wie ich Dir.«

So wunderbar gedrängt, war doch wohl mehr darin nach Magda's Art, als sie selbst wußte, denn sie dachte: »Das ist All' wahr, was er sagt; gerade so fühle ich es.« – Endlich sagte sie laut: Wie ich in dem Großvater, so wissen Sie in mir zu erkennen, wie es hergeht! Es ist so – und doch, wenn wir uns umsehn – dort von der großen Eiche bis hierher ist nicht weit – und so lang ist doch nur unsere Bekanntschaft!« Plötzlich mußte sie lachen – der Fremde stimmte ein.

»Was thut das?« sagte er endlich. – »Hast Du noch nie plötzliches Vertrauen zu Jemand gefühlt? Weißt Du nichts von den Bestimmungen der Seelen, die uranfänglich für einander da sind und so lange sich verhüllt umkreisen, bis der Augenblick erscheint, in dem sie sich erkennen?«

»Glaubst Du daran?« rief Magda, von seiner vertraulichen Benennung hingerissen. – »Sieh, das ist der schönste Glaube, den es giebt – und ich glaube ihn! Da ist denn kein Irren möglich – das ist ewig uranfänglich, wie Du sagst, und dann immer bis zu Ende. Das – uranfänglich – ist ein schönes Wort – es hat mir gefehlt – ich danke Dir! Nun kann ich das nennen, wenn man fühlt: wir besaßen etwas schon lange – da schon – wo wir früher waren – das hat mit uns Erinnerungen, Gefühle, Gedanken gemein gehabt – da ist schon viel ganz Gleiches gewesen – verstehst Du mich? Ganz Gleiches! Nun liegt dazwischen das Geheimniß – die Trennung – die Umwandlung oder der Tod – ich weiß nicht wie ich es nennen soll. Gieb einmal Acht, was Dir gerade Alles einfällt, wenn Du jung bist und noch nichts erlebt hast. Das geht oft in Deiner Seele wie Schläge, wovor Du erschrickst, wenn Dir das uranfängliche Leben wieder zuträgt, was dort fertig ward und Dir nun hier zu Gute kömmt. Und wenn dann die Seelen kommen, die beisammen waren, wo sie's nicht nachweisen können, dann ist es gleich fertig – von Allem wissen sie, wie's in dem Andern ist, und sehen sich an – und möchten es sich aus den Augen lesen, wo sie sich schon nahe waren. Aber das Wort fehlt; denn vielleicht, wo sie sich sahen, verständigten sie sich anders. Aber was thut's? Ihnen ist doch wohl und sie können dann doch nie mehr von einander?«

»Mädchen! Schwärmerin!« rief der Fremde – »wer lehrte Dich das – wer hat dies Alles in Dir entwickelt und angeregt?«

»Ich muß so viel still vor mich hinsehen,« sagte Magda treuherzig – »da fällt mir das, – Eins nach dem Andern, ein – und dann erlebt' ich das Letzte.«

»Du erlebtest es?« rief der Fremde rasch und bewegt, »wo? wie erlebtest Du es? mit wem?«

»Mit dem – von dem mir ist, als würden wir uns immer blos ansehn und wissen von dem uranfänglichen Leben!« erwiederte Magda sinnend. »O das schöne Wort – das stillt den Durst nach der rechten Bezeichnung. Laß es mich auch verschweigen, was Du wissen willst. Bald wird Dir der Großvater davon erzählen, denn er hat es beschlossen, ehe er wußte, daß es wirklich wahr ist, was er will. Aber ob das geschieht, was ihm das Wichtigste ist, weiß ich nicht – darum bleibt es doch dasselbe in alle Ewigkeit und ich habe mein Glück daran.«

Der Fremde sah sie an, wie sie ernst und mit heiligem Frieden neben ihm ging, das schöne Haupt mit der herrlichen Linie des Profils auf die Brust gesenkt. Er unterdrückte jede Frage in sich, er ehrte das junge Mädchen durch Schweigen.

Plötzlich horchte sie lächelnd auf. Ganz deutlich hörte man den Ruf der Dohlen. »Ah,« sagte der Fremde, »wir sind am Ziel. Die Thurmwächter Deines Schlosses signalisiren uns.«

»Ja,« antwortete Magda– »gieb nur Acht – eine Dohle ist es aus dem dortigen Nest, aber sie fliegt uns nach.« Der Ruf wiederholte sich ganz nahe, aus einem Seitenwege drängte sich Bezo durch das Gebüsch vor, mit dem schwer beladenen Korbe auf dem Rücken.

»Bezo,« rief Magda – »warum kommst Du mit der schweren Last durch den Buschweg? Sich, wie Du keuchst und elend bist. Und an den Zweigen werden meine Geschenke hängen, – meine Puppen, meine Mützchen; meine Tücher.«

»Nein – nein, Magda,« stammelte der blödsinnige Bursche – »nein, Magda – ist Alles da – nichts verloren.«

»Aber warum bist Du nicht den großen Weg gegangen und hast Dich so abgehetzt? Armer Schelm, wie Du aussiehst! Setz' den Korb ab und ruh' Dich aus. Du kannst langsam nachkommen.«

Bezo stieß ein lautes Dohlengeschrei aus und mit so wilder Verzerrung des thierischen Gesichtes, daß der Fremde zusammen schreckte.

»Was hast Du?« fragte dagegen Magda, an seine Sprache gewöhnt, ruhig – »ich bin ganz sicher – warum schreist Du so?«

Er wiederholte jedoch den wilden Ton mit fast vermehrter Heftigkeit und Magda blickte nach allen Seiten forschend umher. »Der arme Knabe irrt sich selten,« sagte sie – er muß in der Nähe irgend etwas gesehen haben, was ihn besorgt macht für mich.«

»Besorgt?« wiederholte der Fremde – »was kann Dir hier drohen? und was es auch sei – bei mir bist Du sicher.«

Bezo hörte so angestrengt zu, daß ihm die Augen fast aus dem Kopfe traten. »Männer,« sagte er und zeigte ins Gebüsch; dann machte er das Laden der Gewehre nach, kniete nieder und legte seinen Dornenstock an, indem er auf den Fremden zielte.

»Haben Sie Feinde in der Nähe?« fragte Magda– »ich weiß, was er sagen will. Er meint, man habe ein Gewehr auf Sie angelegt – Sie können ihm glauben – er irrt sich selten.«

»Das ist unmöglich,« entgegnete der Fremde – »doch ist der Zeit, die so viel Unruhen brütet, nicht zu trauen. Viel herum ziehendes Volk, was durch die neuen Anwerbungen herbei gelockt wird, durchstreift wol gerade die Grenzgegenden, und Raub und Plünderung liegt da leider immer nah. Du solltest so ohne Begleitung nicht allein umher schweifen!«

»Ich habe hier nichts zu fürchten; Bezo begleitet mich immer, und dies gute wilde Thier würde Jeden zerreißen, der mir nahe käme.

Bezo antwortete durch ein wunderlich natürliches Bellen, denn Magda verstand er in den meisten Fällen.

»An seinem Willen zweifle ich nicht,« sagte der Fremde – »aber an seinen Kräften!«

»Wenigstens hier bin ich sicher,« erwiederte Magda – »denn wir sind im Bereich des Dohlennestes!«

Als der Fremde aufblickte, traten sie auf eine gelichtete Stelle des Waldes hinaus, wo eine niedrige Mauer mit einem Graben den Bezirk des Dohlennestes von dem Walde trennte. Der Fremde sah die hintere Seite des merkwürdigen Gebäudes sich darüber erheben, welches man von hier aus leicht für eine Felsenmasse hätte halten können, so grau und so mit Schlingkraut und Epheu besponnen war sein unförmlicher Bau. Nachdem sie sich aber der Fronte des Hauses genähert, sahen sie mehrere Pferde, die von Dienern herumgeführt wurden, und sogleich eilte Veit ihnen aus der Eingangsthüre entgegen. Magda's stattlicher Gefährte zog wol einen Augenblick die Aufmerksamkeit des alten Dieners auf sich, aber sichtlich hatte er etwas Bedeutenderes erlebt, denn er freute sich über Magda's Rückkehr auf eine Weise, als sei sie besonders nöthig, und sagte dann: »Dem Herrn Grafen, der so eben mit dem Herrn Großvater angekommen, ist ein Unglück begegnet, dessen Verlauf uns noch nicht bekannt! Sicher jedoch ist eine Verwundung in der rechten Schulter, aus der Pater Hieronymus die Kugel aber bereits heraus geschnitten hat und keine Gefahr vorhanden hält.«

»Heiliger Gott!« rief der fremde Offizier in zorniger Aufwallung – was geht denn hier vor? Stecken diese Wälder denn voll Raub- und Mordgesindel? So wie meine Leute kommen, soll eine Abtheilung Infanterie befehligt werden, dies Revier zu säubern. Es ist ja eine unerhörte Frechheit! So hatte Dein Bezo also doch Recht« – rief er jetzt, sich zu Magda wendend, die todtenbleich da stand, mit den Augen an Veit's Munde hängend. »Armes Kind,« fuhr er fort, zärtlich ihre kalte Hand fassend – »wie Du erschrocken bist. Fürchte aber nichts! Ich werde dafür sorgen, daß Du in vollständiger Sicherheit hier leben kannst. Die Sache muß streng untersucht werden; denn noch ist ungewiß, wem es galt!«

»Lassen Sie uns näher treten,« sagte das Mädchen mit erstarrtem Blick – und als sie sich dem Eingang näherten, trat Thyrnau ihnen entgegen, von Veit schnell herbeigerufen; seine Zügen waren verfinstert von dem Erlebten und er ging in steifer Haltung dem vornehmen Offizier entgegen. Doch dieser, als er ihn jetzt erkannte, stürzte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu; auch Thyrnau erkannte ihn und dieser erste Augenblick als sie sich fest umklammerten, war nur durch undeutliche Laute bezeichnet. Es schien über Beide die höchste Erschütterung gekommen!

»Thyrnau!« rief der Fremde – »mein Vater – mein Wohlthäter! geliebtester der Menschen!«

»O mein Prinz! mein Freund! mein Liebling!« entgegnete Thyrnau.

Sie hielten sich, Keiner den Andern loslassend, von einander ab, um sich anblicken zu können. Was mochten sie lesen in den bewegten Zügen? Den starken Männern rollten Thränen über die glühenden Wangen – der Prinz sank schluchzend an Thyrnau's Brust! als die erste Erschütterung vorüber war und der Prinz sich aufrichtete, führte Thyrnau ihn seitwärts unter die schattigen Buchen, die dem Hause zunächst standen. Aber der Prinz blieb vor Magda stehen und mit schwärmerischem Entzücken die Hände des blassen erschütterten Mädchens fassend, rief er, zu Thomas Thyrnau gewendet: »Und diese – dies Wesen, zu der mein ganzes Herz mich hintreibt – sag', o sage, was ist sie mir?«

»Ruhig!« erwiederte Thyrnau – »Mäßige Dich, geliebter Ernst – folge mir – wir haben uns viel zu sagen!« Er führte ihn fort, obwol er fast ungern das Mädchen verließ, mit dem er in der kurzen Stunde des Beisammenseins eine lang nicht gekannte selige Befriedigung empfunden hatte.

Magda sah ihnen nach und erst, als sie in den Schatten der Bäume verschwanden, kehrten ihre Gedanken zu den Ereignissen zurück, die ihr jetzt zunächst lagen. Sie wagte es nicht über die Schwelle zu treten, sie war unsicher und verschüchtert. Endlich kauerte sie sich matt und ermüdet in den Steinsitz der Mauer.

Auch war sie hier nicht lange, als Frau Gundula hervortrat und, sie ängstlich suchend, erstaunt war, sie hier zu finden. »Ach, mein Kind, tritt doch herein und ruhe Dich aus in dem kühlen Hausraum! Sieh', wie Du bestürzt aussiehst, mein liebes Liebchen! Sei doch nur ruhig: Pater Hieronymus versichert, es sei nichts Edleres verletzt. Die Kugel hat sich blos ins Fleisch geschlichen, wie er sagt; und wäre der Blutverlust nicht gewesen, und der Ritt hieher, die Ohnmacht wäre dann auch nicht so stark gewesen. Jetzt liegt er in dem Fremdenthurm und schläft – Hieronymus wacht bei ihm.«

»Aber wie kam das, Gundula?« fragte Magda – »Giebt es hier wirklich Räuber? War denn ein offenes Gefecht und ist der Großvater und Hieronymus nicht auch dabei in Gefahr gekommen?«

»Ja, sieh mein Kind! so was ist noch nicht vorgefallen, so lange wir denken können! Zur Kriegszeit natürlich – nun da waren wir in Prag und haben dort mit gelitten und mit getragen – und als Friede war, nun da gab es Diebe und Bettler in Hüll' und Fülle und wir bauten den Schoppen über dem Graben; da wurden die Nothleidenden beköstigt und ihnen das Nothdürftigste gereicht – und wenn auch viel Zulauf war, denn großes Elend war im Lande – doch gaben wir freiwillig, und wenig kann ich von Diebstahl nachsagen – und Gewaltthat haben wir Alle nicht erlebt!«

»Ja, Gundula, das war damals! Aber jetzt – wie geschah es jetzt? Das wollte ich wissen!«

»Sie schossen auf ihn!« rief Gundula – »aus dem Gebüsche kam der Schuß. Der Herr Graf ließ den Großvater in der Mitte reiten, auf der andern Seite Hieronymus; dahinter ritten vier Bediente des gnädigen Herrn in ihren kostbaren Röcken, wie das so Sitte ist bei den Lacy's! Wer sollte nun so was für möglich halten? Solch' Gefolge! Sieben Männer! – Ja! die Bösewichter! Offenen Kampf haben sie auch nicht gewagt – mit Eins fiel der Schuß gerade wie der Herr Graf zum Großvater sprachen. Da sank der edle Herr auf den Sattelknopf vorn über – –«

»Großer Gott!« rief Magda – »er lebt doch?«

»Ja, mein Kind! Denke Dir, das Blut übergoß das schöne blau seidene Kleid im Augenblick; aber der edle junge Herr richteten sich auf und sagten: Das thut nichts; es ist nur eine Verwundung! Und der Herr Großvater und der Herr Pater Hieronymus, nun die haben geschrien und die Hände gerungen – und Alle die Köpfe verloren! Nun lange dauert das beim Großpapa nicht – da kamen die Diener – da mußten zwei in die Gebüsche und nachsuchen – Einer voraus nach einem Tragsessel. Dann hoben sie ihn vom Pferde und Hieronymus that das Seine. Aber der junge Herr wollten nach dem Schlosse zurück, während der Großvater darauf bestand, ihn hierher zu führen, weil sie schon ganz nahe waren. Da ist er ohnmächtig geworden und das Streiten war vorbei; sie trugen ihn auf dem Tragsessel hierher – ach! wie eine Leiche war er anzusehn!«

»Barmherziger Gott!« rief Magda, während Thränen über ihr blasses Gesicht schlichen – »Du wirst ihn retten, ihn schützen und behüten!«

»Gewiß! gewiß wird er das, mein liebes Püppchen! Du mußt Dich nur nicht so bangen. Sage Du mir doch dagegen, wer der Gast ist, den Du uns heute mitgebracht hast; ein gar stattlicher Herr – und die Dienerschaft mit Gold bedeckt – und die schönen Pferde!«

»Gott weiß!« entgegnete Magda – »Das hörte ich wol, daß ihn der Großvater Prinz nannte – und gut ist er dazu genug – eine rechte Königsseele!«

»Nu! nu! Du bist ja sehr eingenommen! Wie hast Du denn das Alles so schnell erfahren?«

»Ach!« sagte Magda – »wenn nur Einer was Rechtes ist, da habe ich gemerkt, er kann's eben so wenig verstecken, wie Andere das, was ihnen fehlt. Von der Miene an, und wie sie gehn, und wie der Ton klingt, mit dem sie sprechen, das Alles gehört zusammen, so daß es einem wohl thut zum Aufjauchzen!«

»Herr, Du mein Gott! wie Du wieder lebhaft bist! Mein Lebtag' habe ich gehört: Trau nicht dem ersten Schein!«

»Schein! Schein! Ja! wenn der's ist, wie soll der Dich entzücken? Aber wenn's der Mensch selber ist, durch und durch, nach Gottes Ebenbild – das bloß ausstrahlt, was aufgehäuft liegt? Das macht eben Keiner nach – das kann nur der, der's ist! Das sagte auch Barbara – das wußte sie gut und hat mir's oft gezeigt!« »Ja freilich, sie wird's besser verstehn als ich. Und jetzt gehe ich, denn da kommen die Herren; nun wird angerichtet werden.«

Magda wandte sich zu ihnen. Das lebhafte Gespräch mit Gundula hatte die Farbe auf ihre Wangen zurückgerufen. Sie sah, daß der Großvater ihr winkte; sie eilte auf ihn zu, denn sie verlangte nach der beruhigenden ganz ausreichenden Brust des geliebten Beschützers. Aber der Fremde kam ihr um einige Schritte entgegen – sein schönes Gesicht glühte in Liebe und Rührung; er breitete die Arme aus –

»Laß' es geschehn, Magda,« sagte der Großvater – »er steht Dir nah' und hat ein Recht auf Deine Liebe.«

Magda sah' ihn freundlich an; er umschlang sie, drückte sie an seine Brust und küßte zärtlich und wiederholt ihre schönen Wangen. »Mädchen! geliebtes Mädchen! mein Herz konnte sich nicht täuschen – o nimm mich auf unter die, welche Du zu Dir zählst!«

»Das hab' ich schon gethan,« sagte Magda mit befriedigtem Lächeln – »und freue mich nur, daß ich mich nicht irrte!«

»Irren?« rief der Prinz – »wie könntest Du Dich irren? In Dir ist Alles Wahrheit – was Du aufnimmst, muß es sein, sonst findet es nicht Raum in Dir.«

»Mache mir das Mädchen nicht toll und verwirrt mit Deiner Bewunderung!« rief Thomas Thyrnau dazwischen.

Magda flog nun in seine Arme, und ihr bewegtes Gesichtchen lachte wieder, und mit den schlanken Fingern ihrer Hand strich sie über sein feuriges Antlitz und schaute ihm neckend in die Augen.

»Weißt Du denn, ob mir's gefällt, was er jetzt sagt?« fragte sie leise. –

»Ach!« antwortete Thomas Thyrnau, »lehr' mich die Weiber nicht kennen! Etwas Anbetung nehmen sie alle gern hin – haben auch immer schon einen kleinen Thron in Bereitschaft, den sie sogleich hervorziehn und – in solchen Fällen schnell genug besteigen.«

»Diesmal ist der Thron in meinem Herzen,« sagte der Prinz – »und ich habe ihn Dir erbaut – Du hast mir aber die Mittel gegeben, ihn aufzurichten!«

»Zu Tische! zu Tische!« rief Thyrnau und drängte das Mädchen von ihrem anbetenden Freunde fort, bis Alle die kühle Halle des Hauses aufnahm. Hier trat ihnen Hieronymus entgegen, der eben seinen Kranken verlassen hatte, dessen augenblicklicher Zustand nur Ruhe erheischte. Er hatte sich von dem Kammerdiener des Grafen ablösen lassen, um jetzt nach den erfahrenen Anstrengungen den Freuden der Tafel zuzusprechen, und lächelte wohlgefällig der großen silbernen Suppenschaale entgegen, welche mit Veit so eben ihren Weg nach dem Eßtische nahm. Der Prinz bat sich jedoch noch einen Augenblick Zeit aus, um eine Anzeige des Vorgefallenen sogleich an den Stadthauptmann von Prag zu senden, mit dem Ersuchen, eine Abtheilung Infanterie nach dem Walde von Kaurzim zu schicken, um die Aufhebung des darin verborgenen Gesindels zu bewirken.

Thomas Thyrnau dagegen besprach den Vorgang mit dem Schulzen von Tein, wie mit dem Förster der Herrschaft, und nahm mit mehr Vertrauen, als er dem Prinzen aussprechen wollte, ihre schnelle Einwirkung in Anspruch, die ausdrücklich darauf gerichtet sein sollte, mit den nöthigen dazu aufzubietenden Leuten das Waldgebiet zu durchstreifen. Beide, gewandte Männer auf ihrem Platz, theilten Thomas Thyrnau mit, daß sie bereits verdächtigen Personen begegnet wären, die im Dorfe gezecht, viel Geld gezeigt und zugleich erklärt hatten, das Nachtlager im Walde jeder andern Ruhestätte vorzuziehn.

Magda theilte dem Großvater mit, was Bezo angedeutet, und ihr ward das Verhör des Burschen aufgetragen, da sie allein die Gabe besaß, seine Gedanken zu sammeln. Es ergab sich denn auch nach vielem Hin- und Herfragen, daß Bezo die Männer, welche den Ueberfall auf eine Person verabredet, nicht zur Zeit der Rückkehr mit Magda gesehen hatte, sondern am frühen Morgen, wo er immer umher schweifte; daß dies ihm aber erst wieder eingefallen, als er bei der Rückkehr von Kaurzim an dieselbe Stelle gekommen war, wo er sie am Morgen beobachtet, und daß seine Treue und Liebe gegen Magda ihm instinktartig die Angst um ihre Sicherheit eingeflößt, die ihn so angestrengt zu ihr eilen ließ. Es ward demnach beschlossen, daß er den Förster und Schulzen begleiten sollte, theils um die bezeichnete Stelle zu finden, theils weil sein außerordentliches Gehör und sein scharfes Auge brauchbar werden konnte.

»Auffallend bleibt die ganze Sache,« sagte Thyrnau, nachdem sich Alle zu dem ungeduldigen Pater Hieronymus um den Eßtisch gesetzt hatten – »denn der Angriff trägt durchaus den Karakter einer persönlichen Absicht! Es fiel ein einziger Schuß – kein anderer Versuch zeigte sich, uns zu beunruhigen, und der Graf sank sogleich vorn über, zeigte also, daß er getroffen. Ein Raubanfall auf sieben Männer konnte doch nur in großer Anzahl versucht werden. Und nun bei hellem Mittag, in der Nähe des Hauses – welch' ein wahnsinniges Unternehmen, wenn sie an Beute dachten! Auch ist nichts geschehn, was darauf hindeutet.«

»Dies wird sehr wahrscheinlich,« entgegnete der Erbprinz von S., der sich eben als solcher mit Hieronymus bekannt gemacht hatte – »und vielleicht hätten wir besser gethan, den Privatverhältnissen des jungen Herrn Grafen nachzufragen, als die Sache gleich so öffentlich zu machen.«

»Dazu ist er jetzt nicht fähig!« sagte Hieronymus. – »Der Blutverlust hat ihn erschöpft – und die Wunde ist schmerzhaft!«

»Gleichviel,« sagte Thomas Thyrnau – »ich hasse das Schonen unreiner Verhältnisse. Hat er diese und sogar solche, die ein Attentat so abscheulicher Art veranlaßten, mag er die Folgen davon aufgedeckt sehn. Glaubt mir, nichts bringt junge Leute tiefer in ihr Verderben, als das Zudecken, das Schonen ihrer leichtsinnigen Streiche! Ließe man sie gleich leiden, wo sie es verschulden, würden sie den Rausch, dem sie sich hingeben, weniger reizend finden. Aber die Eitelkeit von Aeltern und Erziehern, die sich nicht eingestehen wollen, daß sie einen Taugenichts haben heranwachsen lassen – die ist es, die immer wieder abwendet und zubaut, wodurch dem Leichtsinn der Muth wächst, alle Lüste und Thorheiten durch zu versuchen, die ihm noch irgend schmackhaft scheinen.«

»So streng, mein alter Freund?« sagte der Prinz lächelnd – »und doch einst so milde und verzeihend?«

»Der Vorwurf von Beidem trifft mich nicht,« entgegnete Thyrnau – »nur Wahrheit will ich! und je älter ich werde, je mehr ich ihren Mangel kennen lerne, je dringender fordere ich sie, denn es ist der Erzfeind der Menschen, der in tausend Gestalten verhüllt über die Erde schleicht, und dem die Besten noch eine Verkappung stehlen, um irgend eine Eitelkeit hinein zu wickeln. Wie weit wir zu dem absoluten Begriff der Wahrheit auf dieser Welt durchdringen, das wage ich nicht zu bestimmen; eben so wenig, wie nah oder wie fern ich oder Andere davon sind – aber die Wahrheit, die von jedem Menschen zu fordern ist, und die gerade am häufigsten umschlichen wird, ist die gegen uns selbst. Dies ewige Heucheln von Motiven, die wir unsern schwachen thörichten Handlungen unterlegen, um sie vor uns selbst heraus zu stutzen, damit wir wenigstens, wenn uns die schlechten Resultate überraschen, fassen können, wir hatten die edelsten Absichten und sind in nichts verantwortlich zu machen – dies ewige Heucheln mit uns selbst ist es, was mir das Blut mit Galle versetzt und wogegen ich streng erscheine. Es entsteht daraus selbst in den von Natur gut gearteten Menschen ein so hartnäckiges Täuschungssystem, daß ihm fast gar nicht beizukommen ist, und die sanftesten bußfertigsten Seelen werden gerade zuletzt zugeben, daß sie sich selbst und ihrer Eitelkeit dienten, während sie sich gewöhnten, all ihre Motive umzutaufen – und im vollständigen Gefühl unverschuldeten Märtyrthums sich für berechtigt halten, mit dem Schicksal zu grollen!«

Der Prinz lächelte und nickte dem feurigen Greise beifällig zu. Lebhaft fuhr dieser fort: »Wie weit man eben sei, das gestehe man muthig ein – auch daß man sich ein paar Lieblingssünden noch aufgehoben habe – in Gottes Namen! Nur nicht die Lieblinge umtaufen, damit wir sie ohne Vorwürfe behalten können! Ich habe noch Zeitlebens gefunden, die Lügen, mit denen wir uns selbst betrügen, sind viel häufiger als die gegen Andere.«

»Wenigstens,« sagte der Prinz – »machen wir uns über die Lügen gegen Andere Vorwürfe; über die gegen uns selbst aber empfinden wir nicht einmal Reue – und doch ist das Gefühl der Reue die wahre Wiedergeburt der Seele, der Abschluß mit der Vergangenheit, die Stärkung beim Beginn eines neuen Lebensabschnittes!«

»Ja so kann es sein!« entgegnete Thomas Thyrnau, »und ich denke nicht geringer von der wahren Reue; aber ich sehe scharf zu, was unter dieser Benennung gemeint ist. Ich habe mir die sogenannte Reue etwas verleidet. Die am leichtesten sich anklagten, am heftigsten ihre Fehler bejammerten, behielten sie gerade für ewige Zeiten. Entweder fanden sie Narren, die bereit waren, ihnen zu versichern: es sei nicht toll und sie seien der Bewunderung würdig für ihre demüthigen Bekenntnisse – oder sie selbst besorgten diese schmeichelhafte Versicherung gegen sich und genossen damit alle Selbsterhebung, die sie für ihre kurze Demüthigung trösten konnte. Aber damit war die Sache auch abgethan; sie behielten ihre Fehler als ein nöthiges Schaugerüst für ihre Reue und zuletzt hatten sie eine Uebung darin, daß sie eben so oft und leicht sich anklagten und bereuten, wie wir den Hut abziehn, wenn wir alten Bekannten begegnen. – Ich habe diese coquetten Reumüthigen gern in Verlegenheit gesetzt, indem ich that, als wenn ich ihnen Alles glaubte, was sie über sich ausstießen. Anfänglich stutzten sie und meinten, ich hörte nicht recht; sie wiederholten, sie erhöhten ihren Bußgesang endlich bis zur tollsten Übertreibung. Wenn sie aber nur mein Erstaunen über die Böswilligkeit der menschlichen Natur erregen konnten, mich nur Beifall geben sahen ihren Bußgedanken, dann brachte ich sie endlich dahin, daß sie selbst alle Entschuldigungen hervorsuchten, die sie von mir erwartet hatten; und behielt ich Zeit, so hatten sie sich endlich so weiß gewaschen, daß nichts als eine kleine liebenswürdige Schwäche übrig blieb. – Wer dagegen tief und schwer die Gebrechlichkeit seiner menschlichen Natur empfindet, wer gern mit Gott ein Sieger werden möchte, der fühlt die begangene Sünde wie eine brennende Wunde in der Brust, und in der Sicherheit, daß nur Einer ihn befähigen kann, sie auszutheilen, wird er vor Ihn seine Schmerzen und seine Reue tragen! Von dort wird ihm die Befähigung kommen, abzuschließen und wiedergeboren von Neuem anzufangen. Ein Solcher, meine Freunde! wird selten vor Menschen sich reuig bekennen – heil'ge Schaam vor dem wirklich erkannten Fehler wird ihm kein Zungenbekenntniß erlauben; aber sein gesenktes Auge, seine sich röthende Stirn wird mich tiefer rühren, als das Geheul der Andern.« »Mein Vater!« rief der Erbprinz tief bewegt – »sage mir, ob ich Dich verstanden habe?«

Thomas Thyrnau erhob sich, und als Alle aufstanden, umfaßte er den Erbprinzen und küßte seine Stirn und sein Auge leuchtete und er glich dem Erzvater, dessen Berührung den von Oben verkündigten Segen ertheilt. Aber er war zu bewegt, um zu sprechen. Er schritt den offnen Thüren zu, und als ihm der Erbprinz folgte, faßte er seinen Arm und trat mit ihm hinaus, und jetzt theilten sich die Männer, auf und nieder wandelnd, Vieles mit, wozu sie nur sich Beide als Zuhörer wünschten.

Der Prinz erzählte Thomas Thyrnau alsdann von dem gütigen Empfange der kaiserlichen Herrschaften, und daß er dem Anerbieten, sich der Armee wieder anzuschließen, sich um so weniger habe entziehen können, da der augenblickliche Stand der Dinge den baldigen Ausbruch des Kriegs erwarten ließe. Für Böhmen sei natürlich die Wahrscheinlichkeit eines ersten Angriffes am meisten zu fürchten, und er sei daher befehligt, dort die Grenzen zu bereisen und namentlich für die ausreichende Befestigung von Prag die nöthigen Anordnungen zu treffen. – Sein General-Stab war in Prag geblieben, während er bei der ersten Muße nach Kaurzim geeilt war, um in Tein den Freund aufzusuchen.

»Jedenfalls ist es gut, daß Sie nicht um einen Tag früher kamen, denn gestern ward ich von dem Besuch Ihres Herrn Vaters überrascht!«

»Mein Vater? – Mein Vater hier in der Nähe?« rief der Prinz – und ein Entsetzen, was er unfähig war zu bezwingen, drückte sich auf seiner ganzen Gestalt aus.

»Er kam, mich an unsere alten Ideen über Böhmen zu erinnern,« sagte Thyrnau – »und hielt in seiner kurzsichtigen Politik den gegenwärtigen Augenblick für sehr günstig, unsere Verbindungen mit Frankreich wieder anzuknüpfen. Es überraschte ihn etwas unsanft, zu vernehmen, daß Madame de Pompadour eher gesonnen wäre, den Handschuh der Kaiserin in ihr Wappen aufzunehmen, als gegen sie in die Schranken zu treten. Er kam mir geistig sehr zurückgekommen vor; ich habe wenig Gründe an ihn gewendet und hatte mich zu bewahren, um nicht zu vergessen, daß er unter dem Schutze eines alten Czechen-Hauses war, und da er in meiner Abwesenheit über die Schwelle gekommen war, mußte er ungekränkt darüber zurück treten, und doch fühlte ich die Gefahr immer höher steigen, da er selbst unbesonnen die wunden Stellen reizte.«

»Welcher Wahnsinn! jetzt noch an diese Pläne zu denken,« rief der Prinz. – »Wie verließ er Dich aber – hast Du ihn zur Ruhe gebracht?«

»Zur Ruhe – ihn?« entgegnete Thyrnau. – »Er entfernte sich wie ein halb erlegter Stier, der den abgebrochenen Speer, der ihn traf, mitschleppt und durch Brüllen zu erkennen gibt, daß er auch halb besiegt noch seine eigenste Natur, seine Wildheit behalten hat! Er drohte mir und er denkt gewiß daran, sich zu rächen.«

»Wollte Gott! er hätte weniger Mittel dazu in Händen, als es der Fall ist!« sagte der Prinz – »Deine Sorglosigkeit hierüber geht vielleicht zu weit.«

»Denke das nicht. Ich bin vertraut mit der Gefahr, die mir droht, deshalb beunruhigt sie mich nicht mehr. Was Dir Sorglosigkeit erscheint, ist die Ruhe, die aus einer ganz klar durchdachten Angelegenheit entspringt. Es kann mich nichts mehr überraschen – ich bin mit Gott und mit mir selbst seit lange darüber fertig; ich lasse jetzt die Menschen damit machen, was sie können, was sie müssen; aber da ich es ziemlich voraus weiß, spannt es nicht einmal meine Erwartung, und ich verfolge daher bis zu dem Augenblick, der zuverlässig eintreten wird, meine Lebenszwecke mit ungestörter Ruhe. Ich bin oft dankbar, daß mich, nachdem ich eine solche Gefahr herauf beschworen habe, die Folgen nicht störten, und mir bis an ein so fernes Lebensziel Ruhe gegönnt ward. Sollen Sie mich dennoch treffen – wohlan – ich möchte sagen – jetzt habe ich endlich Zeit! In meinem Alter hört die Arbeit für uns selbst auf, wichtig zu sein. Der Wahn der Jugend, durch den man sich vor Anderen berufen hält, Bedeutendes hervor zu rufen, zu entwickeln, zu vollenden – der legt sich friedlich ausgeglichen zu der Ueberzeugung, daß wir nur der Gesammtwirkung Vieler unsere Erfolge verdanken; daß Keiner ganz fertig wird, der über die Pläne für Haus und Hof, über den leichten Verkehr des Lebens hinaus sich wagte; daß er nur anregen konnte, einen Stein hinzutragen zu dem Bau, den die Zeit dann in ihre unhemmbare Verwaltung aufnimmt! In dem Maaße, wie durch diese Ueberzeugung die Menschen um und neben uns an Geltung gewinnen, vermindert sie sich selbst gegen uns. Das gibt Gleichgewicht, mein Freund! und erweitert den Umkreis. Was ich mit den Edelsten im Verein angeregt – es war nicht umsonst. Wie ich es gewollt, ist es mißglückt – und fast habe ich mich über nichts in meinem Leben mehr zu freuen, als daß mißglückt ist, wie ich es gewollt! Die Geburt einer Idee gleicht in ihren Schicksalen der Geburt eines Menschen! Von der Wiege an, in der sie noch schlummernd ruht, ist sie der willige Träger aller Hoffnungen und Pläne für die Zukunft, die wir ihr bestimmt haben, für die Wirksamkeit, die wir von ihr erwarten. Sie scheint uns in nichts zu widersprechen – sie lebt, sie athmet, sie hat Kopf, Händ' und Füße; sie schreit so laut wie jede andere. Was fehlt ihr? denken wir. Alles ist da, was von jeher nöthig war, und erfüllen muß sie, was wir ihr zugedacht. Aber sie wächst jetzt aus der kleinen Wiege unserer Stirn, worin wir sie schaukelten, heraus; sie wird jetzt so groß, daß wir sie nicht länger bergen können. Das ist uns zu Anfang ganz recht; wir wollen, daß sie sich entwickelt, wachsend vor uns stellt; wir rufen die herbei, welche mit uns der Geburt begierig harrten, sich nach ihrem Wachsthum sehnten – und jetzt warten wir nur ab, daß ihre Füße aus dem Schwanken heraus zum festen Gehen übertreten sollen. Auch hierzu fördern, ebnen wir den Weg und entfernen alle Hindernisse! Aber, Freund! wie oft überrascht uns dann der Lauf, der nun beginnt! Wo bleibt die Bahn, die wir angewiesen – wo bleibt im raschen Laufe die Kleidung, die wir ihr passend hielten? Bald hier bald da blieb sie sich überrennend hängen; hier fiel dies, dort jenes von ihr ab. Wir wollen nach, sie lenken, einfangen, sie zurück führen; wir jagen hinterher und erstaunen, daß die Zeit indeß den Weg verändert hat; wir wollen sie nun wieder einholen, sie anders lenken, aber welch' Glück, wenn es noch in unsere Macht gegeben ist; wenn nicht während des eigenmächtigen Laufes sich unsere Herrschaft über sie verloren hat und wir sie schon so gestaltet sehn, ehe wir sie erreichen, daß wir erröthend zurücktreten und sagen dürfen: wir erkennen Dich nicht mehr, wir haben Anderes gewollt! – Es thut nicht gut, in blinder Liebe das Eine festhalten und vergessen, wie der Boden sich indeß umgestaltet, auf den wir sein Dasein berechneten! Verzeih' das lange Gleichniß! Es trifft zu. Als wir das Kind noch in unserer Stirn schaukelten, war es ein Engelsbild, und wir glaubten an seine Flügel. Als es aus uns heraustrat und mit dem Leben in Berührung kam, da erkannten wir es nicht wieder, und ganz mußte es zur Ruhe verwiesen werden, als Maria Theresia, diese wahre Selbstbeherrscherin, den Thron bestieg. Da ward sie die Idee, für die wir geschwärmt, und wir standen auf ihrer Seite!«

»O Thyrnau! wenn sie Dich kennte!« rief der Prinz.

»Laß das. Es ist zu spät. Wenn sie mich kennen lernt, wird sie mich nur kennen lernen, um mich zu verdammen – aber auch dafür werde ich sie lieben! Bleibt mir nur Zeit, ihr das Engelskind zu zeigen, was einst hier schaukelte, behalt' ich nur Zeit, ihr zu sagen, ich hab' es später, als es verwandelt aus mir heraustrat, nicht anerkannt – dann soll es ein schöner Lebensabend sein! In dieser Kaiserin Stirn liegt Zündstoff aufgehäuft, das Reinigungsfeuer für die Welt anzufachen, und ich will ihr meine kühnen Jugendpläne nicht unterschlagen, weil diese Entwürfe mich durch ihre Ausführung strafbar gemacht haben würden; sie werde die Trägerin dieser Gedanken! Zwischen zwei Generationen steht sie mitten inne; sie hat die Erfahrungen der schwindenden in ihrem Gedächtniß eingegraben; sie gehört der werdenden mit jedem Gefühl ihrer hochherzigen Brust, mit jedem Gedanken ihres beschwingten Geistes! Klein sieht das Kleinliche und spielt mit dem lieblichen Spott der ewigen Jugend, den die Gottheit ihren Lieblingen erhält, mit den leise vor ihr ausgebreiteten Netzen und überspringt sie plötzlich und läßt sie am Boden verfaulen, kaum ihr Dasein annehmend. Und darüber weg schreitet ihr geharnischter Fuß, den nichts aufhält, und mit Siegerblicken schaut sie freudig der Zeit in die Augen und ruft ihr zu: »Komm mit mir! Du bist mir recht in allen Deinen Erscheinungen, denn ich bin Dir gewachsen!« Was können Beide vereint nicht erreichen! – Sie fühlt Athem genug in der hohen Brust, um jener Schritt zu halten – und was sie hervorruft, wird sie kräftig fassen und wird es für ihr Eigenthum erklären!«

Der Prinz blickte in das Angesicht des Greises, der stille stehend und die Augen in die Luft gerichtet sprach, als sähe er den Triumphzug der Zeit an der Seite der Monarchin! – Er hatte vergessen, wo er war – überhaupt, daß er sprach.

»Jüngling,« rief der Prinz, »ewiger Jüngling!«

Thomas senkte den Blick auf ihn nieder; man sah, er sammelte sich. Es trat, als er sich wieder fand, ein Anflug von Verlegenheit, von Beschämung in ihm hervor. Er war sich selbst zu sehr hingerissen worden – er wollte dem Manne, dem Greise diesen schwärmerischen Ausbruch nicht gestatten. Schweigend ging er neben dem Prinzen her, den Kopf gesenkt, die Hände gekreuzt auf dem Rücken. Der Prinz fühlte das und suchte ihn abzulenken: »Glaubst Du, daß mein Vater meine Anwesenheit in Böhmen kennt?« fragte er ihn im Weiterwandeln.

»Du darfst nicht zweifeln, und ich erstaune, daß Ihr Euch entginget; denn er nahm seinen Weg über Prag und hatte ein Gefolge bei sich, was nicht leicht übersehen wird.«

»Es erklärt mir Manches und – ich will wünschen, daß wir nicht mehr entdecken, als uns lieb ist! Ich hatte nur vier meiner Leute bei mir; Einer machte mir die Meldung, daß er von einem Unbekannten über alle Einzelheiten meiner Reise in's Verhör genommen ward. Der ehrliche Bursche wußte selbst wenig zu verrathen und ist lange genug in meinem Dienst, um neugieriges Ausforschen abzuweisen. Dennoch behauptet er, daß wir auf unserm Wege beobachtet wurden.«

Thomas Thyrnau blieb stehn – und beide Männer blickten sich mit aufgeregten fragenden Augen an. »Wär' es möglich?« rief Thyrnau. –

Der Prinz zuckte die Achseln. »Es wäre nur der zu erwartende Fortschritt auf der längst betretenen Bahn!«

Thomas Thyrnau schauderte zusammen. »Ich weiß,« fuhr der Prinz fort, – »daß er von den Majestäten großes Unrecht bekommen; ich habe dagegen eine Stellung erhalten, die von der unveränderten Gesinnung der hohen Herrschaften zeugt.«

»Es ist genug!« rief Thyrnau – »wir müssen vorsichtig sein. Alle Gefangene, die noch gemacht werden könnten, müssen erst vor uns geführt werden.«

»Und ich,« sagte der Prinz – »werde einen zweiten Befehl nach Prag schicken, der den ersten widerruft; wir haben die Sache nicht mehr in unserer Hand, wenn die Behörden von dort aus sich hinein mischen.«

Beide Männer nahmen in dieser Absicht den Rückweg nach dem Dohlennest, von dem sie sich im Eifer der Unterredung ziemlich weit entfernt hatten. Als Thomas Thyrnau aber einen Richtweg durch kleines Unterholz einschlug, bemerkten sie mit einem Male eine menschliche Gestalt, welche auf dem Leibe liegend fast das Ansehn eines Todten hatte. Beide Männer eilten rasch darauf zu; ehe sie ihr aber ganz nahe waren, bekam sie Leben, und beim Aufspringen und Davonlaufen erkannten sie Bezo.

»Ha!« rief der Advokat stehen bleibend – »er lag auf der Lauer! Fast wollte ich wetten, der Feind ist noch in der Nähe! Wenn dies unglückliche Geschöpf im Stande wäre, seine Wahrnehmungen auszudrücken, würden wir erstaunenswerthe Erfolge von seiner instinktartigen Beobachtungsgabe hören. Doch so werden wir schwerlich etwas von ihm erfahren; wir können nur schließen, daß, wo er auf der Lauer liegt, etwas vorgeht.«

»Ich bin nicht begierig, zu finden,« sagte der Prinz schmerzlich lächelnd – »lass' uns unsern Weg verfolgen.«

Doch einige Schritte weiter gegangen, sahen sie den Förster mit einem seiner Gehilfen Bezo zurück führen und denselben Weg einschlagen, den dieser so eben verlassen. Der Förster näherte sich sogleich den beiden Herren und zeigte ihnen an, daß sie Ursach hätten zu glauben, daß sich hier eine verdächtige Person aufhalte, da Bezo diesen Theil des Waldes nicht verlassen wolle.

»So wollen wir Euch noch einige Diener zur Umstellung der Ausgänge senden,« sagte der Prinz lebhaft – »und wen Ihr findet, sorget dafür, daß er augenblicklich nach dem Dorfgefängniß gebracht wird, ohne daß erst ein unzeitiges Verhör erfolgt, bis Ihr uns Anzeige davon gemacht habt.«

Der Prinz erholte sich rasch nach diesen Worten und Thomas Thyrnau folgte ihm nach einigem Nachdenken, obwol es seinem lebhaften Geiste vielleicht zusagender gewesen wäre, im Walde selbst anordnend gegenwärtig zu bleiben.

Doch schien es fast, Bezo's Instinkt, dem Alle geneigt waren zu vertrauen, habe ihn irre geführt; denn bei der sorgfältigsten Nachforschung fanden sich nur die Spuren von zerbrochenen Zweigen und zertretenem Grase, aber kein menschliches Wesen mehr, und so glaubten die Suchenden, daß Bezo's Witterung die vorhandenen Spuren entdeckt und deshalb hartnäckig auf der einen Stelle verblieben sei. Man überließ ihn daher sich selbst und hatte sich schon ziemlich weit entfernt, als ein fürchterliches Angstgeschrei in die Ohren der Suchenden drang und sie schnell nach der eben verlassenen Gegend zurück trieb. Bezo's Geschrei, denn als solches erkannten sie es bald, schien aus den Lüften zu dringen, bald merkte der erfahrene Förster, daß es aus dem Wipfel eines Baumes kam. Schnell war der Platz erreicht und sie sahen Bezo perpendikulär zwischen den Zweigen einer mächtigen Ulme herunter hängen, während Füße und Arme an ihm niederhingen, so daß es im ersten Augenblick, da wegen des dicken Laubes keine genaue Ansicht möglich war, ganz unbegreiflich schien, wie er sich in dieser Lage ohne allen Dienst von Armen und Beinen erhalten konnte. Als der Förster sich jedoch, einen andern Zusammenhang annehmend nach dem Stamm des Baumes schlich, sah er, daß Bezo am Kragen seines Wamses von einer mächtigen Faust in der Luft schwebend gehalten ward, und daß ein zweiter dunkler Körper in der hohen Krone des Baumes dies bewerkstelligte.

Bezo's Lage rechtfertigte sein Angstgeschrei; denn ließ die Faust los, die ihn doch wahrscheinlich nicht aus Wohlwollen in dieser Schwebe erhielt, so stürzte der arme Knabe von der beträchtlichen Höhe auf ein knorriges Wurzelgeflecht herab und konnte das Genick brechen oder doch ganz zerschlagen werden. Es war keine Zeit zu verlieren; der Förster machte seinen jetzt sich sammelnden Gehilfen schnell seine Meinung kund, und indem sie sich dicht zusammendrängt unter Bezo's schwebender Gestalt vereinigten, forderten sie den Feind auf, sich zu ergeben. Es erfolgte lange keine Antwort; aber das Geschrei des Unglücklichen verwandelte sich jetzt in ein schmerzhaft stöhnendes Röcheln, und Alle fürchteten, der arme Knabe werde erdrosselt. Augenblicklich richtete der Förster seine Flinte auf den fremden Körper und rief hinauf, daß er schießen würde, wenn er dem Burschen ein Leid thäte. Kaum war das gesagt, so stürzte Bezo von Oben herunter, wurde aber von den Jägerburschen aufgefangen, die den fast entseelten Körper, der blau und roth im entstellten Gesicht kaum noch einem Lebenden glich, vor dem Zerschellen behüteten. Dennoch durften sie dem armen Hilfebedürftigen noch keine Aufmerksamkeit schenken, denn mit der größten Kraft und Gewandtheit ließ sich jetzt eine männliche Gestalt pfeilschnell von der entgegengesetzten Seite des Baumes herunter und wollte die augenblickliche Störung, die das Herabfallen des Burschen verursacht hatte, benutzen, um das Dickicht des Waldes zu erreichen. Doch war dies ein zu verzweifeltes Unternehmen, so gewandten und mit dem Wald so vertrauten Burschen gegenüber, und es schien auch, der Flüchtling selbst gebe sich verloren, denn bald eingeholt, versuchte er keine Gegenwehr mehr und ließ sich festhalten und zurückführen.

»Bestien!« sagte er, wild um sich blickend – »hätte ich noch eine Kugel in meiner Flinte gehabt und ein Paar Körner Pulver, ihr Alle hättet das Nachpfeifen gehabt, aber sicher mich nicht ergriffen. Das elende Gewürm!« rief er jetzt und stieß verächtlich an Bezo's Körper, der noch bewußtlos am Boden lag. – »Was für eine höllische Katze habt Ihr denn auf mich abgerichtet? Das Thier kletterte bis in den Wipfel, um mich heraus zu holen.«

Niemand antwortete ihm. Selbst die beiden Burschen, die ihn hielten, blickten auf Bezo und dachten nur des armen Knaben, mit welchem der Förster und die Andern sich liebevoll beschäftigten.

»Todt ist er Gottlob nicht!« sagte endlich der Erstere – »nehmt ihn abwechselnd auf die Schultern und tragt ihn nach dem Dohlennest; hier kann er keine Hilfe bekommen! Ha! Du tückischer Gesell,« rief er dann heftig dem Arrestanten zu – »Dir soll es schlimm gehn, wenn der arme Mensch stirbt!«

»Ist das ein Mensch?« rief höhnisch lachend der Andere – »Nun, dafür hält ihn Keiner, der ihn zuerst sieht. Ich dachte, Eure Wälder brüteten Affen und Meerkatzen aus, wie das Gewürm den Stamm herauf lief, als hätte es Klauen an den Pfoten!«

»Fort,« sagte der Förster und stieß ihn vorwärts – »und vergiß nicht, daß wir Kugeln in den Büchsen haben.«

»Jetzt will ich mit Euch gehn!« erwiederte der Andere – »sonst sollten mich Eure Drohungen nicht jagen!«

Sie schlugen den Dorfweg ein, und während Zwei der Jäger Bezo nach dem Dohlennest trugen und die Meldung von dem Auffinden des muthmaßlichen Mörders machten, ward dieser in das Gefängniß des Dorfes abgeliefert, und nachdem er wohl verschlossen worden, bewachten zwei dazu vom Schulzen befehligte Bursche, mit Musketen bewaffnet, die starke Thür.

Man erwartete aber, zum Erstaunen des versammelten Dorfgerichts, vergeblich den sonst so schnell einschreitenden Herrn Thomas Thyrnau, und schon wollte man bei einbrechender Nacht aus einander gehn, als der Advokat an der Seite eines andern Herrn, dessen tiefer Hut ihn der Beobachtung entzog, in die Wohnung des Schulzen trat. Mit Schärfe und Genauigkeit that er sogleich die nöthigen Fragen, bestimmte dann am frühen Morgen das eigentliche Verhör, forderte dem Schulzen die Schlüssel zum Gefängniß ab, was ein wohl verwahrtes massives Gemach neben dem Gerichtszimmer war, und entließ die schon über die Zeit hinaus wach gebliebenen Landleute.

Als beide Männer allein waren, nahm der Prinz, der den Advokaten begleitet hatte, ihm die Schlüssel aus der Hand: »Laß mich allein zu dem Gefangenen gehen – Du nicht – ich bitte Dich, Du nicht.«

Der Advokat zögerte. »Wenn wir uns nicht irren – so ist es nicht ohne Gefahr für Dich!« sagte er endlich.

Der Prinz lächelte. »Physisch habe ich Kraft genug, dem Feind zu begegnen! Laß mich – schone mich!«

Thomas Thyrnau trat zurück; der Prinz nahm die Schlüssel. »Auf dem Dorfwege finde ich Dich!« sagte er. Der Advokat nickte und verließ das Haus.

Der Prinz ging durch das Gerichtszimmer nach einem kleinen Gange, der nach der Hofseite offen war, in welchem die Thür zu dem Gefängnisse lag. Er fand hier zwei handfeste Bursche des Dorfes mit ihren Büchsen auf und nieder wandelnd, und sie vertraten ihm mannhaft den Weg, bis der Prinz ihnen die Schlüssel zeigte und damit ihre Bedenklichkeiten besiegte. Der Prinz trat in das kleine gewölbte Gemach, worin eine Lampe ihn den Gefangenen erkennen ließ und verschloß die Thüren hinter sich.

Die Bursche waren über den späten Besucher, in welchem sie den vornehmen Gast aus dem Dohlennest erkannt, nicht wenig verwundert und zogen sich ehrerbietig bis vor den Eingang nach dem Hofe zurück. Doch ward ihre Verwunderung noch gesteigert durch die lange Dauer des Besuchs. Endlich klirrten die Schlösser; es währte lang, ehe der Heraustretende mit Auf- und Zuschließen fertig ward, dann trat der schöne, leutselige Herr zu den Burschen und übergab ihnen den Schlüssel. »Habt Ihr die Nachtwache, meine ehrlichen Leute?« redete sie der Prinz an.

»Ja, Euer Gnaden,« antwortete der Eine – »wir Beide bleiben die Nacht hier, obwol es immer schwer wird, wenn der Tag seine Last hatte – was bei der Heuernte schon vorkommt.«

»So gehe Einer von Euch ins Dorf und hole für Euch Beide ein Paar Flaschen Wein. Das hilft die Nacht verkürzen.«

Die Burschen griffen erfreut nach dem dargereichten Gelde, und der Prinz verließ sie.

Als er auf den Dorfweg trat, sah er Thomas Thyrnau vor sich herwandeln und sich die Hände reiben, was er bei Veranlassung erregter Ungeduld zu thun pflegte. »Ach,« sagte er, sichtlich erleichtert, als er den Prinzen sah – »das war ein langes Verhör, mein Lieber!«

»Verzeih!« sagte der Prinz sanft und mit erschöpfter Stimme – »es ging nicht anders. Doch lass' uns zurückkehren, ich habe Ruhe nöthig.«

Als sie das Dohlennest erreicht hatten und der Schein der Kerzen auf den Prinzen fiel, zweifelte Thomas Thyrnau nicht länger, daß sein Gast der Ruhe bedürfe, denn sein Gesicht war ungewöhnlich blaß und er sah tief traurig und erschüttert aus. Beide drückten sich stumm die Hände und der Abend war für die Geselligkeit der Hausbewohner geschlossen.


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