Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Zweiter Theil
Henriette Paalzow

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Diese Eigenthümlichkeit trat in dem Augenblick, wo er an der Seite des Fremden auf und nieder wandelte, nicht hervor. Heftig schritten sie beide hin und her; die Stirn von Thomas Thyrnau war gefurcht und sein Mund trat leidenschaftlich vor; doch bot er einen milden Anblick gegen den Fremden, den tobende Empfindungen ganz zu zerreißen schienen.

»Welch' ein Recht könnt Ihr haben« – führte der Fremde das angefangene Gespräch weiter – »gerade jetzt Euch von der entschiedenen Mitwirkung loszumachen, da der günstigste Augenblick da ist? Ueberall brennt das Feuer unter der Asche – Preußen rüstet – seine Absichten sind unverkennbar und geben der Kaiserin in Schlesien vorläufig genug zu thun. Auf keinem Punkte ist es sicherer. In Italien stehen eben so viel verletzte Interessen als Staaten, und Österreichs Kampf mit Spanien sucht immer dort das Schlachtfeld. Beide hoffen daselbst ihr Reich zu befestigen und verschlingen die kleinen Staaten, die ihnen im Wege liegen, wenn sie zu schwach sind, Widerstand zu leisten. Aber dafür lassen sie auch lauter rauchende Krater hinter sich, und diese Eroberungen müssen bewacht werden und theilen die Kräfte. Denkt an Genua und an den fünften December 1746 – und so ist es überall! Holland und England – die Kaiserin in ihren Ansprüchen beschränkend und bedrohend, stehen beide hungrig vor den Niederlanden, und die Antwort möchte ihr jetzt schwer werden, was sie – wenn es losbricht – zuerst festhalten will! Da braucht sich ihr alter Feind – Frankreich – nicht mehr zu geniren, wenn er das thun will, was ihm gefällt – so denke ich! Wie könnt Ihr mir also sagen, dies hochsinnige Unternehmen sei in Nichts zerfallen? Was habt Ihr mir zu antworten auf den Zustand der Politik, den ich Euch kurz und bündig dargelegt?«

»Daß er ein etwas veraltetes Ding ist und für die Zustände der Gegenwart nur wenig passen will« – erwiederte Thomas Thyrnau. »Ihr habt die Verhältnisse von 1748, wie sie nach dem Aachener Frieden waren, theilweis recht gut in Eurem Kopfe aufgenommen. Dabei seid Ihr aber stehn geblieben und indessen hat unser großer Kaunitz einen Umschwung in der Politik bewirkt, der die Hälfte dieser Kombinationen aufhebt. Bald, hoffe ich, werden wir die theuren überseeischen Nachbarn nicht mehr nöthig haben – alsdann werden die Engländer ihre deutschen Besitzungen gegen Frankreich zu schützen haben – und Holland wird ohne diesen Alliirten nicht mehr in Rede stehn!«

»Halt! halt!« unterbrach ihn der Fremde, indem er stehen blieb und ihn wild ansah – »welch' tolle Ansichten bringt Ihr da zur Sprache, und was für Gründe habt Ihr, mich hier mit Euren unhaltbaren Träumen zu foppen, Herr? Denkt Ihr, ich bin von Sinnen?«

»Ueber solchen Zustand erlaube ich mir selbst in den dringendsten Fällen kein entschiedenes Urtheil,« erwiederte Thomas Thyrnau mit kalter Ironie, indem er die Hand des Fremden von seinem Aermel schüttelte – »doch über das, was ich Euch so eben mittheilte, wird bald ganz Europa mit Euch erstaunen, und ehe es sich in den neuen Zustand findet, wird manches von Seiten der klugen Kaiserin geschehen sein, was ihren Vortheil sichert.«

»Und wenn dieser tolle wahnsinnige Gedanke wahr ist,« schrie der Fremde – »was hindert das uns? Habe ich mit Feiglingen – mit Wortbrüchigen zu thun – die um dieses Mährchens willen den lang genährten, wohl vorbereiteten Plan, den vieljährige Anstrengungen fördern halfen – in Nichts zerfallen lassen? Denkt Ihr, daß selbst ein solcher Umsturz alter, bewährter Politik, zu etwas Anderem dienen könne, als die Absichten zu verdecken, die Frankreich desto entschiedener auf Böhmen richten wird?«

»Jeder legt sich die Politik des Tages nach seiner Eigentümlichkeit aus,« sagte Thomas Thyrnau – »der Eine sieht in Allem das Mittel zu neuen Betrügereien, der Andere glaubt an die Heiligkeit der Verträge. Ich gehöre zu den Letzteren und halte die Sache, die Ihr betreiben wollt, auch von französischer Seite für aufgegeben.«

»Aufgegeben?« höhnte der Andere – »aufgegeben? Ihr, der Ihr in dem Boudoir der Marquise Pompadour Eure Reverenzen machtet, sprecht von dem Aufgeben eines Planes, den einmal dieser Kopf erfaßte?«

»Vielleicht,« fuhr Thomas Thyrnau kalt fort – »vielleicht begreife ich, gerade weil ich sie kenne, so gut, daß es nur einer Wendung der Dinge bedarf, wie sie jetzt eingetreten ist, und von der sie sich größere Befriedigung verspricht, als sie von unsern früheren Plänen hoffte – um zu wissen, daß sie schneller als sie einen Kopfputz mit dem andern wechselt, so auch ihre Politik wechseln wird.«

»Pah!« rief der Fremde – »lehrt mich die Weiber nicht kennen. Wäre Maria Theresia ein Mann, so wollte ich Euch glauben; aber daß ein Weib – und wenn zehnmal Kaiserin – sich anmaßt, ihr gegenüber ihr Reich regieren und vertheidigen zu wollen, während sie auf sich allein die Blicke Europas gerichtet sehen will – daß dies Weib Kaiserin und schön ist, geistvoll und toll genug, selbst ihrem Manne getreu zu sein, das sind Alles Beleidigungen, die sie ihr nicht vergeben wird, ungerechnet – was allein entscheidend wäre – daß dies Weib mit Verachtung auf sie herab sieht, ihren Einfluß leugnet, und ihm nichts zu danken haben will – wenn das Alles ein sündhaftes Weib einer Prüden vergiebt, dann sollt Ihr Recht haben und ich Unrecht!«

Trotz des zornigen Lachens der Herausforderung, womit diese Rede geschlossen ward, störte sie Thomas Thyrnau in seiner Ruhe nicht. »Freilich,« sagte er, nachdem der Fremde ausgelacht – »so mußte es kommen! Eine Versöhnung dieser beiden Feindinnen wird nothwendig sein, um den französischen Widerstand zu besiegen; und diese zu vermitteln, kann nur dem klügsten Staatsmann, dem wahrsten Patrioten gelingen. So etwas würde nur Kaunitz vermögen – das ist unbezweifelt.«

»Kaunitz eine Versöhnung zwischen Maria Theresia und der Marquise von Pompadour? Ha! ist dieser feine glatte Hofmann auch Alchymist? Hat er ein Elixir gebraut, welches diese widerstrebenden Elemente bindet?«

»Und dennoch wird dies nicht unmöglich sein!« erwiederte Thomas Thyrnau.

Der Fremde bekam einen Ausdruck, der von einer Stimmung zeugte, wie er sie gewiß nur selten kannte. Es war ein völliges Verdummen!« Die kleinen Augen schienen aus dem Kopfe zu treten, der breite Mund blieb geöffnet und er vermochte nicht weiter zu gehn. Dieser Ausdruck ging aber bald in einen ihm natürlicheren über; er bog sich vor und sah einem gehörnten Thiere nicht unähnlich, welches der inneren Wuth durch ein Niederrennen seines Gegners los werden will. Thomas Thyrnau wandte sich von ihm. Es schien, der widrige Anblick verletze ihn, und er sah umher, als wolle er indessen etwas Anderes thun.

»Halt!« rief der Fremde – »steht mir Rede. Sagt – wollt Ihr damit ausdrücken – die Kaiserin habe sich mit der Marquise Pompadour bereits versöhnt?«

»Macht Euch Eure eigenen Schlüsse!« sagte Thyrnau oben hin.

»Wißt Ihr, daß dies eine Beleidigung der Kaiserin ist,« rief der Fremde, »die Euch ein lebenslängliches sicheres Plätzchen in irgend einer Citadelle verschaffen kann? Und,« fuhr er fort, da der Advokat blos achselzuckend an ihm vorüber streifte – »wißt Ihr, wofür ich Eure Erzählung halte? Für einen ausgedachten Theaterstreich, mich mit der Pritsche von der Bühne zu vertreiben! – Ihr habt – wodurch weiß ich nicht – an unserm Unternehmen die Lust verloren, und nun soll es nicht gehen können! Jetzt habt Ihr so viel Gründe dagegen, wie früher dafür! Denn wenn Ihr es noch wolltet, so glaube ich, zwänget Ihr die Pompadour, Wort zu halten, selbst wenn Euer Mährchen wahr wäre.«

»Denkt von dem, was Ihr mein Mährchen nennt, wie es Euch beliebt,« erwiederte der Advokat gleichgültig. »Die nächste Zeit wird mir die Mühe ersparen, Euch weiter zu antworten. Was aber meine Meinung über die Sache selbst betrifft, so habt Ihr Recht – ich habe meine Ansichten geändert, ich habe die Pläne aufgegeben, für deren Erfüllung ich gelebt. Und wißt Ihr, wer diese Umänderung bewirkt? Maria Theresia selbst, meine erhabene Monarchin!«

»Ach,« höhnte der Fremde – »also dort habt Ihr Entrée gefunden! Das Boudoir der französischen Maitresse habt Ihr mit dem Boudoir der deutschen Kaiserin vertauscht? Seht Euch vor – seht Euch vor, daß der Boden Euch dort nicht zu glatt wird – und dies könnte bald der Fall werden, wenn man erführe, von woher Ihr kommt.«

Ich denke, eben daher, wo auch Euer Gnaden so lange waren,« sagte Thyrnau kalt – »schwerlich wird zu erweisen sein, daß ich allein dort war – und Euer Gnaden werden mit zu den Überraschungen gehören, welche die Kaiserin überhaupt erfahren wird.«

»Herr!« rief der Fremde wild – »vergeßt nicht, mit wem Ihr sprecht. Zu lange schon, denke ich, erdulde ich Euer übermüthiges Betragen – es muß zu Ende gehen – Ihr vergeht Euch.«

»Wollte Gott, ich vergäße mich« – rief hier plötzlich Thomas Thyrnau mit einer Energie, vor welcher selbst die aufbrausende Wuth seines Gegners zusammen fiel – »oder ich könnte vergessen, vor wem ich stehe. Erinnert mich nicht daran! Ihr habt diese Schwelle ohne meine Einwilligung überschritten – ich weiß, daß Euch dies Dach schützen muß, so lange es über Euch ist – aber reizt mich nicht – ich bin ein Mensch – ein tief gekränkter Mensch – und bin's durch Euch!« Seine Stimme, die sich in höchster Heftigkeit und Kraft zu Anfang erhoben hatte, erstarb gegen das Ende der Rede zu einem kaum verständlichen Gemurmel.

Und dennoch veränderte sich die dunkle Glut auf dem Angesichte des Fremden zu einer grauen, streifigen Blässe, und er stand dem zürnenden Ankläger nicht still, sondern rannte wie gejagt vor ihm auf und nieder, während Thomas Thyrnau fest stehen blieb und mit dem Ausdruck höchsten Schmerzes in die Ferne starrte.

»Also auch Ihr,« rief der Fremde endlich mit unsicherer Stimme – »auch Ihr glaubt dem bösen Leumunde, den ein ungerathener Sohn, den Gott richten wird, über den Vater auszubreiten wußte? Ich weiß, was Ihr sagen wollt – aber Ihr vergeßt, was ich sagen könnte. Anzuklagen wagt Ihr; aber das überseht Ihr, was ich, der Vater, der Fürst, erlitten – welche Beleidigungen ich zu rächen hätte.«

»Um Gotteswillen rührt die Vergangenheit nicht auf!« schrie Thomas Thyrnau, und seine Stimme klang wie ein Donner, der dem Blitze folgt, der über unserm Haupte zündet. »Jetzt halte ich die Erinnerung daran nieder, um Eure Nähe ertragen zu können – weckt sie nicht oder Ihr verlaßt nicht lebendig dieses Haus.«

Der Andere warf einen Blick zu den offenen Thüren hinaus, als suche er eine dienstwillige Hand – als frage er – ob er hier wirklich allein sei – denn es mochte etwas in seinem Geiste erweckt sein, was seine Kraft lähmte, der er sonst schon geneigt war zu vertrauen. – Auf dem kurzen grünen Rasenteppich, der vor den Thüren ausgebreitet lag, und auf welchem nur der leichte Mittagsschatten der einzelnen großen Eichen ruhte, sah er das schöne Mädchen, das an der Seite eines alten Mannes in einiger Entfernung wandelte und jetzt, von der Stimme des Großvaters aufgeschreckt, wie ein flüchtiges Reh dem Hause zuflog. Beide sahen sie daher eilen, und wie verschieden auch ihr Gefühl war, Beide wollten ihre Gegenwart nicht. Aber die Stimmung war zu leidenschaftlich, um es auf geeignete Weise zu bewirken.

»Fort! fort!« rief Thomas Thyrnau, mit vor Heftigkeit bebender Stimme – »wie kannst Du es wagen, hier einzudringen, da ich befohlen, allein bleiben zu wollen.«

»Befiehl Du, was Du willst,« – rief dagegen Magda und stürzte an seine Brust – »ich lasse Dich nicht! Denn er wagt es, Dich zu kränken, und wenn Du ihn nicht fortschickst, so will ich es thun.«

Sie wandte den Kopf, der von Unwillen strahlte, sie hob sich und ihre Hand streckte sich abwehrend gegen ihn aus. »Geh! geh! Du finstrer Geist – wer Du auch bist, Du hast Antheil am Bösen! Fort mit Dir von hier, wo mein guter Großvater ist.«

Dieser war in ihren Armen wie verstrickt. Fast unsanft machte er sich von ihr los. »Mein Herr,« sagte er mit gepreßter Stimme – »machen Euer Gnaden dieser Scene ein Ende – ich bitte. Einzusehn ist bald, uns kann nicht lange dasselbe Dach decken, aber ich bitte jetzt noch – daß Euer Gnaden mich verlassen!«

Doch Jener stand und starrte Magda an. Dann sagte er, als habe er von Allem, was um ihn her vorging, nichts vernommen: »Wer – wer ist das? Ist doch Eins übrig geblieben? Bist Du ihre Tochter?«

»Entferne Dich, Magda!« rief ihr Großvater mit einer so ernsten und ruhigen Würde, daß sie nachgab und schaudernd an dem unheimlichen Gast vorüber aus dem Hause eilte. Als sie fort war, kehrte dem Fremden die Besinnung zurück.

»Ich will wissen, wer dies Mädchen ist,« rief er mit wiederkehrender Brutalität in Ton und Wesen. »Wen nährst Du hier in der Stille? Welche Pläne hast Du mit diesem Mädchen? He, alter Sünder, bekenne.«

»Ihr seid von Sinnen,« rief Thomas Thyrnau mit Überlegenheit, »und ich will die Blößen, die Ihr gebt, nicht benutzen, wie ich könnte. Aber noch einmal – unser Zusammentreffen muß hier ein Ende haben! Euer Gnaden kennen meine unumstößliche Meinung. Die Pläne, die uns einst vereinigten, sind in Nichts zerfallen – sie sind unmöglich durch die politische Stellung des Augenblicks – sie sind es noch mehr dadurch, daß sie unnöthig geworden sind. Wir haben also nie wieder eine gemeinschaftliche Berührung – merkt Euch diese meine Erklärung, dann will ich versuchen, Euch zu vergessen.«

»Aber ich – ich werde Euch nicht vergessen! Ich werde dieses Tages – dieser fortgesetzten Beleidigungen gedenken und mich rächen – das schwöre ich Dir und mir! Und was Du auch im Schilde führen magst mit diesem Mädchen – sei sicher, ich werde Dich heraus finden – und zweifle nicht, ich werde Mittel haben, sie zu zerstören.«

»Ich zweifle nicht,« erwiederte Thomas Thyrnau – »denn Ihr habt es bewiesen, daß Ihr vor keinem Mittel zurückbebt.«

Noch einmal hob der Fremde drohend die Faust gegen ihn auf – dann stürzte er in wilder Hast zur Thüre hinaus.

Pater Hieronymus hatte, längst das Ende dieser Unterredung voraussehend, das Pferd des Fremden herbei bringen lassen. Der Reitknecht führte es ihm jetzt entgegen.

Thomas Thyrnau, obwol bleich und von dem innern Streite verändert, folgte ihm doch mit der Ueberwindung und Ruhe, die er dem Gastrecht glaubte schuldig zu sein, und blieb stehen, bis der Fremde sich in den Sattel geworfen. Als dieser hier noch einmal eine zweideutige Bewegung mit der Hand machte, die wenigstens eine geballte Faust, zum Abschiedsgruße geschwenkt, zu einer zweifelhaften Sache machte, – verneigte sich Thomas Thyrnau, wie man vor einem Vornehmen zu thun pflegt. Der Fremde jagte davon, und als er über den Graben setzte, der die Dorfstraße von dem Wiesengrunde trennte, sah man erst, daß ein kleiner Trupp bewaffneter Diener aus einem Gebüsch hervortritt und sich dem wild davon jagenden Fremden anschloß. Ein stolzes verächtliches Lächeln zog um Thyrnau's Mund, als er ihm nachsah; dann fiel sein Auge auf Magda und Hieronymus, die sich ihm nahten.

»Einen Augenblick,« rief er ihnen zu, mit einem unbeschreiblichen Ausdruck Magda betrachtend – »dann essen wir zusammen.«

Er verschwand in das Innere des Dohlennestes und man sah ihn die Treppen zu seinem Thurmzimmer hinansteigen, wohin er für einige Zeit sich zurückzog.

»Und wenn Du mir nicht sagen willst, wer der Fremde ist, so soll es der Großvater thun – denn ich will es wissen,« rief Magda.

»Bezwinge Deine Neugier,« rief Hieronymus – »und denke daran, den Großvater zu schonen. Nur zu heftig muß ihn dies Zusammentreffen erschüttert haben, und er verließ uns nur, um seine Fassung wieder zu erhalten. Willst Du ihn, wenn er in der Hoffnung zurückkehrt, sich mit uns zu erholen, sogleich durch Deine neugierigen Fragen in die traurige Bahn alter schmerzlicher Gedanken zurück lenken?«

»Das will ich nicht – und heute kann ich davon schweigen, so unnatürlich es ist, und so sicher, daß er wissen wird, wie ich mich nur verstelle; aber gelegentlich werde ich ihn doch fragen, denn ich will nicht weiter an ihn denken – drum muß ich erfahren, wer er ist – dann kann ich ihn vergessen.«

»Das möchte Dir dann schwerer werden, als Du jetzt denkst,« erwiederte Hieronymus. Beide traten in den Hausraum, und während Hieronymus dem Gesundheitszustande der Hausbewohner nachfragte, entschlüpfte Magda auf einem andern Treppchen in ihr Zimmer.

Doch nicht lange ward diese Trennung ausgedehnt. Thomas Thyrnau war nicht der Mann, der viel Zeit brauchte, um mit seinen Gefühlen fertig zu werden; bald trat er aus seinem Zimmer auf die Gallerie, und in den Küchenraum hinabsehend fragte er Gundula: ob ihr Braten fertig sei? Es war dieselbe heiter scherzende Sprache, die bei dem ersten Ton die Herzen seiner Umgebungen zum Frohsinn anregte und doppelt heute – da, wenn auch der Raum zu groß war, um den zurückgezogenen Dienern den Inhalt des Gesprächs zu verrathen, welches ihr Herr mit dem Fremden geführt, doch Alle überzeugt waren, die Stimme ihres Herrn erhöbe sich nie zu so zürnender Stärke, wenn nicht eine bedeutende Veranlassung dazu vorhanden sei. So war es denn, als ob mit seiner wiederkehrenden Heiterkeit Allen ein Stein vom Herzen rollte, und Frau Gundula versicherte, Alles harre nur seines Winkes. Der blinkende Suppennapf füllte sich zugleich mit der duftenden Bouillon, während Bezo sich eilig an den Strang der Glocke hing, und durch seine gleichmäßigen Sprünge das wohl bekannte Tischgeläut veranstaltete, auf dessen Töne Alt und Jung, Vornehm oder Gering, herbeiströmten.

»Nun, Alter,« rief Thomas Thyrnau dem Doktor Hieronymus zu, indem er ihn von hinten zärtlich umfaßte – »Du bekömmst heut einen späten Gruß von mir, und wenn Frau Gundula nicht Wunder thut, so fürchte ich, wird die lange Verzögerung unseres Mahles Dich wünschen lassen, Du habest den Fleischtöpfen, welche in Deinem Kloster unter dem Schutze des heiligen Franziskus dampfen, nicht den Rücken gekehrt!«

»Ja! ja! so bist Du« – sagte Hieronymus – »nun soll ich mit Dir scherzen und Dir bei der Tafel genug thun – und weiß doch, wie Dir zu Sinn ist. Geh! geh! ich bin Dir böse! Konntest Du auf der Schwelle nicht umkehren, als Du sähest, der böse Feind habe das Haus inne?«

»So was wäre wohl geschehen,« entgegnete der Advokat. »Aber da lag das alte Unthier im Hinterhalt und grunzte in seinem schweren Schlaf – und Niemand kannte ihn und sie führten mich hin, als solle ich ein Ungeheuer sehen. Da hörte er meine Stimme, und die muß noch immer eine besondere Gewalt über ihn ausüben, denn er sprang aus seinem wüsten Schlaf empor, als höre er die Posaunen des jüngsten Gerichts. Da – natürlich floh ich nicht vor ihm, und das möchtest Du wohl selbst nicht gerathen haben.«

»Das könnte wohl sein,« sagte Hieronymus, indem er die weiße damastne Serviette über seine wohlbeleibte Gestalt ausbreitete. Er zog alsdann die silberne Suppenschaale mit ihrem kräftigen Inhalt heran und füllte selbst mit der Miene eines Kenners Jedem einen hinlänglichen Theil auf die dargereichten Teller.

Nun erst traf Magda ein, und als Thomas Thyrnau sie so leicht und mit so lieber Freundlichkeit daher fliegen sah, legte er den Löffel weg, zog sie an sein Herz, sah ihr zärtlich in die Augen und schien keine seiner Neckereien finden zu können; alles war in die Frage aufgelöst: ob er sie denn wirklich habe – sie im Arme sicher und als sein Eigenthum halte?

»Wildes Mädchen!« sagte er endlich lächelnd – blos um nicht die zärtlichsten Namen auszusprechen, und um einen Uebergang zu finden zu der Heiterkeit, die ihm bei Tische nicht fehlen durfte – »was soll ich wohl mit Deinem Trotzkopf machen?«

»Laß ihn mir nur,« lachte Magda – »er ist so wild und trotzig nicht, wie Du denkst – und was davon dran ist – bringt mir Keiner weg – wer weiß, wozu ich's Noth habe! Aber gieb her, Vater, laß mich essen, denn ich fühle, man hat das auch nöthig. Ach! Gundula, Gundula! wenn meine Törtchen verdorben sind!«

»Sie werden Dir auf der Zunge zergehn, mein Püppchen,« erwiederte die Alte vom Ende des Tisches her, wo sie stets einen erhöhten Sitz einnahm, um die Speisen zu zerlegen und ihren Umlauf mit gehöriger Ordnung zu bewirken. »Nimm indessen diese kleine rothgesteckte Forelle; Bezo hat ihr einen Schilfstreifen in die Floßfedern geklemmt, weil er sagt, er hätte sie für Dich gefangen.«

»Nun Magda, wie weit bist Du mit Deinem Schüler Bezo?« rief der Advokat neckend. »Betet er das Brevier und sagt die Litanei oder kann er die Mutter Maria und meine kleine Magda noch immer nicht von einander unterscheiden?«

»Schweig Du nur,« entgegnete Magda – »und verspotte mir ihn nicht! Wer weiß, wer besser sein Brevier kann, Du oder er – und auf Kenntniß der Heiligen wirst Du wohl den Wettstreit vollends mit ihm nicht eingehn!«

»Weiß Gott, Mädchen! trotz Deiner lehrreichen Nähe fürchte ich, steht es mit Beidem nicht sehr fest – und ein Glück, daß die geistlichen Gerichte unsers unerbittlichen Kaiser Ferdinand – rechtgläubigen Andenkens – abgeschafft sind, ich hätte sonst eine Vorladung zu erwarten, die vielleicht ein schlechtes Ende nähme.«

»Siehst Du wohl!« sagte Magda – »darum laß mir den armen Bezo nur zufrieden – in dem steckt noch mehr, als ihr Alle denkt, und wohin sein Geist auch mitunter sich verkriecht, er kommt auch oft auf eine Art wieder, daß man glauben könnte, er habe noch etwas über das hinaus bekommen, was Andere ihre fünf Sinn nennen.«

Alle lachten. »Ja,« rief Magda, im Eifer der Gegenrede die Warnung des alten Hieronymus vergessend – »Ihr glaubt es nicht – und doch war er es, der mich heute auf dem Thurme Wache halten ließ und mir verständlich machte, es käme ein böser Gast.« Doch schnell brach sie hier ab und fuhr hastig fort – »Und was er weiter Alles kann, wie er geschickt ist, wie sein Auge so scharf ist, und sein Ohr so fein hört, daß er von Dingen weiß, die uns entgehen!«

»Ei ja!« sagte Gundula – »es ist viel dran, meine Herren! Aber Magda vergißt, daß er das Alles nur ist, so lange sie selbst hier ist. Die übrigen Monate verschläft er, oder was schlimmer ist, er wacht – aber jedes Hausthier ist alsdann klüger als er.«

»Nun sieh, meine Magda,« sagte der alte Herr Thyrnau lachend – »da hab' ich doch einen Vorzug vor ihm! Ich bin das ganze Jahr lang munter und vergnügt – ein echter Czeche, dem das heitere Blut der alten Vormänner in den Adern läuft und dem ihr Volksliedchen noch immer aus der Seele gesungen ist: »Mein Liebchen, sei lustig, wenn Du auch kein Körnchen gesäet hast!«

»Sag' mir nur!« rief Magda – »habe ich denn nicht dasselbe heitere Blut als Du? Sieh' – mir ist immer, als wenn ich es im Innern hüpfen fühlte – als sehne es sich nach seiner Befreiung, aber davor liegt noch etwas Anderes, das läßt es nicht so heraus, wie bei Dir – sag' mir doch, wie geht das zu?«

»Weil Du einen Antheil schwereren Blutes hast, als ich. Vater und Mutter waren bei mir von echtem Czechen-Blute und von diesem alten Stamme rühmen die Kroniken: »Immer frohen Sinnes – Gastfrei – Offenherzig – Sorglos und zum Scherze bereit!«

»Ja,« rief Magda – »danach bist Du ein ganzer Czeche, das ist als ob die alten Kroniken Dich selbst geschildert hätten!«

Hieronymus lachte auch behaglich, obwol er bei Tisch zu sehr beschäftigt war, um die Unterhaltung zu vermehren. Da man aber unter ähnlichen Gesprächen bis zu den Törtchen, die Magda bestellt hatte, gekommen war, so ward das Tischtuch von der kunstreich eingelegten Tafel weggezogen, und in einem Kühlgefäß von schön getriebenem Silber stand eine ganz beschlagene Flasche, deren Etikette der alte Weinkenner schnell mit einem schmunzelnden Blicke überlief und das grüne blitzende Glas, was für ihn und seinen Wirth daneben stand, wohlgefällig gegen das Fenster schillern ließ.

»Nun verläumde mich noch weiter,« rief Thyrnau heiter, während er unter gewichtigen Schlägen den schwer verpichten Rand der Flasche springen ließ – »daß ich den Heiligen nicht diene – und einen Zweiten will ich doch sehen, der mit mehr Devotion sich dem Dienst des heiligen Johannes widmet als ich. Seinen ganzen Felsen, auf dessen Spitze er thront und in die Rheingauen schaut, will ich, wenn's verlangt wird, in Demuth übernehmen, ihm zu Ehren jede Rebe pflegen, die sich an seinem Rande hinaufschlängelt und feierlich geloben, nie einen andern Tropfen zu trinken, als der unter dem Schirm meines Heiligen reift!« Hieronymus lachte wieder wohlbehaglich bei der ketzerischen Apostrophe seines alten Freundes, denn er hatte bereits das erste Glas köstlichen Johannisberger ausgeleert und fühlte sich selbst zu jedem Gelübde der Art aufrichtig geneigt. Magda aber hatte ihren lieblichen Kopf auf den linken Arm des Großvaters gelehnt, und da ihr der Scherz desselben gelten sollte, drohte sie ihm mit ihrem schlanken Finger und rief: »Sei ruhig – und reize mich nicht. Der heilige Johannes wird Dich wol nicht strafen, weil er sieht, Dein Czechenblut treibt neben dem Spott auch Dein anderes Gute zu Tage. Aber Deine Heil'genverehrung, die laß' nur ruhn. Meinst Du, der Wein des heiligen Johannes würde Dir weniger gut schmecken, wenn der alte Gott der Czechen Bog dort residirte – oder Wuda – oder Law und Mir – und wie alle Deine alten Czechengötter heißen!«

»Still Liebchen!« rief Thomas Thyrnau geheimnißvoll – »führe einen ehrlichen Czechen nicht in Versuchung, die alten Heiligen seines Stammes wieder anzubeten – und besonders hier! Weißt Du nicht, daß ich alle mögliche Ursache habe, das Dohlennest für den ersten Hauptsitz des alten majestätischen Bog zu halten? Wer weiß, in welchem Tragpfeiler, auf welchem Steinblock des Fundaments noch der Altar des alten Czechen-Gottes ruht? Hörtest Du nicht, daß später hier Libussa prophezeite und ihrem Volke die Ackerländer in allen Himmelsgegenden angab – die Gold, Silber und Eisenadern in der Erde erkannte und die Salz- und Mineralquellen bezeichnete, die sie von der Felswand verdeckt im Innern sprudeln hörte?«

»Ja!« fuhr Magda lachend auf, »das weißt Du! Aber vergessen hast Du, daß all' der heidnische Unfug hier endlich gesühnt ward, durch Ludmilla, die fromme Märtyrerin, die nach ihres Gemahls, des Königs Borziwog's Tode erstlich zu Tettin bei Beraun lebte und dort Spitignew und Wratislaw, ihre beiden Söhne, erzog; später aber, als ihr Wratislaw nach dem Tode seines Bruders und bei dem Herannahen des seinigen, seine beiden Söhne anvertraute, da, sagt man, verließ sie oft das Wischrader Schloß, wo sie mit Drahomira, ihrer bösen Schwiegertochter, der Christenfeindin, Hof hielt und fand hier in einem alten Heidentempel, der im Walde von Kaurzim lag, ihre Priester und hielt mit ihnen ihre Andacht und empfing ihren Rath und Trost, weil sie in Tettin nicht mehr sicher war.«

»O Du Wunder von Gelehrsamkeit,« rief der Advokat laut lachend – »sag', aus welcher alten Kronik betest Du Deine Weisheit her? Kannst Du nicht noch mehr?«

»Hättest Du mich nicht gestört, so hätte ich Dir noch erzählt, wie Ludmilla endlich doch auf Drahomira's Geheiß in Tettin ermordet ward, nachdem sie sich auf dem Wege von Kaurzim durch das Austreten der Moldau verspätet hatte, und bei bösem Wetter aus Mitleiden gegen die wenigen Diener, die sie begleiteten, in Tettin zur Nacht verweilte. – Das können wir jetzt nicht mehr hindern – gewiß aber bleibt es, daß das Dohlennest im Kaurzimer Walde liegt, einst ein Heidentempel war, und Ludmilla's Bet- und Andachtshaus!«

»Nun,« rief der Advokat – »Deine Weisheit ist so im Steigen, daß ich ganz schüchtern werde hinzuzufügen, daß im Schloß zu Tein eine freilich unverbürgte Familiennachricht versichert, daß Wratislaw, der Sohn der Ludmilla, der Stammvater der Grafen Wratislaw ist, von denen diese ganze Besitzung zu den Lacy's überging.«

»Das paßt also gut!« sagte Magda plötzlich erröthend. – »Doch sag', reiten wir heute nicht nach Tein? Ich habe dort mit dem Gärtner Geschäfte und habe lange nicht des Grafen Zimmer besorgt – heute ist gerade ein schöner heiterer Nachmittag!«

»So bestelle die Pferde, mein Mädchen! während wir nachforschen, was auf dem Grund der Flasche des heiligen Johannes geschrieben steht.«

Magda drohte ihm mit dem Finger, schlang dann beide Arme fest um seinen Hals, drückte und küßte ihn und blickte dazwischen in sein leuchtendes Gesicht. Dann flog sie hinaus und klopfte in die Hände, und bald sammelten sich die dienstbaren Geister des Hauses um sie her, denn Alle liebten das schöne junge Wesen, Allen that sie unter tausend Neckereien alles Gute, was sie nur erdenken konnte, und das mit der verschwenderischsten Güte, die eine nie zu erschöpfende Quelle in Thomas Thyrnau fand, der selbst kein Ziel und Maaß für seine Wohlthaten kannte. Da man nun wußte, Magda liebe vor allen Dingen die größte Schnelligkeit bei Ausführung ihrer Befehle, so flog Alles nach den Ställen, während Magda sich mit Bezo neckte, welcher in der Sonne kauerte und grinsend zu ihr aufsehend vergeblich die Aufforderung von ihr empfing, aufzustehn und mit ihr zu tanzen. Er verstand sie nicht, oder er fühlte den Uebergang vom Verstehen zum Ausüben nicht heraus, und Magda lief endlich ungeduldig in das Haus zurück, wo sie die beiden alten Herren bei der leeren Flasche und in bei weitem ernsterer Stimmung fand, als vorher. Sie war deshalb im Begriff sich zurückzuziehn, der Großvater aber, der sie erblickte, streckte den Arm nach ihr aus. Sicher nun, daß Sie bleiben dürfe, drückte sie sich an seine Seite, während beide Männer in ihren Mittheilungen unbehindert fortfuhren.

»Ich weiß es recht gut, daß dies Feuer, welches seit meiner frühsten Jugend in mir genährt worden ist, mich jetzt, da ich es löschen möchte, in Asche legen kann – und dennoch, alter Freund, bereue ich nichts – ja! mit warmer reiner Begeisterung gedenke ich der ganzen Vergangenheit, der großen Männer, mit denen ich gelebt, gearbeitet und, wenn Du willst, geschwärmt habe. Es waren hochherzige Gefühle, denen ich niemals untreu werden will! O Hieronymus! hättest Du meinen Vater gekannt! Den edelsten, den reinsten und größten Menschen, unter dessen Obhut meine Jugend verfloß! An Leopolds Hofe lebte sein theuerster Freund, als der Erste, ja der Einzige, der je wahrhaften Einfluß – das heißt guten – erlangt hat. Wenzel Eusebius von Lobkowitz widmete sich nur der einen großen Idee, den unerhörten Druck aufzuheben, unter dem Bauer- und Bürgerstand seufzte. Obwol er lange vor mir dahinging, wurzelte doch meine ganze Entwicklung in ihm und in seinen Grundsätzen, die auf meinen Vater übergingen. Er ist mein Schicksal gewesen und nie – nie will ich es beklagen! – Er ward früh mit meinem Vater befreundet, den er als einen geschickten Advokaten gern um Rath fragte, und bald verband sie das höchste Interesse, als die innigsten Freunde. Welchen Antheil er und Lobkowitz an dem Bauernkriege gehabt, ich weiß es nicht; – aber schon damals waren Beide eines Sinnes, und ich ward von meinem Vater erzogen, für die Rechte der Menschheit zu glühen, nichts tiefer zu hassen als Unterdrückung, als jene elende stolze Verleugnung der göttlichen Natur des Menschen, wenn ihn auch ein grobes Wamms bekleidet und die Hütte sein Obdach ist. – Fünf Jahre nur theilte mein Vater mit ihm seine große einflußreiche Stellung an der Seite Leopolds. Dann mußte der Fürst dem verdorbenen Geiste der Zeit weichen. Voll Entsetzen sahen die Finsterlinge diesen lichtvollen Geist den Weg über sie dahin nehmen und das alte Bollwerk ihrer Vorrechte, mit der Fackel der Wahrheit beleuchtet, in so fratzenhaft abscheulicher Gestalt auftauchen, daß sie davor erröthen mußten. Da sehnten sie die alte Finsterniß herbei, die Alles still verhüllte und nun galt es Kampf gegen Den, der das unwillkommene Licht angezündet. Es war nicht schwer, ihn zu stürzen – er stand allein – sein Einfluß war wie ein Wunder! Er sah ihn selbst so an, und rechnete nie auf seine Dauer. Deshalb war er rastlos, so lange er ihn besaß, um die Bande damit zu lockern, die sein edles Vaterland in Knechtschaft hielten. Aber Leopold stand von Jesuiten umschaart und das Aufblitzen eines freieren Zustandes, den ihm Lobkowitz in die Arme führte, war bald wieder durch die spitzfindigen Bedenklichkeiten gelöscht, mit denen diese geistlichen Rathgeber jede Neuerung beleuchteten, und statt des erhabenen Zieles eines freien menschlichen und gottgefälligen Zustandes – einen Abweg darin sahen von Gott und seiner heiligen Kirche. – Ach, edler Mann! was wäre mein Vaterland geworden, wenn Du sein Schirmvoigt geblieben! Ja! Du standest mit Frankreich in Verbindung! Aber mit Fénélon, mit Bossuet, mit Pascal, mit Racine und Corneille! Deine Briefe, die Du offen empfingest und versandtest, sie waren nur für die in Chiffern geschrieben, denen der Schlüssel eines höheren Geistes fehlte. Aber Du solltest fallen! Und wie ward der große Mann entlassen? Ohne Anklage, ohne Verteidigung, ohne fragen zu dürfen – wie ein gemeiner Verbrecher, in derselben Karosse, die ihn zum geheimen Rath tragen sollte, mußte er bei Androhung von Todesstrafe entfliehn. – Mein Vater theilte abwechselnd seine Verbannung und half ihm niederschreiben, was er von Erfahrungen und Erinnerungen in seinem Leben gesammelt hatte. Das Zimmer, worin sie arbeiteten, war zur Hälfte ein Prunkgemach, zur Hälfte eine Bauernhütte – so sollten ihm die beiden wichtigsten Gegensätze seines Lebens vor Augen bleiben.«

»O Vater!« rief Magda, als jetzt Veit meldete, daß die Pferde bereit wären – »laß uns hier bleiben und erzähle uns noch weiter von all diesen Dingen!«

»Nein, Magda,« sagte Thyrnau, indem er aufstand – »ich habe Dir jetzt genug erzählt. Auch mir hat das wol gethan, denn nichts heilt die Seele besser, wenn sie mit dem Schlechten in Berührung kommt, als das Andenken an einen großen Menschen!«

»Aber, Vater,« bat Magda – »morgen oder heute vielleicht noch, wenn wir im Schlosse in der Bibliothek zusammen sind – da erzählst Du mehr.«

»Vielleicht!« antwortete Thyrnau – »jetzt laß uns zu Pferde steigen. Mich verlangt nach einem munteren Ritt durch den schönen Wald.«

Mit jugendlicher Lebendigkeit schritt Thomas Thyrnau aus dem Hause und auf sein Lieblingspferd zu, das ihm wiehernd und scharrend das Erkennungszeichen gab. Eben so lebendig trabte das zierliche Damenpferdchen herbei, welches die leichte Gestalt seiner Enkelin tragen sollte, während Hieronymus sein sanftes Maulthier bestieg und in etwas rascherem Trabe, als gewöhnlich, den munter voran sprengenden Reitern folgte.

Doch nahmen die breiten Wege des schattigen Waldes bald die in einer Reihe Reitenden auf, und unter freundlichem Scherze, wie sich die Gelegenheit bei harmlosen Menschen leicht findet, genoß man die Schönheit des Waldes, der in dem Glanze der über ihm stehenden Sonne im lieblichen Wechsel bald tief grüne Schatten, bald goldene Zweige an dem hohen Dome seiner Laubgewölbe mischte.

Der Wald mündete endlich an einem Gehege aus, wo hinter Wiesen mit sauber gehaltenen Wegen und graden Alleen von Fruchtbäumen die Annäherung der Schloßbesitzung sich ankündigte, und am Ende dieses Wiesengrundes zeigte sich die weiße Mauer des großen Hirschparkes, dessen hohe Bäume ihre Wipfel darüber erhoben. Hier lenkten sie wieder in die Landstraße ein, welche um einen Theil der Besitzungen herlief und die Reitenden jetzt zu dem Hauptthor des Gartens führte, an dessen Seiten zwei kleine Thürme dem Thorwächter Wohnung gaben.

Durch die große Gitterthür sah man die hohe Buchenwand hinab, die unter der Hand der Gartenscheere von oben bis unten gleich voll und kräftig, einer gemauerten Einfassung des breiten Kiesweges glich, der in der Ferne das Schloß zeigte, das auf einer niedrigen Terrasse mäßig in die Höhe stieg.

Herr Thomas Thyrnau ward hier fast wie der Besitzer selbst verehrt, und in Wahrheit übte er jede Gewalt desselben so sicher und unbehindert aus, daß das Recht dazu ihm von Allen zugestanden ward.

An der ersten Terrasse stiegen die Reitenden ab und überließen ihre Pferde dem Reitknechte, während sie über die wenigen Stufen gingen, die nach der Plattform führten, auf welcher das Schloß lag. Dieses war nicht von so ausgedehnter Größe, als es auf den böhmischen Besitzungen der damaligen Zeit gewöhnlich war. Aber rechts von dem Schlosse lag in dem Garten ein fast eben so großes Gebäude, welches im untern Geschoß die Reitbahn umschloß, im obern aber ganz zur Aufnahme von Fremden auf das kostbarste ausgestattet war.

Diesem Gebäude gegenüber zur linken Seite des Schlosses lag, durch einen waldartigen Theil des Gartens davon getrennt, das Siechenhaus. Ein schöner stattlicher Bau, der von der Gartenseite durch verschlossene Gitter abgesondert lag, und auf der Rückseite durch kleine Gemüsegärten mit der Mauer verbunden blieb, durch die auch die Pforte nach der Landstraße gebrochen war. Ueber der Glocke, die hier Einlaß verschaffte, sah man die Worte: »Kehret ein, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch trösten!«

Dies Haus war eine Stiftung der Gräfin von Wratislaw, einer Tochter des Grafen von Wratislaw, welcher nach Joseph des Ersten Tode bis zur Ankunft Karls des Sechsten aus Spanien, auf Josephs Befehl die Lande als Regent verwaltete. Sie war mit dem Grafen von Lacy, dem Großvater des jetzigen Besitzers, vermählt, wodurch schon die dritte Vermählung zwischen einem Lacy und einer Wratislaw geschlossen war. Diese wahrhaft ehrwürdige Stiftung wurde mit der größten Pietät verwaltet und war nicht allein ein Krankenhaus, sondern zugleich ein Hospiz für jeden müden und dürftigen Wanderer, der hier gestärkt, gepflegt und mit Kleidung und Geld unterstützt wieder entlassen ward.

Auffallend und das Nachdenken erregend mußte man die Einrichtung nennen, daß die schön dekorirte Fronte des Siechenhauses gerade der Fronte des schloßartigen Fremdenhauses oder der Reitbahn gegenüber lag, so daß beide Gebäude die Perspektive auf einander hatten und nur durch eine lange Allee getrennt waren, die ebenfalls wie die Allee, die nach dem Schlosse führte, von hohen beschnittenen Buchenwänden eingefaßt war, und diese in der Mitte durchschnitt. In dem Frontispiz des Fremdenhauses aber standen die Worte: »In Deiner Freude gedenke der Armen!« – So schien es nicht ohne Absicht, daß das Haus des Leidens und der Wohlthätigkeit dem Hause heiterer Geselligkeit als eine fromme Ermahnung gegenüber lag.

Das Schloß war dagegen immer nur für die jedesmalige Familie des Besitzers bestimmt gewesen, denn es war verhältnißmäßig nur klein und hatte von der Rückseite eine Etage, von der Terrassenseite dagegen deren zwei, weil es gegen eine Anhöhe erbaut war. Zwei kleine Flügel, die man später hinzugefügt, dienten mehr zu wirtschaftlichen Angelegenheiten; auch sah man sie nur von der Terrassenseite.

Die Eigentümlichkeit seiner Lage gegen einen halb abgetragenen Hügel machte, daß man zu der zweiten Etage hinaufstieg und aus ihren Fensterthüren unmittelbar in den Garten trat. Hier lagen die Wohnzimmer der Familie, und in den Erkern, die an jedem Ende des Gebäudes hervortraten, befanden sich die Bibliothek und eine kleine ausgezeichnete Gemäldesammlung; an diese stießen die Gemächer der Gräfin, an die Bibliothek die des Grafen Lacy.

Ein runder Saal von weißem Marmor, dessen fein gehobene Kuppel zierlich von korinthischen Säulen getragen ward, vereinigte diese Zimmerreihe in der Mitte. Gegenüber, mit den Fenstern nach der Terrasse, lagen die Gesellschaftssäle. In der unteren Etage waren die Wohnungen der Kinder und ihrer Aufseher, ihre Spiel- und Tanzsäle. So klein dies Schlößchen war, sagte man doch, Graf Wratislaw habe verordnet, nach seiner Beendigung die Rechnungen über den Bau verbrennen zu lassen. Allerdings schien es, man habe hier jeden Thür- und Fensterpfosten zu einem Kunstwerk machen wollen, und wie die Arbeiten vom Fußboden bis zur Decke Meisterwerke waren, so hatte man auch nur das edelste Material dazu gewählt, und die reichsten Malereien und Marmor und Hölzer in allen Farben, schwere Vergoldungen nächst den kostbarsten Stoffen in Seide und Sammet waren ohne Einschränkung verwendet.

Das Bibliothekzimmer, wohin sich die eben Angekommenen verfügt hatten, bildete, wie erwähnt, die Ecke des Hauses. Der Erker trat an der Spitze in einem reizenden runden Kabinet hervor, und mit seinen drei schmalen hohen Fenstern beherrschte er die schönsten Punkte der anmuthigen Aussicht, während die herumlaufenden Ruhebetten und kleinen zierlichen Lesepulte zur Durchsicht der kostbaren Werke aufforderten, welche die Wände ringsumher bedeckten. Dieses Zimmer hatte außer dem Erker noch zwei Fensterthüren nach Süden und zwei nach Abend. In den nach Süden liegenden Ausgängen zu sitzen, war Magda's Lieblingsvergnügen, und so wie sie sich nur am Eingangsthore zeigte, eilte man schon die Thüren in diesem Zimmer zu öffnen und Erfrischungen wie Alles, was sonst zu ihrem Behagen dienen konnte, herbei zu schaffen.

Auch war dieser Aufenthalt mit seinem Garten-Tableau als habe die Göttin der Einsamkeit hier ihr Reich begründet In kaum merklichem Abfall senkte sich von den breiten weißen Marmorstufen vor den Thüren der Boden, mit dem weichsten Rasen bedeckt, bis zu einem kleinen See, der überall von geschnittenen Buchenwänden umschlossen war, welche bald in hervorspringenden Pfeilern, bald mit nach dem See zu geöffneten Wänden runde oder winkliche Blätterklosets bildeten, in denen sich in eben so zusammengefügten Nischen anmuthige Gestalten oder antik geformte Sitze in weißem Marmor zeigten. Die Buchenwände zogen sich bis zum Schlosse hinauf, wodurch diese Partie völlig begrenzt ward, während der dahinter liegende Wildgarten nach allen Seiten die verschiedenartigsten Baumwipfel in ihrer ungestörten Eigenthümlichkeit erhob und so auch den Horizont begrenzte, der, wie an dem eben bezeichneten Tage, im tiefsten Blau wolkenlos darüber ruhte.

Aber nichts ging für Magda über den Zauber des kleinen See's, der immer hell und klar seine leisen Bewegungen wie unter dem Siegel des Stillschweigens fortsetze, während um die hohen Schilfgruppen am gegenüber liegenden Ufer ein Kranz von Nymphen, in breiten grünen Blättern ruhend, sich um seinen Rand schlang. Dies Stillleben ward nur von den ewig schweigenden Seglern stiller Fluten, von zwei glänzend weißen Schwänen, unterbrochen, die ihre blinkenden Furchen ihm geräuschlos eingruben.

Hier versank Magda in jenes lautlose Träumen, welches in ihrer Seele ein tiefes, poetisches Bedürfniß erweckte, dem sie nachgab, ohne sich zu verstehn, und das ihr den Reichthum des Geistes aufschloß, der die Welt wieder gebiert und ihr die lichtvolle Reinheit zutheilt, für die der über die Zerwürfnisse der Menschen hinaus erhobene Geist das Verständniß findet.


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