Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Zweiter Theil
Henriette Paalzow

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Lacy wurde nach diesem ersten Verhör in den Palast Morani zurückgebracht und von seiner Gemahlin mit der tiefen Bewegung empfangen, von der sie nicht verlassen ward, seit sie das Lebensglück des heißgeliebten Mannes bedroht sah. Aber sie kannte Alles, was ihn schmerzen oder um sie beunruhigen konnte, und wußte ihm das Vertrauen zu erleichtern, das sie immer mit ruhiger Haltung entgegen nahm; und so durfte er ihr jede im Stillen vielleicht drückend werdende Sorge mittheilen.

»Ach,« sagte Lacy – »theure Claudia – wie tief habe ich heute die schmerzliche Lage Thyrnau's erkannt! Jetzt – jetzt, wo das Alter seine Locken gebleicht und die Pläne einer feurigen Jugend hinter ihm liegen – jetzt muß er von ihnen Rechenschaft geben und ist der Einzige geworden, auf den die Strafe fallen wird – und Alle, die mit ihm die Verantwortung tragen sollten, sind dahin gegangen, wo diese irdische Gerechtigkeit sie nicht mehr erreichen wird!«

Er hörte hinter sich einen tiefen Seufzer und blickte erschrocken um, denn seine trüben Gedanken hatten ihn Claudia's Händedruck, womit sie ihn auf Magda's Annäherung hatte aufmerksam machen wollen, mißverstehen lassen.

»Magda!« sagte er und erschrak vor ihrem Anblick – »Gott erhält den Großvater bei seiner vollen Geistes- und Körperkraft!«

»Das konnte ich denken!« entgegnete sie ruhig und glitt leise um seinen Stuhl herum. »Sagen Sie mir jetzt, wie er sprach – was Sie zu ihm sagten – und was er mir sagen läßt.«

Sie setzte sich auf einen niedrigen Stuhl vor Lacy und Claudia hin und faltete die Hände um ihre Knie, während ihr Kopf schwermüthig auf die Brust sank. Magda fesselte das Auge – Lacy betrachtete sie – sie war so wunderbar schön! Nach der Krankheit war sie gewachsen; – Claudia hatte andere Kleider besorgt; mit weiser Umsicht hatte sie dem jungen Mädchen, das sie in Allem gewähren ließ, aus den beiden Widersprüchen ihrer Toilette heraus geholfen. Sie war jetzt weder puritanisch gekleidet noch so reizend phantastisch wie der Großvater es gewünscht. Sie hatte lange Kleider von schwarzem Seidenstoff bekommen mit der üblichen Miedertaille, darüber das sauber gefaltete Tuch, welches doch die wunderschöne Schwanenwölbung von Hals und Nacken zeigte – sie hatte das Alles gehorsam und mit der Gleichgültigkeit des Kummers angelegt; nur von ihrem Haar wies sie immer mit derselben unwiderstehlichen Handbewegung jeden Versuch zurück, es zu der herrschenden Mode umzugestalten. Daher trug sie, jeden Schmuck zurücklegend, um das glänzend geflochtene dunkelbraune Haar ein einfaches Käppchen von schwarzem Sammet, dessen Ränder mit der dazu gehörigen goldenen Tresse besetzt waren; drunter hingen die breiten Flechten um die schönen eirunden Wangen und berührten den Hals, ehe sie in den Knoten verschlungen waren, der das Hinterhaar hielt. Denn Magda hatte keine Gedanken mehr, die zierlichen Schnecken, die sie sonst in heitern Tagen mit goldenen Nadeln an ihren Ohren drehte, zu bauen – er, der seine Lust daran hatte und die schönsten Perlen und Steine dazu verwandte – er sah ja nichts mehr – was sollte es ihr da? Aber sie wußte nicht, daß Alles nur da schien, ihre Schönheit zu erhöhen – denn die Krankheit und der Schmerz hatten diese Knospe erbrochen, und wenn ihr noch die Farbe fehlte, so glich sie gerade noch mehr dem ersten Entfalten der Blume und ihr liebliches Angesicht, auf dem ein Spiel ihrer tiefen Empfindung immer neue Erscheinungen hervorrief, war wie ein Netz, worin sich die Blicke fingen, und aus dem kaum loszukommen war.

»Magda,« sagte Lacy – »der Vater scheint getrost, daß Du bei uns bist – Dein Name war sein erstes Wort – dann sagte er mir: Behüte sie!«

»Und begehrte er nicht nach mir, hat er mich nicht gerufen – können wir denn in so großem Schmerz von einander bleiben?« fragte sie weiter, immer ihre Stellung behaltend.–

»Er wünscht sich ungestörte Ruhe, bis das morgende Verhör vorüber ist – er sammelt sich dazu und sagte mir dies beim Abschied, gewiß, daß ich Dich damit trösten solle.«

»Glauben Sie ihm nicht,« sagte Magda jetzt und löste die Hände los und blickte ihn lebhaft an – »das haben Sie mißverstanden – oder es war ihm nicht Ernst! Ich störte ihn nie, wie ich auch jünger war – das war immer dasselbe – ich hatte still sein gelernt und ihm war wohler, wenn ich vor ihm saß und er immer und immer wieder mein weiches Haar strich. Und jetzt,« fuhr sie fort – »jetzt vollends! Kurz vorher als sie ihn fortführten, da haben wir es uns fest gelobt, uns nie zu trennen – nichts mehr auf der Welt zu wollen, als bei einander zu bleiben bis zum Tode – also wo bliebe das, wenn er nun schon lieber allein sein wollte?« Sie war aufgestanden und hatte einen so energischen Ernst in ihrem Wesen ausgedrückt, daß Lacy und Claudia mit Wehmuth die Blicke wechselten.

»Ich glaube Dir gern,« sagte Lacy sanft – »aber es giebt ein Gesetz, welches verbietet, daß der Angeklagte mit denen in Verbindung trete, die ihm angehören; diesem ist auch der Großvater unterworfen, und es hat Dauer, bis das Gericht entscheidet, ob der Angeklagte loszusprechen ist oder nicht.«

»Ach,« erwiederte Magda und setzte sich kummervoll wieder – »das ist ein traurig Gesetz – und da ich doch die Kaiserin sprechen muß, so will ich sie bitten, daß sie das unnatürliche Gesetz aufhebt – aber nicht allein für mich, sondern für alle Andern auch! – Wenn man unglücklich wird, was giebt es da für irdischen Trost, als daß uns noch Jemand lieb hat – und wie das wohl kommt, daß ein großer gewaltiger Schmerz und das Gebet erstarren läßt in der Brust – nicht daß es nicht da wäre, aber daß es nicht wirken kann, weil es eine Art Tod ist, wenn das Unglück sehr groß ist – was hat da Gewalt, als ein Auge, das alte Liebesmacht über uns hat? – Hast Du wohl gesehen, wenn ein kleines Kind weint – so bitterlich und trostlos – aber nun kommt die Mutter und faßt es, und blickt es an, und da lacht es so schnell, daß ihm die Thränen noch über das Lächeln fließen – das ist Alles, weil die Menschen so mächtig sind, durch ihre Liebe zu einander! Gott will das auch – er wirkt es in jedem Menschen, daß er durch die Liebe den Bedürftigen gebe –«

Claudia faßte sanft weinend die niederhängende Hand des armen Kindes – die ihr blutendes Innere denen zeigte, die sich selbst der ersten Wunden schuldig hielten. Magda rückte näher und legte beide Arme auf Claudia's Schooß. – »Ach, Claudia! solche rettende Augen hat der Großvater – wenn Alles weh thut, woran wir sonst gern dachten – wenn die Erinnerung erstarrt ist an das ganze Leben – an Gott selbst – dann sehen solche Augen so lange hin, bis Wärme wiederkehrt – und sie erwecken vom Tode – sie haben Auferstehungskraft! Und das Alles thut bloß die Liebe; also kann ich es auch – ich kann es ihm thun wie er mir – und alle Menschen können es unter einander – und darum ist es ach! wie so sehr grausam, daß es ein Gesetz giebt, was die trennt bei tiefer Noth, die sich lieben.« Lacy stand hier rasch auf und eilte in den Garten hinein.

»Holde Schwärmerin,« sagte Claudia – »ich wollte, die Kaiserin hörte Dich – sie höbe das Gesetz sicherlich auf – doch wenigstens für Dich!«

»Morgen gehe ich nach dem Profeßhause der Jesuiten,« entgegnete Magda – »und werde sie dort erwarten. Georg Prey hat es erzählt – an Hedwiga, daß sie jährlich am zwanzigsten September dorthin kommt und an dem Marianischen Mutter Gottesbild der Andacht beiwohnt. Da nimmt sie viel Bittschriften an und spricht selbst mit denen, die sie anreden!«

»Aber, Magda,« fragte Lacy, der indessen wieder näher gekommen war – »bist Du auch auf die Möglichkeit gefaßt, daß sie es Dir abschlägt?«

»Nein,« sagte Magda – »darauf bin ich gar nicht gefaßt, denn sie darf es nicht thun, und sie wird es nicht thun – ich fürchte mich gar nicht vor ihr – und werde sie so lange bitten, bis sie einwilligt!«

»Und Claudia würde so gern mit Dir gehn,« fuhr Lacy fort – »sie ist ja nicht an diese Mauern gefesselt wie ich. Wer – wenn ich frei wäre – dürfte Dich sonst führen und schützen als ich – Dein Bruder – Dein nächster Freund!«

Magda seufzte tief auf – senkte den Kopf in Claudia's Schooß und antwortete nicht.

»Willige ein, meine geliebte Magda« – sagte Claudia sanft – »nimm mich mit – es wird Dir vielleicht Vortheil bringen, denn ich kenne die Kaiserin.«

Einen Augenblick schwieg Magda noch – dann richtete sie das milde Schmerzensantlitz zu Claudia auf und schüttelte den Kopf. – »Verzeih, wenn ich Dir widerspreche, wo ich so unerfahren sein muß gegen Dich. Aber ich kann der Erkenntniß nicht widerstreben, die mir irgend woher kömmt – und die will, ich soll es allein thun! Wenn die Kaiserin Dich sieht, wird sie weg zu kommen suchen, weil sie weiß, in welchem Interesse Du sein mußt – aber ein so junges Mädchen, die bloß ihren Großvater sehen will – das kommt ihr wohl leicht vor und sie steht mir Rede – ich darf auch – glaube ich – länger bitten wie Du.«

»Magda hat Recht!« sagte Lacy – »aus ihrem reinen Herzen fließt die Weisheit, die unsere Erfahrung überholt – sie muß handeln, wie der innere Sinn sie treibt.«

»So soll wenigstens Georg Prey Dich überwachen, Du theures Kind,« sagte Claudia, sie zärtlich an sich drückend.

»Und weißt Du denn,« flüsterte Magda leise – »wie nöthig Du noch selbst die Ansprache der Kaiserin hast?« – Die Frauen drückten sich fest an einander und jetzt weinten Beide, und Lacy enteilte mit seinem tief angegriffenen Herzen.

Am ein und zwanzigsten September brach ein Morgen an – so glühend roth, so überfüllt von reichem perlenden Thau, so tief still, so moosig duftend nach dem Laube, was schon von früh entblätterten Bäumen auf der noch belebten Erde zwischen den Kräutern und dem Grase unverwelkt blieb. Die Nebel, welche niederfallend die Erde so köstlich erfrischt, hingen noch in ihrem letzten Flor um die Ferne und riefen jene wunderbare Farbenpracht hervor, deren scharfe Kontraste von Blau und Roth und Violett und dem dazwischen so viel markiger erscheinenden Grün der Bäume und Rasen nur Natur in die Harmonie zu bringen vermag, und die keine Leinwand, kein Pinsel uns wiedergeben kann.

So früh noch war es, daß das Leben in der großen Stadt nicht erwacht war und die Straßen den Frieden zeigten, der einer schönen stillen Nacht folgt, welche noch über diese ersten Stunden ihre Erquickung ausgebreitet hat. Aber die Kaiserin war schon, aller Pflichten dieses Tages gedenkend, in voller Kleidung bereit nach dem Profeßhause der Jesuiten zu fahren, um die jährliche Andacht vor dem Marianischen Gnadenbilde nicht über die späteren Pflichten ihres erhabenen Berufes versäumen zu müssen.

Von dem hohen Besuche unterrichtet, empfing die Geistlichkeit sie in Prozession an der großen, nur für sie sich öffnenden Pforte, und sie war in solchen Augenblicken nur die demüthige Unterthanin eines höheren Reiches.

Das Portal der berühmten Jesuiterkirche glänzte in den Strahlen der Morgensonne, welche die vier über einander sich tragenden Säulenstellungen prachtvoll hervorhob und zwischen deren stolz empor strebendem Bau sich in der Mitte der untersten Säulenstellung von korinthischer Ordnung die fast mit überladenem Prunk ausgestattete Eingangspforte der Kirche zeigte. Die Kaiserin machte nur selten von ihrem Vorrechte Gebrauch, vor dieser Kirchenpforte vorfahren zu können. Sie stieg in der Regel in ihrer demüthigen Weise vor dem Gitter aus, welches die Kirchenbesitzungen gegen die Straße abzweigte, und ging zu Fuß den gepflasterten Weg, der mit einer steinernen Einfassung, auf welcher Heil'gen-Statuen standen, bis zum Eingang der Kirche führte. An diesem Morgen, den wir eben bezeichnet haben, blieb die Kaiserin, nachdem sie den Wagen verlassen, einen Augenblick stehn und genoß die Ansicht des stolzen Bau's, dessen Façade die aufsteigende Sonne mit einem düstern Purpurlicht magisch färbte, während die schlanken herrlich und kunstreich gebauten Thürme in dem blauen Morgenduft schwebten, und das sanfte melodische Spiel der Glocken sich weit hin verbreitete. – Im prachtvollsten Schmuck der Kirche erglänzte in dieser wahrhaft zauberischen Beleuchtung die an der Schwelle aufgestellte Priesterschaar; über Alle hinaus das goldene Kreuz, um das sich die blauen Wölkchen der Rauchbecken schlängelten. Auf beiden Seiten des Weges knieten Arme, Kranke, Blinde und Lahme, und murmelten Gebete und flüsterten Segenswünsche auf Maria Theresia herab, denn Alle wußten, daß sie nach Beendigung der Messe Almosen und Gnaden von ihr zu erwarten hatten. Langsam schritt die große Frau auf ihrem Wege vor, und ihr Auge schien die Unglücklichen um ihre Leiden zu befragen und sie machte auf diesem Gange die Wunder wieder lebendig, die eine noch nicht ferne Vergangenheit durch Heilkraft des Blickes oder der Handauflegung der hohen Herrscherin zugestand. Neben der letzten Statue ward der Kaiserin Auge durch ein junges Mädchen gefesselt, die dicht neben den Priestern etwas von dem großen Haufen getrennt kniete. Als die Kaiserin sich nahte, stand sie auf, und Maria Theresia erstaunte über ihre Schönheit und den wunderbar erhabenen Ausdruck dieses Gesichts. Sicher, daß sie ihr etwas zu sagen haben werde, hielt sie einen Augenblick an und ihr großes Auge ruhte auffordernd auf ihr – doch ein Priester drückte das Mädchen leise nieder, denn Alle wußten, daß die Kaiserin nicht gern vor der Messe sprach. Das Mädchen sank wieder auf die Kniee und Maria Theresia beugte das Haupt vor dem heil'gen Kreuze, netzte die Stirn mit dem ihr dargebotenen Weihwasser und folgte dann dem Zuge der Priester in die Hallen der Kirche.

Nachdem die Kaiserin mit ihrem Gefolge auf den sammetnen Stühlen vor dem Hochaltare Platz genommen hatte, sah sie dasselbe Mädchen, von einem einfach gekleideten Priester Jesu geleitet, leise durch die Menge sich drängen und sobald sie den ihr von dem Priester gebahnten freien Platz seitwärts an den Stufen des Hochaltars erreicht, auf ihre Kniee sich werfen und, die Arme über die Brust gekreuzt, sich mit einer Inbrunst niederbeugen, die ihren Kopf fast auf die Stufen des Altars neigte. Ein tiefer Schmerz war in dem ganzen schönen Wesen und auf dem todtenblassen Antlitz ausgedrückt – die Kaiserin wendete jetzt rasch und fast mit Vorwurf den Blick von ihr, denn sie fühlte, sie habe sie zerstreut.

Die Messe war beendigt und jetzt begann die Prozession, in der das berühmte wunderthätige Marianische Mutter Gottesbild durch die Kirche getragen ward, um endlich am Hochaltar, in einem besonders dazu erbauten Häuschen vier und zwanzig Stunden lang der Andacht sichtbar zu bleiben, worauf es sich in die ihm eigens bestimmte Kapelle hinter verschlossene Thüren zurück begab. Die Kaiserin folgte mit ihrem Hofstaat der Prozession und kehrte mit dem Bilde selbst vor den Hochaltar zurück. Ihr Auge suchte unwillkürlich die Stelle, wo das Mädchen vorher betete; sie saß jetzt wie eine geknickte Blume auf derselben Stufe, auf der sie gekniet; als sich die Prozession jedoch nahte und sie ihre Devotion davor verrichtet hatte, blieb sie aufgerichtet stehn und Leben und Kraft schien in die von Kummer müden Glieder zu treten. – Um die Kaiserin gegen den Andrang des Volkes zu schützen, war es nur einem kleinen Theile der Andächtigen gestattet worden, mit ihr zugleich die Gitter des Chors zu passiren, und sie behielt nach Beendigung der Andacht Raum, die Geistlichkeit in gnädigen Worten anzureden und von derselben einige stets mit vieler Submission bereit gehaltene Wünsche in Gegenempfang zu nehmen – als sie ihnen eine huldreiche Gewährung geschenkt, grüßte sie zum Weggehn bereit, und – es überraschte sie nicht, wie sie bei dieser Wendung das Mädchen vor sich sah, das ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatte.

»Vor dem Angesicht der heil'gen Mutter Gottes laß Dein Herz für mich Erbarmen fühlen!« sagte das junge Mädchen und kniete vor ihr nieder. –

»Du hast schweren Kummer, meine Tochter – das seh' ich Dir an« – sagte die Kaiserin, die schnell übersah, daß sie keine Dürftige vor sich habe – »doch hier knieen wir nicht vor Menschen – steh' auf und rede, ob wir Dir helfen können, wie unser Herz es für jeden Leidenden wünscht!«

»Ja, Du kannst es,« sagte das Mädchen, sich aufrichtend, fest und ruhig – »Du bist ja die, aus deren großem Geiste die Gesetze fließen, die Dein Land aus der Finsterniß und Erstarrung retten, in der es die langen Mißbräuche hielten!«

»Wer ist das Mädchen?« rief die Kaiserin lebhaft. Niemand antwortete.

»Ach,« fuhr diese fort – »ich bin tief betrübt, eben um ein Gesetz, was Du noch vergessen hast und was deshalb so roh und unmenschlich geblieben ist – ich will Dich nun inbrünstiglich bitten, Du sollest dies traurige Gesetz auch noch bedenken und dann aufheben und mich gleich eintreten lassen unter den neuen Segen.«

»Nun,« rief die Kaiserin, indem sie ihre Umgebung lächelnd ansah – »das ist mir mein Lebtag noch nicht begegnet!«

Da aber das Mädchen schwieg und alle Andern wohl wußten, sie liebe keine unberufene Einmischung, so fuhr sie, zu dem Gegenstande ihres Erstaunens gewendet, fort: »Hör', Du bist ein dreistes seltsames Mädchen – hüte Dich, mich zu erzürnen und sage mir ohne Umschweife, die hier nicht her gehören, was Du willst.«

»Was ich sagte, große Kaiserin – das gehörte Alles hierher,« entgegnete das junge Mädchen sanft und traurig – »wenn Du aber mit Deinem Zürnen drohst, so wirst Du nie die Wahrheit erfahren und mir kann nicht geholfen werden.«

»Ich bitte Euch,« sagte die Kaiserin, plötzlich ganz ernst und verändert, zum Sakristan der Kirche – »öffnet uns die Gitter und ebnet uns den Weg nach dem Kapitelsaal. Unfehlbar wollen wir dies Mädchen anhören – denn die gnadenreiche Mutter hat ihr Herz wahrscheinlich zu so seltsamlicher Rede ausgerüstet – an ihrem geheiligten Tage wollen wir uns um das Verständniß ihres gnädigen Willens bemühen! Doch soll die Menge nicht länger durch uns von ihrer Andacht abgehalten werden.«

Es geschah, wie sie befahl; die Geistlichen traten voran, die Kaiserin folgte und zwischen ihr und den Hofchargen ging das junge traurige Mädchen. Als sie in das Kapitel eingetreten waren, sagte die Kaiserin: »Jetzt sprich ohne Furcht – wir werden Keinem zürnen, der uns die Wahrheit sagt.«

»Nun so bitte ich Dich, große Kaiserin, hebe das unnatürliche Gesetz auf, das verbietet – wenn Jemand um bösen Verdachtes willen gefangen gehalten wird – daß die nicht bei ihm bleiben dürfen, die ihn lieben.«

»Wie!« rief die Kaiserin – »das war es!« – sie fixirte das Mädchen und sagte dann sanfter: »Du bist wohl in diesem Falle – Du hast wohl wen in solcher Lage?«

»Ja,« erwiederte das junge Mädchen – »das, was ich am liebsten habe auf dieser Erde – meinen Großvater – den haben sie um schmählichen Verdachtes willen gefangen gesetzt – und ich, sein bester Trost, soll von ihm fern bleiben, weil das böse alte Gesetz noch besteht, von dem ich Dir eben sagte.«

»So,« sagte die Kaiserin – »und wer ist denn Dein Großvater, den Du so lieb hast, daß Dir ein Gefängniß ein erwünschter Aufenthalt scheint – sonst doch kein passender Ort für Dein Geschlecht und Deine Jugend?«

»Ja; aber für meine Liebe! Die ist es ja! – Wie man ihn liebt – das kommt nicht oft in der Welt vor – wie er selbst nicht zweimal da ist!«

»Nun! den Namen!« sagte die Kaiserin, fast neugierig –

»Sein Name ist Thomas Thyrnau!«

»Thomas Thyrnau!« – rief die Kaiserin schnell aufstehend – »der Landesverräther? Für den bittest Du! – Dich wagt man mir in den Weg zu stellen? Von welcher Seite kommt mir das? – Hoho! meine Herrschaften – wer hat denn Lust, mich hier gegen Recht und Vernunft zu bestechen durch das glatte Gesicht und das aberwitzige Geschwätz dieser Gauklerin? O, gnadenreiche Mutter Gottes!« rief sie sich bekreuzigend – »vergieb, daß man es wagt, Deinen heil'gen Einfluß auf mein demüthiges Herz zu benutzen, um mich schwach zu machen gegen meine Pflichten – ich werde erfahren, wer diese Komödie in meinen Andachtsmorgen zu schieben wagte!«

Zürnend schritt sie vor und ihr Auge fiel drohend und suchend auf alle Anwesende. Sie eilte dem Eingange zu, aber sie blieb plötzlich voll Schrecken stehen, denn sie fühlte sich mit starker obwol kleiner Hand gehalten und ahnete, daß ihre geheiligte Person von dem geringen Mädchen berührt werde, welches sie eben hinter sich gelassen hatte.

Hier bedurfte es nur eines Augenblickes und ihr großer Geist, ihr richtiges Gefühl hatte entschieden. Sie hörte den Schrei des Unwillens aus aller Munde, sie wußte augenblicklich, daß kein Verräther unter diesen war, und sie fühlte, daß dies Wagniß die Eingebung der Verzweiflung sei, daß eine Gauklerin vor ihrem Zorn zurückgewichen wäre, und daß sie allein das Wesen schützen könne, das sich so sehr vergangen. Sie wendete schnell den Kopf nach der Seite, wo sie den Druck ihres Armes fühlte und schaute damit in das von Schmerz und Angst entstellte Gesicht des jungen Mädchens.

»Mädchen! was wagst Du?« sagte sie ernst, aber ruhig – »weißt Du, daß Du mich nicht berühren darfst, ohne straffällig zu werden?« »Du wirst mich nicht strafen, weil ich in Todesangst bin,« sagte nun Magda – »das weiß ich ganz gewiß – denn Du bist so menschlich und gerecht wie Thomas Thyrnau selbst – was sollte ich aber machen, da Du fort wolltest und Du doch erst meine Bitte erfüllen mußt, wenn Du nicht willst, daß ich sterbe!«

»Gutenberg,« sagte die Kaiserin zu der alten Dame, die vor ihren Augen stand – »nimm Dich des armen Kindes an – es ist sehr verstört – der erste Kummer hat es hart angegriffen.«

»Und ich soll ihn sehn! nicht wahr? ich darf zu ihm?« rief Magda –

»Mein Gott!« sagte die Kaiserin – »es kann doch so viel darauf nicht ankommen, ob das arme Kind seinen Willen bekommt – morgen! ja morgen solltst Du ihn sehen!«

Magda stieß einen Schrei aus, der ließ kein Auge trocken, dann sank sie vor der Kaiserin nieder, drückte ihr Kleid an ihre Lippen und sprang wie von Federn gehoben in die Höhe.

»O Kaiserin des Himmels!« rief sie und hob ihre Arme in die Höhe – »Gott der Barmherzigkeit, segne sie – und wenn Du ihr den tiefen Kummer schickst, in dem das Herz erstarrt, dann sende ihr auch das Auge voll Liebe, was sie anblickt, bis ihr wohl wird – und das auch darum, weil sie sich meiner erbarmt hat.«

Die Umgebungen sahen, daß die Kaiserin mit Aufmerksamkeit das erschütterte Mädchen prüfte – »Mädchen,« sagte sie dann – »Du wirst Deinen Glauben an Thomas Thyrnau schwer auf Andere verpflanzen können – er hat sich sehr vergangen und verdient nicht, daß wir uns ihm durch Dich gnädig zeigen.«

»Ach, warte nur noch ein Weniges, liebe Frau Kaiserin,« entgegnete Magda innig – »da wirst Du in sein Herz blicken und wirst ihn lieb gewinnen, wie ich selbst – wie bist Du es mit Deiner großen Seele so werth, die seinige zu erkennen, und wie hat er es sich gewünscht, Dir nur einmal sagen zu dürfen, wie er das Alles gemeint hat, woraus sie ihm jetzt ein Verbrechen machen wollen.«

Die Kaiserin schüttelte den Kopf und da sie jetzt um sich sah und ziemlich verwunderte Gesichter bemerkte, nickte sie schnell allen Anwesenden und verließ, in tiefes Nachdenken versunken durch die Menge wandelnd, das Kloster.


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