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Der Sylvesterabend.

I.

Der Postdirector H*** hatte die Gewohnheit, am Sylvesterabend eines jeden Jahres eine gewisse Anzahl intimer Freunde und Zechbrüder zu sich einzuladen, um mit diesen die wenigen Stunden des scheidenden Jahres in heiterer Gesellschaft zu verleben und das Neujahr mit einem Toaste zu begrüßen. Dabei stellte er es sich zur Hauptaufgabe, seine Gäste mit den ausgesuchtesten Speisen und Getränken so zu bewirthen, daß Keinem in dieser Hinsicht etwas zu wünschen übrig blieb. Dies wußten auch seine verehrten Freunde nur allzu gut und versäumten es keinesweges, der geschehenen Einladung Folge zu leisten, wenn sonst der alte Corpus nicht durch einen außergewöhnlichen Fall daran verhindert wurde.

So hatten sich denn auch am Sylvesterabend des Jahres 18** die alten Bekannten in des Postdirectors Hause zur bestimmten Stunde eingefunden und ließen sich das Abendessen, das auch diesmal, wie gewöhnlich, mit dem feinsten Weine gewürzt wurde, trefflich munden. Nach beendeter Mahlzeit setzten sich die Männer, sechs an der Zahl, mit dem Hausherrn um den großen, runden, eichenen Tisch, auf welchem eine große Bowle Punsch recht einladend dampfte. Jeder stopfte sich ein Pfeifchen, und bald saß der fröhliche Männerkreis in einer dicken Rauchwolke gehüllt; denn Jeder that mit der Pfeife sein Möglichstes, weil man insgesammt wußte, daß dieses Manöver dem Hausherrn am besten behagte.

Die geistigen Getränke fingen nach und nach an, ihre Wirkungen zu äußern, denn die Zungen wurden fesselloser und die Sprache zutraulicher. Ein Toast wurde nach dem andern, mit derben Kernsprüchen, ausgebracht und man überließ sich ungenirt der heitersten Laune. Nur der Postdirector wurde, je mehr er trank, einsilbiger und trauriger gestimmt. Man kannte aber schon die seltene Manier des grämlichen Alten, der durch geistige Getränke stets in düstere Melancholie verfiel, viel zu sehr, als daß man daran Anstoß nehmen sollen.

Eine Zeitlang hatte der Postdirector im dumpfen Hinbrüten versunken vor sich dagesessen, während um ihn tapfer gezecht und gejubelt ward, als er plötzlich mit einem vollen Glase sich erhob. Mit einem umkreisenden Blick auf die Gesellschaft rief er:

»Dies Glas unserm verstorbenen Freund, dem Accise-Inspector D., der aus unserm Kreise geschieden ist.«

Man that Bescheid, und der Hausherr fuhr fort:

Erinnern sich die Herren noch, wie zu dieser Stunde im vorigen Jahre der Selige so vergnügt war und einen Toast auf fröhliches Wiedersehen zum Sylvesterabend des Jahres 18** ausbrachte? Wir Andern sind wieder wohlgemuth bei einander, aber er ist aus unserer Mitte geschieden. Im vorigen Jahre wurden wir, wenn ich nicht irre, auf recht unangenehme Weise aus unserm Kreise gestört. Ich glaube, unser verstorbener Freund hatte gerade den Vorschlag gemacht, daß Jeder von der Gesellschaft irgend ein wichtiges Ereigniß aus seinem Leben mittheilen solle, als auf der Straße Feuerlärm entstand. Diese unerwartete Störung brachte uns um einen großen Genuß; denn unser Freund hat seine unterbrochene Erzählung nicht vollenden können. Vielleicht hätte er uns Aufschluß über sein geheimnißvolles Benehmen während seines mehrjährigen Hierseins gegeben, und ich war wirklich neugierig, Auskunft darüber zu erhalten. Denn trotz dem, daß ich sehr intim mit ihm war, vermied er doch jederzeit meine darauf an ihn gerichteten Fragen und suchte diesem Thema stets auszuweichen. Wahrscheinlich hat er irgend ein Geheimniß mit ins Grab genommen.

Wenn Ihnen, Herr Postdirector, so wie den übrigen Herren an der Geschichte des uns allerdings seltsam scheinenden Mannes etwas gelegen ist, so bin ich im Stande, darüber Auskunft zu geben, entgegnete der Amts-Assessor M.; denn mir hat der Inspector in einer vertraulichen Stunde eine kurze Schilderung seiner Lebens-Ereignisse gemacht.

Ei, so erzählen Sie doch, Herr M., rief schnell der Postdirector. Ich glaube, wir können das Andenken unseres Biedermannes nicht besser ehren, als wenn wir uns mit seinen frohen oder traurigen Schicksalen befreunden; und mit ungeheuchelter Theilnahme wollen wir den im vorigen Jahre ausgesprochenen Wunsch unseres Freundes, daß jeder der Anwesenden irgend ein wichtiges Lebens-Ereigniß, zum Besten der Gesellschaft, mittheile, jetzt zu erfüllen suchen; vielleicht umschwebt uns unsichtbar des Verstorbenen Geist und erfreut sich des liebevollen Gedenkens.

Nun wohlan, erzählen Sie, Herr M., erscholl es aus Aller Munde; wir sind mit dem Vorschlage zufrieden; ein Jeder halte ein Histörchen in Bereitschaft.

 

Ich weiß zwar nicht, begann der Amts-Assessor M., ob unser verstorbener Freund in dieser Gesellschaft folgendes Lebens-Ereigniß von sich würde mitgetheilt haben, was er nur mir im Vertrauen, und zwar auf dem Krankenlager erzählte. Ich habe es bis jetzt, da ich nicht für nothwendig fand, dasselbe zur Öffentlichkeit zu bringen, verschwiegen; doch unser Freund ist nicht mehr unter den Lebenden, und ich sehe nicht ein, warum ich Anstoß nehmen soll, da doch alle Anwesende, mehr oder minder, seine Freunde waren, mitzutheilen, was unser Freund, so zu sagen, auf dem Herzen hatte. Denn Sie Alle haben ihn als einen stillen, verschlossenen Mann, der nur selten an Freuden Theil nahm, kennen gelernt, weshalb er uns oft räthselhaft vorkam. Doch hören Sie.

Als ich erfahren hatte, daß der Inspector D. schon mehrere Tage bettlägerig sei, stattete ich demselben eines Abends einen Besuch ab. Zu meinem Erstaunen fand ich den Kranken, seit den vierzehn Tagen, wo er das Bett hüten mußte, so verändert und abgezehrt, daß ich anfänglich gar nicht begreifen wollte, wie ein Mensch in so kurzer Zeit so hinfällig werden könne. Mit matten Blicken sah mich der Kranke an, reichte mir lächelnd die welke Rechte und sagte mit matter Stimme, als er meine Verwunderung über seinen Zustand bemerken mochte:

Nicht wahr, Herr Assessor, Sie finden mich sehr verändert? Ich werde, so Gott will, es nicht lange mehr machen, der Tod wüthet schon in allen meinen Gliedern. Ja, ja, Freund, der Allvater fordert mich vor seinen Richterstuhl.

Ich suchte dem Kranken Muth und Vertrauen auf Gott einzusprechen; doch er schüttelte mit dem Kopfe und sah mit langen, wehmüthigen Blicken mich eine Zeitlang an; dann erfaßte er voller Inbrunst meine Hand, und drückte dieselbe mit Wärme.

Sie, bester Freund, und die übrigen meiner Bekannten, fing er darauf an, haben mich wohl oft für einen Sonderling gehalten, und mein Betragen mag Ihnen auch alle Veranlassung gegeben haben, mich so zu beurtheilen. Ach, wenn Sie gewußt hätten, was mich im Leben beunruhigte, so unaufhörlich folterte, man würde mich milder beurtheilt haben. Doch auf Erden werde ich bald ausgelitten haben, und ich denke, Gott wird mir verzeihen, daß ich aus Unwissenheit das gräßlichste aller Verbrechen beging. Gott, was habe ich gelitten, was für qualvolle Jahre durchlebt! Doch, Gott ist gerecht, ich hatte die Zuchtruthe wohl verdient. Mein Freund, fuhr er fort, einen Mord auf seinem Gewissen zu haben, einen Brudermord, o, es ist entsetzlich!

Starr vor Entsetzen blickte ich den Kranken an, um mich zu überzeugen, ob er nicht phantasire, denn eines solchen Verbrechens hielt ich ihn nicht für fähig.

Er aber fuhr bitter lächelnd fort:

Sie erschrecken über eine unerhörte That, und sehen mich mit Abscheu an; doch richten Sie mich nicht allzu streng. Hören Sie mich an; ein Sterbender, der in kurzer Zeit vor dem Richterstuhl Gottes steht, wird und kann nur Wahrheit sprechen; ermessen Sie darnach meine Strafbarkeit.

Wirklich gespannt hörte ich zu, als der Kranke, nach mancher kleinen Pause, fortfuhr:

Ich bin gebürtig aus P***, an welchem Orte mein Vater Bürgermeister war. In meinem zehnten Jahre starb derselbe. Ich hatte nur noch einen Bruder, welcher vier Jahre älter war, als ich. Zwei Jahre nach des Vaters Tode starb auch meine Mutter, und wir beiden Kinder wurden einem Verwandten zur Erziehung übergeben. Obgleich mein Vater einiges Vermögen hinterlassen hatte, so erhielten wir doch nur eine äußerst dürftige und dabei strenge Erziehung.

Mein Bruder besaß von Kindheit an einen unbeugsamen Trotz, der ihm öfters harte Züchtigung brachte. Nach einem muthwilligen Streiche, wo seiner eine harte Strafe wartete, entlief er, und lange Zeit konnte man seinen Aufenthaltsort nicht erfahren. Erst nach Verlauf von einigen Jahren wurde uns die Kunde, daß derselbe, nachdem er eine Zeitlang bei einem Bauer fürs tägliche Brot gedient, sich unter die Soldaten in Preußischen Diensten hatte anwerben lassen. Allein nach mehreren liederlichen Streichen desertirte er, und seitdem blieb er uns, so wie jeder andern Nachforschung spurlos verschwunden.

Mittlerweile war auch ich zum Jüngling herangewachsen, und die kriegerischen Unruhen in Deutschland, welches Napoleon mit seinen Heerschaaren bedrohte, veranlaßten auch mich, Kriegsdienste zu nehmen. Auf einer Geschäftsreise nach Berlin begriffen, machte ich Bekanntschaft mit einem jungen Officier, welcher mich verleitete, in Preußische Dienste zu treten. Vielfach waren die Gefahren meiner kriegerischen Laufbahn, mit deren Aufzählung ich Sie jedoch nicht langweilen will, sondern nur die eine Thatsache aus derselben hervorheben, die mich so grenzenlos unglücklich machte.

Es war kurz vor der Schlacht bei Leipzig, wo die verbündeten Mächte ihre Streitkräfte zusammenzogen, um dem großen Welteroberer mit vereinten Kräften die Spitze zu bieten. Auch unsere Armee marschirte nach Leipzig. Es war im Monat September, als ich mit 11 Mann, die mit mir zur Recognoscirung abgeschickt worden waren, in dem Städtchen Dessau anlangte. Nach unserm Plane wollten wir noch das Dorf Lingenau, welches an der Straße nach Leipzig und zwei Stunden von Dessau entfernt lag, erreichen. Aber ich hatte noch einige Geschäfte in erwähnter Stadt abzumachen, und schickte meine Leute, indem ich ihnen auftrug, meiner in Lingenau zu warten, dahin ab.

Es fing schon an zu dunkeln, als ich nach beendigtem Geschäfte das Städtchen verließ, und ich schritt demnach mit Sturmschritten die lange Pappel-Allee entlang, die mich nach dem erwähnten Dorfe führen sollte. Nach Verlauf einer halben Stunde kam ich in einen finstern Kieferwald, in welchem ich mich, der eingetretenen Finsterniß halber, verirrte. Stundenlang lief ich in der Haide umher, bis ich endlich in einiger Entfernung einen Lichtschimmer erblickte und Hundegebell vernahm. Vergnügt schritt ich darauf los und gelangte nach einem einsam liegenden Thorhause, aus welchem streitende Männerstimmen in meine Ohren drangen. Nach einiger Überlegung öffnete ich die Thür und trat in das kleine Stübchen ein.

Ich erblickte im Zimmer einen Franzosen, welcher, wie mir die versammelten Landleute kurz erzählten, hatte plündern wollen; aber dafür war er von den Bauern so zusammengeschlagen worden, daß er mit blutendem Kopfe, nach Hülfe schreiend, aus einem Winkel in den andern taumelte. Schon der Name Franzose, der hier arme Leute berauben wollte, brachte mein Blut in Wallung; zornig zog ich meine Klinge und versetzte dem Unglücklichen den letzten Gnadenhieb über den Kopf, daß er mit gespaltenem Schädel zur Erde stürzte; worauf der Soldat von den wüthenden Bauern zur Thür hinausgeschleppt wurde.

Die Nacht über blieb ich in dem Thorhause und wartete den Anbruch des Tages ab. Mit aller Frühe verließ ich diese Hütte, um zur rechten Zeit mit meinen Leuten, die im Dorfe Lingenau meiner warteten, zusammenzutreffen, und dann gemeinschaftlich nach Leipzig zu marschiren. Etwa hundert Schritte konnte ich mich von der Hütte entfernt haben, als ich den Franzosen, an einem Baumstamm gelehnt, sitzend erblickte. Der Arme lebte noch, obgleich der Kopf gespalten war.

Der Anblick war schaudererregend. Das ganze Gesicht war von geronnenem Blute überdeckt, der Hirnschädel klaffte einen Zoll breit von einander, und der Unglückliche klagte und jammerte. Von unnennbarer Herzensangst gefoltert, ging ich zur Hütte zurück und befahl den Bauern, mir zur Beerdigung des erschlagenen Franzosen behülflich zu sein. Dazu hatte man keine Ohren; doch als ich meine Klinge auf dem Rücken eines breitschulterigen jungen Kerls einige Mal tanzen ließ, leistete man willig Gehorsam. Zwei Männer mit Spaten folgten mir darauf und gruben im Angesichte des Sterbenden ein nur wenige Fuß tiefes Grab. Ein Bauer versetzte dem Soldaten noch einen Schlag, worauf er in die kleine Grube hineingewälzt wurde, obgleich das Schlachtopfer immer noch Lebenszeichen von sich gab und sich sichtlich vor dem Lebendigbegrabenwerden sträubte. Kalt rieselte es mir durch Mark und Bein, als die Landleute Erde auf den Armen warfen, welche sie mit den Füßen feststampften, und das Opfer sich bemühte, die lockere Erde, obwohl mit schwachen Kräften, aufzuheben; ja man hörte in der Erde noch dumpfe Klagetöne.

Voller Abscheu blickte ich, tief ergriffen, von diesem Schreckensplatze weg, und sah vor mir eine Brieftafel liegen, die dem Soldaten gehören mußte. Ich nahm dieselbe zu mir, öffnete sie und nach einigen flüchtigen Blicken erkannte ich sie als die Brieftafel meines Vaters, und fand darin die Handschrift meines Bruders. Im ersten Schreck stürzte ich besinnungslos zu Boden und eine fürchterliche Ahnung, daß dieser Soldat mein Bruder sein könne, durchfuhr meine Seele. Als ich wieder zu mir selber kam, riß ich dem einen verblüfft dastehenden Bauer den Spaten aus der Hand und schaufelte die Erde von dem Todten hinweg, um mich zu überzeugen, ob hier nicht eine Täuschung vorhanden sei. Nach wenigen Augenblicken lag der Erschlagene, immer noch zuckend, vor mir. Eiligst entfernte ich das geronnene Blut von seinem Gesichte und mit einem Schrei des Entsetzens sank ich zurück; denn der erschlagene Soldat war – mein Bruder.

Sie können selbst denken, fuhr der Kranke sichtbar erschöpft fort, wie unbeschreiblich schmerzvoll dieser Anblick für mich sein mußte. Nachdem ich meine Gedanken wieder geordnet und den unglücklichen Bruder anständig beerdigt hatte, lief ich wie rasend von dannen, um in der nächsten Schlacht mein Leben tollkühn preis zu geben. Dies war mein fester Vorsatz; denn der Gedanke, den einzigen Bruder, den letzten Blutsverwandten ermordet zu haben, war entsetzlich für mich. Mein Leben selbst zu enden, hielt ich für ein doppeltes Verbrechen; heißhungrig wartete ich daher auf die nächste Schlacht, wodurch ich mit dem unglücklichen Bruder mich zu versöhnen gedachte.

Gott weiß es, fuhr Herr D., immer schwächer werdend, fort, daß ich den Tod gesucht habe, daß die Kugeln mich im Schlachtgewühl umsausten, daß wohl haufenweise meine Nebenmänner stürzten, aber ich blieb vom Tode verschont. Gott sparte mein Leben zu noch größerer Strafe auf. Meine in allen nachherigen Schlachten gezeigte Tollkühnheit brachte mir zwar Ehre und Ansehen, aber keinesweges den gesuchten Tod. Unversehrt kehrte ich aus jeder Schlacht zurück. Nach Beendigung des Feldzuges war ich bis zum Hauptmann avancirt und erhielt darauf in dieser Stadt den Posten als Accise-Inspector, für die geleisteten Kriegsdienste.

Das Übrige wissen Sie, lieber Freund, fuhr der Kranke mit leiser Stimme fort, bedauern Sie mich und preisen Sie mich dann glücklich, wenn Sie meinen Tod erfahren; denn auf dieser Erde habe ich keine Ruhe.

Ein heftiger Brustkrampf versagte ihm das weitere Sprechen; er fiel ohnmächtig in die Kissen zurück. Da schon die Mitternachtsstunde herangerückt war, rief ich die Wärterin herbei, und entfernte mich, den hartgeprüften Mann tief betrauernd. Am andern Morgen war er verschieden. Friede seiner Asche! –

Ja, Friede seiner Asche, riefen alle Anwesende.

Es war dennoch ein braver Mann. Für wen hat er in diesem Leben gearbeitet, für Niemand anders, als für Arme und Hülfsbedürftige, diese haben eine kräftige Stütze an diesem edlen Manne verloren. Übrigens hat er durch die Qual seines folternden Gewissens unendlich gelitten; man sah es ihm an, daß er ein Geheimniß in seinem Herzen zu verbergen suchte. Doch er beging schuldlos das fürchterliche Verbrechen; darum dieses Glas auf seine Seelenruhe!

Jeder stieß theilnehmend an und leerte sein Glas bis zur Neige.

II.

Doch lassen wir ruhen die Todten, wir haben es jetzt mit Lebenden zu thun, bemerkte der Hauptmann G. Ihnen, Herr Postdirector, kommt es, als Wirth, nun zu, den Anfang mit einem Histörchen aus Ihrem Leben zu machen. Gehen Sie uns mit einem guten Beispiele voran, wir Übrigen werden nicht unterlassen, uns mit einem Geschichtchen zu entwickeln.

Nun wohlan, begann der Hausherr, sich räuspernd, wenn Sie, verehrte Anwesende, einem schlechten Erzähler einige Minuten willig Ihr Ohr leihen wollen, so will ich es versuchen. Wir wollen einmal aufrichtig gegen einander sein und unsere früheren Schwachheiten und Fehler gegenseitig eingestehen.

 

Ich war ein junger Milchbart von achtzehn Jahren, als ich mich zum ersten Mal im Leben in die schöne Blondine unseres alten Jägers Caspar sterblich verliebte. Mein Alter, der sich gern Baron schimpfen und das Prädikat eines reichen Gutsbesitzers beilegen ließ, donnerte und wetterte, als er mich in Liebchens Armen ertappte. Es ist hol's der Kukuk eine verteufelte Empfindung, wenn man in Schätzchens Armen in dunkler Hollunderlaube bei erquickender Kühle des Abends schwelgt, und unsanft bei dem Kragen gepackt und gewaltsam, unter fürchterlichen Flüchen, fortgeschleppt wird. Dies widerfuhr mir und ich ließ mich geduldig bis ins Schloß fortzerren, wobei mir die väterliche Linke manchen Rippenstoß versetzte.

Du ungerathener Bube! donnerte er mir, als wir im Zimmer angelangt waren, mit geballter Faust entgegen, was soll Dir diese unwürdige Neigung? Noch einmal, treffe ich Dich mit dieser gemeinen Dirne in so vertraulicher Stellung, dann ist Dein letztes Brot gebacken. Entweder ich schlage Dir die Knochen morsch, daß Du nie wieder an so etwas denken sollst, oder ich jage Dich zum Hause hinaus; dann heirathe meinetwegen das in Staub geborne Geschöpf und werde Tagelöhner; aber mir kommst Du nie wieder vor die Augen; dann habe ich aufgehört, Dir Vater zu sein.

Mir zitterten vor Angst und Schreck alle Glieder am Leibe und zähnklappernd versprach ich willigen Gehorsam. Ein vierzehntägiger Stubenarrest war nach seiner Meinung eine sehr gelinde Strafe, die er mir auferlegte, wo ich vollkommen Zeit hatte, über meine Liebes-Affaire nachzudenken. Allein unmöglich konnte ich die reizende Marie vergessen, schon war der glimmende Funke zur Flamme gediehen, und doch mußte ich von meinem Vater, der ein äußerst jähzorniger Mann war, Alles fürchten, wenn derselbe dieser Liebschaft abermals auf die Spur kam.

Mein Arrest war unterdessen abgelaufen und ich konnte wiederum von meiner Freiheit nach Belieben Gebrauch machen. Mein Vater schien Alles wieder vergessen zu haben und glaubte mich von dieser Thorheit, wie er die Liebschaft nannte, geheilt. Überdies hatte er Anstalten getroffen, die mir fast jede Hoffnung, mit Marien wieder zusammen zu treffen, vereiteln mußten. Er hatte dem alten Jäger, bei Verlust seines Dienstes, angekündigt, seine Tochter entweder aus dem Hause zu entfernen, oder doch so zu hüten, daß eine Näherung unsererseits nicht wieder möglich sein konnte. Der erschrockene Alte, der von unserm Liebeshandel keine Silbe wußte, hatte seiner Tochter bei Leib und Leben untersagt, mit mir zu sprechen, und so war mir eine geraume Zeit alle Aussicht benommen, mit der liebenswürdigen Marie auch nur ein Wort zu wechseln; ja ich bekam dieselbe nicht einmal zu sehen, obwohl ich manchmal stundenlang lauschte, die holde Gestalt zu erblicken.

Doch die Liebe, sagt man, ist erfinderisch; mein Herz klopfte immer stürmischer, daher machte ich einen kecken Gartenburschen, der mir willig zu dienen versprach, zu meinem Vertrauten. Ich fing einen Briefwechsel an, und ehe ein Monat verging, hatte ich mit meiner Marie, die auch ihren Vater zu täuschen wußte, ein Rendezvous. Allerdings waren die Zusammenkünfte höchst selten; aber dadurch wurde unsere Liebe nur gesteigert, und wir schwuren uns gegenseitig treue Liebe, im Leben und im Tode.

Leider wurden wir bald aus dem geträumten Frühlingshimmel auf recht unangenehme Weise verdrängt. Meinem Vater war mein nächtliches Ausbleiben aufgefallen, und gefällige Zungen hatten ihm bald den Ort angezeigt, wo ich und Marie in Seligkeit schwelgten und Pläne für die Zukunft baueten. Fest und innig hatten wir uns umschlungen, als die drohende Gestalt meines Vaters zwischen uns trat. Mit kräftiger Faust riß er uns auseinander und schleuderte uns zu Boden. Doch wie der Wind raffte ich mich auf, ehe noch der zum Schlage gehobene Stock meinen Körper berührte, und das Gefährliche meiner Lage schnell überdenkend, war ich mit drei vier Sätzen über die ziemlich hohe Gartenmauer. Mein Vater fluchte und tobte hinter mir; aber ich ergriff, ohne weitere Überlegung, das Hasenpanier, und lief stundenlang feldeinwärts, bis die Füße unter mir zusammenbrachen. Fest stand mein Vorsatz, nie wieder unter die väterliche Gewalt zurückzukehren; lieber mein Brot mit meiner Hände Arbeit verdienen, als mich von einem jähzornigen Vater tyrannisiren zu lassen. Meine verstorbene Mutter hatte in Breslau noch eine Schwester, die dort an einen gewissen Hauptmann L. verheirathet war. Auf diese hatte ich mein Vertrauen gesetzt; zu der wollte ich, ihr meine Noth klagen und mich ihres Beistandes versichern. Zum Glück hatte ich eine gefüllte Börse bei mir, die vor der Hand vor drückendem Mangel mich schützen konnte.

Wohlbehalten langte ich nach einer beschwerlichen Fußreise bei meiner Tante an, und wurde von derselben, so wie von meinem Herrn Vetter, freundlich aufgenommen. Beide kannten meinen Vater, aus der oft harten Behandlung meiner unglücklichen Mutter, und versprachen, sich meiner anzunehmen.

Mein Vater hatte unterdeß meinen Aufenthalt ausgemittelt und drang auf eine gerichtliche Auslieferung meiner Person. Lieber wäre ich aber in den Tod gegangen, als daß ich in das Vaterhaus zurückgekehrt wäre. Das einzige Rettungsmittel, mich vor väterlicher Gewalt zu schützen, war der Soldatenstand. Gern ergriff ich diese Gelegenheit, trat unter das Militair und legte so den Grund zur ewigen feindseligen Trennung zwischen mir und meinem Vater.

Anfangs fand ich meine neue Stellung, bis auf die Trennung von meiner Geliebten, recht erträglich, doch später lernte ich einsehen, was für eine Zuchtruthe ich mir durch den Militairstand aufgebunden hatte. Ein Jahr lang war ich schon Soldat und hatte während dieser Zeit auch noch nicht ein Wort von meiner Marie erfahren können. Aber länger hatte auch mein stürmisches Herz nicht Ruhe mehr; ich mußte meine Marie sehen und sprechen, koste es, was es wolle.

Ich nahm daher auf einige Wochen Urlaub und reisete auf Flügeln der Sehnsucht in meine Heimath zurück. Aber wie wurde mir, als ich, in unserm Dorfe angekommen, mich nach derselben erkundigte. Dieselbe hat in acht Tagen mit dem Sohn des Schulzen Hochzeit, hieß es. Mit geöffnetem Munde, starr vor Schrecken, blickte ich den Verkündiger dieser Schreckensbotschaft an. Der Bauer, den ich von früher her sehr gut kannte, begaffte mich, ohne mich zu erkennen; denn ich ging in Husaren-Uniform und ein schattiger Schnurrbart zierte meine Oberlippe.

Mit dem festen Vertrauen, daß Marie, sobald sie mich erblicken würde, in meine Arme sinken, sich ihrer Schwüre erinnern und den Bauerburschen sitzen lassen würde, ging ich zu ihr. Aber ach, ich traf dieselbe in den Armen des jungen Burschen. Sie wurde, als sie mich erblickte, feuerroth, und wollte von mir, wie von unserm Liebesabentheuer, wie sie es spöttelnd nannte, nichts wissen. Ich stand vor dem glücklichen Paare, wie vom Donner gerührt, und haschte vergebens nach Worten, bis mich der höhnende Zuruf des jungen Gesellen, was ich hier eigentlich wolle? aus meiner Betäubung riß.

Wüthend, ohne ein Wort sagen zu können, stürzte ich zur Thür hinaus, und ein höhnendes Gelächter scholl zu meinen Ohren. Die hellen Thränen, ob der schmerzlichen Täuschung, liefen mir über die Wangen und traurig schritt ich vor dem Schlosse meines Vaters vorüber, dessen Liebe ich durch meinen Leichtsinn, mit dieser unwürdigen Neigung, verscherzt hatte, nach dem Wirthshause zu, wo ich unverzüglich meinen Rappen sattelte, und im gestreckten Galopp, mit zerrissenem Herzen, aus meinem Geburtsorte sprengte.

Fürchterliche Rachegedanken stiegen in meiner Seele auf; bald wollte ich umkehren und die treulose Geliebte im Angesichte ihres Buhlen ermorden, und mir dann selbst den Mordstahl ins Herz senken; bald großmüthig handeln, der Falschen verzeihen und mein Herz gewaltsam beschwichtigen, und Gott weiß, was für Pläne und Entwürfe in mir aufstiegen und gefaßt wurden, ohne dieselben zur Ausführung bringen zu können.

In diesem aufgeregten Zustande kam ich wieder nach Breslau zurück und erzählte meinem Vetter und der Tante mein Mißgeschick.

Guter Junge, versetzte dieser lachend, darüber mußt Du Dich zu trösten suchen; ein Soldat muß eines Mädchens wegen nicht den Kopf verlieren wollen, Du wirst schon Gelegenheit finden, mit andern hübschen Damen Bekanntschaft anzuknüpfen, und am Ende froh sein, daß es mit Deiner Liebschaft, die Dir ohnehin wenig nützen konnte, so kam. Glaube mir's, Du kannst höhere Ansprüche machen; beim Militair sind Dir alle Hülfsquellen geöffnet; Du kannst eine glänzende Carriere machen. Bringe es nur erst bis zum Lieutenant, dann sollst Du sehen, wie Dir die schöne Welt entgegen kommt.

Solche Trostreden brachten mich auch bald zur Vernunft; ich dachte nach und nach mit Gleichgültigkeit an die treulose Geliebte; später vergaß ich dieselbe ganz, zumal da mein Vetter richtig geurtheilt hatte. Kaum hatte ich es bis zum Fähnrich gebracht, als ich auch schon ein recht inniges Verhältniß mit einer schönen Bäckerstochter angeknüpft hatte. Ein neuer Himmel war seitdem über mich aufgegangen, als ich mich hinlänglich überzeugt zu haben glaubte, daß meine Liebe eben so feurig erwiedert ward.

Sechs Wochen hatte dieses Liebesverhältniß bereits gedauert, als ich eines Abends, zur ungewöhnlichen Stunde, nach der Wohnung meiner Angebeteten eilte, um dieselbe auf recht angenehme Weise zu überraschen. Leider war die Überraschung von der Art, daß ich aus meinem vermeintlichen Himmel in die Hölle geschleudert wurde. In der Stube nämlich, vernahm ich heimliches Geflüster und Liebesgekose. Mit ängstlicher Spannung und nie gekannter Eifersucht öffnete ich plötzlich die Thür, und, denken Sie sich mein Erstaunen, die Geliebte meines Herzens lag in den Armen meines Ober-Lieutenants, des Grafen v. G***, eines Wüstlings ohne Gleichen. Tödtlich erschrocken stürzte ich wie ein Unsinniger zur Thür hinaus, und lief, als ob mir der Kopf brannte, in mein Quartier, wo ich mich verzweiflungsvoll auf mein Lager warf. Abermals so bitter getäuscht, verwünschte ich das weibliche Geschlecht und faßte den ernstlichen Vorsatz, künftig vorsichtiger zu sein. Nachher erfuhr ich, daß meine Schöne mit mehreren Officieren in einem traulichen Verhältnisse stand und mich nur als Lückenbüßer betrachtet hatte.

Mittlerweile rüstete sich Preußen, um dem gewaltigen Welteroberer feindlich gegenüber zu treten. Auch ich mußte mit ins Feld rücken. In verschiedenen Schlachten fand ich Gelegenheit, mich auszuzeichnen, stieg von Stufe zu Stufe und brachte es endlich bis zum Major. Noch einige Mal knüpfte ich Bekanntschaften mit Damen an; aber in der Liebe hatte ich kein Glück; stets wurde ich entweder getäuscht oder betrogen, oder die Verhältnisse gestalteten sich so, daß ich mit leeren Händen ausgehen mußte.

Nach beendigtem Feldzuge war ich, durch bedeutende Wunden, zum ferneren Soldatenstande untauglich gemacht, und erhielt demzufolge diese Anstellung als Postdirector. Mein Vater war unterdeß gestorben, ohne daß wir uns im Leben wieder gesehen hätten; daß er mir aber selbst auf dem Krankenlager noch nicht verziehen hatte, bewies er in seinem hinterlassenen Testamente, nach welchem ein weitläuftiger Verwandter zum Universal-Erben aller seiner Besitzungen ernannt, ich aber gänzlich enterbt war. Ich tröstete mich über den Verlust irdischer Güter, zumal da mich mein Posten in den Stand setzte, anständig leben zu können.

Ich denke nun als alter Hagestolz den Rest meiner Tage ruhig zu verleben; denn wohl schwerlich möchte es einer Syrene wieder gelingen, das alte schwer erprobte Herz zu bethören. Ich habe dem weiblichen Geschlechte ewigen Haß geschworen, zumal da vor einigen Jahren mein Heirathsproject, auf welche Art, ist Ihnen bekannt, mit einem dieser undankbaren Geschöpfe von Neuem scheiterte. Jetzt bin ich von diesem Spleen völlig geheilt und ich nehme mir das Beispiel des edlen Seume zum Muster, wenn finstere Wolken auf meiner Stirn sich aufthürmen; lese dessen herrliches Gedicht an seinen Freund Münchhausen, worin er sich eben nicht lobend über die Weiber ausspricht, und ich bin beruhigt. Denn der unvergeßliche Seume sagt:

Flieh' vor dem Weibe, Freund; in ihren Netzen
Ist erst Berauschung und sodann Entsetzen.
Es hat die Welt, die vor Dir liegt,
Kein Wesen, das mit allen Engelgaben,
An denen sich die blinden Opfer laben,
Am Ende grausamer betrügt. &c.

So auch in der Strophe:

Du irrest nicht; des Mädchens Flamme währet
Bis Lunens Hochlicht zweimal wiederkehret;
Dann sucht sie neuen Zeitvertreib,
Und kann mit Deinen heiligsten Gefühlen,
Mit Deinem Leben, wie mit Würfeln spielen.
Gebrechlichkeit, dein Nam' ist Weib! &c.

Auf, dieses Glas dem edlen Seume! fuhr der Postdirector mit lauter Stimme fort, und leerte mit vollen Zügen das gefüllte Glas. Mehr gezwungen, als aus freiem Antriebe, folgten die Anwesenden dem Beispiele ihres Wirthes; denn Mancher mochte wohl anders urtheilen, über das schöne Geschlecht, als der grämliche Postdirector.

Vorzüglich schien der Bau-Inspector V. sichtlich darüber entrüstet, und er ließ sich folgendermaaßen vernehmen:

III.

Ich war sieben Jahr alt, als meine Ältern am Nervenfieber starben. Der würdige Regierungsrath S., der ein guter Freund von meinem Vater war, nahm mich, als hülflosen Knaben, in sein Haus auf und erzog mich, wie seine eigenen Kinder. Ich lernte diese edlen Pflegeältern nur wie Vater und Mutter lieben; denn ihnen verdanke ich meine Bildung, so wie meine nachherige Subsistenz.

Die Kinder des Regierungsrathes nannten und liebten mich als Bruder, und vorzüglich zeigte die kleine Antonie schon im Mädchenalter eine besondere Vorliebe für mich. Stets waren wir bei einander und gegenseitige Gefälligkeiten brachten die kindlichen Herzen noch näher zusammen. Eine wahrhaft selige Zeit war für mich das Knabenalter, und noch jetzt denke ich mit freudiger Erinnerung an die sorgenfreien Tage zurück.

Durch die väterliche Fürsorge meines Pflegevaters konnte ich, nach zurückgelegtem neunzehnten Lebensjahre, eine Universität, auf welcher ich das Bauwesen studiren wollte, besuchen. Als die Trennungsstunde schlug, wo ich nach Jena, zur Erreichung dieses Zweckes, abreisen wollte, merkten ich und die liebenswürdige Antonie erst, was wir uns einander waren. Keiner glaubte ohne den andern auch nur eine Stunde leben zu können, und doch stand uns eine Trennung auf Jahre bevor. Schluchzend hing das arme Mädchen an meinem Halse und benetzte mich mit ihren Thränen. Der Liebesbund ward geschlossen und Schwüre ewiger Liebe und Treue gegenseitig gewechselt.

Aber das Herz eines Jünglings ist von Natur unbeständig und flatterhaft. Kaum war ich einige Monate auf der Universität, so waren Antonie und die feierlichen Liebesschwüre vergessen. Ein anderer Gegenstand, die Tochter eines angesehenen Kaufmanns, ein blendend schönes Mädchen von sechszehn Jahren, hatte meine erste Liebe aus dem Herzen verdrängt. Antonie war vergessen; ihre zärtlichen Briefe wurden immer kälter, am Ende gar nicht mehr beantwortet. In meiner Einfalt glaubte ich damals nicht, daß ein Mädchen, in Folge getäuschter Hoffnung sich abhärmen und grämen könne. Während ich im überglücklichen Liebestaumel, in den Armen meiner Agnes, schwelgte, opferte die unglückliche Antonie ihre Gesundheit meinetwegen auf.

Meine Studierzeit war unter diesen glücklichen Verhältnissen bald beendet, als ich mich eines Tages von einem meiner Freunde verleiten ließ, ein Spielhaus zu besuchen. Der Reiz der Neuheit lockte auch mich zum Spiel. Zufällig hatte ich mein halbjähriges Stipendium, welches ich erst vor einigen Stunden erhalten hatte, in der Tasche; setzte also einen Thaler auf eine Karte und gewann, gewann abermals; verlor, verdoppelte den Einsatz, und in einer halben Stunde war mein ganzes Geld verspielt. Ärgerlich über mein Mißgeschick und durch diesen Verlust der äußersten Noth preisgegeben, verließ ich fluchend den Spieltisch und schlich, wie ein armer Sünder, in meine Wohnung.

Schon am andern Tage fühlte ich das Entsetzliche meiner Lage; überall Schulden und keinen Heller in der Tasche, wofür ich Brot kaufen und den wüthenden Hunger stillen konnte. Meiner Geliebten, zu der ich darauf ging, fiel bald mein verändertes Wesen auf, und da sie unablässig in mich drang, ihr die Ursache meines Verstimmtseins zu entdecken, so gab ich vor, daß ich meine Stipendiengelder noch nicht erhalten hätte, und dieserhalb in Verlegenheit gerathen sei. Froh, mir einen Dienst erweisen zu können, opferte das gute Mädchen ihre Sparkasse und drang mir dieselbe, trotz meines scheinbaren Sträubens, auf. Vergnügt verließ ich die Geliebte, die durch dieses Opfer meinem Herzen noch theurer geworden war, und mein Unstern führte mich abermals in das verdammte Spielhaus, um mit dieser Summe meinen gestrigen Verlust wieder beizukommen. Doch ich Unglücklicher mußte bald mit leeren Taschen in meine Wohnung zurückkehren; auch nicht ein Heller war mir verblieben.

Zu meinem größten Schrecken war unterdeß ein Brief von meinem Pflegevater an mich angekommen, und ich konnte nicht einmal das Porto dafür bezahlen. Mit dunkler Ahnung erbrach ich den Brief, und denken Sie sich meinen kritischen Zustand; mein Pflegevater schrieb mir nämlich, daß seine Tochter Antonie schon seit einigen Wochen an einer abzehrenden Krankheit hart darnieder liege, und daß man jeden Augenblick ihr nahes Ende befürchte. In ihren Fieber-Anfällen habe dieselbe fortwährend meinen Namen genannt, und in lichten Augenblicken habe sie das Verhältniß zu mir, als man in sie drang, ihren Ältern entdeckt. Der Arzt, dem sie davon Mittheilung gemacht, habe geäußert, daß nur eine Gegenwart meiner Person wohlthätig auf den leidenden Zustand des armen Mädchens wirken könne, und daß davon vielleicht ihre Genesung oder ihr Tod abhänge. Der ängstliche Vater beschwor mich, sobald als möglich zurückzukehren, wenn ich auch meine Gesinnung in Hinsicht seiner Tochter, wovon er früher keine Ahnung gehabt, geändert hätte.

Wie vernichtet stand ich nach Lesung dieses Briefes. Pflicht und Liebe kämpften mächtig in meiner Brust. Mit grellen Farben stand die Zukunft mir vor den Augen; hier sollte ich eine Heißgeliebte zurücklassen, und dort, das gebot die Pflicht, eine Frühergeliebte durch meine Gegenwart mit neuen Hoffnungen erfüllen. Meine Lage war wirklich entsetzlich; ich hatte keinen Pfennig Geld, um die Reisekosten zu bestreiten, und meine Geliebte abermals mit solchen Gelderpressungen zu belästigen, schien mir doch zu unästhetisch zu sein.

Allein ein Entschluß mußte gefaßt werden. Ich machte Agnes mit meiner unaufschiebbaren Reise bekannt; sie weinte und bat, recht bald zurückzukehren. Als ich daher von ihr auf einige Wochen Abschied nahm, steckte sie mir einen prachtvollen Ring, mit Diamanten besetzt, an den Finger. Gedenke meiner recht oft und vergiß Deine Agnes nicht, die Dich so herzlich liebt, rief sie mir mit thränendem Auge nach, als ich mich aus ihren Armen wand. Auch mir wurde der Abschied schwer, von dem liebenswürdigen Kinde.

In halber Verzweiflung mußte ich das unschätzbare Kleinod, den köstlichen Ring meiner Agnes, versetzen, um nur Geld zu meiner Reise zu erhalten.

Tags darauf langte ich bei meinen Pflegeältern an, die mich zwar ernst, doch freundlich empfingen. Wie ein Stich ging es mir durch's Herz, als ich meinen Wohlthäter erblickte, den ich, in Hinsicht seiner Tochter, so betrogen hatte. Antonie war auf meine Ankunft hinlänglich vorbereitet; sie erwartete mich sitzend im Bett. Starr vor Schrecken blickte ich in das bleiche Gesicht des leidenden Mädchens, und, von unnennbaren Gefühlen hingerissen, sank ich auf meine Knie vor ihr nieder und bedeckte die welke, weiche Hand mit unendlichen Küssen. Eine sanfte Röthe überflog ihre bleichen Wangen und sie lispelte kaum hörbar:

Ach, Ludwig, warum hast Du mir das gethan? Liebst Du mich denn gar nicht mehr? Ach, ich wäre bald gestorben!

Helle Thränen stürzten, aus meinen Augen; ich beugte mich sanft über die holde leidende Gestalt und hauchte einen leichten Kuß auf die glatte Stirn und bat um Verzeihung, betheuernd, daß ich meine Antonie eben noch so liebe, wie früher, und daß sie über mein rätselhaftes Schweigen Aufschluß erhalten solle.

Wie elektrisch wirkten diese beruhigenden Worte bei dem kranken Mädchen. Von Tage zu Tage fühlte sie sich wohler und ein frisches Roth zeigte sich zur Freude der Ältern wieder auf ihren Wangen. Der Arzt wunderte sich über die schnelle Wirkung und erklärte bald die schon aufgegebene Patientin außer aller Gefahr.

Indessen war auch meine Jugendliebe neu und stark erwacht; und der Regierungsrath, welcher das Verhältniß nun durchschaut hatte und wohl einsah, daß seine Tochter ohne mich nicht leben und glücklich werden könne, nahm dieserhalb ernstliche Rücksprache mit mir. Er machte mir zwar sanfte Vorwürfe und tadelte mein früheres Betragen, daß ich nicht aufrichtiger gegen ihn gewesen sei; jedoch ertheilte er gern seinen Segen, als ich und Antonie ihn darum baten, und gab seine Einwilligung zu unserer Verlobung, die kurz darauf erfolgte.

Vier Wochen waren seitdem verflossen, und ich mußte nun wieder nach dem Orte meiner Bestimmung abreisen, um meine Studien vollends zu beenden. Antonie hatte ihre vorige Gesundheit wieder erlangt und zählte mit kindischer Freude Tage und Stunden, wann ich wieder von der Universität in ihre Arme zurückkehren würde. Wie ein armer Sünder kam ich mir vor, als ich in Jena anlangte und an mein Verhältniß mit Agnes dachte, die ich so hintergehen und vielleicht ebenfalls unglücklich machen mußte.

Meine Ahnung hatte mich nicht betrogen; denn Agnes, die seit meiner Abwesenheit keine Sylbe von mir erfahren hatte, war ebenfalls erkrankt. Mehrere vortheilhafte Verbindungen hatte sie früher meinetwegen ausgeschlagen, da sie fest meinen Schwüren vertraute. – Mit klopfendem Herzen ging ich in das Haus ihrer Altern und fand sie, mit verweinten Augen, auf dem Sopha liegen. Sie richtete sich bei meinem Eintritt schnell auf und streckte mir die lilienweiße Hand entgegen.

Ludwig, lispelte sie. Du hast lange nichts von Dir hören lassen; ich glaubte schon, Du würdest mich vergessen haben. Nein, nicht wahr, das kannst und wirst Du nicht? fuhr sie fort, indem sie mir das wild umherhängende Haar von der umwölkten Stirn strich.

Ich schützte wichtige Familien-Verhältnisse vor, die mich so lange wider meinen Willen beschäftigt hätten, und suchte sie durch andere Ausflüchte zu beruhigen. Sie schien dadurch zufrieden gestellt und schloß mich zärtlich in ihre Arme.

Aber Ludwig, fing sie darauf scherzend an, nachdem sie meine Hand betrachtete, an welcher der Ring fehlte, Du scheinst wenig Gewicht auf mein Geschenk zu legen, da Du es nicht der Mühe werth hältst, dasselbe zu tragen.

Erröthend suchte ich eine Lüge vorzubringen, indem ich vorgab, daß ich den Ring kurz vor meinem Hergange beim Waschen vom Finger gezogen, und vergessen hätte, denselben wieder aufzustecken. Lächelnd hielt sie mir die Hand vor den Mund, nahm zu meiner größten Beschämung den fraglichen Ring aus ihrem Busen und überreichte mir denselben zum zweiten Male. Darauf erzählte sie mir, daß gestern der alte Moses hier gewesen sei, und ihr zufällig den Ring gezeigt habe. Sie hätte allerdings bald denselben als denjenigen erkannt, den sie mir, bei meinem Abschiede von ihr, an den Finger gesteckt habe. Mit dem alten Wucherer habe sie sich abzufinden gesucht und den Ring wieder eingelöst.

Voller Scham sank ich ihr zu Füßen, gestand ihr mein Vergehen und meine Geldverlegenheit und bat um Verzeihung, die sie mir nur zu willfährig ertheilte.

Der Kopf brannte mir und meine Pulse zuckten convulsivisch, als ich wieder in meine Wohnung anlangte; ich dachte mit Schauder an die endliche Auflösung, die mich an den Pranger stellen und entehren mußte. Schon tief war ich bei dem sanften Mädchen in Hinsicht des Ringes gesunken, und wie viel mehr mußte dies der Fall sein, wenn Agnes mein Verhältniß mit Antonie, was über kurz oder lang geschehen mußte, erfuhr. Wirklich, meine Lage war entsetzlich. Der gefürchtete Augenblick stand mir auch nahe genug bevor.

Eines Tages besuchte ich zur gewöhnlichen Stunde die gute Agnes, und fand diese ernstlich krank und sehr leidend. Mit verweinten Augen und leichenblassem Gesichte sah sie mich eine Zeitlang ruhig und gefaßt an. Im Bewußtsein meiner Schuld schlug ich beschämt die Augen nieder; denn nicht vermochte ich den strafenden Blick zu ertragen.

Komm' näher, Ludwig, hauchte sie kaum hörbar aus der beklemmten Brust, und überreichte mir zitternd einen Brief von Antonie, den ich unachtsamer Weise aus meiner Busentasche hatte fallen lassen.

Meine Verwirrung war zu groß, als daß ich Worte der Entschuldigung finden konnte; ich war entlarvt. Sprachlos, mit schlotternden Knieen, stand ich gesenkten Blickes vor dem betrogenen Mädchen.

Ludwig, sprach sie sanft verweisend, mit nassen Augen, Du hast sehr unrecht an mir gethan; Du bist schon verlobt, wie ich aus dem Briefe ersehen habe; das hätte ich nimmer von Dir erwartet.

Ich wollte zu ihren Füßen sinken und ihr Alles gestehen; allein sie wehrte dieses ab, reichte mir mit verklärtem Blick die Hand und bat mich, sie zu verlassen und ihrer wenigstens freundschaftlichst zu gedenken. Ich bedeckte ihre brennende Hand mit unendlichen Küssen und stürzte wie wahnsinnig zur Thür hinaus, mit dem Vorsatze, mein Leben zu enden. Doch kühlte sich mein Blut, noch ehe ich dies Vorhaben ausführen konnte, ab, indem ich Entschuldigungsgründe zur Rechtfertigung meiner Handlungsart aufzufinden wußte.

Meine Studierzeit war kurz darauf beendet. Agnes habe ich nie wiedergesehen. Vier Wochen nach meiner Abreise von Jena erfuhr ich ihren Tod. Was ich da empfunden, vermag ich nicht zu schildern; denn ich mußte mich als ihren Mörder anklagen. Noch jetzt denke ich mit Rührung an das arme Mädchen zurück und bedauere aufrichtig ihr Geschick, welches ich mit dem besten Willen nicht ändern konnte.

Einige Jahre darauf, als ich eine Anstellung erhielt, heirathete ich meine Antonie, und kein böser Tag trübte bis jetzt unsere glückliche Ehe. Ja, wir lieben uns noch mit eben der Glut, wie in unserer Jugend.

Darum alle Ehre für das schöne Geschlecht, und wer dieser Meinung ist, stoße auf das Wohl aller Frauen, die den Mann oft genug beschämen, an.

Laut erklangen die Gläser, und ein: »Hoch leben die Frauen!« scholl aus Aller Munde. Nur der alte Postdirector ließ ruhig sein Glas stehen und murmelte einige unverständliche Worte durch die Zähne.

IV.

Mord, Pech und Schwefel, fing der Hauptmann G. erzählend an, Ihre Liebes-Affairen, Herr Bau-Inspector, haben mir den Kopf ganz unwirsch gemacht. Ich als Kriegsmann habe auch geliebt, mich um die Schönen auf Pistolen und Säbel duellirt, und, hol's der Kukuk, mehr Wunden aus den Duellen mit in mein Quartier gebracht, als aus mancher heißen Schlacht; aber so vernarrt bis zum Sterben ist keine in mir gewesen. Doch nichts für ungut, ich mußte auch manchen harten Strauß bestehen, ehe ich meine Franziska heimführen konnte.

Ich glaube, ich war auch so ein Gelbschnabel von achtzehn bis neunzehn Jahren, als ich meine Franziska zum ersten Male auf einem Balle kennen lernte. Wenige Minuten reichten hin, um ein Liebesverhältniß zwischen uns Beiden anzuknüpfen. Schon den andern Tag wollte ich, von heftiger Liebe entbrannt, bei ihrem Vater, einem wohlhabenden Gutsbesitzer, der eine Stunde von der Residenz ein artiges Landgut bewohnte, einen Besuch abstatten. Ich war damals eben zum Lieutenant avancirt, und hoffte um so mehr eine willige Aufnahme bei dem alten Bauer, wie ich ihn mir dachte, zu finden. Einen neuen Civil-Anzug hatte ich kürzlich von meinem Schneider auf Pump erhalten, und wollte in diesen Galla-Kleidern bei dem Herrn Schwiegerpapa mich präsentiren. Ich gefiel mir äußerst gut in dem neuen Anzuge und berechnete im Stillen den Effect, den ich bei dem verblüfften Alten, wenn ich mich als seinen Schwiegersohn producirte, machen würde.

Mit leerem Magen spazierte ich früh Morgens aus der Residenz, um mich auch in dieser Hinsicht in ein vortheilhaftes Licht zu stellen; denn, schmeichelte ich mir, die lassen auftragen, daß der Tisch knackt, und wenn du denn nicht gehörig schnabiliren kannst, so wird man dir es übel deuten. Donnerwetter, schwabbelte ich im zufriedenen Selbstgespräche fort, was wird der alte Bauer sagen, wenn so ein reichgekleidetes Herrchen ihn mit einem Besuche beehrt, und was für Augen wird er machen, wenn gar ein Lieutenant, welcher Hauptmann, Obrist, General werden kann, um seine Franziska anhält; und dabei focht ich mit meinem Stock in die Luft, als ob ich Alles vor mir niederdonnern wollte.

Sachte, sachte, junger Herr, schrie ein altes Weib, sprang, so gut es ihre morschen Knochen erlaubten, auf die Seite, und fühlte mit der Hand an ihre Nasenspitze; denn diese hatte mein Stock, allem Anschein nach, berührt. Erschrocken stellte ich das Fechten ein und stand nach wenigen Schritten vor dem Eingang der Wohnung meines Schwiegerpapas.

Spornstreichs wollte ich, nachdem ich die Hofthür geöffnet, eintreten; aber ein zottiger Kettenhund, den ich anfänglich nicht bemerkt hatte, sprang bellend mir entgegen. Schnell machte ich Kehrt; allein die wüthende Bestie hatte mich erfaßt, noch ehe ich die Thür wieder erreichen konnte, und ein ziemliches Winkeleisen, gerade an der Wade, wurde in meine neuen Beinkleider gerissen. Hm, dachte ich, der Herr Schwiegerpapa wird dich schon mit einer guten Aussteuer entschädigen. Dieser erschien auch kurz darauf nach dem fürchterlichen Hundegebell, in einem famosen Schlafpelz gehüllt, und fragte, in einem rauhen Tone, nach meinem Begehr.

Ich habe mit Ihnen in einer besondern Angelegenheit zu sprechen, antwortete ich.

Nun, so kommen Sie mit in meine Wohnstube.

Ich drängte mich dicht an ihn; denn der Bullenbeißer wies mir schon wieder fletschend die Zähne.

In der Wohnstube angelangt, blickte ich mich nach allen Seiten nach meiner Franziska um; aber nirgends war diese zu sehen. Nach einer gut studierten Einleitung kam ich denn endlich auf den Zweck meines Besuchs. Der Alte stutzte, runzelte die Stirn, musterte mich vom Kopfe bis zu den Füßen, und gab mir am Ende den kurzen Bescheid, daß seine Tochter, die übrigens mit einem braven Landmann versprochen sei, sich mit seiner Bewilligung durchaus in kein solches Liebesverhältniß einlassen dürfe; ich sollte mir daher jede Mühe ersparen und ihn mit derartigen Besuchen verschonen. Ganz verblüfft starrte ich den Bauer an; denn auf solchen Empfang war ich keinesweges vorbereitet. Ich stotterte verlegen einige Entschuldigungsworte und der Herr Schwiegerpapa brachte mich wohlbehalten zur Hofthür wieder hinaus.

Da stand ich nun mit kirschrothem Gesicht vor Ärger und Beschämung, betrachtete das große Winkeleisen in der neuen, noch nicht bezahlten Hose, und wanderte mit knurrendem Magen ganz de- und wehmüthig nach der Residenz zurück, den alten Bauer, mit seiner deutschen Derbheit, verwünschend. Das ging über meinen Horizont und wurmte dem neugebackenen Lieutenantstitel nicht wenig, daß man so wenig Umstände mit einem so gewaltigen Kriegsmanne gemacht hatte.

Mein Weg führte mich nun zunächst in eine Weinstube, um daselbst meinen Ärger mit einer Flasche Burgunder zu ersticken. Hastig stürzte ich ein Glas nach dem andern hinunter, bis mir der Kopf, dieses seltenen Getränkes wegen, dermaßen zu schwindeln anfing, daß alle Gegenstände in der Stube tanzend vor meinen Augen sich im Kreise drehten. Das sorgenschwere Haupt mit der Hand gestützt, hatte ich eben das letzte Glas der zweiten Flasche bis zur Hälfte geleert, als ich von Jemand angeredet wurde:

Ei ei, Herr Lieutenant, Sie sitzen da so in Gedanken, als ob Sie eine Disposition zu einer Schlacht entwerfen wollten. Schon zwei Mal habe ich guten Morgen gewünscht, – doch was Teufel, mit wem haben Sie denn schon Duelle gehabt? Das ist ja bei meiner Seel' eine eigene Manier zu schlagen. Nur gut, daß noch gesundes Fleisch an ihrer Wade durchschimmert; der Duellant scheint es nur auf die Beinkleider abgesehen zu haben. Ha, ha, ha.

Donnerwetter, darnach haben Sie einen T**** zu fragen, schrie ich den Frager, indem ich mich umwandte, zornig an.

Nur gemach, junger Herr, entgegnete dieser; denn es war zu meinem Schreck der Hauptmann G., Sie scheinen heute hitziger Natur zu sein; macht's vielleicht das Lieutenantspatent, das Sie vor einigen Tagen erhalten haben, oder was ist sonst mit Ihnen los, daß Sie heute so rappelköpfisch sind?

Der Teufel ist mit mir los! schrie ich ihn nochmals an, da ich durch diese Äußerung abermals in Harnisch gebracht wurde; wissen Sie es nun? und donnerte das in der Hand haltende halbvolle Glas so gewaltig auf den Tisch, daß der Wein und die Glasscherben weit umherspritzten und mein Hauptmann einen guten Theil auf seine Montur davon abbekam.

Herr Hauptmann, kommen Sie, der Mensch ist betrunken, erscholl vom andern Tische her eine mir bekannt vorkommende Stimme, und der Hauptmann G. ließ die wahrscheinlich zum Schlage erhobene Hand sinken, und wandte mir den Rücken.

Mit einem Schwall von Donner- und Hagelwettern auf der Zunge, wollte ich gegen den unberufenen Sprecher, der nach meiner Meinung mich offenbar, durch dieses beschimpfende Prädicat, beleidigt hatte, losdonnern; doch das Wort erstarb mir auf der Zunge; meine Knie fingen an zu zittern und ich mußte mich an der Stuhllehne festhalten, sonst wäre ich vor Schreck zu Boden gesunken; denn mein Obrist, der Graf v. Z., saß mir gegenüber. Mit stammelnder Zunge wollte ich mich entschuldigen:

Herr Obrist, Herr Obrist, es war, war – nicht so, so gemeint.

Jetzt gehen Sie augenblicklich nach Hause, wenn Sie können, und verschlafen Ihren Rausch; das Weitere wird sich finden, war die Antwort.

Mechanisch Folge leistend, taumelte ich aus einem Winkel in den andern, ohne die Stubenthür finden zu können. Endlich glaubte ich dieselbe erfaßt zu haben; aber zu meinem Unglück war's nur der Ofen, den ich um einige Zoll von dem früheren Standpunkt verrückte. Noch zur rechten Zeit erfaßte mich der Kellner und führte mich in ein Seitenkabinet; denn sonst wäre vom Ofen kein Stein auf dem andern geblieben, so riesenmäßig hatte ich mich dagegen gestemmt.

Mehrere Stunden lag ich besinnungslos; erst als einige Tassen schwarzer Kaffee den Magen von der überflüssigen Substanz gereinigt hatte, kam ich wieder zur Besinnung. Aber Mord Element, wie sah ich aus? mein schöner Anzug war total verdorben. Bei Tage konnte ich mich nicht auf die Straße wagen, wenn ich nicht befürchten wollte, von Straßenbuben verfolgt zu werden. Ich wartete daher den Abend ab und schlich sodann mit schwerem Kopfe in meine Wohnung. Hier überdachte ich nun die fatale Geschichte, die einen schlimmen Ausgang für mich nehmen konnte, und verwünschte tausendmal meine Heirathsgedanken und den verteufelten Schwiegerpapa-Besuch.

Zum Glück wurde von meinem ordnungswidrigen Betragen kein großes Aufsehen gemacht; mit vierzehn Tagen Stuben-Arrest war die Sache abgethan, und ich hatte alle Ursache, mit dieser gelinden Strafe zufrieden zu sein.

So war der erste Hauptsturm, der mich in den Besitz der liebenswürdigen Franziska setzen sollte, abgelaufen, und mir verging vor der Hand jede Lust vor weiterer Belagerung.

Ungefähr nach Verlauf eines Jahres hatte ich das Vergnügen, meine Franziska, die ich noch keinesweges vergessen hatte, auf einem Balle wieder zu sehen und zu sprechen. Das alte Liebesfeuer entbrannte von Neuem; auch Franziska mochte den schmucken Lieutenant noch nicht ganz vergessen haben; daher hatten wir uns mit einander schnell verständigt. Ein zärtlicher Briefwechsel kam unter uns zu Stande und so verlebte ich unter glücklichen Verhältnissen mehrere Jahre.

Leider stand uns eine lange Trennung bevor; der Krieg war unterdeß ausgebrochen und ich mußte mit zu Felde. Herzlich war der Abschied von meiner Geliebten, und wir schwuren einander unverbrüchliche Treue. Doch wie gesagt, ein anderes Städtchen, ein anderes Mädchen; ich liebte und wurde geliebt, duellirte mich dreimal einer Dame wegen, wurde endlich Hauptmann und kehrte gesund, wie ein Fisch, nach beendigtem Feldzuge in die Hauptstadt zurück.

Meine Franziska war mir treu geblieben, und ihr Alter, als er sah, daß seine Tochter durchaus keine Neigung zur Landwirthschaft zeigte, gab sodann gern seine Einwilligung zu unserer Verbindung. Und Sie können überzeugt sein, daß der zweite Besuch bei meinem Schwiegerpapa, wo ich in glänzender Hauptmanns-Uniform um Franziska anhielt, ungemein vortheilhafter für mich ausfiel, als der erste. Mit dem Alten söhnte ich mich vollkommen aus, zumal da er seine Tochter dermaaßen ausstattete, daß der alte Hauptmann, wenn das Gehalt nicht zureichen will, sich davon eine Güte thun kann.

Doch die Herren kennen ja mein trautes Weib. Wohlan denn, dies Glas auf ihr Wohl!

Auf ihr Wohlsein, ihr Wohlsein! erscholl's aus allen Kehlen, und unter Gläsergeklirr trank Jeder das volle Glas zur Neige.

Nun, Herr Conrector, tischen Sie uns etwas auf, die Studentenjahre sind bekanntlich immer reich an Abentheuern; ich wünschte wohl einmal zu hören, wie es auf Universitäten hergeht, ermunterte der Mühlenbesitzer S., ein ehrbarer Bürger, den phlegmatisch dasitzenden Gelehrten.

Wird gleich werden, guter Freund, entgegnete der Conrector, sich in Positur werfend; aber ich erwarte auch von Ihnen ein Gleiches, wenn auch gerade keine Studentenstreiche, doch wenigstens etwas aus Ihrem thatenvollen Leben.

Ei, versteht sich, ich ordne schon meine drei Gedanken, erwiederte Jener; nur beginnen Sie erst.

Nun es sei, fing der Conrector erzählend an:

V.

Bei meinem Abgange vom Gymnasium zur Universität erhielt ich von meinen Lehrern eben nicht sehr lobenswerthe Zeugnisse, nicht sowohl meiner Talente, als vielmehr meines Betragens wegen. Als Knabe war ich ein durchtriebener Bengel, neckte und foppte meine Mitschüler, und heftete zuweilen selbst dem Lehrer eine Nase auf. Nur einige Beispiele jugendlichen Übermuths will ich kurz erwähnen, welche zum Maaßstabe der übrigen Streiche dienen mögen und wornach Sie, nach Belieben, die andern Thorheiten abstrahiren können.

Bei dem Conrector Br., einem bejahrten, würdigen Manne, hatten wir Geschichte. Vom Lernen war bei mir keine Rede; das Heft legte ich vor mir nieder und las Wort für Wort ab, wenn ich eine Frage bekam. Oft stand der alte Conrector vor mir, sah deutlich, daß ich abgelesen hatte, was mich jedoch wenig kümmerte; stellte er mich aber ja dieserhalb zur Rede, so stritt ich es ihm frischweg ab, indem ich gewöhnlich blitzschnell ein anderes Buch vorschob. Dieser Streit währte zur Belustigung aller Mitschüler, die mich stets vertheidigten, so lange, bis der Lehrer von seinem vermeintlichen Irrthum überzeugt wurde. Na, sei nur ruhig, kannst doch recht haben; ich habe Dir wieder unrecht gethan, pflegte er dann gewöhnlich zu sagen und mir gutmüthig die Wangen zu streicheln.

Zuweilen las ich Romane oder trieb sonst unnütze Sachen während des Unterrichtes.

Noch mit wahrem Abscheu denke ich an folgenden dummen Streich. Der Conrector B. hatte nämlich die Gewohnheit, sich auf einen am Fenster stehenden Stuhl zu setzen, den er auch, ohne Hülfe der Augen, zu finden wußte. Auf diesen Stuhl war schon längst mein Augenmerk gerichtet gewesen; diesen einst plötzlich wegziehen, als der Conrector aufgestanden, war das Werk eines Augenblicks. Wie ich gedacht hatte, so geschah es; der Lehrer machte eine unsanfte Rutschparthie, zum Gelächter unverständiger Knaben. Vergebens war darauf sein Bemühen, den Thäter, der ihm diesen Streich gespielt hatte, zu entdecken. Auf mich fiel natürlich der wenigste Verdacht, weil ich am schnellsten zur Hülfe herbeieilte und mein Bedauern laut äußerte.

Genug, ich muß es keinesweges zu meinem Ruhm bekennen, daß ich derartige Streiche in Menge ausübte, und ich würde mich schämen, dieselben öffentlich zu erzählen, wenn es hier nicht im Vertrauen unter Freunden wäre.

Nur bei einem Lehrer, dem Professor W., bei welchem wir Französisch hatten, konnte ich mit meinen Witzen nicht ankommen. In dieser Hinsicht war der Mann äußerst scharfsichtig, obgleich er sonst, was seine Kenntnisse betraf, ein sehr stupider, aufgeblasener Mann war. Dieser nahm mich, wie man zu sagen pflegt, tüchtig aufs Korn; allein dessenungeachtet spielte ich ihm doch manchen Possen. Zuweilen versteckte ich ihm seine Lehrbücher, in welchen der Professor sich stets gehörig präparirt hatte; nur waren die deutschen Wörter, die mit Bleistift über den französischen standen, oft so unorthographisch geschrieben, daß ich nicht umhin konnte, meinen Mitschülern diese neu erfundene Orthographie mitzutheilen, was uns oft zur großen Belustigung diente, zumal wenn der gute Professor durch diesen Muthwillen in große Verlegenheit kam, wenn er ohne Präparation die Lehrstunde beginnen mußte.

Nun, wie gesagt, diese Thorheiten jugendlichen Leichtsinns waren die Quelle eines nicht löblichen Zeugnisses beim Abgange vom Gymnasium. Mein Vater äußerte nachdrücklich seine Unzufriedenheit und machte mir ernstliche Vorstellungen, – früher gab es Stockprügel, – diesen Leichtsinn abzulegen und ein gesetzteres Wesen anzunehmen.

Mit guten Vorsätzen reisete ich auch wirklich nach der Universität Göttingen ab, und die ersten Monate zeigten auch, wie ernstlich es mir mit der Besserung zu thun war. Doch der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach. Es fanden sich bald gute Freunde; mit diesen ging es in Kneipen und zu Trinkgelagen, und der letzte Mutterpfennig mußte jubelnd aus der Tasche.

Ich bewohnte mit einem Studiosus philosophiae ein Zimmer. Dies war ein Ausbund sonder Gleichen, welcher durch seine tollen Streiche seine philosophischen Grundsätze so an den Tag legte, daß ich im Vergleich zu ihm noch ein großer Stümper war.

Einst hatten wir, wie dies keine Seltenheit war, unser ganzes Geld verjubelt und die besten Kleidungsstücke, Bücher und dergleichen waren in das Leihhaus gewandert; der Hunger quälte uns gewaltig und ich fing an zu verzagen, als ich mit meinem Philosophen Nachmittags 4 Uhr eine halb verfaulte Kohlrübe, die wir dem Wirthe entwendet hatten, heißhungerig verzehrte; und der Magen kollerte gewaltig, als ihm die kalten, halb angefrornen Stücke zur Verdauung übergeben wurden.

Höre Adolph, begann mein Leidensgefährte, hungern können wir nicht länger, und doch kommen uns gebratene Tauben nicht in den Mund geflogen; wir müssen also auf Mittel sinnen, wie der ungestüme Gläubiger, der knurrende Magen, zu befriedigen ist. Höre darum meinen Vorschlag; Du singst einen guten Tenor, ich keinen allzu schlechten Baß und spiele zum Überfluß so ziemlich die Violine.

Nun, wo soll das hinaus, wozu nützen uns diese Künste, entgegnete ich halb ärgerlich.

Wozu diese nützen sollen, das sollst Du bald hören. Wir ziehen Beide alte Staubkittel über unsere Kleider, hängen zum größeren Zierrath einen artigen Quersack über die Schultern, spazieren selbander in der Dämmerung zum Thore hinaus und wählen die erste beste Dorfkneipe, woselbst wir unsere Künste produciren. Wir singen einige lustige Studentenlieder und ich begleite mit der Violine; dieser Witz bringt uns, nebst einigen Batzen, ein reichliches Abendessen. Was sagst Du dazu?

Ich mußte über diesen närrischen Vorschlag laut lachen und willigte, der Sonderbarkeit dieses Aufzuges wegen, sogleich ein.

Mit anbrechender Dunkelheit machten wir uns Beide auf die Socken. Ich einen tüchtigen Quersack auf den Schultern und mein Philosoph die Geige unter dem Arm, stolzirten wir gravitätisch zum Stadtthor hinaus. Nach einer Stunde mühsamer Wanderung erreichten wir endlich das nächste Dorf, woselbst wir unverzüglich die Schenke aufsuchten, um den ersten Versuch mit unserm Concert zu machen.

In der Gaststube befanden sich mehrere Bauern in dickem Tabacksqualm gehüllt, beim Kartenspiel beschäftigt. Wir suchten einen in der Ecke stehenden Tisch auf, an welchem wir Platz nahmen. Ein gutes Abendessen wurde sogleich auf gut Glück bestellt, und durch einen labenden Trunk erquickten wir unsere Kehlen, obgleich Keiner von uns einen Pfennig in der Tasche hatte.

In die Mitte der Stube versammelten sich nach und nach mehrere Bauerdirnen mit ihren schnurrenden Spinnrädern, und eine Anzahl junger Bursche stellten sich bei den Dirnen ein, genau Acht gebend, ob Eine den Faden beim Spinnen reißen ließ; geschah dieses, so war das Mädchen verpflichtet, den jungen Gesellen, der unterdeß mit der größten Geschwindigkeit des Spinnrockens sich bemächtigte, mit einem Kuß zu belohnen, womit die Dirne den Spinnrocken einzulösen verbunden war. Uns machte dieses herrlichen Spaß.

Jetzt gilt's, flüsterte mir mein Freund zu, nachdem die Stube so ziemlich mit Leuten angefüllt war, stimmte seine Violine, schlug ein Liedchen vor, gab den Ton an, und das Concert begann.

Alles um uns herum wurde mäuschenstill und Aller Augen richteten sich auf die Sänger. Als wir geendet hatten, erscholl ein allgemeines Bravo, daß die Fenster klirrten. Dadurch ermuthigt, stimmten wir ein anderes, und nach kleinen Zwischenpausen mehrere gefällige Lieder an; was den Bauern so gefiel, daß bald die ganze Gaststube von Neugierigen angefüllt wurde.

Der Wirth, unsere Absicht ahnend, hatte schon einen zinnernen Teller auf unsern Tisch gestellt, und winkte, da er uns für arme Schlucker halten mußte, uns zu, unser Heil bei den Anwesenden damit zu versuchen. Dies ließen wir uns nicht zweimal sagen; mein Freund ergriff den Teller und ich meinen alten Hut, und so ging's in der Stube, Geld einkassirend, umher. Mancher legte einen Dreier, die Meisten Sechser, Viele auch Groschen und einige von den jungen Burschen sogar zwei Groschen in den Hut und auf den Teller. Nach Beendigung dieses Geschäftes zogen wir uns schmunzelnd in einen Winkel zurück und überzählten in aller Geschwindigkeit unsern Verdienst.

Vergnügt sahen wir uns gegenseitig an; denn der lustige Schwank hatte uns 3 Thlr. 14 Gr. gutes Geld, die blinden Pfennige und Sechser abgerechnet, eingebracht. Sogar die Wirthszeche wurde uns erlassen und lachend verließen wir die Bauernschenke. Ehe wir aber unsern Rückweg antraten, gingen wir noch in die andere, am Ende des Dorfes gelegene Kneipe, und versuchten, da unser Concert so einträglich gewesen war, auch dort unsern Singsang. Besser, als wir glaubten, wurde auch in diesem Gasthause unsere Mühe gelohnt; denn als wir bei unserer Nachhausekunft unsere Kasse überschlugen, fand es sich, daß 5 Thlr. 20 Gr. dieser witzige Einfall eingebracht hatte.

Wer war froher, als wir; Spaß gehabt und Geld verdient, das war uns noch nicht widerfahren. Noch jetzt kann ich mich des Lachens nicht enthalten, wenn ich an die vielen Concerte denke, die wir nothgedrungen jedesmal unternehmen mußten, wenn alle Hülfsquellen versiegt waren.

Dennoch war diese Zeit die sorgenfreieste und beste in meinem Leben. Nach Beendigung meiner Studien traten Ernst und Würde an die Stelle jugendlichen Übermuthes, zumal da kurz darauf mein Vater starb, und ich selbst auf meine Versorgung angewiesen ward.

Mein erfinderischer Freund ist gegenwärtig Professor der Philosophie an der Universität B., und als ich denselben vor zwei Jahren besuchte und ihn an die Concerte erinnerte, wollte er sich halb todt lachen. Jetzt urtheilt er, eben so wie ich, ganz anders über dergleichen Jugendstreiche. – Doch dieses Glas auf die Gesundheit des Professors S.; seine Philosophie, die mich damals aus der Verlegenheit rettete, soll leben!

Ja, die muß leben, schrieen Alle wild durch einander, und der kräftige Anstoß der Gläser verkündete, wie ernstlich es damit gemeint sei.

Ja, ja, Herr Conrector, jetzt haben sich freilich Ihre Gesinnungen geändert, davon legen Sie täglich Beweise in der Schule ab. Mein Adolph kam vor einigen Tagen auch mit rothgeweinten Augen nach Hause, und als ich ihn fragte, was er ausgefressen habe, bekannte er aufrichtig, daß er nur mit dem Federmesser seinen Namen in die Tafel geschnitten habe, wofür Sie ihm zur Belohnung die Ruthe hatten geben lassen. Ich fand aber dennoch die Strafe zu gering und stach ihm noch ein Paar derbe Ohrfeigen, nicht sowohl der Tafel, als des Messers wegen. Der Junge soll mir nicht ein solcher Taugenichts werden, wie …, wie Viele …

Wie ich, wollen Sie sagen, Herr S., entgegnete der Conrector lachend, sprechen Sie es nur immerhin aus, genirt gar nicht.

Wie Sie? bewahre mich der Himmel, so etwas zu denken, viel weniger zu äußern. Sie sind ein kreuzbraver, sehr ehrenwerther Mann, und wenn mein Adolph so ein Taugenichts würde, wie Sie, dann wollte ich mich von Herzen freuen, das können Sie mir dreist glauben.

Schon gut, schon gut, Freundchen, danke für die Ehre, erwiederte lächelnd der Conrector; doch, das führt uns ganz ab von unserm Thema. Jetzt sind Sie an der Reihe, erzählen Sie nun Ihre Heldenthaten.

Ach, ich armer Mann, entgegnete der Mühlenbesitzer S., ich weiß nur leider nichts. Unsereiner kommt nicht weit umher, daß man viele Erfahrungen machen könnte, und zudem verstehe ich auch nicht die Worte so zu setzen, wie Sie, wenn ich ja so ein kleines Lebens-Ereigniß mitzutheilen wüßte.

Ach, machen Sie doch keine Umstände; immer heraus mit der Sprache; wir sind unter uns, vor wem wollen Sie sich geniren?

Nun denn, in Gottes Namen, begann Herr S.

VI.

Ich war ein Bube von etwa dreizehn bis vierzehn Jahren, als die ersten Franzosen in unserm Dörfchen, wo mein Vater ein nettes Bauergut besaß, sich blicken ließen. Meine Mutter selige verkroch sich in den Keller und auch mein Vater seliger wäre lieber zehn Meilen Wegs wo anders gewesen; denn die Angst sprach sich in allen seinen Mienen aus. Verlegen rückte er seine Zipfelmütze von einem Ohr zum andern und vor Schreck entfiel ihm sein Pfeifenstummel, den er nur höchst ungern aus dem Munde nahm, als die Franzosen in unsere Stube traten und Essen und Trinken in gebrochenem Deutsch verlangten.

In aller Eile wurde herbeigeschafft, was Küche und Keller hatten, damit diese Menschenfresser, wie wir sie uns dachten, sich nicht an unsere armen Körper vergreifen sollten. Meine Mutter hielt sich deshalb wohlweislich mit meinem sechsjährigen Schwesterchen im Keller verborgen, damit diese Unholde nicht ein Gelüste nach diesem jungen Blute verspüren sollten.

Als die vermeintlichen Eisenfresser den Magen sich gehörig vollgepfropft hatten, verlangten sie Pferde und Wagen, der sie sämmtlich, sieben an der Zahl, nach dem Städtchen D***, welches vier Stunden von unserm Orte entfernt lag, bringen sollte. Mein Vater war dieserhalb in großer Verlegenheit; denn alle Knechte waren auf dem Felde beschäftigt. Schon fing es an zu dunkeln, und die Unholde forderten mit Ungestüm die Vollstreckung ihres Befehls. Meinem Vater zitterten alle Glieder am Leibe; er wollte sich mit der Unmöglichkeit ihres Begehrens entschuldigen, aber einer dieser Soldaten packte ihn am Kragen und schüttelte ihn, daß das Gesicht kirschbraun ward. Die Todesangst, die Menschenfresser möchten meinen Vater erwürgen, gab mir Muth und Besonnenheit, und ich deutete den Kriegsmännern an, daß ich ihr Fuhrmann sein wolle. Dadurch ließen sie sich zufrieden stellen.

Ich spannte demnächst in aller Geschwindigkeit unsere beiden Schwarzen vor einem Leiterwagen und die Soldaten nahmen auf einigen Bund Stroh, die ich auf den Wagen geworfen hatte, Platz. Mein Vater weinte und streckte die Arme mir nach, als ich den Wagen bestieg und muthig die Peitsche schwang; denn er glaubte, ich führe dem lebendigen Satanas in den Rachen, wenn ich diese Teufelskinder fortkutschirte.

Im schnellsten Trabe ging es vorwärts. Die Soldaten waren mit ihrem kleinen Fuhrmann vollkommen zufrieden; denn sie gaben mir aus ihrer Flasche zu trinken und sprachen stets auf mich ein, obgleich ich wenig von dem Kauderwelsch verstand. Doch vernahm ich mit Todesschrecken mehr aus den Mienen, als aus ihrem Gespräch, daß sie sich der schönen Pferde, die meines Vaters bestes Eigenthum waren, bemächtigen wollten. Ich fühlte mein Blut siedend heiß durch alle Glieder laufen, als ich den Plan durchschaute.

Ein kecker Einfall durchfuhr meine Seele. Noch eine halbe Stunde waren wir von dem Städtchen entfernt, als ich die Pferde anhielt, vorgebend, es sei etwas gerissen. Schnell stieg ich vom Wagen, scharrte behutsam in der Finsterniß die Pferde ab, setzte mich auf unser flinkes Sattelpferd und ein tüchtiger Hieb setzte die Pferde in Galopp. Hinter mir hörte ich die zurückgelassenen Franzosen fluchen und toben und mehrere Schüsse wurden mir nachgesandt, ohne mich zu verwunden.

Im gestreckten Galopp gelangte ich zu Hause an, und mein Vater, als er mich so unvermuthet wieder ankommen sah, hatte bald den Tod vor Schreck. In der Kürze erzählte ich ihm, was mir unterwegs begegnet sei. Erstaunt schlug er die Hände über den Kopf zusammen, lobte zwar meinen Muth, tadelte aber doch die Tollkühnheit.

Nun werden die Soldaten zurückkommen und uns das Haus über den Kopf anstecken und uns Alle umbringen, jammerte er und rang die Hände.

Unter banger Erwartung brachten wir die Nacht hin; aber kein Franzose ließ sich wieder blicken. Am andern Morgen wurde ein Knecht mit einem Pferde fortgeschickt, der den zurückgelassenen Wagen herbeiholen sollte. Unversehrt wurde derselbe am Wege stehend gefunden und zur Freude meines Vaters vom Knechte zurückgebracht.

Als ich nach einigen Stunden das Stroh vom Wagen werfen wollte, glitschte mir etwas Schweres durch die Hand; ich sah nach und eine strotzende Geldbörse lag vor meinen erstaunten Blicken. Mein Fuhrgeld war gut bezahlt; denn wir fanden darin 75 Napoleonsd'or. Mein Vater hob zwar das Geld sorgfältig auf, im Fall Nachfrage geschehen würde; aber kein Eigenthümer meldete sich dazu.

Mein keckes Wagestück wurde bald in unserm Dorfe bekannt und Jedermann bewunderte diese Dreistigkeit. Dies schmeichelte mir ungemein und ich brannte vor Begierde, Gelegenheit zu finden, wo ich abermals Proben von neuen Heldenthaten ablegen konnte. Darauf brauchte ich allerdings in der damals bewegten Zeit nicht lange zu warten.

Ungefähr nach einem halben Jahre zogen wenigstens einige hundert Mann Franzosen plündernd durch unser Dörfchen. Pferde, Ochsen, Kühe, Kleider, Geld, Nahrungsmittel, – kurz alle bewegliche Habe nahmen diese Beutelschneider dem armen Landmann weg, und obendrein gab es noch gewaltige Stockprügel und Fuchtelhiebe, wenn man nicht gute Miene zum bösen Spiele machte.

Mein Vater nahm mit der Mutter und dem kleinen Schwesterchen wieder Zuflucht in den Keller; die Knechte suchten den Heuboden auf und die Mägde fanden ebenfalls einen Schlupfwinkel, in welchem sie sich sicher glaubten; nur ich blieb in der Stube und erwartete mit kecker Herausforderung die Ankömmlinge.

In meiner Einfalt besann ich mich auf eine Geschichte, die uns der Lehrer gelegentlich mitgetheilt hatte, wo sich ein Bürger bei der Zerstörung Magdeburgs im dreißigjährigen Kriege durch eine List vor Plünderung zu schützen wußte. Dessen Beispiel ahmte ich nach. Ich holte zu diesem Zwecke ein altes Küchenbeil hervor, schlug Hof- und Stubenthür ein, zertrümmerte einen alten, im Hause stehenden Schrank, warf altes Topfgeschirr, Stroh und dergleichen wild durcheinander; selbst in der Stube brachte ich die meisten Gegenstände, ohne sie gerade zu verderben, so in Unordnung, daß man beim Eintritt glauben mußte, hundert Mann Soldaten hätten hier gewirthschaftet und Alles ausgeplündert.

Diese nachgeahmte List gelang mir vortrefflich. Mehrere Soldaten kamen spürend bis ins Haus; wie sie jedoch bemerkten, daß hier schon Alles wild durcheinander lag, ließen sie sich täuschen und machten schnell Kehrt. Einige Mal drang man sogar bis in die Stube, überblickte die Verwüstung und entfernte sich brummend. Ich hatte mich in einen Winkel gedrängt und verhielt mich ganz ruhig.

Nach Verlauf einer Stunde ließ der Lärm auf den Straßen nach, die Soldaten hatten unser Dörfchen verlassen. Freudig überbrachte ich meinen geängstigten Altern diese frohe Botschaft. Mit einem »Gott sei gedankt« verließen Vater und Mutter den Zufluchtsort und stiegen auf zur Oberwelt. Mein Vater jammerte und die Mutter rang, in Thränen zerfließend, die Hände, als sie den Unfug erblickten. Uns armen, geplagten Menschen ist wohl gar nichts mehr verblieben, hieß es, und zagend trat man in die Stube. Doch diese Traurigkeit verwandelte sich bald in Fröhlichkeit, als man alle Sachen ganz unversehrt vorfand. Meine Ältern staunten, und wußten nicht, ob sie ihren Augen und Ohren trauen sollten, als ich ihnen die Sache auseinandersetzte. Gerührt schloß mich der Vater in die Arme und machte mir schmeichelhafte Lobeserhebungen.

Nachdem hatten meine Altern vor den Franzosen so ziemlich Ruhe; denn einige Kleinigkeiten abgerechnet, kamen wir nicht wieder in Gefahr, beraubt zu werden. Übrigens würde uns auch diese List in wiederholtem Falle schwerlich vor Plünderung geschützt haben; denn mein geschwätziger Herr Papa hatte diese neue Heldenthat überall ausposaunt, und die alten Familienväter, denen Alles geraubt war, bissen sich ärgerlich in die Lippen, nicht auch auf diesen Einfall gekommen zu sein.

Unserm würdigen Schulmeister aber, von dem ich diese Klugheitsregel aufgeschnappt hatte, schickte mein Vater einige Scheffel Getreide, da auch er der Plünderung nicht entgangen war.

Drum Freunde, dieses Glas auf den würdigen Schulmann, der schon lange im Grabe modert; Gott mag es ihm vergelten, daß er uns manche nützliche Lebensregel ertheilte.

Ein lautes Vivatrufen machte die Fenster erzittern und Jeder stürzte den Inhalt des Glases in vollen Zügen hinunter.

Aber Wetter noch einmal, wir sitzen wohl heute bis an den lichten Morgen. Das neue Jahr haben wir schon seit zwei Stunden angetreten und Keinem der verehrten Anwesenden ist es, bei dem vielen Erzählen, in den Sinn gekommen, dasselbe mit einem Toast zu begrüßen.

Das hätten Sie eher sagen sollen, Herr Hauptmann, entgegnete der Amts-Assessor M., jetzt leben wir bereits aufs neue Jahr los. Wir sitzen heute einmal so traulich beisammen, wer weiß, wie es über's Jahr aussieht; darum wollen wir noch ein Stündchen mit einander vergnügt sein. Wer dieser Meinung ist, stoße auf eine fröhliche Zusammenkunft zum kommenden Sylvesterabend an.

Klirrend funkelten die gefüllten Gläser beim Scheine der hellen Wachskerzen in der Trinker Hände, und ein Bravo Bravissimo erscholl aus Aller Kehlen.


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