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Der Fischerknabe

I.

Ein heftiger Südwind bewegte die Wellen des Rheinstroms und finstere Gewitterwolken, welche, vom Sturme gepeitscht, sich über den schwachen Schimmer des Mondes verbreiteten, thürmten sich im Süden auf, so daß auch nicht der schwächste Strahl die Nacht erhellte, welche vor Kurzem erst angebrochen war. Einzelne große Regentropfen fielen auf die Erde und ein fürchterliches Ungewitter war im Anzuge. In der Ferne hörte man das dumpfe Rollen des Donners und zuweilen erhellte ein zackiger Blitz auf Augenblicke das schwarze Dunkel.

Da suchte der Fischer Holdheim mit größter Eile seinen Kahn zu befestigen, dessen er sich eben bei einem nicht gelungenen Fischzug bedient hatte, und mit verdoppelten Schritten seine Hütte, die einsam in einem engen, aber reizenden Thale unweit des Rheins stand, noch vor anbrechendem Unwetter zu erreichen. Kaum hatte Holdheim dieselbe erreicht, als auch schon die schweren gewitterschwangern Wolken in den fürchterlichsten Regenmassen sich ergossen.

Gott sei gedankt, daß Du kommst, rief ihm seine Hausfrau, die besorgte Elise, entgegen, und freundlich schmiegte sich sein Sohn, der kleine neunjährige Ludwig, an ihn an. Ich habe schon Deinetwegen die größte Angst ausgestanden, fuhr Elise fort; ich glaubte Dich bei dem gräßlichen Unwetter noch auf dem Strome mit dem Fischen beschäftigt; ich weiß Dein Eifer treibt Dich oft zu weit und so leicht läßt Du Dich bei einer einmal begonnenen Arbeit vom Wetter nicht stören.

Zum Glück wurde ich, erwiderte Holdheim, zeitig genug, ehe ich Gefahr zu befürchten hatte den Umschlag des Wetters gewahr, und kehrte daher, weil der Strom durch den entstandenen Sturm zu unruhig ward, von meiner begonnenen Fahrt zurück; freilich ohne einen, die Arbeit lohnenden, Fang gethan zu haben.

In geschäftiger Eile besorgte nun Elise das Abendbrot, und die kleine Fischerfamilie schickte sich an, es zu verzehren. Es ist doch in der That recht traurig, sagte Elise, daß wir so einsam, fast eine Stunde vom nächsten Dorfe entfernt, wohnen; wenn uns ein Unfall begegnet, so ist kein Mensch in der Nähe, der uns Hülfe leisten könnte; und wie leicht ist Ersteres bei diesem schrecklichen Wetter möglich. Doch was mich noch am meisten beunruhigt, sind die umherziehenden Kriegerschaaren, die schon seit längerer Zeit die Rheingegend unsicher machen. Wenn nur erst einmal das wilde Kriegsvolk, von dem die schönen Auen und Thäler so schrecklich verwüstet werden, unsere sonst friedliche Gegend verlassen wollte!

Sei deshalb ganz außer Sorge, liebes Weib, tröstete Holdheim, denn den neuesten Nachrichten zufolge ist das Lager der Hauptarmee noch 9 Meilen von unserm Orte entfernt, und es ist möglich, daß in den nächsten Tagen eine entscheidende Schlacht der ganzen Sache eine andere Wendung giebt, und der Kriegsschauplatz vielleicht eine entferntere Gegend wird. Doch sollte wider Erwarten unsere arme Gegend noch länger heimgesucht und sogar unser Wohnort das Kriegslager werden, so können wir, wenn Du Furcht hast, nach dem Dorfe ziehen, wo Du doch einige Bekannte findest und das Ende des Kriegslärms abwarten kannst.

Unter ähnlichen Gesprächen war das kärgliche Abendbrot, welches gewöhnlich in Kartoffeln, Salz und Brot bestand, verzehrt, als die Bewohner der Fischerhütte durch ein starkes Pochen aufgeschreckt wurden.

»Mein Gott«, rief mit ängstlicher Miene die furchtsame Hausfrau, »wer kommt denn noch heute Abend bei solch' schrecklichem Wetter zu uns?«

Gewiß ein Verirrter, oder sonst Jemand, der unsere Hülfe begehrt, sagte Holdheim. Mache nur auf; Du siehst ja aus, als ob schon die ganze feindliche Armee unsere Hütte bedrohte, setzte er lächelnd hinzu.

Nach diesen Worten ging Elise zur Thür, und ließ ein schwaches: Wer ist da? erschallen, ehe sie den Riegel ihrer halbmorschen Hausthür aufschob.

Ein Verirrter, der von Euch Schutz und Hülfe erwartet und Beides reichlich belohnen wird, ließ draußen sich eine bittende Stimme vernehmen.

Wenn Ihr sonst nichts verlangt, erwiderte Elise, so seid in unserm Hause willkommen; wir werden nach Kräften behülflich sein. –

Mittlerweile hatte sie die Thüre geöffnet und ein langer, starker Mann, in einem weiten Mantel gehüllt, trat ein.

Gott sei Dank, rief er, daß ich nach stundenlangem Umherirren in dieser schrecklichen Nacht Obdach und menschliche Hülfe finde, denn bei diesem Wetter ist es wahrlich nicht angenehm, eine Nacht im Freien zuzubringen.

Bei diesen Worten hatte er seinen, von dem heftigen Regen durchnäßten Mantel abgelegt. Erstaunt blickte Holdheim seine Frau an, als ein Officier in glänzender Uniform, auf der sich mehrere Orden befanden, vor ihnen stand.

Nachdem sich der Officier etwas erholt hatte, fragte er den Fischer, welcher immer noch mit starren Blicken seinen vornehmen Gast betrachtete, ob er einige Nahrungsmittel erhalten könne.

Großer Gott, sagte die geschäftige Fischerfrau, sehen Sie hier die Ueberreste unseres Abendbrotes, sie sind Alles, was ich Ihnen vorsetzen kann, und dieß werden Sie wohl schwerlich genießen können.

Gebt nur her, erwiderte der Fremde, mein Hunger ist sehr groß, ich habe fast seit zwei Tagen so viel als Nichts gegessen; und begierig machte er sich über die eben nicht leckere Abendmahlzeit her.

Unterdessen war Elise ihre kleine Vorrathskammer noch einmal durchgegangen, und hatte zu ihrer großen Freude noch einige geröstete Fische entdeckt, die schnell zum größeren Wohlgeschmacke etwas zubereitet und dem darüber erfreuten Fremden vorgesetzt wurden, der sie mit dem größten Appetit verzehrte.

Es ist gut, unterbrach Holdheim das Schweigen, daß Sie in dieser schrecklichen Nacht unter Dach und Fach sind, denn heute können Sie nicht weiter, und müssen schon mit einem Nachtlager in unserer armseligen Hütte zufrieden sein. Hören Sie nur den fürchterlichen Donner und Sturm und den schrecklichen Regenguß!

Kaum hatte er ausgesprochen, so geschah ein fürchterliches Krachen, und die Anwesenden glaubten nicht anders, als das kleine Fischerdach sei durch den Sturm abgedeckt worden. Erschrocken stürzte Holdheim hinaus, kam jedoch bald mit der beruhigenden Nachricht zurück, daß der Sturm einen kleinen dicht am Hause stehenden Stall eingerissen habe.

Unterdessen hatte der Officier seine Mahlzeit, die ihm, vom Hunger gewürzt, trefflich geschmeckt hatte, verzehrt und stand eilig auf. Ernsthaft zog er einen schweren Geldbeutel aus der Tasche und sagte mit wichtiger Stimme:

Nach Euren Werkzeugen zu urtheilen, lieber Alter, seid Ihr ein Fischer; mein Glücksstern hat mich zu Euch geführt, dieses Gold, und damit zeigte er auf den gefüllten Geldbeutel, den er bedeutsam mit der Hand wog, gehört Euch, wenn Ihr es wagt, mich heute Abend über den Rhein zu setzen. Ich sehe, fuhr er fort, als er die bedenkliche Miene des Fischers gewahrte, mein Antrag erregt Eure Mißbilligung; jedoch Umstände zwingen mich, Euch ernstlich darum zu bitten. Wißt, ich werde verfolgt, und schwebe jeden Augenblick in Gefahr, von Feinden eingeholt und getödtet zu werden. Gelingt es mir durch Eure Hülfe, die andere Seite des Rheins zu gewinnen, so habt Ihr meinem Kaiser einen Officier gerettet und fürstlich würde noch außerdem Eure kühne That belohnt werden. Ihr habt in Betreff Eurer Handreichung zu meiner Flucht Nichts zu fürchten, ausgenommen das Unwetter, das die Ueberfahrt wohl etwas gefährlich machen kann.

Lieber Herr, erwiderte kopfschüttelnd der Fischer, Ihr Verlangen kann ich, kann kein Mensch ohne ein gewisses Opfer des Stromes zu werden, erfüllen. Hören Sie nur das fürchterliche Toben des Windes, bedenken Sie die Gefahr, der wir uns aussetzen würden, mit einem so gebrechlichen Fahrzeuge den wildbewegten Strom zu befahren. Bald würde dasselbe von den hochschlagenden Wogen mit Wasser angefüllt sein, oder von denselben umgestürzt und an den Felsen zertrümmert werden. Auch würde die Anstrengung eines Mannes, fuhr er fort, nicht hinreichend sein, gegen den wüthenden Strom zu kämpfen; und wenn Sie auch selbst mit Hand anlegten, so würde dieß doch wenig helfen. Ruhen Sie sich heute Abend in meiner Hütte aus, und morgen, wenn sich, wie ich hoffe, der Wind etwas gelegt haben wird, will ich Ihrem Begehren mit Freuden Folge leisten.

Gern, sagte der Officier mit ernster Stimme, würde ich Euren Vorschlag, der freilich nach Eurer Meinung der vernünftigste ist, annehmen, wenn er nicht mit meinen Verhältnissen geradezu im Widerspruch stände. Vernehmt denn die Wichtigkeit meines Begehrens, und dann urtheilt selbst, ob ich Euren Vorschlag annehmen kann und darf. Es gilt nicht nur mein Leben, welches durch einen längeren Aufschub gefährdet würde, sondern das Leben vieler Tausende. Grenzenloses Unglück, mit dessen Umfang ich Euch diesen Augenblick nicht bekannt machen kann, könnte ein längerer Aufenthalt zur Folge haben. Doch hiermit habe ich Euch genug gesagt, entschließt Euch kurz, und erfüllt meine dringende Forderung, deren glückliche Ausführung Euch durch reichliche Belohnung in den Stand setzen würde, ein bequemeres Leben, als Euer jetziges, zu führen; außerdem würden auch Tausende in Euch ihren Retter erblicken.

Lieber Herr, sagte Holdheim, ich bin, wie Ihnen meine Wohnung und meine Beschäftigung sagen, sehr arm; aber um Geld zu gewinnen, setze ich mein Leben nicht aufs Spiel; stecken Sie in Gottes Namen Ihr Geld ein. Aber es gilt nach Ihrer Aussage Menschenleben zu retten und Unglück zu verhüten, und da bin ich nicht der Letzte, der sein Leben zum allgemeinen Besten der Menschheit aufopfern kann. Ich beschwöre Sie, fuhr er entflammt fort, mir aufrichtig zu sagen, ob Ihre Sache wirklich so wichtig ist, ob ein längerer Aufschub Ihnen und Andern den Tod bringen kann; nur, wenn dies der Fall ist, will ich das fast Unmögliche wagen. Gott wird uns dann um der gerechten Sache willen schützen.

Feierlich beschwor der Officier nochmals die Wichtigkeit seines Auftrages und schilderte das Unglück, welches eine längere Verzögerung zur Folge haben könnte.

Doch, sagte er, entschlossen von seinem Sessel aufspringend und die Rechte des Fischers herzhaft drückend, ich will Euch nicht der Todesgefahr aussetzen; bringt mich hin zu Eurem Kahn; ich will allein versuchen, das auszuführen, was Euch unmöglich scheint, obgleich ich nicht die geringste Kenntniß von der Lenkung des Fahrzeuges besitze.

Mein Herr, erwiderte der Fischer etwas beleidigt, ich bin, so zu sagen, auf dem Wasser erzogen und habe als Fischer vielerlei Gefahren ausgestanden; ich weiß gewiß, was bei einem solchen Sturme auszurichten ist. Wenn Sie mir nicht feierlich versichert hätten, daß es Menschenleben zu retten gilt, so würde ich, versprächen Sie mir auch alle Reiche der Welt, Ihren Antrag zurückweisen. Aber ich will Ihren feierlichen Worten glauben, ich habe das gute Zutrauen zu Ihnen, daß Sie um einer geringfügigen Sache willen nicht das Leben eines armen Familienvaters auf das Spiel setzen werden, dessen Frau und Kind, wenn das Unternehmen unglücklich ausfiele, ihres Brotes beraubt und in den traurigsten Zustand versetzt werden würden. Auch glaube ich, daß Sie, wenn nicht die höchste Noth vorhanden wäre, Ihr Leben nicht selbst gefährden würden, da Ihr Vaterland wohl noch höhere Ansprüche an Sie macht. Wohlan denn, kommen Sie, lassen Sie uns unsere Seelen Gott befehlen, denn es könnte wohl leicht sein, daß Keiner von uns das Tageslicht wieder erblickte.

Stillweinend hatte die gute Elise die ganze Rede mit angehört, und fiel nun laut schluchzend ihrem Gatten in die Arme, der eben von ihr Abschied nehmen wollte. Von dem Lebensgefährlichen des Unternehmens überzeugt, durchbebten schauerliche Ahnungen ihr bewegtes Herz. Wie gern hätte sie ihren Mann von dem gefährlichen Wagestück abzubringen gesucht; doch sie kannte die feste Gemüthsart desselben nur zu gut und wußte, wie wenig sie in andern Fällen ausgerichtet, wenn sie Gegenvorstellungen gemacht hatte; sie mußte sich also in ihr Geschick ergeben.

Sei unbekümmert um mich, gute Elise, tröstete Holdheim, als er ihre Thränen bemerkte, Gott wird uns schützen; bete zu ihm für uns und er wird Dich erhören; dies ist Alles, was ich jetzt von Dir verlange.

Damit umschloß er sie noch einmal innig und nahm zuletzt auch von seinem Sohne, der unterdessen eingeschlafen war, Abschied, indem er voll banger Ahnung dessen Wange küßte. Darauf schob er den Fremden, dessen Kriegerherz von diesem Auftritt erweicht war, schnell aus der Hütte, und führte ihn, wegen des Unwetters und der schwarzen Nacht, an der Hand.

Dicht in seinem durchnäßten Mantel gehüllt, ging der Fremde neben Holdheim her, und, ohne ein Wort zu wechseln, gelangten sie an das Rheinufer, wo der Kahn des Fischers befestigt war.

Aber fürchterlich war der Anblick des wildbewegten Elements. Schäumend brachen sich die brausenden Wogen, vom Winde gepeitscht, und erhöheten durch die fürchterliche Brandung das Grausen dieser finstern Nacht. Das Gewitter war ziemlich vorüber und nur in weiter Entfernung hörte man das dumpfe Rollen des Donners. Die letzten Blitze begrüßten noch zum Abschied flammend am fernen Horizont die Nacht. Holdheim blickte starr in die schäumende Fluth und maaß mit prüfendem Auge das Gefährliche seines Unternehmens, wenn ein Blitzstrahl die pechschwarze Finsterniß erhellte und das fernliegende jenseitige Ufer wie ein mächtiges Ungeheuer sich seinen ängstlichen Blicken darstellte.

Unwillkürlich sank er auf seine Kniee, um von Gott das Gelingen seines Vorhabens zu erflehen, während der Fremde mit gefalteten Händen ein Gleiches zu thun schien. Gestärkt erhob sich Holdheim, band den Kahn los und nöthigte den Officier, der noch in stummer Betäubung das gräßliche Natur-Ereigniß anschaute und nun erst von der Gefährlichkeit des Unternehmens überzeugt wurde, zum Einsteigen.

Während dessen hatte die arme Elise in halber Verzweiflung ihren kleinen Ludwig geweckt, um mit ihm für die glückliche Wiederkehr des Vaters zu beten. Mitternacht war längst vorüber, aber kein Schlaf kam in ihre verweinten Augen; ihre lebhaft bewegte Phantasie malte ihr unaufhörlich das Bild ihres unglücklichen, mit den Wellen kämpfenden Gatten vor, dem sie von Herzen gern zur Hülfe geeilt wäre, wenn es in ihren schwachen Kräften gestanden hätte. Endlich nach stundenlangem Härmen schlief sie mit ihrem Sohne ein. Doch auch hier umgaukelten sie die schrecklichsten Trugbilder, die nur eine erhitzte Phantasie vor die Seele zaubern kann. Fieberisch schlugen ihre Pulse; sie sah sich von scheußlichen Thieren verfolgt, die sie mit ihren langen Klauen ergreifen wollten, und plötzlich wähnte sie sich von einem solchen Ungeheuer gepackt, welches ihr mit aufgesperrtem Rachen fletschend die Zähne wies. Laut schrie sie auf, daß sie selbst davon erwachte. Vom Traume geängstigt stand sie auf und blickte durch das kleine Fenster in die sturmvolle Herbstnacht hinaus. Der Regen hatte nachgelassen, aber immer noch tobte heulend der Sturm und fürchterlich schlug die Brandung des aufgeregten Stromes aus der Ferne an ihr Ohr. Unter den bängsten Erwartungen verfloß diese Schreckensnacht.

Kaum war der Tag angebrochen, so hatte sie auch schon im Hause keine Ruhe mehr; bange Ahnungen stiegen in ihr auf und trieben sie an das Rheinufer, um vielleicht Kunde von ihrem Manne zu erhalten. Der Sturm hatte sich mit dem anbrechenden Tage gänzlich gelegt und eine ängstliche Stille war an die Stelle desselben getreten. Vielleicht, tröstete sie sich, hat er den Fremden noch weiter begleitet oder hält sich bei den andern Fischern des jenseitigen Ufers so lange auf. Unter ähnlichen Gedanken, die ihr verwirrt im Kopfe aufstiegen, gelangte sie an die Stelle des Ufers, wo ihr Mann gewöhnlich seinen Kahn befestigt hatte. Hier sah sie den mächtigen Strom majestätisch vor sich ausgebreitet, wie er jetzt das Bild einer ruhigen Spiegelfläche darstellte, während er in der vorigen Nacht ein Bild des Entsetzens gewesen war. Es war ein köstlicher Morgen, kein Wölkchen trübte den reinen Himmel; die Sonne, vor Kurzem aufgegangen, versendete ihre wohlthätigen Strahlen über die Fluren und vergoldete die unzähligen Regentropfen, welche am Laube der Bäume und an den auch nicht von dem leisesten Zephir bewegten Grashalmen hingen und einen tausendfarbigen Glanz verbreiteten.

So weit ihr Auge reichte, konnte sie auch nicht die geringste Spur von ihrem Manne entdecken. Schon wollte sie ihren Rückweg antreten, als sie in geringer Entfernung einige ans Ufer angetriebene Bretter bemerkte. Um sich näher davon zu überzeugen, ging sie darauf los, und sah zu ihrem größten Schrecken, daß es Überreste eines zertrümmerten Kahnes waren. Gott, rief sie mit erhobenen Armen, sollten dies die Trümmer unseres Kahnes sein? Nein, das ist nicht möglich, so kannst du uns nicht strafen! – Sie blickte schärfer hin, und mit dem Ausrufe: »Herr Jesus! sie sind es wirklich!« stürzte sie besinnungslos zu Boden.

II.

Tief schon stand die Sonne und neigte sich zum Untergange; ihre Strahlen vergoldeten die Wipfel der Bäume des Teutoburger Waldes, durch deren schwankende Zweige der Nachtwind rauschte; knarrend schlugen die hohen zackigen Kiefern zusammen und wogten wie dunkle Nebelgebilde, unheimliche Gefühle einflößend: da suchte mit angestrengten Schritten ein Wanderer sich aus dem Labyrinthe zu retten, in welchem er, vom rechten Wege abgekommen, sich verirrt hatte. Auf gutes Glück schritt er muthig durch das verwachsene Unterholz hin; aber bald geboten Entkräftung und die einbrechende Nacht ihm Stillstand. Von dem heftigsten Durst gepeinigt, dessen Qual ein nagender Hunger noch vermehrte, sank er gänzlich erschöpft in das feuchte Moos und kühlte seine lechzende Zunge an demselben. In dieser gebückten Lage, wobei sein Ohr den Boden berührte, vernahm er das sanfte Rieseln einer Quelle, wodurch er mit neuem Muthe belebt wurde. Trotz der nun herangebrochenen Finsterniß, die von keinem Stern erhellt wurde, weil finstere Wolken den Himmel bedeckten, jagte ihn der brennende Durst auf und er tappte unter dem dichten Laubgewölbe, zwischen dicht verwachsenem Gesträuch und hervorragenden Felsblöcken, oft mit Baumstämmen hart zusammentreffend, dem einladenden Rauschen zu. Nach langem Bemühen und manchem harten Stoße war es ihm endlich gelungen, die matten Lebensgeister mit einem erfrischenden Trunke zu stärken.

Mit erneuerter Kraft suchte er nun sich weiter durch das dichte Gesträuch hindurch zu winden, um wo möglich einen Ausweg zu entdecken. Nach unsäglichen Bemühungen gelang es ihm endlich, sich aus dem Dickicht herauszuarbeiten und auf einen etwas gebahnten Weg zu gelangen. Desto mehr verdoppelte er seine Schritte, um nur nicht die Nacht im Walde zubringen zu müssen, der durch Räuberbanden zu damaliger Zeit höchst unsicher gemacht wurde.

Zu seiner nicht geringen Freude wurde der Wald immer lichter; auch blickte zuweilen freundlich der Mond durch die finstern Wolken auf unsern Wanderer nieder, dessen Beharrlichkeit endlich mit dem glücklichsten Erfolge gekrönt wurde. Denn, nachdem er den Saum des Waldes erreicht hatte, erblickte er vor sich ein ansehnliches Dörfchen, auf welches er freudig loseilte. Dort angelangt, war seine nächste Frage nach einem Wirthshause, welches er auch zu seiner großen Zufriedenheit recht bald auffand. Im Gastzimmer eingetreten, ohne von den sich darin befindenden Fremden, welche in tiefem Gespräch begriffen waren, bemerkt zu werden, bestellte er bei dem eben eintretenden Wirthe ein Abendbrot, um seinen Hunger zu stillen und sich von seiner gänzlichen Entkräftung zu erholen, und nahm an einem noch leerstehenden Tische Platz.

Nachdem er sich durch einen Trunk erquickt und das Abendbrot verzehrt hatte, schweiften seine Augen im Gastzimmer umher, und er bemerkte einen wohlgekleideten Reisenden, der sich einsam in einen Winkel zurückgezogen hatte und wenig auf die andern Gäste und auf ihr Gespräch zu achten schien. Bescheiden näherte sich Ludwig, so wollen wir unsern Wanderer nennen, diesem, und bald entspann sich zwischen Beiden eine Unterhaltung, deren immer mehr wachsendes Interesse Ludwigs Müdigkeit gänzlich verscheuchte, und beiderseits so lange fortgesetzt wurde, bis die andern Gäste gänzlich verschwunden waren und die Mitternachtsstunde zur Ruhe rief.

»Aber es wird doch nun endlich Zeit, daß wir abbrechen,« sagte der Fremde freundlich, »denn ich will morgen in aller Frühe meine Reise nach Coburg fortsetzen.«

Nach Coburg reisen Sie? rief Ludwig erfreut aus, dies ist ja auch mein Reiseziel; wenn Ihnen meine Gesellschaft nicht unangenehm ist, so können wir die Reise gemeinschaftlich machen.

Nichts war dem Fremden willkommener, als dieses. Er ergriff in der Freude Ludwigs Hand und der Reiseplan ward nun noch, ehe jeder seine Schlafstelle suchte, verabredet.

Kaum graute der Morgen, so wurde Ludwig von dem schon völlig reisefertig dastehenden Fremden sanft aus dem Schlafe geweckt und mit freundlichen Worten an sein Versprechen erinnert. Ludwig sprang hastig auf, kleidete sich schnell an, und in kurzer Zeit waren Beide auf der Straße.

Der Tag brach eben an, als sie das Wirthshaus schon ziemlich weit im Rücken hatten. Die Sonne trat jetzt majestätisch an dem von rosenfarbenem Feuer glühenden Horizont hervor und breitete ihre wärmenden Strahlen über die herrliche Gegend aus, als der Fremde das bisherige Schweigen brach, um, von der Majestät des aufgehenden Gestirns ergriffen, seinen Gefühlen für die Schönheit und die Erhabenheit der Natur Worte zu geben. Ludwig stimmte mit ihm ein, und entwickelte im Laufe dieses Gesprächs einen so begeisterten Scharfsinn, daß sein Reisegefährte nur mit der größten Aufmerksamkeit und Spannung seiner wahrhaft poetischen Rede zuhörte, und sich gedrungen fühlte, ihm seine herzliche Freude auszudrücken, in ihm einen Reisegefährten gefunden zu haben, wie er ihn sich schon lange gewünscht hätte. –

Hierauf erzählte Ludwig seine Reise durch den Teutoburger Wald und schilderte die Angst, die er bei seiner Verirrung ausgestanden hatte. Es ist aber meine eigene Schuld, fügte er hinzu, daß ich diesen Weg genommen habe, da ich eben so gut eine ganz andere Richtung hätte einschlagen können, um nach meinem nächsten Ziele, nach Coburg, zu gelangen; ich erwarte nur daselbst einen Brief von meinem Freunde, und dann ist es mir ganz gleich, wohin sich meine Schritte wenden.

Haben Sie denn keine Ältern oder sonstige Verwandte mehr? unterbrach ihn der Fremde.

Keine! entgegnete Ludwig betrübt.

So sind wir Leidensgefährten, rief der Fremde mit Wehmuth aus; trösten Sie sich mit mir, auch mir hat der Himmel die Meinigen genommen und als Fremdling stehe ich unter Fremdlingen; doch er scheint uns entschädigen zu wollen, da er auf so wunderbare Weise uns, zwei so verwandte Seelen, zusammenführt. Lassen Sie uns das, was uns das Schicksal geraubt hat, einer dem andern ersetzen; lassen Sie uns Freunde werden!

Mit diesen Worten bot er Ludwig seine Rechte dar, der sie ergriff und mit voller Kraft an sein Herz drückte.

Wenn ich nun überzeugt bin, fuhr er fort, daß Sie als wahrer Freund an meinem Schicksal Antheil nehmen, so will ich, in der Hoffnung, daß Sie es interessirt, Ihnen einen kleinen Abriß meiner Lebensgeschichte, die durch Verkettung voll Schicksalen mannigfacher Art sonderbar genug ist, getreu mittheilen.

III.

Mein Vater war einer der ersten Kaufleute zu H******;meine Mutter habe ich nicht gekannt, sie ist bei meiner Geburt gestorben. Ich als einziger Sohn sollte dem Wunsche meines Vaters gemäß die Handlung erlernen, um dereinst sein Geschäft übernehmen und fortführen zu können. Auch hatte er alle Vorkehrungen getroffen, daß ich einst als Kaufmann die glänzendste Rolle spielen könne. Er hatte nämlich mit einem angesehenen Kaufmanne zu H******, der sein Freund war, die Verabredung getroffen, daß ich dessen einzige Tochter, Karoline, heirathen sollte. Dies war der sehnlichste Wunsch sowohl meines Vaters, als auch der meines zukünftigen Schwiegervaters. Doch der Mensch denkt und Gott lenkt, und so geschah es auch hier.

Obgleich ich keine rechte Lust zum Kaufmannsstande hatte, so mußte ich doch dem ausdrücklichen Befehle meines Vaters Folge leisten, wenn ich nicht seinen ganzen Zorn auf mich laden wollte. Ich erlernte also die Handlung und brachte es auch bald dahin, daß ich meinem Vater selbst bei den wichtigsten Geschäften helfen konnte und verrichtete die mir übergebenen Aufträge stets zu dessen größter Zufriedenheit.

Der Handelsfreund meines Vaters, Herr B., kam oft zu uns und gab dann jedesmal seine Zufriedenheit zu erkennen, wenn mein Vater meine Geschicklichkeit zur Handlung lobte. Sehr oft ging auch mein Vater zu Herrn B., wo ich ihn öfters begleiten mußte. Hier hatte ich denn Gelegenheit, mit der Tochter des Letzteren, meiner zukünftigen Braut, nähere Bekanntschaft zu machen.

Für mich hatte Karoline anfänglich wegen ihrer Jugend nicht viel Interesse und ich bekümmerte mich daher wenig um sie. Doch später, als sich ihre Schönheit mehr und mehr entfaltete und sie zu einer herrlich blühenden Jungfrau herangewachsen war, wurde ich aufmerksamer und suchte öfters ihre Gesellschaft.

Ehe ich selbst wußte, was Liebe sei, hatte diese schon in meinem Herzen ihre Wohnung aufgeschlagen und das innigste Verhältniß entspann sich zwischen mir und Karoline zur größten Freude der beobachtenden Väter. In den Armen meiner Karoline, die bald für das schönste Mädchen in der Stadt galt, verlebte ich die seligste Zeit meines Lebens, und mit neidischen Augen wurde ich oft, wenn ich zu ihr ging, von vielen Stutzern, welche vergeblich das Haus meines Schwiegervaters umschwärmten, betrachtet. Doch dies kümmerte mich wenig. Es verging kein Tag, an welchem wir uns nicht gesprochen und die Schwüre unserer Liebe wiederholt hätten.

Ich wurde nun 22 Jahr und schon seit einigen Jahren hatte ich, wie man zu sagen pflegt, ausgelernt. Nun sollte ich nach dem Wunsche meines Vaters einige Jahre auf Reisen gehen, um mich ganz als Geschäftsmann auszubilden und dies war auch der Wille des Herrn B. Nach meiner Rückkehr, wenn ich die zum Kaufmannsstande erforderlichen Kenntnisse eingesammelt hätte, sollte die eheliche Verbindung zwischen mir und Karoline Statt finden. Was half's, ich mußte gehorchen, obgleich ich mich mit schwerem Herzen von meiner Geliebten trennte.

Der Tag meiner Abreise wurde bestimmt und er erschien nur zu schnell für mich und Karoline. Am Tage vorher hatte mein Vater einen prächtigen Ball veranstaltet, um mir die letzte Zeit meines Daseins noch recht zu versüßen, und zu dem Ende alle Bekannten, unter denen sich natürlich auch Herr B. mit seiner Tochter, meiner geliebten Karoline, befand, eingeladen. Noch jetzt gedenke ich mit Vergnügen dieses Tages, und vorzüglich schwebt mir die Scene stets vor Augen, wo mein Vater von dem reich besetzten Ehrentische, den schweren silbernen Pokal in der Hand, aufstand, und mit freundlichen Worten um Ruhe bat. Lächelnd blickte er auf mich und meine Geliebte, welche an meiner Seite saß, als seine volltönende Stimme erscholl.

»Meine verehrungswürdigen Anwesenden! Um die Freude dieses Tages zu erhöhen, mache ich Ihnen die Verlobung meines Sohnes mit der ehrbaren Tochter meines Freundes, des Herrn Kaufmann B., bekannt.«

Hoch schwang er den Pokal und mit den Worten: Es lebe Braut und Bräutigam! leerte er mit einem Zuge den gefüllten Becher. Diesem Beispiele folgte die ganze Versammlung. Ein schmetternder Vivatruf, von dem die Wände des Saales erdröhnten, erscholl, und aus dem Munde aller Anwesenden strömten mir und meiner Braut Glückwünsche entgegen. Im Uebermaaße meines Gefühls sank ich meiner Karoline in die Arme, und wir statteten vereint unsern Vätern den herzlichsten Dank ab. Herr B. gab jedem von uns Beiden einen prächtigen Ring, als Denkmal unserer Verlobung; denselben, den Sie, lieber Freund, noch an meinem Finger sehen.

Als der fröhliche Tag verflossen war und die Stunde der Trennung kam, fiel mir meine Geliebte noch einmal bewegt in die Arme und brachte unter Schluchzen die Worte hervor:

Karl, werde mir in der Fremde nicht ungetreu, denk auch da an deine Karoline, die dein auf ewig ist.

Mehr vermochte sie nicht zu sagen; die Stimme, durch den Thränenstrom gehemmt, versagte ihre Dienste. Stürmisch drückte ich sie an meine Brust und versicherte ihr mit feierlichen Worten, unter allen Verhältnissen im Leben, ihr treu zu bleiben, – und der Abschiedskuß brannte auf ihren Lippen und besiegelte meine feierlichen Schwüre.

Nachdem ich auch von meinen übrigen Bekannten Abschied genommen hatte, trat ich, von tausend Glückwünschen begleitet, mit dem Segen meines Vaters die Reise an, die zunächst nach Magdeburg ging, wo ich einige Geschäfte zu verrichten hatte. Nachdem diese besorgt und die Merkwürdigkeiten dieser Stadt in Augenschein genommen waren, verfolgte ich meine Reise weiter; doch hier die Nebenumstände derselben zu erzählen, würde Sie langweilen. Genug, ich besuchte die angesehensten Städte Deutschlands.

In der Fremde vergaß ich keinesweges meine Geliebte, stets stand ich mit ihr in Briefwechsel und erzählte ihr die Merkwürdigkeiten, die mir unterwegs aufstießen; sie hingegen benachrichtigte mich von den Ereignissen meiner Vaterstadt. Unter diesen Umständen, da ich stets einen gefüllten Geldbeutel hatte, gefiel mir das Reisen recht wohl, und wenn ich meine Braut bei mir gehabt hätte, so wäre mir nichts zu wünschen übrig geblieben.

Etwas länger als ein Jahr war ich von meiner Vaterstadt entfernt, als ich von meinem Vater einen Brief erhielt, der mich in namenloses Schrecken setzte. Er forderte mich darin zur schleunigsten Rückkehr auf. Ein Handelshaus, bei dem mein Vater große Summen stehen hatte, hatte fallirt, und ich sollte, da mein Vater durch Kränklichkeit von der Besorgung dieses Geschäfts abgehalten wurde, seine Sachen bei dem eintretenden Concurs in Richtigkeit bringen. So ungern ich auch meine Reise aufgab, so forderte es doch auch mein eigenes Interesse, daß ich unverzüglich meinen Rückweg antrat. Ich fuhr sogleich mit der Schnellpost ab und nach Verlauf von drei Tagen trat ich in das Haus meines Vaters.

Ein kalter Schauer überlief meinen Rücken, als ich das Gewölbe meines Vaters geschlossen fand. Ich ging bestürzt in die Stube, wo ich meinen Vater, über dessen eingefallene Wangen ich erschrak, auf seinem Lehnstuhl am Ofen antraf. Er schloß mich weinend in seine Arme und blickte mich lange mit einem Angesicht, in dessen Zügen die unverkennbarsten Spuren von tiefem Kummer zu lesen waren, wehmüthig an.

Die Sachen, mein Sohn, sprach er, haben sich seit deiner Abwesenheit sehr verändert. Noch vor einigen Wochen glaubte ich einer der reichsten Einwohner hier zu sein, und jetzt bin ich fast an den Bettelstab gebracht.

Ich konnte vor Erstaunen und Schrecken nicht zu Worten kommen und traute kaum meinen Augen und Ohren. Endlich gewann ich Muth, nach der Ursache des ganzen Vorfalls zu fragen. Auch mein Vater war ergriffen, und mußte sich sammeln, ehe er mich von Allem in Kenntniß setzen konnte.

Die traurigen Vorfälle, fing er seine Erzählung an, sind diese. Mit den Handelshäusern G. & H. In L**** stand ich, wie du wissen wirst, in Handelsverkehr, und hatte von ihnen für gelieferte Waare, so wie an baarem Gelde eine Summe von 17,000 Rthlrn. zu fordern. Da ich leider die traurigen Verhältnisse der Handelshäuser nicht kannte, und nicht anders glaubte, als befänden sich dieselben im blühendsten Zustande, so ließ ich mich vor ungefähr sechs Wochen verleiten, ihnen auf einen Wechsel noch 30,000 Rthlr. zu leihen. Ich hatte gerade das Geld zum Theil liegen, zum Theil ließ ich mir's ebenfalls auf Wechsel zahlen. Daß ich etwas unbedachtsam zu Werke ging, fuhr mein Vater fort, muß ich selbst eingestehen; ich bereute schon nach einigen Tagen meine Übereilung. Ich hatte es nämlich meinem Freunde erzählt, welcher bestürzt in die Hände schlug.

Mein Gott! rief er aus, wissen Sie denn nicht, daß diese Häuser dem Banquerotte nahe sind, warum haben Sie mich denn nicht darum gefragt? Beeilen Sie sich um Gottes willen und retten Sie wenigstens etwas von Ihrem Gelde.

Ich war wie vom Schlage gerührt und mein erstes Geschäft war, daß ich unsern Reisediener dahin sandte, um Erkundigung darüber einzuziehen. Ich erhielt von diesem die beruhigendsten Briefe, so daß ich selbst über meine Ängstlichkeit lachen mußte und mich an die Warnung des alten B. nicht kehrte. Unser Reisediener kehrte nach vierzehn Tagen zurück und versicherte, daß ich wegen meines Geldes ganz unbesorgt sein könne. Ein leeres Geschwätz habe sich allerdings von diesen Häusern verbreitet, doch an einen Banquerott sei, unter jetzigen Umständen, durchaus nicht zu denken. Dadurch ermuthigt, trug ich unserm Reisediener noch auf, die Gelder mehrerer abgelaufenen Wechsel für mich in Empfang zu nehmen. Ich that dies unbedenklich, weil ich sowohl von seiner Ehrlichkeit, als auch von seiner Dankbarkeit überzeugt zu sein glaubte.

Doch denke Dir! dieser Mensch, den ich als mein Kind erzogen, und mit Wohlthaten aller Art, wie Du wissen wirst, überhäuft habe, hat nicht nur das Geld der abgelaufenen Wechsel in Empfang genommen, sondern auch mit Hülfe der von mir in Händen habenden Vollmachten große Summen auf meinen Namen geborgt, so daß der Betrag sich auf 45,000 Rthlr. beläuft. Seitdem ist dieser treulose, undankbare Mensch spurlos verschwunden. Die letzte Nachricht, die ich über ihn erhalten habe, ist die, daß er allem Anscheine nach mit dem Gelde nach Amerika entwichen ist.

Kurz nach diesem Vorfalle brach der Concurs über die vorhin erwähnten Handelshäuser aus, wobei für uns, den Umständen nach, wenig oder nichts zu retten ist.

Dazu kommt noch, daß ich bei dem jetzigen Kornhandel, da das Getraide plötzlich im Preise fiel, über 10,000 Rthlr. einbüße. So traf mich ein Schlag nach dem andern. Überall wurde bald mein Zustand, da ich kein Geheimniß daraus machte, bekannt, und von allen Seiten wurde ich hart gedrängt, und zwar so, daß du unser Gewölbe verschlossen und unsere Effecten versiegelt findest.

Dies ist die kurze Erzählung des traurigen Vorfalles, mein Sohn, schloß er schluchzend seine Rede, Du stehst nun am Bettelstabe, Du wirst ein Wehe über Deinen alten Vater ausrufen, dessen Unbedachtsamkeit Dich ins Unglück gestürzt hat. – Doch fluchen wirst Du mir gewiß nicht, mein Sohn, sagte er, mir seine Arme öffnend, ich werde wohl schwerlich diesen Fall überleben; denn ich fühle nur zu wohl, daß er mich zu schwer getroffen und meine Lebenskraft vernichtet hat!

Vater, rief ich, ihm in die Arme fallend, tröste Dich über den Verlust Deiner Güter, Du hast einen Sohn, der im Nothfalle für Dich arbeiten und den letzten Bissen mit Dir theilen wird.

Mein Sohn, rief er jetzt im Uebermaaße seines Schmerzes, wisse denn Alles, Alles, was mir die Brust zersprengen möchte, Du wirst auch auf Deine Heirath verzichten müssen; denn der alte B., der so sehr mein Freund sein wollte, hat auch jetzt seine wahre Gesinnung an den Tag gelegt und mich in meiner Noth verlassen.

Erschöpft sank mein guter Vater in den Lehnsessel zurück, da ein gewaltiger Brustkrampf ihm das Sprechen versagte. Nach einiger Zeit fiel er in einen sanften Schlaf, aus welchem ich ihn nicht gern stören wollte.

Was nach dieser Erzählung in meinem Innern vorging, vermag ich nicht zu schildern; genug ich ging, nachdem ich meine Reisekleider abgelegt und mich etwas gesammelt hatte, zu Herrn B., um ein Näheres über die unglücklichen Verhältnisse meines Vaters zu erfahren und zugleich zu beobachten, was für eine Wirkung mein Erscheinen bei meinem künftigen Schwiegervater machen würde. Denn im väterlichen Hause hatte ich keine Ruhe, mich trieb's von hinnen, um das Uebermaaß meines Schmerzes voll zu machen.

Ich traf Herrn B. allein in seiner Arbeitsstube, mit dem Lesen eines Briefes beschäftigt. Als er mich erblickte, legte er verlegen den Brief bei Seite und suchte, nachdem ich von unsern Unglücksfällen gesprochen, einige Beileidsbezeugungen hervorzubringen, welche aber so abgemessen und kalt waren, daß mir in seiner Nähe ängstlich wurde. Als ich nach seiner Tochter, meiner Verlobten, fragte, wurde er noch verlegener und suchte diesem Thema mit unverständlichen Entschuldigungen auszubeugen. Doch als ich ernstlicher in ihn drang, sagte er mit trockenen Worten: Es thut mir leid, mein Herr, daß Sie diesen Gegenstand berühren; Sie sehen, daß ich durch Umstände gezwungen, den Beschluß in Hinsicht meiner Tochter ändern mußte; Sie werden mich daher sehr verbinden, wenn Sie das Geschehene vergessen und sich nicht wieder nach meiner Tochter, – ja was soll ich's läugnen, – die schon mit einem Andern verlobt ist, erkundigen.

Solche Antwort hatte ich doch nicht erwartet; sie beleidigte an und für sich schon mein Zartgefühl nicht wenig, noch mehr aber erbitterte mich der kalte, gefühllose Ton, mit dem er sie gab, und alle Glieder zitterten mir vor innerer Aufregung. Doch suchte ich mich zu fassen. Mein Stolz erwachte, und so ruhig als möglich sagte ich ihm, daß ich eigentlich nicht gekommen sei, um alte Rechte geltend zu machen, sondern nur, wie es sich den vorigen Verhältnissen nach schicke, um nach seinem und Karolinens Wohlbefinden zu fragen.

Daß ich die Ansprüche auf Ihre Tochter, setzte ich hinzu, in meiner jetzigen Lage aufgeben muß, davon haben Sie mich so eben überzeugt; – obgleich ich nach Ihrer eigenen früheren Verfügung (und damit zeigte ich auf meinen Verlobungsring) ein Recht hätte, die Hand Ihrer Tochter mit Nachdruck zu fordern, so bin ich doch zu stolz, das von Ihnen zu erbetteln oder im Wege Rechtens zu verfolgen, was vor Gott und Menschen mein Eigenthum ist. Doch, wie konnten Sie auch, fügte ich bitter hinzu, nur im entferntesten glauben, daß der in tiefe Armuth gerathene und deswegen von Ihnen verachtete Jüngling dem Gedanken, auf die Tochter des reichsten Mannes in H****** Ansprüche zu machen, ferner noch Raum geben würde?

Erstaunt hatte mich der alte B. mit angehört, denn dies mochte ihm wohl ganz unerwartet kommen. Er suchte mir noch einige Verbindlichkeiten zu sagen und Entschuldigungen vorzubringen, die aber seine unedle Gesinnung nur noch stärker beurkundeten. Ich empfahl mich mit dem festen Vorsatze, sein Haus nie wieder zu betreten.

Mit zerknirschtem Herzen gelangte ich in das Haus meines Vaters, der während der Zeit, weil sich sein Zustand sehr verschlimmert hatte, nach dem Bette gebracht worden war. In halber Verzweiflung warf ich mich auf das Sopha, woselbst ich Muße hatte, über meine Lage nachzudenken. Jetzt, nachdem ich die Gesinnungen des alten B. erkannt hatte, war mir Alles gleichgültig; keine Thräne entquoll weinen Augen und machte meinem gepreßten Herzen Luft. Wer weiß, was ich in diesem Zustande gethan haben würde, wenn nicht das holde Bild meiner Geliebten meiner aufgeregten Phantasie sich dargestellt hätte. Ob sie mich denn auch vergessen hat? Hat auch sie in mir nur den reichen Jüngling geliebt? Diese und ähnliche Gedanken durchkreuzten mein Gehirn.

Doch auch das Bild meines leidenden Vaters schwebte vor meinen Augen, und mit ängstlicher Unruhe näherte ich mich, nachdem ich gehört, daß er aufgewacht war, seinem Bette. Aber Entsetzen durchbebte meine Glieder, als ich ihn erblickte. Todtenblässe bedeckte sein tief eingefallenes Gesicht und fast bewußtlos lag er da, die abgemagerten Hände zum Gebet gefaltet. Mit halb gebrochenen Augen blickte er mich an und versuchte zu sprechen; aber vor Mattigkeit war er nicht im Stande, auch nur einige Worte hervorzubringen.

Sein Zustand verschlimmerte sich mit jeder Stunde; keine Kunst der Aerzte vermochte das mir so theure Leben zu erhalten; er verschied am vierten Tage meines Dortseins in meinen Armen. Mein Schmerz darüber war grenzenlos. Nun stand ich allein in der Welt. Von allen Freunden, die früher um meine Bekanntschaft gebuhlt hatten, verlassen, hatte ich keinen, dem ich mein Leid klagen konnte.

Diese auf einander folgenden Schläge konnte auch der rüstigste Körper nicht aushalten; ich verfiel in eine hitzige Krankheit, von der ich erst nach mehreren Wochen genas. Sodann wurde das Haus und das Kaufgewölbe nebst sämmtlichen Effecten meines Vaters verkauft und die Gläubiger aus deren Erlös befriedigt. Auch das wenige Geld, das von den banquerotten Handelshäusern gerettet wurde, nahmen die unbarmherzigen Gläubiger in Beschlag, so daß mir von dem ansehnlichen Vermögen meines Vaters, nachdem alle Schulden bezahlt waren, nur 500 Rthlr. blieben. Mir stand also kein anderer Ausweg offen, als anderswo mein Glück zu versuchen. Doch ehe ich von meiner Vaterstadt schied, hatte ich mir fest vorgenommen, noch einmal mit meiner Karoline zu sprechen; aber wie dies unbemerkt geschehen könnte, war für mich eine schwere Aufgabe. Doch bald bot sich mir eine Gelegenheit dar. Ihr Vater war nämlich auf einige Tage verreist und ich ging des Abends an seinem Hause vorbei, mit der Hoffnung, meine Geliebte zu sehen und zu sprechen.

Das Glück war mir auch günstig; sie stand, da es ein schöner Frühlingsabend war, vor der Hausthür. Von ihr Anfangs nicht bemerkt, beobachtete ich sie – kaum traute ich meinen Augen, als ich die früher in Fülle der Gesundheit blühende Jungfrau gleichsam dahingewelkt, ihre Wangen, einst von der feinsten Röthe überzogen, blaß und entfärbt und die einst entzückend feurigen Augen matt und leidend vor sich hinblicken sah. Als sie meiner ansichtig wurde, überflog eine leichte Röthe das Angesicht der holden Jungfrau.

Mein Gott, Karl, sind Sie es? rief sie, als sie sich von der ersten Ueberraschung gesammelt hatte, und wollte in meine Arme stürzen; doch sie besann sich, ergriff mich bei der Hand und führte mich, da ich unwillkürlich folgte, in eine Laube ihres Gartens. Hier warf sie sich in meine Arme und weder ich noch sie konnten vor dem Uebermaaße unserer Seligkeit zu Worte kommen.

Endlich brach sie das Schweigen und erzählte mir mit weinenden Augen, daß ihr Vater sie während meines Hierseins mit Falkenaugen bewacht, sie sogar einige Wochen aus H****** entfernt und unter die strenge Aufsicht einer alten Base gestellt habe, wo es ihr nicht möglich gewesen sei, mir auch nur die entfernteste Nachricht von sich zu geben. Nach vielen Bitten hätte sich nun ihr Vater bewogen gefunden, sie gestern, weil er eine wichtige Reise zu machen gehabt, nach der Stadt zurückzubringen, um nur das Haus nicht ganz unter fremder Aufsicht zu lassen; jedoch werde sie, fügte sie schluchzend hinzu, nach ihres Vaters hinterlassenen Befehlen, von der alten Base überall streng beobachtet.

Sie suchte mich auch, als das Gespräch auf meine Verhältnisse kam, über meinen Verlust zu trösten, und benachrichtigte mich unter andern, daß ihr Vater sie zu einer Heirath zwingen wolle, die sie unter keinen Umständen eingehen würde und könnte. Ich setzte sie dagegen von dem, was zwischen mir und ihrem Vater vorgefallen war, so wie von meinem Entschlusse in Kenntniß, daß ich bald – vielleicht auf immer – von ihr Abschied nehmen müßte.

Karl, rief sie mit zitternder Stimme, wenn Sie das können, so haben Sie mich nie geliebt! Nein, das können Sie nicht, Sie werden mich nicht verlassen; ich gehöre Ihnen, ich bin Ihre Verlobte, Sie dürfen mich nicht verstoßen; dabei umschlang sie mich mit ihren Armen, als könnte uns keine irdische Macht trennen.

Ich stellte ihr mit klaren Worten die Unmöglichkeit der Erfüllung ihres Wunsches dar, und überzeugte sie, nach langer Widerrede, von der Nothwendigkeit meiner Abreise, da ich unter meinen jetzigen Umständen unmöglich länger in meiner Vaterstadt bleiben könne.

Wenn Sie denn reisen müssen, sagte sie mit einem Blicke, der mich tief erschütterte, so gönnen Sie mir Ihre Gegenwart wenigstens noch bis zur Rückkehr meines Vaters.

Ich versprach es und trennte mich nun von ihr für diesen Abend, da es schon ziemlich spät war.

Noch zweimal wurde mir das Glück zu Theil, sie an dem nämlichen Orte zu sprechen. Bei dem letzten Besuche, wo ich vielleicht auf immer oder doch wenigstens auf lange Zeit von ihr Abschied nehmen wollte, war sie ganz untröstlich. Nach wiederholten Schwüren meiner ewigen Liebe und Treue mußte ich ihr noch versprechen, nachdem sie mir ihre Adresse eingehändigt, recht oft über meinen Aufenthalt und meine Verhältnisse Nachricht zu geben. Endlich drückte sie mir noch ein kleines Päckchen in die Hände, mit der Bitte, den Inhalt als ein Pfand der treuesten Liebe von ihr anzunehmen. Ich nahm dasselbe, schloß meine Geliebte noch einmal stürmisch in meine Arme, und die feurigsten Küsse, die letzten bis jetzt, überzeugten mich, daß Karoline meinem Herzen theurer als jemals war.

Mitternacht war vorüber, als dieser schwere Schritt vollbracht war und ich in meiner Miethwohnung anlangte. In dem Packete fand ich von ihrem Haar eine schöne Locke, die ich voll Rührung an mein Herz drückte, nebst einem Briefchen, in welchem zu meinem größten Erstaunen ein Wechsel von 500 Rthlr. eingewickelt war. Ich war fest entschlossen, ihr den Wechsel wieder zuzustellen, denn ich glaubte gewiß, daß sie nicht nur ihre Sparkasse, sondern wahrscheinlich auch einige von ihren Schmucksachen aufgeopfert habe, um mir meine Lage etwas zu erleichtern. Doch in dem Briefe selbst beschwor sie mich bei ihrer Liebe, ihr die einzige Gefälligkeit zu erzeigen, und das Wenige, was sie überflüssig entbehren könne, anzunehmen. Schweigend drückte ich die Zeilen ihrer Handschrift an meine Lippen und ein Thränenstrom machte meinem beklemmten Herzen Luft.

Den folgenden Tag, nachdem ich alle meine Geschäfte in Richtigkeit gebracht hatte, verließ ich mit schwerem Herzen meine Vaterstadt, und mein anfänglicher Vorsatz war auch, Europa ganz zu verlassen, um in dem neuen Erdtheile mein Glück zu versuchen. Doch hiervon wurde ich theils durch den Gedanken an meine Geliebte, theils auch durch manche andere Umstände abgehalten. Ich wandte mich nämlich zunächst nach R., wo ich zu meiner nicht geringen Freude in einem ansehnlichen Handelshause, mit welchem mein Vater früher bedeutende Geschäfte gemacht hatte, ein gutes Unterkommen fand und von dem Herrn S***, der selbst meinen Vater gekannt hatte, ausgezeichnet aufgenommen wurde. Ich lernte mich jetzt nach und nach in mein Unglück schicken und vergaß den Schmerz immer mehr, der an meinem Herzen nagte.

Mit meiner Karoline stand ich fortwährend in Briefwechsel, sie gab mir stets die untrüglichsten Beweise und Versicherungen ihrer Liebe und beschwerte sich oft über den festen Vorsatz ihres Vaters, sie mit einem reichen, ältlichen Kaufmann zu vermählen.

Unter solchen Umständen verging ein Jahr nach dem andern; mein Prinzipal war wegen meiner Geschäftskenntniß und meines soliden, eingezogenen Lebens mir sehr gewogen, und vertraute mir in Folge dessen die wichtigsten Geschäfte an. Vier Jahre schon war ich nun in seinem Hause, als sich plötzlich mein Schicksal änderte, und mein Glücksstern aufs Neue zu glänzen anfing.

Schon hatte ich mir durch Sparsamkeit ein hübsches Sümmchen erworben, doch reichte dies freilich nicht hin, mir eine sichere Existenz zu begründen; allein ein glücklicher Zufall ließ mein kleines Vermögen zu einer nicht unbedeutenden Höhe heranwachsen. Durch Zureden eines unserer Handlungsdiener bewogen, spielte ich nämlich mit diesem gemeinschaftlich ein Lotterieloos, und erhielt unerwartet die erfreuliche Nachricht, daß ich auf meinen Antheil 50,000 Fl. gewonnen hätte.

Dieser Glücksfall veranlaßte mich nun, daß ich ohne Zögern meinen Dienst aufsagte und mich entschloß, nach meiner Vaterstadt zurück, zukehren, um bei dem alten B. um die Hand seiner Tochter anzuhalten, die er mir wohl schwerlich unter den jetzigen Umständen verweigern wird.

Diesen Vorsatz will ich jetzt in Ausführung bringen und bin auf dem Wege nach meiner Heimath begriffen. Der schönen Jahreszeit und der herrlichen Gegend halber habe ich die Reise zu Fuße gemacht, und so das Glück gehabt, Ihre mir so werthe Bekanntschaft zu machen.

 

Hiermit schloß der Kaufmann seine Erzählung, Ludwig aber konnte nicht umhin, ihm seine herzliche Freude auszudrücken, daß nach schweren Schicksalen, die er überstanden, ihm die Sonne des Glücks wieder lächle und der Himmel seine schönsten Hoffnungen in Erfüllung gehen zu lassen scheine.

IV.

Unterdessen waren die beiden Reisenden in Coburg angelangt, und beschlossen einstimmig, da des Kaufmanns Geschäfte längeren Aufenthalt erforderten und auch für Ludwig der erwartete Brief von seinem Freunde noch nicht eingegangen war, einige Tage daselbst zu verweilen, ehe sie ihre Weiterreise fortsetzten.

Als sie einst Arm in Arm vor den Thoren Coburgs spazieren gingen, erbot sich auch Ludwig, seinem Freunde von seinen Lebens-Ereignissen eine kurze Mittheilung zu machen. – Gespannt hörte der Kaufmann zu, als Ludwig begann.

 

Von meinen Ältern ist mir wenig bekannt, weil ich sie beide an einem Tage in meinen Kinderjahren durch einen traurigen Vorfall verlor. Nur so viel kann ich mich erinnern, daß mein Vater ein Fischer war, und mit meiner Mutter nebst mir eine kleine Fischerhütte unfern des Rheins bewohnte, und daß eines Abends bei einem fürchterlichen Unwetter ein Fremder in unsere Hütte trat, der meinen Vater zu bewegen wußte, ihn unverweilt über den Rhein zu setzen. Seitdem habe ich meinen Vater nicht wiedergesehen. Sein Leichnam ist den folgenden Tag von andern Fischern ganz zerschellt aufgefunden und begraben worden. Meine Mutter dagegen wurde am Ufer des Rheins ohnmächtig von den zu ihrem Beistande herzugeeilten Fischern aufgefunden. Man brachte sie zwar in eine nahegelegene Wohnung, wo sie sich auf Augenblicke erholte; allein der übermenschliche Schmerz machte noch am selbigen Tage ihrem Leben ein Ende.

Schrecklich war für mich, einem neunjährigen Knaben, der Verlust meiner Ältern. Ich stand allein im älterlichen Hause und rief vergebens, da weder mein Vater noch meine Mutter zurückkehrten und mir Nahrung reichten, mit weinender Stimme ihre Namen. Nichts vernahm ich, als den Widerhall meiner eigenen Stimme. Niemand erschien und wollte sich des verlassenen Knaben annehmen. Von fürchterlichem Hunger gepeinigt, suchte ich vergebens nach Brot, und machte, da schon der Abend herannahte und zugleich auch meine Furcht wuchs, öftere Versuche, unsere Stube zu verlassen, die ich aber zu meiner noch größeren Angst verschlossen fand.

Nach langem Drängen und Pochen gelang es endlich meinen schwachen Kräften, die Stubenthür, die nur schlecht verwahrt werden konnte, zu öffnen, als der Prediger, begleitet von einigen Männern des nahe gelegenen Dorfes, auf mich zutrat, und mich fragte, wo ich hin wolle? Vater und Mutter suchen, rief ich, die schon den ganzen Tag fort sind. Mit freundlichen Worten führte er mich zurück, suchte mich zu beruhigen und gab mir ein Stück Kuchen, welches ich begierig verschlang. Als ich darauf wieder unaufhörlich nach meinen Ältern fragte, sprach der alte Pfarrer nach vielen Trostreden zu mir:

Deine Altern, lieber Sohn, werden nicht wiederkommen, sie sind in eine bessere Welt eingegangen, wo es ihnen sehr gut geht und sind böse auf Dich, wenn Du so oft nach ihnen fragst und nicht aufhörst zu weinen.

Durch solche und ähnliche Worte, denen ich aufmerksam zuhörte, gelang es ihm endlich, mich zu beruhigen. Zufällig fiel sein Blick auf einen Geldbeutel, den der Fremde auf den Tisch gelegt hatte, und er fragte mich, wem dieser gehöre. – Ich erzählte ihm davon, so viel ich wußte, daß ein fremder Mann denselben meinem Vater gegeben, welcher ihn dafür über den Rhein gefahren habe. Nachdem er mit Fragen mich genugsam abgequält hatte, zählte er das darin befindliche Geld und sprach dann mit den anwesenden Personen. Darauf ergriff er mich bei der Hand und sagte zu mir:

Höre, lieber Sohn, in diesem Hause kannst Du nicht länger allein bleiben, Du mußt mit mir nach dem Dorfe kommen, wo Du viele Spielfreunde Deines Alters finden wirst. Wenn Du mir versprichst, immer hübsch zu folgen, so will ich Dich zu mir nehmen und Dich als mein eigenes Kind erziehen.

Ich folgte diesem Manne, der mir durch sein ganzes Benehmen Zutrauen eingeflößt hatte, sehr gern, und versprach Alles zu thun, was man von mir verlangen würde. In seinem Hause angelangt, wurde ich von seiner Frau, nachdem er mit ihr über mich gesprochen hatte, herzlich empfangen und mit Küssen überhäuft.

Bald war ich in diesem Hause ganz einheimisch; meine unglücklichen Altern hatte ich unter den Liebkosungen meiner Pflegeältern nach und nach fast vergessen, und im frohen Treiben meiner Kinderspiele blieb mir unter diesen Verhältnissen nichts zu wünschen übrig. Meine Pflegeältern liebte ich über Alles, denn sie überhäuften mich mit Wohlthaten und erzogen mich, da sie selbst kinderlos waren, als ihr eigenes Kind. Groß war daher meine Betrübniß, als nach einigen Jahren meines Daseins meine Pflegemutter mir durch den Tod entrissen ward; ja ich vergoß darüber vielleicht mehr Thränen, als ich über den Tod meiner unglücklichen Ältern geweint habe.

Gern übernahm ich, nun schon ziemlich herangewachsen, gemeinschaftlich mit dem alten Pfarrer die Besorgung der häuslichen Geschäfte, und mein Pflegevater lobte mich oft über meinen rastlosen Eifer. Dafür lehrte er mich auch lesen und schreiben und unterrichtete mich über andere Gegenstände. Hierin machte ich bald zu seiner nicht geringen Freude die schnellsten Fortschritte, so daß er, von meinen Fähigkeiten überzeugt, mich auf ein Gymnasium schickte, wo ich meine weitere Bildung erhalten sollte. Durch den angestrengtesten Fleiß übertraf ich bald alle meine Mitschüler und erwarb mir dadurch die Liebe meiner sämmtlichen Lehrer. Mein Pflegevater war darüber außer sich vor Freude und schloß mich voll väterlicher Liebe in seine Arme, als ich später meine Schulzeit beendet hatte, und er mich nach meinem angetretenen l9ten Jahre nach der Universität G******** bringen konnte.

Durch eigene Entbehrung bestritt der gute Greis die bedeutenden Kosten und sorgte väterlich für alle meine Bedürfnisse. Doch nicht lange sollte mir diese Aufopferung werden; der gute Pfarrer, dem ich Alles zu verdanken hatte, starb, nachdem ich erst ein Jahr auf der Universität war.

Mit dem Tode meines Pflegevaters hörten auch meine Hülfsquellen auf und ich wurde in die traurige Nothwendigkeit versetzt, für meine Erhaltung selbstständig zu sorgen. Doch der Himmel half auch hier weiter. Meine Professoren, deren Liebe ich durch gutes Betragen und Befolgung der gegebenen Vorschriften gewonnen hatte, und welche von meinem hülflosen Zustande unterrichtet waren, verstatteten mir unentgeldlichen Besuch der Collegia, und durch ihre Empfehlung ertheilte ich auch Privat-Unterricht in einigen Häusern, wodurch ich meine übrigen Ausgaben bestreiten konnte. Auf diese Weise wurde mir freilich unter sehr beschränkten Umständen mein weiteres Studium möglich.

Ruhig verlebte ich meine Studienjahre, ohne mich um das wüste Treiben einiger meiner Commilitonen, von denen ich öfter zur Theilnahme ihrer losen Streiche aufgefordert ward, zu kümmern, bis meine Laufbahn durch ein unerwartet trauriges Ereigniß plötzlich eine andere Richtung bekam.

Eines Tages ließ ich mich nämlich von einigen meiner nächsten Bekannten vom Spaziergange abhalten und zum Besuche eines Weinhauses verleiten, wobei sie mir, da sie meinen Geldmangel kannten, freie Zeche versprachen. Nach Leerung einiger Flaschen guten Rheinweins ging es äußerst lustig her, und vorzüglich mußten Tische und Stühle, so wie Gläser und leere Flaschen diese ausgelassene Fröhlichkeit empfinden. Nachdem tolle Streiche in Menge ausgeübt waren, schien es einem Herrn von L********, der ziemlich vom Weine erhitzt war, besonders zu gefallen, meine Person zur Zielscheibe äußerst beleidigender Witze zu gebrauchen. Eine ganze Weile that ich, als bemerkte ich dergleichen nicht, in der Hoffnung, daß dieselben aufhören sollten, auch größtentheils darum, um nicht zu ernsten Auftritten Veranlassung zu geben.

Doch als sich diese Witze in Spott verwandelten, und oft mit schallendem Gelächter begleitet wurden, ja andere Anwesende, aufmerksam gemacht, sich eines Lächelns nicht enthalten konnten, da riß der Faden meiner Geduld:

Herr, sagte ich zu ihm, mit vor Wuth zitternder Stimme, bin ich der Gegenstand Ihrer abgeschmackten Witze, so geben Sie mir Rechenschaft, was Sie dazu berechtigt, und schlug mit der Hand an meinen Degen.

Wer sonst? sagte er mit gellendem Lachen, wenn Sie dieses nicht schon längst gemerkt haben, so steht es schlecht mit Ihrem Verstande. Doch seht, fuhr er fort, was der Bursche für drohende Bewegungen macht, als sei er der chevalier sans peur et sans reproche.

Was soll denn der Schlag an den Degen bedeuten? rief er von seinem Sitze aufspringend; einem solchen Bücherwurm, wie Sie sind, der heute zum ersten Male ins wahre Leben eintritt, steht das übel an.

Ohne Zweifel würde er sogleich über mich hergefallen sein, wenn ihn nicht die andern Studenten zurückgezogen hätten. Allein, einmal aufgeregt, ergriff er ein volles Weinglas, welches vor ihm stand und goß mir den Inhalt desselben ins Gesicht.

Das war mehr, als selbst der geduldigste Charakter zu ertragen vermochte. Schnell wie der Blitz hatte er einen solchen Backenstreich, daß er vom Stuhle zurücktaumelte und der Länge nach zur Erde stürzte. Außer sich vor Wuth richtete sich Herr von L******** wieder auf, zog seinen Degen und hieb wüthend auf mich ein, ehe ich Zeit bekam, den meinigen zu ziehen. Wir wurden jedoch von den Übrigen, welche eigentlich schon eher hätten hemmend dazwischen treten sollen, getrennt, und nach einstimmigem Beschluß sollten wir unsere Sache, da mein Gegner darauf bestand, im Freien mit dem Degen ausmachen.

So gern ich mich einem Duell entzogen hätte, so konnte ich doch unter diesen Umständen nicht zurücktreten und mußte wohl gute Miene zum bösen Spiel machen. Ein passender, abgelegener Ort außerhalb der Stadt war bald aufgefunden, wo wir uns denn nach Anordnung der Secundanten gegenüber stellten. Wüthend drang mein Gegner auf mich ein, und machte mir durch seine von Hitze verdoppelten Hiebe nicht wenig zu schaffen. Ich dagegen focht mit möglichster Ruhe, indem ich mich stets auf Vertheidigung beschränkte und nur eine von den vielen Blößen, die er gab, zu benutzen suchte, um ihm einen leichten und nicht gefährlichen Denkzettel geben zu können. Doch schon nach einigen Gängen fuhr mein Degen, ohne daß ich's verhindern konnte, ihm in die Brust, so daß er unter heftigen Flüchen zur Erde taumelte.

Ihr Degen hat gut getroffen, rief mein Secundant; der wandert mit Sturmschritten dem Himmel zu; machen wir uns schnell aus dem Staube, die Andern werden sich schon des Verwundeten, der schwerlich zu retten ist, annehmen. Kommen Sie! rief er wiederholt; doch fruchtlos verhallte diese Mahnung an meinem Ohre.

Starr vor Entsetzen blickte ich auf meinen Gegner, der in seinem Blute schwimmend und wahrscheinlich vom fürchterlichen Schmerze gequält, sich wie ein Wurm von einer Seite zur andern wand. Verzweiflungsvoll stürzte ich zu ihm nieder, und suchte, ungeachtet ein Arzt bei der Hand war, mit einem Tuche den Strom seines quillenden Blutes zu hemmen.

O, vergeben Sie mir, Ihrem Mörder! rief ich einmal über das andere mit ängstlicher Stimme, – aber kaltes bewußtloses Anstarren, mit den fast verlöschenden Augen, war die einzige Antwort des unglücklichen Opfers jugendlichen Ungestüms. Du bist ein Mörder! tönte eine gräßliche Stimme in meinem Innern und krampfhaft faßte ich schon den Degen, um mir ihn selbst in die Brust zu stoßen, als mein Secundant, der an dergleichen Auftritte wahrscheinlich schon gewöhnt war, mich ohne weitere Umstände beim Arm nahm und mit fortriß. Noch einen Blick warf ich auf meinen Gegner zurück, dem, trotz allen Verbänden, das Blut aus der Wunde zu strömen fortfuhr; eilte voll Verzweiflung von diesem Schreckensplatze weg meiner Wohnung zu und verwünschte tausend Mal den Gang ins Weinhaus. Scheu blickte ich weg, wenn mir Jemand begegnete, denn ich glaubte, man könne mir auf meiner Stirn mit Flammenworten lesen: ›Du bist ein Mörder!‹

In meiner Wohnung angekommen, traf ich die schleunigsten Vorkehrungen zur Flucht und ehe eine Stunde verging, hatte ich G******** schon im Rücken. Mein Secundant hatte mir, meine hülflose Lage kennend, einige Ducaten zugesteckt, aus denen mein ganzer Reichthum bestand. Meinen Augen entströmten die bittersten Thränen; ich fiel auf meine Knie und bat Gott inbrünstig, den von L******** am Leben zu erhalten. Gestärkt erhob ich mich und mechanisch schritt ich vorwärts, ohne mich darum zu kümmern, wohin sich meine Schritte richteten.

Eine Tagereise hatte ich schon in dumpfer Betäubung zurückgelegt, als sich meine Gedanken etwas zu ordnen anfingen. Zunächst beschloß ich, nach dem Wohnorte meines verstorbenen Pflegevaters zu reisen, um von dessen Ende noch nähere Kunde zu erhalten. Da er schnell gestorben war, und ich damals keine passende Gelegenheit fand, mich selbst nach meinem Erziehungs-Orte zu begeben, so hatte ich die Vollmacht über den Nachlaß meines Pflegevaters, der mir von Rechtswegen zugefallen war, dem Schulzen des Ortes übersendet, damit dieser die nöthigen Verfügungen darüber treffe. Bei diesem langte ich auch, nach einer dreitägigen Anstrengung, ziemlich entkräftet an.

Die Freude des alten Mannes, der mit meinem Pflegevater stets in freundschaftlichem Verhältnisse gelebt hatte, und auch mich daher sehr gut kannte, war unaussprechlich, als er mich erblickte. Mit nassen Augen berichtete er mir die letzten Worte desselben und schilderte mir mit tiefer Betrübniß die Todesstunde des alten Mannes, was er um so besser konnte, da er Zeuge seines letzten Augenblicks gewesen war. Tief gerührt hatte ich die letzte Kunde von meinem Pflegevater vernommen, als mir der Schulze, nach Beendigung seiner Erzählung, einen schweren Geldbeutel überreichte, den ihm mein Pflegevater, kurz vor seinem Tode, für mich zur Aufbewahrung übergeben hatte. –

Zu meiner großen Freude erkannte ich den Beutel bald als denjenigen, welchen vor vielen Jahren der fremde Officier meinem Vater gegeben hatte; auch der Schulze erinnerte sich dessen, da er mit dem alten Pfarrer an jenem Verhängnis vollen Tage in unsere Hütte getreten war, um für mich, als vater- und mutterlose Waise, die nöthigen Anstalten zu treffen. Der gute Pfarrer hatte zu der Zeit das Geld in Empfang genommen, um davon die Erziehungskosten für mich zu bestreiten, aber nicht das Mindeste davon verwendet. Eigentlich sollte ich, sagte mir der gute Schulze, nach der Bestimmung des seligen Herrn Pfarrers, Ihnen das Geld nicht eher einhändigen, als bis Sie auf eine oder die andere Art versorgt wären; aber ich bin alt, muß jede Stunde meines Todes gewärtig sein, und habe schon immer wegen des Geldes Sorge getragen; daher ist es am besten, ich erfülle meine Pflicht jetzt, da Sie ja nun erwachsen und mündig sind.

Nichts konnte mir unter meinen jetzigen Verhältnissen gelegener kommen, als dieses, und ich dankte dem guten Schulzen herzlich für seine Bemühung. Wahrhaft betrübt wurde derselbe, als ich dann von meinem kurzen Aufenthalte sprach, und eine wichtige, eilige Reise vorgab. Um nur den gastfreundlichen Mann nicht gänzlich zu betrüben, mußte ich wenigstens einen Tag bei ihm verweilen, der mir zu meiner Erholung auch recht zuträglich war.

Die Brust von vielfachem Schmerze erfüllt, betrat ich noch vor meiner Abreise den Friedhof, wo ein frischer Rasenhügel die irdischen Überreste meines Pflegevaters barg. Äußerst ergriffen verließ ich diese Stätte und wanderte zuletzt nach der Gegend zu, wo meine unglücklichen Altern gewohnt hatten. Doch hier war nicht die geringste Spur mehr von unserer Hütte zu entdecken. Schwerlich würde ich die Stelle wieder erkannt haben, wo diese gestanden, wenn nicht einige Leute mir die Gefälligkeit erwiesen hätten, mir dieselbe zu zeigen, so sehr hatte die wirkende und verbessernde Hand hier gewaltet. Nochmals warf ich einen wehmüthigen Blick auf die mir von früher her so bekannten Gegenstände und nahm mit schmerzlicher Erinnerung, von diesem mir so theuern Orte, dessen Umgebung mich an meine Kindheit und an meine unglücklichen Ältern so lebhaft erinnerte, Abschied.

Mehrere Tage waren seitdem verflossen und ich langte eines Abends höchst ermüdet vor den Thoren von Darmstadt an, wo ich einige Tage auszuruhen beschloß. Hatte ich doch nun Geld, womit ich auf lange Zeit bei weiser Einrichtung leben konnte. Ich hatte nämlich in dem Beutel 175 Ducaten gefunden und wähnte deshalb ein reicher Mann zu sein. Da es mir in Darmstadt gefiel, und ich keine weitere Nachstellungen in Hinsicht des Herrn von L******** befürchtete, so entschloß ich mich, da ohnedies die unfreundliche Jahreszeit eintrat, längere Zeit daselbst zu verweilen, und die Ankunft des Frühlings abzuwarten. Mein Entschluß war demnächst, Erkundigungen über v. L******** Schicksale einzuziehen und sodann auf einer andern Universität meine Studienjahre zu beenden.

Allein der Himmel hatte es anders mit mir beschlossen; denn wie es schien, sollte ich, nach dem Rathschluß des Höchsten, eine andere Laufbahn einschlagen.

Einige Wochen befand ich mich nämlich in Darmstadt und bemerkte zu meinem nicht geringen Schrecken, daß sich meine Casse zusehends verringerte; da bekam ich eines Morgens ein Zeitungsblatt in die Hände, worin angezeigt ward, daß der Graf von T**** einen Informator für seinen einzigen Sohn suchte. Schnell war mein Entschluß gefaßt; ich meldete mich, ward dem Grafen vorgestellt und, – ich weiß nicht, ob zu meinem Glück oder Unglück, – von ihm unter vortheilhaften Bedingungen als Hauslehrer aufgenommen. Obgleich dies meinem ursprünglichen Plane zuwider war, so ließ ich mich doch verleiten, auf ein Jahr die Bedingungen anzunehmen.

Der Graf, welcher bald mit meinen wahren Verhältnissen bekannt wurde, überhäufte mich mit Wohlthaten, und ich ward nicht nur außer einem ansehnlichen Gehalte sein täglicher Tischgenosse, sondern auch in den engern Kreis der gräflichen Familie aufgenommen.

Mein Zögling, ein neunjähriger Knabe, war durch schlechten, vernachlässigten Unterricht sehr weit nach seinen Jahren zurück, und noch überdies, durch die Erziehung der allzu besorgten Gräfin so verzärtelt worden, daß er nicht das Geringste vertragen konnte, und in Folge dieser Verweichlichung immer kränkelte. Von Tag zu Tag nahmen die Lebenskräfte meines Zöglings ab und ich sah voraus, daß er bald dem Grabe zueilen würde.

Meine darüber gemachten Vorstellungen beim Grafen bewirkten, daß sich dieser, nachdem auch die Aerzte, die täglich das gräfliche Haus zahlreich besuchten, es gutgeheißen hatten, zu einer Reise entschloß, und zwar nach dem sehr besuchten Badeorte Töplitz. Ich freute mich selbst auf eine solche Reise und sah mit Ungeduld der Ankunft des Sommers entgegen. Endlich erschien auch der ersehnte Tag unserer Abreise, und wohlbehalten langten wir sämmtlich in Töplitz an, welches schon von Badegästen aus allen Himmelsstrichen wimmelte. So viel ich mir aber von dieser Reise versprochen hatte, so befriedigte sie doch meine Erwartungen und Wünsche sehr wenig, weil ich, stets mit der Aufsicht meines Zöglings beschäftigt, die schöne Gegend wenig genießen konnte.

Zu meiner größten Freude ward die gräfliche Familie zu einer Lustfahrt von dem S*******schen Gesandten eingeladen, wodurch ich auf zwei Tage von meinem Zöglinge, auf den übrigens das gesunde Klima, zur Freude seiner Ältern, wohlthuend einwirkte, getrennt wurde. Mir ward diese Zwischenzeit zur freien Benutzung überlassen, und ich glaubte sie nicht besser anwenden zu können, als wenn ich einen kleinen Abstecher in die schöne Gebirgsgegend machte.

Mit dem frühesten Morgen, als eben die aufgehende Sonne die Spitzen der Gebirge vergoldete, trat ich meine Reise, mit den nöthigsten Lebensmitteln versorgt, an. Der Tag war mir bei diesem Umherstreifen bald vergangen, ohne daß mir, außer Naturschönheiten, etwas Merkwürdiges aufgestoßen war, als ich, durch das viele Auf- und Abklettern der Felsen ziemlich ermüdet, an einer Ruine, die am Rande eines Felsen gelegen war, ankam. Die Gegend war hier rauh und schauerlich und erweckte in mir ein banges Gefühl. Die Felsen, welche der Ruine zunächst lagen, erhoben kühn ihre Häupter zu den Wolken empor, und wehrten, an ihren Gipfeln ganz zusammengedrängt, den milden Sonnenstrahlen den Eingang in die Tiefe.

Ich wurde seltsam bewegt von dem prächtigen Anblicke, und konnte mich kaum sättigen an der schönen Erscheinung, so daß ich eine ziemliche Weile in Gedanken versunken dastand, als ich plötzlich durch einen gellenden Pfiff aus meinen Betrachtungen gestört wurde. Ich horchte schnell auf, um zu erlauschen, was dieses Zeichen zu bedeuten habe. Ängstlich klopfte mir das Herz, als ich daran dachte, daß diese Gegend durch Räuber beunruhigt wurde. Mechanisch fuhr meine Hand nach meinem Terzerol, welches ich wohlweislich zu mir gesteckt hatte. Doch Alles blieb ruhig und ich vernahm nur die lauten Schläge meines Herzens.

Eben stand ich im Begriff, meinen Weg weiter zu verfolgen, als ich das Rollen eines Wagens vernahm. Schon fing ich über meine kindische Furcht an zu lachen, als ich plötzlich eines Andern belehrt wurde. Ich hörte einen Schuß und vernahm in ziemlicher Entfernung den schwachen Hülferuf einiger Stimmen. Das Rollen des Wagens hörte auf und eine tiefe Stille trat ein. Obgleich äußerst beklommen, eilte ich doch schnell der Gegend zu, von wo aus der Hülferuf gekommen war. Nach einer mühevollen Anstrengung erblickte ich endlich, zu meinem nicht geringen Schrecken, daß in einiger Entfernung drei Räuber mit Plünderung eines Wagens beschäftigt waren. Eben riß einer der Räuber eine Dame aus dem Wagen und schleuderte sie zu Boden, ein anderer hielt die Pferde beim Zügel und ein dritter plünderte den Wagen aus.

Dies war genug, um meinen Muth zu beleben. Ich spannte mein zweiläufiges Terzerol und suchte mich so viel als möglich geräuschlos und unbemerkt dem Wagen zu nähern. Dies gelang mir, und, durch einen vorspringenden Felsen verborgen, war ich nur noch ungefähr zwanzig Schritte vom Wagen entfernt. Hier sah ich durch eine Felsenritze ein Schauspiel des Schreckens. Der Kutscher lag, von einer Kugel getroffen, im Blute schwimmend am Boden, und zwei Damen flehten fußfällig die Räuber um Gnade an.

Schnell ergriff ich mein scharf geladenes Terzerol, steckte die Mündung desselben durch die enge Felsenritze, zielte auf einen der Räuber, welcher mir am bequemsten in der Schußlinie stand, und gut getroffen stürzte derselbe zu Boden. Der andere Schuß glückte aber nicht so, denn obgleich der durch ihn getroffene Räuber im Augenblicke zusammenstürzen wollte, so war er doch noch kraftvoll genug, sich schnell zusammenzuraffen und mit seinen Raubgesellen, vielleicht einen gefährlichen Überfall vermuthend, ohne umzublicken fortzustürzen und nicht nur den sich in seinem Blute herumwälzenden Räuber, sondern auch ihre Beute zurückzulassen.

Noch getraute ich mich nicht aus meinem Versteck, weil ich nicht ohne Grund fürchten mußte, daß die Räuber, von ihrem ersten Schrecken sich erholend, in stärkerer Begleitung zurückkehren und blutige Rache nehmen würden. In größter Geschwindigkeit lud ich also von Neuem mein Terzerol, um mich einigermaaßen in Vertheidigungszustand zu setzen. Doch dieser Vorsicht bedurfte es nicht, die Räuber mochten wohl an nichts weniger, als an eine Rückkehr denken.

Ich ging daher, als ich noch eine kurze Zeit gewartet hatte, aus meinem Verstecke hervor, und wurde bald mit Vergnügen gewahr, daß ich der Retter zweier schöner Damen war. Die eine lag ohnmächtig am Boden, die andere knieete, anscheinend ebenfalls ihrer unbewußt, neben ihr. Den Räuber mußte ich gut getroffen haben, denn er lag, mit dem Tode kämpfend, röchelnd am Boden, und seine schwarze Seele schien sich von dem ruchlosen Körper zu trennen.

Im ersten Augenblicke hielt mich die eine von den Damen für einen Räuber, sie blickte mich scheu an, als ich mich ihr näherte. Doch als ich ihr freundlich zuredete, und ihr die Versicherung gab, daß alle Gefahr vorüber sei, umklammerte sie, vor Freude aufjauchzend, meine Füße und benetzte meine Hand mit Thränen des rührendsten Dankes.

Nach einiger Bemühung gelang es uns, auch die andere Dame ins Leben zurückzurufen. Es war ein blühend schönes Mädchen von etwa 16 Jahren. Als sie ihre schönen blauen Augen aufschlug und ihre vor Schreck bleichen Wangen sich wieder mit dem feinsten jugendlichen Roth überzogen, war ich von ihrem Anblick so bezaubert, daß ich anfänglich sprachlos dastand, dann aber fast mechanisch zu ihr niederknieete und die schöne Hand, die sie mir, nachdem ich ihr von ihrer Gefährtin als ihr Retter vorgestellt wurde, mit dankendem Blicke reichte, stürmisch ergriff und an meine Lippen zog.

Als ich mich etwas gesammelt hatte, drückte ich meine herzliche Freude aus, mich als ihren Retter ansehen zu können, beruhigte sie, da sie sich immer noch nicht recht sicher glaubte, so viel als möglich; indem ich sie auf den von mir unschädlich gemachten, inzwischen völlig entseelten Räuber hinwies, und ersuchte die Damen, da die anbrechende Dunkelheit mich selbst wieder etwas unruhig machte, in den Wagen zu steigen, vor dem die Pferde zu meiner Verwunderung ganz still standen.

Nachdem beide Damen durch meine Mithülfe ihren Platz im Wagen eingenommen hatten, versuchte ich, den Kutscher zu ersetzen, welchen wir, da er, durch die Brust geschossen, völlig todt war, zurücklassen mußten. Bevor aber dies geschah, hatte ich, um die Räuber noch mehr in Furcht zu setzen, und in dem Glauben zu bestärken, als seien sie durch Viele vertrieben worden, einige Mal mein Terzerol abgefeuert, welches durch den Wiederhall des Knalles einen solchen Lärm machte, daß es einer kleinen Kanonade glich.

Zum Glück waren die Pferde geduldig und ich des Fahrens, welches ich in meiner Jugend gelernt hatte, noch ein wenig kundig, und so ging es im schnellsten Trabe fort.

Obgleich es schon anfing, dunkel zu werden, so hoffte ich dennoch, vor gänzlichem Anbruch der Nacht aus der gefährlichsten Stelle zu kommen und das nächste Dorf zu erreichen, welches nach meiner Berechnung nicht allzu fern sein konnte.

Ungefährdet langten wir auch nach einer halben Stunde im vorerwähnten Dorfe am Wirthshause an, wo die Damen von der ausgestandenen Angst sich zu erholen gedachten. Nachdem ich für möglichste Bequemlichkeit meiner Schützlinge gesorgt hatte, ging ich zu dem Schulzen des Dorfes, um den Vorfall in Betreff der Räuber zu melden, damit dieser die nöthigsten Verfügungen in dieser Sache treffen könne.

Bei meiner Rückkehr zum Gasthof fand ich die Damen von einer Masse neugieriger Bauern umringt, die uns wie Wundertiere begafften. Vergebens ersuchte ich den Wirth, uns ein anderes Zimmer anzuweisen; jedoch lehnte er es unter dem Vorwande ab, daß er kein besseres besitze, obgleich ich ihm eine ansehnliche Bezahlung dafür versprach. Nach dem Äußern zu urtheilen, merkte ich bald, daß wir uns in einer elenden Bauernschenke befanden, in welcher wir aber doch, durch Umstände gezwungen, eine Nacht zubringen mußten. Ich theilte den Damen diese freilich niederschlagende Nachricht mit, und faßte mit ihnen, da die Gastbetten wohl eben nicht im besten Zustande sein mochten, den Entschluß, diese Nacht wachend zuzubringen. Nachdem die Damen sich einigermaaßen erholt hatten, sprachen sie nochmals mit gerührtem Herzen ihren Dank gegen mich aus; ich hingegen gab meine Freude darüber zu erkennen, daß mich der Himmel zum Retter so liebenswürdiger Damen auserkoren hatte.

Zum Glück wurden wir bald von der lästigen Gesellschaft befreit, und, nachdem wir uns hinlänglich gestärkt hatten, suchten wir uns die Zeit durch Erzählungen zu verkürzen. Ich nahm meinen Platz dem reizenden jungen Mädchen gegenüber, von dem ich erfuhr, daß sie die Tochter des Generals v. L***** sei, und daß sie sich erst heute Vormittag von ihrem Vater und der übrigen Dienerschaft getrennt habe, um in Begleitung ihrer Zofe den kurzen Umweg nach Töplitz zu machen, sich dort einige Tage aufzuhalten, dann wieder mit ihm zusammenzutreffen, und nachdem gemeinschaftlich ihre Reise fortzusetzen. Doch setzte sie mit auf mich gerichtetem Blick hinzu, wäre mir das Vergnügen theuer zu stehen gekommen, wenn Sie uns nicht muthvoll aus Räuberhänden errettet hätten.

Zum ersten Male in solcher Nähe des andern Geschlechts, mag ich mich wohl zuweilen etwas linkisch benommen haben, was unsern traulichen Kreis jedoch keinesweges störte.

Nur zu bald verging die Nacht für mich, denn ich befand mich am Ende recht wohl in meiner Lage, zumal, da gegen Morgen, von der ausgestandenen Angst und der durchwachten Nacht ermüdet und erschöpft, die schöne Adelaide, so hieß die Tochter des Generals, eingeschlafen und mit ihrem holden Köpfchen an meine Brust gesunken war. Um ihr diese mir so angenehme Lage noch bequemer zu machen, war ich enger angerückt und so ruhte das schöne Mädchen in meinen Armen. Von niegefühlten süßen Empfindungen durchdrungen, verwünschte ich den Anbruch des Tages und den Augenblick, wo Adelaide, erschrocken, sich in dieser Lage zu erblicken, sich erhob. Beschämt brachte sie einige Worte zur Entschuldigung, wegen ihrer vermeintlichen Unschicklichkeit vor und bat deswegen um Verzeihung. Daß ich sie ihr gern gewährte, läßt sich denken!

Mit Sonnenaufgang verließen wir mit Freuden das schmutzige Wirthshaus; ein Knecht des Gastwirths ersetzte den Kutscher und ich nahm meinen Platz neben der schönen Adelaide ein. Nach einigen Stunden langten wir wohlbehalten, doch zu meinem Mißvergnügen nur zu schnell, in Töplitz an.

Herzlich dankend für meine Bemühungen, reichte mir Adelaide die Hand und ertheilte mir die Erlaubniß, sie während ihres Dortseins noch recht oft zu besuchen, was ich mir allerdings nicht zweimal sagen ließ.

In meiner Wohnung angelangt, überdachte ich nun das für mich so erfreulich gewesene Abentheuer, wobei stets das liebliche Bild Adelaidens mir vor Augen schwebte. Bis jetzt nie gekannte Gefühle bemächtigten sich meiner; bei dem leisesten Gedanken an Adelaide fühlte ich mein Herz schneller klopfen. Könnte ich ihre Liebe gewinnen? könnte ich sie die meine nennen? – diese Gedanken stiegen unwillkürlich in mir auf.

Dann aber durchbebte wieder die Erinnerung an meine bürgerliche Stellung mein Inneres. Bist du doch, sagte ich oft zu mir, ein so schlichter Mensch, der an Glücksgütern nicht einmal so viel besitzt, als er zu seinem nöthigen Unterhalte braucht, ja der nicht einmal einen sichern Zufluchtsort hat! Und – gedachte ich erst an meine niedrige Herkunft, so drohte Verzweiflung, mir die ruhige Besinnung und die Herrschaft meiner selbst zu rauben. Rasender, rief eine innere Stimme mir zu, du wagst es, an die Liebe einer Adelaide zu denken, deren Vater ein so mächtiger, vielleicht auch ein so stolzer Mann ist, daß er deines gleichen nicht einmal beachten wird; eines Mädchens, das vielleicht bestimmt ist, einen ihr an Ansehen und Vermögen gleichstehenden Mann durch ihre Hand zu beglücken?

Aber, fragt denn die Liebe nach Geld? sollte Adelaide darnach fragen? rief ich wiederum. Nein, das wird sie nicht, antwortete das pochende Herz, bei dem ich mir Raths erholte. Verstand sie nicht, fuhr ich im wohlgefälligen Selbstgespräch fort, den leisen Druck meiner Hand, als ich dieselbe ergriff? erwiderte sie ihn nicht, und verstand ich nicht, was diese Erwiderung sagen wollte, obgleich der Druck viel leiser, als der meinige war?

Ja, rief ich dann überglücklich aus, wozu braucht man irdische Güter, Macht und Ansehn, wenn sich die Herzen finden? Ich glaube, sie ist mir gewogen; und bin ich denn etwa zu schwach, mir selbst einen Namen und Ansehen zu erwerben? O, ich spüre Kraft in mir, nach dem Höchsten zu streben!

In solchen seligen Träumen dünkte ich mich reicher als ein König und ahnete dabei nicht, daß der Funke der ersten Liebe, welcher unaufhaltsam in meinem Herzen aufflammte, meine Ruhe auf immer zerstören würde.

Noch einige Male hatte ich mit Adelaide gesprochen und sie selbst auf einigen Spaziergängen begleitet, ehe sie ihre Reise fortsetzte. Beim Abschied, wo ich sie allein auf ihrem Zimmer traf, war sie, wie ich deutlich wahrnehmen konnte, sehr bewegt. Auch ich schien ihr nicht gleichgültig zu sein. Nehmen Sie, sprach sie mit ihrer Engelstimme, diesen unbedeutenden Ring, und bei diesen Worten zog sie diesen Ring – den Sie an meiner Hand sehen – vom Finger, zum Andenken an unser sonderbares Zusammentreffen. Nie werde ich Sie und Ihren Edelmuth, den Sie gegen zwei hülflose Mädchen an den Tag legten, vergessen. Dabei reichte sie mir ihre Hand zum Abschiede und eine Thräne stand in ihrem schönen Auge.

Dies war für meine, ohnehin schon sehr aufgeregte Phantasie zu viel; ich bedeckte ihre Hand mit unzähligen Küssen. Meiner Gefühle nicht mehr Meister, stürzte ich zu ihren Füßen, drückte ihre zarte Hand an meine glühende hochschlagende Brust, und, meine Niedrigkeit und ihre hohe Abstammung vergessend, rief ich voller Seligkeit aus:

Adelaide, Sie begleitet der Frieden meiner Seele, Sie sind mein, ewig mein!

Mein Louis! flüsterte sie, neigte sich zu mir herab und der erste Kuß der reinsten Liebe brannte auf ihren Lippen.

Stürmisch schloß ich sie in meine Arme, aus denen sie sich, zum Bewußtsein gekommen, sanft wand. Ein hoher Purpur der Überraschung und Scham überzog ihre Wangen und verschönerte dadurch noch mehr ihre lieblichen Züge.

In diesem Augenblicke trat ihr Kammermädchen ein und holte sie ab nach dem unten auf sie wartenden Wagen. Ich begleitete sie bis dahin. Sie stieg ein, warf mir noch einen vielsagenden Blick zu, und der dahin rollende Wagen entzog sie meinen vor Liebesschmerz brennenden Augen.

Mit ihr war auch der Friede meines Herzens auf immer dahin. Nirgends fand ich Ruhe mehr, und selbst der gräflichen Familie, die von ihrer Lustfahrt zurückgekehrt war, fiel mein verändertes Wesen auf. Ich erzählte dem Grafen mein gehabtes Abentheuer mit den Räubern, der meine Entschlossenheit nicht genug rühmen konnte, und der Gräfin schien diese That sogar unerhört. Natürlich verschwieg ich hierbei die näheren, auf mich Bezug habenden Umstände, in Hinsicht meiner Herzens-Angelegenheiten.

Seit der Abreise Adelaidens aus Töplitz war eine Leere in meinem Herzen entstanden, die an diesem Orte nicht auszufüllen war. Alles ekelte mich seitdem an, ich war ein wirklicher Kopfhänger geworden, und hatte allen Reiz für Kunst und Naturschönheit verloren. Mit eben so großer Freude, wie ich mich auf die Ankunft gefreut hatte, sah ich nun wieder unserer Abreise entgegen. Mein Zögling hatte sich zur Freude seiner Ältern recht erholt; die Badekur hatte, wie ich vorausgesehen, wohlthätig auf ihn gewirkt und ein frisches Roth blühte auf seinen sonst bleichen Wangen.

Doch dieses war auch das letzte Aufglimmen seines schwachen Lebensfunkens. Wenige Wochen nach unserer Nachhausekunft erkrankte er und ein hitziges Fieber machte, trotz aller ärztlichen Hülfe, schnell seinem Leben ein Ende. Groß war der Jammer der gräflichen Familie, da mit ihrem einzigen Sohne ihre Hoffnung, einen Stammfolger zu hinterlassen, zu Grabe ging. Aber auch für mich war dieser Unglücksfall höchst traurig, weil ich mich von Neuem genöthigt sah, ein anderes Unterkommen zu suchen.

Mit der Vorsehung hadernd, verließ ich meinen bisherigen Wohnort und pilgerte, mein kleines Felleisen auf dem Rücken, auf gutes Glück weiter, ohne mich sehr um mein Reiseziel zu kümmern. Einige Tagereisen hatte ich planlos zurückgelegt und gelangte mit wundem Herzen und Füßen eines Sonntags Morgens in D***** an, woselbst der feierlich erhebende Glockenton, die Einwohner des Ortes zum Gotteshause rufend, in mir ein unnennbar wehmüthiges Gefühl erweckte. Festlich gekleidete Leute gingen bei mir vorüber und sahen mit forschenden Blicken auf den armen bestäubten Reisenden, der wie ein Verlassener in die weite Welt pilgerte, ohne nur einen theilnehmenden Verwandten oder Freund zu haben. Unglücklicher als je fühlte ich mich in dieser Stunde und beneidete eine Menge kleiner Kinder, die frei von drückenden Nahrungssorgen, in unschuldiger Freude vor den Thüren spielten.

Im dumpfen Hinbrüten versunken, durchschritt ich ruhig die Straßen der Stadt und wischte zuweilen eine Thräne, die sich verstohlen aus meinem Auge drängte, von meiner Wange, als ein vornehmer Herr, den ich gar nicht bemerkt hatte, auf mich zugetreten war, und mich mit einem Ausruf der Freude bei meinem Namen nannte. Nie ein elektrischer Schlag wirkte diese Stimme auf mich, und ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als Herr v. L********, den ich im Duell ermordet zu haben glaubte, frisch und munter vor mir stand.

Mein Gott, rief ich aus, sind Sie es wirklich, Herr v. L********, oder ist es ein Trugbild meiner aufgeregten Phantasie?

Wie Sie sehen, antwortete er lächelnd, bin ich von Fleisch und Blut, und derselbe, der von Ihrem Degen für seinen Leichtsinn gestraft wurde. Doch in aller Welt, was ist denn aus Ihnen geworden? kein Mensch wußte, wohin Sie gestoben oder gepflogen waren, und trotz aller von mir angewendeten Bemühung, Ihren Aufenthalt zu erfahren, konnte ich nirgends eine Auskunft über Ihr Schicksal erhalten. Doch kommen Sie, fuhr er fort, mit in meine Wohnung und theilen Sie mir Alles mit; ruhen Sie bei mir aus und lassen Sie allen Groll, wenn Sie diesen gegen mich noch hegen, vergessen sein.

Unterdessen waren wir in seiner Wohnung angelangt, woselbst mir ein gut meublirtes Zimmer angewiesen und auch sonst für jede nur mögliche Bequemlichkeit gesorgt wurde. Dankend sank ich auf meine Knie nieder und pries den Lenker der Schicksale. Die quälende Schuld, ein Mörder zu sein, hatte bis jetzt mit Centnerlast auf meinem Gewissen gelegen; jetzt, da ich mich frei von ihr wußte, wurde mir unendlich wohl; ich wagte wieder ohne Schamröthe mich meinem Schöpfer im Gebete zu nahen und konnte nun ohne Zittern Jedem frei ins Angesicht schauen!

Als Herr von L********, der schon seit einem Jahre ein öffentliches Amt bekleidete, meine ganzen Verhältnisse erfahren hatte, gab er mir nicht nur die untrüglichsten Beweise seines Beileids, sondern auch, als mein nunmehriger wahrer Freund, das Versprechen, daß er wieder gutmachen wolle, was er durch seinen Leichtsinn bei mir verschuldet habe.

Ja, Freund, rief er aus, nachdem ich nach mehrwöchentlichem Aufenthalte wieder abreisete, verlassen Sie sich auf mich, ich werde meinen Vater, den Präsidenten, dahin zu bewegen suchen, daß Sie auf eine anständige Weise versorgt werden. Diesem ist es ein Leichtes, Sie bei einer vorkommenden Gelegenheit unterzubringen. Nur geben Sie mir immer von Ihrem Aufenthalte Nachricht, daß ich weiß, wo Sie zu finden sind, wenn etwas vorfällt.

Dieses habe ich auch bis jetzt noch nicht versäumt, erzählte Ludwig weiter. Ich habe unterdessen größtentheils zu meinem Vergnügen fast ganz Deutschland durchreist, und erwarte wieder in Coburg einen Brief von L********, der mir, nach dem vorigen Briefe zu urtheilen, und wenn mir sonst das Glück günstig ist, vielleicht ein Amt verschafft.

 

Hiermit endigte Ludwig, den der geneigte Leser nunmehr als den Sohn des unglücklichen Fischers Holdheim kennen wird, seine Erzählung.

V.

Nach einem zweitägigen vergeblichen Warten auf Nachricht, wurde endlich Ludwig von der peinigenden Ungewißheit, durch einen Brief von Herrn von L******** befreit. Mit triumphirender Miene las er denselben seinem Freunde vor, der die aufrichtigste Mitfreude darüber empfand.

Also vier Wochen haben Sie noch Zeit, sagte dieser, ehe Ihre Gegenwart in D***** nöthig ist, um das versprochene, von Ihrem sorgenden Freunde verschaffte Amt anzutreten. Da haben Sie noch Zeit genug, mein fernerer Reisegefährte bis nach meiner Vaterstadt zu sein. Vielleicht können Sie noch, was für mich eine doppelte Freude sein würde, Zeuge meines Glückes sein, und der Himmel mag helfen, daß auch Sie den Hafen Ihres Glückes endlich erreichen.

Das werde ich wohl nie, entgegnete Ludwig traurig; sollte auch jetzt der Himmel mir eine sichere Stellung verschaffen und somit mir für die Zukunft heitere Aussichten eröffnen, so bleibt mir doch noch ein Wunsch, ein heißes Verlangen, hinsichtlich dessen es wohl Thorheit von mir sein würde, der Hoffnung auf Erfüllung Nahrung zu geben. Mein Freund, das werden Sie selbst eingestehen, daß meine Ansprüche zu hoch gestellt waren; daß nur der Leichtsinn eines Unbesonnenen dazu gehört, die in mir lodernde Liebesflamme weiter zu nähren. Und doch kann ich beinahe nicht anders, die Stimme der Liebe überwältigt bei mir nur zu oft die Stimme der Vernunft. Ach, hätte ich das damals geahnt, als ich Adelaide aus Räuberhänden errettete, daß sie mich mit solchen drückenden Liebesbanden fesseln würde, ich würde unmittelbar nach ihrer Rettung ein Wiederzusammentreffen vermieden haben! Doch mein Herz kannte die Gefahr nicht, ich selbst war viel zu sehr Neuling, als daß ich mich hätte beherrschen sollen. Meine Seelenruhe ist auf ewig dahin, kein zweites Ideal wird es für mich geben, das fühle ich nur zu wohl.

Weg mit solchen trüben Gedanken! rief der Kaufmann, hat man denn nicht Beispiele, daß das Unmöglichscheinende möglich geworden ist? kann dies bei Ihnen nicht auch geschehen? Sie lieben Adelaide und werden jedenfalls von ihr wiedergeliebt, Sie haben dieselbe mit eigener Lebensgefahr aus dringender Noth gerettet, sollte dies nicht Anerkennung finden? sollte nicht treue Liebe die Hindernisse besiegelt können, die der Unterschied des Standes Ihnen in den Weg legen könnte? O, daran verzweifeln Sie nie! Oder, giebt Ihnen mein Schicksal nicht schon einen schlagenden Beweis, daß treue Liebe endlich zum Ziele führt? Auch ich hätte nie geglaubt, daß ich meinen Herzenswunsch je erfüllt sehen würde. Trösten Sie sich also, armer Freund, es wird mit Ihnen noch Alles gut werden. Aber nun lassen Sie uns auch Anstalten zur Weiterreise machen, unsere Geschäfte sind hier beendigt und mich treibt auch die Sehnsucht, meine Braut, nach einer mehrjährigen Trennung, zu umarmen.

Ludwig hatte natürlich, gegen diese billige Forderung seines Freundes, nichts einzuwenden und so verließen beide noch an diesem Tage Coburg. Um desto schneller vorwärts zu kommen, hatten sie sich in einen Wagen gesetzt, welcher mit ihnen schnell auf der glatten Landstraße dahin rollte. Je näher der Kaufmann, nach einer mehrtägigen Reise, seiner Vaterstadt kam, desto weniger vermochte er seine Freude, die sich in allen seinen Bewegungen aussprach, zu zügeln. Oft ergriff er in der Freude Ludwigs Hand und preßte sie krampfhaft zusammen; oder er bog sich weit zum Wagen hinaus, ob er noch nicht die Thürme seiner geliebten Vaterstadt erblickte.

Schon senkte sich der Abend und dunkle Wolken umzogen den vorher so klaren Himmel, da traten aus dem Zwielicht die dunkeln Spitzen der Thürme seiner Vaterstadt hervor. Bei diesem Anblicke sank der Kaufmann bewegt in Ludwigs Arme und einzelne Thränen der Wehmuth rollten über seine Wangen. Der Mond blickte zuweilen, durch die neidischen Wolken auf unsere Reisenden nieder und zeigte ihnen dann die dunkeln Gestalten der Häuser von H*****.

Gott, rief der Kaufmann mit zum Himmel gerichteten Blicken, du bist ein gerechter, guter Vater! Wie war mein Herz zerrissen und von Zweifeln an deine göttliche Vorsehung erfüllt, als ich vor vier Jahren denselben Weg hülflos und verlassen aus meiner Vaterstadt machte! Du hast mein damaliges heißes Flehen erhört, und mich jetzt in den Stand gesetzt, daß ich über meine treulosen Freunde und Bekannte triumphiren kann. Lebte nur mein armer, alter Vater noch, der aus Bekümmerniß über meine trostlose Zukunft ins Grab sank, wie würde der sich freuen, wenn er mich so wohl versorgt wieder erblickte. Doch ich will nicht gegen deine Vorsehung murren, du hast es ja dessenungeachtet so wohl mit mir gemacht!

Unterdessen rollte der Wagen durch die Thore und hielt vor dem Hôtel de R.

Freudig pochte dem Kaufmann das Herz, als er die wohlbekannten Töne seiner Landsleute hörte und ein sonderbares Gefühl bemächtigte sich seiner, als später sein früherer Jugendfreund, der Sohn des Wirthes, in seine Stube trat, um sich nach seinen Befehlen zu erkundigen. Mit durchbohrenden Blicken sah der Kaufmann diesen an und gedachte recht lebhaft der Vergangenheit, wie auch dieser treulose Freund sich bei seinem unverschuldeten Unglücke zurückgezogen hatte. Doch mochte derselbe den Kaufmann im ersten Augenblick wahrscheinlich nicht erkennen; denn er zog sich bald nach erhaltenen Aufträgen, ohne die geringste Spur der Erkennung in seinen Mienen zu verrathen, zurück.

Allein am andern Morgen wurde der Kaufmann bald erkannt, und überall, als man seine glänzenden Verhältnisse erfuhr, zuvorkommend begrüßt. Auch der alte B. gehörte nicht zu den Letzten, die ihm ihre Freundschaft wieder versicherten. Nichts war also für ihn leichter, als das dem Scheine nach ganz aufgelösete Liebesband wieder zu befestigen, und die nunmehrige Einwilligung vom alten B. zur Verheirathung mit seiner Tochter zu erhalten. Dazu wurden nun auch beiderseits die schleunigsten Anstalten gemacht, und wohl gab es in dieser Stadt kein glücklicheres Paar, als die schwer geprüften Liebenden. Worte sind zu schwach, das erste Wiedersehen derselben zu beschreiben und die wonnigen Gefühle, die sie beseelten, zu schildern.

Ludwig sah diesem Allen mit aufrichtiger Theilnahme zu und fühlte sich selbst glücklich, da es sein Freund in so hohem Grade war. Leider konnte er aber das Vermählungsfest desselben, welchem er so gern beigewohnt hätte, nicht abwarten; ein unerwarteter Brief des Herrn von L******** mahnte ihn zur schleunigsten Abreise. Schwer wurde den beiden einander so theuer gewordenen Freunden der Abschied, welcher nur durch das gegenseitige Versprechen etwas erleichtert wurde, sich recht oft von ihren Verhältnissen mit einander zu unterhalten.

VI.

Den Kopf von vielfachen Gedanken durchkreuzt, verfolgte Ludwig die Landstraße, welche ihn zum Wohnorte des Herrn von L****** führen sollte. Unaufhörlich schwebte ihm das Bild seines nunmehr glücklichen Freundes vor Augen, wie dieser unter mancherlei widrigen Verhältnissen dennoch das Ziel seiner Hoffnungen erreicht hatte. Dabei gedachte er natürlich auch an seine eigenen Verhältnisse und seine aufgeregte Phantasie malte ihm mit lieblichen Bildern sein erstes Zusammentreffen mit seiner Geliebten aus. Doch bald stiegen wieder bange Zweifel in ihm auf.

Ich Thor, rief er schmerzlich aus, da quäle ich mich nun mit Gedanken, die zu nichts führen. Wer bürgt mir denn dafür, daß nicht meine Adelaide schon die Gemahlin irgend eines angesehenen Mannes ist, und daß dieselbe vielleicht meiner nicht einmal gedenkt, während ich ihretwegen unaussprechlich leide? Doch, Nachricht muß ich von ihr haben, koste es was es wolle.

Unter ähnlichen, seinen Gemüthszustand nur noch mehr erschütternden Gedanken verfolgte er seinen Weg, ohne auf irgend weiter etwas zu achten. Tausende von Luftschlössern wurden von ihm gebaut, welche aber alle wie Seifenblasen wieder verflogen.

Einige Tagereisen hatte er zurückgelegt, und die untergehende Sonne, die ihre Strahlen schon in ganz schräger Richtung sendete, mahnte den müden Wanderer zur Aufsuchung einer Ruhestätte. Dem Wohnorte des Herrn von L******** hatte er sich bis auf zwei Meilen genähert und er hoffte deshalb den andern Tag bei guter Zeit daselbst einzutreffen. Ermüdet warf er sich auf sein Lager und erwachte nicht eher, als bis schon die Sonnenstrahlen sein Gemach erleuchteten. Erschrocken, so lange geschlafen zu haben, stand er schleunigst auf und schickte sich neugestärkt zur Weiterreise an; denn nunmehr hatte er keine Zeit mehr zu verlieren, wenn er Herrn von L********'s Geduld nicht auf zu harte Proben stellen wollte, weil schon ein Tag über den festgesetzten Termin verflossen war.

Wohlbehalten langte er denn auch nach einer dreistündigen Anstrengung zur Freude seines Freundes an, welcher ihn auf das Freundschaftlichste empfing.

Ich trug schon Ihretwegen Sorge, sagte er sanft verweisend, denn ich glaubte, mein letzter Brief würde zu spät in Ihre Hände gekommen sein, oder ein widriger Umstand könnte Ihre Reise verhindert haben; hier werden Sie schon sehnlichst erwartet und Sie haben vor der Hand weiter nichts zu thun, als sich meinem Vater, welcher Sie zu sprechen wünscht, vorzustellen, um Ihr Amt antreten zu können. Arbeit werden Sie wohl anfänglich genug haben, denn Sie sollen einstweilen als Canzleigehülfe eintreten, und da giebt es alle Hände voll zu thun. Leider werden Sie sich aber dessen ungeachtet in der ersten Zeit mit einem mäßigen Gehalte begnügen müssen, bis Sie sich die Bahn zu einer einträglichen Stelle gebrochen haben.

Freudetrunken stürzte Ludwig in die Arme seines Freundes und dankte ihm mit warmen Worten für seine edle Bemühung. Noch an demselben Tage wurde auch Ludwig durch ihn bei seinem Vater, dem Präsidenten, eingeführt, welcher ihn freundlich als einen Längstbekannten begrüßte. Nachdem er mit diesem Rücksprache genommen, wurde ihm seine Bestallung als Canzleisecretair eingehändigt und nach einigen Tagen auch vom Regenten bestätigt. Auch diesem stellte sich Ludwig vor und wurde von ihm ebenfalls, nach einer langen Unterredung, huldvoll entlassen.

Mit rastlosem Eifer trat er sein Amt an und seine fleißigen und sorgfältigen Arbeiten waren schlagende Beweise, daß sich Herr von L******** seines Empfohlenen nicht zu schämen brauchte. Auch seine Vorgesetzten sprachen, nachdem sie sich hinlänglich von seinen Fähigkeiten überzeugt hatten, unverholen ihr Lob darüber aus und selbst dem Landesherrn blieb dieses gute Zeugniß nicht unbekannt. Dieses hatte denn auch zur Folge, daß Ludwig, ehe er es selbst erwartete, nicht nur eine bedeutende Gehaltszulage, sondern auch nach Verlauf von zwei Jahren einen ansehnlicheren Posten anvertraut erhielt. Durch seine unbestechliche Rechtlichkeit, seinen fortgesetzten Diensteifer und sein musterhaftes Betragen gewann er nicht nur im vollsten Maaße die Liebe seiner Vorgesetzten, sondern auch die Huld des Monarchen, mit welchem er Gelegenheit hatte, näher bekannt zu werden.

Dies Alles konnte nur vortheilhafte Wirkungen für ihn haben, und so kann man sich nicht wundern, daß er, zur aufrichtigen Freude seines Freundes, von Stufe zu Stufe stieg.

Dem Anschein nach hätte nun Ludwig ein ganz glückliches Leben führen können; denn mit den angesehensten Personen der Stadt hatte er Umgang, und überall erwies man ihm Achtung, ja man buhlte selbst, da er der erklärte Günstling des Landesherrn geworden war, um seine Freundschaft. Doch bei alle dem war er unglücklich, ihm fehlte die Seelenruhe, die er für immer verloren hatte. So sehr er sich auch bemüht hatte, nähere Kunde von seiner Geliebten zu erhalten, so war doch seine Nachforschung immer vergebens gewesen, und er quälte sich trostlos mit liebeskrankem Herzen herum. Obgleich er aber seine Empfindungen zu verbergen suchte, so war er derselben in manchen Stunden doch nicht Meister genug, als daß Viele nicht hätten bemerken sollen, daß ein zehrender Wurm an seinem Herzen nage. Sein stilles, eingezogenes Leben fiel Jedermann auf, und sein sichtbares Vermeiden, mit Personen des andern Geschlechtes zusammenzutreffen, ließen bald den Schluß folgern, daß Ludwig unglücklich liebe.

Oft wurde er dann von seinen Bekannten über die Art seines Betragens geneckt, und wiederholt aufgefordert, mit den Schönheiten der Stadt Bekanntschaften anzuknüpfen. Solche Erinnerungen erregten nur noch mehr die heiße Sehnsucht nach seiner Adelaide und waren der Grund, daß sich seines Wesens oft eine düstere Melancholie bemeisterte, wodurch manche schöne Stunde des Tages getrübt wurde.

In einer solchen Stimmung erhielt er einst vom Monarchen den Auftrag, in Staats-Angelegenheiten eine Reise nach Wien zu machen, welchem Geschäfte er sich auch mit wahrem Vergnügen unterzog. Mit aller Eile wurde die Reise selbst von ihm betrieben, weil er dadurch einige Zerstreuung für sein beunruhigtes Gemüth zu finden glaubte. Ungefährdet langte er auch in der Kaiserstadt an, wo er genug Gelegenheit fand, seine trüben Gedanken zu verscheuchen. Denn einige Wochen, das lehrte ihn sein erster Geschäftsgang, würden wohl vergehen, ehe er seine Aufträge beendigt hätte. Nun hatte er Muße genug, die alte so berühmte Kaiserstadt in ihrem ganzen Umfange und Inhalt kennen zu lernen; was er auch keinesweges versäumte. Des Abends ging er gewöhnlich ins Theater oder ergötzte sich im Opernhause an den ausgezeichneten Conzerten.

Eines Abends, als er das Opernhaus wieder besuchte, schweifte sein Blick unwillkürlich auf den Kreis der Damenwelt umher. Wer aber beschreibt sein Erstaunen, als er unter den anwesenden Damen die ihm nur zu bekannten Züge seiner Adelaide bemerkte. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen, erbebte sein ganzer Körper und siedend heiß fühlte er sein Blut durch die Adern rinnen. Es kostete ihm Mühe, seine Aufregung vor den Anwesenden zu verbergen und seine Freude zu zügeln. Um sich näher zu überzeugen, daß ihn seine Augen nicht getäuscht hätten, trat er etwas weiter vor, und, o Himmel! Adelaidens Blick richtete sich in diesem Augenblicke auch auf ihn. Der plötzliche Wechsel ihrer Gesichtsfarbe, ihre kaum zu verbergende Unruhe waren nur zu deutliche Wahrzeichen, für den Glücklichen, daß auch Adelaide ihn erkannt hatte.

Nach Beendigung der Oper richtete er sein ganzes Augenmerk auf seine Geliebte, um dieselbe im Gedränge nicht zu verlieren und näherte sich ihr so, daß sie unmittelbar bei ihm vorbei mußte. Aber auch die zärtliche Adelaide hatte nur Augen für ihn gehabt; ein Zeichen von ihr machte ihm bemerklich, daß er ihr folgen solle. Ludwig begleitete sie bis vor die Thüre, wo ihr Wagen ihrer wartete. Wegen des starken Menschengedränges konnten beide nur wenig Worte wechseln; doch war Ludwig überaus glücklich, als er von ihr die Einladung zu einem Besuche erhielt.

Freudetrunken eilte er nach seiner Wohnung und überließ sich ganz seinen Gefühlen, die für diese Nacht allen Schlaf verscheuchten. Unruhig warf er sich endlich auf sein Lager und zählte jede Minute bis zu dem seligen Augenblick, wo er seine Adelaide, nach so langer Trennung, ungestört sprechen könne.

Endlich brach der lang ersehnte Tag an und eilig sprang er von seinem Lager auf, um sich zu diesem Besuche gehörig vorzubereiten. Schlag 10 Uhr stand er denn auch, sorgfältiger als je angekleidet, vor dem bezeichneten Palaste; zitternd ergriff er die Klingelschnur und sein Herz pochte gewaltig, als ein Diener die Thür öffnete und er eintrat. Von diesem, wurde er in die obern Gemächer geführt, wo ihn schon der alte General, durch seine Tochter vorbereitet, auf dem Sopha sitzend und sein Morgenpfeifchen rauchend, zu erwarten schien.

Mit einem derben Händedrucke wurde er von diesem begrüßt und zum Sitzen genöthigt.

Also Ihnen, junger Mann, fing der General an, habe ich die Rettung meiner Tochter aus Räuberhänden zu danken. Sie haben durch Ihre kühne und entschlossene That mich zu Ihrem ewigen Schuldner gemacht. Sie haben mir mein theuerstes Kleinod, mein einziges Kind, meine einzige Freude auf dieser Welt, gerettet. Nehmen Sie meinen innigsten Dank. Schon längst, fuhr er fort, hat mir meine Tochter von ihrem edlen Retter erzählt und ich habe mich fortwährend vergebens nach Ihnen erkundigt, um Ihnen meinen Dank abzustatten. Nun wird auf einmal mein Wunsch, den kühnen menschenfreundlichen Mann persönlich zu sprechen, erfüllt. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Freund! sagte der General, indem er Ludwigs Hand ergriff; wenn ich nur in etwas Ihre edle Handlung vergelten kann, so wird es mir zur größten Freude gereichen.

Was ich that, entgegnete Ludwig bescheiden, war meine Schuldigkeit, jeder Andere würde an meiner Stelle auch so gehandelt haben.

Hol' mich der T*****, das ist nicht wahr, rief der alte Krieger dazwischen; Viele hätten sich furchtsam zurückgezogen und die Pflichten der Menschlichkeit hintenangesetzt. Nur ein solcher rettender Engel, mit solchem Muthe, wie man ihn selten findet, konnte das Wagniß ausführen. Ich als Soldat kann dergleichen Fälle, nach ihrem wirklichen Standpuncte, beurtheilen. Doch zur gelegenen Zeit erzeigen Sie mir wohl noch die Gefälligkeit, und erzählen mir noch einmal den ganzen Hergang der Sache.

Verstohlen hatte sich Ludwig, während dieses Gesprächs, nach Adelaiden umgesehen, als diese plötzlich erschien. Beide suchten nach gegenseitiger Begrüßung so viel als möglich ihre Unruhe zu verbergen, und der alte General merkte nicht, was Beide empfanden.

Aber Wetter noch einmal, wie ist mir denn, fing der General wieder an, habe ich Sie nicht gestern schon beim Minister gesehen?

Das ist möglich, entgegnete Ludwig, der sich nun auch des Officiers erinnerte, der bei seiner Ankunft vom Minister zur Treppe hinunter begleitet wurde; ich war einige Mal Geschäfte halber bei ihm.

Ah so, ich verstehe, sagte der General, der Minister hat mit mir von Ihnen gesprochen; Sie sind in Angelegenheiten Ihres Landesherrn hier. Nun, das wird wohl noch einige Schwierigkeiten verursachen, wie mir der Minister selbst versicherte, indessen, wenn ich Ihnen bei Ihrer Gesandtschaftsreise behülflich sein kann, so will ich es gern thun. Da aber jedenfalls einige Zeit vergehen wird, ehe Sie Wien werden verlassen können, so würden Sie mir ein Vergnügen bereiten, wenn Sie mich täglich besuchten und die Zeit über mein Tischgenosse würden.

Scheinbar suchte Ludwig diese Ehre abzulehnen, doch mußte er, natürlich nicht ohne innere Freude, zusagen.

Täglich hatte nun Ludwig Gelegenheit, mit Adelaide zu sprechen, und nach gegenseitigem Verständnisse wurde nun der Liebesbund, freilich im Rücken des Generals, nur noch fester geschlossen. Denn Ludwig wagte noch nicht, sich dem alten General, der vielleicht höhere Absichten mit seinem einzigen Kinde hatte, zu entdecken.

Schnell vergingen die glücklichen Tage und Ludwig erwartete mit Bangigkeit den Tag der Abreise, welcher ihn wieder von seiner Geliebten, und zwar vielleicht auf immer trennen würde.

Dieser Tag war denn auch nicht mehr fern und wurde vorzüglich durch folgenden Umstand noch mehr beschleunigt.

Eines Tages wurde der General nebst seiner Tochter zu einem Balle bei dem Minister eingeladen und selbst an Ludwig erging zu diesem Feste eine Einladung. Schnell wurden die schleunigsten Zurüstungen dazu getroffen, und auch Ludwig ermangelte nicht, seine ohnehin schon einnehmenden Gesichtszüge, durch wohlgewählte Kleidung, mehr hervorzuheben. Im Wagen des Generals fuhr er, neben seiner Adelaide sitzend, nach dem Pallaste des Ministers, wo schon die Ballgäste zahlreich versammelt waren.

Von den Anwesenden freundlich empfangen, trat Ludwig mit dem General und dessen Tochter in den hellerleuchteten Saal, der mit seinen verschiedenen Gruppirungen einem Feenwalde glich. Neugierig wurde Ludwig vorzüglich von den Damen betrachtet, und ihm entging die Aufmerksamkeit nicht, die ihm während des Festes von der schönen Welt geschenkt wurde. Doch das kümmerte ihn wenig, er hatte nur Augen für seine Adelaide, mit der er im Freudenrausche den Saal durchflog. –

Allgemein sprach man sich in Vermuthungen aus, daß der Fremde der Verlobte Adelaidens sei. Auch dem General fiel nun die Zutraulichkeit der beiden Liebenden auf und er überzeugte sich, nach mehrseitiger Beobachtung, nur zu bald zu seinem größten Mißvergnügen, daß zwischen Beiden ein anderes Verhältniß, als er sich gedacht, stattfinden müsse. Nur mit Mühe konnte er seinen aufgeregten Charakter bändigen, beschloß aber zur selbigen Stunde, eine Änderung der Dinge herbeizuführen. Denn, daß Ludwig Ansprüche auf seine Tochter machen würde, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, um so mehr, da er seine Tochter mit seinem Entschlusse, sie, seinem früher gegebenen Versprechen gemäß, an den jungen Grafen von G**** zu verheirathen, bekannt gemacht hatte.

Nun wurde ihm mit einem Male klar, warum Adelaide, wenn er mit ihr auf dieses Thema kam, jedesmal Einwendungen machte, die er sich bis jetzt als bloße Mädchenlaune hatte gefallen lassen. Nun konnte er sich auch die Veränderung seiner Tochter erklären, deren düstere Melancholie sich bei Ludwigs Ankunft in Freude und Munterkeit verwandelt hatte. Wenn die Sachen so stehen, dachte er, muß ich bald andere Maaßregeln ergreifen.

Doch, wie es stets seine Sache war, wollte er sich erst fest davon überzeugen, ehe er Ludwig, dem er ohnehin viele Verbindlichkeiten schuldig war, zur Rede stellte. Das Beste schien ihm, diesen so bald als möglich aus seiner Nähe, und, wie es den Umständen nach auch nicht anders sein konnte, aus Wien zu entfernen, wodurch ihm denn auf einmal alle Mittel genommen würden, näheren Umgang mit seiner Tochter zu pflegen; und dies konnte nur dadurch geschehen, daß Ludwig in kürzester Zeit mit seinen Geschäften abgefertigt wurde. Er hoffte deshalb so bald als möglich mit dem Minister über diese Sache Rücksprache zu nehmen.

Von alle dem ahnte Ludwig nicht das Geringste, sondern überließ sich ungestört der Freude und vergaß im fröhlichen Genuß Alles um sich her. Bei dem herzlichen Händedruck seiner Adelaide fühlte er sich glücklicher als ein König. Schneller war ihm wohl nie ein Abend vergangen, und es schien ihm fast unmöglich, daß die Nacht schon so weit angerückt war. Hier und da sah man schon die Gäste zum Aufbruch bereit; und auch Adelaide, von ihrem Vater aufgefordert, machte endlich dazu Anstalten.

Ludwig begleitete sie in ein Nebenzimmer, wo einige Sachen von ihr aufbewahrt waren. Sich mit ihr allein glaubend, schloß er sie, von seinen Gefühlen überwältigt, in seine Arme, und drückte einen brennenden Kuß auf ihre Purpurlippen, der feurige Erwiderung fand. Wer aber malt ihren Schrecken, als sie beim Umblicken die ernste Miene des Generals, welcher ihnen unbemerkt gefolgt und Zeuge des ganzen Vorfalles gewesen war, wahrnahmen. Voll Scham, als hätten sie ein Verbrechen begangen, standen sie stumm neben einander, keiner von ihnen war eines Wortes mächtig.

Aber auch der General, ihre Verlegenheit nicht weiter beachtend, brach das Schweigen nicht, und that, als wäre nichts vorgefallen. Stumm und in sich gekehrt bestieg er den Wagen und fuhr mit seiner Tochter nach Hause. Der arme Ludwig war im ersten Augenblicke wie vom Donner gerührt; ohne Vertheidigungsworte, die sein Betragen hätten entschuldigen können, zu finden, ließ er den General sich entfernen, kehrte in seine Wohnung zurück und überlegte erst da mit ruhigem Blute, was in dieser Sache zu thun sei. Fest wurde von ihm der Entschluß gefaßt, dem General am andern Morgen das Ganze zu entdecken; es koste was es wolle. Einmal mußte doch die Sache ein Ende gewinnen, und er schmeichelte sich mit der Hoffnung, vom alten General Verzeihung, und vielleicht sogar die Hand seiner Tochter zu erhalten.

Mit diesem Gedanken schlief er ein; mit Sehnsucht den kommenden Morgen erwartend, der jedenfalls, ob zu seinem Glück oder Unglück, für ihn entscheidend sein mußte. Was Adelaide, die ihren Vater und seine Absichten kannte, befürchtete, geschah. Durch die heftigsten Vorwürfe machte dieser seinem Herzen Luft, tadelte mit drohenden Worten ihr Betragen gegen Ludwig und beschuldigte sie beide der Hinterlist, daß sie, seine Liebe mißbrauchend, in seinem Rücken eine thörichte Liebschaft angeknüpft hätten; am Schlusse seiner Strafpredigt erklärte er unumwunden, daß er unter keiner Bedingung seine Einwilligung zu einer Verbindung mit Ludwig geben wolle und könne.

Adelaide, obgleich von der unbeugsamen Festigkeit ihres Vaters überzeugt, suchte dennoch seinen eisernen Willen zu beugen. Schluchzend fiel sie ihm zu Füßen, umklammerte seine Kniee und suchte durch die rührende Erzählung, wie der erste Keim der Liebe sich in ihrem schuldlosen Herzen bis zur größten Blüthe ausgebildet hätte, sich zu entschuldigen; allein vergebens, der General wurde nur noch mehr gereizt und nannte sie einmal über das andere ein ungerathenes, verwahrlostes Kind, welches des Vaters Wohlthaten mit Undank belohne.

Ja, als endlich Adelaide ihm frei erklärte, daß sie keinen andern lieben könne als Ludwig, und daß keine Macht sie zwingen werde, einen Andern zu ehelichen, sprang der General wüthend auf, und es hätte wenig gefehlt, daß er sich nicht zum ersten Male thätlich an ihr vergriffen hätte. Doch besann er sich noch zur rechten Zeit, zog hastig die Klingelschnur und befahl dem eintretenden Bedienten, augenblicklich die Kammerjungfer zu rufen, damit diese Adelaiden unverzüglich in ihr Zimmer begleiten möchte.

Zerknirscht warf sich Adelaide in die Arme ihrer treuen Zofe, welche bestürzt nach der Ursache ihres Zustandes fragte, und nachdem sie in kurzen abgebrochenen Worten, die Hauptsache erfahren hatte, Alles aufbot, um ihre gute Gebieterin, die ihr fast Freundin war, zu trösten. Schon längst hatte sie das Verhältniß der beiden Liebenden bemerkt und einen solchen Ausgang befürchtet.

Mein Vater, rief die unglückliche Adelaide im Uebermaaße ihres Schmerzes aus, will einmal das Unglück seines Kindes, ich will ihm den Triumph gönnen; aber nie füge ich mich in seinen Willen, lieber gehe ich in ein Kloster und beschließe da mein unglückseliges Leben.

Fieberisch schlugen ihre Pulse, und weinend warf sie sich endlich auf ihr Ruhebett. Sie ahnte von ihrem Vater nichts Gutes, am meisten aber beunruhigte sie Ludwig's Schicksal, der gewiß eine ernste Rücksprache von Seiten ihres Vaters zu erwarten hatte. Schlaflos verbrachte sie die Nacht, und ihr Vater fand sie noch am Morgen wachend, und in einem so leidenden Zustande, daß er sich fast zur Nachsicht bewogen gesehen hätte. Doch sein Stolz siegte über die Stimme seines Herzens; er befahl ihr aufzustehen, sich schnell anzukleiden und seine weiteren Befehle zu erwarten, worauf er sich entfernte.

Stumm gehorchte sie und in banger Ahnung erwartete sie die Rückkunft ihres Vaters; diese erfolgte auch bald; er erschien mit ihrer Kammerjungfer und zwei Bedienten und nahm kurz von ihr Abschied mit der Weisung, den Dienern zu folgen.

Bewußtlos ward sie in einen bereit stehenden Wagen gehoben, der schnell mit ihr davon rollte. Als sich einigermaaßen ihre Gedanken ordneten, war sie schon mehrere Stunden von Wien entfernt, und begriff nun leicht das Vorhaben ihres Vaters, daß dieser sie zu ihrer 14 Stunden von Wien entfernten Tante schicke, um sie auf diese Weise von Ludwig zu trennen. So war es denn auch. Kurz nach der Mittagszeit gelangte sie in ihrem zerrissenen Seelenzustande bei derselben an, die nicht wenig über ihr Aussehen und den unvermutheten Besuch, irgend ein Unglück ahnend, erschrak.

O Himmel, rief die Tante ihr zu, was ist bei Euch vorgefallen, ist ein Unglück mit Deinem Vater passirt? Wie siehst Du denn aus?

Mit diesen und ähnlichen Fragen wurde Adelaide bestürmt. Nach gehöriger Fassung gelang es derselben, ihre Tante zu beruhigen, indem sie mit wenigen Worten den Zusammenhang der Dinge erzählte, wobei diese aufmerksam zuhörte und durch freundliche Trostgründe ihre Theilnahme an den Tag legte, zumal da Adelaide ihres Retters aus Räuberhänden, und nachherigen Beschützers und Geliebten, so gedachte, wie es dem edlen Charakter Ludwigs angemessen war. Die alte Tante wurde, trotz ihrer bisherigen Abneigung vor dergleichen Liebeleien, doch so für Ludwig, den sie aus der vollständigen Beschreibung Adelaidens genugsam kennen gelernt hatte, eingenommen, daß sie diese Liebe für eine natürliche Folge erklärte und ihren Beistand versprach.

Dadurch fühlte sich Adelaide sichtbar erleichtert und hoffte durch die Fürsprache ihrer Tante, ihren Vater, den sie als einen strengen, aber auch gütigen Vater kannte, doch endlich zu bewegen, ihre Liebe gut zu heißen.

Während dessen war Ludwig, der einen solchen Ausgang nicht einmal geahnet hatte, von einem kurzen unruhigen Schlafe erwacht, und ging eben mit sich zu Rathe, wie er am besten dem General die Sache vorstellte, dem er doch unter jeder Bedingung sein Verhältniß mit Adelaiden gestehen mußte, als er in seinen Betrachtungen durch einen erscheinenden Diener desselben gestört wurde, der ihm ein Billet von seinem Herrn überbrachte. Hastig erbrach er es, fand jedoch nur darin die Einladung, sobald als möglich den General mit seinem Besuche zu beehren.

Schweigend entfernte sich der Diener, nachdem Ludwig seinen baldigen Besuch zugesagt hatte.

Schnell kleidete er sich an und begab sich unverzüglich nach der Wohnung des Generals, nicht ohne bange Zweifel, was diese schleunige Einladung zu bedeuten habe. Er fand diesen wie gewöhnlich auf seinem Lehnsessel sitzend und eine Pfeife rauchend. Nach gegenseitiger Begrüßung und einer kurzen Pause fing der General im kalten, abgemessenen Tone, der Ludwig erbeben machte, folgendermaaßen an:

Mein Herr, so eben habe ich mit dem Minister über die Angelegenheiten Ihres Fürsten gesprochen und ich hoffe, daß in einigen Tagen die ganze Sache nach Ihrem Wunsche abgemacht sein wird. Ich freue mich, daß ich bei einiger Betheiligung dieser Sache Ihnen dienlich sein und daß ich dadurch, wenn auch nicht unmittelbar, bei Ihnen eine Schuld abtragen kann, die mir, seit dem gestrigen Vorfalle, schwer auf dem Herzen liegen muß. Sie haben in Hinsicht meiner Tochter nicht aufrichtig gegen mich gehandelt, sondern mein Vertrauen gemißbraucht, indem sie hinter meinem Rücken das Herz meiner Tochter mit einer thörichten Liebe vergifteten, wozu Sie sich wahrscheinlich durch Ihre, obschon rühmliche, aber unter solchen Umständen nicht zu lobende, That berechtigt fühlten. Sie haben hierin unbesonnen gehandelt, Sie hätten als edler Mann, wie ich Sie habe kennen lernen. Sich mir über diesen Punkt vertrauen sollen; dann würden Sie erfahren haben, daß einem früheren Versprechen gemäß Adelaide die Verlobte des Grafen von G**** ist, und daß ich, wenn ich auch sonst Ihre frühere edle Handlung anerkenne, Ihnen die Hand meiner Tochter versagen mußte. – Sie können mein Vertrauen, welches Sie durch Ihr Betragen verscherzt haben, nur dadurch wieder gewinnen, wenn Sie ein von mir vorgeschriebenes Verhalten gegen meine Tochter beobachten, wodurch diese genöthigt wird, dem Gedanken an eine Realisirung Ihres Planes zu entsagen. Meiner Tochter habe ich meine Meinung schon gesagt und ich hoffe um so eher, daß sie sich meinem Willen fügen wird, wenn Sie mir Hand dazu bieten. Um sie übrigens desto eher auf andere Gesinnung zu bringen, habe ich selbige heute schon zu einer Verwandtin bringen lassen, die mehrere Meilen von hier ein kleines Landgut besitzt.

Stumm, mit abwechselnder Gesichtsfarbe, hatte Ludwig diese lange Rede mit angehört, und sein blasses Aussehen war nur ein zu deutlicher Beweis von dem, was in ihm vorging. Ohne Zweifel war dies der härteste Schlag, der ihn nur treffen konnte. Nicht im Geringsten auf einen solchen Ausgang vorbereitet, war es bei dem sanftmüthigen Charakter Ludwigs ein Leichtes, ihn zu einem Schritte zu verleiten, der seine irdische Glückseligkeit auf immer vernichten mußte.

Der General, welcher diese Gemüthsstimmung benutzte, drängte Ludwig so lange, bis dieser seine Einwilligung zu einem Briefe an Adelaiden gab, welchen der General ihm dictiren würde.

Mehr als einmal hatte Ludwig die Absicht, die Feder wegzulegen und dem General stolz den Rücken zu kehren; doch sein beleidigtes Ehrgefühl ließ dieses nicht zu. Nach Beendigung des Briefes gab er diesen dem General, der ihn, ohne ein Wort zu sagen, schnell durchflog und einsteckte. Dem Letzteren wurde zwar bald sein allzu strenges Verfahren leid, da er Ludwigs innern Zustand bemerkte, doch tröstete er sich damit, daß dieser kurze Sinnenrausch bald verfliegen würde. Erreichte Ludwig die Hand und suchte ihn zu trösten. Mit wehmüthigem Herzen nahm dieser Abschied, mit dem festen Vorsatze, dieses Haus, in welchem er, nach dem Genusse seliger Augenblicke, den Kelch der bittersten Leiden bis auf den Grund hatte leeren müssen, nie wieder zu betreten.

Nur einen Wunsch hätte er noch gehabt, nämlich den, noch einmal seine Adelaide zu sehen und zu sprechen, noch einmal sie, die heiß Geliebte, an seine, von qualvollem Schmerz gepeinigte, Brust zu drücken, und dann auf ewig von ihr Abschied zu nehmen; doch sie war ja zu weit entfernt und ihren Aufenthalt würde er schwerlich, bei der vorsichtigen Handlungsweise und der Verschwiegenheit des Generals und seiner Leute, die ihn zum Theil wohl selber nicht wußten, erfahren haben.

Voll Verzweiflung schlich er, einer Leiche ähnlich, umher, aber kein Klagelaut kam über seine Lippen; die Luft in Wien schien ihn zu erdrücken, und froh war er, als er nach einigen Tagen bei dem Minister mit seinen Angelegenheiten zu Stande kam und darauf diesen Ort verlassen konnte.

Schnell stieg er in den Reisewagen, warf noch auf Wien einen langen Schmerzensblick zurück und gelangte sodann nach einigen Tagen in seinem Wohnorte und bei dem Fürsten an, den er mit dem guten Erfolge seiner Sendung bekannt machte. Der Fürst war außer sich vor Freude, als er bei jedem Punkte sich mehr und mehr von der Staatsklugheit Ludwigs überzeugte. Herzlich drückte er ihm die Hand und versprach seine treugeleisteten Dienste trefflich zu belohnen. Von dieser Zeit an war Ludwig der ausgemachte Liebling des Fürsten und genoß alle nur mögliche Auszeichnung.

Doch dies Alles konnte ihm den Frieden seines Herzens nicht wieder geben, an seinem Herzen nagte ein Wurm, der seine Gesundheit untergrub und sein Leben bedrohte. Täglich schwand er immer mehr dahin und der sonst so blühende Mann war nur noch der Schatten von ehedem. Die Ärzte, die natürlich seinen heimlichen Kummer nicht kannten, bemühten sich vergebens mit ihrer Kunst; kein Mittel schlug an, und sie wußten am Ende seiner Krankheit keinen Namen zu geben. Allen fiel Ludwigs Dahinwelken auf und sein Freund, dem er seine Leiden anvertraut hatte, suchte ihn vergebens zu trösten.

Auch dem Fürsten konnte der Zustand Ludwigs nicht gleichgültig sein. Jener befragte ihn ernstlich um den Grund seines Leidens, und bedauerte ihn, da dieser ihm die Ursache seines heimlichen Kummers offen mittheilte, herzlich, mit dem Versprechen, bei dem alten General sich für ihn zu verwenden. Als ein Zeichen seiner besondern Gnade ernannte er ihn zum Geheimen-Rath und verlieh ihm später das Adelsdiplom; auf sein Anrathen unternahm Ludwig auch eine Reise ins Bad, wodurch sich sein Zustand etwas verbesserte.

Nicht minder hatte Adelaide gelitten, und ihr Zustand schien wirklich in den ersten Tagen bedenklich, und verbesserte sich nur etwas, als die Tante bei ihrem Vater Alles aufbot, um ihn in seinem Vorsatze wankend zu machen. Obgleich sie aber Adelaidens Zustand mit den grellsten Farben schilderte und ihm die traurigen Folgen seiner harten Handlungsweise zu Gemüthe führte, so war er doch unerbittlich und schrieb der gutmeinenden Vermittlerin, daß sie sich darein nicht zu mischen habe. Sie zögerte von einer Stunde zur andern, Adelaide den schlechten Erfolg ihrer Bemühungen mitzutheilen, als diese plötzlich durch einen Boten einen Brief erhielt.

Hastig erbrach sie ihn, denn er war, wie sie aus der Überschrift sah, von ihrem geliebten Ludwig. Aber kaum hatte sie nur wenige Zeilen durchlesen, als sie mit einem Schrei des Entsetzens in den Stuhl zurücksank; ihre Pulse stockten, das Blut in ihren Adern wurde zu Eis und eine lange Ohnmacht folgte. Die alte Tante, schon bei Kleinigkeiten in Todesangst, war bei dem Anblicke ihrer Nichte ganz außer Fassung; in der Angst ihres Herzens rief sie die ganze Dienerschaft herbei, schickte Boten auf Boten zum Doctor und in die Residenz, zum General. Endlich, nach stundenlangem Bemühen, gelang es ihr und der versammelten Dienerschaft, die matten Lebensgeister der Ohnmächtigen wieder zu erfrischen.

Die alte Taute wußte immer noch nicht, was die Ursache dieses plötzlichen Unfalls war, bis sie sich auf den verhängnißvollen Brief besann und ihn durchflog. Auch sie war Anfangs durch seinen Inhalt, nach welchem Ludwig mit kurzen Worten erklärte, daß er jeder Hoffnung, Adelaidens Hand zu erlangen, entsagen wolle, und diese trocken bat, ihn völlig zu vergessen, sehr bestürzt; doch faßte sie sich bald und suchte Adelaiden, die unterdeß sich etwas erholt hatte, zu beruhigen.

Ist denn der Brief aber auch von Ludwig, fragte sie, steckt dahinter nicht etwas anderes?

Ja, rief Adelaide, den Brief näher betrachtend, es ist seine Hand, aber ich erkenne darin das Werk meines Vaters; von meines Ludwigs Liebe und Gesinnung bin ich zu fest überzeugt, als daß ich glauben könnte, derselbe könne und werde mich aus freiem Willen so leicht aufgeben; er, der Edle, der immer so offen, so bieder war, kann mich nicht hintergangen haben! Nun ist er fort, mein Vater hat ihn abgewiesen, ach, vielleicht schrecklich beleidigt, daß er zu einem solchen Verfahren gezwungen wurde. Nie, mein Herz sagt es mir, nie werde ich ihn wiedersehen, nie wird die Sonne meines Glücks mir wieder lächeln. Aber meinem Vater, der grausam genug hat sein können, sein Kind unglücklich zu machen, will ich, kann ich seinen Triumph auch nicht gönnen; ich will diese treulose Welt, in der man nur einige Augenblicke glücklich ist, um nachher von der Last der bittersten Leiden nur noch mehr erdrückt zu werden, verlassen; in ein Kloster gehen, und da den Rest meiner Tage und meiner unglücklichen Liebe vertrauern. Gott wird mein Gebet erhören, daß ich nicht lange zu trauern brauche. Hier auf Erden finde ich einmal keine Ruhe mehr.

Fürchterlich war das Leiden des armen Mädchens; dies war zu viel, die Schläge des Schicksals hatten sie zu hart getroffen, als daß ihre, ohnehin schon schwankende Gesundheit nicht hätte unterliegen sollen. Das Feuer ihrer Augen erlosch, sie wankte, einem Schatten gleich, umher.

In diesem Zustande fand sie ihr Vater, der durch die erhaltene Nachricht beunruhigt, augenblicklich herbeigeeilt war. Erschrocken trat er zurück, als er seine Tochter in diesem beklagenswerthen Zustande erblickte; sie sprach wenig, sah ihn eine Weile mit wehmüthigen Blicken an und sagte dann mit schwacher, herzzerreißender Stimme:

»Kennst Du Deine Tochter noch?«

Fast wäre hierdurch die Eisrinde, die sein Herz umzogen hatte, geschmolzen, und wenig hätte gefehlt, daß er den wiederholten Bitten seiner Schwester nachgegeben und die Sache einen ganz andern Ausweg genommen hätte; aber noch zeitig genug erwachte sein Stolz, welcher ihn an sein gegebenes Versprechen erinnerte; und – alles Zureden war vergebens. Er faßte die Hoffnung, daß Alles bei Adelaide eine starke Aufregung sei, welche sich mit der Zeit bei ruhiger Besinnung schon geben würde.

Verliere kein Wort weiter, sagte er endlich beinahe aufgebracht zu seiner Schwester, Du weißt, daß ich noch nie mein Wort brach, und werde auch diesmal halten, was ich versprochen habe, sollte ich auch selbst darüber zu Grunde gehen!

Indessen suchte er seine Tochter so viel als möglich zu beruhigen. Mit dem Versprechen, sie, wenn sie sich erst wieder etwas erholt haben würde, nach der Residenz zurückzubringen, nahm er wieder Abschied.

Gleichgültig, mit ruhiger Miene, sah ihn Adelaide abfahren; was sollte sie in Wien, dessen Anblick die kaum verharrschten Wunden ihres Herzens nur auf's Neue wieder aufreißen und bluten lassen mußte. Ihr einziges Sehnen war nunmehr nur noch das Kloster; der Entschluß, sich in einem solchen aufnehmen zu lassen, war völlig bei ihr zur Reife gediehen, und sie wandte Alles an, ihn auszuführen.

Ja, im Kloster, rief sie, weinend ihrer Tante um den Hals fallend, ist nur Ruhe für mich, da kann ich ungestört der Blume der Liebe pflegen, die in meinem Herzen wurzelt. Von der Welt habe ich gänzlich Abschied genommen; möge im Schooße der Kirche wieder der Friede in meine Seele einziehen!

Weder Bitten noch Vorstellungen ihrer Tante waren im Stande, sie von dieser Idee abzubringen. Gelegenheit zur Ausführung ihres Vorhabens fand sich auch bald. Die Tante selbst lebte in freundschaftlicher Verbindung mit der Äbtissin des nahe gelegenen Klosters; Adelaide suchte bald deren Bekanntschaft, machte ihr ihren Entschluß, der mit Freuden aufgenommen wurde, bekannt, und, ehe acht Tage vergingen, schlossen die Mauern des Klosters Adelaide in ihre Mitte.

Ein Brief an ihren Vater benachrichtigte diesen von ihrem zum Theil schon ausgeführten Entschlusse. Außer sich darüber, bot der General alle ihm zu Gebote stehenden Mittel auf, seine Tochter zurückzuführen, und, vor Zorn wüthend, wollte er sie mit Gewalt daraus vertreiben. Aber vergebens; so sehr er auch seinen ganzen Einfluß aufbot, so scheiterte doch seine weltliche Macht an dem Felsen der geistlichen. Seiner Schwester, so wie der Äbtissin, machte er die schrecklichsten Vorwürfe, jener, daß sie Adelaide nicht zurückgehalten und ihn zuvor davon benachrichtigt habe, dieser, daß sie, ohne seine Erlaubniß, seine Tochter, durch falsche Vorspiegelungen verlockt, aufgenommen habe. Nur das konnte ihn noch einigermaaßen beruhigen, daß Adelaide nach einem Jahre, wo ihr Noviziat vollendet war und erst die völlige Einkleidung erfolgte, wieder zurückkehren könne, und daß die Äbtissin sich verpflichten mußte, ihn vor der Ablegung des Gelübdes davon zu benachrichtigen. –

Einen solchen Widerstand, von Seiten seiner Tochter, hatte er nicht erwartet, aber er wurde dadurch nur noch hartnäckiger in der Durchsetzung seines Willens.

VII.

Ein Jahr war nach diesen Ereignissen bald verflossen, und der General, der während dieser Zeit sein Kind nur zu sehr vermißt hatte, sehnte sich herzlich nach der Wiederkehr desselben aus dem Kloster. Stand ihm auch jede nur mögliche Bequemlichkeit zu Gebote, so fehlte ihm doch bei seinen häufigen gichtischen Anfällen eine liebende Freundin, die ihm theilnehmend zur Seite stand.

Eines Abends, als er wieder heftig an seinem Gebrechen litt, fiel ihm zufällig ein Zeitungsblatt in die Hände, in welchem der damals berühmte Doctor H**** in D***** gerühmt wurde, vielen Leidenden der Art, wenn auch nicht immer gänzliche Hülfe, doch merkliche Linderung der Schmerzen und Schwächung des Übels verschafft zu haben. Dies lesen und den Entschluß fassen, den berühmten Arzt aufzusuchen und sich seinen Beistand zu erbitten, war eins. Obgleich der Aufenthalt des Arztes ihn an den Wohnort Ludwigs erinnerte, den er als den Störer seines häuslichen Glückes betrachtete, und auf den er so erbittert war, daß er jedes Zusammentreffen mit ihm vermeiden wollte, so nöthigte ihn doch sein Schmerz, diesen Widerwillen zu besiegen und nach dem Orte zu reisen, wo er Hülfe erwartete.

Mit dem anbrechenden Tage begann er also seine Reise, die in jeder Hinsicht wohlthätig auf ihn wirken mußte. Denn auch der General hatte, trotz seiner kräftigen Constitution, durch den mannigfachen Ärger und Kummer wegen seiner Tochter, viel gelitten; sichtlich hatte der vorher so kräftige, robuste Mann gealtert und immer weißer färbte sich das wenige Haar auf seinem Haupte.

Wohlbehalten langte er nach einigen Tagen, nachdem er die Beschwerlichkeit des Fahrens an seinen gichtischen Füßen sattsam empfunden hatte, in D***** an, wo denn auch sein erstes Geschäft war, sich nach der Wohnung des berühmten Arztes zu erkundigen. Nachdem er sich einigermaaßen erholt hatte, suchte er denselben, welcher beim Geheimenrathe v. Holdheim wohnen sollte, auf. Kaum glaubte er aber seinen Sinnen trauen zu dürfen, als er, dort angelangt, sah, daß der Geheimerath v. Holdheim kein anderer, als der ihm so verhaßte Ludwig war. Auch Letzterer schien durch den Anblick des Generals betroffen, und in der Meinung, der Besuch gelte ihm, stiegen die süßesten Ahnungen in ihm auf. Jedoch bald wurde seine Freude gemildert, als sich der General, ohne sich viel mit ihm in ein Gespräch einzulassen, nach dem Arzte H**** erkundigte.

Der ist seit einer Stunde ausgegangen, entgegnete Ludwig; da er aber jedenfalls bald zurückkehren wird, so bitte ich Ew. Excellenz, indessen bei mir einzutreten.

Um den Anstand nicht zu verletzen, machte der General, so schwer es ihm auch ward, von Ludwigs freundlicher Einladung Gebrauch. Ja, Ludwigs freundliche Zuvorkommenheit und liebevolle Fürsorge nahmen ihn, obgleich Anfangs mit Haß gegen denselben erfüllt, doch so für ihn ein, daß er sein herzliches Anerbieten, in dessen Hause seine Heilung abzuwarten, nicht zurückwies; und obgleich es ihm nachher unlieb war, daß er sich diesem Mann, den er durch sein hartes Benehmen so schwer gekränkt hatte, noch mehr verbindlich machen sollte: so konnte er doch sein einmal gegebenes Wort nicht zurücknehmen und quartierte sich am andern Tage, auf die nochmaligen Bitten Ludwigs, bei diesem ein.

Bequemer, als bei ihm, hätte er es auch nirgends finden können, und Ludwigs angenehme Unterhaltung, der Alles aufbot, um dem General den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen, so wie die wirksamen Bemühungen des Arztes, verschafften ihm bald so viel Linderung, daß er schon nach kurzer Zeit den Tag seiner Abreise festsetzen konnte. Gern hätte er bei Ludwig wieder gut gemacht, was er bei ihm verschuldet; aber er hielt sich durch sein einmal gegebenes Versprechen gebunden. Desto mehr peinigte ihn der Gedanke, daß er diesem Manne, dem er, wie er sich gestehen mußte, seine Wohlthat mit Undank vergolten hatte, mit Nichts seine Schuld abtragen konnte.

An einem der letzten Abende vor seiner Abreise saß er einmal mit Ludwig traulich beisammen, und, von dem edlen Charakter desselben hinlänglich überzeugt, erzählte er unaufgefordert, was sich seitdem mit seiner Tochter zugetragen, und wie viel dieselbe gelitten habe.

Sein Sie überzeugt, sagte er gerührt zu Ludwig, ich würde keinen andern, als Sie, zu meinem Schwiegersohn gewünscht haben, wenn ich nicht schon lange vorher eine Verabredung mit dem alten Grafen v. G*****, meinem Freunde, getroffen hätte, unsere Kinder gegenseitig zu verheirathen. Sie dauern mich, bester Freund; Sie werden mich hart nennen; wenn Sie sich aber an meine Stelle denken, so werden Sie gewiß die Überzeugung erlangen, daß ich nicht anders handeln konnte; Sie selbst würden als ein rechtlicher Mann, wie ich Sie genugsam kenne, auch nicht anders handeln. Trösten Sie sich und verzeihen Sie mir mein Verfahren gegen Sie, sagte er bewegt, indem er aufstand, Ludwigs Hand mit nassem Blicke ergriff und herzhaft drückte.

Aber mein Gott, rief er im höchsten Erstaunen, als er aufblickte und eine Geldbörse auf dem Schranke gewahr wurde, sagen Sie mir um Himmelswillen, wie kommen Sie zu dieser Geldbörse? Ist es ein Trugbild? Nein, wahrhaftig, sie ist es!

Diese Börse, sagte Ludwig, sie erfassend, ist das letzte Andenken von meinem unglücklichen Vater.

Von Ihrem Vater? rief der General erstaunt, sie noch einmal näher betrachtend.

Von meinem Vater, wiederholte Ludwig.

Von wem hat dieser sie gekauft? –

Er hat sie, so viel ich mich dessen noch entsinnen kann, von einem Officier für eine Dienstleistung, bei welcher er leider sein Leben opferte, nebst einem beträchtlichen Inhalte, geschenkt bekommen.

Und Ihr Vater? –

War ein armer Fischer, unterbrach ihn Ludwig.

Gott, rief der General mit emporgehobenen Armen, deine Schickungen sind wunderbar! Kommen Sie in meine Arme, Sohn meines unglücklichen Retters! Wissen Sie, ich war der Officier, für den Ihr edelmüthiger Vater in jener schrecklichen Nacht sein Leben wagte und verlor. Welche schwere Schuld lastet auf mir! Nicht genug, daß er durch Aufopferung des eigenen Lebens das meinige rettete, auch sein Sohn hat mir durch heldenmüthige That das Leben meiner Tochter erhalten! Das ist zu viel, das kann ich nicht ertragen, rief der alte Mann, und Thränen der Rührung stürzten aus seinen Augen. Nehmen Sie mich, nehmen Sie meine Tochter, Alles, was ich bin und habe, gehört Ihnen. Lieben Sie meine Tochter noch, so gebe ich sie Ihnen mit Freuden. Gott ist mein Zeuge, ich kann nicht anders! Es ist das erste Mal, daß ich wortbrüchig werde, aber die Welt wird und muß mir verzeihen!

Beide weinten Thränen der schmerzlichsten Rückerinnerung und der süßesten Freude. Vorzüglich war es Ludwig, der, bis ins Innerste seines Herzens ergriffen, sich kaum zu fassen vermochte und sich dem alten General zu Füßen stürzte.

Wäre es möglich, rief er, daß endlich das Flehen meines Herzens erhört, endlich der Friede meiner Seele mir wiedergegeben werden könnte?

Dies war das Einzige, was er hervorbringen konnte, und krampfhaft drückte er die Hand des Generals, der sie ihm reichte, indem er ihn zu sich emporhob.

Verlieren Sie aber nun keine Zeit, sagte dieser endlich, gehen Sie heute Abend noch oder morgen früh zum Fürsten, erbitten Sie sich Urlaub, und kommen Sie mit mir; lassen Sie uns meine Tochter, Ihre nunmehrige Braut, aus ihrem Gefängnisse, dem Kloster, befreien.

Daß Ludwig nicht zögerte, läßt sich denken; vor Freude zitternd, machte er, nachdem er vom Fürsten den nöthigen Urlaub erlangt hatte, die schleunigsten Anstalten zur Reise.

VIII.

Mit der Frühe des Morgens saßen Beide im Wagen und fuhren im schnellen Trabe davon.

Meine Pflicht ist es, lieber Ludwig, fing der General, das bisherige Schweigen brechend, an, daß ich Sie nunmehr auch mit den Umständen bekannt mache, welche die Veranlassung zum Tode Ihres Vaters gaben. Ich muß jedoch zuvor einige Bemerkungen über die damaligen Zeit-Ereignisse vorausschicken, damit Ihnen nichts unverständlich bleibe.

Gespannt, das längst Erwünschte, was so lange im Dunkel der Zeit gehüllt lag, zu erfahren, hörte Ludwig aufmerksam zu.

 

Ich stand zur Zeit, als die polnische Königswahl nach August des 2ten Tode fast ganz Europa beschäftigte, noch als Obrist des 3ten Infanterie-Regiments in österreichischen Diensten, und mußte, als sich die Verhältnisse feindlich gestalteten, mit der Abtheilung meines Heeres ins Feld rücken.

Durch Frankreichs Einfluß ward nämlich der Schwiegervater Ludwigs XV., Stanislaus Lescinsky, auf den polnischen Thron erhoben; allein von der Gegenpartei, Österreich und Rußland, ward dieser aus Polen vertrieben und an seiner Stelle der Churfürst August von Sachsen erwählt. Frankreich, sich in seinem Schützlinge gekränkt fühlend, setzte dem alten Fleuri so lange zu, bis er im Jahre 1733 ein Heer nach Österreich sandte, um die vermeintliche Unbill zu rächen. Der dadurch entstandene Krieg fiel für Österreich, welches vergeblich auf Hülfstruppen gerechnet und mit Hindernissen mannigfacher Art zu kämpfen hatte, bekanntlich höchst unglücklich aus.

Ein Jahr später, 1734, rückte ich mit meiner Heeres-Abtheilung zum weltberühmten Helden Eugen, der damals mit seinen Truppen am Rhein stand, wohin sich der Schauplatz des Krieges gewendet hatte. Die vielseitigen Gefechte und die verschiedenen Verhältnisse, die auf unsere Geschichte weiter keinen Bezug haben, will ich der Kürze halber mit Stillschweigen übergehen und vielmehr den Hauptgegenstand, der das Schicksal Ihres Vaters betrifft, hervorheben.

Eines Tages wurde ich vom General zur Recognoscirung mit einigen meiner Leute auf das jenseitige Rheinufer gesandt. Den überall umherspähenden Franzosen entgingen wir jedoch, trotz unserer Vorsicht, nicht, wir wurden von ihnen mit großer Überzahl unvermuthet angegriffen, und der größte Theil meiner Leute niedergehauen. Nur wenige derselben entgingen mit mir der Niederlage. Zum Unglück wurde ich noch von diesen getrennt, und suchte nun allein, von den lauernden Franzosen stets beunruhigt, den Rückweg über den Rhein.

Schon zwei Tage war ich an den Ufern desselben umhergeirrt, ohne daß es mir gelang, eine Möglichkeit zum Übersetzen zu finden. Zur Vermehrung meiner Angst hatte ich noch durch einen glücklichen Zufall eine wichtige Entdeckung gemacht und eine Absicht des Feindes erfahren, wodurch unserm Heere, wenn der General nicht zur gehörigen Zeit Nachricht davon erhielt, der größte Nachtheil entstehen konnte. Vom Hunger und von der Anstrengung des Marsches entkräftet, entkam ich in einem fürchterlichen Sturm und Regenwetter, durch die pechschwarze Nacht begünstigt, meinen Feinden, und gelangte nach unsäglicher Anstrengung zu der Fischerhütte Ihres Vaters, der mich freundschaftlich aufnahm und meinen Hunger stillte. Nachdem ich diesem das Gefährliche meiner Lage geschildert, und mit der dringenden Nothwendigkeit meiner sofortigen Überfahrt bekannt gemacht hatte, entschloß er sich, ungeachtet der augenscheinlichsten Lebensgefahr, zu dem kühnen Unternehmen, und bestieg mit mir den Kahn.

Stets wird mir diese fürchterliche Nacht im Gedächtnisse bleiben. Mit der größten Geschicklichkeit suchte Ihr Vater gegen die gräßliche Finsterniß und die stürmisch aufbrausenden Wellen zu kämpfen; schon schien der glücklichste Erfolg unser Vorhaben zu krönen, beinahe war das jenseitige Ufer erreicht, – da stürzte eine wilde Welle den bereits mit Wasser angefüllten Kahn um und mich und Ihren armen Vater in die schäumenden Fluthen. Da ich ein guter Schwimmer war, so suchte ich mich zu retten, und erreichte auch, trotz meiner durchnäßten Kleidung, glücklich das Ufer. Das traurige Schicksal Ihres Vaters, so wie Ihrer Mutter, erfuhr ich erst einige Tage nachher von einigen Fischern, die ich deshalb befragte.

Etwas mehr konnte ich aber, weil wir, von den Franzosen vertrieben, das Schlachtfeld räumen mußten, nicht erfahren. Oft habe ich das unglückliche Loos Ihres armen Vaters, der sich für mich aufgeopfert hatte, bedauert, und nie ist mir die edelmüthige Handlung desselben aus dem Sinn gekommen.

Da meine übrige kriegerische Laufbahn für Sie, lieber Sohn, wenig Interesse haben würde, so will ich, darüber hinweggehend, nur noch einige andere Züge meines Lebens, wo Sie theilweise selbst mit betheiligt sind, hervorheben.

Mehrere Jahre nach dem Frieden, den Österreich mit vielem Verlust mit Frankreich geschlossen hatte, mußte ich in Folge einiger schlecht geheilten Blessuren eine Reise zu einem damals in Prag lebenden Arzte, dem berühmten Doctor S., machen, auf welcher mich meine Tochter begleitete. Eine Tagereise von Töplitz trennte ich mich von derselben, weil ich auf ein paar Tage einen meiner Kriegsgefährten, den Major von M***** in W******, besuchen, meine Tochter dagegen, von der schönen Gegend verlockt, die Umgebungen von Töplitz und den berühmten Badeort selbst in Augenschein nehmen wollte.

Damals war es, wo Sie durch Ihr entschlossenes Handeln meine Tochter aus den Händen der Räuber und mir mein köstlichstes Kleinod retteten, wofür Sie aber auch jetzt, setzte er lächelnd hinzu, die Früchte Ihrer Thaten genießen sollen. Daß ich höchst erschrocken war, als mir meine Tochter nach unserm Zusammentreffen diesen Unglücksfall erzählte, Ihre edle That aber, welche mir kaum glaublich schien, von Adelaide mit den lieblichsten Farben ausgeschmückt wurde, können Sie sich denken.

Meine Bemühungen, nähere Erkundigungen von Ihnen einzuziehen, mußte ich damals einstellen, weil ich durch die, von dem ausgestandenen Schrecken herbeigeführte Unpäßlichkeit meiner Tochter, in zu große Unruhe versetzt wurde. Auf mein dringendes Zureden reiste meine Tochter in Begleitung meines treuesten Dieners nach Wien zurück, um bei ärztlicher Pflege ihre Gesundheit wieder zu erlangen. Ich selbst konnte sie noch nicht begleiten, weil ich erst noch eine Geschäftsreise, welche mich durch unfreundliche Gegenden führte, abzumachen hatte.

Auf dieser Reise nun hatte ich noch ein Abentheuer zu bestehen, welches ich seiner Sonderbarkeit wegen nicht übergehen kann. Bei der gänzlichen Unkenntniß des Weges, welcher mich nach meinem Ziele führen sollte, und wegen der neblichten, trüben Witterung, hatte mein Kutscher den rechten Weg verfehlt und wir befanden uns plötzlich in einer Einöde, aus welcher wir nirgends einen Ausweg fanden. Kein lebendes, menschliches Wesen ließ sich sehen, welches wir hätten um Rath fragen können, und Hülfe war um so weniger zu erwarten, weil der Abend schon so weit vorgerückt war, daß wir, ehe wir irgend einen Entschluß fassen konnten, uns in rabenschwarze Finsterniß gehüllt sahen.

Was war zu thun? trotz der rauhen Witterung waren wir genöthigt, Halt zu machen, um den Tag abzuwarten. Ich hüllte mich fest in meinen Mantel und schickte mich in die unvermeidliche Nothwendigkeit.

In der Ecke des Wagens liegend, konnte ich kaum etwas eingeschlafen sein, als ich vom Kutscher geweckt wurde. Dieser machte mich auf einen Lichtschein aufmerksam, der meines Erachtens nicht allzu weit von uns entfernt sein konnte. In der Hoffnung, dort menschliche Hülfe zu finden, befahl ich meinem Kutscher, wenn es möglich wäre, darauf los zu fahren.

Die Pferde am Zügel führend, versuchte auch dieser, trotz der Finsterniß, dahin vorzudringen. Allein der Lichtschein war viel weiter, als ich selbst vermuthet hatte, und wir konnten ziemlich eine Stunde lang gefahren sein, als wir uns demselben erst auf einige hundert Schritte genähert hatten. Zugleich aber versicherte mir der Kutscher, daß er nicht weiter könne, weil der Weg zu uneben würde.

Ich stieg also aus dem Wagen und befahl dem Kutscher, auf mich zu warten. Vorsichtig schritt ich vorwärts und gelangte nach einiger Bemühung glücklich zu der Stelle, wo sich das Licht zeigte, und befand mich an der Ruine eines alten Schlosses, das, nach dem durch das Loch eines Fensterladens schimmernden Lichte zu urtheilen, bewohnt sein mußte. Ich lauschte eine Weile aufmerksam und unbemerkt, und vernahm dabei ganz deutlich einige tiefe Männerstimmen.

Der Gedanke, daß dieser Ort der Schlupfwinkel einer Räuberbande sei, setzte mich, ich gestehe es, in nicht geringe Angst, um so mehr, da ich bereits genugsam durch das Schicksal meiner Tochter erfahren hatte, daß diese Gegend gefährlich sei. Aber bald erwachte mein Muth wieder. Mit zwei scharfgeladenen Pistolen bewaffnet, faßte ich den Vorsatz, der Sache näher auf den Grund zu gehen, und klopfte demnach stark an den festverschlossenen Laden. Sofort verwandelten sich die lauten Stimmen in ein leises Flüstern, und auch dieses verstummte bald. Nach wiederholtem Klopfen wurde endlich der Laden geöffnet und eine rauhe Männerstimme fragte nach meinem Begehr. Ich antwortete, daß ich, vom rechten Wege abgekommen, mich in dieser einsamen Gegend verirrt hätte und erbat mir Hülfe, um meinen Wagen, der in kurzer Entfernung halte, herbeizubringen.

Ohne ein Wort zu sagen, schloß der Mann den Laden wieder; es währte aber nicht lange, so öffnete er die Thür, nöthigte mich zum Eintreten und versprach mir, den Wagen sofort herbeizuschaffen. Forschend blickte ich in dem Zimmer, in welches er mich führte, umher; es wurde nur spärlich durch eine an der Decke hängende Oel-Lampe erleuchtet, welche nur die Mitte des Zimmers erhellte, die Gegenstände an den Wänden und in den Ecken desselben aber fast in völligem Dunkel ließ.

Dessenungeachtet bemerkte ich recht wohl, daß an den rußigen Mauern Pistolen und ähnliche Mordwerkzeuge hingen, und an dem einen Ende des Zimmers Koffer, Kasten und Packete aufgehäuft lagen, die in mir schaurige Ahnungen erregten. In der Mitte des Zimmers saßen an einem alten eichenen Tische, bei einem Schoppen Wein, drei Männer von finsterem, unheimlichem Aussehen, welche mich grinsend von allen Seiten betrachteten. Daß dieser Ort nicht geheuer sei, überzeugte mich die oberflächlichste Beobachtung, und ich verwünschte im Stillen meine Unvorsichtigkeit, mich in ein solches Raubnest gewagt zu haben. Ich sah jedoch auch zugleich recht wohl ein, daß es, da der Schritt nun einmal geschehen, das Gerathenste sei, mich so gleichgültig als möglich zu stellen. Ich setzte mich daher ebenfalls auf eine Bank und erwartete mit Ruhe die Dinge, die da kommen sollten.

Während einer Unterredung mit dem Manne, den ich als den Wirth betrachtete, entfernten sich die drei andern Schreckgestalten, und zu gleicher Zeit hörte ich, daß mein Wagen anlangte. Mit bedenklicher Miene sah mich der Kutscher an, welcher, nachdem Pferde und Wagen in einen halbverfallenen Schuppen untergebracht worden waren, eintrat.

Herr General, sagte er zu mir, als der Wirth sich auf einen Augenblick entfernt hatte, ich wollte lieber noch draußen mit Sturm, Unwetter und Finsterniß kämpfen, als hier an diesem Unheil verkündenden Orte eine Nacht zubringen; hier ist's, bei meiner Seele, nicht sicher!

Mehrere Männergestalten sah ich im Hofe umherschleichen, und nicht undeutlich vernahm ich ihr Gemurmel von einem unverhofften Braten, der ihnen wohl bekommen solle.

Das unterlag keinem Zweifel mehr, wir befanden uns in einer höchst kritischen Lage, aus der uns nur die größte Vorsicht und muthige Vertheidigung retten konnte.

Vom wiedereintretenden Wirthe verlangte ich eine Flasche Wein, die er mir auch sogleich vorsetzte. Sein Anerbieten, ihm in ein bequemer eingerichtetes Schlafgemach zu folgen, schlug ich aus wohlgegründeten Ursachen aus, da ich nicht gern von meinem Kutscher getrennt werden wollte, der mir doch im Nothfalle einige Hülfe leisten konnte. Hierauf wollte er sich, mir eine gute Nacht wünschend, entfernen; in der Thür rief ich ihn jedoch entschlossen zurück, zog meine Pistolen aus der Manteltasche, legte diese so wie meinen Mantel vor mir auf den Tisch, und, ihn scharf anblickend, wollte ich ihn eben anreden, – als er, zu meinem größten Erstaunen, bestürzt zu meinen Füßen sank.

Ja, Sie sind's, General! rief er, mir die Hände entgegenstreckend, es ist Ihr feuriger, flammender Blick, mit dem Sie uns immer so wohl im Zügel zu halten wußten, es ist Ihre wohlbekannte, kräftige Stimme, die im Getümmel der blutigen Schlacht unsern Muth immer aufs Neue anfachte, wenn wir etwa wanken wollten! Mein General, erinnern Sie sich noch des Soldaten, der, in der Schlacht bei Philippsburg verwundet und entkräftet, von einem feindlichen Reiter eben niedergemetzelt werden sollte, als Sie, gleich einem rettenden Engel, herbeijagten, den Todesstreich von ihm abwendeten und für den Verband seiner Wunden sorgten? Das war ich! Nie hat mich das Andenken an Ihre edle That verlassen und stets hat es mich betrübt, Ihnen nicht meinen Dank bezeugen zu können. Doch jetzt ist hierzu die Zeit gekommen. Sie sollen erfahren, daß auch im Herzen eines niedrigen Menschen Dankbarkeit wohnen kann. Gott sei gelobt, daß ich Sie wieder erkannt habe, denn sonst würden Sie wahrscheinlich ein Opfer unserer Raublust geworden sein.

Mit Verwunderung hatte ich ihm zugehört; ich erinnerte mich nun der von ihm berührten Thatsache wohl; auch seine Gesichtszüge kamen mir nicht unbekannt vor.

Wie ist es aber möglich, sagte ich zu ihm, indem ich ihm bedeutete, sich zu erheben, daß ich Dich unter solchen Verhältnissen finde?

Sie sollen Alles erfahren, mein General, erwiederte er, indem er hinauseilte und die andern Leute zusammenrief. Kennt Ihr unsern ehemaligen, guten General noch? rief er ihnen zu, als sie, zwölf Mann stark, eintraten. Hier ist er, der uns immer so väterlich behandelte, und, wenn Noth vorhanden war, seinen letzten Bissen mit uns theilte. Kommt her, daß er Euch genau ansehen und erfahren möge, daß er sich unter lauter ehemaligen tapfern Streitern für's Vaterland befindet!

Ehrfurchtsvoll standen die Männer um mich herum; ihre unheimlichen, mordlustigen Mienen verwandelten sich bei der Erinnerung an die frühere gute Zeit in ein wehmüthiges Lächeln; ja ich bemerkte sogar einen unter ihnen, dem dieselbe eine Thräne aus den finstern Augen entlockte. Sie kamen einer nach dem andern auf mich zu und drückten mir die Hand, und ich erkannte allerdings mehrere als Soldaten meines Regiments. Ich machte ihnen natürlich kräftige Vorstellungen über ihre Lebensweise, erinnerte sie an das Verbrecherische derselben und sagte, daß es mich sehr schmerzen müsse, sie unter solchen Verhältnissen wieder zu finden.

Sie wissen am besten, General, fing einer unter ihnen mit gesenktem Blicke an, was wir in der Kriegszeit ausgestanden haben; wir haben gutwillig ohne Murren unser Blut für den Kaiser verspritzt, indem die Meisten unter uns zu Krüppeln geschossen wurden. Da hörte der Krieg auf und mit ihm auch unser Nahrungszweig. Vergebens hielten wir um Unterstützung an, sie wurde uns versagt und unsere Verabschiedung vom Militair war der Dank für unsere treugeleisteten Dienste. Arm und von dem Notdürftigsten entblößt, an das freie Leben gewöhnt und deshalb arbeitsscheu, wußten wir nicht, was wir beginnen sollten, und entschlossen uns also einstimmig, einen Krieg im Kleinen zu führen, und so für unser Auskommen, das uns vom Staate versagt worden, selbst Sorge zu tragen. Sechszehn von unsern Leuten fanden sich zu diesem Zwecke zusammen; fünf derselben sind schon gestorben, ihnen ist wohl, aber unser wartet vielleicht noch ein schlimmes Loos!

In diesem Augenblick trat noch ein Räuber ein; sein Äußeres ließ schließen, daß es der Hauptmann sei, und ich hatte mich nicht getäuscht. Da kommt unser Hauptmann, erscholl es von allen Seiten, und ein freudiges Vivat begleitete diese Worte.

Er blieb, betroffen über die sich seinen Augen darstellende Scene, in der Thür stehen und sah erst mich und dann seine Leute mit durchbohrenden Blicken an.

Was soll das bedeuten? fragte er dann mit ernster Stimme, indem es ihm wahrscheinlich sonderbar vorkommen mochte, seine rohen, raubgierigen Leute, gleich Kindern um ihren Vater, ehrfurchtsvoll um mich herumstehen zu sehen. Der Wirth beeilte sich, ihn mit mir und den näheren Umständen bekannt zu machen.

Wenn dem so ist, erwiderte der Hauptmann beruhigt, so seien Sie willkommen! Dann stand er eine Weile sinnend da, während dessen ich Zeit hatte, seine schöne, wohlgeformte Gestalt und seinen kräftigen Muskelbau zu bewundern; plötzlich kam er auf mich los, ergriff meine Hand, drückte sie krampfhaft und sagte dann mit bewegter Stimme:

General, da Sie viele von meinen Leuten kennen, so nehmen Sie sich ihrer hülfreich an; es ist noch nicht alles Gefühl bei ihnen erloschen; Viele sind unter ihnen, die herzliche Reue über ihren Lebenswandel empfinden; könnten Sie ihnen Verzeihung auswirken, aus den Meisten würden noch brave Männer werden.

Ich glaubte kaum meinen Ohren trauen zu dürfen, als ich aus dem Munde dieses Mannes, den ich doch für einen argen Bösewicht halten mußte, solche gefühlvolle Worte vernahm. Sie machten um so mehr Eindruck auf mich, als ich in seinem blassen Gesichte die Spuren heimlichen Kummers und innerer Rührung bemerkte.

Was ich thun kann, will ich thun, antwortete ich ihm, indem ich seine Hand herzlich drückte. Ich bot sodann alle meine Überredungskunst auf, sie von dem Schändlichen ihres gegenwärtigen Lebens zu überzeugen, schilderte mit hellen Farben das Glück eines ruhigen, arbeitsamen Lebens, und rieth ihnen zuletzt, da sie im Vaterlande sich doch nun einmal das Vertrauen verscherzt hätten, in dem neuen Erdtheile, wo schon mancher sein Glück gemacht hätte, den Rest ihrer Tage in Arbeit ruhig zu verleben. Ich hatte auch die Freude, meine Ermahnungen und meinen Rath gut aufgenommen zu sehen.

Wenn uns unser Hauptmann unseres Eides entbindet, riefen sie, so geschehe, was Sie gesagt haben! und Aller Augen richteten sich auf diesen.

Dessen entlasse ich Euch von ganzem Herzen, erwiderte dieser, mich soll's freuen, wenn aus Euch noch ordentliche Kerle werden. Ja ich begleite Euch sogar nach der neuen Welt, denn schon lange war es mein Vorsatz, dahin auszuwandern.

Ein Lebehoch brachte mir und dem Hauptmann den gewiß aufrichtig gemeinten Dank.

Ja, nach Amerika! riefen sie einstimmig, und schwenkten freudig ihre Hüte.

Nur zwei unter ihnen zogen es vor, in Deutschland zu bleiben, und da ihr Brot als ehrliche Leute zu verdienen. Darauf gab ich ihnen nach der Reihe die Hand und ermahnte sie, ihrem Vorsatze treu zu bleiben, was sie heilig gelobten. Nun entfernten sie sich jubelnd, um den Rest der Nacht noch fröhlich zuzubringen. Nur der Hauptmann blieb zurück, welcher von Neuem meine Hand ergriff und sie heftig an sein Herz drückte.

General, sagte er, Ihnen habe ich den künftigen Frieden meiner Seele zu verdanken. Woran ich schon lange im Stillen gearbeitet habe, das ist durch Ihre Mithülfe endlich zur Ausführung gekommen. Nehmen Sie meinen herzlichen Dank und lernen Sie in mir einen durch Gewissensbisse unglücklich gemachten Mann kennen. Durch Habsucht ließ ich mich verblenden, meinen Wohlthäter, der mir ein zweiter Vater geworden war, auf die schändlichste Weise zu betrügen. Ich bin schuld, daß der rechtlichste aller Kaufleute in H****** zu Grunde gerichtet wurde; ich bin schuld an dessen kurz darnach erfolgtem Tode, und auch durch mich ist dessen einziger Sohn, der sogar mein Jugendfreund war, in grenzenloses Elend gerathen. Mit dem geraubten Gelde suchte ich nach Amerika zu entkommen, um da ungestört die Frucht meiner schändlichen That zu genießen. Allein die rächende Nemesis erreichte mich, ehe ich diesen Vorsatz ausführen konnte. Ich fiel in die Hände der Räuber, und wurde gänzlich ausgeplündert; in der Verzweiflung entschloß ich mich, selbst dieses Handwerk zu treiben, und trat unter diese Bande, die Sie nunmehr kennen gelernt haben. Da ich mich durch Muth und Unternehmungsgeist auszeichnete, wurde ich nach dem Tode unseres Hauptmanns an dessen Stelle gewählt, welchen schändlichen Titel ich bis jetzt geführt habe.

Doch bald erwachte die Reue in meinem Herzen; der Wurm der Selbstanklage nagte an meinem Innern. Um wenigstens einigermaaßen mein begangenes Unrecht wieder gut zu machen, suchte ich den Aufenthalt des vorhin gedachten Sohnes meines Wohlthäters auszuforschen; allein vergebens, alle Mühe war fruchtlos. So lastet eine doppelte Schuld auf mir, und mehr als einmal bin ich schon in Versuchung gewesen, mein trauriges, elendes Leben gewaltsam zu endigen.

Sie können, Herr General, mein Gewissen beruhigen, wenn Sie dieses Packet – welches er aus dem Busen zog – an den Sohn des Kaufmanns K****** in H****** zu befördern suchen. Lange Zeit trage ich es schon bei mir herum, ohne es an den Mann bringen zu können. Vielleicht erfahren Sie etwas Näheres über den jetzigen Aufenthalt des Herrn K******.

Doch entschuldigen Sie, rief er, sich besinnend, aus, ich muß noch eine Kleinigkeit darin bemerken; morgen werde ich so frei sein und Ihnen dasselbe zur gütigen Besorgung übergeben. Ich selbst beabsichtige, einen zweiten Versuch mit einer Überfahrt nach Amerika zu machen, um dort mein ruchloses Leben zu beschließen. Gebe Gott, daß mein letzter Wunsch, nächst diesem, auf das Packet zeigend, erfüllt werde. Können Sie den Aufenthalt des Herrn K****** nicht auffinden, so erbrechen Sie es; Sie werden darin eine kurze Schilderung meiner Schicksale finden.

Nachdem ich ihm die heiligste Versicherung gegeben hatte, alles Mögliche anwenden zu wollen, um seinen Wunsch zu erfüllen, schied er mit nassem Blick von mir.

Am andern Morgen fand ich schon alle Räuber in reger Thätigkeit und mit der Ausführung ihres Vorhabens beschäftigt. Nachdem sie mich bis an den Wagen begleitet und mir den richtigen Weg gezeigt hatten, schieden sie gerührt von mir und so endete das anfangs so gefährlich scheinende Abentheuer für mich mit dem freudigen Bewußtsein, etwas Gutes gestiftet zu haben. Späterhin habe ich durch eingezogene Nachrichten erfahren, daß die Bande die dortige Gegend wirklich verlassen hatte.

Haben Sie denn, unterbrach hier Ludwig den General, das Packet an den Kaufmannssohn abgegeben?

Nein, erwiderte dieser; trotz aller Bemühung, meinem deshalb gegebenen Versprechen zu genügen, ist mir solches nicht möglich gewesen. Niemand konnte mir Auskunft über ihn geben. Nur so viel erfuhr ich, daß derselbe nach dem Tode seines Vaters mit dem geringen Überreste seines Vermögens seine Vaterstadt verlassen habe und seitdem spurlos verschwunden ist.

Darüber kann ich Ihnen die beste Auskunft geben, entgegnete Ludwig.

Wie so? fragte der General gespannt.

Weil dieser Sohn des Kaufmanns K****** in H****** mein vertrautester Freund ist. Auf einer Reise wurde ich mit ihm bekannt und er erzählte mir seine traurigen Schicksale. Wenige Thaler waren ihm von dem väterlichen Vermögen übrig geblieben, mit denen er seine Reise antrat. Nach mehrjährigem Aufenthalte in R******* bei einem ehemaligen Handelsfreund seines Vaters hatte er das Glück, eine bedeutende Summe in der Lotterie zu gewinnen, und war eben im Begriff, nach seiner Vaterstadt zurückzukehren, um sich mit seiner früher verlobten Braut zu vermählen. Ich habe ihn bis in seine Vaterstadt begleitet, wo er sich jetzt aufhält; Sie können daher Ihr Versprechen noch erfüllen.

Ja, bei Gott, das will ich, rief der General aus, sobald wir unsere Sachen ins Reine gebracht haben.

Wie sich doch Alles so wunderbar fügt! sagte Ludwig. Hätten Sie nicht die Geldbörse bemerkt, die ich zufällig vorher in Händen hatte, und aus Versehen da liegen ließ, so wäre Manches nicht geschehen; ich würde Zeitlebens den unersetzlichen Verlust meiner Adelaide betrauert haben und zwei Glückliche würden weniger auf dieser Erde sein. Was mag die arme Adelaide während der Zeit gelitten haben! Denn doch nur Verzweiflung konnte sie zu dem Schritte bringen, daß sie ein Kloster zu ihrem Aufenthalte wählte. Leider mag auch der unselige Brief mit dazu beigetragen haben, daß sie vollends allen Lebensmuth verloren hatte. Wie mag sich das arme Mädchen geängstigt haben, in welchem Lichte muß ich bei ihr erschienen sein; doch sie wird mir verzeihen, wenn sie die näheren Umstände erfährt.

Ach, was soll Ihnen denn meine Tochter verzeihen, sprach der General dazwischen, war ich denn nicht die Triebfeder Ihres Handelns, konnten Sie sich denn aus der Schlinge ziehen, die ich, zu meiner Schande muß ich's gestehen, Ihnen dadurch gelegt hatte? Doch, das ist vergessen; Sie werden mein damaliges Handeln verzeihen, lieber Sohn; ich hatte selbst die Folgen nicht berechnet, die meine auflodernde Hitze mit sich bringen konnte. Sie wissen, daß ein alter Soldat nicht so leicht sein Wort bricht, und so wollte ich auch meinem Versprechen nicht ungetreu werden, das ich dem Grafen von G***** in Hinsicht meiner Tochter gegeben hatte. Außerdem hätte ich solche Umstände nicht gemacht und meine arme Tochter nicht vergeblich gequält. Doch, betrachten Sie das Geschehene, da es nun einmal nicht zu ändern ist, als einen Prüfstein Ihrer Liebe. Ohne Kampf und Widerwärtigkeit hat man einmal nichts in der Welt, und desto herrlicher ist der Sieg, wenn man ihn schwer erkämpft hat.

Doch wir lassen jetzt die beiden Reisenden ihren Weg weiter verfolgen und wenden uns zu Adelaide in den düstern Mauern ihres Klosters.

IX.

Adelaide hatte unterdessen durch die mütterliche Pflege der Äbtissin zwar ihre vorige Gesundheit, nicht aber ihre Seelenruhe wieder erhalten. Zwar hatte sie im Schooße der Kirche den allerbesten Trost für ihr wundes Herz gefunden, doch konnte sie dessen ungeachtet den Gegenstand ihrer heißesten Wünsche nicht vergessen. Denn davon war sie fest überzeugt, daß Ludwig nur durch harte Zusetzung ihres Vaters hatte dazu gebracht werden können, ihr den Brief, der sie im Innersten erschütterte, zu schreiben. An seiner aufrichtigen Liebe zweifelte sie keinen Augenblick, denn sie kannte den Charakter ihres Geliebten zu genau. Nur noch einmal hätte sie mit ihm sprechen, nur noch einmal in sein holdes Antlitz schauen mögen; dann wollte sie gern auf immer entsagen. Denn von ihrem harten Vater hoffte sie nun keine Änderung ihres Looses mehr. Felsenfest war sein gegebenes Wort; diesem würde er Alles aufopfern, das war ihr bekannt.

Eines Nachmittags saß sie mit der Äbtissin im Klostergarten und arbeitete mit Emsigkeit an dem Kleide einer armen Waise, welche im Kloster Schutz und Obdach gefunden hatte; eine Thräne drängte sich zuweilen verstohlen aus ihren Augenwimpern und fiel auf ihre Arbeit nieder.

Aber um der heiligen Jungfrau willen, mein liebes Kind, sagte die Äbtissin, die dieses bemerkte, haben Sie denn Ihren Schmerz noch nicht genug ausgeweint, wollen Sie Ihre kaum erst wieder erlangte Gesundheit nochmals um des Irdischen willen untergraben? Suchen Sie nur bei unserm Erlöser Trost und Hülfe, er allein kann Ihnen ersetzen, was Sie verloren haben. Zwar kostet es viel Überwindung, wenn man sein Herz bekämpfen und seine Gefühle unterdrücken soll; ich kann das, da ich mich in einer ähnlichen Lage befand, recht gut beurtheilen; aber mit Hülfe unseres heiligen Glaubens ist es mir gelungen, das Irdische gegen das Himmlische zu vertauschen, und die Wunden, welche mir das Schicksal geschlagen und die bei der Erinnerung an meine Jugendjahre aufs Neue bluten, zu heilen. Trösten Sie sich mit mir und lassen Sie uns Schätze für den Himmel sammeln, die uns keine irdische Macht rauben kann.

Ja, das will ich, verehrte Freundin, erwiderte Adelaide, seien Sie mir Mutter und geben Sie mir Ihre auf Erfahrung beruhenden Rathschläge, ich will Ihnen in Allem eine folgsame Tochter sein und bin überzeugt, daß Sie Alles zu meinem wahren Besten leiten. Ich werde die Welt und ihre Freuden vergessen, aber verlangen Sie nur nicht, daß ich auch meines Geliebten vergessen soll; sein Bild steht mit Flammenschrift in meiner Seele gegraben.

Dies muthe ich Ihnen auch nicht zu, meine liebe Tochter, sagte sanft die Äbtissin; allein Sie werden mir wohl selbst darin Recht geben, daß eine öftere Erinnerung an ein verfehltes Lebensglück nur schädliche Folgen haben kann. Suchen Sie also auf andere Gedanken zu kommen, fassen Sie die Überzeugung, daß Alles, was Ihnen begegnete, Gottes Wille war. Gottes Schickungen sind oft wunderbar! wie hätte ich in meinen früheren Jahren je daran gedacht, daß ich meine Tage in einem Kloster zubringen würde, da meine Verhältnisse mich berechtigten, große Ansprüche an die Welt und ihre Freuden zu machen.

Ja, Adelaide, auch ich habe geliebt und wurde heiß und innig wieder geliebt; aber ein hämischer Dämon riß mich aus dem Himmel meines Glückes. Mein Geliebter war der Graf Edmund von Arnstein, der mit seinen Ältern ein in der Nähe unseres Stammgutes gelegenes Lustschloß bewohnte. Unsere Väter waren die innigsten Freunde und fast immer bei einander. Kein Wunder also, daß sich diese Freundschaft auch auf die Kinder fortpflanzte. Edmund war mein täglicher Spielgenosse, mit ihm in steter Gesellschaft habe ich meine Kinderjahre, die seligste Zeit meines Lebens, verlebt. Keins konnte ohne den andern auch nur einen Tag hinbringen, und wir betrachteten uns als Schwester und Bruder. Doch später trat an die Stelle der vermeintlichen Geschwisterliebe eine noch innigere Zärtlichkeit, und immer mehr wuchs mit den Jahren unsere gegenseitige Neigung.

Unsere Väter bemerkten bald unser Verhältniß und gaben mit freudigem Herzen ihre Einwilligung zu unserm Bunde, der mit ihren Wünschen ebenfalls übereinstimmte.

Allein bald änderten sich die für uns Liebenden so glücklichen Umstände; unsere Väter wurden um ein Stück Waldung, worüber sie mit einander in Streit geriethen, die bittersten, unversöhnlichsten Feinde. Ein mehrjähriger Prozeß, den mein Vater gewonnen, brachte den Grafen von Arnstein nur noch mehr gegen unser Haus auf; wo er wußte und konnte, suchte er uns zu beleidigen und zu kränken. Seinem Sohne hatte er mit aller Strenge den Umgang mit mir verboten, aber dessen ungeachtet fanden wir Gelegenheit, uns zu sprechen und unsere Liebesbetheuerungen zu erneuern, bis ein trauriger Vorfall uns aus diesem Taumel weckte.

Der Graf von Arnstein hatte bei einem gelegentlichen Zusammentreffen meinen Vater mit Worten so beleidigt, daß dieser es nicht mit Stillschweigen übergehen konnte. Er erhielt von meinem Vater eine Einladung zum Duell, bei welchem jener so gefährlich verwundet wurde, daß er nach einigen Tagen seinen Geist aufgab. Vorher aber hatte ihm sein Sohn, mein Geliebter, am Sterbelager schwören müssen, das Blut seines Vaters zu rächen. Kurz nach seinem Tode erhielt nun auch mein Vater eine Aufforderung zum Duell, dessen sich derselbe, obwohl mit schwerem Herzen, unterzog. Zwar sagte er mir nichts von seinem Vorhaben, aber seine Unruhe war für mich ein deutlicher Beweis, daß ihn etwas Außerordentliches beschäftigte. Verstört kam er einige Stunden nach seinem Fortgange zurück, schloß mich weinend in seine Anne und hatte nicht den Muth, mir das Vorgefallene selbst zu erzählen. Doch bald erfuhr ich den ganzen Zusammenhang. Mein Vater hatte im Duell auch den jungen Grafen von Arnstein, meinen Geliebten, getödtet.

Eine fürchterliche Krankheit, die fast in völligen Wahnsinn ausartete, war die erste Folge dieser Nachricht. Als sich später meine Gedanken wieder zu ordnen anfingen, war die Welt ein Schauplatz des Schreckens für mich geworden; ich wählte ein Kloster zu meinem Aufenthalte und habe darin den Trost gefunden, der meinem Herzen so noth that.

Ja, liebe Adelaide, fuhr die Äbtissin fort, ich glaubte damals nicht, daß ich die Schreckenszeit überleben würde, noch viel weniger, daß ich je wieder des Lebens froh werden konnte. Aber Zeit und Umstände mildern im Leben gar Vieles; auch Sie werden mit der Zeit mit ruhigerem Blute Ihres gewiß auch schmerzlichen Looses gedenken und es aus einem andern Gesichtspunkte betrachten lernen. Wir leben ja nicht in dieser Welt, um nur Freuden und Vergnügungen zu genießen, sondern auch, um Kummer und Herzeleid ertragen zu lernen. Diese kurze Erdenzeit ist doch nur eine Prüfungsschule für die Ewigkeit. Wer hier viel gelitten hat, der wird dort reichlich entschädigt werden. Unser Heiland hat uns, wie in Allem, so auch in der Entsagung und Hintansetzung alles Irdischen ein treffliches Beispiel gegeben, und wir sollen nachfolgen seinen Fußtapfen, lehrt uns die Schrift.

Hier wurde die Äbtissin durch den Pförtner unterbrochen, welcher zwei Herren meldete, die unverzüglich mit der Äbtissin zu sprechen wünschten. Diese entfernte sich darauf und Adelaide arbeitete unterdessen emsig fort, nicht ahnend, welch' ein entscheidender Augenblick ihr bevorstand; denn sie war viel zu sehr in Gedanken, über das eben Besprochene, versunken.

Nach wenigen Augenblicken kam die Äbtissin zurück und – wer schildert Adelaidens Empfindungen! – derselben folgten ihr Vater und ihr Geliebter. Vor plötzlicher Überraschung wäre sie bald in Ohnmacht gesunken, doch Ludwigs Umarmung und seine Küsse weckten das arme Mädchen aus ihrer Betäubung und überzeugten sie, daß Alles kein Traum, sondern lauter Wirklichkeit sei. Stumm lagen sich die beiden Liebenden in den Armen, und der General und die Äbtissin weideten sich an der herrlichen Scene. Meine Adelaide, mein Ludwig, war Alles, was man von den beiden Liebenden hören konnte, und beide weinten Thränen der Freude. Selbst der alte General zog mehrere Mal sein Taschentuch und trocknete eine Thräne.

Nach einem kurzen Aufenthalte im Kloster nahmen Alle von der alten Äbtissin gerührt Abschied und dankten ihr für die mütterliche Sorgfalt, die sie an Adelaide verwendet hatte. Obgleich die Äbtissin über das Glück der Liebenden erfreut schien, so sah man ihr es doch an, daß sie es ungern sah, daß Adelaide das Kloster wieder verließ.

Der General machte nun den Vorschlag, im Landhause seiner Schwester die Trauung vollziehen zu lassen, welches mit Freuden aufgenommen wurde. In aller Stille wurde sodann das junge Ehepaar bei der darüber innigst vergnügten Tante eingesegnet und Alle reiseten nun nach Wien zurück, wo ein glänzender Ball, den jungen Eheleuten zu Ehren, vom General veranstaltet ward.

Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalte in Wien mußte Ludwig, seiner Dienstgeschäfte halber, wieder nach D*****; der alte General, der sich nur ungern von seinen Kindern trennen wollte, hielt um seinen Abschied an, der ihm auch mit einem beträchtlichen Jahrgehalte ausgestellt wurde, und folgte, nachdem er über sein Hauswesen die nöthigen Verfügungen getroffen hatte, einige Wochen später nach.

Im Kreise seiner Kinder lebte der alte General noch einmal auf und er erglühte in sichtbarer Freude, als er ein Jahr später einen lieben kleinen Enkel auf seinem Schooße wiegen konnte. Aber auch Ludwig und Adelaide lebten im Vollgenuß ihrer Liebe und wähnten die glücklichsten Menschen unter der Sonne zu sein; denn einer lebte nur für den andern und jeder wetteiferte, wer dem andern die reinsten Opfer der Liebe bringen könnte.

 

Eines Abends, wo sie im traulichen Kreise sich unterhielten, kam Ludwig zufällig auf seinen Freund, den Kaufmann, zu sprechen, und erinnerte sich dabei des Packetes, dessen der General in seiner Erzählung gedacht hatte. Ja, rief Ludwig erfreut aus, als es der General herbeigeholt und er die Aufschrift gelesen hatte, es ist die Adresse meines Freundes, und unsere Pflicht ist es, daß wir es dem rechtmäßigen Eigenthümer übersenden.

Ach, was übersenden, rief der General dazwischen, selbst hinreisen wollen wir, damit auch ich und Adelaide Ihren Freund, dessen Sie immer so rühmlich gedenken, kennen lernen.

Ihr Vorschlag stimmt ganz mit meinem Wunsche überein; nur weiß ich nicht, ob mein liebes Weibchen sich zu dieser Reise verstehen wird, antwortete Ludwig, sich zu Adelaiden wendend.

Da kannst Du noch fragen, lieber Ludwig? Du weißt doch, daß Dein Wille auch immer der meinige ist, erwiderte diese sanft verweisend.

Die nöthigen Anstalten zu dieser Reise waren bald getroffen, und Ludwig hoffte seinen Freund gewiß auf eine höchst angenehme Weise zu überraschen.

X.

Der Kaufmann K****** in H***** verlebte ebenfalls in den Armen seiner Karoline, die nun schon längst sein liebes Weibchen war, recht glückliche Tage, und beide suchten sich auf jede nur mögliche Art für ihre ausgestandenen Widerwärtigkeiten zu entschädigen. Allein das böse Schicksal schien diesen Mann noch nicht genug verfolgt zu haben. Schon ein Jahr nach der Verheirathung wurde ihre glückliche Ehe durch den Tod des alten B. getrübt. Obgleich ihm hierdurch das beträchtliche Vermögen desselben zugefallen war, und er dadurch, so wie durch glückliche Handels-Unternehmungen, seinen Reichthum täglich wachsen sah; obgleich außerdem seine Karoline ihn mit einem holden Knaben beschenkt hatte, der das Ebenbild seines Vaters in allen Zügen an sich trug, und sonach sein Glück und seine Zufriedenheit auf immer befestigt schien: so sollte ihn doch noch ein Schicksalsschlag treffen, der ihn sehr tief zu beugen drohte. Eines Tages erhielt er nämlich durch einen Eilboten die niederschmetternde Nachricht, daß zwei Schiffe, welchen er den größten Theil seines Vermögens anvertraut hatte, gescheitert und mit Mann und Maus untergegangen wären. Bleich vor Schrecken, ließ er den verhängnißvollen Brief fallen, und sank auf seinen Lehnstuhl zurück, das blasse Gesicht mit den Händen bedeckend.

Seine Frau, die gerade im Zimmer anwesend war, kam zitternd auf ihn zugesprungen, das größte Unglück ahnend, und bestürmte ihn mit Bitten, ihr die bangen Zweifel zu lösen.

Stumm sie in die Arme schließend, zeigte er auf den am Boden liegenden Brief, den Karoline mit Blitzesschnelle durchflog.

Aber, mein lieber Karl, sagte sie darauf ganz gleichgültig, was bist Du denn deswegen so ganz außer Dir? suche Dich doch über den Verlust irdischer Güter zu trösten; es bleibt uns trotz dem immer noch genug, um anständig leben zu können, und, wenn wir Alles verlieren, bleibt uns nicht unsere Liebe? Wir können unser Hauswesen mehr einschränken und in vielen Sachen sparsamer zu Werke gehen.

Auf diese und ähnliche Weise suchte sie ihren bekümmerten Mann zu trösten.

Weib, Du bist ein Engel! rief dieser endlich aus; ja, Du hast recht, warum soll ich mich über meinen Verlust so grämen, da ich eine Gattin besitze, die Freude und Leid mit mir theilt. Deine Standhaftigkeit im Unglück ist mir ein doppelter Beweis Deiner Liebe.

Aber sieh da, mein Schätzchen, was hält denn für ein Wagen vor unserer Thür? sollte der Besuch uns gelten? doch wüßte ich nicht, wem ich diese Ehre zu danken hätte.

Einige Minuten später lag sein Freund, der Geheimerath von Holdheim, in seinen Armen. Die aufrichtigste Freude las man in allen Gesichtern, als unser Ludwig dem edlen Paare seine Frau und seinen Schwiegervater vorgestellt hatte, ja selbst der Kaufmann vergaß darüber seinen unersetzlichen Verlust und machte seinem Freunde mit lachendem Muthe seinen Unglücksfall bekannt.

Nachdem die herzliche Begrüßungs-Scene vorüber war, entledigte sich der alte General seines Auftrages und zog das Packet aus der Tasche, indem er das Wichtigste davon, wie er zu diesem Auftrage gekommen, dem erstaunten Kaufmann mittheilte. Neugierig riß dieser die wohlverwahrten Siegel auf; aber neues Erstaunen bemächtigte sich seiner und aller Anwesenden, als er eine Anweisung von 48,000 Thalern in seinen Händen hielt! Auch ein Brief war beigeschlossen, den er vorlas.

›Unglücklicher Jugendfreund!

Voller Scham und Reue über mein begangenes Verbrechen, was nicht nur Ihrem guten alten Vater, der mich wie sein eigenes Kind erzog und pflegte, den Tod brachte, sondern auch Sie ins Elend stürzte, schrieb ich dieses nieder. Doch soll es keinesweges eine Rechtfertigung meiner Schandthat sein, die ich, wie ich wohl weiß, nicht einmal versuchen kann, sondern nur ein kleines Abbild meines elenden Lebens. Um 45,000 Thaler hatte ich meinen Wohlthäter betrogen, ihn auch, um eines unbedeutenden Gewinnes willen, in Betreff der fallirenden Handelshäuser auf die schändlichste Weise belogen; aber die rächende Nemesis erreichte den Missethäter, ehe er die Früchte seiner Handlungen genießen konnte. Auf dem Wege nach Amerika begriffen, wurde ich wenige Meilen von B***** von Räubern überfallen und rein ausgeplündert. Verfolgt, wie ich fürchten mußte, blieb mir weiter nichts übrig, als selbst Räuber zu werden und dieses schändende Handwerk habe ich auch, als späterer Anführer der Bande, in der größten Ausdehnung betrieben.

Doch bei all' meinem ruchlosen Leben wurde ich unaufhörlich von den schrecklichsten Gewissensbissen gefoltert, nirgends fand mein verderbtes Herz Ruhe; stets schwebte mir die greise Gestalt Ihres unglücklichen Vaters vor Augen, dessen Tod ich erfahren hatte. Wie gern hätte ich mein Verbrechen wieder gut gemacht, aber konnte ich dies wohl beim besten Willen? Würden Sie oder Ihr Vater, wenn er noch gelebt hätte, aus den Händen des Räubers Ihr entwendetes Eigenthum zurückgenommen haben? Gewiß, dazu sind Sie zu edel.

Doch beiliegende Anweisung von 48,000 Thalern ist kein Blutgeld, sondern das Erbtheil eines in der Schlacht tödtlich verwundeten Officiers, den wir auf der Landstraße hülflos auffanden und zur Verpflegung – ja auch Räuber können Mitleid haben – mit uns nahmen. Nach einigen Tagen verschied er und übergab mir als Geschenk, da er ohne Blutsverwandte zu sein vorgab, diese Anweisung. Dadurch wurde meinem trostlosen Herzen ein Weg gebahnt, dem Sohne meines unglücklichen Wohlthäters mit Zinsen zurückzuerstatten, was ich schändlicher Weise entwendet hatte.

Aber, wie sollte ich dies bewerkstelligen? Niemand wußte Ihren Aufenthalt. Da entschloß ich mich denn zu diesem Hülfsmittel, gebe Gott, daß Sie den Brief erhalten!

Unglücklicher Freund, können Sie mir nicht vergeben, o, so schenken Sie mir nur Ihr Mitleid. Rechnen Sie es meiner verblendeten Jugend zu, daß ich da fehlte, wo man es am wenigsten erwarten sollte.

So leben Sie denn ewig wohl, und bedauern Sie den unglücklichen Franz, der gewiß sein ruchloses Leben schon geendet hat, wenn Sie diesen Brief erhalten. Wohl wird mir sein, wenn ich von dieser Erde, auf welcher ich mein Glück mit Füßen von mir stieß, geschieden bin. Noch einmal, Verzeihung oder Mitleid Ihrem unglücklichen Jugendfreunde, und vergeben Sie mir, daß ein Räuber diesen süßen Ausdruck noch einmal zu gebrauchen wagt. Ach, unbeschreiblich elend ist Ihr

Franz S.

N. S.

Der Zufall hat uns den edlen General von L***** in unsere Hände geführt, der Ihnen wahrscheinlich, wie er mir versprach, diesen Brief einhändigen wird. Gott möge es diesem edlen Manne lohnen. Durch seine Vermittelung hat sich auch meine Bande aufgelöset und der größte Haufe entschlossen, nach Amerika überzuschiffen, worunter auch ich sein werde, um da mein elendes Leben in nützlicher Thätigkeit zu beschließen. Ein nochmaliges Lebewohl von

Ihrem

unglücklichen Franz.‹

Tief war der Eindruck, den diese kurze Lebensschilderung auf alle Anwesenden gemacht hatte.

Ja, ich verzeihe Dir, armer Jugendfreund, sagte der Kaufmann mit nassem Blick, mögest Du glücklich in Amerika ankommen und da Deine verlorne Seelenruhe wieder erhalten! Du hast genug für Dein Verbrechen gebüßt.

Ja, sagte der General, scharf genug war auf seinem eingefallenen blassen Gesicht der Kummer und der innere Seelenzustand ausgedrückt; ich bedaure von Herzen sein elendes Schicksal. Einen Beweis, daß sein Herz noch nicht ganz verdorben ist, giebt nicht nur seine Reue über seine Verbrechen, sondern auch die zu lobende Absicht, an dem Sohne wieder gut zu machen, was er an dem Vater verschuldet hat; und Ihnen muß eine solche Summe, die Sie ohne Bedenken annehmen können, nach Ihrem bedeutenden Verluste auch erwünscht kommen.

Allerdings, sprach der Kaufmann lächelnd, gelegener konnte dieses nicht zusammentreffen. Mein Schaden ist durch die unerwartete nie geahnte Hülfe geheilt; aber nun lassen Sie uns, auf das Wohl meines unglücklichen Retters und auf seine glückliche Ankunft in der neuen Welt, ein Glas Wein trinken. Der Herr vergebe ihm, wie ich ihm vergebe!

Nach einem mehrtägigen Aufenthalte nahmen Ludwig mit seiner Gattin und dem General von dem Kaufmann Abschied und reiseten vergnügt nach ihrem Wohnorte zurück.

Noch mehrere Male hatte Ludwig das Glück, seinen Freund, der bis an das Ende seiner Tage im blühendsten Wohlstande lebte, zu sprechen, und jedesmal drückten sie, sich glücklich preisend, gegenseitig die Hände.

Der General verlebte noch freudenvolle Jahre, begrüßte noch mehrere Enkel und Enkelinnen von seiner Adelaide, und als er endlich alt und lebensmüde starb, konnte er die frohe Zuversicht mit in jene Welt nehmen, seine Tochter, die mit ihrem Ludwig die glücklichste Ehe führte, wohlversorgt zu hinterlassen.


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