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Achtes Kapitel.
Karibischer Küstenbummel

Fliegende Fische – La Guaira und Caracas – Deutsche Kolonisten in Venezuela – Am Panamakanal – Von Colon nach Panama – St. Thomas – Portoriko – Abschied von Westindien


Da ich nun meinen bisherigen Reisekamerad auf seinem neuen Betätigungsfelde, der Besitzung seines Onkels, zurücklassen mußte, trat ich nach herzlichem Abschied die Weiterreise allein an und schiffte mich in Port of Spain nach meinem nächsten Ziel, dem Isthmus von Panama, ein. Unterwegs wollte der Dampfer die venezolanische Hafenstadt La Guaira anlaufen und dort einen Tag zur Übernahme von Ladung liegen bleiben.

Die Fahrt von Trinidad westwärts längs der venezolanischen Küste ist sehr schön. Man hat fast ununterbrochen Land in Sicht, nicht das Festland, das doch in ziemlich weiter Entfernung zur Linken bleibt, sondern die zahlreichen Inseln, die der Küste vorgelagert sind und mit ihren wundervollen Konturen immer von neuem das Auge entzücken. Wir fahren abends ganz dicht an der größten Insel, Margarita, vorbei, so daß die Ortschaften und Pflanzungen am Strand hinter der schäumenden Brandungslinie deutlich zu sehen sind.

Auch sonst gibt es so mancherlei zu sehen, im Wasser und in der Luft, denn das Karibische Meer ist hier in unmittelbarer Nähe der südamerikanischen Küste doch nicht so einsam und tot, wie zwischen Jamaika und Martinique. Eine Unmenge von Vögeln begleitet ständig das Schiff, Seeschwalben, Taucher, Lummen und andere, natürlich nicht aus Anhänglichkeit an uns, sondern weil aus den Küchenfenstern allerlei schmackhafte Abfälle ins Wasser fliegen. So oft es der Fall ist – den scharfen Augen der Vögel entgeht nicht der geringfügigste Vorgang – schießen sie von oben herab und balgen sich mit Flügelschlägen und Krächzen und Schreien um die so heiß begehrten leckeren Bissen. Auch die Delphine, die uns begleiten und mit ihren Sprüngen ergötzen, tun das nicht aus Freundschaft zum Menschen, wie uns gefühlvolle Dichter weismachen wollen, sondern lediglich im Interesse ihres unersättlichen Magens. Sehr unterhaltend ist auch das Spiel der fliegenden Fische, die es hier, wie in allen warmen Meeren, in großen Mengen gibt. Sie sehen den Heringen ähnlich, mit zwei sehr langen, frei beweglichen Brustflossen und zwei kleineren Flossen hinten am Schwanz. Mit Hilfe der Brustflossen schnellt sich der Fisch aus dem Wasser empor und verharrt dann, die beiden Flossenpaare wie Libellenflügel ausgespannt, in einem Schwebeflug, der sich mitunter über Strecken bis 125 Meter hinzieht. Im Chinesischen Meer erlebte ich es einmal bei starkem Wind, daß die fliegenden Fische über das Hauptdeck unseres großen Dampfers hinwegflogen, obwohl das Deck acht Meter über dem Wasserspiegel lag. Es hatte allerdings den Anschein, als ob es sich um ein unfreiwilliges Fliegen handelte, das heißt, daß die Fische, nachdem sie sich einmal aus dem Wasser emporgeschnellt hatten, vom Wind ergriffen und willenlos davongeweht wurden. Für diese Annahme spricht auch der Umstand, daß mehrere Fische in völlig ermattetem Zustand auf Deck niederfielen und ergriffen werden konnten.

Einer unserer Mitreisenden auf dem karibischen Dampfer, der uns mit seinen Aufschneidereien ergötzte – man findet auf jedem größeren Schiff unfehlbar mindestens einen Spaßvogel dieser Art –, gab das folgende »absolut wahre Erlebnis« mit einem fliegenden Fisch zum besten:

»Ob Sie es mir nun glauben wollen oder nicht, meine Herren« – das war die ständige Anfangsfloskel des Erzählers – »im Roten Meer ist mir einmal eine komische Geschichte mit solch einem Flugfisch passiert. Ich fuhr damals mit einem kleinen italienischen Dampfer von Suez nach Massaua. Eines Tages, so gegen Mittag, gehe ich aus Langeweile in die Küche, um den dicken Koch zu fragen, was es heute zu essen geben wird. Der Koch steht gerade am Herd und macht auf einer Bratpfanne Olivenöl heiß. Dabei sieht er aus, als ob er noch gar nicht wüßte, was er eigentlich backen soll. ›Nun, teuerster Chef, was gedenken Sie mir da Schönes zu bereiten?‹ frage ich. In demselben Augenblick kommt durch die offene Fensterluke ein fliegender Fisch hereingeflogen und plumpst – Sie werden es kaum glauben, aber es verhielt sich tatsächlich so – direkt auf die Bratpfanne ins siedende Öl. ›Ich backe Ihnen einen delikaten Flugfisch‹, sagte der dicke Koch schnell gefaßt. In einer Minute war der Fisch auf beiden Seiten schön braun geröstet und er hat mir, das kann ich versichern, ganz ausgezeichnet geschmeckt.«

Derselbe Fahrtgenosse hatte von derselben Reise noch folgendes zu berichten:

»Ob Sie es mir nun glauben wollen oder nicht, meine Herren, im Roten Meer gibt es, da dort wegen der großen Hitze nur selten gefischt wird, so viel Fische, daß das Wasser stellenweise geradezu wimmelt von ihnen und die Tiere weder vorwärts noch rückwärts schwimmen können, weil ihnen kein Raum mehr zum Schwimmen bleibt. An solchen Stellen werden die Fische geradezu ein Hindernis für die Schiffahrt, denn es kommt gar nicht selten vor, daß kleine Fahrzeuge in den Fischhaufen einfach stecken bleiben. Auch unser Dampfer geriet eines Tages in eine derartige Massenversammlung von Millionen oder Milliarden von Fischen. Nur unter äußerster Inanspruchnahme der Maschinenkraft war es uns möglich, uns einen Weg durch die unglaublichen Fischmassen zu bahnen, und als wir nach einer Stunde glücklich hindurch waren, war das Meer hinter uns rot vom Blut der Fische, die der Schiffsbug bei dieser forcierten Fahrt durchschnitten hatte. Da ward es mir mit einem Schlage klar, woher das Rote Meer seinen Namen hat.«

Aber kehren wir aus den Gefilden der Phantasie zur Wirklichkeit zurück. In der Nähe von Margarita bekamen wir einen Pottwal zu Gesicht, eine im Karibischen Meer ziemlich seltene Erscheinung. Der Pottwal wird 20–23 Meter lang, bei einem Körperumfang von 9–12 Meter, ist also ein recht respektables Tier. Im Gegensatz zu den furchtsamen Walfischen der nördlichen Meere, die sich ihrer Kraft gar nicht bewußt sind, setzt sich der Pottwal bei der Jagd gern zur Wehr und bringt, wenn er harpuniert wird, die Schiffe mit seinen furchtbaren Stößen oft in Gefahr. Der von uns beobachtete Pottwal lag anfangs ganz bewegungslos, einer kleinen Klippeninsel gleich, auf der Oberfläche des Meeres und schien zu schlafen, später kam Leben in ihn, er schleuderte aus seinem am Schnauzenrand befindlichen Spritzloch ein paar kräftige Wasserstrahlen in die Luft, und bald darauf war er verschwunden.

In aller Frühe des nächsten Tages lagen wir vor La Guaira, der wichtigsten Hafenstadt Venezuelas und Hafen der Landeshauptstadt Caracas. Ein Anblick von eindrucksvoller Wucht. Steil und mächtig wie eine Gigantenmauer von ein paar tausend Fuß Höhe steigen hier die venezolanischen Anden fast unmittelbar aus dem Meere empor, so daß für die Stadt La Guaira zwischen Strand und Felsenhängen nur ein ganz schmaler Raum übrigbleibt, auf dem sie sich, lang ausgestreckt, einrichten muß, so gut es eben geht. Etwas Finsteres und Drohendes hat, vom Meere aus gesehen, diese riesige Steilküste, die so dominierend wirkt, daß die Häuser der Stadt dagegen beinahe verschwinden. Da unser Schiff hier bis zum Abend liegen blieb, hatte ich Zeit, an Land zu gehen und nicht nur La Guaira zu besichtigen, sondern auch einen Ausflug mit der Bahn nach Caracas zu machen.

Man kann nicht sagen, daß Venezuela, das Land der ewigen Revolutionen und der tyrannischen Präsidenten (von denen Castro ein geradezu klassisches Musterexemplar war), sich in La Guaira dem Ankömmling sehr vorteilhaft präsentiert. Die Stadt ist im wesentlichen, wie überhaupt alles, was es in Venezuela an modernen Einrichtungen gibt, eine Schöpfung der Ausländer, der Deutschen, der Engländer, der Nordamerikaner. Alle ansehnlichen Gebäude gehören ausländischen Kaufleuten oder Gesellschaften, und was ringsherum venezolanisch ist, diese ärmlichen Häuschen und Hütten, das zeichnet sich in ziemlich negativer Weise durch Verwahrlosung und Schmutz aus, und das einzige monumentale venezolanische Bauwerk ist – das Gefängnis.

Mit La Guaira braucht sich der Fremde also nicht lange aufzuhalten, denn die Reize dieser Hafenstadt sind allzu mager. Mit um so größerer Spannung sieht er der Landeshauptstadt Caracas entgegen. Eigentlich ist es bis dorthin ein Katzensprung, denn die Luftlinie zwischen La Guaira und Caracas beträgt nur 10 Kilometer. Aber um diese 10 Kilometer zurückzulegen, braucht man fast 3 Stunden! Die Hauptstadt Venezuelas liegt nämlich hoch über dem Meere hinter dem Steilrand des Küstengebirges und ist nur in langsamer Fahrt auf einer von Engländern gebauten Adhäsionsbahn zu erreichen.

Die lange Fahrt wurde keineswegs lästig, war im Gegenteil sehr genußreich und interessant. Steil geht es in zahlreichen Kurven bergan, immer wieder bekommen wir von oben La Guaira zu sehen, immer liliputanischer nimmt es sich aus, und unser auf der Reede liegendes Schiff schmilzt zu einem winzigen Spielzeug zusammen. Dann wendet sich die Bahn, den tief einschneidenden Schluchten folgend, mehr ins Innere, und großartige Bilder einer wild zerrissenen, erhaben ernsten und einsamen Gebirgsnatur erschließen sich dem Blick. An greulichen Abgründen geht es vorbei, an brausenden Gießbächen, an ungeheuren Felsenschroffen. Endlich sind wir auf dem Hochplateau angelangt, und nach kurzer weiterer Fahrt durch gut angebautes Hügelgelände läuft der Zug mit seinen kleinen, aber recht bequem eingerichteten Wagen in den Bahnhof von Caracas ein.

Caracas, eine sehr weitläufig angelegte Stadt von 80 000 Einwohnern, überrascht insofern, als sie einen ganz ordentlichen, netten, freundlichen Eindruck macht. Nicht das geringste deutet darauf hin, wie oft diese Stadt seit hundert Jahren der Schauplatz von Bürgerkriegen und heftigen Kämpfen war, wie oft hier die Präsidenten, oder besser gesagt Gewalthaber und Tyrannen, wechselten und sich in der Kunst, dem venezolanischen Volk, diesen »freien Republikanern«, das Geld aus der Tasche zu ziehen, mit mehr oder minder großer Meisterschaft betätigten. In friedlichen Zeiten macht Caracas einen ungemein ruhigen Eindruck. Die Stadt ist regelmäßig gebaut, ein bißchen eintönig, mit niedrigen Häusern und ein paar hübschen, ganz spanisch anmutenden Plätzen, auf denen allerlei venezolanische Generale in Bronze und Marmor, zu Fuß und zu Pferde – welcher bessere ältere Herr wäre hier nicht General? – die Geschichte des Landes verkörpern. Großstädtisches Leben im europäischen Sinne gibt es in Caracas nicht, die breite Masse des Volkes besteht aus armen Indianern, Mulatten und Sambos (hellhäutigen Mischlingen), die Frauen und Mädchen zeichnen sich oft durch eine eigentümlich sanfte Schönheit aus. Von Überanstrengung ist der Venezolaner anscheinend kein Freund, und da hat er ja eigentlich auch ganz recht. Als ich mir auf dem Postamt Briefmarken kaufen wollte – je problematischer die Staaten, desto großartiger die Marken – saß der Postbeamte, die ausgefransten Hosen auf Halbmast gehißt, hinter dem Schalter nicht neben, sondern auf dem Tisch und war eifrig damit beschäftigt, sich mit einem Zahnstocher die Fingernägel zu säubern. Ein völlig aussichtsloses Bemühen, denn zur Erreichung dieses Zweckes hätte er mindestens acht Tage Urlaub nehmen müssen. »Würden Sie die Güte haben, mir einige Marken zu verkaufen,« sagte ich nach längerem Warten. Er entgegnete mit den Worten, die man in spanisch sprechenden Ländern täglich ein paar dutzendmal zu hören bekommt: »Geduld, mein Herr,« und fing nun an, sich seine fadenscheinigen Kleider abzubürsten. Nachdem er damit glücklich fertig war, ging er mit bemerkenswerter Kunstfertigkeit daran, sich Zigaretten zu drehen. Erst als ich auf dem Schalterbrett heftig Generalmarsch trommelte, hielt es der brave Sambo für angemessen, mich abzufertigen – und in seinen vorwurfsvollen Blicken war deutlich zu lesen: »Eine zu unangenehme, pressante Gesellschaft, diese vermaledeiten Ausländer!«

Ich durchkreiste noch die Vorstadtstraßen, die sich allmählich ins Grün der Felder und Plantagen verlieren, und fuhr nachmittags mit der Bahn, auf dem Trittbrett hockend, um die wundervolle Aussicht nochmals aus erster Hand zu genießen, wieder nach La Guaira hinab. Nach Anbruch der Dämmerung ging unser Dampfer in See. Eine Weile noch, finster, gespensterhaft, war die Riesensteilwand der Küste zu sehen, um dann rasch im wachsenden Dunkel der Nacht zu verschwinden, während von neuem, wie nun auf dieser Reise schon so oft, der Sternenhimmel sein funkelndes Zelt über die ewigen Wasser spannte.

Am nächsten Vormittag fahren wir dicht an der berühmten Schnapsinsel Curaçao vorbei, hier wird aus Pomeranzen der wohlschmeckende Likör gleichen Namens bereitet. Curaçao gehört nebst den Nachbarinseln Bonaire und Aruba sowie einigen kleinen Inseln den Holländern. Allzuviel Freude erlebt Holland an seinem kleinen westindischen Besitz gerade nicht, wie sich ja überhaupt solche abgesplitterten, vom Mutterland übermäßig weit entfernten Miniaturkolonien nicht bezahlt machen, weil ihre Verwaltung mehr kostet, als sie einbringen. Aus diesem Grunde hat auch Dänemark 1916 seine alte westindische Kolonie St. Thomas an die Vereinigten Staaten von Nordamerika verkauft, obwohl aus Gefühlsgründen in Dänemark eine starke Opposition gegen dieses Geschäft vorhanden war. Lediglich Gefühlsgründe sind es auch, die Holland bisher davon abgehalten haben, den kleinen Besitz zu veräußern. Denn die Inseln wurden schon 1634 von den Holländern erobert, und was man so lange in Ehren besessen hat, läßt man nicht leichten Herzens fahren. Holländisch-Westindien zählt nur 52 000 Einwohner. Hauptort ist Willemstad auf Curaçao, dessen hübsche, freundlich aussehende Häuser wir beim Vorbeifahren mit dem Fernglas deutlich zu sehen bekommen.

Noch einmal, am Eingang zum Golf von Maracaibo, entbietet uns die Küste Venezuelas mit ihren Bergen einen Gruß, den Abschiedsgruß. Es verdient wohl erwähnt zu werden, daß diese Küste in der älteren Geschichte Deutschlands einmal eine gewisse Rolle gespielt hat, daß sie mit den Anfängen der deutschen Kolonisationsbestrebungen verknüpft ist. Lang, lang ist's her, im Jahre 1528 war es, da erhielten die Ehinger von Kaiser Karl V., dem damaligen Herrn der neuen Besitzungen in Amerika, Venezuela als Familienlehen, da der Kaiser ihnen für Geldbeschaffung verpflichtet war. Ein schönes Präsent! Leider wußten die Ehinger mit diesem kolossalen Besitz, der ihnen da in den Schoß fiel, nichts Rechtes anzufangen; man hätte ihnen beinahe ebenso gut die Ländereien auf dem Monde vermachen können. Sie traten es also auf dem Wege geschäftlicher Transaktionen an die Welser ab. Bartholomäus Welser rüstete in Spanien drei Schiffe aus und sandte sie mit 400 Mann unter dem Befehl des Ulmers Ambrosius Dalfinger, der sich bereits in Santo Domingo koloniale Erfahrungen verschafft hatte, nach Venezuela. Dalfinger drang hier bis Maracaibo und weiter ins Innere vor, war aber von dem Lande enttäuscht und ist 1531 im Kampf mit den Eingeborenen gefallen – einer der ältesten deutschen Pioniere auf amerikanischem Boden. Die Welser behielten das koloniale Unternehmen, das fortan allerdings eigentlich nur auf dem Papier bestand, noch bis 1555 und verzichteten dann darauf.

Nachdem der Eingang zum Golf von Maracaibo passiert ist, sehen wir in der Ferne noch einen Zipfel der Küste Kolumbiens, dann verschwindet alles Land, um erst nach anderthalb Tagen wieder zu erscheinen: vor uns liegen die Berge der Landenge von Panama, der schmälsten Stelle des amerikanischen Kontinents, und es dauert nicht mehr lange, da schaukelt unser Schiff auf der Reede von Colon, das den atlantischen Eingang zum Panamakanal beschirmt und sich hell leuchtend vom grünen Hintergrunde der Landschaft abhebt.

Großartige Hafenanlagen mit langgestreckten Molen aus Beton, mit Ladekais, Lagerhäusern und Kranen geben einen Vorgeschmack von den technischen Wunderleistungen des Panamakanals. Glühend und wolkenlos hängt der Himmel über der Küste. Der Schiffsverkehr scheint nicht sehr bedeutend zu sein, nur wenige größere Dampfer liegen im Hafen und verlieren sich fast in den weitläufigen, auf Zuwachs berechneten Becken und Docks. Beamte der Hafenbehörde kommen an Bord, und erst nach sehr eingehender Prüfung unserer Papiere und Untersuchung unseres Gesundheitszustandes dürfen wir an Land gehen und den Boden der Republik Panama betreten, oder vielmehr den Boden der »Kanalzone«, eines Landstreifens, der den Kanal mit seiner nächsten Nachbarschaft umfaßt und den Vereinigten Staaten von Nordamerika gehört.

Colon war früher ein unbedeutendes Nest und hat erst durch den Kanalbau rasch an Bedeutung gewonnen. Die von der Kanalgesellschaft nach den Grundsätzen der Tropenhygiene errichteten Häuser verleihen den neuen Stadtteilen Colons wie auch allen anderen Siedelungen am Kanal ein charakteristisches Gepräge. Es sind einstöckige Holzhäuser, die nicht unmittelbar auf dem Erdboden, sondern auf einem Rost von Pfeilern stehen, damit unter dem Hause die Luft hindurchstreicht und die Ausdünstungen des feuchten Bodens sich verflüchten, auch wird auf diese Weise den aus der Erde kommenden tierischen Parasiten der Zugang zum Hause verwehrt.

Zunächst ein paar allgemeine Worte über den Panamakanal, dieses gewaltige Werk, das nach so vielen Irrwegen und Fehlschlägen endlich zum Abschluß gekommen ist und damals, kurz vor Ausbruch des Weltkrieges, so weit fertig war, daß der Kanal von kleineren Schiffen befahren werden konnte.

Der Gedanke, die schmale Landenge zwischen Nord- und Südamerika zu durchstechen, eine unmittelbare Verbindung des Atlantischen Ozeans mit dem Stillen Ozean herzustellen und den Schiffern den ungeheuren Umweg durch die Magalhaesstraße zu ersparen, ist sehr alt. Schon nachdem Kolumbus endlich festgestellt hatte, daß es die von ihm vermutete Durchfahrt nicht gab, entwarfen die Spanier Pläne zum Durchstechen der Landenge, die aber von Philipp II. bei Todesstrafe verboten wurden, weil sie der göttlichen Ordnung zuwiderliefen. Erst vor nahezu hundert Jahren wurden auf Veranlassung Alexander von Humboldts einige Vermessungen vorgenommen, die jedoch zu keinem praktischen Ergebnis führten. Dem Franzosen Ferdinand von Lesseps, der nach der glücklichen Vollendung des Suezkanals neue Objekte für seinen Ehrgeiz und seinen Tatendrang suchte, blieb es vorbehalten, endlich energische Schritte zum Beginn des großen Werkes zu tun. Die von ihm 1876 gegründete Kanalgesellschaft arbeitete acht Projekte aus, darunter auch einen Nikaraguakanal. Es waren hier auf der amerikanischen Landenge eben ganz andere Schwierigkeiten zu überwinden, als auf der völlig flachen und leicht zu bearbeitenden Landenge von Suez. Denn durch den Isthmus von Panama zieht sich eine Gebirgskette, die, wenn sie auch nur von geringer Höhe ist, wegen ihres vulkanischen Aufbaues die größten Hindernisse in den Weg stellte. Ungeheure Erd- und Gesteinsmassen galt es hier zu bewegen, und wie man die sehr erheblichen Niveauunterschiede überwinden sollte, das war ein besonders schwieriges Problem.

Im Jahre 1881 begann Lesseps mit den Arbeiten. Er verpflichtete sich, den Kanal in zwölf, spätestens in achtzehn Jahren zu vollenden. Aber nach fünf Jahren stellte sich heraus, daß ein reiner Niveaukanal ohne Schleusen, wie der Entwurf ihn vorsah, schlechterdings nicht herzustellen war. Schwierigkeiten aller Art hemmten den Fortschritt. Infolge der zahlreichen Erderschütterungen, unter denen der Isthmus von Panama leidet, fanden fortwährend Abrutschungen von Gesteinsmassen statt und verschütteten das Kanalbett. Obwohl 20 000 Arbeiter, meist westindische Neger, am Werk tätig waren, kam man nicht vorwärts. Das mörderische Klima forderte zahllose Opfer. Dazu gesellten sich finanzielle Schwierigkeiten, die 1888 den Zusammenbruch des Unternehmens und den berüchtigten Panamaprozeß zur Folge hatten, der zur Verurteilung von Lesseps und seinen Genossen führte. So mußte der geniale Schöpfer des Suezkanals, den man einst wie einen Halbgott gefeiert hatte, im Greisenalter die tiefste Enttäuschung und den tiefsten Sturz erleben!

In den neunziger Jahren gingen die Vereinigten Staaten daran, das, was die Franzosen mit ihrem verfehlten Projekt und ihrer Korruptionswirtschaft nicht fertig gebracht hatten, auf besserer Grundlage wieder aufzunehmen. Indessen kam es erst 1904, nachdem die Unionsregierung die Überreste des Lessepsschen Kanals angekauft und sich durch einen Vertrag mit der neuen, von Kolumbien losgerissenen Republik Panama den Landstreifen der »Kanalzone« als Unionsterritorium gesichert hatte, zum Beginn des neuen Kanals, der als Schleusenkanal geplant war. Und im Verlauf von zehn Jahren ist es der nordamerikanischen Tatkraft auch gelungen, das riesige Unternehmen fast vollständig zu Ende zu führen.

Für die Führung der Kanalstrecke wurde das große, weitverzweigte Binnengewässer des Gatunsees gleich hinter Colon nach Möglichkeit ausgenützt, so daß der Kanal etwa zur Hälfte seiner Gesamtstrecke, die eine Länge von 70 Kilometer hat, durch den langgezogenen Gatunsee läuft. Das Werk wäre gar nicht so schwierig gewesen, wenn nicht kurz vor Panama der schon erwähnte Gebirgszug, der mehrere hundert Meter hohe Culebra, eine sehr störende Barre in den Weg legte. Der Culebra mußte durchschnitten werden, und da das ganze Land, wie gesagt, stark vulkanischer Natur ist, gerieten die riesigen Uferwände im Culebradurchschnitt, von den unterirdischen Mächten erschüttert, immer wieder ins Rutschen und schoben ihre Erd- und Steinmassen weit ins Kanalbett hinein. Auch heute noch, nach Vollendung des Kanals, macht der Culebradurchschnitt mit seinen häufigen Verschüttungen und Verkehrsstörungen den Kanalingenieuren große Sorge.

Ob der Panamakanal die auf ihn gesetzten, etwas überschwenglichen Erwartungen der Amerikaner überhaupt erfüllen wird, steht noch dahin. Man darf nicht vergessen, daß er in einer verhältnismäßig verkehrsarmen Gegend der Erde liegt und sich mit dem Suezkanal gar nicht vergleichen läßt. Der Suezkanal ist eine Weltstraße ersten Ranges, weil er fast den gesamten Schiffahrtsverkehr zwischen Europa einerseits und Asien, Australien und der afrikanischen Ostküste andererseits vermittelt; für den Panamakanal dagegen kommen, abgesehen von dem geringfügigen Lokalverkehr, doch nur jene Schiffahrtslinien in Betracht, die von Europa, den nordamerikanischen Osthäfen und Westindien nach der amerikanischen Pazifikküste gehen. Aber diese Küste ist arm an großen Hafenplätzen und ihr Schiffahrtsverkehr im Vergleich zur atlantischen Schiffahrt ganz unbedeutend. Als große Seehandelsplätze kommen dort vorläufig nur die Häfen in der Gegend von Vancouver, ferner San Franzisko und einige chilenische Häfen in Betracht, und es wird noch viel Wasser in den Ozean rinnen, bis man von einer erheblichen Zunahme der handelspolitischen Bedeutung dieser Küste und deshalb vom Panamakanal als von einer unentbehrlichen Weltverkehrsstraße, gleich dem Suezkanal, wird sprechen können. Wie die Dinge heute liegen, haben eigentlich nur die Vereinigten Staaten erheblichen Vorteil vom Panamakanal, von ihrem Kanal, weil er ihnen das politische und kommerzielle Übergewicht auf dem Isthmus wie überhaupt in ganz Mittelamerika verschafft und sichert.

*

Wir waren unser drei, der Schiffsarzt, ein Ingenieur der Kanalgesellschaft und ich, die wir uns zu einem Ausflug über den Isthmus nach Panama zusammentaten. Zuerst unternahmen wir mit einem Motorboot eine Rundfahrt auf dem Gatunsee, der sich mit seinen zerklüfteten und verästelten Ausläufern zu beiden Seiten des Kanals meilenweit tief in die Wildnis des unkultivierten Landes erstreckt.

»Pfui Teufel, hier riecht es nach Fieber!« sagte der Doktor und stieß mit dem Bootshaken tief in den schlammigen Grund. Gurgelnd quollen Blasen und Schlamm aus dem grünlich-schleimigen Wasser empor, ein Fäulnishauch, schwer und süß wie der Duft der großen Seerosen rings um das Boot, legte sich lähmend auf den erschlafften Geist. Wir saßen still auf unseren Bänken im Boot und trockneten den Schweiß im Gesicht. Bis hierher war unsere Fahrt auf den Ausläufern des Gatunsees ohne Aufenthalt glatt verlaufen, jetzt aber versperrte das Luftwurzelgestrüpp des Mangrovedickichts wie ein Gitter das stockende, faulende Wasser vor uns, und die weißen Vögel mit den langen, gekrümmten Schnäbeln, die ohne sonderliche Scheu nicht weit von uns auf den schüsselartigen Blättern der Seerosen stelzten, stießen schrille, kichernde Laute aus, gleich als ob sie sich über die Eindringlinge in ihr Sumpfbereich lustig machen wollten.

»Fieber?« hallte es wie ein Echo aus dem Munde des jungen Ingenieurs zurück. »Nein, seit dem großen Reinemachen durch Uncle Sam haben Sie nichts zu befürchten, das Klima ist jetzt ganz gesund.«

Er sagte es mit jener Überzeugung, die für den Nordamerikaner und seinen beneidenswerten Optimismus so bezeichnend ist, aber wir glaubten ihm doch nicht recht, denn seine matten Augen, seine blutlosen Wangen, die mageren Glieder, um die der Khakianzug schlotternd wie an der Waschleine hing, ließen auf jenen chronischen Erschöpfungszustand schließen, der trotz aller sanitären Fortschritte in der Kanalzone auch den Widerstandsfähigsten schließlich befällt. Dennoch hatte er darin recht: was seine Landsleute in der kurzen Zeit von zehn Jahren auf dem Isthmus von Panama in gesundheitlicher Hinsicht geleistet haben, ist vielleicht bedeutender als der Bau des Kanals. Sie sind der Anophelesmücke, die den Keim der Malaria auf den Menschen überträgt, dadurch zuleibe gegangen, daß sie ihre Brutstätten, die Tümpel faulenden Wassers, nach Möglichkeit zuschütteten; sie haben für 60 000 Arbeiter und Beamte gesunde Häuser gebaut, deren Fenster durch engmaschige Drahtgeflechte gegen das Eindringen der gefährlichen Mücke geschützt sind; sie haben für gutes Trinkwasser und rasche Abfuhr der Abfallstoffe gesorgt und den Eingeborenen, soweit das eben möglich ist, Verständnis für die Zweckmäßigkeit dieser Vorkehrungen beigebracht. Heute kommt einem das alles so selbstverständlich vor, aber die Vorgänger der Amerikaner beim Kanalbau, die französischen Ingenieure, haben an diese durchaus notwendigen Einleitungen zum eigentlichen Werk gar nicht gedacht, wie sie sich denn überhaupt nicht viel mit Gedanken und Arbeit geplagt, sondern es vorgezogen haben, sich auf Kosten der Aktionäre und Gläubiger die Zeit recht angenehm zu vertreiben. Trotz aller Verbesserungen ist das Klima auf dem Isthmus noch immer sehr angreifend, denn die sanitären Vorsichtsmaßregeln können sich natürlich nur auf einen schmalen Streifen rechts und links von der Kanalstrecke beschränken. Nur eine kleine Strecke darüber hinaus, und überall machen sich Urwald und Ursumpf breit, die Schlupfwinkel des Tapirs und des Alligators, die Nistplätze einer an Arten überaus reichen Vogelwelt und eines tierreichen Kleinlebens von ungeheurer Mannigfaltigkeit. Gegen das Mangrovedickicht mit seinen fleischigen, wasserreichen Pflanzen richtet selbst das sonst so erfolgreiche Radikalmittel, das Feuer, nicht viel aus. Es werden noch Jahrzehnte vergehen, bis es allmählich gelingt, die Wildnis zu entwässern und in kulturfähiges, gesundes Land zu verwandeln.

Bis dahin erfreut sich noch das Auge an einer Natur von strotzender Schöpfungskraft, an einer phantastisch chaotischen Urweltflora, in der die Visionen eines Fieberkranken körperhafte Gestalt gewonnen zu haben scheinen. Blaßblau und dunstig dehnt sich der Himmel, die Hitze brütet im feuchten Boden des Dschungels Miasmen aus. Aus dem Schlinggewirr niedrigen Pflanzenwuchses bahnen sich hier und dort hochstämmige Palmen den Weg ins Freie, abgestorbene Cibabäume harren weiß und gespensterhaft des Augenblicks, wo der morsche Stamm zusammenbrechend im Sumpfe versinkt, um dort zu verfaulen. Hier waltet rücksichtslos und brutal das Recht einer ewigen, sich ständig erneuernden Jugend. Milliarden von Farnen, Schlingpflanzen, Schmarotzern treibt die Sonne jeglichen Tages rasch in die Höhe, zum Angriff gegen die älteren Gewächse, die sich schon zu gesicherter Stellung durchgedrungen zu haben glauben und denen nun der neidische Nachwuchs bedrohlich auf den Leib rückt und sie bekämpft. Nur besonders kraftvollen, an günstiger Stelle stehenden Bäumen gelingt es, sich in dem endlosen Ringen mit dem Kroppzeug lange Zeit hindurch zu behaupten – bis auch sie eines Tages schließlich dem Schmarotzerpack erliegen, von seinen Polypenarmen erwürgt zu Boden sinken. ...

Unser Boot führt uns nach Gatun zurück, zu den kolossalen Gatunschleusen, in denen die Schiffe bei der Durchfahrt durch den Kanal um etwa 28 Meter gehoben oder gesenkt werden. Unglaubliche Massen von Beton sind hier verarbeitet worden. Die obere Gatunschleuse, zur Aufnahme und zum Durchlaß der größten Ozeandampfer bestimmt, ist so groß und tief, daß, wenn sie wasserfrei ist, ein ganzer Block sechsstöckiger Häuser bequem darin Platz fände; das ungeheure Schleusentor ist aus den stärksten Panzerplatten geschmiedet, denn es hat einen enormen Wasserdruck auszuhalten.

Der Ingenieur lenkte nun das Motorboot zur nächsten Station der Panama-Eisenbahn, die, fast parallel mit dem Kanal und immer in seiner nächsten Nähe, die beiden Städte Colon und Panama, den Atlantischen mit dem Stillen Ozean, verbindet. Man hat bei der Fahrt mit der Eisenbahn einen besseren Überblick über die Landschaft, als bei der Kanalfahrt vom Dampfer aus. Wir bestiegen eine offene Draisine, die uns in rascher, luftiger Fahrt an verschiedenen Ortschaften vorbei zur Bergkette des Culebragebirges brachte. Hier machten wir halt, um den gewaltigen Einschnitt des Culebra, diese schwierigste Teilstrecke des Kanals, den Schauplatz einer technischen Höchstleistung ersten Ranges, näher zu betrachten. Beim Anblick der 200 Meter hohen, brandroten Wände des ausgedehnten Bergdurchschnittes bekam man einen Begriff davon, welche ungeheuren Erd- und Steinmassen hier abgesprengt und bewegt werden mußten. Im Kanal waren große Schwimmbagger und Saugrohrmaschinen damit beschäftigt, das Kanalbett von der nachrutschenden Ufererde zu säubern, und die Böschungen wurden mit hydraulischen Wasserstrahlen bearbeitet, die das lockere Gestein ablösen und fortspülen sollten.

»Es werden wohl noch viele Jahre vergehen und so manche unangenehme Überraschung wird uns nicht erspart bleiben, ehe wir mit diesem Abschnitt ganz in Ordnung sind,« sagte der Ingenieur.

Hinter Culebra folgten abermals mächtige Schleusenanlagen zur Überwindung des Höhenunterschiedes, dann rollte die Draisine schnell ihrem Ziel entgegen, der Stadt Panama, und bald tat sich vor unseren Blicken das große Weltmeer, der strahlende Spiegel des Stillen Ozeans, auf.

Panama hat noch mehr als das kleinere Colon von dem reichen Segen profitiert, den der Kanalbau über den Isthmus ergoß. Früher ein Gelbfieberherd gefürchtetster Art, geradezu tödlich für jeden Europäer bei längerem Aufenthalt, ist die Stadt jetzt leidlich gesund gemacht worden, freilich nur leidlich, denn die Sterblichkeit ist noch immer groß, und wer als Weißer nicht gerade durchaus darauf angewiesen ist, in Panama zu leben, vermeidet es, länger, als unbedingt nötig ist, in der Stadt zu verweilen. Zehn Jahre hindurch, solange der Kanalbau dauerte, hat Panama im Mittelpunkt einer maßlosen Spekulation gestanden, die den Einwohnern, den Indianern, Mulatten und Negern, ungewöhnlich viel Geld in den Schoß warf. Sie fühlen sich sehr obenauf, die »farbigen Gentlemen«, und glauben, daß sie es jetzt erst recht nicht nötig haben, sich mit einer so unangenehmen Sache, wie es das Arbeiten ist, abzugeben. In den Straßen zwischen den luftigen Holzhäusern geht es sehr munter und geräuschvoll zu. Auffallend sind die wundervoll fein geflochtenen Panamahüte und schönen alten Schmucksachen, die von manchen anscheinend sehr wohlhabenden Indianerfrauen getragen werden.

Hinreißend schön ist der Blick von den Trümmern der alten Festungswerke am Strand auf die der Küste vorgelagerten Inseln, auf die unendliche Fläche des Ozeans und seitlich auf die Gebirgszüge, die einen Teil der Kordilleren bilden. Übrigens ist Panama eine der ältesten Städte Amerikas. Schon 1518 wurde es gegründet, um später von den Bukaniern geplündert und zerstört zu werden (wie im vierten Kapitel dieses Buches erzählt). Einige halbzerfallene Kirchen und Festungswerke erinnern an die alten Zeiten, als die ersten spanischen Eroberer sich hier seßhaft gemacht hatten und ihre noch mehr entarteten Nachfolger, die Bukanier, das unglückliche Land raubend, brennend und mordend durchzogen.

Einige Tage später, und wieder umfängt mich, den auf der Heimfahrt Begriffenen, eine andere Welt: ich habe die weite Fläche des Karibischen Meeres abermals durchschifft und befinde mich auf der winzigen, aber für die westindische Schiffahrt sehr wichtigen Insel St. Thomas, östlich von Portoriko, die damals vor dem Kriege noch den Dänen gehörte – sie wurde nebst den anderen dänischen Nachbarinseln 1916 an die Vereinigten Staaten abgetreten.

In flimmernd heißer Mittagsstunde fuhr unser Schiff in die Bai von Charlotte-Amalia ein, der Hauptstadt und überhaupt einzigen Stadt von St. Thomas, denn das Inselchen ist so bescheidenen Umfangs, daß nur Berlin allein ohne die Vororte Platz darauf fände. Mit weißen Häuschen und roten Dächern wie aus der Spielzeugschachtel aufgebaut und ihrem graziösen Namen alle Ehre machend, bietet die Stadt an dem üppig grünen Strand einen überaus freundlichen Anblick dar, der schon von weitem Sauberkeit und Behagen verspricht. Vom Dach des stattlichsten Gebäudes am Strand, einem gerade fertig gewordenen Neubau, grüßte die schwarz-weiß-rote Fahne: es war das Geschäftshaus der Hamburg-Amerika-Linie, für die bis zum Kriege St. Thomas der wichtigste Umschlagplatz ihres weitverzweigten mittelamerikanischen Dienstes war.

Es gibt Inseln, die ihre Bedeutung einzig und allein dem Umstand verdanken, daß sie aus irgendwelchen Gründen, vielleicht wegen eines hervorragend guten Hafens oder weil sie an Kreuzungspunkten der Schifffahrt liegen, wichtige Stationen des Weltverkehrs geworden sind, obwohl sonst auf ihnen nicht viel zu holen ist. In solchen »Karawansereien des Ozeans«, wie Alexander von Humboldt einmal derartige Inseln unter besonderer Bezugnahme auf Teneriffa genannt hat, gehört auch St. Thomas. Eine der kleinsten der Kleinen Antillen, kann sich das Inselchen, dessen steiniger Boden von nur mäßiger Fruchtbarkeit ist, in keiner Weise mit den größeren Inseln Westindiens vergleichen. Und dennoch hat es wegen seiner günstigen geographischen Lage im Scheitelpunkt des Antillenbogens und wegen seines trefflichen Naturhafens von alters her eine wichtige Rolle in dem für den Welthandel so wichtigen Westindienverkehr gespielt, ist es bis in die neue Zeit hinein der Hauptstapelplatz am Karibischen Meere gewesen. St. Thomas gelangte schnell zur Blüte, zumal da die Dänen, die sich seit 1671 im Besitz der Insel befanden, sich klugerweise zu einer sehr entgegenkommenden Politik der Handelsfreiheit verstanden. Charlotte-Amalia war der Orderhafen für alle Kapitäne der mittelamerikanischen Gewässer, hier übernahmen und löschten sie ihre Ladungen und empfingen von den ansässigen Vertretern ihrer Reedereien neue Befehle. Die Hamburg-Amerika-Linie legte hier eine große Kohlenstation an und spielte schließlich eine so beherrschende Rolle, daß das Wirtschaftsleben von St. Thomas ohne sie kaum denkbar war. Der hiesige Hapag-Agent hatte einen der schwierigsten Posten seines Faches zu verwalten. Er mußte jederzeit wissen, an welchen Punkten der Land- und Seekarte die zahlreichen Frachtdampfer seiner Reederei in den westindischen und mittelamerikanischen Gewässern sich gerade befanden, mußte die Schiffe je nach den Ladebedürfnissen der verschiedenen Häfen telegraphisch bald hierhin, bald dorthin lenken und dabei eine Unmenge der mannigfachsten Umstände in Betracht ziehen, denn jede Reise eines Schiffes soll sich natürlich so gut wie möglich bezahlt machen. Ohne die Hapag wäre St. Thomas wohl längst eingeschlafen, denn die Ausfuhr von Zucker und anderen Landeserzeugnissen ist unbedeutend.

Immerhin hat St. Thomas doch noch eine Spezialität: den echten »Bay-Rum«, der aber nicht zum Trinken bestimmt ist, sondern seit alters ein beliebtes Haarwaschmittel darstellt und aus Rum besteht, der mit dem ätherischen Öl der Pimenta acris durchsetzt wird. Bahama hat seine Schwämme, Kuba seine Zigarren, Jamaika seinen trinkbaren Rum, Curaçao seinen Likör, Martinique seine Schokolade, Trinidad seinen Asphalt und St. Thomas seinen Bay-Rum. Zum Schmerz von St. Thomas wird nun aber sein »echter Original-Bay-Rum« samt Etikett überall in der Welt, auch in Deutschland, nachgeahmt, so daß auch mit dieser Spezialität, die einst in großen Mengen hinausging, kein nennenswertes Geschäft mehr zu machen ist.

Charlotte-Amalia – oder sagen wir St. Thomas, denn an Stelle des eigentlichen Stadtnamens wird in Seemanns- und Handelskreisen stets der Name der Insel gebraucht – zieht sich am Abhang der Berge, die die Insel bedecken, hügelaufwärts, so daß die Straßen und Häuser terrassenförmig ansteigen und überall höchst malerische Gruppierungen bilden. Ein altertümliches Fort mit knallrot gestrichenen Mauern beschirmt den Hafen, aber man sieht es seinen Kanonen an, daß sie nur noch zum Salutschießen gut sind. Die Befestigungswerke stammen aus der Bukanierzeit, und auch heute noch sind die alten Faktoreigebäude von St. Thomas mit ihren meterdicken Mauern und dunklen Gewölben vom Hauch der bunten Kolonialromantik aus den Tagen der Westindien-Kompanie umwittert. Aber die Rührigkeit von ehemals fehlt, keine Sklavenscharen rollen mehr Gewürzfässer und Zuckerkisten, matt und schläfrig geht das bißchen Geschäft seinen Gang, und alles hat etwas so Spukhaftes, daß man Gespenster im blanken Sonnenschein zu sehen glaubt. Im übrigen ist St. Thomas ein ganz reizender Ort. Jedenfalls ist es den Dänen, die damals noch die Herren der Insel waren, vortrefflich geglückt, ihren dunkelhäutigen Schützlingen Sinn für Ordnung und Ruhe beizubringen. Niemand lärmt, niemand belästigt den Fremden, die Neger und Mulatten sind sauber gekleidet und machen zum Teil einen ganz gebildeten Eindruck. Die Straßen führten damals noch dänische Namen, aber sonst wurde außerhalb der dänischen Kolonistenkreise nur Englisch gesprochen.

Nun sind seit 1916 die Vereinigten Staaten Besitzer von St. Thomas und den Nachbarinseln Santa Cruz und St. John. Der Kaufschilling betrug 100 Millionen Goldmark. Schon längst hatten die Amerikaner aus guten Gründen den winzigen Archipel ihrem Riesenbesitz einverleiben wollen, aber immer hatte sich Dänemark dagegen gesträubt. Ein Volk, ein Staat trennt sich nicht gern ohne dringendste Notwendigkeit von einem Stück Land, über dem seit mehr als zweihundert Jahren sein Banner geweht hat und an das sich eine Fülle der wertvollsten Erinnerungen knüpft. Schließlich hat die dänische Volksvertretung aber dem Verkaufsprojekt doch zugestimmt, weil die Bevölkerung der Inseln in der Mehrheit mit Amerika sympathisierte und die wirtschaftlichen Verhältnisse dort immer unerquicklicher wurden. Ob nun den Amerikanern, die das Geschäft hauptsächlich im Hinblick auf den Panamakanal und den erhofften Verkehrsaufschwung im Karibischen Meer abgeschlossen haben, die Wiederbelebung von St. Thomas gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Am Abend nach meiner Ankunft in St. Thomas ward mir und meinen Bordgenossen noch ein besonderer Genuß beschert. Der Gouverneur hatte alle anwesenden Fremden zu einem Ball im »Grand Hotel« eingeladen. Als nun die Sonne blutrot im Meer versank, machten wir uns auf dem Dampfer fein und begaben uns erwartungsvoll nach jenem altertümlichen Gasthaus am Hafen, das sich mit liebenswürdiger Übertreibung »Grand Hotel« betitelt. Heute hatte es wirklich seinen großen Tag. Ganz St. Thomas war versammelt: draußen das gute Volk, das jede Festtoilette mit begeistertem Oh! und Ah! begrüßte und sich die platten schwarzen Nasen an den Fensterscheiben noch platter drückte, drinnen die Honoratioren, die Herren und Damen der Kolonie unter Vorsitz des Gouverneurs, sowie die Fremden. Auch die »besseren« Farbigen der Stadt nahmen an der Festlichkeit teil – man nimmt es hier nicht so genau damit wie bei den Engländern. Bei einer Temperatur von 30 Grad entwickelte sich bald ein ebenso flotter wie schweißtriefender Tanzbetrieb, wobei es nur mit der Musik haperte, weil die Negermusikanten eine Art von akustischem Vorgaberennen veranstalteten. Die Klarinette hatte sechs Takte voraus, und die erste Geige, die anscheinend nicht in guter Form war, blieb stark im Hintertreffen und enttäuschte ihre Wetter ... Ich aber schlich mich ins Freie hinaus an den Strand, in die wundervolle Zaubersphäre einer mondbeglänzten Sternennacht. Gleich flüssigem Silber zittert und bebt das Gewässer der Bai, leise, wie im Traum, plätschern die kleinen Wellen ans Ufer, die Palmenwipfel wiegen sich flüsternd und von den Gärten her weht köstlicher Blütenduft. Ach, wie unsagbar schön ist diese südliche Nacht! Und mit einigem Unbehagen muß ich daran denken, daß mich in wenigen Tagen bereits wieder die Winde des rauheren Nordens umfangen werden.

Ein paar Stunden später, um Mitternacht, lichtete unser Schiff die Anker. Es geht der letzten Station meiner westindischen Rundfahrt entgegen: San Juan auf Portoriko. Schon im Laufe des nächsten Vormittags kommen wir in der geräumigen Bucht der Hauptstadt Portorikos an. Wieder eine ganz andere Welt! Spanisches Kreolentum, in den Schraubstock der Yankeekultur gepreßt. Verteufelt leicht ist den Nordamerikanern, diesen Lieblingskindern der rätselhaft launischen Dame Fortuna, die große Antilleninsel Portoriko im spanisch-amerikanischen Kriege zur Beute gefallen, und ist sie auch nur sehr klein im Vergleich zum anderen Beuteteil, den Philippinen, so ist sie in wirtschaftlicher Hinsicht doch wertvoller als der ostasiatische Archipel. Portorikos Hauptprodukte sind Zuckerrohr, Kaffee, Bananen und neuerdings auch Tabak. Die Sklaverei wurde hier erst 1873 aufgehoben, die Bevölkerung – eine Million – besteht zur Hälfte aus Negern und Mulatten, zur andern Hälfte aus stark entarteten Spaniolen, d.h. den Nachkommen der spanischen Einwanderer.

Offen gestanden, ich hätte Portoriko lieber noch unter spanischer Herrschaft kennen gelernt, San Juan ist damals zweifellos origineller gewesen. Wo sich die angeblich so »freien«, in Wirklichkeit so unduldsamen und schulmeisterhaften Yankees niederlassen, dort gelingt es ihnen in ganz kurzer Zeit, jede urwüchsige Eigenart zu vernichten und durch die öde Schablonenhaftigkeit ihres Maschinenmenschentums zu ersetzen. Alles, was nicht in ihre Schablone paßt, ist bei diesen Leuten, die ganz zu Unrecht ihre ewigen Freiheitsphrasen im Munde führen, verpönt, sintemalen der Mensch nach Meinung der Yankees lediglich zum Geschäftemachen auf der Welt ist, aber nicht, um Allotria zu treiben. In den noch nicht amerikanischen Stadtteilen von San Juan lebt noch etwas von der wundervollen Romantik des alten Spaniertums; da sieht man mittelalterliche Kastelle mit mächtigen, vom salzigen Seewind zerfressenen Mauern, alte Paläste mit labyrinthischen Räumen, wie geschaffen zu dunklen Intrigen und verruchter Missetat, geheimnisvolle Höhlen in den Klippenfelsen, die ganz so aussehen, als ob da unbedingt ein kostbarer Schatz aus der Piratenzeit seines glücklichen Entdeckers harrte.

Rrrr – ein anderes Bild! Heimwärts geht's, nach Norden hinauf, nach Neuyork. Das Schiff zieht durch das gefährliche Fahrwasser der unzähligen Inseln, Inselchen und Korallenbänke des großen Bahama-Archipels. Die Backofenhitze läßt rasch nach, herber beginnt die Luft zu wehen, und die wärmeren Kleidungsstücke, die so lange auf dem Grunde des Koffers gelegen haben, werden hervorgeholt und kommen allmählich wieder zu Ehren. Am zweiten Tage nach San Juan wird uns ein Augenblick weltgeschichtlicher Erinnerung beschert: wir fahren dicht an Guanahani vorbei, auch Watlinginsel oder San Salvador genannt, dem kleinen Eiland, an dessen Strand, von den harmlosen Eingeborenen wie ein Gott begrüßt, Kolumbus nach langer, langer Fahrt zum erstenmal amerikanischen Boden betrat – und sich in Indien wähnte! Genau so, wie wir an Bord des Dampfers jetzt die Insel sehen, hat sie sich dem kühnen Seefahrer und großen Glücksjäger am 12. Oktober 1492 dargestellt, nachdem schon einige Tage vorher allerlei Anzeichen auf die Nähe von Land hingedeutet hatten. Dem merkwürdigen Mann, der keineswegs jener selbstlose Idealist war, für den man ihn früher gern ausgegeben hat, ist die ungeheure Tragweite seiner Entdeckung Amerikas niemals völlig zu Bewußtsein gekommen.

Noch ein paar Tage, und wieder bläst mich, wie auf der Hinfahrt, Kap Hatteras unfreundlich an. Diesmal sind es Frühlingswinde, aber Winde recht rauher Art. Fröstelnd wickle ich mich in die dichtesten Hüllen und lasse den Blick längs der Kielwasserfurche des Schiffes rückwärts schweifen zum Horizont ... Lebt wohl, ihr bunten Inselwelten unter dem Gluthimmel der Antillen, ihr schwarzen und ihr braunen Menschen, leb wohl, du azurnes Meer, und du vor allem, du Allbeleberin, du gütige heiße Sonne des Südens!

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