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Dritte Vorlesung.
Die Gasgesetze und die Molekularhypothese

Die Luftanalyse – Das allgemeine Gesetz der Gasvolume – Dalton und Berzelius – Ganze und halbe Atome – Avogadro und Ampere; Atom und Molekel – Berzelius dazu – Einfluss der organischen Chemie – Das Äther-Problem – Begriff der Molekel – Gesetz der Kapazitätsgrössen – Anomale Dampfdichten, ihre Deutung – Experimentelle Schwierigkeiten – Katalyse – Genauigkeit des Gesetzes – Grenzgesetz, dessen Prüfung – Formel von van der Waals – Molekulargrösse flüssiger und fester Stoffe – Theorie der verdünnten Lösungen von van't Hoff – Osmotischer Druck – Molekulargrösse gelöster Stoffe – Versagen der kinetischen Hypothese – Oberflächenspannung – Gesetz von Eötvös und Ramsay – Die Gasinvariante – Hypothesenfreie Darstellung der Gasgesetze


Als im Jahre 1804 Alexander von Humboldt in Paris die Ergebnisse seiner berühmten Reisen nach Südamerika bearbeitete, trat ihm unter anderen die Frage entgegen, ob die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche gleich oder verschieden sei. Hierüber war zu jener Zeit nichts Bestimmtes bekannt, um so weniger, als es noch keine allgemein als zuverlässig anerkannte Methode gab, um diese Zusammensetzung genau zu bestimmen. Er wandte sich daher an C. L. Berthollet, welcher damals in Paris den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Bestrebungen in der Chemie repräsentierte, damit dieser einen jüngeren Fachgenossen mit der Aufgabe betraute, die vorhandenen Methoden zu untersuchen und eine zuverlässige festzustellen. Berthollet empfahl zu diesem Zwecke einen noch ganz jungen Chemiker, namens Gay-Lussac (1778 bis 1850), mit dem gemeinsam Humboldt denn auch die Arbeit ausführte. Das Ergebnis war, dass von allen Methoden die von Alessandro Volta angegebene bei weitem die zuverlässigste war. Diese besteht darin, dass man die Luft mit einem gemessenen Überschuss von Wasserstoffgas vermischt, das entstandene Knallgas zur Explosion bringt und aus der beobachteten Volumenverminderung auf den Sauerstoffgehalt schliesst. Denn diese Volumenverminderung besteht aus dem Volumen des Sauerstoffs, der in Wasser übergegangen ist, plus dem des hierzu vom Sauerstoff gebundenen Wasserstoffs. Kennt man das Verhältnis, nach welchem sich beide Gase zu Wasser vereinigen, so kann man leicht den auf den Sauerstoff entfallenden Anteil berechnen und so den Sauerstoffgehalt der Luft bestimmen. Die Anwendung des Verfahrens beruhte somit auf der genauen Kenntnis jenes Verhältnisses und dies zu bestimmen, gab sich Gay-Lussac die grösste Mühe. Insbesondere sah er nach, ob das Verhältnis davon abhängig war, ob Sauerstoff oder Wasserstoff im Überschusse war.

Das Ergebnis war, dass, so genau er messen konnte, exakt ein Volumen Sauerstoff mit zwei Volumen Wasserstoff sich verbindet, und zwar unabhängig von allen übrigen Versuchsbedingungen, vorausgesetzt nur, dass beide Gase unter gleichen Umständen gemessen wurden.

Die Hauptaufgabe war damit gelöst. Aber in Gay-Lussacs Geiste blieb die merkwürdige Einfachheit dieser Zahl haften. War sie Zufall, oder lag hier ein allgemeineres Gesetz zugrunde?

Ein allgemeines Gesetz kann nur in dem Falle vorliegen, dass jenes einfache Verhältnis nicht auf die Umstände von Druck und Temperatur beschränkt ist, bei welchen die Gase gemessen werden. Bezüglich des Druckes war nun bereits seit Boyle bekannt, dass alle Gase, unabhängig von ihrer chemischen Beschaffenheit, die gleiche Veränderlichkeit ihres Volumens mit dem Drucke zeigen; stehen also zwei Volumen bei irgendeinem Drucke im Verhältnis 1:2, so stehen sie auch bei jedem anderen Drucke im gleichen Verhältnisse. Und bezüglich der Temperatur hatte Gay-Lussac selbst wenige Jahre vorher in seiner Erstlingsarbeit gezeigt, dass ein ganz entsprechendes Gesetz besteht: alle Gase ändern ihren Druck oder ihr Volumen bei gleichen Änderungen der Temperatur in demselben Verhältnisse. Gemäss diesen Gesetzen ist also das einfache Volumenverhältnis der gasförmigen Elemente des Wassers von Druck und Temperatur ganz unabhängig; es bleibt das gleiche unter allen Bedingungen und somit ist das Bestehen eines allgemeinen Gesetzes sehr wahrscheinlich gemacht.

Einige Jahre später zeigte in der Tat Gay-Lussac, dass in allen damals bekannten oder zugänglichen Fällen, wo zwei oder mehr Gase sich chemisch verbinden oder sonst an chemischen Reaktionen teilnehmen, dies nach einfachen Volumenverhältnissen geschieht. Er zögerte daher nicht, ein entsprechendes allgemeines Gesetz aufzustellen und dieses hat seitdem als das Gesetz von Gay-Lussac (oder vielmehr als eines der Gesetze von Gay-Lussac, denn er hat noch mehrere Gesetze entdeckt ) eine grundlegende Rolle in der chemischen Theorie gespielt.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass damals, im ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts, zwar die Entdeckungen von Richter schon vorlagen, aber noch nicht beachtet worden waren, während Daltons Atomhypothese mit ihren quantitativen Konsequenzen bezüglich der Verbindungsgewichte soeben die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich zu ziehen begann. Man hätte daher denken sollen, dass insbesondere Dalton diese Entdeckung als eine hocherwünschte Stütze seiner Anschauungen begrüssen würde, da sie besonders einfache Beziehungen zwischen der Anzahl der Atome und dem Volumen der Gase zu erkennen gab. Doch hat sich Dalton weder damals, noch irgend später von der Richtigkeit des Gay-Lussacschen Gesetzes überzeugen wollen: ein lehrreiches Beispiel zur Psychologie der Gelehrten.

Der andere Mann, dem diese Entdeckung von grösster Bedeutung sein musste, war Berzelius, der soeben eifrigst mit der Prüfung der quantitativen Konsequenzen der Daltonschen Hypothese beschäftigt war und der demgemäss nach jedem Mittel griff, welches die Bestimmung der Atomgewichte fördern konnte. Dieser sah sofort die Wichtigkeit, welche das Gesetz von Gay-Lussac für die Frage hatte und versuchte alsbald, es in entsprechender Weise anzuwenden.

Hält man die beiden Tatsachen zusammen, dass erstens Gase sich nur nach Massgabe ihrer Verbindungsgewichte vereinigen und dass zweitens sie sich nur nach einfachen Volumenverhältnissen vereinigen, so kommt man alsbald zu dem Schlusse, dass ganz wohl die Gewichte gleicher Volumen den Atomgewichten einfach proportional gesetzt werden könnten. Hierdurch wäre ein unzweideutiges Mittel gegeben, unter den möglichen Multipeln des Äquivalentgewichtes das eigentliche »Atomgewicht« herauszufinden. Die Atomgewichte würden sich demgemäss einfach verhalten, wie die Gewichte gleicher Gasvolumen oder wie die Gasdichten, und in gleichen Volumen der verschiedenen Gase wären gleich viele Atome vorhanden.

Da beispielsweise Sauerstoffgas 16 Mal dichter ist als Wasserstoffgas, so müsste geschlossen werden, dass ein Atom Sauerstoff 16 mal schwerer war, als ein Atom Wasserstoff. Ein Atom Wasser bestand demgemäss aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff,

Soweit war alles sehr gut, aber beim Wasserdampf begann die Schwierigkeit, Aus einem Atom Sauerstoff und zwei Atomen Wasserstoff kann nicht mehr als ein Atom Wasser entstehen; der Wasserdampf müsste also denselben Raum einnehmen, wie der Sauerstoff, aus dem er entstanden ist. Er nimmt aber tatsächlich den Raum des Wasserstoffs, d. h. einen doppelt so grossen Raum ein.

Die Annahme, dass ein Atom Wasser aus einem Atom Wasserstoff und einem halben Atom Sauerstoff bestehe, hätte diese Schwierigkeit beseitigt, aber niemand wagte sie zu machen, weil durch den Begriff des Atoms die Unteilbarkeit vorausgesetzt war. So gab Berzelius alsbald die »Volumentheorie« auf, da gegen Tatsachen sich nichts machen lässt.

Sehr bald nach der Entdeckung dieser Schwierigkeit wurden die Wege angegeben, sie zu vermeiden, ohne mit dem Atombegriff in Widerspruch zu geraten. Es waren zwei Physiker, Amadeo Avogadro (1776 bis 1850) und André Marie Ampère (1755 bis 1836), welche unabhängig voneinander den gleichen Gedanken entwickelten. Wenn, um bei dem oben angeführten Beispiele zu bleiben, aus einem Volumen Sauerstoff zwei Volumen Wasserdampf entstehen, und man halbe Atome Sauerstoff im Wasser nicht annehmen will, so braucht man nur doppelte Atome Sauerstoff im Sauerstoffgase anzunehmen; dann kommt je ein Sauerstoffatom auf ein Atom Wasserdampf. Prüft man die anderen vorhandenen Fälle in solchem Sinne, so ergibt sich, dass es nicht nötig ist, noch verwickeltere Verhältnisse anzunehmen; die blosse Verdopplung wie im Falle des Wassers genügt, um auch alle anderen Gasreaktionen so darzustellen, dass Bruchteile von Atomen nicht vorkommen und in gleichen Volumen der verschiedenen Gase gleichviel kleinste Teilchen angenommen werden dürfen. Allerdings sind diese kleinsten Teilchen der Gase nun nicht mehr identisch mit den Atomen zu setzen, sondern man muss sie im Falle der elementaren Gase als aus Paaren gleicher Atome zusammengesetzt ansehen.

Ganz so einfach, wie ich es soeben der Kürze wegen dargestellt habe, hat sich der Gedankenprozess nicht vollzogen. Insbesondere Ampère hatte noch weitere Beziehungen, nämlich solche kristallographischer Natur, im Sinne, und um diese darzustellen, hat er nicht je zwei, sondern je vier Atome in einem kleinsten Gasteilchen angenommen. Auch waren die Benennungen, welche diesen Teilchen zum Unterschiede von den Atomen gegeben wurden, schwankend. Gegenwärtig nennt man diese kleinsten Gasteilchen Molekeln oder Moleküle, während man die kleinsten elementaren Teilchen Atome nennt. Die einen sind natürlich ebenso hypothetisch wie die anderen.

Man hätte denken sollen, dass Berzelius diese Befreiung aus einer Schwierigkeit, die ihn an der Aufrechterhaltung der »Volumentheorie« gehindert hatte, mit Freuden hätte begrüssen sollen. Dies war nicht der Fall. Berzelius erkannte an, dass allerdings durch die Einführung des Unterschiedes zwischen Atom und Molekel jene Schwierigkeit sich heben liess, aber er betonte, dass ein anderer Grund, jenen Unterschied zu machen, nicht vorhanden sei. Man kann mit anderen Worten eine Hypothese, wenn sie nicht in ihrer ursprünglichen Form mit den Tatsachen stimmen will, fast immer sehr leicht durch passende Nebenannahmen so abändern, dass eine Übereinstimmung wieder erreicht wird. Solche Abänderungen haben aber keine weitere Bedeutung, als dass sie die zu erklärende Tatsache in bildlicher Form nochmals aussprechen, ohne irgendwelche neuen Zusammenhänge zu ergeben. Der Bestand der Wissenschaft selbst wird also durch solche ad hoc gemachte Verbesserungen der Hypothesen nicht erweitert.

Berzelius behielt in der Tat auch praktisch recht, denn fast ein halbes Jahrhundert lang blieb der von Avogadro und Ampère gezeigte Ausweg unbenutzt. Und erst, als der von Berzelius vermisste anderweite Zusammenhang ans Tageslicht trat, wurde auch die alte Idee wieder hervorgeholt, und sie hat dann ihren Nutzen gezeigt und ihren Einfluss bis auf den heutigen Tag ausgedehnt.

Das Gebiet, wo sich der Gedanke von Avogadro und Ampère als fruchtbar erwies, war die organische Chemie. Nachdem in den beiden ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts die anorganische Chemie ganz und gar im Vordergrunde des wissenschaftlichen Interesses gestanden hatte, entwickelte sich, insbesondere unter dem begeisternden Einflüsse Justus Liebigs (1803 bis 1873) mit ausserordentlicher Geschwindigkeit die organische Chemie und nahm bald das vorwiegende Interesse in Anspruch. Täglich wurden neue Stoffe dieses Gebietes entdeckt und der rapid sich vermehrende Reichtum machte eine gute Ordnung der Schätze zur dringendsten Notwendigkeit. So wurden die Fragen nach der besten Auffassung und Anordnung der organischen Verbindungen die wichtigsten der Zeit.

Der nächstliegende Gedanke, der von Berzelius während seiner ganzen Wirksamkeit mit zäher Energie festgehalten wurde, war, die im anorganischen Gebiete ausgebildeten Begriffe auch auf das neue Reich anzuwenden. Das hiess damals, den elektrochemischen Dualismus, die Vorstellung, dass jede Verbindung binär aus einem positiven und einem negativen Bestandteil konstituiert sei, auf die organischen Verbindungen anwenden.

Diese Vorstellung hatte sich aus dem Studium der Salze ergeben, deren grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der chemischen Anschauungen wir bereits bei den Entdeckungen Richters kennen gelernt haben, und die wir im Verlaufe unserer Betrachtungen noch mehrfach wiederfinden werden. Dass man zunächst die aus nur zwei Elementen zusammengesetzten Salze dualistisch auffassen kann, bedarf keines Hinweises. Bei den Sauerstoffsalzen, welche mindestens drei Elemente enthalten, entstanden bereits Schwierigkeiten. Berzelius sah diese Salze als aus einem basischen und einem sauren Oxyd (dem Säureanhydrid) bestehend an und schuf so den Begriff des Radikals, d. h. eines zusammengesetzten Komplexes, welcher sich formal wie ein Element verhält, indem er ohne Änderung seiner Zusammensetzung aus einer Verbindung in die andere übergehen kann.

Dieser Begriff des Radikals war es nun, welcher auch für die organische Chemie, deren Stoffe ja meist aus mindestens drei Elementen bestehen, zunächst als Grundlage der Systematik benutzt wurde; die organische Chemie wurde sogar damals als die Chemie der zusammengesetzten Radikale definiert. Durch Gay-Lussacs eingehende und meisterhafte Untersuchung des Cyans und seiner Verbindungen war dieses schon früher als Radikal gekennzeichnet worden, welches mit den Halogenen die grösste Ähnlichkeit aufwies, und dabei Beziehungen zum organischen Gebiete aufwies.

In solchem Sinne wurde der Alkohol als das Hydrat eines Kohlenwasserstoffradikals betrachtet, und es entstand die Frage, in welchem Verhältnisse der Alkohol zum Äther steht. Da man diesen durch Wasserentziehung aus dem Alkohol erhalten kann, so war die nächstliegende Auffassung die, den Äther als das erste und den Alkohol als das zweite Hydrat eines Kohlenwasserstoffs C4H8 aufzufassen, wie dies durch die beiden Formeln C4H8(H2O) und C4H8(H2O)2 (in moderner Schreibweise) verdeutlicht wird.

Hiergegen wurde aber geltend gemacht, dass wenn man die Formeln der beiden Stoffe auf gleiche Dampfvolumen bezieht, man im Alkohol nur halb soviel Kohlenstoffatome vorfindet, als im Äther und daher der angenommene Zusammenhang nicht richtig sein könne. Die Vertreter der Radikaltheorie erklärten dagegen, dass dies eben gegen die Berechnung der Formeln auf gleiche Dampfvolumen spreche.

Hier trat nun die berühmte Arbeit von Williamson (1824 bis 1904) ein, welche den folgenden Gedankengang zur Geltung brachte. Kommt dem Äther entsprechend den Dampfdichteverhältnissen die doppelte Formel gegenüber dem Alkohol zu, so enthält jener zwei Kohlenwasserstoffradikale gegenüber dem Alkohol, der nur eines enthält. Dann aber muss es möglich sein, einen Äther herzustellen, welcher zwei verschiedene Radikale enthält. Durch eine ausgezeichnete experimentale Analyse der Vorgänge bei der altbekannten Ätherbildung aus Alkohol und Schwefelsäure hatte sich Williamson in den Besitz der entsprechenden Methoden gesetzt und so konnte er nachweisen, dass in der Tat solche Äther mit zwei Radikalen herstellbar sind.

Hieraus ergab sich denn der allgemeinere Schluss, dass die auf gleiche Dampfvolumen bezogenen chemischen Formeln die gegenseitigen Beziehungen und Umwandlungen der organischen Verbindungen besser darstellen als andere Formeln, und dass somit diesen Formeln eine bestimmte, methodische Bedeutung zukommt. Dies war der Augenblick, wo jene alten Begriffsbildungen (S. 78) wieder hervorgeholt wurden, zumal der Fall mit dem Äther nicht der einzige blieb, sondern noch viele andere Beispiele beigebracht wurden, die das gleiche ergaben. Der Begriff der Molekel oder des Molekulargewichts hielt nun seinen Einzug in die Wissenschaft und hat seine Bedeutung bis heute beibehalten.

Zunächst wurde dieser Begriff ganz und gar anschaulich-atomistisch gefasst und bis auf den heutigen Tag wird in den Lehrbüchern die Molekel als die kleinste Stoffmenge definiert, welche selbständig für sich bestehen kann. Offenbar ist diese Definition irreführend, falls man sie ihrem Wortlaute nach in erfahrungsmässigem Sinne auffasst. Experimente über die kleinste Mengen von Stoffen, die für sich oder selbständig existieren können, sind niemals angestellt worden, und man kann nicht sagen, ob diese kleinste Menge ein Milliontel oder ein Quadrilliontel Milligramm betragen mag. Auch zeigt die ganze Entstehungsgeschichte des Molekularbegriffes, dass es sich hier gar nicht um absolute, sondern nur um relative Zahlen handelt. In dieser Beziehung stehen die Molekulargewichte auf ganz dem gleichen Boden wie die Atomgewichte. Wir müssen somit die Frage auf werfen: welche Bedeutung hat der Begriff des Molekulargewichtes abgesehen von seinen hypothetischen Begleitvorstellungen?

Die Antwort lautet gemäss den eben dargelegten Verhältnissen: Stoffmengen, welche im Gaszustande unter gleichen Bedingungen gleiche Räume einnehmen, stehen in besonders einfachen chemischen Verhältnissen. Unter Benutzung der bekannten Gasgleichung pv/T=r, wo p den Druck, v das Volumen, T die absolute Temperatur und r eine Grösse bedeutet, welche für eine gegebene Gasmenge konstant bleibt, im übrigen aber dieser Menge proportional ist, kann man die gleiche Tatsache noch schärfer ausdrücken. Solche Mengen verschiedener Gase nämlich, für welche r gleiche Werte hat, stehen im Verhältnis der Molekulargewichte. Bestimmt man den Wert von, r z. B. für 2×16=32 g Sauerstoff, wo 32 das willkürlich angenommene Molekulargewicht (gleich dem doppelten Atomgewicht) des Sauerstoffs ist, so erhält man das Molekulargewicht jedes anderen Gases, wenn man solche Mengen derselben nimmt, welche den gleichen Wert von r ergeben, wie 32 g Sauerstoff. Dieser Wert wird gewöhnlich mit R bezeichnet. Natürlich muss man fragen, wieso diese Konstante R dazu kommt, den merkwürdigen Zusammenhang mit den Verbindungsgewichten aufzuweisen. Die Antwort ist, dass es sich hier um einen Sonderfall eines allgemeineren Gesetzes handelt. Bestimmt man beispielsweise bei der Elektrolyse solche Mengen verschiedener Stoffe, welche mit den gleichen Elektrizitätsmengen zusammenwandern, so erhält man, wie wir später ausführlich erörtern wollen, gleichfalls chemisch vergleichbare, nämlich gemäss dem Faradayschen Gesetze chemisch äquivalente Mengen. Bestimmt man von verschiedenen Elementen solche Mengen, welche gleiche Wärmekapazität haben, so erhält man wiederum chemisch vergleichbare Mengen, nämlich die Atomgewichte. Und so gibt es noch andere Gesetze, welche aussprechen, dass wenn man solche Mengen verschiedener Stoffe aufsucht, dass gewisse Grössen (die Kapazitätsgrössen der verschiedenen Energien) an ihnen gleich ausfallen, die entsprechenden Stoffmengen chemisch vergleichbar werden. Sind doch die Verbindungsgewichte selbst nichts anderes, als die Kapazitätsgrössen der chemischen Energie. Es handelt sich also um einen allgemeinen Zusammenhang der Kapazitätsgrössen der verschiedenen Energiearten an verschiedenen Stoffen, d. h. verschiedenen Energiekomplexen.

Solche Betrachtungen pflegen allerdings in den heutigen Lehrbüchern nicht angestellt zu werden. Infolge einer weitergehenden Entwicklung der atomistischen Vorstellungen, welche auch zur Veranschaulichung der Isomerieverhältnisse benutzt wurde, wie in der nächsten Vorlesung erörtert werden soll, haben sich die Chemiker mehr und mehr daran gewöhnt, die Atome als reale Wesen zu betrachten und demgemäss den atomistisch veranschaulichten Molekularbegriff als denjenigen zu benutzen, der für die Darstellung der chemischen Erfahrungen und Theorien am geeignetsten ist. –

Während also im Sinne der atomistischen Hypothese die Molekularformeln so geschrieben werden müssen, dass keine Bruchteile von Atomen vorkommen, weil es solche gemäss der Hypothese nicht gibt, lautet diese Bedingung in hypothesenfreier Gestalt, dass beim Schreiben von Molekularformeln Bruchteile von Verbindungsgewichten vermieden werden sollen. Dies ist natürlich eine ganz willkürliche Bestimmung und wir könnten vom allgemeinen Standpunkte aus ganz wohl die Molekularformel, oder wie wir zur Hervorhebung des Unterschiedes sagen können, die Molarformel des Sauerstoffs und Wasserstoffs O und H schreiben. Dies würde nur die Folge haben, dass die Molarformel des Wassers HO½ geschrieben werden müsste, um sie auf ein gleiches Volumen zu beziehen, wogegen nichts einzuwenden ist, wenn wir O und H nur als Bezeichnungen für die Verbindungsgewichte der fraglichen Elemente ansehen. Man würde sogar den Vorteil haben, dass Verbindungsgewicht und Molargewicht unserer typischen Elemente, des Sauerstoffs, Wasserstoffs usw. gleich gross sein würden. Jeder Lehrer weiss, welche Schwierigkeiten es dem Anfänger zu bereiten pflegt, wenn er lernen soll, dass zwar die Atomgewichte auf O=16, die Molekulargewichte aber auf O=32 bezogen werden müssen. Indessen ist die Scheu vor Bruchteilen von Atomen viel zu gross und allgemein, als dass ich daran denken könnte, nicht etwa solch einen Vorschlag zu machen, sondern auf seine Durchführung zu hoffen.

Wie erwähnt, erweist sich die blosse Verdopplung der Verbindungsgewichte der Elemente Sauerstoff, Wasserstoff usw. als ausreichend, um Molekularformeln zu erhalten, die sich auf gleiche Volumen in Gasgestalt beziehen und dabei keine Bruchteile von Atomen erforderlich machen. Allerdings schien dies Ergebnis einige Zeit hindurch bedroht; doch liess sich der Widerspruch befriedigend auflösen und dieser Erfolg hat gleichfalls nicht wenig zur Verbreitung der Molekularhypothese beigetragen.

Als nämlich die vorhandenen Dampfdichtemessungen im Sinne der Molekularhypothese bearbeitet wurden, erwies sich, dass eine ganz bestimmte Gruppe von Stoffen, nämlich die Ammoniaksalze, sich nicht fügen wollten. Für Chlorammonium wurde beispielsweise eine Dampfdichte gefunden, die nicht zu dem der Formel NH4Cl entsprechenden Molekulargewicht 53,5 führte, sondern zu einem etwa halb so grossen. Aber kaum war von den Gegnern der Molekularhypothese dieser Widerspruch aufgezeigt worden, als auch von verschiedenen Seiten auf eine mögliche Beseitigung desselben hingewiesen wurde. Man brauchte nämlich nur anzunehmen, dass der Dampf des Chlorammoniums nicht die unzersetzte Verbindung enthält, sondern ein Gemenge von Chlorwasserstoff- und Ammoniakgas, um die beobachtete Erscheinung zu erklären. Denn bei, dieser Zersetzung geht eine Molekel in zwei über und daher ist das Volumen verdoppelt und die Dichte auf die Hälfte herabgesetzt. Die Gegner gaben die Möglichkeit zu, wiesen aber mit Recht darauf hin, dass der Beweis noch ausstehe und von denen geführt werden müsse, welche diese bisher nicht angenommene Zersetzung behaupten.

Hier machte sich nun die Schwierigkeit geltend, an einem homogenen Gase zu ermitteln, ob es einheitlich oder ein Gemisch, genauer eine Lösung ist. Gewöhnlich wird ein solcher Nachweis geführt, indem man das Gas in flüssige oder feste Form überführt, und dabei nachsieht, ob dieser Übergang bei konstantem Druck und konstanter Temperatur erfolgt oder nicht; im ersten Falle hat man es mit einem einheitlichen Stoffe, im zweiten mit einer Lösung zu tun. In dem vorliegenden Falle war bekannt, dass sich der Salmiakdampf unter konstantem Druck zu einheitlichem festem Salmiak verdichtet; dies konnte aber auch daher rühren, und dieser Gesichtspunkt wurde alsbald geltend gemacht, dass im Augenblicke der Verdichtung die beiden Gase sich verbinden. Es blieb also nur übrig, die Lösungsnatur des vorliegenden Dampfes nachzuweisen, ohne dass dieser den Gaszustand aufzugeben brauchte.

Dies Problem wurde von Pebal gelöst, welcher die ungleiche Geschwindigkeit der Diffusion der verschiedenen Gase hierzu benutzte. Besteht Salmiakdampf aus Ammoniak und Chlorwasserstoff, so muss zufolge eines experimentellen Gesetzes das leichtere Ammoniak schneller durch eine poröse Wand fortwandern, als der schwerere Chlorwasserstoff, und der Dampf muss seine Zusammensetzung ändern, während er im anderen Falle seine Zusammensetzung beibehalten muss. Pebal zeigte, dass beim Diffundieren durch eine poröse Wand von Asbest in der Tat der Rückstand des Salmiakdampfes sauer, der fortgehende Anteil basisch reagierte, genau den Erwartungen gemäss.

Hiergegen wurde wieder geltend gemacht, dass die Scheidewand von Asbest zersetzend auf den Salmiakdampf wirken könne, und Pebal wiederholte daher den Versuch mit einer Scheidewand aus Salmiak, der man dies nicht nachsagen konnte; der Erfolg war der gleiche. Ebenso wurde von anderer Seite gezeigt, dass bei freier Diffusion ohne jede Scheidewand ganz dasselbe Ergebnis erreicht wurde. Die Gegner liessen aber nicht so leicht locker. Sie machten wieder geltend, dass die Diffusion selbst die Zersetzung bewirken könne. Hiergegen wurde wieder mit Recht gesagt, dass die Trennung durch Diffusion darauf beruht, dass die beiden vorhandenen Gase verschiedene Diffusionsgeschwindigkeit haben; solange die chemische Zersetzung also nicht stattgefunden hat, können auch die Eigenschaften der durch die Zersetzung entstehenden Stoffe sich nicht betätigen. Aber die Gegner erklärten wieder, dass sie eine ganz kleine Spaltung zuzugeben bereit seien; da durch die Diffusion die vorhandenen Anteile der getrennten Gase immer wieder fortgeführt würden, so könnte schliesslich ein erheblicher Spaltungseffekt erzielt werden, wie er durch den Versuch nachgewiesen worden war.

Hierauf mussten die Verteidiger der Molekularhypothese die Antwort zunächst schuldig bleiben, da ein Mittel, den Betrag der Spaltung hier zu messen, eben nicht zur Hand war. Doch konnte an einem anderen Beispiele, nämlich dem Chloralhydrat, etwas wie eine solche Messung beigebracht werden. Dieses zeigt gleichfalls eine zu kleine Dampfdichte, und hier war ein Zerfall in Wasser und Chloral angenommen worden. Wenn nun der Chloralhydratdampf hiernach zur Hälfte aus Wasserdampf besteht, so kann ein wasserhaltiges Salz in ihm nicht verwittern (vorausgesetzt, dass sein Wasserdampfdruck kleiner ist, als die Hälfte vom Dampfdrucke des reinen Wassers), während im anderen Falle der Dampf ein trockener Dampf ist, welcher Verwitterung verursachen muss.

Dies war eine ganz richtige und der Zeit (es handelt sich um die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts) weit voraneilende Überlegung. Leider kam sie nicht so zur Geltung, wie sie es verdient hätte, denn während Würtz, der diesen Gedanken ausgesprochen hatte, bei dem entsprechenden Versuch das Verhalten des Chloralhydratdampfes gleich dem eines feuchten Dampfes fand, behaupteten die Gegner, das Gegenteil beobachtet zu haben. So blieb die Sache damals anscheinend unentschieden; die Gegnerschaft war aber inzwischen auf eine einzige Gruppe von Chemikern zusammengeschrumpft, so dass es als nicht sehr dringlich angesehen wurde, für deren Bekehrung (die ohnehin hoffnungslos erschien) noch besondere Anstrengungen zu machen.

In neuerer Zeit ist indessen auch die letzte Lücke in sehr glücklicher Weise ausgefüllt worden, und zwar durch Anwendung ganz fernliegender Tatsachen. Es hatte sich herausgestellt, dass viele Gase, deren Bereitwilligkeit, miteinander zu reagieren, aus der täglichen Laboratoriumspraxis wohlbekannt war, diese Bereitwilligkeit einbüssten, wenn man sie vorher sehr sorgfältig vom Wasserdampf befreit hatte. Dies konnte darauf zurückgeführt werden, dass Wasserdampf unter diesen Umständen als ein Katalysator wirkt, d. h. dass er die Wechselwirkung, die bei trockenen Gasen ausserordentlich langsam erfolgt, erheblich beschleunigt. Wenn der Salmiak, der in Dampf verwandelt werden soll, vorher so vollkommen als möglich vom Wasser befreit ist (die Apparate müssen selbstverständlich gleichfalls mit äusserster Sorgfalt getrocknet werden), so zerfällt er beim Verdampfen so langsam, dass man bequem seine normale Dichte beobachten kann. Ebenso verbindet sich ein Gemenge von Chlorwasserstoff und Ammoniak in trockenem Zustande bis zur Unmerklichkeit langsam, entsprechend der Forderung der Theorie, dass bei katalytischen Beeinflussungen beide Vorgänge, die Verbindung wie die Zerlegung, in gleichem Sinne beschleunigt, bezw. verzögert werden.

Eine andere Frage, die hier unmittelbar sich auf wirft, ist die nach der Genauigkeit des Gay-Lussacschen Gesetzes. Während nämlich das Gesetz der Verbindungsgewichte (und ebenso das Faradaysche Gesetz) sich als so genau erwiesen hat, dass Abweichungen davon bisher überhaupt nicht mit Sicherheit haben nachgewiesen werden können, ist das Gesetz von Dulong und Petit nur eine sehr grobe Annäherung und es erweist sich allgemein, dass die verschiedenen Gesetze über die Erhaltung der Kapazitätsgrössen ganz verschiedene Annäherungen an die Erfahrungen darstellen. Nun ist es bekannt, dass das allgemeine Gasgesetz nicht genau für wirkliche Gase gilt; alle diese zeigen nämlich individuelle Abweichungen von den einfachen, durch die Gleichung pv=RT dargestellten Verhältnissen. Dieser Gleichung entspricht also nicht ein wirkliches, sondern nur ein ideales Gas, und damit scheint auch das Schicksal des Gay-Lussacschen Gesetzes besiegelt zu sein: es ist für wirkliche Gase nur ein Annäherungsgesetz oder ein Grenzgesetz.

Ganz hoffnungslos ist indessen die Angelegenheit noch nicht und gerade das letzte Wort Grenzgesetz deutet auf den Punkt, wo man etwa noch eine Aussicht auf die Geltendmachung des genauen Gesetzes hätte. »Grenzgesetz« besagt, dass das Gesetz um so genauer gültig ist, je mehr man sich einer gewissen Grenze nähert, und dass bei Erreichung dieser Grenze das Gesetz ganz genau gültig wäre. Allerdings kennen wir von der Mathematik her eine sehr unangenehme Eigenschaft solcher Grenzen: sie pflegen nämlich in der Unendlichkeit zu liegen und daher unerreichbar zu sein. In unserem Falle gestaltet sich die Sache ganz ähnlich: wir wissen nämlich, dass die Gase um so genauer dem einfachen Gasgesetz gehorchen, je kleiner ihr Druck und je grösser daher ihr Volumen ist. Bei unendlich kleinem Drucke würde sich jedes Gas wie ein ideales verhalten. Die Temperatur hat dagegen keinen erheblichen und insbesondere keinen einseitigen Einfluss auf die Gültigkeit der Gasgesetze; so lassen wir sie beiseite.

Nun braucht allerdings eine physikalische Unendlichkeit durchaus nicht mit einer mathematischen zusammen zu fallen. Eine mathematische Rechnung kann man zu jedem beliebigen Grade der Annäherung ausführen und daher wird jedesmal, wo wir im Endlichen damit stehen bleiben, ein angebbarer Fehler nachbleiben. Wenn dieser auch noch so klein gemacht werden mag, so bleibt er doch immer von endlicher, d. h. angebbarer Grösse. Bei physikalischen Messungen gibt es aber eine Fehlergrenze; was kleiner ist, als der kleinste Unterschied, den wir noch beobachten können, ist für uns praktisch gleich Null geworden, denn wir wissen nicht, ob es vorhanden, und wenn, wie gross es ist; wir wissen nur, dass es jedenfalls kleiner ist, als ein gewisser Wert. Somit verschiebt sich unsere Frage dahin: gibt es experimentell erreichbare Zustände, in denen die Abweichungen vom Gasgesetz kleiner sind, als die Messungsfehler?

Die Antwort hierauf lautet zweifellos Ja; sie ist indessen zunächst mit einem Aber behaftet, welches ihr einen grossen Teil ihres Wertes zu nehmen scheint. Je kleiner nämlich der Druck wird und je mehr sich daher das Gas dem idealen Grenzzustande annähert, um so geringer wird auch die Genauigkeit unserer Druckmessungen und wir wissen daher nicht ganz, ob das Verschwinden der Abweichungen bei kleinen Drucken daher rührt, dass die Abweichungen klein genug, oder daher, dass die Versuchsfehler gross genug geworden sind.

Hier gibt es nun aber noch einen anderen Weg, der uns näher an unser Ziel führt. Die wirklichen Gase zeigen zwar Abweichungen vom einfachen Gasgesetze, aber eben nur Abweichungen, und ihr Verhalten ist im grossen und ganzen doch dem Gesetz entsprechend. Man kann daher ihr wirkliches Verhalten ganz genügend darstellen, wenn man zu dem einfachen Gasgesetz ergänzende Glieder fügt, welche diese Abweichungen ausdrücken, und welche demgemäss die Eigenschaft haben, bei unbegrenzt kleinen Drucken und unbegrenzt grossen Volumen gegen Null auszulaufen. Passt man eine solche Gleichung dem Verhalten eines wirklichen Gases an, und lässt Druck und Volumen gegen Null, bezw. Unendlich auslaufen, so stellt der übrigbleibende Ausdruck nicht nur das Verhalten eines allgemeinen Idealgases dar, sondern das des wirklichen im Grenzfalle kleinsten Druckes und grössten Volumens. Die Frage lautet dann: gehorchen diese einzelnen idealen Gase dem Gesetz von Gay-Lussac innerhalb der Grenzen der Messung oder nicht? Hier kann man die Messungen unter den günstigsten Umständen ausführen und daher die Genauigkeit so weit treiben, als es die technischen Hilfsmittel der Zeit gestatten, und man kann daher die Gültigkeit des Gay-Lussacschen Gesetzes einer sehr weitgehenden Prüfung unterziehen.

Um eine Vorstellung zu haben, wie diese Prüfung ausgeführt wird, erinnern wir uns des Ausdruckes für das Gesetz von Gay-Lussac, dass nämlich die Konstante R der Gasgleichung R=pv/T für chemisch vergleichbare Mengen verschiedener Gase den gleichen Wert annimmt. Dieser Wert ist nun aber praktisch für verschiedene Gase etwas verschieden, je nachdem diese mehr oder weniger von dem Gasgesetz abweichen; ja er ist für dasselbe Gas verschieden je nach dem Drucke unter dem es steht, da wie bekannt mit steigendem Drucke die Abweichung von dem Gasgesetz zunimmt. Nun können wir aber die oben erwähnten Verbesserungen an dem Gasgesetz anbringen und die entsprechende, vom Einflüsse des Druckes und Volumens befreite Konstante R berechnen; diese müsste dann falls das Gesetz von Gay-Lussac streng gilt, für verschiedene Gase gleich ausfallen, wenn man sie auf chemisch vergleichbare Mengen dieser Gase bezieht, da diese Mengen unabhängig von allen Gasmessungen durch die Verbindungsgewichte, bezw. deren Multipeln gegeben sind.

Von allen Formeln, die das Verhalten der wirklichen Gase darstellen sollen, ist am bekanntesten und erfolgreichsten die von Van der Waals gewesen. Sie beruht darauf, dass man sowohl am Volumen wie am Druck des Gases, wie diese experimentell gemessen worden sind, gewisse Korrekturen anbringt. Einerseits verhalten sich nämlich die Gase, besonders deutlich bei starkem Drucke, so, als unterläge nicht ihr ganzes Volumen dem Boyleschen Gesetze, sondern nur ein Teil des gemessenen Volumens, während ein anderer Anteil praktisch inkompressibel ist. Ist daher v wie bisher das ganze Volumen, so wird der dem Boyleschen Gesetze unterworfene Anteil dargestellt werden durch die Differenz v-b, wo b der eben erwähnte inkompressible Volumenanteil ist.

Ferner verhalten sich die Gase so, als wirke auf sie neben dem äusseren Druck, der mittelst des Manometers gemessen wird, ein von ihrer Natur unzertrennlicher Druck, der sich als »Binnendruck« jenem äusseren Druck hinzufügt. Dieser Druck erweist sich als in hohem Masse abhängig vom Gesamtvolumen, indem er sehr schnell zunimmt, wenn das Volumen kleiner wird. Die Annahme, dass der Binnendruck umgekehrt proportional dem Quadrat des Volumens ist, hat sich als eine in vielen Fällen genügende Annäherung ergeben. Wir haben demgemäss an Stelle des äusseren Druckes p in die Gasgleichung die Summen dieses Druckes und des Binnendruckes p + a/v2 zu setzen, wo a eine Konstante, nämlich der Wert des Binnendruckes bei dem Volumen eins ist.

Setzen wir diese beiden verbesserten Werte in die Gasgleichung ein, so erhalten wir den Ausdruck (p + a/v2) (v-b) = RT. Durch Messungen an einem Gase bei verschiedenen Drucken und Volumen erhalten wir die Grundlagen zur Berechnung der beiden Konstanten a und b; indem wir deren Werte in die obenstehende Gleichung einsetzen, können wir R, bezogen auf je ein »Molekulargewicht« (d. h. auf das Verbindungsgewicht oder ein Multiplum desselben) der verschiedenen Gase berechnen und nachsehen, ob wir innerhalb der Fehlergrenzen gleiche Werte von R für verschiedene Gase erhalten.

Rechnungen solcher Art sind in neuester Zeit mehrfach ausgeführt worden, und sie haben zu dem Ergebnis geführt, dass das Gesetz von Gay-Lussac für die auf den idealen Grenzzustand bezogenen Gase wirklich so genau gilt, als es gegenwärtig geprüft werden kann.

Hierdurch werden wir zu der allgemeinen Ansicht geführt, dass auch die anderen ähnlichen Gesetze, soweit sie sich bisher nicht als genau erwiesen haben, durch eine entsprechende Bearbeitung, welche den veränderlichen Anteil der fraglichen Grösse von dem unveränderlichen sondert, gleichfalls in genaue Gesetze übergeführt werden könnten. Hierüber wird die Zukunft noch manches entscheidende Wort zu sprechen haben. –

Die übliche mechanisch-atomistische Auffassung des Molekularbegriffes zeigt sich nirgend deutlicher, als in den beständig wiederkehrenden Fragen nach der Molekulargrösse flüssiger und fester Stoffe. Solange man bei der rein erfahrungsmässigen Beziehung des Molekularbegriffes zum Gay-Lussacschen Gesetze der Gasvolumen bei chemischen Verbindungen bleibt, kann natürlich von einem Molekulargewicht bei nicht gasförmigen Stoffen überhaupt nicht die Rede sein, da für solche ein ähnliches Gesetz nicht besteht. Trotzdem finden wir die chemische Literatur seit der Entstehung des Molekularbegriffes angefüllt mit Spekulationen, welche jene Ausdehnung des Begriffes ermöglichen sollten; sie sind zunächst alle ergebnislos geblieben, wie dies gemäss der allgemeineren Auffassung natürlich nicht anders sein konnte.

Erst im vorletzten Dezennium des neunzehnten Jahrhunderts entstand eine Möglichkeit, auf rationelle Weise Molekulargrössen oder Molargrössen in Flüssigkeiten zu bestimmen; allerdings nicht solche von reinen Flüssigkeiten, wohl aber von gelösten Stoffen. Dies geschah durch die Entdeckung J. H. van 't Hoffs, dass in verdünnten Lösungen für die gelösten Stoffe die gleichen Gesetze Geltung haben, wie für Gase. Ebenso nämlich, wie jedes Gas einen jeden Raum, der ihm zu Gebote steht, gleichförmig anzufüllen bestrebt ist und nicht eher sich zu bewegen aufhört, als bis eine solche gleichförmige Verteilung eingetreten ist, so ist auch jeder gelöste Stoff bestrebt, sich in seinem Lösungsmittel solange auszubreiten, bis er überall die gleiche Konzentration angenommen hat. Ein Gas betätigt sein weiteres Ausdehnungsbestreben über den eingenommenen Raum hinaus durch den Druck. Van 't Hoff wies nach, dass auch für gelöste Stoffe ein ganz analoger Druck besteht, der sich nur unter gewöhnlichen Umständen nicht leicht geltend macht. Die Voraussetzung ist nämlich, dass die Lösung vom weiteren Lösungsmittel durch eine Wand abgeschlossen ist, die dem gelösten Stoffe keinen Durchgang gestattet, wohl aber dem Lösungsmittel. Denn das Lösungsmittel spielt dem gelösten Stoffe gegenüber in dieser Beziehung die Rolle des Raumes bei Gasen. Bei diesen kommt der Druck zustande, wenn das Gas gegen den übrigen Raum durch eine Wand abgeschlossen ist, die das Gas nicht durchlasse wohl aber den Raum, d. h. die beweglich ist.

Das wirklich solche Bedingungen geschaffen werden können, wie sie eben als notwendig für die Beachtung des Druckes gelöster Stoffe bezeichnet wurden, hatte bereits lange vorher Wilhelm Pfeffer gezeigt. Dieser hatte an Pflanzenzellen gelegentlich die Entstehung auffällig starker Drucke durch die Einwirkung von reinem Wasser beobachtet und hatte sich bemüht, die Natur dieser Drucke kennen zu lernen, d. h. sie unter Bedingungen zu beobachten, unter denen ihr Zustandekommen vom Willen des Experimentators abhängt. Auf Grundlage noch älterer Versuche von Moritz Traube über Niederschlagsmembranen (die gleichfalls zur Aufklärung biologischer Erscheinungen unternommen worden waren) gelang ihm die Herstellung künstlicher Zellen, welche die Werte solcher osmotischer Drucke zu messen gestatten, und er konnte die hier massgebenden Gesetze feststellen.

Wenn man nämlich die Lösung eines Stoffes, der mit einem anderen einen Niederschlag bilden kann, in eine Lösung dieses anderen Stoffes mit der Vorsicht bringt, dass sich beide Flüssigkeiten nicht vermischen, so entsteht der Niederschlag nur an der Berührungsfläche der beiden Flüssigkeiten und hüllt die innere in einen aus dem Niederschlage bestehenden Sack ein. Dieser lässt jene beiden Stoffe nicht mehr durch, denn jede Öffnung, durch welche einer von ihnen durchtreten wollte, wird alsbald von dem dort entstehenden Niederschlage verstopft. Je nach der Natur des Niederschlages entsteht nun entweder eine grobe Mauer oder eine zarte Haut. Im letzteren Falle gestattet die Niederschlagsmembran noch verhältnismässig leicht den Durchgang des Wassers, während nicht nur die membranbildenden Stoffe, sondern auch viele andere nicht durchgelassen werden.

Wie man sieht, erfüllt eine Niederschlagsmembran solcher Art die oben gestellte Bedingung. Sie ist nur, wenn sie nach der Weise von Traube dargestellt wird, äusserst zart und zerreisslich und eignet sich nicht zu Druckmessungen, eben weil sie keinen Druck aushält. Diese Schwierigkeit überwand Pfeffer, indem er die Membran im Innern einer porösen Tonzelle entstehen liess; das Tongerüst verhinderte dann das Zerreissen der Membran. So ermittelte er, dass der Druck, der sich in einer solchen Zelle ausbildet, wenn sie mit einer bestimmten Lösung ausgefüllt ist und in reines Wasser gesetzt wird, der Konzentration dieser Lösung proportional ist, und im übrigen sehr von der chemischen Beschaffenheit des gelösten Stoffes abhängt: Krystalloide gaben hohe, Kolloide geringe Drucke. Auch stieg der Druck mit der Temperatur.

Diese Tatsachen blieben in der Literatur der Pflanzenphysiologie verborgen. Zwar hatte Pfeffer in Bonn und Tübingen seine physikalischen, bezw. chemischen Kollegen für die Erscheinung zu interessieren versucht, aber ohne Erfolg. Der Physiker wollte nicht daran glauben, und als ihm der Versuch gezeigt wurde, reagierte er nur durch ein schweigendes Kopfschütteln. Warum der Chemiker die Sache nicht aufnahm, weiss ich nicht. Auf einem gemeinsamen Spaziergange mit seinem botanischen Kollegen erfuhr van 't Hoff zufällig von diesen merkwürdigen Erscheinungen und in seinem Geiste stellten sich die früher vergeblich gesuchten Zusammenhänge alsbald her.

Van 't Hoff zeigte nämlich an den Messungen Pfeffers, dass die Abhängigkeit des osmotischen Druckes von der Temperatur und dem Volumen formal genau mit der entsprechenden Abhängigkeit des gewöhnlichen Druckes bei Gasen übereinstimmt. Es besteht somit für gelöste Stoffe das Druckgesetz von Boyle und das Ausdehnungsgesetz von Gay-Lussac. Ferner aber wies er nach, dass der osmotische Druck, den z. B. eine bestimmte Zuckerlösung gegen reines Wasser ausübt, zahlenmässig übereinstimmt mit dem Druck, den die gleiche Zuckermenge ausüben würde, wenn sie sich bei gleicher Temperatur in dem gleichen Räume als Gas oder Dampf befinden würde. Es gilt mit anderen Worten für den gelösten Zucker das Gasgesetz pv = RT, und zwar in solcher Gestalt, dass für chemisch vergleichbare Mengen die Konstante R den gleichen Wert annimmt, wie für Gase. Dieser Schluss, der zunächst auf den nicht eben zahlreichen Messungen Pfeffers beruhte, wusste van 't Hoff in sehr weitem Umfange zu stützen, indem er nachwies, dass jede Operation, durch welche einer Lösung das Lösungsmittel in berechenbarer Weise entzogen wird, auch zur Bestimmung der Konstanten R verwertet werden kann. Hierher gehören insbesondere die Veränderungen des Gefrier- und Siedepunktes von Lösungen. Über diese hatte kurz vorher F. M. Raoult eine Anzahl von Gesetzen aus seinen vielfältigen Beobachtungen abgeleitet; van 't Hoff konnte zeigen, dass diese Gesetze (mit Ausnahme eines einzigen, das sich später als irrtümlich erwies) aus seinem Grundgesetz abgeleitet werden können. So waren alle die vielen Messungen Raoults ebensoviele Bestätigungen der Theorie van 't Hoffs geworden.

Wie man sieht, liegt hier eine vollkommen legitime Erweiterung des Molarbegriffes vor, da genau die gleiche hypothesenfreie Definition für die Molargrösse eines gelösten Stoffes wie für die eines gasförmigen Stoffes gegeben werden kann. Es ist wiederum die Stoffmenge, welche im gelösten Zustande einen bestimmten Wert der Konstanten R ergibt. In der Tat hat sich alsbald erwiesen, dass (mit gewissen Ausnahmen, die inzwischen alle ihre Aufklärung gefunden haben), die an Lösungen bestimmten Molargrössen, mit den an Dämpfen bestimmten übereinkommen, soweit letztere zugänglich sind. Gleichzeitig war aber die Möglichkeit, Molargewichte zu bestimmen, ungemein erweitert worden, da fast ein jeder Stoff in irgendeinem Lösungsmittel aufgelöst werden kann, während nur eine verhältnismässig kleine Anzahl von Stoffen unzersetzt verdampfbar ist. Die auf solche Weise gefundenen neuen Molargewichte erwiesen sich ganz ebenso brauchbar für die chemische Systematik, wie die aus den Dampfdichten abgeleiteten, und so fügten sich die auf dem Boden der Theorie des osmotischen Druckes gewonnenen Ergebnisse naturgemäss in die vorhandenen Beziehungen ein.

Auch auf den festen Zustand hat van 't Hoff seine Anschauungen auszudehnen gewusst, und grundsätzlich wird man solchen Stoffen, die in Gestalt einer verdünnten Lösung in einem festen Gebilde verteilt sind, auch eine bestimmte Molargrösse zuschreiben können. Allerdings ist hier die Schwierigkeit sehr gross, zu genauen Messungen zu gelangen und daher ist der Umfang der hier gewonnenen Ergebnisse noch recht klein. Soweit man es übersehen kann, sind indessen auch die Molargrössen in festen Lösungen von den in Gasen und Flüssigkeiten beobachteten nicht verschieden. Insbesondere hat die früher fast allgemein angenommene Ansicht (die sich allerdings auf keinerlei unzweideutige Tatsachen stützen konnte), dass im festen Zustande die Atome vielfach zusammengesetzte Molekeln bilden, keinerlei Bestätigung gefunden.

Alle diese Bestimmungen von Molargrössen beziehen sich auf solche Stoffzustände, bei denen verhältnismässig wenig wägbare Substanz mit einem grossen Raume verbunden ist. Bei Gasen ist dies unmittelbar ersichtlich. Bei Lösungen stimmen die Gesetze des osmotischen Druckes um so genauer, je verdünnter die Lösungen sind, je grösser mit anderen Worten das Volumen des gelösten Stoffes ist. Über die Molargrösse konzentrierter Lösungen oder gar des Lösungsmittels sagen alle diese Messungen nichts aus. Es gelten mit anderen Worten die Gasgesetze nur von einer gewissen Dichte ab für kleinere Dichten, nicht aber für grössere. Für solche nimmt der Einfluss des Binnendruckes (S. 96) so stark zu, namentlich da er mit dem Quadrate der Dichte wächst, dass von einer Geltung des Gasgesetzes bald nicht mehr die Rede sein kann.

Nun bietet sich hier derselbe Weg an, welcher bei den Gasen beschritten worden ist, um die strenge Geltung des Gay-Lussacschen Volumengesetzes zu prüfen (S. 96): man kann versuchen, auch bei konzentrierten Lösungen die Abweichungen in einen Zweck entsprechenden Ausdruck zu fassen und an den beobachteten Grössen die daraus folgenden Korrekturen anzubringen. Der Weg ist mehrfach beschritten worden, ohne indessen bisher zu einem erheblichen Erfolge zu führen. Das Problem ist in der Tat hier bedeutend verwickelter als bei Gasen, weil man es hier mit den spezifischen Eigenschaften zweier verschiedener Stoffe, des gelösten Stoffes und des Lösungsmittels zu tun hat, wodurch die Anzahl der Koeffizienten in der entsprechend verwickelteren Gleichung stark wächst. Auch gelangt man bei Lösungen bald in solche Konzentrationen, dass die zugehörigen osmotischen Drucke sich nach Tausenden von Atmosphären beziffern: ein Gebiet, das bei Gasen nur wenig zugänglich ist und daher nur selten betreten wird.

So glänzend und folgenreich diese Gedankenreihe sich für zahlreiche Gebiete der Chemie erwiesen hat, in einer Richtung hat sie nur Enttäuschungen gebracht. Das Verhalten der Gase war im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts durch eine Hypothese dargestellt worden, welche damals eine so allgemeine und rückhaltlose Annahme erfuhr, dass sie noch heute von vielen praktisch wie die Wirklichkeit angesehen und behandelt wird, wenn auch die Entwicklung der erkenntnistheoretischen Kritik meist schon dahin gewirkt hat, dass man sozusagen amtlich jene Hypothese für ein blosses Bild erklärt. Es ist dies die kinetische Hypothese, nach welcher die Gase als aus kleinen, elastischen Teilchen bestehend angesehen werden, welche in geschwinder geradliniger Bewegung durcheinander schiessen. Hierdurch konnte einerseits der Druck der Gase als die Folge der Stösse, welche sie auf diese Teilchen auf die Wände ausüben, erklärt werden, anderseits ergab sich eine gute Veranschaulichung der Diffusion. Es lag natürlich äusserst nahe, diese Teilchen mit den Molekeln zu identifizieren und in der Tat kann man unter sehr plausibeln Annahmen aus der kinetischen Hypothese zu dem Schlusse gelangen, dass in gleichen Volumen verschiedener Gase gleich viele solche Teilchen oder Molekeln vorhanden sind, Druck und Temperatur als gleich vorausgesetzt, wie dies die Molekularhypothese verlangt.

Auf die Bedeutung der kinetischen Hypothese für die Physik will ich hier nicht eingehen; für die Chemie hat sie ausser der Veranschaulichung des Molekularbegriffes nichts Erhebliches geleistet. Zwar findet man zahllose Anwendungen in der Gestalt, dass man von den Bewegungen der Molekeln wie von einer bekannten Tatsache spricht; aber irgendwelche gesetzmässigen Beziehungen zwischen messbaren Grössen haben sich hieraus nicht ergeben. Um jeden Schein von Ungerechtigkeit zu vermeiden, will ich noch erwähnen, daß das Gesetz der chemischen Massenwirkung durch kinetische Betrachtungen mit dem gleichen Ergebnis abgeleitet werden kann, wie man es aus der Beobachtung bezw. der Energetik erhält. Indessen ist dies Resultat bereits dadurch gegeben, daß die kinetische Hypothese eine Darstellung des Gasgesetzes gestattet, die der Erfahrung entspricht. Das Massenwirkungsgesetz kann als eine unmittelbare Folge dieses Umstandes angesehen werden.

Bei der grossen Beliebtheit, deren sich die kinetische Hypothese erfreut, erschien die Erweiterung der Gasgesetze durch van 't Hoff auch als eine willkommene Erweiterung des Anwendungsgebietes der kinetischen Hypothese, und man zögerte nicht, auch den osmotischen Druck als die Folge der Stösse des gelösten Stoffes gegen die halbdurchlässige Scheidewand anzusehen. Indessen hat jeder ernsthaftere Versuch, diesen hypothetischen Vorgang den Gesetzen der Mechanik zu unterwerfen, auf unlösbare Widersprüche geführt, so dass sich der Entdecker der osmotischen Gesetze zu der Erklärung veranlasst sah, er kümmere sich nicht darum, wie der osmotische Druck im Sinne der kinetischen Hypothese zustande kommt, sondern nur darum, wie gross er ist, und welchen Gesetzen er folgt. –

Erst in neuerer Zeit konnte man einiges auch von Molekulargewichten einheitlicher flüssiger Stoffe hören und es ist daher schliesslich von Interesse, sich klar zu machen, um welche Dinge es sich hier handelt. So ist z. B. durch Eötvös und Ramsay ein Verfahren entwickelt worden, mittelst Messung der Oberflächenspannungen reiner Flüssigkeiten deren Molekulargewichte zu bestimmen. Ebenso liessen sich Messungen über Verdampfungswärmen und die van der Waalsschen Konstanten (S. 96) in gleicher Weise verwerten. Was bedeuten diese Methoden im Sinne unserer hypothesenfreien Betrachtungsweise?

Die Antwort ergibt sich auf Grundlage der früher (S. 84) angestellter Betrachtungen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass eine ganze Anzahl verschiedenartiger Eigenschaften eine unmittelbare Beziehung zu den Verbindungsgewichten zeigt, dergestalt dass um gleiche Werte dieser Eigenschaft zu ergeben, solche Mengen verschiedener Stoffe betrachtet werden müssen, welche chemisch vergleichbar sind. Man gelangt auf solche Weise also entweder zu den Verbindungsgewichten oder zu rationalen Vielfachen, bezw. Bruchteilen derselben. Nun erweisen sich jene Methoden der sogenannten Molekulargewichtsbestimmung an Flüssigkeiten bei genauerer Prüfung als auf der Bestimmung solcher Eigenschaften beruhend; die Grössen, die man erhält, sind somit gar keine Molekulargewichte im strengen Sinne, da sie nicht auf dem Gasgesetze beruhen. Sie sind andere stöchiometrische Grössen, welche nur in jedem Falle einfache Verhältnisse zu den Verbindungsgewichten aufweisen. Da man bereitwillig ist, bei reinen Flüssigkeiten Polymerisation nach Bedarf anzunehmen, so kann man leicht jene Zahlen als Molekulargewichte auffassen. Man stellt eben die erforderliche Beziehung durch eine passende Annahme her, ganz ebenso, wie man zwischen Gasdichte und Verbindungsgewicht die erforderliche Beziehung willkürlich hergestellt hat.

Um dies anschaulich zu machen, betrachten wir die Molekulargewichtsbestimmung auf Grund der Oberflächenspannung. Das erfahrungsmässige Gesetz besagt folgendes: Stellt man aus verschiedenen Flüssigkeiten Kugeln her, so erfordert die Bildung der Oberfläche an ihnen eine bestimmte Arbeit. Macht man die Kugeln so gross, dass bei vergleichbaren Temperaturen Vergleichbare Temperaturen sind hier nicht wie bei Gasen gleiche Temperaturen, sondern solche, die gleich weit von den bezüglichen kritischen Temperaturen entfernt sind. Denn bei der kritischen Temperatur wird die Oberflächenspannung der Flüssigkeit (ihrem Dampfe gegenüber) gleich Null, gerade wie der Druck eines Gases beim absoluten Nullpunkte gleich Null wird, und für die Oberflächenenergie ist daher die kritische Temperatur ebenso ein natürlicher Nullpunkt, wie es der absolute Nullpunkt für die Volumenergie der Gase ist. die Arbeiten zur Bildung der entsprechenden Oberflächen gleich werden, so stehen die Gewichte der verschiedenen Kugeln im Verhältnis der Verbindungsgewichte, bezw. einfacher Multipeln derselben.

Man erkennt leicht die grosse Analogie dieses Gesetzes mit dem Gesetz von Gay-Lussac, denn dieses lässt sich gleichfalls in der Form aussprechen: lässt man bei vergleichbaren Temperaturen so grosse Mengen der verschiedenen Gase entstehen, dass die entsprechenden Volumenarbeiten gleich sind, so stehen die Mengen dieser Gase im Verhältnis der Verbindungsgewichte bezw. einfacher Multipeln derselben.

Die Analogie ist aber nicht Identität, denn es handelt sich in beiden Fällen um wesentlich verschiedene Eigenschaften, die das eine Mal sich auf Volumenergie, das andere Mal auf Oberflächenenergie beziehen.

Auch die mit der Verdampfungswärme in Verbindung stehenden Methoden zur Ermittlung sogenannter Molekulargewichte an Flüssigkeiten führen auf ganz ähnliche Betrachtungen bezüglich der Entropieänderung bei der Änderung der Formart.

Alle diese Beziehungen stehen somit vermöge ihrer gemeinsamen Beziehung zu den Verbindungsgewichten in regelmässigem Zusammenhang miteinander, aber sie definieren ebensowenig unmittelbar gleichwertige Grössen, wie dies die Atomgewichte, die Molargewichte und die elektrochemischen Äquivalente tun. Allerdings bestehen Zusammenhänge, welche unmittelbare Beziehungen zwischen den Oberflächenenergien und den Verdampfungswärmen herstellen, und insofern sind die nach diesen beiden Methoden ermittelten stöchiometrischen Grössen noch engere Verhältnisse zu erwarten. Aber vom Gasgesetz bleiben diese Werte immerhin so weit getrennt, dass eine durchgehende Übereinstimmung nicht vorausgesetzt werden kann und der Ausdruck »Molekulargewicht« für die auf solchem Wege gefundenen Grössen nur die Bedeutung einer Vermutung hat. –

Überblicken wir das Gesamtergebnis der angestellten Betrachtungen, so finden wir, dass es jedenfalls möglich ist, die vielen Gesetzmässigkeiten, welche sich an Gasen, gelösten Stoffen und reinen Substanzen ergeben haben, in hypothesenfreier und einfacher Gestalt auszudrücken. Insbesondere können wir sagen, dass der sachliche Inhalt des Molekularbegriffs bei Gasen, Dämpfen und gelösten Stoffen erschöpfend durch den Satz gekennzeichnet wird, dass solche Mengen, für welche die Konstante R in der Gasgleichung pv=RT denselben Wert hat, sich als chemisch vergleichbar erweisen und dass sie sich insbesondere als vorwiegend zweckmässig für die Systematik der organischen Verbindungen bewährt haben. Die Konstante R, welche sich insofern als eine sehr wichtige Grösse herausstellt, lässt sich am besten als die Gasinvariante bezeichnen. Es ist schon bei früherer Gelegenheit auf die grosse Wichtigkeit hingewiesen worden, welche der Begriff der Invarianten (dessen Bedeutung in der Mathematik längst offenbar geworden ist) auch für die physischen Wissenschaften, insbesondere auch für die Chemie hat. Hier finden wir einen neuen Fall vor, der gleichzeitig eine bequeme Veranschaulichung des physischen Invariantenbegriffes darstellt.

Die Gasgleichung pv=RT oder R=pv/T besagt nämlich, dass welche Zustandsänderungen wir auch bezüglich Druck, Volumen und Temperatur mit einer gegebenen Gasmenge vornehmen mögen, wir auf keine Weise den Wert der Grösse R ändern können, denn stets ändert sich bei willkürlicher Wahl zweier dieser Grössen die dritte so, dass R unverändert bleibt. Das Gesetz von Gay-Lussac und der daraus abgeleitete Molekularbegriff besagt nun weiter, dass sogar bei chemischen Änderungen die Gasinvariante R entweder unverändert bleibt, oder sprungweise ein einfaches Multiplum ihres früheren Wertes wird. Ich muss gestehen, dass die Aussicht auf eine verallgemeinerte Auffassung der Naturgesetze, die sich durch solche Betrachtungen öffnet, mir an Wert der Molekularhypothese nicht nachzustehen scheint.


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