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Zweite Vorlesung.
Verbindungsgewichte und Atome

Das Gesetz der konstanten Proportionen – Berthollet – Das Verwandtschaftsproblem – Proust – Stas – Die chemischen Äquivalente; J. B. Richter – Die Erhaltung der Neutralität und ihre Folgen – Verbindungsgewichte – Die letzte Hand – Schicksale des Richterschen Gesetzes – Daltons Eingreifen – Die Atomgewichte – Wollaston, Berzelius – Allgemeine Ableitung der Verbindungsgewichte; F. Wald – Voraussetzung – Beweis – Grundsätzliche Betrachtungen – Multiple Proportionen – Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Verbindungsgewichte, Richter – Döbereiner, Pettenkofer, L. Meyer und D. Mendelejew – Das periodische Gesetz – Ausblicke


Die von Lavoisier eingeführte quantitative Betrachtungsweise der chemischen Vorgänge hatte sehr bald nach ihrer ersten Entwicklung eine ziemlich scharfe Probe zu bestehen, aus der sie siegreich hervorging. Es handelte sich um die Frage nach der Beständigkeit in der Zusammensetzung der chemischen Verbindungen in bezug auf ihre Elemente.

Zwar kann man, wenn man will, diese Frage von vornherein aus dem Begriff der chemischen Verbindung als eines bestimmten Stoffes von bestimmten Eigenschaften in solchem Sinne beantworten, dass deshalb auch die Zusammensetzung notwendig bestimmt sein muss. Denn im allgemeinen sind alle Eigenschaften Funktionen der Zusammensetzung und ändern sich mit dieser; es gibt in der Tat nicht zwei Stoffe von verschiedener Zusammensetzung, die auch nur in bezug auf einige wenige Eigenschaften übereinstimmten. Eine Übereinstimmung in bezug auf eine einzige Eigenschaft kann man allerdings erzwingen; wenn man z. B. zwei Stoffe von naheliegender Dichte auswählt und den dichteren soweit erwärmt, bis er gerade ebenso dicht geworden ist wie der andere, so kann man eine solche Aufgabe mit beliebiger Annäherung lösen. Aber dann besteht diese Gleichheit der Dichte bei verschiedenen Temperaturen. Ebenso kann man Gleichheit bei verschiedenen Drucken herstellen. Gleichheit unter gleichen äusseren Bedingungen kann man, aber nicht beliebig herstellen, und insofern sind auch die einzelnen Eigenschaften aller Stoffe voneinander verschieden.

Findet man umgekehrt dagegen zwei Körper mit übereinstimmenden Eigenschaften, die somit im chemischen Sinne als gleich anzusehen sind, so kann auch ihre Zusammensetzung nicht verschieden sein. Denn wäre sie verschieden, so hätten wir den eben ausgeschlossenen Fall, dass ihre Eigenschaften von ihrer Zusammensetzung nicht abhängig wären, dass mit anderen Worten die Zusammensetzung sich ändern kann, ohne dass sich die Eigenschaften ändern.

Dass vor einem Jahrhundert dieser naheliegende Schluss nicht gezogen wurde, bezeugt, wie wenig damals das Gesetz von der Bestimmtheit der Eigenschaften der Stoffe in das Bewusstsein der Chemiker übergegangen war. Ja, einer der hervorragendsten Forscher jener Zeit, ein Mann, dessen Gedanken uns auf anderem Gebiete als führend begegnen werden, Claude Louis Berthollet (1748 bis 1822), hat ihn ausdrücklich in Abrede gestellt, und die Verschiedenheit der Zusammensetzung innerhalb gewisser Grenzen als eine allgemeine Eigenschaft der chemischen Verbindungen angesehen.

Berthollet ist zu dieser Ansicht teils auf experimentellem, teils auf theoretischem Wege gekommen; auch wird man ihm nicht Unrecht tun, wenn man annimmt, dass die theoretischen Gründe ihm bei weitem als die wichtigeren erschienen. Wir werden später auf seinen Anschauungen tiefer einzugehen haben; hier sei nur soviel von ihnen erwähnt, als für das Verständnis der vorliegenden Angelegenheit erforderlich ist.

Berthollets Hauptproblem war das der chemischen Verwandtschaft oder die Frage nach den Gesetzen, denen die chemischen Vorgänge unterliegen. Die Tatsache der »Verdrängung« eines Stoffes aus seiner Verbindung durch einen anderen war den Chemikern aus den präparativen Erfahrungen geläufig; um beispielsweise Salpetersäure herzustellen, mussten sie diese aus ihrer Verbindung, dem Salpeter, durch eine »stärkere« Säure, die Schwefelsäure, verdrängen. Somit wurden die verschiedenen Stoffe als mit verschiedenen Kräften ausgestattet angesehen, und wenn sie aufeinander wirkten, so behielten die stärksten die Oberhand und die schwächeren mussten weichen. Diese Anschauungen sind im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts von Torbern Bergmann, einem schwedischen Chemiker, in ein System gebracht worden, und waren allgemein angenommen.

Nun zeigte Berthollet im Gegensatze dazu, dass die Stoffe sich keineswegs diesem einfachen Schema gemäss verhalten. Ist A stärker als B, so müsste B aus seiner Verbindung stets durch A ausgetrieben werden, und anderseits konnte B dem A in seiner Verbindung nichts anhaben. Von zwei entgegengesetzten Reaktionen sollte also immer nur eine möglich sein, die andere war unmöglich. Berthollet wies aber nach, dass zahlreiche Reaktionen sich umkehren lassen. Kalk entzieht einer Lösung von Kaliumkarbonat die Kohlensäure und bildet Ätzkali neben Kalziumkarbonat; Kalk ist also der Kohlensäure gegenüber stärker als Kali. Wenn man aber Kalziumkarbonat mit einer sehr konzentrierten Lösung von Ätzkali kocht, so wird umgekehrt Ätzkalk und Kaliumkarbonat gebildet; es sind also beide entgegengesetzten Reaktionen möglich.

Durch diese und andere Tatsachen wurde daher Berthollet zu der Auffassung geführt, dass bei dem chemischen Wettbewerb alle beteiligten Stoffe ihr Verbindungsbestreben befriedigen können, aber alle nur teilweise; es stellt sich ein Gleichgewicht her, bei welchem jeder mögliche Stoff vorhanden ist, nur in verschiedenen Mengen. Ich will gleich erwähnen, dass dies in bestimmtem Sinne auch das Ergebnis der heutigen Wissenschaft ist, und wir werden später diese Anschauungen Berthollets eingehend kennen lernen.

Diese allgemeine Auffassung, dass kein chemischer Vorgang absolut zu Ende geht, bringt dann notwendig auch den Schluss mit sich, dass es reine Stoffe im strengen Sinne nicht gibt, da bei der Entstehung eines jeden Stoffes auch alle anderen möglichen mitentstehen müssen. Es wird von den Bedingungen der Bildung abhängen, in welchem Verhältnisse die anderen möglichen Stoffe zugegen sein werden, und daraus folgt notwendig dass alle unsere Präparate Gemenge von wechselnder Zusammensetzung sind.

Ich wiederhole nochmals, dass Berthollet vom modernen Standpunkte aus vollkommen recht hatte; er machte nur einen grossen Fehler bei der Anwendung seiner richtigen Gedanken. Er nahm an, dass diese Unbestimmtheit der Zusammensetzung stets so gross sei, dass sie auch durch die Analyse nachgewiesen werden kann. Hierzu hatte er kein Recht, er hatte vielmehr die Erfahrung zu befragen, innerhalb welcher Grenzen sich diese allgemeine Unbestimmtheit betätigt, und die Erfahrung hätte ihm gesagt, dass die präparative Kunst seiner Zeit längst über Mittel verfügte, die zusammengesetzten Stoffe so konstant herzustellen, dass die analytische Kunst der Zeit bei weitem nicht ausreichte, um etwaige Verschiedenheiten nachzuweisen.

Tatsächlich hat nun aber Berthollet sich dies nicht selbst gesagt, sondern er hat es sich von einem anderen Chemiker seiner Zeit sagen lassen müssen, von Joseph Louis Proust (1755 bis 1826). Dieser war im Gegensatz zu Berthollet von keiner theoretischen Vorstellung beeinflusst, sondern analysierte so gut er konnte natürliche und künstliche Stoffe von bestimmten Eigenschaften. Das Ergebnis war, dass er keinen Unterschied der Zusammensetzung finden konnte, der etwa mit der Herstellung oder dem Fundorte seiner Stoffe im Zusammenhange gestanden hätte; lag »derselbe« Stoff vor, der durch das Vorhandensein gleicher physikalischer Eigenschaften gekennzeichnet war, so ergab auch die Analyse die gleichen Elemente in gleichem Gewichtsverhältnis.

Was die von Berthollet angeführten Fälle, z. B. bei den Eisenoxyden von verschiedenen Eisengehalt anlangt, so zeigte Proust, dass es sich um willkürliche Gemenge aus zwei Stoffen von bestimmter Zusammensetzung handelt. Das allgemeine Ergebnis war also, dass die »reinen« Stoffe konstant zusammengesetzt sind, und dass die nicht konstant zusammengesetzten Präparate als Gemenge aus reinen Stoffen aufgefasst werden können. Hierdurch wurde das » Gesetz der konstanten Proportionen« festgestellt; gleichzeitig trat der Begriff des reinen Stoffes oder des Stoffes im chemischen Sinne in besonders scharfer Weise hervor, indem die Gemenge (zu denen auch die Lösungen gerechnet wurden) als willkürliche und zufällige Produkte von der chemischen Untersuchung ausgeschaltet wurden. Später wurden die heterogenen oder ungleichteiligen mechanischen Gemenge von den Lösungen, welche homogen oder gleichteilig sind, schärfer unterschieden, und man findet sie gelegentlich als Verbindungen nach wechselnden Verhältnissen den Verbindungen nach konstanten Verhältnissen oder den Stoffen im eigentlichen Sinne entgegengesetzt. Erst der neuesten Zeit ist es vorbehalten geblieben, der Chemie der Lösungen eine sorgfältigere Aufmerksamkeit zuzuwenden, und es hat sich alsbald erwiesen, dass auch aus diesem Boden der Wissenschaft reiche Schätze zugeführt werden können.

Noch einmal später hat ein anderes analytisches Genie, J. S. Stas (1813 bis 1878), wiederum auf Grund eines Zweifels, der an der genauen Gültigkeit dieses Gesetzes ausgesprochen wurde, mit allen Mitteln der neueren Messkunst eine erneute Prüfung vorgenommen und das Gesetz der konstanten Proportionen bestätigt gefunden. Er bediente sich für diese Untersuchung des Chlorammoniums als eines Stoffes, der bereits an der Grenze der beständigen Verbindungen steht und bestimmte nach der sehr genauen Methode der Silbertitrierung das Verhältnis zwischen der Menge des Chlorammoniums und der des zu seiner vollständigen Fällung erforderlichen Silbers. Obwohl die verschiedenen Proben des Chlorammoniums auf die denkbar verschiedenste Weise hergestellt und behandelt worden waren, konnten doch keine entsprechenden Verschiedenheiten jenes analytischen Verhältnisses gefunden werden und das Gesetz von der konstanten chemischen Zusammensetzung eines gegebenen Stoffes, unabhängig von seiner Vorgeschichte, bestätigte sich innerhalb der sehr engen Fehlergrenzen dieser ungemein sorgsam angestellten Messungen. –

Eine andere Reihe von Entdeckungen, welche der gesamten wissenschaftlichen Chemie die quantitativen Grundlagen gegeben haben, begann um eine Zeit, die der Hauptsache nach noch hinter der eben geschilderten zurückliegt. Im Gegensatze zu dem Gesetz von den konstanten Proportionen, dessen Entwicklung eine allmähliche war, so dass man seinen Ursprung nicht deutlich erkennen kann, handelt es sich hier um eine zeitlich und persönlich genau bestimmte Entdeckung. Sie hat allerdings insofern das Schicksal eines jeden erheblichen neuen Gedankens erfahren, dass sie nicht alsbald nach ihrer Veröffentlichung die allgemeine Aufmerksamkeit erregte und die Anerkennung fand, welche sie verdiente. Ja, man wird sogar sagen können, dass erst in neuester Zeit die ganze Bedeutung jenes neuen Gedankenganges klar geworden ist. Aber gegenwärtig besteht kein Zweifel mehr darüber, dass es sich um das Werk eines genialen und ursprünglichen Kopfes handelt, das in ungewöhnlichster Weise unabhängig war von vorangegangenen Anschauungen und Erkenntnissen.

Es handelt sich um die Entdeckung des Gesetzes der chemischen Äquivalentgewichte durch Jeremias Benjamin Richter (1762 bis 1807). Dieser jung gestorbene Forscher, der beiläufig von Beruf technischer Chemiker war und nie eine Lehrstelle bekleidet hat, war einer von den glücklichen Menschen, die ihre Bestimmung von vornherein klar erkennen. Er hatte sich von Anfang an die Anwendung der Mathematik auf die Chemie zur Lebensaufgabe gesetzt und hatte an dieser Arbeit trotz aller Enttäuschungen und Ablehnungen, die er erfahren musste, festgehalten. So ist es ihm in der Tat gelungen, einen Eckstein in dem zahlenmässigen Fundamente unserer Wissenschaft aufzudecken. Seine Denkweise war hierbei so selbständig und ungewohnt, dass sie bis auf den heutigen Tag noch nicht so verstanden und gewürdigt worden ist, wie sie es verdient.

Richter ging von einer Tatsache aus, die so altbekannt war, dass sie schon damals jedermann als »selbstverständlich« erschien und daher zu weiterem Nachdenken keine Veranlassung gab. Selbstverständlich nennt man aber gerade solche Dinge, über die man nicht nachgedacht hat, und wenn man sich über derartiges zu wundern versteht, so kann man sehr merkwürdige Entdeckungen machen. Richters Tatsache war, dass wenn man zwei neutrale Salzlösungen miteinander mischt, die entstehende Mischlösung gleichfalls neutral bleibt.

Was kann auch selbstverständlicher sein, als diese simple Wahrheit? Es wird sogar nicht schwierig sein, einen Philosophen zu finden, welcher beweist, dass weil sauer oder basisch beide gleich weit und symmetrisch von der Neutralität abliegen, nach dem Satze vom zureichenden Grunde die aus neutralen Flüssigkeiten entstehende Salzlösung durchaus nur neutral sein kann. Sehen wir aber zu, was Richter aus dieser Tatsache zu machen wusste! Wir bedienen uns hierbei der von Richter gemäss den Kenntnissen seiner Zeit benutzten Auffassung, nach welcher die Salze aus Säure und Base zusammengesetzt sind.

Wir versetzen beispielsweise eine Lösung von salpetersaurem Baryt mit einer von schwefelsaurem Kali, und zwar so lange, als noch ein Niederschlag von schwefelsaurem Baryt entsteht. In der Lösung bleibt dann salpetersaures Kali nach, und die Lösung ist neutral. Dies heisst aber nicht weniger, als dass die vom salpetersauren Baryt bei dessen Umsetzung nachgebliebene Salpetersäure genau so viel oder wenig betragen hat, als erforderlich war, um die bei der Umsetzung des schwefelsauren Kalis nachgebliebene Kali zu sättigen. Wäre dies Verhältnis nicht ganz genau eingehalten, so müsste die Lösung die Anwesenheit von überschüssigem Kali oder überschüssiger Salpetersäure durch ihre Reaktion gegen Lackmus verraten. Wenn also zwei neutrale Salze ihre Säuren und Basen gegenseitig austauschen, so finden sich diese stets in einem solchen Verhältnisse vor, dass die neu entstehenden Salze ohne Überschuss oder Mangel eines Bestandteils sich bilden können.

Man könnte einwenden, dass dies zunächst nur für solche Salze bewiesen ist, welche sich gegenseitig unter Bildung eines festen Niederschlages zersetzen. Aber im Falle dass alles gelöst bleibt, kann man das gleiche beweisen, nur etwas umständlicher. Mischen wir z. B. schwefelsaures Kali mit salpetersaurem Natron. Die Lösung bleibt neutral, aber dies kann ja daher rühren, dass die beiden Salze sich gegenseitig unverändert lassen und dann wäre nichts bewiesen. Nehmen wir nun aber die entgegengesetzten Salze, salpetersaures Kali und schwefelsaures Natron. Alle Messungen; die wir an dem Lösungsgemische anstellen, erweisen, dass es ganz genau die gleichen Eigenschaften hat, wie das erste Gemisch; es enthält also dieselben Salze wie jenes in gleichem Verhältnisse. Hatte also im ersten Falle gar keine gegenseitige Umsetzung stattgefunden, so ist im zweiten eine vollständige eingetreten; war im ersten Falle die Umsetzung teilweise, so ist sie es auch im zweiten Falle, nur im entgegengesetzten Sinne. In einer der beiden Lösungen mindestens, wahrscheinlich aber in beiden hat demnach eine Umsetzung stattgefunden; da beide aber neutral geblieben sind, so folgt wieder, dass die hierbei frei gewordenen Säuren und Basen genau in solchem Verhältnisse frei geworden sind, dass sie sich gegenseitig exakt absättigen.

Schon die Ausführlichkeit, mit welcher ich diese Schlüsse darstellen muss, zeigt, dass sie noch keinen regelmässigen und gewohnten Bestand im Denken des heutigen Chemikers bilden. Tatsächlich werden diese und ähnliche Betrachtungen heute noch fast allgemein durch entsprechende Betrachtungen der Atomhypothese ersetzt, auf welche wir alsbald einzugehen haben werden. Doch ist es eine wichtige Tatsache, dass die auf Erfahrungen ruhende und daher hypothesenfreie Grundlegung der Gesetze der chemischen Äquivalenz auch geschichtlich vorangegangen ist und dass ihre hypothetische Veranschaulichung erst etwa ein Vierteljahrhundert später entwickelt wurde.

Wenn man, wie es J. B. Richter getan hat, die eben angestellten Betrachtungen verallgemeinert, so kommt man zu folgenden Schlüssen. Bezeichnen wir eine Reihe von Säuren mit A', A'', A''', A'''' usw. und eine Reihe von Basen mit B', B'', B''', B'''' usw., so können wir durch Verbindung einer jeden Säure mit der entsprechenden Menge einer jeden Base so viel Salze bilden, als es binäre Kombinationen zwischen ihnen gibt. Wir gehen von einer bestimmten Menge des Salzes A' B' aus, die wir als Einheit annehmen. Dann gibt es eine bestimmte (andere Menge des Salzes A'' B'', die so beschaffen ist, dass die Säure A'' darin gerade ausreicht, um die Base B' des ersten Salzes zu sättigen. Nach dem eben dargelegten Neutralitätsgesetz ist alsdann auch die Base B'' in solcher Menge im zweiten Salze vorhanden, dass die die Säuremenge A' des ersten Salzes genau absättigt. Die vier Mengen A', A'', B' und B'' sind daher einander äquivalent oder gleichwertig, und zwar die beiden Basen insofern, als sie die gleiche Menge einer der beiden Säuren genau absättigen; die beiden Säuremengen zeigen dieselbe Äquivalenz für die Basen. Aber auch die Säuremenge A' kann man äquivalent den Basenmengen B' und B'' nennen, da sie genau ausreicht, um jede dieser beiden Mengen zu einem neutralen Salze abzusättigen; das gleiche gilt natürlich auch für die Säuremenge A''. Die vier Mengen A', A'', B' und B'' geben also mit anderen Worten die Mengen der Säuren und Basen an, die sich in allen möglichen Verbindungen zwischen ihnen absättigen oder ersetzen können, sie sind ihre Äquivalent- oder Verbindungsgewichte.

Offenbar kann man dieselben Betrachtungen auf ein drittes Salz A''' B''' ausdehnen und erhält so die Verbindungsgewichte A''' und B''' der neuen Säure und Base. In solcher Weise kann man beliebig fortfahren und das allgemeine Ergebnis ist: Ausgehend von einer willkürlich als Einheit angenommenen Menge einer Säure (oder Base) kann man Gewichtsmengen für alle anderen Säuren und Basen bestimmen, welche angeben, in welchen Verhältnissen sie sich absättigen. Dabei dienen dieselben Zahlen, um die Verhältnisse aller möglichen Salze in bezug auf die in ihnen enthaltene Säure- und Basismenge darzustellen. Nennt man diese Zahlen die Verbindungsgewichte, so kann man auch sagen: alle Säuren und Basen verbinden sich nur nach Verhältnis ihrer Verbindungsgewichte zu neutralen Salzen.

Ich muss gleich einschalten, dass Richter selbst noch nicht zu dieser allgemeinen Fassung seines Gesetzes gelangt war; er hatte es in folgender, etwas verwickelterer Gestalt ausgesprochen. Bestimmt man für die Gewichtseinheit einer Säure A' die Gewichtsmengen der verschiedenen Basen, die zu ihrer Neutralisation erforderlich sind, und macht man dieselben Bestimmungen für die Gewichtseinheit anderer Säuren A'', A''' A'''' usw., so sind die in diesen einzelnen Tabellen stehenden Mengen der verschiedenen Basen einander proportional, d. h. man erhält die Zahlen der zweiten Tabelle aus denen der ersten durch Multiplikation mit einem konstanten Faktor, und ebenso die jeder anderen Tabelle durch Multiplikation mit einem anderen entsprechenden Faktor. Jeder dieser Faktoren kann durch eine einzige Bestimmung der Verhältnisse zwischen Säure und Base festgestellt werden.

Wir sehen hier wieder einen der häufigen und merkwürdigen Fälle, dass der Entdecker einer neuen und grossen Wahrheit zwar den erheblichsten Schritt zur Aufklärung derselben tut, am Schlusse aber einen letzten glättenden Handgriff versäumt, durch welchen sein Werk erst völlig im Glanze seiner Einfachheit und Vollendung strahlen würde. Dieser Liebesdienst wurde Richter durch einen sonst nicht erheblich hervorgetretenen Physiker namens E. G. Fischer, Professor in Berlin, erwiesen. Bei Gelegenheit einer Übersetzung der berühmten Forschungen von Berthollet über die chemische Verwandtschaft erwähnte Fischer in einer Anmerkung die Entdeckung Richters und fügte hinzu, dass Richters viele Tabellen mit proportionalen Zahlen sich leicht in eine einzige zusammenfassen lassen, wenn man die in den verschiedenen Tabellen benutzten Grundmengen so wählt, dass die Umrechnungsfaktoren überall eins werden. Das ist aber nichts anderes, als was oben dargelegt wurde: anstatt die Basenmengen in jeder Tabelle auf eine andere Einheit, nämlich die Gewichtseinheit einer anderen Säure zu beziehen, bezieht man sie auf eine einzige, und hat dann nur für die anderen Säuren die äquivalenten Mengen einzuführen, um die einheitliche Tabelle der Verbindungsgeschichte zu erhalten.

Richters grosse Entdeckung blieb zunächst ganz ohne Folgen. Berthollet nahm die Bemerkung Fischers allerdings hernach in sein berühmtes Werk: Essai de statique chimique auf und hob ihre grosse Bedeutung hervor, zog aber nicht die entsprechenden Konsequenzen, vermutlich, weil sie sich im Widerspruche mit seinen eigenen theoretischen Anschauungen befanden. Erst viele Jahre später, am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts kam ein anderer, massgebender Forscher darüber und erkannte die ungemein grosse Bedeutung von Richters Betrachtungen. Dieser Mann war J. J. Berzelius (1779 bis 1848).

Berzelius hatte sich bereits seit Jahren um die Entwicklung der chemischen Analyse bemüht und die Zusammensetzung einer Reihe von wichtigen Salzen bestimmt. Auf Grund der Betrachtungen Richters sah er nun ein, dass die Zusammensetzung der verschiedenen Salze nicht unabhängig voneinander ist, sondern sich vorausberechnen lässt, wenn man die Verbindungsgewichte der vorhandenen Säuren und Basen aus den Analysen je eines ihrer Salze kennt. Er konnte also eine Analyse durch die andere kontrollieren und machte sich alsbald an die Berechnung. In den meisten Fällen fand er Übereinstimmung mit dem Gesetze von Richter, in einigen Fällen fand er Abweichungen; aber alsdann ergab eine genauere Untersuchung, dass er Fehler in seinen Analysen begangen hatte. Das Endergebnis war eine vollständige Bestätigung des Gesetzes von Richter.

Leider sollte Richter auch jetzt noch nicht zu seinem Rechte kommen. Berzelius hatte während derselben Zeit, wo er sich mit Richters Büchern beschäftigte, die Werke eines anderen Chemikers, C. F. Wenzel, auf seinem Schreibtische. Da ihm wie seinen Zeitgenossen beide Namen gleich unbekannt waren, so verwechselte er sie, und Wenzel genoss während fast eines halben Jahrhunderts den unverdienten Ruhm, Entdecker des Gesetzes der Äquivalentgewichte zu sein. Erst in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde dieses Versehen durch G. H. Hess berichtigt. Die ganze Anerkennung, welche Richter durch seine im höchsten Grade selbständige und fruchtbare Betrachtungsweise verdient, hat er selbst noch heute nicht im Bewusstsein der Chemiker gewonnen und es ist mir eine liebe Pflicht, auf die geistige Tat dieses grossen Mannes hinzuweisen, dessen Ruhm um so heller strahlen wird, je weiter die Zeit seines Lebens zurückliegt.

Die Ursache, welche Richters Werk so in den Hintergrund hat treten lassen, liegt in der gleichzeitigen Entwicklung der atomistischen Hypothese durch John Dalton (1766 bis 1844). Die Annahme, dass alle Stoffe aus kleinsten, auch im stärksten Mikroskop unsichtbaren Teilchen, den Atomen, bestehen, ist zwar bereits im Altertum gemacht und ist dann später oft wieder erneuert worden; Dalton aber ist der erste gewesen, der aus dieser Annahme bestimmte quantitative Schlüsse gezogen hat, die mit der Erfahrung verglichen und an ihr geprüft werden konnten. Dalton fragte sich nämlich zunächst, ob alle Atome eines bestimmten Stoffes, z. B. Schwefel, untereinander völlig gleich sein müssten, oder ob zwischen ihnen kleine Verschiedenheiten wie z. B. zwischen den Körnern des Sandes bestehen dürften. Auf Grund der Erfahrungstatsache, dass die Eigenschaften aller Proben von Schwefel, unabhängig von ihrer Herstellung und ihren früheren Schicksalen, stets genau die gleichen sind, schloss er, dass auch die Atome eines gegebenen Stoffes alle ganz gleich sein müssten. Sonst müsste es möglich sein, etwa durch Destillation oder dergl. Schwefelarten von etwas verschiedenen Eigenschaften herzustellen, indem die eine Probe etwa die grösseren, die andere die kleineren Atome enthielte, ebenso wie man Sand in einen gröberen und einen feineren Anteil sondern kann.

Nimmt man zweitens an, dass nur die Atome der Elemente einfach sind, dass die Atome der Verbindungen dagegen aus den Atomen der Elemente zusammengesetzt sind, aus denen sie hergestellt werden können, so muss man schliessen, dass alle chemischen Verbindungen nur nach bestimmten Gewichtsverhältnissen entstehen können, die durch die Verhältnisse der Gewichte ihrer zusammensetzenden Atome gegeben sind. Denn da die Atome jedes Elements unter sich ganz gleich sind, so kommt ihnen auch ein ganz bestimmtes, gleiches Gewicht zu, und nur nach Massgabe dieser Gewichte, der Atomgewichte, sind chemische Verbindungen überhaupt möglich. Zwar kann man bei der Kleinheit der Atome ihr Gewicht nicht einzeln bestimmen. Die Analyse ergibt auch nicht unmittelbar die Gewichte der einzelnen Atome, aus denen die analysierte Verbindung besteht, wohl aber das Verhältnis des Gewichts aller vorhandenen Atome des einen Elements zu dem aller Atome des anderen. Kommt nun in der Verbindung beispielsweise auf jedes Atom des einen Elements auch ein Atom des anderen, so ist das fragliche Verhältnis auch gleich dem Verhältnis der Gewichte der einzelnen Atome. So kann man zwar nicht das absolute, wohl aber das relative Gewicht der Atome bestimmen.

Diese Überlegungen sind dem heutigen Chemiker trotz ihres hypothetischen Charakters sehr viel geläufiger, als die von Richter. Wie man sieht, führen sie auch weiter, denn während Richters Gedanke zunächst nur die Zusammensetzung der neutralen Salze deckt (er hat ihn später auch auf die Vertretung der Metalle durcheinander in ihren Verbindungen ausgedehnt), so ist durch Daltons Betrachtungen ein Schema für alle chemischen Verbindungen, welcher Art sie auch seien, gegeben. Alle chemischen Verbindungen müssen nämlich so zusammengesetzt sein, dass die Gewichtsmengen ihrer Elemente durch ganz bestimmte Zahlen, die jedem Element eigen sind, nämlich durch die relativen Atomgewichte dieser Elemente, darstellbar sind. Es ist, wie man sieht, der Gedanke von Richter, nur ausgedehnt auf alle möglichen chemischen Verbindungen.

Dalton hat sich nicht allzuviel mit der Frage beschäftigt, ob diese weitgehenden Schlüsse, die man aus seinen Betrachtungen ziehen musste, auch wirklich mit der Erfahrung übereinstimmen. Er war aus allgemeinen Gründen zu sehr von der Richtigkeit seiner Hypothese überzeugt, als dass er eine solche Prüfung für besonders nötig oder wichtig gehalten hätte. Nur einen besonderen Fall hob er hervor und prüfte ihn auch. Wenn nämlich zwei Elemente, etwa Kohlenstoff und Wasserstoff, in mehreren Verhältnissen sich verbinden können, so müssen die Mengen des einen, bezogen auf eine konstante Menge des anderen, in einfachem rationalem Verhältnisse, wie 1:2, 1:3, 2:3 usw. stehen. Denn da immer eine ganze Zahl von Atomen des einen Elements nur mit einer ganzen Zahl von Atomen des anderen sich vereinigen kann, so müssen die relativen Gewichte auch entsprechende ganzzahlige Verhältnisse aufweisen. Nun kannte man damals zwei Verbindungen von Kohlenstoff und Wasserstoff, das Sumpfgas und das ölbildende Gas. Dalton analysierte beide Gase und fand in der Tat, dass das zweite, bezogen auf die gleiche Wasserstoffmenge, doppelt soviel Kohlenstoff enthielt als das erste.

Auch dieses »Gesetz der multipeln Proportionen«, wie es später genannt worden ist, beruhte schon damals nicht ausschliesslich auf den durch die Atomhypothese geleiteten Untersuchungen Daltons. Auf rein experimentellem Wege war sein Bestehen in einigen besonderen Fällen aufgefunden worden, und zwar waren es charakteristischerweise wieder die Salze, welche diese Beispiele lieferten.

Man konnte nämlich bereits in bezug auf Richters Gesetz für Neutralsalze fragen, wie es sich denn mit den sauren und basischen Salzen verhält. Für diese fand nun der englische Physiker und Chemiker William Hyde Wollaston (1766 bis 1828) folgendes einfache Gesetz: die Säurenmenge, die in sauren Salzen mit einer gegebenen Menge Base verbunden ist, beträgt genau das zwei-, drei-, vier- oder mehrfache derjenigen Säurenmenge, welche im neutralen Salze auf dieselbe Menge Base vorhanden ist. Wie man sieht, ist dies das Gesetz der multipeln Proportionen, angewendet auf Salze.

Es ist der Mühe wert, einige von den einfachen und anschaulichen Experimenten kennen zu lernen, durch welche Wollaston seine Entdeckung belegte. Man wägt zwei gleiche Mengen Natriumbikarbonat ab und verwandelt die eine von ihnen durch Erhitzen in das neutrale Salz. Dann werden beide Proben in je ein Stückchen Papier gewickelt und über Quecksilber in ein Gasmessrohr aufsteigen gelassen, das ein wenig starke Salzsäure enthält. Die Kohlensäure wird ausgetrieben und beträgt bei der nicht erhitzt gewesenen Probe genau doppelt so viel, wie bei der erhitzten. Oder man nimmt zwei gleiche Mengen Kleesalz (saures Kaliumoxalat) und verwandelt die eine durch Erhitzen in Kaliumkarbonat. Bringt man nun beide Proben mit Wasser zusammen, so enthält die nicht erhitzte genau so viel überschüssige Säure, um mit dem Kaliumkarbonat neutrales Oxalat zu bilden. Nimmt man das zweifach saure Salz, so reicht ein Drittel des unzersetzten Salzes zur Neutralisation.

Wollaston bemerkt bei der Veröffentlichung dieser Versuche, dass ihm noch eine Anzahl weiterer Fälle bekannt seien, doch habe er die Verfolgung des Gegenstandes aufgegeben, weil er durch Daltons Theorie umfassender behandelt würde.

Schliesslich war es wieder Berzelius, welcher sich der Arbeit einer genauen Prüfung der Daltonschen Hypothese, soweit sie sich auf die Gewichtsverhältnisse der chemischen Verbindungen anwenden lässt, unterzog. Das Ergebnis war das denkbar günstigste: alle Analysen konnten durch bestimmte, den Elementen eigene »Atomgewichte« ausgedrückt werden, und Berzelius, der anfangs der sehr weitgehenden Hypothese Daltons höchst kritisch gegenübergestanden hatte, wurde später ihr wärmster Anhänger und erfolgreichster Verbreiter.

Durch diesen massgebenden Einfluss hat sich denn die atomistische Auffassung der chemischen Verbindungen ganz allgemein verbreitet. Die von Berzelius erfundene einfache Darstellung der Zusammensetzung durch chemische Formeln, in welchen die Atome der Elemente durch die Anfangsbuchstaben von deren lateinischen Namen bezeichnet wird, unter Beifügung von Faktoren, welche die Anzahl der Atome in der Verbindung angeben, war ein weiteres unwiderstehliches Mittel für die Annahme der atomistischen Auffassung. Die ganze Entwicklung der Chemie hat seitdem im Sinne der Atomhypothese stattgefunden und ihre Anschauungen sind heute jedem Chemiker so geläufig, dass es meist sehr schwer hält, die experimentellen Tatsachen, zu deren Ausdruck die Hypothese dient, von den bildlichen Hinzufügungen zu scheiden, welche durch die Annahme kleinster, nicht weiter teilbarer Körperchen bedingt sind. Auch muss zugestanden werden, dass sich die Atomhypothese den Fortschritten der Wissenschaft stufenweise recht gut hat anpassen lassen, so dass ausser dem Gesetze der Verbindungsgewichte noch mehrere andere erfahrungsmässige Gesetze in ihr eine brauchbare Veranschaulichung habe finden können. Allerdings kommt nach der anderen Seite in Frage, dass es fast keinen Chemiker gibt, der nicht im Sinne dieser Hypothese denkt und experimentiert, so dass die Neigung besteht, etwaige Schwierigkeiten und Widersprüche nicht nur nicht aufzudecken, sondern soweit tunlich in den Hintergrund zu rücken.

Fragen wir uns, ob es möglich ist, ähnlich wie es Richter für Salze getan hat, das allgemeine Gesetz der Verbindungsgewichte auf irgendwelche allgemeinere experimentelle Tatsache zu gründen, so darf diese Frage mit Ja beantwortet werden. Es ist hierfür zunächst zu beachten, dass Richters Gedankengang es ermöglicht hat, aus einer qualitativen Tatsache (der Fortdauer der neutralen Reaktion) eine quantitative Schlussfolgerung (die Existenz der Äquivalentgewichte) zu ziehen. Hierdurch ist aber nur die Notwendigkeit bewiesen, dass solche Zahlen existieren; ein Mittel, sie zu bestimmen, ist hierdurch nicht gegeben. Dafür muss die chemische Analyse mit ihren gewöhnlichen Mitteln eintreten.

In Anwendung und Entwicklung einer zuerst von F. Wald im letzten Jahrzehnt angeregten Gedankenreihe hat sich nun in der Tat eine derartige qualitative Tatsache von grosser Allgemeinheit aufweisen lassen, aus welcher das Gesetz der Verbindungsgewichte mit derselben Notwendigkeit folgt, wie das Gesetz der Äquivalentgewichte aus der Fortdauer der Neutralität.

Diese Tatsache ist bereits von Berzelius in ihrer allgemeinen Bedeutung hervorgehoben, von ihm aber nur im Sinne der Atomhypothese gedeutet worden. Sie besteht in dem Satze, dass wenn zusammen gesetzte Stoffe in höhere Verbindungen eintreten, sie dies als Ganzes tun, ebenso wie die Elemente.

Um durch ein Beispiel die Sache anschaulicher zu machen, betrachten wir einen der ersten, von Berzelius untersuchten Fälle. Er nahm Bleisulfid und oxydierte dieses mittelst Salpetersäure zu Bleisulfat. In der Flüssigkeit, welche über dem unlöslichen Niederschlage von Bleisulfat stand, suchte er nun nach einem etwaigen Überschusse von Blei oder Schwefel in Gestalt von Bleinitrat oder Schwefelsäure. Er fand keinen solchen Überschuss, zum Zeichen, dass Blei und Schwefel genau in demselben Verhältnis mit Sauerstoff zum Sulfat zusammentreten, wie sie das Sulfid bilden.

Berzelius wies die Allgemeinheit dieses Verhaltens noch in einer Anzahl anderer Fälle nach, die er so wählte, dass die zurzeit als die empfindlichsten bekannten Reaktionen verwendet werden konnten. Er fand immer das gleiche Ergebnis, dass die Elemente zur Bildung der einfacheren Verbindung sich genau im gleichen Verhältnis vereinigen, wie zur Bildung der komplizierteren. Wir nennen dieses fundamentale Gesetz das Gesetz der integralen Reaktionen.

Etwa ein halbes Jahrhundert später wurde die gleiche Frage experimentell von J. S. Stas bearbeitet, der gleichfalls ihre Wichtigkeit in bezug auf das Gesetz der Verbindungsgewichte gefühlt hatte, ohne indessen die gleich anzugebende Schlussfolgerung zu ziehen. Er arbeitete mit dem Chlorat, Bromat und Jodat des Silbers, indem er umgekehrt wie Berzelius von der verwickelteren Verbindung ausging und sie in eine einfachere, die das entsprechende Silberhalogenid verwandelte. Auch in diesem Falle, wo die analytischen Hilfsmittel noch weit feiner und empfindlicher sind, kam er zu dem gleichen Ergebnis: bei der Verwandlung der einen Verbindung in die andere tritt nicht der geringste Überschuss eines der gemeinsamen Elemente auf oder diese letzteren stehen in den ternären Verbindungen AgClO3, AgBrO3 und AgJO3 in genau dem gleichen Verhältnisse, wie in den binären AgCl, AgBr und AgJ.

Diese Ergebnisse der ausdrücklich auf die Frage gerichteten Versuche werden nun in ausgedehntester Weise durch die alltäglichen Analysen bestätigt. Eine grosse Anzahl analytischer Berechnungen beruht auf der Annahme des gleichen Grundsatzes und die durchgehende Übereinstimmung solcher Rechnungen mit der Erfahrung bezeugt, dass hierdurch kein Fehler eingeführt wird, der die analytischen Fehler überschreitet. Durch den Prozess der unvollständigen Induktion, durch welche wir alle unsere wissenschaftlichen Gesetze gewinnen (denn es ist in keinem Falle möglich, alle Erfahrungen über eine Frage zu machen, welche zur Aufstellung einer vollständigen Induktion erforderlich wären), verallgemeinern wir diese Beobachtungen und nehmen allgemein an, dass in allen Fällen die zusammengesetzten Stoffe als Ganzes in anderweite chemische Vorgänge eintreten.

Wird dies nun zugegeben, so ist es leicht, das Gesetz der Verbindungsgewichte als notwendige Folge dieser Voraussetzung abzuleiten. Nehmen wir drei Ausgangspunkte oder Elemente A, B und C an, und setzen wir der Einfachheit wegen zunächst voraus, dass sich diese nur in einem Verhältnisse miteinander zu binären, bezw. ternären Verbindungen vereinigen können, so können wir zunächst von der Gewichtseinheit von A ausgehen und bestimmen, wieviel B sich damit zu einer Verbindung AB vereinigt. Diese Menge von B nennen wir dessen Verbindungsgewicht in bezug auf A; ebenso heisse die Summe der Gewichtseinheit von A und des Verbindungsgewichtes von B, das sich in der Verbindung AB findet, das Verbindungsgewicht von AB in bezug auf A. Nun verbinden wir C mit einem Verbindungsgewicht von AB zu der ternären Verbindung ABC; die erforderliche Menge von C heisse wieder das Verbindungsgewicht von C in bezug auf AB.

Verfahren wir in ähnlicher Weise, indem wir zuerst C mit A verbinden und dessen Verbindungsgewicht in bezug auf A feststellen, und dann AC mit B zu der ternären Verbindung ABC vereinigen, so erhalten wir weiter ein Verbindungsgewicht von B in bezug auf AC. Die Behauptung geht nun dahin, dass das Verbindungsgewicht von C in bezug auf A gleich ist dem Verbindungsgewicht von C in bezug auf AB, und dass ebenso die auf A und AC bezogenen Verbindungsgewichte von B einander gleich sind.

Der Beweis beruht darauf, dass die Verbindung ABC mit der Verbindung ACB identisch gesetzt werden muss. Denn die Natur eines Stoffes, ob einfach oder zusammengesetzt, ist nicht von seiner Entstehungsgeschichte abhängig, sondern nur von seinen Elementen. Die Tatsachen der Allotropie und Isomerie, welche dieser Voraussetzung scheinbar widersprechen, werden in späteren Vorlesungen ihre Erörterung und Erledigung finden. Wenn man also zuerst A mit B verbindet und dann AB mit C, so tritt die Verbindung AB als Ganzes mit C zu ABC zusammen, es ist also in ABC das gleiche Verhältnis zwischen A und B, wie in AB. Ebenso ist in AC das gleiche Verhältnis zwischen beiden, wie in ACB oder dem damit identischen ABC. Bestimmt man also in der ternären Verbindung ABC oder ACB die Mengen von B und C, die neben der Einheit von A daraus erhalten werden können, so drücken diese Zahlen nicht nur die Verhältnisse der Elemente in der ternären Verbindung aus, sondern auch die in den drei möglichen binären Verbindungen AB, AC und BC. Denn jede dieser binären Verbindungen tritt mit dem dritten Element als Ganzes zu der ternären Verbindung ABC zusammen, keine von ihnen kann also die Elemente in einem anderen Verhältnisse enthalten, als sie in der ternären Verbindung vorkommen.

Wie man sieht, haben diese Betrachtungen eine grosse Ähnlichkeit mit denen von Richter, die ihn zu dem Gesetze der Äquivalentgewichte zwischen Säuren und Basen führten; sie beruhen wie jene auf einer qualitativ festzustellenden Tatsache und führen zu der Erkenntnis des Vorhandenseins quantitativer Gesetze, ohne indessen die entsprechenden Zahlen selbst aus den gleichen Erfahrungen zu liefern. Hier wie dort sind weiterhin quantitative Analysen erforderlich, aber hier wie dort genügt eine einzige Analyse, um die massgebende Zahl für alle möglichen Verbindungen des fraglichen Stoffes festzustellen.

Ferner enthalten beide Betrachtungen einen allgemeinen Punkt von grundsätzlicher Bedeutung, auf den noch besonders hingewiesen werden soll. Richters Überlegung beruht auf der Voraussetzung, dass eine Lösung, die aus den Salzen AB und A'B' in äquivalenten Verhältnissen hergestellt worden ist, völlig übereinstimmt mit einer Lösung, die aus entsprechenden Mengen der Salze AB' und A'B hergestellt worden ist, dass also die Entstehungsgeschichte dieser Lösung keinen Einfluss auf ihre Beschaffenheit hat. Ganz die gleiche Voraussetzung wird für die Ableitung der Verbindungsgewichte bezüglich der ternären Verbindung gemacht. Beide Annahmen enthalten die allgemeinere Voraussetzung, dass die betrachteten Zustände solche des chemischen Gleichgewichts sind, dass mit anderen Worten die Gebilde sich nicht ändern, wie lange man sie auch (natürlich unter gleichen Umständen) beobachten mag. Indem nun gezeigt wird, dass man zu den gleichen Gebilden auf verschiedenen Wegen gelangen kann, ergeben sich diese verschiedenen möglichen Wege als gewissen Beziehungen unterworfen (da sonst die Gleichheit der Gebilde unabhängig vom Wege nicht möglich wäre) und der allgemeine Ausdruck dieser Beziehungen ist die Existenz von Äquivalent-, bezw. Verbindungsgewichten. Richters Grundphänomen, die Erhaltung der Neutralität, bezieht sich naturgemäss nur auf Salze, daher ist sein Schluss auf diese beschränkt. Das den neueren Betrachtungen als Ausgang dienende Grundphänomen, dass nämlich auch zusammengesetzte Stoffe als Ganzes in chemische Reaktionen treten, bezieht sich auf chemische Vorgänge allerart und die daraus gezogenen Schlüsse sind daher allgemein.

Diese Schlussweise, dass man zuerst nachweist, dass ein gewisses Ergebnis vom Wege, oder allgemeiner von bestimmten Bedingungen nicht abhängig ist, und dann diese Bedingungen beliebig wählt, ist von der allergrössten Bedeutung in den Naturwissenschaften. So ergibt die Feststellung, dass die passend gebildete Summe der Energien durch keinerlei Vorgänge in einem abgeschlossenen Gebilde geändert wird, dass man diese Summe für irgendwelche zwei definierten Zustände des Gebildes gleichsetzen kann und dadurch zu einer Gleichung zwischen den Konstanten dieser Zustände gelangt, die ausserordentlich grosse Bedeutung und Anwendbarkeit des Gesetzes von der Erhaltung der Energie. Ebenso gibt es in der freien Energie und in einigen anderen Funktionen ähnlich sich verhaltende Grössen, und diese führen in gleicher Weise durch ihre Anwendung auf verschiedene aber gleichwertige Wege zu den mannigfaltigen Konsequenzen des zweiten Hauptsatzes. Solche Funktionen, die sich bei zusammengehörigen Änderungen ihrer Veränderlichen nicht ändern, heissen Invarianten, und die vorstehenden Betrachtungen erläutern die fundamentale Wichtigkeit solcher Invarianten für die Erfassung der natürlichen Erscheinungen. –

Die vorstehenden Betrachtungen sind noch in bezug auf einen Punkt zu ergänzen, der als der Ausgangspunkt von Daltons Betrachtungen erwähnt worden ist, nämlich in bezug auf das Gesetz der multipeln Proportionen. Dieses besagt, dass wenn zwei Elemente sich zu mehreren Verbindungen vereinigen, die verschiedenen Mengen des auf die Einheit des anderen Elements bezogenen des veränderlichen Elements in einfachen, rationalen Verhältnissen stehen. Es ist hierbei natürlich gleichgültig, welches Element man als konstant und welches man als veränderlich ansieht. In dem Beispiele von Dalton kann man, wenn man will, den Kohlenstoffgehalt des Sumpfgases und des ölbildenden Gases als Vergleichseinheit benutzen; dann steht der Wasserstoffgehalt im Verhältnis 2:1. Oder man kann den Wasserstoffgehalt als konstant betrachten; dann stehen die Kohlenstoffmengen im Verhältnis 1:2. Kann man nun auch dies Gesetz aus jenen allgemeinen Betrachtungen ableiten?

Die Antwort lautet Ja und beruht darauf, dass sich aus jenen Betrachtungen bereits ergeben hatte, dass das Verbindungsgewicht eines zusammengesetzten Stoffes notwendig gleich der Summe der Verbindungsgewichte seiner Elemente ist (S. 60). Verbindet sich demnach der zusammengesetzte Stoff AB mit dem Element B, so tritt er als Ganzes in die neue Verbindung ein und ein Verbindungsgewicht von ihm muss sich mit einem Verbindungsgewicht B vereinigen. Hieraus folgt, dass in dem entstehenden Stoffe das Element B in doppelter Menge gegenüber der Verbindung AB enthalten sein muss, denn in einem Verbindungsgewicht AB war ein Verbindungsgewicht B enthalten und gerade diese Menge verbindet sich mit einem weiteren Verbindungsgewicht B zu der neuen Verbindung.

Da für diese Verbindung AB2 die gleiche Überlegung gilt, so kann diese sich mit einem weiteren Verbindungsgewicht B zu AB3 verbinden. Wie die gleiche Schlussweise auf beliebig zusammengesetzte Verbindungen übertragen werden kann, ergibt sich von selbst und bedarf keiner Ausführung im einzelnen. –

Die Geschichte der einzelnen Atomgewichtsbestimmungen kann uns hier nicht beschäftigen; ebensowenig die Schicksale der schon früh aufgetauchten Idee, dass alle Elemente ihrerseits Verbindungen irgendeines Urelements seien. Letztere hat bisher nicht zu fassbaren Ergebnissen geführt. Wohl aber ist dies von einem anderen Gedanken zu sagen, dessen erste Spuren wir gleichfalls bereits bei Richter finden.

Richter hatte sich nämlich die Frage vorgelegt, ob nicht zwischen den Zahlenwerten der Äquivalentgewichte der verschiedenen Säuren und Basen Beziehungen beständen und war zu der Vorstellung gekommen, dass solche allerdings vorhanden seien, indem diese, wenn man sie ihrer Grösse nach ordnet, sich als Glieder gewisser mathematischer Reihen erweisen sollten. Selbst den Gedanken hat er bereits gehabt, dass wenn sich Lücken in dieser vermuteten Gesetzmässigkeit zeigten, diese daher rühren möchten, dass die entsprechenden Stoffe noch nicht entdeckt waren; so berechnete er die Äquivalentgewichte unbekannter Säuren und Basen voraus. Auf seine Zeitgenossen machten diese Betrachtungen keinen gewinnenden, sondern einen abstossenden Eindruck. Dazu wollte das Unglück, dass damals durch Trommsdorff die Entdeckung einer neuen basischen Substanz angekündigt wurde, welche wegen ihrer Geschmacklosigkeit Agusterde genannt wurde. Aus Trommsdorffs Analysen leitete Richter ab, dass diese neue Erde gerade in eine der vorhandenen Lücken hineinpasste und er betrachtete diese Entdeckung daher als einen besonderen Glücksfall. Leider stellte sich bald heraus, dass die Agusterde nur Kalziumphosphat war, und was Richters Anschauungen stützen sollte, wurde zum Vorwurf gegen sie ausgebeutet.

Als in der Folge die Verbindungsgewichte der Elemente oder die Atomgewichte in etwas grösserem Umfange bestimmt wurden, traten alsbald auch wieder Betrachtungen über das gegenseitige Verhältnis der Zahlenwerte auf. Döbereiner zeigte bereits in den zwanziger Jahren, dass verwandte Elemente häufig in Triaden vorhanden sind, und dass das Atomgewicht des mittleren Elements nahezu das arithmetische Mittel aus den Atomgewichten der Grenzelemente ist. Durch spätere Forscher wurden diese Betrachtungen erweitert; insbesondere nahm Pettenkofer Richters Idee der mathematischen Reihen wieder auf, doch wurde eine durchgreifende Regelmässigkeit nicht aufgefunden. Eine solche ergab sich erst, als man alle Elemente ohne weitere Rücksicht nur nach dem Zahlenwerte ihrer Atomgewichte in eine Reihe ordnete und die daraus entstehenden Beziehungen untersuchte. Die ersten, welche damit an die Öffentlichkeit traten, waren ein Franzose, de Chancourtois und ein Engländer, namens Newlands. Der letztere legte im Jahre 1864 auf der Versammlung englischer Naturforscher folgendes dar. Wenn man alle Elemente in der angegebenen Weise in eine Reihe nach steigenden Atomgewichten ordnet, so hat die so entstehende Reihe die Eigenschaft, dass man zu jedem Element das nächst verwandte findet, wenn man um sieben Glieder in der Reihe weiter geht. Dies nannte er das Gesetz der Oktaven. Eine solche Betrachtungsweise erschien damals so fremdartig, dass der Vorsitzende den Entdecker befragte, ob er nicht ähnliche Gesetzmässigkeiten fände, wenn er die Elemente nach dem Anfangsbuchstaben ihrer Namen alphabetisch ordnete. Auch gelang es Newlands nicht, Aufmerksamkeit für seine Untersuchungen zu finden und erst viel später, als die gleiche Betrachtungsweise von anderen, bekannteren Chemikern unabhängig durchgeführt wurde, erwies sich ihre Fruchtbarkeit.

Diese Männer waren Lothar Meyer(1830 bis 1895) und D. Mendelejew (1834-1907), welche 1869 unabhängig voneinander ihre Ergebnisse veröffentlichten. Sie fanden beide, dass jene Reihe der Elemente nach den Zahlenwerten ihrer Atomgewichte sich in Stücke zerfällen lässt, derart, dass innerhalb dieser Stücke die entsprechenden Elemente an entsprechende Stellen zu stehen kommen. Hierbei waren gelegentlich Umstellungen in der bisher angenommenen Ordnung erforderlich, indem andere Multiple der Äquivalentgewichte statt der damals üblichen eingeführt werden mussten. In dieser Beziehung zeichnete sich namentlich Mendelejew durch Kühnheit und eine glückliche Hand aus. Auf Grund der vorhandenen Analogien sagte er ferner die Eigenschaften einer Anzahl damals noch unbekannter Elemente voraus, auf deren Dasein er ganz wie Richter aus den vorhandenen Lücken in der Tabelle geschlossen hatte, und er erlebte den Triumph, dass seine Voraussagungen in mehreren Fällen eine glänzende Bestätigung erfuhren. Infolgedessen wurde der Gedanke nun mit grösserem Eifer aufgenommen und entwickelt. Es ergab sich, dass in der Tat so gut wie alle Eigenschaften und Beziehungen nicht nur der Elemente selbst, sondern auch die ihrer vergleichbaren Verbindungen sich in derselben Weise als periodische Funktion ihrer Atomgewichte darstellen lassen.

Allerdings stellte sich zu gleicher Zeit heraus, dass es sich nicht sowohl um ein in bestimmten Ausdrücken darstellbares Gesetz, als vielmehr um eine ungefähre Regel handelt, die infolge einer gewissen Unbestimmtheit am ehesten mit den naturhistorischen Klassifikationen vergleichbar ist. Die einzelnen Elemente sind keineswegs gleichförmig oder nach irgendeiner einfachen Gesetzlichkeit bezüglich ihrer Atomgewichte angeordnet; die Differenzen entsprechender Werte sind nicht konstant oder sonst regelmässig, sondern anscheinend ganz unregelmässig verteilt. Ja, es hat sich sogar gezeigt, dass in einzelnen Fällen (Tellur-Jod, Argon-Kalium) die ganz unzweifelhaften verwandtschaftlichen Beziehungen es notwendig machen, das Element mit dem grösseren Atomgewicht vor das mit dem kleineren zu setzen, so dass das Grundprinzip selbst durchbrochen werden muss. Ebenso muss man zugestehen, dass durch die Anordnung nach dem periodischen System in einzelnen Fällen tatsächlich vorhandene Analogien, wie die zwischen Baryum und Blei, oder zwischen Kupfer und Quecksilber zerrissen werden, während andere Elemente (Gold und die Alkalimetalle) zusammengebracht werden, zwischen denen man auch bei gutem Willen nur sehr wenig Ähnlichkeiten finden kann. Solchen ungünstigen Fällen stehen aber so viele günstige gegenüber, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass wir es hier mit einer sehr wichtigen Beziehung zu tun haben, für die es nur noch an einem ganz befriedigenden Ausdruck fehlt.

Betrachtet man nämlich die ganze periodische Tabelle möglichst allgemein, so hat man den Eindruck, als wären über das regelmässige Schema die Elemente nicht ganz ordentlich verteilt worden, sondern einigermassen nachlässig, so dass nicht ein jedes genau an seinen systematischen Platz gelangt ist, sondern nur ungefähr. Ähnliche Fälle kommen zuweilen auch in anderen Gebieten vor, dann aber kann man meist sagen, dass es sich um Grössen handelt, die mit gewissen Bedingungen veränderlich sind, und dass die Unregelmässigkeiten daher rühren, dass die vergleichbaren Bedingungen nicht gefunden oder nicht eingehalten sind. Hier aber hat man es mit den Atomgewichten zu tun, deren charakteristische Eigentümlichkeit ist, dass ihre Zahlenwerte durch keinen bekannten Umstand auch nur um das geringste geändert werden können. Es ist also auf Grund der gegenwärtigen Wissenschaft nicht angängig, eine ähnliche Deutung der vorhandenen Unregelmässigkeiten zu versuchen.

Hierzu kommt noch ein anderer Umstand, der in die gleiche Richtung weist und auf das gleiche Hindernis stösst. Die sämtlichen Eigenschaften der Elemente und ihrer Verbindungen stellen sich als Funktionen der Atomgewichte dar, d. h. man kann sich einen mathematischen Ausdruck denken (und solche Ausdrücke sind gelegentlich auch aufgestellt worden), in den man nur den Wert des Atomgewichts einzusetzen hat, um den Wert einer gewissen Eigenschaft zu finden. Solche Ausdrücke haben immer den Charakter stetiger Funktionen, d. h. sie geben für jeden beliebigen Wert der einen Veränderlichen einen entsprechenden Wert der anderen und gestatten nach dem Stetigkeitsgesetz daher auch die Interpolation eines unbekannten Wertes, falls dieser nur nahe genug zwischen zwei bekannten Werten liegt. Jene Voraussagungen Mendelejews, welche seinerzeit so glänzend die Nützlichkeit des periodischen Systems gezeigt hatten, sind nun nichts als solche Interpolationen, die unter Voraussetzung des Stetigkeitsgesetzes vorgenommen worden waren; dass sie richtige Resultate ergeben hatten, beweist, dass jene Annahme in gewissem Sinne berechtigt war. Auch diese Überlegung deutet dahin, dass es vielleicht Bedingungen gibt oder gab, unter denen die Atomgewichte stetig veränderlich sind oder waren. Zweifellos bestehen diese Bedingungen nicht unter den Verhältnissen unserer gegenwärtigen Experimente; unter diesen sind die Werte zu völliger Unbeweglichkeit erstarrt. Aber es ist wenigstens formal denkbar, dass diese Erstarrung sich unter Umständen vollzogen hat, wo der ganze Zustand eine reinliche und tadellos regelmässige Anordnung nicht gestattet hat, und dass unsere gegenwärtigen Atomgewichte die Spuren jenes halben Chaos noch bis in unsere Tage herab getragen haben.

Bei solchen Überlegungen kommt einem natürlich alsbald die am Schlüsse des vorigen Vortrages erwähnte Verwandlung des Radiums in Helium und die Möglichkeit der allgemeinen Transmutation der Elemente in den Sinn. Doch ist hierbei zu bedenken, dass einerseits das Radium, anderseits das Helium sich bezüglich der Unveränderlichkeit ihrer Atomgewichte ganz und gar wie die anderen Elemente verhalten; sie ordnen sich also den bestehenden Verhältnissen unter und weisen nur auf eine sprungweise, nicht aber auf eine stetige Veränderlichkeit der Verbindungsgewichte hin. Es ist daher von dieser Seite die Aufklärung nicht unmittelbar zu erwarten. Vielleicht finden sich bei genauerer Untersuchung der Transmutationsverhältnisse noch neue, bisher nicht beobachtete Umstände, welches auch auf eine etwaige Stetigkeit in der Veränderung der Atomgewichte Licht werfen; doch verlangt die wissenschaftliche Objektivität das Zugeständnis, dass wir ein solches Licht zurzeit noch nicht erkennen können.


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