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Kamarilla

Schöner Konsum an Rettern. Wieder einer futsch. Wenn das autoritäre Regime so weiter wirtschaftet, dann kann es bald heißen: Jeder Deutsche einmal Reichskanzler! Eltern kinderreicher Familien, hier winkt noch eine Chance!

Wie lange ist es her, daß der letzte Kanzler, allseitig als staatsmännisches Genie begrüßt, auf die Szene trat? Und heute liegt der General von Schleicher, wundenbedeckt wie Cäsars Leichnam, auf dem verlassenen Capitol. Der »soziale General«, der alle Schwergewichte auf einmal stemmen wollte, stürzt, als Dilettant entlarvt, geschlagen sogar auf seinem höchstpersönlichen Gebiet: der Intrige.

Wichtiger als der leidende Held dieser Haupt- und Staatsaktion ist die Art, wie sie gemacht wurde. Sie demonstriert in schlagendster Weise die Natur jenes präsidialen Regimes, das von servilen Juristen als gottgewollte deutsche Staatsform gefeiert wird. Weil die Junker die Enthüllungen über die Osthilfe mit Recht fürchten, deshalb wird von einem Konventikel unverantwortlicher Interessenpolitiker die monumentale Gestalt des Reichspräsidenten vor die mißhandelte Staatskasse geschoben. Das allein spricht Gericht über den präsidialen Absolutismus. Selbst ein so hindenburgfrommes Blatt wie die »Tägliche Rundschau« bemerkt dazu entsetzt: »Die bevorzugte Behandlung einzelner bei der Osthilfeumschuldung hat aber noch einen viel wichtigeren politischen Charakter. Der autoritäre Gedanke ist diskreditiert worden.« Es gibt nichts mehr zu verschleiern, das ganze Land weiß es jetzt: der Reichspräsident wird von einer Kamarilla dirigiert.

Die Kamarilla ist eine gut altpreußische Erfindung. Sie funktioniert immer dann, wenn es den Junkern schlecht ging und sie auf Kosten der Bürgerkrapüle saniert werden mußten. Eine Kamarilla hat schon den Freiherrn vom Stein weggebissen und sich nicht gescheut, diesen Patrioten sans reproche dem Franzosenkaiser zu denunzieren. Die Kamarilla hat immer mit der gleichen Skrupellosigkeit gearbeitet. So wird jetzt die merkwürdige Geschichte kolportiert, man habe Hitler beim alten Herrn madig gemacht, indem man ein Memorandum über seine angeblichen schlechten Sitten vorlegte. Darüber möchte man gern mehr wissen, nicht wegen Hitlers Sittlichkeit, die uns, so oder so, gestohlen bleiben kann, sondern zur Kennzeichnung der heute beliebten Regierungsmethoden.

In Hugenbergs Umgebung hat man, um einen Staatsstreich zu rechtfertigen, die Konstruktion eines »staatlichen Notstandes« geschaffen. Nun, ein staatlicher Notstand ist auch von einem ganz andern Standpunkt aus kaum zu leugnen. Er wird nicht durch das Versagen der Konstitution charakterisiert oder durch eine ganz besonders rebellische Volksstimmung, sondern durch Personen wie Papen und Schleicher und vor allem durch den Reichspräsidenten selbst.

Sobald der Präsident der Republik Befugnisse verlangt, die über die Verfassung hinausgehen, ist der Notstand da. Er wächst in dem Maße, in dem das Staatsoberhaupt von obskuren Gestalten beeinflußt wird, die als »Gutsnachbarn« oder »alte Regimentskameraden« sein geneigtes Ohr finden. Wenn nicht mehr das Vertrauen des Parlaments Kabinette trägt oder verabschiedet und alles vom Vertrauen oder Mißtrauen des Reichspräsidenten abhängt, dann ist ein erheblicher Notstand nicht zu verkennen. Der staatliche Notstand ist vorhanden. Er heißt Hindenburg und nicht anders.

Es ist ein Verdienst der Kamarilla, das endlich deutlich gemacht zu haben. Wenn ein stockreaktionäres Komitee einen politikfremden Offizier im Patriarchenalter aus seinem behaglichen Ruhestand zerrt und auf den ersten Platz des Reiches stellt, so weiß es warum. Wenn aber Republikaner – Sozialisten und Demokraten – in dem gleichen Manne die starke Barriere gegen die Begehrlichkeit und die Diktaturgelüste seiner eignen Kaste sehen, so ist das, milde gesagt, etwas absurd. Den Dank an seine republikanischen Wähler hat Herr von Hindenburg ausgesprochen, als er die preußischen Minister aus ihren Ämtern werfen ließ, als er das harmlose Siedlungsprogramm Brünings für Bolschewismus erklärte. Überall Enttäuschung. Herr von Hindenburg würde heute nicht soviel Stimmen erhalten wie seinerzeit Herr Duesterberg. Herr von Hindenburg verfügt über keine Autorität mehr, denn er hat das Vertrauen des Volkes verloren; er hat keine Massen mehr hinter sich.

Das Junkertum fühlt sich in seinen wirtschaftlichen Wurzeln bedroht, deshalb greift die Kamarilla offen nach der Staatsführung. Dazu gesellen sich Großindustrielle, die eine neue Konjunktur schnuppern und die der öffentlichen Hand wieder entreißen möchten, was sie im Krisenjahr 1931 an sich genommen hat. Schleicher mit seinen diffusen staatssozialistischen Ideen bot nicht die nötige Sicherheit. Das ist der nackte Interessenhintergrund aller Kabalen, der über dem Personellen nicht vergessen werden darf. Daneben spielt eine untergeordnete Rolle, daß die Herren sich nicht recht einig werden können, daß Hitler erst einmal sich selbst will und Herr von Papen natürlich auch zunächst sich selbst, daneben aber noch den Kronprinzen. Das sind nur die kleinen Nuancen der einen Konterrevolution.

Das erste Kabinett Papen endete mit Gelächter, ein zweiter Versuch würde mit Tränen enden. Wird nicht sofort und bedingungslos der Weg zur Verfassung wieder angetreten – und dazu gehört vor allem der Rücktritt des Reichspräsidenten – , so wird die außerparlamentarische Regierungsweise von oben mit außerparlamentarischen Abwehrmethoden von unten beantwortet werden. Denn es gibt auch ein Notrecht des Volkes gegen abenteuerliche experimentierende Obrigkeiten. Die deutsche Geduld trabt oft lange dahin, ohne zu fragen, wer ihre Flanken drückt. Sollte aber eine Clique, die nicht zwei Prozent der Nation hinter sich hat, Sporen und Peitsche fühlen lassen, so wird auch dieses sanfte Reittier endlich bocken. Die Generalstreikparole geht um. Sie wirkt fort, wenn es auch vermessen wäre, über das Tempo aussagen zu wollen. In revolutionären Situationen taktieren die Massen und nicht die Führer. Was denken sich diese Hugenberg, Papen, Schacht, Stülpnagel, diese plötzlich sichtbar werdenden Mitglieder der Kamarilla, die so konfliktsüchtig nach vorn dringen? Welch ein frivoler Mut! Der Acheron schäumt. Die Herren seien zu einer Kahnfahrt freundlichst eingeladen.

(Die Weltbühne, 31. Januar 1933)


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