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Die Blutlinie

Es sind diesmal noch keine Knochen, sondern nur für 50 000 Mark Fensterscheiben zerbrochen worden. Ein Café am Tiergarten, ein paar Warenhäuser wurden en passant mit Steinen beehrt. Darunter eines, das seit zwei Generationen getauft ist, und ein andres, das keine jüdischen Angestellten leidet. Auch der gleichfalls bedachten Bank des Herrn Jakob Goldschmidt läßt sich nicht nachsagen, daß sie Ideen fördert, die nach der Auffassung rechts der Zersetzung dienen.

Dieses der Stärkung des deutschen Kredits gewidmete Unternehmen fand statt, während hundertacht Gelbhemden im Reichstag fröhlich ihr Analphabetentum manifestierten. Beim Namensaufruf wurde der Herr Abgeordnete Heines von der Linken mit dem Rufe »der Fememörder« begrüßt, worüber er mit geschmeicheltem Lächeln quittierte. Auch im Wahlkampf ist Herr Heines auf Plakaten als Fememörder vorgestellt worden, und das hat ohne Zweifel zugkräftig gewirkt. Die Quiriten haben ihn aufs Capitol geschickt, weil er gemordet hat. Es gilt festzuhalten: es gibt in Deutschland Bürger, die jemanden wählen, weil er an einem feigen Mord im Hinterhalt beteiligt war.

 

Nach der Meinung Unterrichteter kommt die Offensive gegen die Leipziger Straße nicht auf das Konto der Oberleitung, sondern auf das des Hauptmanns Stennes und seiner Sturmabteilungen. Herr Stennes ist nämlich bei der Mandatsverteilung übergangen worden und hat schon neulich dem Osaf seine Unzufriedenheit darüber drastisch bekundet. Ist Herr Stennes weniger als andre? Auch an seinem Ruhm klebt Mord, er hat sich redlich bemüht, die Feme in der preußischen Polizei zu beheimaten. Er hat trotzdem kein Mandat bekommen, er ist böse, er arrangiert einstweilen auf eigne Faust Herbstmanöver.

Man darf die Hitler-Bewegung nicht allein nach den Zivilmäulern der Feder und Strasser beurteilen, man muß vor allem auf ihre militärischen Fäuste schauen. Die Organisationen sind gespickt mit Offizieren aus der Freikorpsepoche. Diese Killinger, Heines, Stennes, Göring kommen alle von Ehrhardt-Roßbach und vom Baltikum. Sie fühlen sich nicht Hitler dienstbar, sondern ihren alten Chefs. Sie sind die Parasiten in der neuen Firma, sie tragen andre Interessen hinein, ohne die neue Kasse zu verschmähen, aber sie sind unentbehrlich, weil Erfahrung und gute Nerven sie überall für die Exekutive empfehlen. Der kleine Goebbels ist für solche Schwerarbeit nicht ohne Riechfläschchen denkbar, der Schlag Heines reibt sich am Gras das Rot von den Händen und geht zum Eisbeinessen.

Es gibt ein paar Dutzend Freikorpsoffiziere, skrupellose, fanatische, beutegierige Abenteurer, die an allen nationalistischen Aktionen seit zwölf Jahren beteiligt sind. Es führt eine Linie vom Eden-Hotel und dem Baltikum über Kapp und O. S. weiter zu den Ministermorden, der Schwarzen Reichswehr und dem Ruhrkampf, zu den Wahlraufereien und den zerbrochenen Scheiben in der Leipziger Straße. Vor ein paar Monaten wurden am Rhein auf Geheiß der Partei die Häuser wirklicher oder vermeintlicher Separatisten demoliert, diesmal wird sehr gegen ihren Willen, an dem Tage, wo sie sich als salonfähig erweisen möchte, eine kleine Fensterscheibenattacke geritten, denn die Helden murren ob der Untätigkeit. Viele Politiker sind seit 1918 gekommen und verschwunden, geblieben ist eine Camorra von unbeschäftigten Offizieren, die ständig im geheimen neue Leute anzieht und in ihre Geschäfte verstrickt. Lest im Buche von Gumbel nach oder in den Protokollen der vielen Prozesse, ihr werdet immer die gleichen Namen finden. Ihr werdet finden, daß der Kaufmann X, ein belangloser Zeuge für das Alibi des Hauptmanns Y, nach ein paar Jahren wieder als Zeuge in einer Bombenleger- oder Verschwörersache auftaucht. Es geht eine Blutlinie durch die zwölf Jahre Republik. Die Gerichte haben sie niemals ernsthaft bloßgelegt. Ein einziger konsequent zu Ende geführter Ehrhardt- oder Roßbach-Prozeß hätte uns den ärgsten Zauber der neuen Hitler-Macht erspart.

Diese Offiziercamorra ist die wirkliche Nährerin des Bürgerkriegs gewesen. Sie hat die Schützengräben in die innere Politik eingeführt. Sehr klar hat das jetzt der jüdische Historiograph des deutschen Nationalbanditismus, Herr Arnolt Bronnen, in seinem sonst höchst langweiligen Roßbach-Buch gesagt. Er gibt dort einmal die Stimmung Ende dreiundzwanzig wieder: »... vorbei für immer war die Epoche, in der man noch mit den Impulsen des Krieges Deutschland und die Nation umgestalten konnte, in der man Versailles mit Versailles und Rathenau mit Schüssen bekämpfen konnte.« Trotzdem sieht der monokelbewehrte Bronnen zu schwarz: Diese Epoche ist nicht vorüber, denn ihre Träger sind noch da. Vor zehn Jahren kämpften sie fürs alte Reich und für die Dynastie; heute tragen sie das Kostüm des gelben Sozialismus. Ihre Sprache hat sich verändert, ihr Beruf nicht.

 

Wie gern möchte man mit einem Appell die Vernunft zur Opposition entzünden, mit dem guten Feuer des gesunden Menschenverstandes diese Pest ausbrennen. Dank sei Thomas Mann, daß er aus der Reihe der schweigenden Geistigen heraustritt, wenn auch nicht mit der Vehemenz Emile Zolas. Es ist etwas kernfaul an diesem Volk, das ein Individuum zum Deputierten wählt, weil es ihm als Mörder empfohlen wird. Hier läßt sich mit Literatur nicht mehr kämpfen. Ist es nicht ein Jahrhundert her, daß uns der Triumph des Kriegsbuches von Remarque als eine spontane Wandlung zum Friedensgeist gedeutet wurde? Wir haben dem damals bei aller Anerkennung der Qualitäten des gutmeinenden Autors widersprochen. Die Friedensgesinnung ist dahin wie der Schnee vom vorigen Jahre. Denn so bunt gemischt die Wählerschaft des Nationalsozialismus auch sein mag – sie hat sich doch dazu bekannt, daß Gewalt nach innen und außen das einzige noch mögliche Prinzip darstellt. Gegen eine Million Remarques recken sich sechs Millionen Kriegsbeile.

(Die Weltbühne, 21. Oktober 1930)


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