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Kommunistengesetz?

Ein Jahr Sieg

Am 20. Mai vor einem Jahr war Wahltag. Das war, wenigstens in Berlin, ein durch und durch verregneter Sonntag. Vom Morgen bis in die Nacht kamen Fluten herunter, die die Spaziergänger von den Straßen trieben und auch die bescheidenste Andeutung öffentlicher Propaganda unmöglich machten. In den Torwegen hockten melancholisch die Plakatträger, deren Farben Gottes Regen überparteilich weggewaschen hatte. Friedlich saßen sie beieinander und dachten gar nicht daran, den bis dahin noch unentschlossenen Bürgern zum letztenmal vor Augen zu halten, daß Deutschland ohne den Panzerkreuzer elend zugrunde gehen müsse, respektive daß die Sozialdemokratie mit den marinistischen Aufrüstungsplänen endgültig Schluß machen werde. Die Wahlbeteiligung schien herzlich gering und die Resignation der Sandwichmen durchaus berechtigt zu sein. Doch am nächsten Morgen schon wußte man, daß der Prozentsatz der Wählenden ziemlich hoch gewesen war, daß die Deutschnationalen über alle Erwartung hart getroffen waren, daß die Demokraten und sogar das Zentrum Verluste erlitten hatten, Sozialdemokraten und Kommunisten die einzigen Gewinner waren. Vor allem die Sozialdemokraten. Sie waren die wirklichen Sieger des 20. Mai.

Diese Wahlen bedeuteten für die Partei einen unsagbaren Triumph. Denn das Ergebnis verriet einwandfrei, daß die Partei noch immer das Vertrauen der Massen besaß, daß die Scharen der jungen Wähler von der Sozialdemokratie erwarteten, sie werde in die Tat umsetzen, was sie im Wahlkampf verheißen. Das war der Sinn dieses Sieges, und so überwältigend war der Aufstieg der Sozialdemokratie, so sehr gebunden war sie durch ihre Propaganda, daß selbst manche ihrer leidgewohnten Kritiker auf der Linken plötzlich geneigt waren, ihr neuen Kredit zu geben.

Auch der Wahlsieg kennt ein Before and After. Überschwang wird von der Wirklichkeit korrigiert und geformt. Aber was hat denn die Sozialdemokratie Überschwengliches versprochen? Ihre Wahlplattform war vorsichtig und zurückhaltend, enthielt nichts mehr als jede halbwegs liberale Partei bieten mußte, war schon ganz und gar beeinflußt von der sprichwörtlichen Anspruchslosigkeit der Deutschen in allen politischen Dingen. Die Sozialdemokratie hat nicht viel versprochen, das wenige allerdings mit Posaunenstärke, und dies wenige hat die zur Regierung gekommene Führersippe von Anbeginn mit einer Unverfrorenheit verleugnet, für die sich auch in der an moralischen Katastrophen so überreichen Geschichte des Parlamentarismus schwerlich eine Parallele finden läßt. Es begann mit der Bewilligung des Panzerkreuzers, die sehr geschmackvoll den hochrufenden Republikanern am 11. August verlautbart wurde, und wird enden mit der angekündigten Deformierung der Erwerbslosenunterstützung. Wenn das erst durchgedrückt ist, werden Zentrum und Deutsche Volkspartei die Sozialdemokratie in aller Gemütlichkeit vor die Tür setzen, denn dann brauchen sie sie nicht mehr. Den Rest des Weges zu Hugenberg können sie allein finden. Die Sozialdemokratie hat ihnen die Reise leicht gemacht, den unpopulären Teil der Regierung hat sie auf die eigne Schulter genommen. Ihre Minister haben in allen Stücken das ausgeführt, was bürgerliche Minister sich zu tun gescheut hätten. Ein Jahr Sieg. Es ist ein unendlich trauriges Jahr, erfüllt von Schauspielen zusammenkrachender Charaktere. Kein vernünftiger Mensch verlangt von den sozialdemokratischen Ministern Wunderdinge. Worin sie versagt haben, das ist ja nicht die Sozialisierung von Kohle und Eisen, nicht eine umfassende Agrarreform mit resoluter Zerschlagung der Latifundien oder sonst etwas waschecht Sozialistisches. Worin sie versagt haben, das war die simpelste Technik des Regierens. Was sie vermissen ließen, das war die allergeringste Fähigkeit, das Verlangen von Millionen auch nur in kleinen Dingen in die Autorität regierender Persönlichkeiten umzusetzen. Herr Hermann Müller hat die Regierungsbildung mit einer Laschheit betrieben, die ihn als Dorfschulzen unmöglich machen würde, Herr Hilferding murkst an dem Etat mit jenem Tempomangel, den wir noch von seiner ersten Ministerherrlichkeit her in trister Erinnerung haben, und macht vor den Bankgewaltigen schön, Herr Severing kuscht vor der Schwerindustrie, und alle zusammen kuschen sie vor Herrn Groener. Es tritt da bösartig zutage, was den republikanischen Blättern bisher nur in sehr vereinzelten Momenten aufgegangen ist: Wahlsieg bedeutet noch nicht Macht. Die Regierungsbeteiligung einer sozialistischen Partei muß deshalb vornehmlich davon abhängen, ob sie ihren führenden Männern die erforderlichen Energien und Talente zumuten darf, diese Macht zu erobern und die Instrumentation des Staates zu beherrschen. Diese Probe haben die sozialdemokratischen Minister früher nicht und erst recht jetzt nicht erbracht, sie sind immer nur das Spielzeug des Apparates gewesen, den sie selbst hätten spielen lassen müssen. Deshalb das allgemeine Gefühl der Unsicherheit, das unbestimmte Bewußtsein, daß sich die Reaktion in einem unaufhaltsamen Vormarsche befindet. Die Ära des Herrn von Keudell erscheint, gemessen an der gegenwärtigen des Herrn Severing, wie die eines fest umfriedeten, von starker Hand geschirmten Liberalismus.

In solcher Situation berührt eine Handlung, die sonst tapfer und aufrecht gewirkt hätte, beinahe komisch. Ein hoher Beamter und ausgezeichneter Republikaner vom linken Flügel des Reichsbanners, Herr Senatspräsident Großmann, ist in diesen Tagen von der Demokratischen Partei zur Sozialdemokratie übergetreten. Aus einem nicht ganz klar gehaltenen Kommentar zu diesem Schritt muß immerhin entnommen werden, daß Herrn Senatspräsidenten Großmann die wirtschaftlichen Überzeugungen der Demokratischen Partei zu manchesterlich anmuten, daß er den ökonomischen Liberalismus als historisch abgetan betrachtet und die Zukunft nur im Sozialismus und in einer sozialistischen Partei findet. Daß du die Neese ins Gesicht behältst! Wertgeschätzter Republikaner, und das suchen Sie in der Sozialdemokratie! Man möchte doch nicht annehmen, daß Ihr Übergang von der Demokratie zur Sozialdemokratie eine Rechtsschwenkung bedeutet. Wo ist denn der Unterschied zwischen den beiden Parteien? Höchstens, daß Herr Erkelenz sozial einsichtiger und konstruktiven Zukunftsgedanken weit eher zugänglich ist als Herr Leipart, daß Herr Lemmer ein viel frischeres Talent zum volkstümlichen Führertum mitbringt als Herr Otto Wels und daß sich zu Herrn Breitscheid – zur Ehre der hier oft geschmähten Demopartei sei es gesagt – dort überhaupt kein Pendant findet; man muß das schon im Salon Kardorff-Oheimb aufstöbern. Sozialismus bei der Sozialdemokratie suchen, nein, das hieße, von einem Brombeerbusch Bananen verlangen. Der »Vorwärts« zum Beispiel ist das einzige wirklich bürgerliche Blatt Berlins. In dieser Zeit, wo es ein Bürgertum im Sinne der Tradition nicht mehr gibt, weil die alte ökonomische Grundlage nicht mehr vorhanden ist und kein noch so konservativ Denkender auf die Wahrung bürgerlicher Formen mehr Wert legt, verkörpert das sozialistische Zentralorgan mit rührender Treue die langschößige Ehrenfestigkeit der Epoche Eugen Richters, mit ihrer bürgerlichen Solidität, ihrer siebenfach betonierten Humorlosigkeit und mit ihrem grundsätzlichen Unverständnis für die Bedürfnisse der minderbemittelten Volksklassen – Eigenschaften, die sich im politischen Alltag schrecklich manifestieren und gelegentlich nur von etwas Radikalismus übertönt werden, wenn sich an den ganz hohen Feiertagen der Partei der redliche alte Bratengeier jubilierend in die Lämmerwölkchen der Zweiten Internationale erhebt. Hat nicht jetzt, bei dem konzentrischen Angriff der Berliner Polizei auf die Stadt Berlin, der »Vorwärts« den fettesten Schwindel über atrocités communistes publiziert, während sich bürgerliche Blätter vorsichtig zurückhielten? Und hat sich nicht der »Vorwärts« für seine von dickwanstigem Ordnungsbürgertum strotzenden Rechtfertigungen der Polizei vom »Berliner Tageblatt« eine höfliche, aber ungemein beschämende Abreibung holen müssen? Nein, die Sozialdemokratie ist von ihrer genialen Führung ganz sacht nach rechts kutschiert worden. Wo werden die ahnungslosen Genossen, die ihren Lenkern gehorsam vertrauten, eines Tages aufwachen?

Die Sozialdemokratie kann nicht von heute auf morgen den Sozialismus verwirklichen. Das verlangt niemand von ihr. Der Spielraum rein sozialistischer Aktivität ist sehr eng. Noch bestimmt der Hochkapitalismus alleinherrschend die Wirtschaft, und selbst der proletarische Klassenkampf bedeutet keine aggressive, sondern nur eine defensive Maßnahme. Hat aber die Sozialdemokratie schon den Verzicht auf den Kampf um sozialistische Ziele für diese Gegenwart ausgesprochen, so hat sie damit in um so stärkerem Maße die Verpflichtung, für die Eroberung und Verteidigung des demokratischen Staates zu sorgen. Dogmatisch, unerbittlich, kompromißlos und zähe muß sie für die Realisierung jener Verfassung kämpfen, die sie so stolz für die freieste der Welt erklärt. Und hier liegt ihr unverzeihliches Vergehen an der Republik. Sie hatte die Wahl zwischen Marx und Lassalle, sie hat sich angeblich für Lassalle entschieden, aber sie hat auch diese stolze Gallionsfigur der Vergangenheit lange über Bord geworfen. Sie lebt nur noch von einer liberalistischen Gelegenheitsmacherei, zehrend von ihrem alten Ruf, weitergetragen gelegentlich von günstigen Oppositionskonjunkturen. Was Severing und Grzesinski zu den traurigen Geschehnissen der ersten Maitage sagten, war von einer selbstgefälligen Oberflächlichkeit, die auch die bescheidenste Dosis natürlichen demokratischen Empfindens vermissen ließ. Wie leicht glitten die Herren über die schreckliche Zahl von vierundzwanzig Toten weg! Grade, daß sie ein kleines Achselzucken des Bedauerns für die Totgeschossenen hatten. Kämpfe erfordern Opfer, das war der Tenor ihrer Ausführungen. Nein, meine Herren Minister, in den sogenannten Aufruhrgebieten ist nicht gekämpft, sondern nur gestorben worden, und zwar ist der Verteilungsschlüssel ein verteufelt unfairer, denn nur die eine Seite hat die Toten geliefert.

Wenn wir es nicht schon gewußt hätten, so ist es jetzt klar: wir haben ein Ausnahmegesetz gegen die Kommunisten, wir haben ein Kommunistengesetz. Ganz ergebnislos ist dieses eine Jahr sozialdemokratischen Sieges doch nicht gewesen. Die bürgerlichen Regierungen spannten schamhaft und voll chevaleresker Hemmungen noch das Reichsgericht an. Das ist eine vergangene Epoche. Heute ruht das Ausnahmegesetz im Gummiknüppel jedes Schutzpolizisten.

Fouché in der Bendlerstraße

Von allen Linksblättern ist lebhaft Untersuchung über die letzten blutigen Vorfälle gefordert worden. Auch die Herrn Zörgiebel vorgesetzten Amtsstellen haben eine Untersuchung zugesagt. Wie soll die vor sich gehen, wer soll sie führen? Offiziell hat man darüber noch nichts verlauten lassen, aber gegen Erhebungen von andrer Seite sind bereits vorbeugende Maßnahmen getroffen worden. Demgemäß ist an die Polizeireviere das folgende präsidiale Schreiben gegangen:

»Von der Liga für Menschenrechte wurde ein Ausschuß von Politikern, Journalisten und so weiter gebildet zwecks Klärung der Vorgänge vom 1. bis 3. Mai. Ich untersage allen Beamten, Angestellten und Arbeitern, dem Ausschuß irgendwelche Aufschlüsse zu geben.

Der Polizeipräsident gez. Dr. Mosle.«

La vérité en marche. So machen sich die amtlichen Bemühungen zur Erhebung der Tatsachen aus. Zörgiebel blockiert sich ...

Aber auch andre Behörden sind nicht müßig. Auch das Reichswehrministerium, neben dem Berliner Polizeipräsidium etwas in den Hintergrund getreten, will sich seine Meriten an der neuen reaktionären Entwicklung nicht entgehen lassen und ist auf seine Weise tätig. Ein republikanischer Politiker schreibt der »Weltbühne« einen Brief über eine noch etwas mysteriöse Geschichte, von dem ich hier den hauptsächlichsten Teil wiedergebe:

»Das Reichswehrministerium hat sich vor etwa zwei Monaten zu einer seltsamen Maßnahme entschlossen. Es hat eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Spionage in Groß-Berlin errichtet, die natürlich ohne Bureaus und ohne offiziellen Apparat im stillen ihr Wesen treibt. Als Leiter dieser Stelle ist der aus zahlreichen Skandalen bekannte, jetzt noch aktive Reichswehroberleutnant Protze ausersehen worden, gegen den bekanntlich augenblicklich außer einer Anklage wegen Waffenschmuggels, Verkaufs von Heeresmaterialien auch eine Strafverfolgung wegen dringenden Verdachtes der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung läuft. Diese Spionage-Abwehrstelle betätigt sich zur Zeit mehr als seltsam, sie, die natürlich pro forma gegen die Spionage ausländischer Mächte in Deutschland errichtet worden ist, betrachtet es als ihre ausschließliche Aufgabe, das dienstliche und außerdienstliche Leben und Treiben von Personen zu betrachten, die der republikanischen Gesinnung und pazifistischer Tendenzen dringend verdächtig sind.

Durch einen Zufall ist man diesen unerhörten Dingen auf die Spur gekommen. Der Abgeordnete einer republikanischen Partei, ein früherer Reichskanzler, ging eines Tages im Tiergarten spazieren. Da bemerkte er, daß ihm ein elegant angezogener Mann unauffällig folgte. Der Abgeordnete fühlte sich unbehaglich, bestieg eine Autodroschke und fuhr in sein Bureau. Als er den Chauffeur bezahlte, hielt auf der andern Seite der Straße ein andrer Wagen, aus dem wieder dieser selbe elegante Herr stieg. Der Abgeordnete hatte den Vorfall beinahe vergessen und aß eines Mittags in dem Restaurant Peltzer in Gesellschaft eines wohlbekannten demokratischen Politikers. Plötzlich stutzte er, denn an einem andern Tische in seiner unmittelbaren Nähe nahm plötzlich der elegante Mann Platz, vergrub sich hinter einer Zeitung und, wie eine unauffällige, aber aufmerksame Betrachtung ergab, versuchte er, Brocken aus dem Gespräch der beiden Politiker aufzufangen.

Der Beobachter hatte aber Pech. Es war noch jemand im Lokal, der ihn kannte und der ihn später den beiden Herren, denen er aufgefallen war, identifizierte. Ein adliger früherer Offizier, aus dem Heeresdienst entlassen und ohne Existenz. Nachdem der Mann erkannt war, gelang es, Weiteres zu ermitteln. Oberleutnant der Marine Protze, wohlerfahren in allen Schlichen und Rankünen derartiger Dinge, aus seiner Kieler Position, wo er Leiter der Gegenspionage war, abberufen, empfing gern, trotz verschiedener gegen ihn laufender Strafanzeigen den willkommenen Auftrag zur Organisierung einer großzügigen Spionagestelle. Dutzende von jungen Leuten sind von ihm vor etwa einem Vierteljahr angeworben worden. Es sind das junge Herren von ausgezeichneten Manieren; sie verfügen alle über jene Arbeitsfreudigkeit, die durch jahrelanges Nichtstun ins Ungemessene gesteigert worden ist. Sie wurden von Herrn Protze angelernt. Sie besuchten mit ihm die vornehmen Weinlokale und Hotelrestaurants, in denen die republikanischen Abgeordneten und Parteiführer und Politiker ihre Abende und die Frühstückszeiten vergnügt zu verleben pflegen. Protze ist hier bekannt. Er ist der Kapitän Weißenbach, ein älterer, etwas fröhlicher Seemann, der bar bezahlt und sich gern mit den Kellnern etwas unterhält. Man sieht ihm den Mann an, der vor dem Mast gefahren ist, und nur ein sehr aufmerksamer Beobachter kann auf den Gedanken kommen, es hier mit einem Geheimpolizisten zu tun zu haben. Auf den Gedanken kommt er aber auch nur deshalb, weil der Seemann zu seinem blauen Anzug, wie alle Geheimpolizisten der Welt, gelbe Stiefel zu tragen pflegt. Er lernt dergestalt die Novizen an, und so ist es Tatsache, daß augenblicklich ein Rudel junger Männer, hauptsächlich aus den mittlerweile verkrachten Offiziersfamilien des alten Heeres, in allen bekannten Gaststätten Berlins herumsitzt und an jedem nächsten Morgen genau berichtet, wer mit wem und worüber dieser mit jenem gesprochen hat. Man kann auf diese Art und Weise, die natürlich den Steuerzahler auf dem Wege über die schwarzen Fonds des Reichswehrministeriums teueres Geld kostet, allerhand erfahren. Man kann viel kombinieren, und man kann das Ganze vor allen Dingen in gewissen Situationen verwerten.

Mit solchem Material und etwas Verdrehung dazu kann man leicht republikanische Politiker kompromittieren. Selbst wenn man nicht immer, wie anno Barmat, die große Affäre so leicht zusammenbekommt, es häuft sich noch immer genug Stoff an, und es gibt genug Hussongs, die auf so etwas warten.«

Es hat sich also in der Bendlerstraße ein kleiner Fouché aufgetan, der allerdings noch nicht die moderne Errungenschaft der Gummisohlen kennt und noch ganz hörbar poltert. Auch dieser Vigilantendienst gehört zum System. Im RWM sieht man weiter als am Alexanderplatz. Herrn Zörgiebel in seinem blinden Funktionärsenthusiasmus ist es nur um die Zerstampfung der Kommunisten zu tun. Die wieder interessierten Herrn Groeners Offiziere herzlich wenig. Denen ist es mehr um demokratisch-pazifistische Politiker zu tun, um Leute, die ihnen einmal den Etat stutzen können. Mit Recht wird deshalb die Gegenspionage nicht gegen die Agenten des Feindbundes gerichtet, die in Berlin ihr Wesen treiben, sondern gegen den einzigen Feind, den dieses Ministerium fürchtet. Wir haben ein Kommunistengesetz. Aber es ist ein alter Erfahrungssatz, daß außerordentliche Maßnahmen gegen eine extreme Linke mit rapider Geschwindigkeit nach rechts zu rücken pflegen. Aus dem Kommunistengesetz wird bald ein Republikanergesetz geworden sein. Heute drischt man noch Kommunisten. Morgen werden ganz andre an der Reihe sein. Fouché aus der Bendlerstraße schleicht umher und markiert die Rücken.

Rot gegen Rot

Das Kommunistengesetz geht also nicht nur die Kommunisten an. Es überwinden zu helfen ist ein besserer Dienst an der Republik, als in den Chorus der Propheten und Sibyllen einzustimmen, die nicht müde werden zu verkünden, daß die Kommunisten Blut sehen wollen, weil das Moskau so befiehlt. Ist das richtig, so wird ihnen dieser Gefallen desto eher erwiesen werden, je schärfer man gegen sie vorgeht.

Die Sozialdemokratie sonnt sich in einer verhängnisvollen Täuschung, wenn sie glaubt, für eine Gewaltpolitik gegen die äußerste Linke ihre eignen Anhänger hinter sich zu haben. Die sächsischen Landtagswahlen sind keine Probe aufs Exempel. Denn grade in Sachsen überwiegt die linke Opposition der Partei, dort hat auch die Uneinigkeit unter den Kommunisten selbst eine Heftigkeit erreicht, die deren weitere Expansionsfähigkeit einschränkt. Das Ausnahmegesetz ist ein unfehlbares Mittel, die Sammlung der Kommunisten neu einzuleiten. Treibt man die KPD in die Illegalität, so wird sie Beßres zu tun haben, als um die Auslegung der reinen Lehre zu zanken. Die Sozialdemokratie aber ist auf die Rekrutierung von links angewiesen. Daß Herr Senatspräsident Großmann zu ihr gekommen ist, muß gewiß als sehr beachtlicher Zuwachs betrachtet werden – aber die Reservoire der Partei liegen links. Wird in dem gleichen beschwingten Maientempo weiter gedroschen, geschossen und verboten, so ist in absehbarer Zeit die Gruppe Brandler-Thalheimer ruiniert, die letzte schwache Brücke zwischen den beiden feindlichen roten Parteien.

Die Auflösung der Rotfrontkämpfer ist eine wahrhaft provokatorische Dummheit. Ich liebe Rotfront ebensowenig wie alle andern republikanischen oder monarchistischen Windjackenvereine, denn sie alle drillt der eine Geist des guten alten preußischen Militarismus. Aber es ist ein Unsinn, eine junge vitale Bewegung verbieten zu wollen. Eine solche Bewegung läßt sich nicht verbieten. Und wenn der Staat sich auf seinen weisheitsschweren Kopf stellt: eine junge vitale Bewegung läßt sich auch nicht das Recht auf die Straße nehmen. Das wäre wider die Natur. Wenn die Konsistorialräte der Sozialdemokratie nicht die Geschichte der eigenen Partei vergessen hätten, nicht die Erinnerung an die eigne Vergangenheit, deren Maifeiern oft genug unter harten Polizeifäusten endeten, würden sie nicht auf den absurden Gedanken kommen, das zu verbieten, was nicht verboten werden kann. Die Kommunisten sind keine Engel, wird man mir entgegenhalten. Die Sozialdemokraten sind es unter Bismarck auch nicht gewesen, sondern schrecklich ruppig. Und deshalb haben auch sonst sehr brave Liberale im Sozialistengesetz den letzten Ausweg gegen das unbeschwerte Flegeltum der jungen Arbeiterbewegung gesehen. Die Geschichte hat ihnen unrecht gegeben. Sie wird auch die Ordnungsretter von heute nicht glorifizieren.

Vor allem muß das Verbot von Rotfront schleunigst fallen. Denn es birgt für die ganze Zeit seines Bestehens die Möglichkeit schlimmster Komplikationen. Es kann folgerichtig zu Übertretungen, zu Zusammenstößen, ja zu Massakern führen. Von da aber ist nur ein Schritt noch zum Verbot der gesamten KPD und ihrer Presse, und wenn wir eines Morgens aufwachen, ist der von diesem Reichstag mit republikanischer Mehrheit noch immer nicht revidierte Artikel 48 in Kraft getreten, und die Reichswehr regiert gemeinsam mit der ihr dann unterstellten und für diese Aufgabe prächtig einexerzierten Polizei.

Schatten von 1923, wen schreckt das nicht?

Die sozialdemokratischen Führer schreckt es nicht. Sie haben es sich auf der andern Seite der Barrikade bequem gemacht und starren unheilvoll fasziniert auf die Gefahr von links. Sie sehen keine andre. Sie fordern von den Kommunisten die Einsicht, die sie selbst vermissen lassen. Was tun die Kommunisten so Gräßliches? Sie vertreten die Sache ihrer Partei. Sie tun es mit den Mitteln einer radikalen Massenpartei. Es sind also keine feinen Mittel, aber es sind die gleichen Mittel, die die alte Sozialdemokratie jahrzehntelang mit bestem Glück angewandt hat. Die Kommunisten sind Opposition, sie holen die Mittel aus dem eignen Arsenal und nehmen die Folgen auf die eigne Kappe. Die sozialistischen Minister dagegen mobilisieren in ihrer Parteisache den Staat, und weil er einmal, wo es gegen links geht, ausnahmsweise funktioniert, geben sie sich der bedenklichen Illusion hin, sie beherrschten ihn, und es würde auch so sein, wenn der Feind rechts stünde. In Hamburg hat, zum Beispiel, der sozialdemokratisch dirigierte Senat für eine bestimmte Zeit die Abhaltung kommunistischer Veranstaltungen selbst in geschlossenen Räumen, also auch Mitgliederzusammenkünfte, verboten. Leben wir denn im Ausnahmezustand? Gelten denn vermottete lokale Polizeiverordnungen mehr als die Verfassung, die das Versammlungsrecht garantiert?

Was hier geschieht, geht nicht nur die beiden Arbeiterparteien an, sondern jeden Republikaner, der nicht das eigne Sehen verlernt hat. Das Kommunistengesetz muß fort, der Staat selbst endlich wieder den legalen Boden finden, den er von der Opposition fordert. Sonst wird eines traurigen Tages der in der Stille gewachsene und vom Überdruß am Kampfe von Rot gegen Rot genährte Fascismus dasein und das Prävenire spielen.

(Die Weltbühne, 21. Mai 1929)


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