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Im Sumpfe der Paläste.

Die Paläste und Schlösser Rußlands ohne Ausnahme verbargen hinter ihren wehrhaften Mauern und prächtig geschliffenen Glasfenstern gar viele und seltsame Geheimnisse.

Die dunkelsten Existenzen mit nicht selten krimineller Vergangenheit fanden zu Rußlands höchster Gesellschaft, den Zarenhof inbegriffen, ihren freien Zutritt.

Vagabunden, Mönche, Klosterschwestern, falsche und echte, trieben hier in den Häusern der Machtgeschlechter mit Reliquien aller Art, mit Knochen von Heiligen, Holzsplittern des heiligen Kreuzes oder der Jakobsleiter einen schwunghaften Handel.

Sie kamen mit Wundergeschichten, die sich an den Gräbern nicht selig gesprochener Heiliger zugetragen, in die Höfe geschlichen, hielten Messen und Gottesdienste nach dem unbekannten, geheimnisvollen Ritual von Klöstern und Kirchen ab, die zumeist gar nicht existierten.

Epileptische und hysterische Weiber, die in ihren Anfällen prophezeiten, ja politisch orakelten, wurden gerne willkommen geheißen.

Die berühmte Klikuschin-Darjuschka, die Rasputin mit an den Hof gebracht, hatte nicht nur die leichtgläubige Zarin stark beeinflußt, sondern auch den Fürsten Putiatin und den General Wojejkow, den Kommandanten des kaiserlichen Hauptquartiers, mit ihrem Prophetentum in ihren Bann gezogen.

Iwanuschka, der Wunderbare.

Der dicke, kahlköpfige und weißbärtige Mönch Iwanuschka, der immer barfüßig, aber sorgfältig pedikürt, in schwarzem Talar und mit einem mit Gold und Edelsteinen bedeckten Bischofsstab durch Petrograd lief, veranstaltete für die Zarin und für die Fürstinnen geheime Gottesdienste, in denen er Christis Erscheinung zu beschwören vorgab.

Der Unmut und die Erregung, die in der Bevölkerung gegen den Betrüger aufflammten, nötigten den feisten Bruder, die gastfreundlichen Ufer der Newa bei Nacht und Nebel zu verlassen.

Die Jungfrau von Petrograd.

In Petrograd erschien im Jahre 1910 in einer Vorstadt plötzlich ein altes Weib, das sich mit Hilfe sehr geschickt organisierter Reklame als die wiedergeborene heilige Jungfrau ausgab.

Scharen von Menschen, Kranke und Unglückliche pilgerten zu dieser heiligen Jungfrau, die sie mit Wasser aus der Newa oder durch die Berührung ihrer Hände heilen wollte. Reiche Geschenke und Gaben wurden ihr dargebracht, mit deren Erlös sie sich in der Provinz ankaufte.

Der Klerus und ein Teil der Presse organisierten schließlich einen Feldzug gegen diese »Madonna«, der aber schnellen Abbruch erlitt. Die Polizei, die Zensur und der heilige Synod selbst machten den eifrigen Popen und den Redaktionen der Zeitungen kund, daß die Heiligkeit der »Jungfrau« Bestätigung gefunden, die Zarin sie sogar empfangen hat.

Einige Jahre lang betrieb diese »Madonna« ganz öffentlich und straflos ihr Gewerbe, bis endlich die Untersuchung anläßlich eines Diebstahles feststellte, daß die »segnende« Hand der »heiligen Jungfrau« samt ihrem Manne, dem »heiligen Joseph«, tätigen Anteil an der Dieberei genommen. Zu Gericht ließ man die Sache zwar nicht kommen, aber die Religionsspekulantin wurde gezwungen, vom Schauplatze ihrer Wundertätigkeit zu verschwinden.

Der Messias von Kronstadt.

Ein überaus markantes Beispiel des Aberglaubens bot der Pfarrer des orthodoxen Domes in Kronstadt, Iwan, Sohn des Sergius Iljin. Ich habe ihn einigemale getroffen. Er war ein sehr geriebener, nervöser, empfindsamer Pope, der die Menge durch sein Gebet mitzureißen wußte und sie durch Wort und Blick unter seinen Einfluß brachte. Er verstand es, durch Suggestion und Hypnose nicht nur einzelne kranke Personen, sondern auch ganze Menschenmassen seinem Willen Untertan zu machen.

Wäre nicht die Betschwester Gulajew, eine Kaufmannsfrau, in sein Leben getreten, wäre er wohl weiter ein guter geistlicher Vater und Pope geblieben.

Die Betschwester wußte aber sofort die Aufmerksamkeit mächtiger Aristokraten aus der Hofkamarilla auf den damals noch jungen Popen zu lenken und machte sich zu seinem Impresario.

Iwan aus Kronstadt begann nun seine schauspielerischen Fähigkeiten als Geistlicher und Prediger zu verwerten.

Das von der Betschwester geleitete Unternehmen entwickelte sich günstig. Nach einem Jahre wurde schon von den wunderbaren Heilungen, Totenerweckungen und Weissagungen des Iwan aus Kronstadt erzählt.

Geld in Hülle und Fülle, Ehrungen aller Art, hohe Beziehungen und großer Einfluß wurden die nicht unterschätzten Begleiterscheinungen dieser Heiligkeit. Auf seine Veranlassung hin wurden prächtige Kirchen, Schulen und Spitäler gebaut, doch versäumte er es auch nicht, eigene Häuser und Landgüter bauen zu lassen und für das Gedeihen seines Bankkontos Sorge zu tragen.

»Iwan, der Heilige! Iwan, der Prophet Gottes!« rief laut die Menge.

Der Klerus war mißvergnügt, aber der Zar Alexander III. hielt Iwan aus Kronstadt hoch in Ehren. Als der Herrscher aller Reußen im Sterben lag, ließ er sich Iwan nochmals an sein Lager kommen und küßte ihm nach dem Empfange der heiligen Sterbesakramente in frommer Ekstase die Hände.

Die geschäftstüchtige Gulajew fand nach des Zaren Tod die Zeit für gekommen, Iwan den Wunderbaren als den zum zweitenmal zur Welt gekommenen Messias ausrufen zu lassen.

Das war aber doch des Guten zu viel. Der Klerus und das Oberhaupt des heiligen Synod traten dieser Betrügerei endlich energisch entgegen und nur dem Schutze der Kaiserin-Witwe hatte es Iwan zu verdanken, daß er sich ohne Schaden aus der Affäre ziehen konnte. Man zwang ihn aber, sich künftighin nur mit den Angelegenheiten der Kronstädter Kirche zu befassen und stellte seiner Sehnsucht nach der Gottesverwandtschaft energische Grenzen.

Bald nach dieser Niederlage starb Iwan von Kronstadt. Die unermüdliche Gulajew aber verbreitete nun die Nachricht über Wunder und Zeichen, die sich am Grabe des Verstorbenen ereigneten. Bis zum Oktober 1917 konnte sich dieser Unfug behaupten, da wurde der schlauen Gulajew durch die Bolschewiken das Geschäft verdorben, denn diese zerstörten das Grab des Wundertäters und warfen seine Körperreste in das Meer.

In den Palästen der Aristokratie rechnete man sich das Erscheinen des heiligen Iwan als hohe Ehre an und zahlte für dieses Vergnügen, das manchmal monatelang auf sich warten ließ und als ein glücklicher, seliger Moment gepriesen wurde, der Frau Gulajew 500 Goldrubel.

So ungefähr sah der christliche Mystizismus in den Palästen des russischen Adels aus und nebenher feierte der Teufel sein Bacchanal.

Der Okkultismus und eine krankhafte Begeisterung für die weiße und schwarze Magie beherrscht die Gesellschaft. Aber nicht als harmlose Zerstreuung und nicht aus wissenschaftlichem Interesse für diese geheimnisvollen Erscheinungen wurde dieser Mystizismus gepflegt, es war allen diesen Sitzungen immer die realste Politik beigemischt und die lebenstüchtigsten Intrigen waren im großen Maßstabe da stets im Spiele.

Das deutschfeindliche Orakel.

Ich erwähnte schon einmal, daß ich im Palaste des Fürsten Leuchtenberg, eines Vetters des Zaren, Unterricht erteilt habe. Ich habe dort verschiedene hohe Würdenträger aus dem kaiserlichen Hause kennen gelernt und wurde von einem der Herren zu einem Abend eingeladen, der durch eine aus Paris erst angekommene Berühmtheit beehrt werden sollte. Es war der sogenannte König des Okkultismus, Professor »Papus«. Die Seance im Hause des Fürsten Leuchtenberg verlief ohne Erfolg. Kaum wahrnehmbare Lichterscheinungen, Geräusche und Klopflaute, irgendwelche kalte Berührungen, das war alles, was dieser »König« erreichen konnte. In den mystischen und okkultistischen Kreisen Frankreichs und Zentralasiens hatte ich schon viel bedeutenderen Sitzungen dieser Art beigewohnt.

Einige Tage nach dieser Seance kamen mir ganz sensationelle Gerüchte zu Ohren.

Im Palaste eines der einflußreichsten Großfürsten hatte Papus in Anwesenheit des Zarenpaares die Geistererscheinung eines verstorbenen Zaren gerufen, die dem letzten Romanow den Befehl gab, eine gegen Deutschland feindlich gesinnte Politik einzuschlagen, um den Krieg gegen Preußen heraufzubeschwören. Weiters verwahrte sich der Geist gegen die Politik des Grafen Witte und gegen den Einfluß einer mächtigen, schönen Frau, in der alle Anwesenden die ... hessische Prinzessin ..., die russische Zarin, zu erkennen glaubten.

Papus wurde nach dieser lapidaren, sogar für die russischen Verhältnisse zu sehr durchsichtigen Intrige gezwungen, Rußland ohne Möglichkeit einer Wiederkehr zu verlassen.

Onore.

Nicht so einflußreich wie Papus, doch nicht weniger geheimnisvoll, trat ein gewisser Onore, ein früherer bescheidener sibirischer Beamter, auf.

Diese allen unbekannte Persönlichkeit hatte während ihrer Dienstjahre in Sibirien den Schamanismus der dortigen altaischen Einwohner studiert und fing auf eigene Faust seine Praktiken an, die ausnahmslos auf Massen- und Einzelsuggestion beruhten. In kurzem hatte sich die Nachricht über seine wundertätigen Heilungen verschiedener nervöser Krankheiten bis in die großen sibirischen Städte verbreitet, so daß eine Unzahl von Patienten den wundertätigen Onore aufsuchte. Dieser Umstand veranlaßte ihn, seinen Aufenthalt in Sibirien aufzugeben und ein größeres Betätigungsfeld aufzusuchen. In Petrograd angekommen, behandelte er anfangs ganz kostenlos nur die Allerärmsten, womit er seinen Ruf in der Hauptstadt begründete. Nach einer gewissen Zeit aber fing er auch an, reiche Patienten anzunehmen, von denen er sich große Honorare zahlen ließ. Da mischte sich aber die Ärztekammer in die Angelegenheit mit der Begründung, daß der Hypnotiseur kein diplomierter Arzt wäre und untergrub ihm die Ausübung jeglicher Praxis. Das Verbot wurde aber nicht eingehalten, so daß seine Praxis immer mehr zunahm und sich immer einträglicher gestaltete. Keine Behörde vermochte es, ihm entgegenzutreten, obgleich Onore manche schwere Gefährdung des Lebens und der Gesundheit auf sein Gewissen lud.

Gewisse Hofkreise, welche den Mystizismus und das Interesse der Zarin für Geheimwissenschaften immer auszunützen wußten, hatten sich Onore engagiert und ihn in die Rasputin-Gruppe eingeführt, an deren Spitze die Gräfin Ignatiew und der Fürst Putiatin standen. Von da an wurde Onore in die reaktionärsten Salons eingeladen und sogar von der Zarin empfangen, der er bei ihren Nervenanfällen mit seinen hypnotischen Umtrieben zur Seite stand.

Die Teufelssekten.

In Petersburg und Moskau wurden einige Namen von Personen laut, die als Priester und Priesterinnen dem Teufelskult huldigten. Unter diesen befanden sich auch orthodoxe Popen, einige Literaten, drei bekannte Kabarettsängerinnen und ein gewisser General Schulman. Über die Scheußlichkeit dieser »schwarzen Messen«, über die Ausschweifung, von denen solche Teufelsorgien begleitet waren, und über die unmoralischen Erregungszustände dieser Satanisten sprach man nicht wenig. Die Orgien im Klub der neunundsechzig Damen, die geheimen Rendezvous von Herren und Damen an ungeraden Donnerstagen, die Montage der »Unschuldigen« und eine ganze Reihe ähnlicher Vereine und Klubs verseuchten psychisch und physisch die Gesellschaft Rußlands.

Opium, Haschisch, Kokain und Alkohol wurden unter dem Deckmantel religiöser Andachten genossen. In erschreckendem Grade wurde diesem Kultus gehuldigt, der dem Untergange des Reiches vorausging.

Diese Festgelage und bacchantischen Ausschweifungen fanden im Schutze der fürstlichen Paläste statt.

Die Katastrophe des inneren Reichsverfalles wuchs so lawinenhaft an. Der Pöbel der Straße und die Sowjet-Soldateska hatte leichtes Spiel mit einem derart zersetzten Reich.

Und es mußte so kommen, nur Ströme von Blut konnten aus solchem Wahnsinn aufrütteln.

So reichte ein Irrsinn dem anderen die Hand.

Armes Rußland!


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