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Die Giftmischer.

Die Tragödie des Lebens hat ihre Mächte überall, in den Palästen der Fürsten und Bankiers ebenso wie in den strohgedeckten Hütten der Armut.

Rache, Haß, Verrat, enttäuschte Liebe, verbrecherische Instinkte, sie finden Unterschlupf überall, in den Städten, großen und kleinen Dörfern, selbst in den verborgensten Dörfern, auf Bergen, in Sümpfen und Wäldern, mit einem Worte allüberall.

Da aber, wo noch dunkles Heidentum, mongolische Psyche, Seele ruhelosen Nomadentums nistet, hausen sie üppig.

Messer und Axt sind in Rußlands dunklen Ländereien nicht selten die Werkzeuge unseliger Taten.

Dem Mord aber folgt das Gericht auf dem Fuße und um des Gerichtes willen geschieht der Totschlag nicht.

Gift macht nicht blutig, es ist heimlich wie die böse Tat und das alte Weib, die »Viedunja«, die versteht es zu mischen, wie man es braucht.

Die russischen bäuerlichen Lokusten kennen ausgezeichnet die Botanik und sind im Besitze des schon fast verschollenen Wissens über die Urkräfte von Gräsern, Kräutern, Blumen und Wurzeln, das sie geheimnisvoll hüten.

Das ganze Jahr lang, tagein, tagaus, höchstens den strengsten Winter ausgenommen, streichen diese Weiber durch Wald und Feld, nach ihren Pflanzen suchend, welche sie zum Zaubern, Heilen und Töten brauchen, wie es eben das Geschäft gerade verlangt.

Strychnin, Nikotin, Atropin, Morphium, die Gifte faulenden Fleisches, das Drüsengift der Schlangen, Spinnen und Kröten, die Ansteckungsgifte eines Tetanus, die Bakterien der Wald- und Sumpfpflanzen, alle Geheimkräfte versunkener heidnischer Wissenschaft sind den Lokusten wohl bekannt.

Das große Geheimnis der Giftmischerei wird heilig gehütet und von der »Viedunja« nur wieder der vertrauten und erprobten Gehilfin als Erbe übergeben.

Zumeist ist die Gehilfin der »Viedunja« ein geraubtes Kind, das sich die Giftmischerin taubstumm macht, um der Geheimhaltung ihrer Kunst sicher zu sein.

Gehacktes Menschenhaar, Glasscherben, Rinds- und Fischgalle spielen außer den Giften aller Art bei den Praktiken der »Viedunja« wichtige Rollen.

Die Menschen tötet die Viedunja durch Vergiftung von Speise und Trank und durch die Präparierung von Messern und Nadeln, mit denen der Gegner zufällig verletzt wird. Auch Bettkissen werden vergiftet, um den Schlafenden durch den Giftdunst zu töten.

Als mich das Gericht der ersten russischen Revolution zu zwei Jahren Festung verurteilte, lernte ich eine Viedunja kennen, die wegen einer ganzen Reihe von Giftmorden 15 Jahre Kerker zu verbüßen hatte.

Sie war nicht mehr ganz jung, äußerst mager, mit einem unheimlichen, düsteren Gesicht und einem immer nach rückwärts gerichteten Blick.

Ihre Bewegungen waren langsam und faul, doch ihr schleifender Schritt und das immer suchende Auge waren von tierischer Vorsicht erfüllt.

Nur selten hob sich ihr schwerer Blick vom Boden hoch und einmal traf er auch mich, dieser unbewegliche, übernatürliche Blick und mir war es, als durchbohrte er mir die Seele.

Wie viele ihrer Opfer, die sich sterbend in ihren Schmerzen vor ihr gewunden haben, mag sie mit der Kraft ihrer Augen so wie mich durchdrungen haben?

Was für Gedanken nisten in diesem Schädel, der sich so wackelig auf langem, dünnem Hals bewegt?

Was für ein Herz kann in dieser Brust schlagen? Sie war eine Verbrecherin größten Formats.

Die Gerichte der verschiedensten Gouvernements haben allein zwanzig der durch diese Viedunja getöteten Menschen entdeckt, wohl nur ein kleiner Bruchteil ihrer zahllosen verborgen gebliebenen Giftopfer.

Das Leben einer solchen Viedunja ist ein rastloses Wandern von Ort zu Ort, denn nach vollbrachtem Mord muß sie, mit Geld oder Geschenken versehen, eiligst den Ort fliehen, um den nachforschenden Behörden zu entgehen.

Im Gefängnis, das ich mit der Viedunja Irene Gulkina teilte, verbreitete sich plötzlich das Gerücht über ein neu aufgedecktes Verbrechen dieser Giftmischerin.

Das Gericht eines südlichen Gouvernements hat den Beweis erbracht, daß die Erben eines großen Gutsbesitzers durch Giftmord der Gulkina um das Vermögen betrogen und ihres Lebens beraubt wurden.

Der Gutsbesitzer und seine unmittelbaren Erben starben plötzlich eines rätselhaften Todes, so daß die reiche Erbschaft einer entfernten Verwandtschaftslinie zufiel.

Die Untersuchung hatte die Beweise des Giftmordes erbracht und die Auslieferung der Täterin aus Sibirien nach Südrußland wurde verlangt.

Seit sie dies weiß, die Viedunja, ist sie noch ernster und finsterer als sonst. Noch schlürfender und langsamer ist ihr Schritt, ihr Blick bleibt immer wie suchend auf der Erde und stumm ist sie geworden wie das Grab.

»Die Todesangst peinigt sie«, raunen sich die Häftlinge zu, »sie weiß es schon, sie wird gehängt«.

Der Tag ihres Abtransportes ist angebrochen.

In der Nacht davor erkrankt die Viedunja, man findet sie in Schweiß gebadet und sich in Schmerzen windend, bis sie in Ohnmacht fällt.

Am Morgen Findet sie die Aufwärterin in der Ecke der Zelle in einer unnatürlichen, kauernden Stellung.

Nähertretend erkennt sie, daß Irene Gulkina tot ist.

Sie hat sich selbst gerichtet.

Die Giftgräser zu ihrem Selbstmord hat sie im Gefängnishof gefunden, darum war ihr Auge in den letzten Tagen auch so suchend.

Einen Rest dieses Grases fand man in dem Knoten eines Tuches, welches sie bei sich verborgen getragen.


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