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Schrecken des Meeres.

Der Banditismus des Meeres gehörte zu Rußlands schrecklichsten Erscheinungen.

Vor ungefähr 35 Jahren haben Fremde und Russen dieses Raubrittertum des Meeres begründet. Diese ersten Meeresbanditen gehören heute zum Teil den reichsten Kaufleuten und Grundbesitzern an.

Es waren Leute, die das Meer von Jugend auf gründlich kannten. Sie hatten sich einige ebenso starke wie behende Segelschiffe gebaut, die Mannschaft aus den verschiedenen verbrecherischen Elementen, die in den Häfen herumlungerten, zusammengesucht und so ihre Tätigkeit begonnen, die darin bestand, die amerikanischen, die japanischen und chinesischen Segelschiffe auf dem offenen pazifischen Ozean oder auf dem chinesischen Gelben Meere anzufallen, sie zu berauben, die Mannschaft zu töten und die Schiffe zu versenken. Die geraubte Beute wurde dann als Ware in den kleinen Läden der Hafenstädte verkauft. Auf diese Art haben sie ungeheure Geschäfte gemacht, die ihre Basis zu den späteren Reichtümern, Ehren und sozialen Stellungen bildete. Bis zum heutigen Tage haben sich Legenden über diese Piraten erhalten, die aus internationalen Elementen zusammengesetzt waren.

Am ganzen pazifischen Ozean waren die Segelschiffe dieser fürchterlichen Seeräuber gefürchtet, da ihnen nicht nur die fremden Schiffe zum Opfer fielen, sondern auch die nahe am Meeresufer gelegenen Ansiedlungen der russischen Kolonisten.

Die Kommandore-Inseln, auf denen zahlreiche Seehundsherden lebten und die darum unter der Obhut der Petersburger Regierung standen, bildeten oft den Schauplatz blutiger Zusammenstöße der Piraten mit einer geringen Zahl Soldaten, denen die Bewachung der kostbaren Seehunde anvertraut war. Die Piraten haben meistens gesiegt und vernichteten rücksichtslos große Mengen dieser schon seltenen Tiere, um ihre Felle nach Amerika oder Deutschland zu verkaufen.

Auf dem Bering-Meere wiederum pflegte diese Bande plötzlich die illegalen Kolonisten aus Japan und Alaska, welche einen Tauschhandel mit den Eingeborenen aus Kamtschatka, Anadyr und der Tschuktschen-Halbinsel führten, anzufallen und zu töten.

Am Grunde dieser Meere liegen unzählige Opfer dieser räuberischen Piraten. Nach der Vernichtung der Fremdlinge gingen die Streifzüge in das innere Land, wo sie den herumirrenden Mongolen Gold, Edelsteine, Pelzwerke und alles, was einen Wert besaß, abnahmen.

In einer kleinen Bucht im Norden von Wladiwostok hatten die Banditen ihr Hauptquartier, da verteilten sie die Beute unter sich und brachten sie neu verpackt nach Wladiwostok zum Verkauf an die fremden Schiffe, mit denen sie in Handelsbeziehungen standen. Die russische Administration wußte von der Tätigkeit dieser Bande, hüllte sich aber in Schweigen, da ihr seitens der Banditen ein großer Teil des Verdienstes überlassen wurde.

Diese Zustände waren allgemein bekannt und es gingen nicht wenig Rapporte und Denunziationen nach Petersburg. Die kompromittierten Beamten wurden zwar ihrer Stellungen beraubt, doch weiter in der Stadt gelassen, wo sie sich für ihr Diebsgeld große Terrains, Häuser und Landgüter kauften und ein reiches und lustiges Leben zu führen begannen.

Wladiwostok war auch eine zu bequeme Stadt für den mittelalterlichen Unternehmungsgeist solcher Piraten.

Es war eine Grenzstadt mit Kriegscharakter, die Japan trotzte und sich allmählich befestigte. Vor zirka 30-35 Jahren hat eine Reise von Moskau bis nach Wladiwostok, das damals ein vergessenes und hoffnungsloses Nest war, 3 Monate gedauert. So geschah es denn, daß Offiziers- und Beamtenstellungen zumeist von Leuten besetzt wurden, die eine sehr dunkle Vergangenheit und einen unternehmungslustigen Charakter mit einem Stich ins Verbrecherische hatten.

Charakteristisch für dieses Verbrechernest war die Existenz eines Vereines, der »Lancepupen«. Ich kenne die Abstammung dieses Namens nicht, doch der Inhalt und der Zweck dieses Vereines ist mir genau bekannt. Im eigentlichen Sinne des Wortes war es ein Verein von Alkoholikern, deren Mitglieder dem Trunke völlig ergeben waren. Es war ein Klub, der nur fünfzig Mitglieder zählte. Das Trinken wurde hier auf seltsame Weise ausgeübt. Entweder trank man ganz reinen Alkohol oder den stärksten Rum, und zwar aus großen Teegläsern. Es wurde auf Kommando auf das Zeichen einer durch einen chinesischen Boy jede fünf Minuten aufgedrehten Weckuhr getrunken. Dazu wurde ein Stückchen trockenes Brot gegessen.

Manchmal wurde auch bei jedem Bellen eines Hundes, bei jedem Rasseln eines vorüberfahrenden Wagens, bei jedem Geräusch, das auf der Straße zu hören war, getrunken und da der Klub sich auf der einzigen Straße der Stadt, auf der »Swietlanka« befand, so fehlte es nie an Anlaß zum Suff. Die Leute fielen der Trunksucht in kurzer Zeit anheim, die mit Raserei, Delirium tremens, einer endgültigen Vertierung und oft mit Selbstmord endete.

Unter dem Einflusse des Alkohols haben die Mitglieder des Lancepupen-Klubs einen grauenhaften Zeitvertreib, das »Tigerspiel«, erfunden.

Alle anwesenden Mitglieder nehmen auf Leitern und auf Schränken, die im Saale herumstehen, Platz, nur zwei Spieler unten zurücklassend. Der eine, mit geladenem Revolver in der Hand, spielt den Jäger, der zweite, eine Glocke tragend, stellt den Tiger vor. Ist alles so weit, wird das Licht ausgelöscht, so daß völliges Dunkel herrscht.

Auf das Kommandowort: »Anfang« laufen die Spieler auseinander. Nach einer Weile hört man das leise Klingen der Glocke und das Geräusch eines laufenden oder springenden Menschen. Dann ein Schuß.

Der Jäger hat auf den Tiger geschossen.

Dem Schusse folgt das Aufstöhnen des verwundeten Menschen und der Fall des zu Boden stürzenden Körpers.

»Das Licht anzünden«, ertönt das Kommando.

Man holt Lampen herbei und weidet sich an dem Resultate des Kampfes. Der Verwundete wird ins Spital gebracht, der Getötete an das Ufer des Meeres. Hat aber der Jäger fehlgetroffen, so wird der Tiger zum Jäger und das grauenhafte Spiel geht weiter.

Als im fernen Osten Rußlands das reformierte Gerichtsverfahren eingeführt wurde, als dorthin neue, wirklich kultivierte Prokuratoren und Untersuchungsrichter geschickt wurden, nahm das Banditenwesen allmählich sein Ende.

Der erste Prokurator des Gerichtes von Wladiwostok, der eine Untersuchung in der Angelegenheit des Banditentums wagte, war Buschajew. Alle Beweise der vielen früheren Verbrechen hielt er schon in der Hand und erhob die Anklage, um die Schuldigen zur Verantwortung vors Gericht zu führen. Dumpfe Gerüchte tauchten darüber in Wladiwostok und den benachbarten Städten auf. Eines Tages wurde der Prokurator, der ein leidenschaftlicher Jäger war, durch die Sportgesellschaft zu einer Hirschjagd eingeladen. Sie fand auf der Insel Askold im Meerbusen Peter des Großen, in 45 Kilometer Entfernung von Wladiwostok statt.

Die Jagd war glänzend verlaufen, denn 32 Hirsche wurden erlegt. Als schon das Hornsignal ertönte, um die Jäger auf das Schiff zurückzurufen und sich alles auf dem Deck eingefunden hatte, bemerkte man, daß der Prokurator fehle. Man fand ihn mit einer Kugel im Kopfe.

Die Meeresbanditen kannten sehr wohl den Mörder des mutigen Richters.


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