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Das Geheimnis des nördlichen Tempels.

I.

Irgendwo, unweit vom südlichen Ufer der Insel Hokkaido, zwischen Bergen und Wäldern, steht ein jahrhundertealter buddhistischer Tempel. Es gibt selten jemanden, der dieses alte, düstere Gebäude mit dem im Halbdunkel aufgestellten Bildnisse des weisen Gautama besucht und die erschreckenden, fratzenhaften Gesichter der verschiedenen Götter, die am Altare, an den Wänden des Tempels und auf den altersgeschwärzten, mit Spinngeweben bedeckten Regalen an der aus dicken Zypressenbalken gezimmerten Decke angebracht sind, mit Interesse betrachtet. Nur einige alte Mönche behüten diesen vernachlässigten und von den Frommen gar nie besuchten Standort des Buddha Sakya-Muni und verbessern mit ihren abgearbeiteten Händen die Schäden, die durch die unbarmherzige Zeit und die gefräßigen Ratten verursacht worden sind.

Die Greise bekämpfen diese Tiere mit allen möglichen Mitteln und ebenso vernichten sie die vielen Nester der Fledermäuse, die sich hinter den Götterstatuen eingenistet haben. Die Mönche führen ein mühseliges Leben, voll Arbeit von früh bis spät und, obgleich sie schon mehrmals den Befehl vom ältesten buddhistischen Priester aus Kioto erhalten haben, diesen Tempel seinem Schicksale zu überlassen, da alles einmal zu Grunde gehen und der Vergessenheit anheimfallen muß, so haben doch die frommen Greise ersucht, im Tempel bleiben zu dürfen, um ihn weiter vor der endgültigen Vernichtung zu beschützen. Ein Gedanke, der voll Verständnis und Liebe für die Menschen war, zwang sie, dort zu bleiben.

 

II.

Unweit von Hakodate wurde in einer kleinen Fischeransiedlung im Juni ein Nationalfest gefeiert. Dieser Feier schloß sich ein Wettrudern der Fischer in ihren leichten Barken und ein Wettbewerb der Jugend um den Titel des besten Schwimmers und Tauchers an. Nicht nur die Ortsbewohner, sondern auch viele Zuschauer aus Hakodate, Sawara und Nakanosawa hielten die Ufer dicht besetzt, um das Schauspiel zu sehen.

Der interessanteste Teil der Vorführung war der Kampf eines Schwimmerpaares: eines Mädchens und eines Jünglings.

Cuki-Akijama war die Tochter des reichsten Fischers in Hakodate, der während der Fischzeit dreißig große Boote auf das Meer hinausschwimmen ließ; so reich war er, daß er mit seinen Netzen die ganze Bucht Iburi, vom nördlichen Mororan bis zur südlichen Sawara hätte umspannen können. Seines Reichtums wegen war er stolz und hochmütig im Verkehre mit seinen Mitmenschen, doch sein größter Stolz und sein größter Ehrgeiz war seine Tochter Cuki. Das Mädchen sah aus wie die Nymphe Urakawa, hoch gewachsen, stark gebaut, kräftig und behend in ihren Bewegungen, als wäre sie ein Jüngling, der sein ganzes Leben auf dem Meere bei Netzen, Rudern, Segeln und Tauen verbracht hatte. Sie war erst siebzehn Jahre alt, auf ihrem kindlichen, bronzenen Gesichtchen aber spiegelte sich so viel Keckheit und Mut, daß man sie ohne Lächeln nicht ansehen konnte.

Die reichsten Fischer und Kaufleute, einige Marineoffiziere sogar warben beim Vater um ihre Hand. Doch dieser runzelte nur drohend seine Stirne und schickte sie zu dem jungen Mädchen, um sich von ihr selbst die Antwort zu holen. Cuki schlug sich lachend auf ihre festen, starkgeformten Hüften und ihre blendend weißen Zähne zeigend, antwortete sie:

»Ja, warum nicht, doch will ich einen Jüngling zum Manne haben, der bei der Prüfung besser und weiter schwimmen kann.« Einige in Cuki sterblich verliebte Männer hatten diese Bedingung angenommen; einer von ihnen ertrank beim Vorgebirge Schiokubi, andere wieder kehrten beschämt zurück und erzählten, niemand könne dem Mädchen gleichkommen, das immer weiter und weiter schwimme und sicher sogar den Ozean zu durchqueren im Stande wäre. Sie aber wären nicht gewillt, ihr Leben in Gefahr zu bringen, falls sie mit der waghalsigen Musmé vielleicht eine so gefährliche Hochzeitsreise nach Amerika unternehmen sollten.

So kam es, daß Cuki in der ganzen Gegend von Hokkaido die »unnahbare« Musmé genannt wurde, als die beste Schwimmerin galt und stolz auf diesen ihren Ruf war.

In diesem Wettschwimmen trat ihr nun als Partner ein in der ganzen Gegend von Hokkaido unbekannter Jüngling entgegen. Als er sich den Richtern vorstellte, gab er an, er heiße Ten-Schiahara und sei ein Fischer von der Insel Repun, von wo aus er weite Streifzüge unternehme, um Haifische und Seehunde zu fangen.

Seine Kleidung war äußerst bescheiden, ja fast ärmlich; sein dunkelblaues Kimono ließ dagegen eine mächtige, stark gewölbte Brust und feste Beine erblicken. In seinem Wesen war der junge Mann gelassen, wortkarg und schien in sich gekehrt zu sein.

Als er im Teehause saß, drang eine spöttische Bemerkung über den frechen, fremden Fischer an seine Ohren, die er äußerst ruhig entgegennahm, seine Augen leuchteten aber freudig auf, als er jemanden über Cuki Akijama sprechen hörte. Man erzählte sich von ihrer unübertroffenen Schwimmkunst und von den Bedingungen, die sie an ihre unglückseligen Freier gestellt hatte.

»Hai,« (ja) murmelte er nachdenklich in sich hinein und ließ ruhig einen Rauchstreifen nach dem anderen aus seiner kleinen Fischerpfeife aufsteigen.

Währenddessen hatte Cuki überall nach ihrem Wettbewerber gesucht, um ihn zu beschauen und seinen Wert mit den Augen zu prüfen und wurde bald von einem jungen Fischer in das Teehaus, wo Ten-Schiahara saß, hineingeführt.

»A! Cuki-Akijama!« riefen die jungen Fischer im Chor, »Gokigen-jo!« Morgen erwartet dich wieder ein neuer Triumph, du Wassernymphe!«

Das Mädchen lächelte und begann von der Seite den neuangekommenen Fischer zu beobachten; sie sah ein schwarzgebräuntes männliches Gesicht, das einem Habicht glich, eine gewaltige Brust, muskulöse Arme, die aus den breiten Ärmeln des Kimonos hervorschauten.

Er wiederum sah sie mit gleichgültigen Augen an, rauchte ruhig seine kleine Pfeife weiter und noch einen flüchtigen Seitenblick auf das Mädchen werfend, wendete er sich mit ziemlich lauter Stimme an die hinter der Lade stehende Dienerin: »Wie nennt sich diese Musmé? Diese, welche am Fenster sitzt? Ich glaube, sie müßte eine gute Schwimmerin sein, da sie einen so starken Körper und solch mutige Augen besitzt«.

»Was, Du kennst Cuki-Akijama nicht? Sie ist ja die erste Schwimmerin in ganz Hokkaido! Mit ihr trittst du eben morgen in den Kampf. Schau nur zu Junge, daß du nicht untergehst!«

Sie lachte auf und ging einen neuen Gast zu empfangen.

»Ihr scheint nicht viele gute Schwimmer in eurem Hokkaido zu haben!« murmelte Ten leise vor sich hin. Cuki aber hatte diese Worte gehört, fühlte das Herz in ihrer Brust erbeben, sie errötete und krampfte zornig ihre kleinen Hände ineinander.

»Awoj-fukuro« (Warte nur) du dunkelblauer Sack, du! Morgen wird es dir gut ergehen, dachte das Mädchen empört und schüttelte trotzig ihren Kopf.

 

III.

Am nächsten Morgen, um neun Uhr sprang Cuki-Akijama auf ein von den Richtern gegebenes Zeichen in das Meer und schwamm eilig hinaus. Der erste Punkt des Wettschwimmens lautete: Im schnellen Tempo, kurze Distanz.

Cuki sah in ihrem Schwimmanzug, der Brust, Arme und Beine entblößte, reizend aus. Ihr goldbronzener, starker und wohlgestalteter Körper zog die Augen der Menge auf sich.

»Ej!« seufzte ein Kleinbürger, »glücklich der, der sie bekommt!«

»Ja,« stimmte ein anderer zu, »das Mädchen sieht wie eine Nixe aus, wie eine Fee aus alten Fabeln.«

Währenddessen durchschnitt Cuki kräftig mit ihren wohlgeformten, starken Armen die Wellen, die bei ihren Schlägen sich mit weißer Gischt bedeckten. Sie fürchtete, sich umzuschauen, aus Angst, den hinter ihr schwimmenden Ten-Schiahara zu erblicken.

Er aber in seinem Schwimmkostüm stand noch am Ufer und ließ seine breite, kuppelartige Brust, seine muskulösen Arme und Beine, die wie aus dicken Lederriemen zu sein schienen, sehen. Er stand da und schaute mit einem leuchtenden und freudigen Blick dem sich entfernenden Mädchen nach.

»Cuki-Akijama! Wunderbares Mädchen,« flüsterte er durch seine zusammengebissenen Zähne.

Als man nur mehr mit Mühe die rote Gummihaube auf dem schwarzen Haare der Schwimmerin erblicken konnte, rief einer von den Richtern:

»Ten-Schiahara, auf was wartest du? Vielleicht hast du deinen Vorsatz, mit unserer Cuki in den Kampf zu treten, aufgegeben?«

»Ich habe Zeit!« antwortete dieser gleichgültig und langsam den Gürtel um seine Hüften festschnallend, warf er sich in das Wasser.

Die Japaner als gute Kenner der Schwimmkunst hatten sofort erkannt, daß sie einen Meister vor sich hatten, der mit in Japan unbekannten Bewegungen rasch vorwärts glitt.

Er sprang von Zeit zu Zeit aus dem Wasser heraus und warf seine Hände weit vor sich her, als ob er durch unsichtbare Seile weiter und weiter fortgezogen würde in das offene Meer, dort wo die Gummihaube des Mädchens als roter Fleck aufleuchtete.

Sich leicht und behend vorwärtsbewegend, stieg der Fischer aus den Wogen immer von neuem herauf, einem Delphin gleich auf der Jagd nach eilig schwimmenden Fischen. Von seinem gebräunten Rücken und den hoch aufgeworfenen Beinen floß das Wasser perlend herunter und der helleuchtende Körper schimmerte golden in den Strahlen der Sonne.

Das Wettrennen begann. Cuki sah sich um ..., sie wunderte sich, kein Geräusch des Schwimmers zu hören ..., da erblickte sie plötzlich über dem Wasser den sich hochhebenden Körper ihres Gegners, der sich ihr blitzschnell näherte. Ihre ganze Kraft zusammennehmend, schoß sie auf das im Meere gesteckte Ziel zu, erreichte es und wendete sich rasch nach dem Ufer, um die zweite Hälfte des Rennens zu bewältigen. Als sie auf eine Sekunde mit ihrem Gegner zusammenstieß, rief er ihr zu:

»Strenge dich nicht umsonst an, schöne Cuki, du mußt ja die Wette verlieren!«

»Das werden wir sehen!« antwortete sie, und mit Anstrengung schwamm sie dem Ufer entgegen.

Schiahara kam seinerseits an das gesteckte Ziel, umkreiste es und eilte ihr nach.

Den Zuschauern schien es, als ob er ein fliegender Fisch wäre, der der Verfolgung eines Delphins entflieht; so rasch kam er vorwärts. Sie begriffen nun, daß das Wettrennen von kurzer Dauer sein werde. Der Fischer hatte indessen, ohne sein Tempo zu verändern, das Mädchen erreicht und schwamm ruhig ihr zur Seite.

»Vielleicht bist du müde geworden, Mädchen? Erlaube, daß ich dich ein wenig stütze.«

Ohne zu antworten, beschleunigte Cuki ihre Bewegungen.

»Willst du nicht mit mir sprechen? Nun gut ..., dann schau nur zu, wie man schwimmen soll, lerne und du wirst vielleicht im nächsten Jahre die Allererste in der Gegend sein, falls ich nicht kommen sollte.«

Mit einem starken Schlag entfernte er sich von ihr und, ohne nach rückwärts zu schauen, begann er wieder seine Sprünge auf dem Wasser zu machen und sich wie ein Haifisch auf den Rücken der Wogen zu legen und von einer Seite auf die andere zu schwingen.

Cuki-Akijama aber war noch weit vom Ufer entfernt, als der Fischer schon das Handtuch, womit er seinen Kopf umwickelt hatte, ausrang und ruhig die begeisterten Richter, die schreienden Zuschauer und das heranschwimmende Mädchen ansah.

»Wir haben noch nie einen solchen Schwimmer getroffen, junger Mann!« rief der alte Dorfschulze Akijama aus.

»Wir von der Insel Repun, wir schwimmen alle so!« antwortete dieser bescheiden, seine ruhig atmende gewaltige Brust dehnend, die zwei aneinander gelegten Schilden glich.

Einige Minuten später kam Cuki herangeschwommen und hinter ihr die anderen Wettbewerber mit bösen und traurigen Gesichtern, Cuki aber hatte die Augen voll Tränen und atmete schwer.

»Wie konnte er es wagen, so dreist zu sein und mich auf solche Weise zu verspotten ...« sagte sie, vor Zorn weinend und mit ihren nackten Füßen aufstampfend.

Jetzt ließ sich die Stimme des Richters vernehmen:

»Ten-Schiahara ist Sieger und erhält den ersten Preis, den zweiten bekommt Cuki-Akijama!«

Die Menge stimmte ihm zu und brüllte, wie es ihre Gewohnheit ist.

Dann fanden noch andere Rennen und Kampfspiele am Wasser statt, ganz am Ende aber sollte das wichtigste von allem kommen: Das Schwimmrennen auf längste Distanz.

Zehn Schwimmer hatten sich dazu gemeldet, unter ihnen Ten-Schiahara und Cuki-Akijama.

Der Richter blies in seine Muschel und sofort waren zehn halbnackte Gestalten ins Wasser gesprungen. Die Wettbewerber schwammen anfangs langsam und ruhig, da ihrer eine schwierige Aufgabe wartete, um so schwerer, da sich plötzlich der Wind erhoben hatte, der die Wogen hochgehen ließ und ihre Köpfe mit weißem Schaum bedeckte.

Ten-Schiahara schwamm dagegen rasch vorwärts, fast so rasch als damals, da er Cuki erreichen wollte. Er eilte wie ein Pfeil allen voraus und verschwand sofort in der Ferne. Nur durch ein starkes Glas konnte man vom Ufer aus seinen tuchumwundenen Kopf erblicken.

Einer nach dem anderen kehrten die Schwimmer am Rücken liegend zum Ufer zurück, nur Ten-Schiahara eilte weiter und weiter.

Durch ein starkes Fernrohr sah man ihn, wie er die Hände nach seiner Art um sich warf und mit großen Sprüngen von einer Woge auf die andere schoß; endlich schien er sich aufzuhalten und sich auf den Rücken zu legen.

Nach einer gewissen Zeit kam ihm das Mädchen nach ... der Fischer stellte sich im Wasser auf und sah sie lächelnd an. Jetzt waren sie ganz allein in dieser sturmgepeitschten Wasseröde ...

Er näherte sich ihr.

»Ich will mit dir ernst sprechen, Mädchen«, sagte er, ihr tief in die Augen schauend.

»Was willst du von mir, Sanwo?« fragte sie mit demütiger Stimme und mit unwillkürlichem Entzücken in seine mutigen Augen schauend.

»Mir wird, wie du siehst, im Wasser niemand gleichkommen. Ich schwimme ganz nach meinem Gutdünken. Ich kann mich im Wasser mit Haifischen schlagen und falle selbst Ungetüme an, die mit einem Schlag ihrer Flossen einen Menschen töten können. Wir könnten also zusammen ohne jede Angst an das andere Ufer des Ozeans gelangen ... wir könnten auf unserem Wege an's Land schwimmen und in ein kleines Teehaus eintreten. Willst du?«

»Ich muß deine Übermacht anerkennen, Sanwo, ich aber kehre um.«

»Warte einen Augenblick,« rief er ihr nach. »So zu schwimmen, wie du es getan, gelingt selten jemandem, kehren wir also zusammen um, schwimmen zum Ufer zurück und teilen uns in den versprochenen Preis.«

»Arigato! Danke,« flüsterte leicht beschämt Cuki, »dein Antrag ist wahrlich ehrenvoll für mich.«

Als sie dann langsam zusammen ans Ufer kamen, wurden sie mit Händeklatschen und lauten Rufen begrüßt.

 

IV.

Am Morgen, der den Schwimmprüfungen folgte, klopfte Ten-Schiahara an die Haustür des Schulzen Akijama. Der Wirt trat selbst heraus und, o Wunder! er begrüßte den Gast höflicher, als er sonst zu tun pflegte.

»Ah, der gestrige Sieger, der Triumphator!« rief er ihm zu.

»Das wird von dir abhängen, ehrwürdiger Herr!« antwortete Schiahara mit einer Verbeugung.

»Wieso?«

»Ich bin gekommen um die Hand deiner Tochter anzuhalten! Cuki-Akijama gefällt mir gut und ich möchte sie zur Frau haben!« antwortete der Fischer mit sicherer Stimme.

»Du willst sie zur Frau haben? Und Cuki gefällt Dir?« sagte der Alte. »Weshalb wendest du dich an mich?«

»Ich folgte der Sitte und bin zuerst zum Vater gekommen!«

»Und sie selbst, meine Tochter, wie denkt sie darüber?« fragte der Alte.

»Cuki wird mich nicht abweisen,« erwiderte ruhig der Jüngling.

»Geh also und sprich mit ihr!« antwortete lachend der Schulze, »geh hin!«

Schiahara ging mit elastischen Schritten in den Garten, wo das Mädchen sich mit den Blumen beschäftigte.

»Cuki-San!« rief Ten-Schiahara mit heller Stimme. »Ich bin gekommen, um dich zu holen.«

Sie wendete sich um und schaute ihn verblüfft an.

»Ja!« wiederholte er, »ich will dich holen, da ich dich zu meiner Frau machen will!«

»Du?« fragte sie und lachte hell auf, »du, ein Fischer aus Repun?«

»Fürchtest du meine Armut! Ja, es ist wahr, ich bin arm, aber nur darum, weil ich einsam bin und keine Bedürfnisse habe, zusammen mit dir werde ich viel arbeiten und hoffe rasch reich zu werden.«

»Ich habe drei große Boote, sie sind gut, leicht und schwimmen schnell ... wir werden zusammen hinaussegeln. Hast du je das Ochotskische Meer gesehen? Es ist stahlgrau wie das Haupt eines Greises und voll von Eisbergen, die wie große, steuerlose Schiffe herumtreiben. Auch kenne ich Orte an den Ufern Asiens, wo die kostbaren Seehunde ihre Lagerstätten haben; ... dort gibt es Hütten, wo die Nomaden leben, die auf Zobel und Mardertiere jagen. Auch Sandbänke gibt es dort, die sich tief in das Meer hinziehen. Im weichem Sande findet man große Bernsteinstücke, gelb wie frischer Honig ... Das alles kann unser Eigentum werden! Glaube mir, wir werden reicher sein als es selbst dein Vater ist!« ...

Er faßte sie bei der Hand, Cuki aber entriß sie ihm und sagte lachend:

»Du schwimmst gut, das leugne ich nicht, doch glaubst du, daß dies genügt, um auf solche Weise mit Cuki-Akijama zu sprechen?«

»Wie schade! ... Doch ändern wird sich dabei nichts ... So oder so, du wirst meine Frau werden. Das graue Meer, von dem ich dir erzählt, wird deinen schönen bronzefarbenen Körper zärtlich umkosen. Sajonara, Cuki-San!«

Mit diesen Worten verbeugte er sich tief und ging von dannen.

Neugierig geworden durch seine Frechheit und die Einfachheit seines Wesens, schaute das Mädchen lange der hohen, schmiegsamen Gestalt des seltsamen Fischers nach.

 

V.

Ten-Schiahara verließ den Ort nicht. Er verblieb in der Ansiedlung und trieb sich tagelang im Teehaus herum, solange bis seine Tasche leer wurde. Dann ging er zur Konkurrenz des alten Schulzen Akijama, einem fast ebenso reichen Fischer und trat als Arbeiter bei ihm ein.

Man hatte bald im Dorfe erfahren, daß der fremde Fischer die Leute seines Arbeitsgebers in einer neuen Art des Fischfanges unterweise, die dem Besitzer großen Verdienst einbringe.

Diese Nachricht machte den alten Dorfschulzen Akijama vor Zorn und Eifersucht erbeben.

 

VI.

An einem schönen Feiertage unternahm die Jugend des Dorfes einen Ausflug nach dem verwahrlosten, halb vergessenen alten Tempel Buddhas. Nach kurzer Bahnfahrt gingen die jungen Leute zu Fuß bald durch einen dichten Wald, bald über Berge und blumenreiche Täler. Die fröhliche Schar tollte herum, sammelte Blumen am Wegrande und haschte einander. Alle Gesichter lachten, die Stimmen klangen laut und fröhlich, denn ein Frühlingsrausch hielt Mädchen und Burschen umfangen.

Während des Wanderns näherte sich Ten-Schiahara öfters der schönen Cuki und unterhielt sich mit ihr von gleichgültigen Dingen. Er erzählte ihr von den Ausflügen, die er auf dem Meere gemacht, von seinen Jagden auf Walfische und Seehunde und von den Piraten, die mit den Einwohnern der Insel Repun im Kampfe liegen. Niemals erwähnte er auch nur mit einem einzigen Worte seinen mißglückten Heiratsantrag. Sein Wesen war voll Heiterkeit, seine Haltung frei und dabei bescheiden. Das Mädchen fühlte eine immer größere Gereiztheit in sich aufsteigen. »Hatte er seine Worte, die er damals gesprochen, schon vergessen?« dachte sie und suchte in den Augen des jungen Mannes nach einem warmen Aufleuchten und nach etwas Rührung und Verlegenheit auf seinem Gesichte.

Doch sie bemerkte nichts, was Traurigkeit oder Liebe verriet, denn sein Benehmen ihr gegenüber war das gleiche, das er gegen die anderen Mädchen an den Tag legte, eine einzige ausgenommen, die kleine, zarte, schwächliche Gaschi-Taori. Cuki sah, wie er für sie Blumen am Wege pflückte, auf die Bäume kletterte, um Nüsse zu holen, ihr kleine Fischerlieder vorsang und sie auf den Armen über raschfließende Gebirgsbäche herübertrug.

»Er hat sich ein Adlerweib gewünscht und hat ein Stieglitzweibchen erwählt,« dachte Cuki, die Achseln zuckend.

Endlich hatte die Gesellschaft den Tempel erreicht und trat vorher in die kleine, von den Mönchen geführte Herberge ein. Dann besichtigten sie den Tempel, wo sie selbst ihre kleinen Geldopfer niederlegten, verrichteten ihr Gebet vor dem Standbild des großen Lehrers, gingen um das Gebäude herum und kehrten endlich in das kleine Gasthaus zurück, wo die Mönche indessen einen bescheidenen Imbiß vorbereitet hatten. Als sich alle um den Tisch herumsetzten, bemerkte man, daß Ten-Schiahara fehle. Cuki, die als erste es wahrgenommen hatte, rief, ihre Hände zusammenschlagend:

»Oje! Ten ist uns irgendwo verloren gegangen.«

»Ich glaube, daß er in den See baden ging, denn er sprach mir von der Sehnsucht, die er nach dem Wasser verspürt,« ließ sich Gaschi-Taori hören.

»Du scheinst gut über Ten unterrichtet zu sein, Gaschi!« rief Cuki mit hämischem Lächeln.

Das kleine, blasse Mädchen errötete bis an die Ohren, was auch sofort von Cuki bemerkt wurde.

Ten-Schiahara hatte aber an kein Bad gedacht. Er hatte währenddessen einen Tempelpriester aufgesucht, wanderte mit ihm auf und ab, fragte ihn aus und erklärte endlich dem Greise ausführlich, was er von ihm wolle, dabei einige Male in seinen Gürtel greifend und mit silbernen Yen klimpernd.

Er kehrte erst zurück, als alle anderen ihre Abendmahlzeit beendet hatten und im Kreise vor dem Gasthaus saßen. Er verspeiste rasch ein wenig Reis und mischte sich dann unter die Gesellschaft.

Kurz darauf ging ein alter Mönch vorbei und begann mit den jungen Gästen zu plaudern:

»Zum Schlafen habt ihr noch Zeit genug, ihr jungen Leute, erlaubt denn, daß ich euch etwas Interessantes über unseren Tempel erzähle. Habt ihr euch unsere Standbilder angesehen? Eines ist darunter, das einen Gott vorstellt, der jeden Zweifel eines Menschen zu zerstreuen vermag. Gibt es jemanden, der sich quält, der zweifelt und nicht weiß, was er tun oder lassen soll, dann geht er in den Tempel und nähert sich dem großen Gotte. Es genügt, wenn er eine kurze Zeit dort verbringt, etwa bis zur Mitternacht, er wird bestimmt von der Gottheit auf irgend eine Weise die sichere Antwort auf die still oder laut ausgesprochene Frage erhalten. Damit ist jeder Zweifel und jede Ungewißheit aufgehoben.

Es gab einmal einen berühmten Mann, Taiko-Sama, welcher der Sohn eines einfachen Landbewohners war und der, seiner großen Kraft und Begabung bewußt, doch seinen Lebensweg nicht finden konnte. Er kam hieher und der Gott zeigte ihm seine Bestimmung. Und wirklich wurde er ein großer Feldherr, heiratete die Schwester des Mikado und wurde endlich zum Schogun ernannt. Als Nobunaga alle Tempel des Buddha vernichten ließ, verteidigte Taiko-Sama voll Dankbarkeit unseren Tempel, der jetzt schon fast vierhundert Jahre alt ist.«

Der Priester schwieg. Schiahara aber wendete sich an einen der Fischer und murmelte ziemlich laut:

»Weißt du, daß ich mich an diesen Gott wenden will? Denn zwei Mädchen gefallen mir und ich weiß nicht, welche von den Beiden mir lieber ist ...«

Er stand auf, trat an den Mönch heran und besprach etwas mit ihm. Cuki hatte die Worte des Fischers wohl gehört, schlüpfte leise und unauffällig aus dem Kreise ihrer Genossen, lief dem Tempel zu und trat mit der Bitte an einen der Mönche heran, sie sofort in den Tempel einzulassen.

Der Mönch gab ihrer Bitte nach, geleitete sie hinein, zündete dort eine kleine Lampe an und verließ den Raum mit dem Versprechen, sie um Mitternacht herum abzuholen.

Das Mädchen blieb allein. Sie setzte sich und ließ ihre Gedanken schweifen; doch am meisten gedachte sie des jungen Fischers, der ihr so unverständlich war.

»Wieso hat er mich zur Frau haben wollen und konnte doch so schnell meiner vergessen? Er scheint mir nicht zu grollen ... er hat keinen Stolz ... abscheulich ist es ... ein Knecht ... dann diese kleine, wie ein Vögelein schwache Gaschi-Taori, was kann er in ihr sehen? Vielleicht liebt er sie wirklich; denn er beschützt sie und spricht stundenlang mit ihr ...«

Plötzlich erzitterte sie. Sie bemerkte, wie zwei glühende Augen sie unbeweglich anstarrten. Sie schaute hin ... und überzeugte sich, daß es ein großer, schwarzer Gott war, der sie aus seinen Glasaugen, die vom Scheine der Lampe noch heller leuchteten, mit fürchterlichem Blicke ansah. Bebend wollte sie dem Blick entgehen ... Sie ging nach rechts, die Augen folgten ihr nach ..., sie ging nach links, der Gott blickte ihr auch hier wieder nach. Aus dem Halbdunkel blitzten seine Augen wie zwei Flammen hervor ... Sie fühlte eine unangenehme Kälte ihren Körper durchrieseln ...

Seltsame Geräusche ließen sich hören ... sie schienen aus allen Winkeln, vom Altare her, von der Decke herunter zu kommen. Es stöhnte etwas, dann winselte es wieder ... und jetzt berührte es ihre Stirne und Wangen wie das Wehen des Windes.

Entsetzen und Grauen bemächtigten sich des jungen Mädchens, das furchtsam und unbeweglich dasaß und seine Augen nicht aufzuschlagen wagte ..., da hörte sie plötzlich, wie das Tor des Tempels aufgemacht wurde. Zitternd schaute sie auf und erblickte im Hintergrunde der silbern scheinenden Mondnacht die hohe Gestalt Ten-Schiaharas.

Er ging mit langsamen Schritten an ihr vorbei, schien sie im Halbdunkel nicht zu bemerken und verschwand im tiefen Schatten hinter dem Altare. Das Mädchen horchte lange hin, doch nichts, nicht das mindeste Geräusch ließ die Anwesenheit eines Menschen vermuten.

Die Geräusche, das Säuseln und das Windeswehen, die verstummt waren, während der Fischer vorbeiging, wurden wieder lauter und lauter und schlugen aus dem geheimnisvollen Dunkel bis zur Decke hinauf. Und jetzt kam etwas vorbeigeflogen gegen die Fenster hin, als wolle es hinaus.

Cuki drückte ihre Augen noch fester zu. Als sie sie aber nach einer gewissen Zeit aufschlug, sah sie, wie die fürchterliche Maske des Gottes im Anfall eines stummen Lachens sich verzerrt hatte, ihr seine riesigen Zähne entgegenfletschend. Die Augen jedoch bohrten sich weiter tief in ihr Herz hinein.

War es ein Auflachen, das sie jetzt hörte? Im flackernden Lichte der kleinen Lampe glaubte sie die Züge seines Gesichtes zu sehen, die einen spöttischen und grinsenden Ausdruck annahmen.

Laut schrie sie auf und stürzte hinter den Altar, wo sie Ten-Schiahara verschwinden gesehen.

Sie erblickte ihn wirklich ... er stand da und streckte ihr seine Arme entgegen. Zitternd noch fiel sie in seine Arme und legte ihr ängstliches Gesichtchen an seine starke Brust ..., fester und fester schmiegte sie sich an ihn, wie ein erschrecktes Kind an seine Mutter.

»Cuki-San, fürchte dich nicht, jetzt wird alles, alles wieder gut! Sieh, ich werde dich vor der ganzen Welt beschützen! Nie mehr sollst du aus Angst erzittern ... beruhige dich, du geliebtes Mädchen, du Sonne meines Herzens!«

Er streichelte ihre Hände, ihre Haare, wiegte sie in seinen Armen, sie, die bis dahin so starke, so selbstbewußte Cuki-Akijama, und sprach zu ihr wie zu einem kleinen Kinde. Er erzählte ihr leise von seinem geliebten Meere, vom Glück, das sie erwarte, von seinen Hoffnungen und Träumen, bis das junge Mädchen beruhigt ihre Arme um seinen Nacken legte und lächelte.

Jetzt hörte sie nicht mehr die Geräusche, das Huschen und Gleiten der herumlaufenden Ratten, fühlte keinen Windeshauch mehr, den die vorbeifliegenden Fledermäuse verursacht und schaute nicht mehr auf den Gott, der alle Zweifel verscheucht.

Der Gott aber stand da, dunkel im lichten Mondenschein ... seine Fratze schien ruhiger und milder zu werden, um seine Lippen spielte ein Lächeln der Ironie ...

 


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