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Mali-San.

Es war an einem strahlenden Juliabend. Ganz Yokohama war auf den Straßen. Die »Dschenerikschen« (Wagenschieber), Händler und Handwerker saßen vor den Türen ihrer kleinen, mit Lack und farbigem Papier geschmückten Bambushäuschen und schauten alle mit entzückten Augen in eine und dieselbe Richtung.

»Was kann die Blicke aller dieser, in weißen Kimonos und hölzernen Getás sich gleichenden Menschen so fesseln und sie nach dem Westen blicken lassen?« dachte im Vorübergehen Olaf Larsen, der Sekretär der schwedischen Gesandtschaft.

Doch jetzt aufmerksam gemacht, erblickte er plötzlich im Dunste der goldenen und purpurfarbenen Strahlen der untergehenden Sonne ein sich weiß vom feurigen Hintergrunde abhebendes Dreieck. Da erkannte er dieses Dreieck, das er zu vielen, vielen Malen auf japanischen Bildern, Vasen, Tassen, abgebildet gesehen hatte, diesen kegelartigen, in seiner besonderen Form fast unwirklichen Gipfel des Berges Fudschiyama. Erst vor zwei Tagen in Yokohama angekommen, hatte er den Berg noch nicht gesehen und nun erblickte er seinen schneebedeckten, heiligen Gipfel, der wie aus dünnem, weißem Seidenstoff ausgeschnitten, frei in der Luft zu schweben schien, während der Fuß des Berges mit Wald und Gras bewachsen, in weißschimmerndem Nebel verschwand. Der bleiche Gipfel sah aus wie ein großer, unvergänglicher Spuk, wie eine unwirkliche Geistererscheinung, die stolz ihr Haupt über der Erde Nippons erhebt.

Eine seltsame Rührung überkam Larsen, der stehen blieb und seine Augen auf den geheimnisvollen Gipfel heftete. In seiner romantischen Seele begannen sich poetische Gedanken und Bilder zu formen.

Die sitzenden Japaner erblickten den in seiner Betrachtung vertieften Fremden und sahen mit Wohlwollen auf die breitschulterige Gestalt mit dem hellen Gesicht und dem blonden Haar, das in Strähnen unter dem weichen Filzhut hervorschaute.

»Kono akatawa donata desuka?« (Was ist das für ein Herr?), fragte ein alter Mann seinen Nachbar.

»Watakusiwa sirimasén!« (Ich weiß es nicht!) antwortete der andere.

Diese wenigen Worte wurden scheinbar im Innern des Hauses, das von Reinlichkeit und poliertem Lack glänzte, gehört, denn eine Schar Frauen trat sofort, eine nach der anderen, mit leichten, seufzergleichen Ausrufen hinaus, wo sie, in Gruppen stehend, ein farbiges Blumenbeet bildeten. Neugierig blickten sie mit ihren blitzenden Äuglein den Fremden an und wurden bald seiner starken Arme und seiner kräftigen Sportbeine gewahr. Mit lächelndem Wohlgefallen schauten die kleinen Frauen auf den schlanken, hochgewachsenen Mann und auf sein ruhiges, verträumtes Gesicht.

»Igiris-Sin?« (Ein Engländer?), flüsterte eines der Mädchen in einem rosaroten, mit blauen Blumen geschmückten Kimono und mit einer roten Kamelienblume in ihrem schwarzen Haar.

»Jé!« (Nein!) gab ihr die andere ebenso flüsternd zur Antwort und stieß aus irgendwelchem Grunde einen leichten Seufzer aus.

Währenddessen hatte Larsen aus seiner Tasche ein kleines Büchelchen hervorgeholt und schrieb hinein:

Eisgekrönet, stolz erhoben,
Seh' ich Fudschis Gipfel ragen,
Hör sein dumpfes Feuergrollen
Und der Sänger Heldensagen.

Einen Fremden auf den heiligen Berg starren und dann etwas in sein Notizbuch schreiben zu sehen, das war für die kleinen, neugierigen Japanerinnen zu viel. Mit fröhlichem Gezwitscher umringten sie den jungen Mann und blickten schelmisch in seine blauen Augen. Da verließ der alte Japaner seine Veranda und die zudringlichen Weiber mit einem vorwurfsvollen Blick auseinandertreibend, trat er selbst an den jungen Fremden heran.

»Gokigen-Jo!« (Sei gegrüßt!) damit reichte er ihm die Hand.

Larsen drückte lächelnd die kleine, dunkle Hand des Japaners und sagte auf englisch:

»Ich spreche nicht japanisch.«

Der Mann, ein Postbeamter, hatte wohl die paar Worte verstanden, denn er nickte mit dem Kopfe und machte den Schweden durch die Bewegung seiner Hände auf die kleine Terrasse vor seinem Hause aufmerksam, ihn dorthin einladend. Er schritt voran.

In kurzem saßen sie beide auf weichen Kissen am Boden und sahen sich schweigend gegenseitig an. Nun klatschte der Japaner in die Hände und rief einige Worte in das Innere des Hauses. Sofort trat eine junge Frau mit einem Brett voll Teegeschirr und Bäckereien herein, kniete vor dem Gaste nieder und begann den Tee einzugießen. Dann verschwand sie mit leichten Schritten, lautlos, wie sie gekommen war.

Der Wirt hatte indessen aus einem Lackschränkchen eine Karte Europas hervorgeholt und etwas auf japanisch murmelnd, wies er auf eine bestimmte Stelle. Die Frage war leicht verständlich und der Schwede beantwortete sie, indem er mit dem Finger seine Brust und dann Skandinavien auf der Mappe berührte.

»Oe! Swiden-Sin!« (Oh, ein Schwede!), rief der Beamte aus.

»Yes!« antwortete erfreut Larsen.

»Yes!« wiederholte mit ernster Stimme der Japaner.

Das Gespräch stockte. Sie tranken Tee, jeder in seinen Gedanken versunken.

Larsen ließ seinen Blick in die ferne Perspektive der Straße schweifen.

Mit immer größerem Interesse schaute er angeregt auf das bunte Bild, das sich vor ihm entrollte. Die hängenden Ladenschilder, die farbigen Stoffe, Obst und die verschiedenen Fische, die auf reinen weißen Matten aus Bambus oder Reisstroh ausgebreitet lagen, ergaben ein Bild, das durch den Reichtum der Farbenschattierungen das Auge des Europäers erfreute. Blumen hingen aus allen Fenstern herunter, blühten auf allen Terrassen und die Bäume überragten alle Dächer mit ihren breiten Kronen.

Auf dem Gehsteig glitten flüchtige Gestalten, zumeist in weißen Kimonos, mit dem trockenen Ton ihrer hölzernen Getas dahin. Larsen dünkte sich fast im alten Athen zu sein und die Menge der Griechen in ihren Chitons und Sandalen vorüberwandeln zu sehen. Von weitem erblickte er hinter der Straße, die in gerader Richtung zu einer Anhöhe führte, den blauen Streifen des Ozeans, der sich dunkel von der untergehenden Sonne abhob. Die herrschende Stille wurde nur durch das Geklapper der Getas unterbrochen und wurde nur noch tiefer, als auch dieses allmählich aufhörte, da die Menschen nach der anstrengenden Tagesarbeit vor der Abendmahlzeit in den Badehäusern verschwanden.

Im Dickicht der blühenden Bäume ließen sich nur die Zikaden hören. Der Himmel verdunkelte sich plötzlich und am Horizont leuchtete nur noch im glühenden Scheine der untergehenden Sonne der Gipfel des Fudschiyama. Der Ozean dagegen tauchte in der hereinbrechenden Dunkelheit immer mehr unter; die von weitem klingenden wenigen Menschenstimmen wurden immer leiser und ferner, fast geheimnisvoll ...

Larsen nahm von dem gastfreundlichen Japaner Abschied und setzte seinen Spaziergang fort.

Er streifte aus einer Straße in die andere, immer weniger Menschen begegnend, bis er sich endlich in einer breiten Allee befand, die von den vorbeisausenden Tramwaywagen hell beleuchtet war. Hier fluteten Menschenmassen auf und ab und sahen neugierig die Auslagen der großen Läden an. Rechts und links, dicht hinter den Häusern der Straße ragten Berge empor mit glänzenden Punkten wie mit Sternen bestreut; das waren die Fenster der unter Bäumen versteckten Villen und kleinen Häuser des Viertels Sagijama. Larsen ging an verschiedenen Schaubühnen vorbei, in denen die Lampen schon angezündet wurden, und sich an die Schienen der Trambahn haltend, trat er auf eine große, breite Wiese.

An der gegenüberliegenden Seite stand eine Menge beleuchteter Häuschen, alle mit verschiebbaren, durchsichtigen Wänden.

Der Schwede trat an einen der Polizisten heran, mit der Frage, »was sich an der gegenüberliegenden Seite der Wiese befände?«

Der Polizist dachte lange nach, bis er sich endlich an die paar notwendigen, in der Polizeischule gelernten englischen Worte erinnerte.

»Es ist das Dorf Hommoku ... ein schöner Park ... Fischerleute ... Teiche mit Goldfischen und Lotosblumen ... Very beautyful!«

Larsen dankte und kurz darauf war er schon in den Parkanlagen. Das Dunkel wurde immer tiefer. Es schien, als ob schwarze Streifen der Finsternis sich aus den Gebüschen und Baumgruppen herausschlängelten und sich über die noch etwas helleren, mit Sand und Muscheln bestreuten Wege ergössen. Mit dieser Finsternis strömten irgendwelche warme und zart riechende Luftwellen herbei ... zwischen den Blumenbeeten und Sträuchern spannte sich ein leichter Nebel, der die mit hohem Schilf und Papyrusrohr bewachsenen Teiche umhüllte.

Larsen blieb am Ufer des Wassers stehen und sah auf die breiten Blätter des Lotos und der Nenupharen, hörte auf das Plätschern der Fische und das dünne Quieken eines Kulig, der unter den Steinen am Ufer verborgen lag.

Dann tiefer in den Park eindringend, wo die elektrischen Lampen ihren hellen Schein auf die breiten Alleen warfen, erblickte er auf Anhöhen kleine, wunderliche Tempel, seltsam gestutzte Sträucher und wie in einem Märchenlande prächtige, farbige Blumenbeete.

Hier begegnete er immer mehr Menschen. Sie gingen mit leiser Stimme plaudernd umher, lachten diskret und schauten schweigend über die Brüstung krummgebogener, kleiner Brücken in die Tiefe der Weiher und Bäche. Etwas weiter plätscherten winzige künstliche Wasserfälle und die Glöckchen an den Ecken der Kapellen, die im ganzen Park verstreut lagen, klangen beim leisesten Windeshauch. Die zierlichen, leichten und durchsichtigen Teehäuser, die Restaurants und offenen Läden wimmelten von Menschen. Gesang und Gespräche, das Klirren des Porzellans und das Dröhnen der Gongs, die das Publikum in ein Vergnügungslokal locken wollten, wurden hier immer lauter.

Larsen durchquerte den Park, blieb am Tore stehen und trachtete seine Eindrücke zusammenzufassen. Es war das erste Mal, daß er aus Tokio nach Yokohama, und ohne Begleitung gekommen war und er erkannte jetzt, wie dieses Stück Land ein anderes war als alles, was er bisher gesehen. Es war voll Reiz und ungreifbarer Klänge einer alten Melodie vergangener Zeiten, die auf die Menschen und ihr Leben einen eigenen Einfluß auszuüben schien. Der empfangene Eindruck war stark und rief eine tiefe, sinnende Stimmung hervor. Die Seele des Skandinaviers, die bis dahin an die Einförmigkeit der schroffen Felsen, der dunklen, fast schwarzen Wälder und an die blaugrauen Wellen der düsteren Fjorde gewöhnt war, fühlte sich im Angesichte dieser üppigen, farbenglitzernden, weichen, kosenden Natur, nicht fremd. Sie entfaltete sich wie unter den warmen Strahlen der Sonne, denn hier sprach alles eine innige Wehmut aus und eine stille Heiterkeit, eine Harmonie, ähnlich dem Lächeln Buddhas, dieses großen Weisen, der alles verstanden und alles verziehen hat.

So dachte Larsen als er durch die Straße des Fischerdorfes Hommoku, in der Vorstadt Yokohamas wanderte. Er kam langsam an das Ufer des Meeres. Ein hoher Fels ragte einsam aus dem Wasser hervor und etwas zur Seite war eine lange Galerie mit kleinen Badekabinen, mit einem Leinwanddach bedeckt, aufgestellt.

Einige Europäer mit ihren Damen badeten trotz der vorgerückten Stunde. Ein Fischer, weitab vom Ufer, schrie etwas in die Ferne und seine Stimme rollte wie eine schwere Kugel auf der Oberfläche des milde rauschenden Wassers, bis sie vom hundertfachen Echo verschlungen wurde ...

Da erblickte Larsen, etwa hundert Schritte weiter, einige nackte Frauengestalten, dunkelfarbige und zierliche Japanerinnen, die eine nach der andern auf eine hoch über dem Wasser gewölbte, leichte Brücke hinausliefen und sich von dort mit einem hellen Auflachen ins Meer warfen. Sie schwammen wieder heran, liefen ans Ufer zurück, sprangen wieder auf die hohe Brücke und sahen dort, sich vom dunklen Hintergrunde des Himmels abhebend, weißen Nixengestalten gleich.

Es war etwas Schönes und Elementares im fröhlichen Spiel dieser nackten Frauenkörper. Fast glaubte Larsen zu sehen, wie eine unsichtbare Hand diese schimmernden Frauenleiber als Menschenopfer in den Rachen eines Ungeheuers wirft, das in leidenschaftlicher Wollust sie wieder auf das Sandufer hinausträgt, sie mit seinem Gischt bedeckt und zu einer neuen Liebkosung wieder in die Wellen hineinzieht. Heidnisch, fast götzenhaft sahen diese Spiele der nackten Frauengestalten aus, die feucht schimmerten am dunklen Horizonte der Nacht.

Larsen stand in den Anblick versunken da. Der nordische Barbar hatte in seinem Blute scheinbar eine Erinnerung an ähnliche nächtliche Mysterien zum Ruhme des gewaltigen Meeres behalten, die er erst jetzt aus voller Seele begriff. Nicht denken wollte er, daß es hier einfache, heißblütige Menschen waren, mit ihren kleinen Daseinsfreuden und Leiden. Seine Einbildungskraft spiegelte ihm alte Zeiten zurück, da die Schatten aus Walhall herunter schwebten und bleiche Schemen sich über den brausenden, an die Felsen gepeitschten Meeresfluten wiegten ...

Hier aber liefen die kleinen, weißen Gespenster zum Ufer zurück und setzten mit fröhlichem Lachen ihre Spiele auf dem weichen Ufersande fort. Da erblickten sie plötzlich die unbewegliche, schwarze Gestalt des Mannes. Verwundert schrieen sie auf, neugierig liefen sie herbei und gelassen in der Nacktheit ihrer vom Wasser triefenden Körper, sahen sie ihn belustigt und fröhlich an. Dann bildeten sie einen Kreis um ihn und zwangen ihn, an ihren Fangspielen teilzunehmen. Wie kleine Kinder liefen sie hin und her, jagten sich und schrieen laut. Dann, müde geworden, schmiegten sie sich an den Fremden, berührten ihn mit ihren Hüften und den harten, kleinen, kalten Brüsten. Dabei klangen ihr neckisches Lachen und ihre Zwischenrufe wie das Gezwitscher von Schwalben. Schwalbengleich auch stoben sie auseinander und warfen rasch ihre weißen, weichen Kimonos um, sie mit breiten farbigen Obis umgürtend.

Larsen erwachte wie aus einem Traum ... dann lächelte er, als er sah, daß seine Kleider ganz naß waren.

Die japanischen Mädchen kamen indessen schon angekleidet zu ihm zurück und eine von ihnen sagte in einem ziemlich guten Englisch, indem sie das noch mit einem Gummihäubchen bedeckte Köpfchen zur Seite neigte:

»Der Gentleman sollte sich trocknen und wärmen; wir wohnen im Hotel Keyo. Es ist ein lustiges Teehaus. Mama-San wird den Gentleman mit Sherry-Brandy und mit Tee aus Hiogo bewirten. Der Gentleman kann auch von Mama-San das aromatische ›Skiaki‹, einen gewärmten ›Saké‹ und Reis bekommen. Mama-San ist eine gastfreie freundliche Frau. Und wir werden dem Gentleman etwas auf dem ›Koto‹ (Laute), vorspielen, auch werden wir ihm vortanzen und Geishalieder singen. Das Hotel Keyo ist ganz nah von hier ... da, wo die Fenster beleuchtet sind und auf den Veranden Laternen brennen. Wir haben in unserem Garten,« zwitscherte sie weiter, »viel Fliedersträucher, viel Azaleen und Kamelienbäume. Die Nacht ist duftend und heiß. Wir wollen den weißen Gentleman mit unserem Gesange und Tanz erfreuen ...«

Da Larsen noch unter dem Eindruck der verlebten Augenblicke stand und die Stimmung nicht verscheuchen wollte, ging er schweigend den Mädchen nach. Er hörte ihrem seltsamen Geplauder zu und verfolgte mit den Augen die leichten Bewegungen der biegsamen Mädchenkörper.

»Hotel Keyo!« rief eine der Japanerinnen, ihn leicht in das aus Bambus gebaute Tor, das dicht mit Schlingpflanzen bewachsen war, hineinschiebend. Er stieg eine schmale, gewundene Treppe hinauf und stieß jeden Augenblick mit den breiten Schultern an die dünnen Wände, die sich unter seiner Last wiegten, jedesmal dabei unwillkürlich um Entschuldigung bittend.

»Pardon-me!« Nach diesen Worten brachen alle Mädchen in helles Lachen aus. Endlich wurde er in einen winzigkleinen Saal geführt, dessen Wände an der Ostseite weggeschoben waren, um den Ausblick durch die Kronen der breiten Oleander- und Kamelienbäume auf das dunkle, gewaltige Meer freizulassen.

Auf der Oberfläche der stillen, breiten Wellen flimmerte das Abbild des bestirnten Himmels und vom weiten erblickte er den roten Lichtschein der leise schaukelnden Fischerboote. Ganz rückwärts am Horizont glänzte von den starken Illuminatoren beleuchtet ein großes Dampfschiff, das nach Amerika fuhr.

Larsen sah sinnend hinüber und dachte:

»Dort auf diesem Schiff herrschen Bewegung, Lachen und Luxus. Dort wird geflirtet, Geschäfte gemacht, es wird getanzt und Bridge gespielt, dort geschieht alles, woran mich das zivilisierte Leben Europas gewöhnt hat, während hier ...«

Er lächelte.

»Fühle ich mich hier nicht um so viel wohler und ruhiger als dort, hier in diesem fremden, kleinen Hotel, unter der lustigen Schar der weißen Nixen, die mich vom Ufer des Meeres gebracht und verborgen haben ...?«

Eine jähe Welle eines kindischen Glückes, einer unmittelbaren Lebensfreude, drang in sein leicht erregbares Gemüt und ließ ihn mit leuchtendem Blick die ihn begleitenden Mädchen betrachten.

Sie standen ein wenig verschüchtert und erwartend da, als ob sie fühlten, daß im Herzen dieses unbekannten weißen Mannes etwas Ungewöhnliches vor sich gehe. Sie warteten geduldig. Larsen nahm seinen weichen Hut ab, schüttelte das etwas wirre, helle Haar von der Stirne und lachte laut auf. Sofort liefen die Mädchen zwitschernd an seinen Tisch herbei, schmeichelten ihm und fächelten ihm Kühlung zu.

Olaf Larsen, der in einer bescheidenen Beamtenfamilie hoch oben im Norden erzogen worden war, an die Gesellschaft leichtfertiger Weiber nicht gewöhnt, wurde verlegen und eine dunkle Röte bedeckte sein Gesicht. Die Mädchen hatten die Verlegenheit des jungen Mannes bemerkt und sich etwas zurufend, sahen sie freundlich und ehrfurchtsvoll den Gast an. Der Schwede wiederum musterte seine neuen Bekannten.

Es waren ihrer sieben. Alle jung, da die Älteste kaum mehr als sechzehn Jahre zählen konnte. Und alle waren sie fast gleich mit weißen Kimonos und roten Gummihäubchen auf dem Kopfe bekleidet. Hübsche und weniger hübsche waren darunter, doch sie fielen alle durch einen blendend weißen und rosigen Teint auf, hatten purpurrote Lippen, weiße Zähne und glänzende, etwas schief eingesetzte, mit schwarzen Lidern und langen dichten Wimpern beschattete Augen. Sie standen ruhig abwartend vor dem sie musternden Gaste und begaben sich dann leise in die Tiefe des Saales.

Jetzt trat eine angenehm aussehende, nicht mehr ganz junge Japanerin herein, verbeugte sich tief vor Larsen und rief mit einer gemacht zornigen Stimme, obgleich ihre Augen vor Frohsinn sprühten, den abseits stehenden Mädchen zu:

»Chazi!« (Schande!)

Die Mädchen stoben lachend wie eine Vogelschar auseinander und Larsen hörte das Trampeln ihrer weichen Sandalen auf den Treppenstufen, und ihre lachende Antwort:

»Mama-San! Mama-San!«

Inzwischen hatte Mama-San ein Gespräch mit dem Fremden angefangen. Sie sprach geläufig genug englisch, um sich mit Larsen verständigen zu können. Sie sagte ihm, daß sie den Mädchen befohlen hätte, ihre Hauben herunterzunehmen und sich dem Gast in gebührender Weise zu zeigen.

»Was könnte sonst der Gentleman über ihr Teehaus denken?«

Larsen bat um eine Portion »Skiaki« und Tee für sich, Sherry-Brandy für seine neuen jungen Bekannten. Zufrieden verließ Mama-San den Saal.

Als Larsen allein blieb, schaute er sich neugierig um. An den Wänden hingen kleine japanische Bilder und lange, breite, bemalte Bänder, während ganz dicht daneben sich ein altes verdorbenes Pianino befand und ein Grammophon darauf stand; im entgegengesetzten Winkel war ein Opferrauchgefäß über einer vergoldeten Statuette der Göttin Kwan-Non angebracht.

Diese Mischung des Ostens mit dem Westen gefiel dem Skandinavier nicht, eilig verließ er den Saal und trat auf die zum Meere führende Terrasse heraus.

Er atmete auf, als an seine Ohren das monotone Rauschen der Wellen, die das sandige Ufer bespülten und das Zirpen der Zikaden drang. Doch jetzt glaubte er noch ein anderes Geräusch zu vernehmen. Er horchte und schaute aufmerksam in die Finsternis hinaus. Im dunkelsten Winkel der Terrasse erblickte er eine zusammengekauerte Frauengestalt sitzen. Er konnte kaum ihr rosiges, mit blauen Chrysanthemen gesticktes Kimono, ihren goldenen Gürtel und die silbernen langen Nadeln in ihrem rabenschwarzen Haar unterscheiden. Die Frau saß da, den Kopf tief geneigt und das Gesicht in dem breiten Ärmel des Kimono verborgen. Ein leises, unterdrücktes Schluchzen schüttelte die Brust und die Schultern des Weibes. Sie schien die Anwesenheit des Fremden nicht bemerkt zu haben.

Als er sich leise entfernen wollte, knirschten die Bretter des Fußbodens unter seinen Schritten. Das weinende Weib schaute auf. Im fahlen Schein erblickte er ein zartes, hübsches Gesichtchen mit tiefen, dunklen, traurigen Augen und einem schönen, gewölbten Munde. Erschrocken fuhr sie auf und verwundert sah sie auf den Fremden. Beherrscht wischte sie sich dann rasch die verweinten Augen und ging der Türe zu.

Schlank und ziemlich hochgewachsen ließ sie unter den weichen Falten ihres Kimonos einen kraftvollen, biegsamen, frischen Körper vermuten, ihr Mund dagegen hatte einen bitteren Zug und Schmerzensfurchen zogen sich von beiden Seiten bis zum weichen Kinn herab.

»Entschuldiget mich, San!« flüsterte Larsen beklommen.

Sie seufzte leicht und ging in den Saal hinein. Hier im hellen Lichte sah Larsen an ihr eine bei Japanerinnen ungewöhnliche Schönheit, die ihn aus tiefen, glühenden, stolzen Augen anblickte. Traurig lächelnd reichte sie ihm die Hand und sagte auf englisch:

»Ich heiße Mali-San! Mali-San! Bitte nehmen sie Platz.«

Mit einer distinguierten Bewegung wies sie ihm einen Sessel an und setzte sich selbst daneben.

Der Schein des Mondes überflutete den Saal und von weitem glitzerte das Meer wie eine große, silbernschimmernde Fischschuppe. Der goldige Schein der Lampen und das rote Licht der Laternen an den Fischerbarken verschwand in diesem flüssigen Silber. Nur das große Dampfschiff leuchtete noch in der Ferne. Am silbergrünen Hintergrunde des Himmels hoben sich die Bäume und die Konturen der Häuser mit ihren tiefdunklen Umrissen ab.

»Ich werde auf einen Augenblick die Lampen auslöschen!« sagte Mali-San mit einer leisen melodischen Stimme, als sie den Blick Larsen's auf Garten und Meer gerichtet sah.

Er nickte zustimmend mit dem Kopfe und bald befanden sie sich im Halbdunkel des Saales. In diesem blauen Dämmerlichte erschien ihm das blasse Gesicht des Mädchens mit den aufgerissenen, verträumten und sehnsuchtsvollen Augen seltsam und ungewöhnlich. Eine melancholische Stimmung umfing sie beide und die Umgebung paßte sich ihr an.

Im weichen Mondlicht hatten alle Gegenstände mildere, verwischte Formen angenommen und weder das alte, verdorbene Pianino, noch der dicke, häßliche, unförmige Tisch in der Mitte, störten das Auge mehr. Alles erschien wie vergeistert und des Häßlichen beraubt. Eine unirdische Schönheit hatte sich auf den Strahlen des Mondlichtes auf die Erde niedergesenkt.

Als Larsen seine Blicke von der Ferne auf das Mädchen übertrug, sah er sie regungslos, in sich versunken dasitzen.

Von ihren Schultern war das Kimono herabgeglitten und ließ den schönen Hals und die junge Brust frei.

»Sie gleicht einer weißen Marmorstatue, die aus einem farbigen Blumenkelch hervorleuchtet und gebannt auf den Augenblick des Erwachens wartet ...« dachte Larsen und flüsterte unwillkürlich vor sich hin:

»Ein Märchen ... ein Märchen! ...«

So leise auch die Worte gesprochen waren, wurden sie doch von Mali-San gehört und als sie den Blick des Gastes auf sich ruhen fühlte, errötete sie und legte mit einer raschen, flüchtigen Bewegung das Kimono zurecht.

Dann stand sie verlegen auf und sagte:

»Wie schön ist das Alles ... wie zauberhaft! ...«

Hierauf machte sie sich an der Lampe zu schaffen und blieb dabei auf eine Sekunde vor dem Spiegel stehen. Da erblickte Larsen die feuerrote Kamelie in ihrem Haar.

In diesem Augenblicke liefen die jetzt in farbige Kimonos umgekleideten Mädchen herein und deckten rasch mit dem mitgebrachten Geschirr den Tisch in der Mitte. Sie selbst setzten sich, liebenswürdig lachend auf den Boden ringsherum.

Nun trat Mama-San herein und stellte die von einer Magd hereingebrachten Speisen vor den Gast hin. Als sich Larsen allein zum Essen niedersetzen wollte und sich von den Mädchen, die jeder seine Bewegung folgten, beobachtet sah, wurde er unsicher und verlegen. Mama-San kam ihm aber rasch zu Hilfe, indem sie erklärte, daß, falls es ihm angenehm sei, er eines von den Mädchen zu seiner Gesellschaft wählen könne.

Erfreut trat Larsen an Mali-San heran.

»Sehr gut!« stimmte die Wirtin seiner Wahl zu. »Es kostet fünf Yen.«

Unwillig und gereizt runzelte Larsen die Stirn; das Alltagsleben in seiner trostlosen Nüchternheit trat an ihn heran.

»Was wird aus meinem wunderschönem Märchen werden? Wäre es schon vorüber? ...«

Mama-San schien seine Verstimmung bemerkt zu haben.

»Ich habe es nur erwähnt, um jedem Mißverständnis aus dem Wege zu gehen. Mali-San ist eine Geisha und ihre Gesellschaft beim Speisen kostet mehr. Das wollte ich nur bemerken.«

Sie verließ mit allen Mädchen den Saal. Larsen und Mali-San setzten sich zum Speisen hin. Das Mädchen aß mit Grazie, trank Saké in kleinen Zügen aus kleinen Gläschen, bediente den Gast aufmerksam und unterhielt ihn von kleinen, gleichgültigen Dingen. Sie sprach vom Theater und den japanischen Moden, erzählte ihm von einem russischen Offizier, der erst gestern eines der Mädchen umarmen und küssen wollte, betrunken wie er war, hatte er sich in seiner Wahl geirrt und sich der alten Dienstmagd genähert. Das Geschrei des Offiziers hätte durch das ganze Haus gegellt, die Alte aber hätte sich geschmeichelt gefühlt und glücklich eine gelbe Blume ins Haar gesteckt und seufze jetzt den ganzen Tag lang.

Wie ein silbernes Glöcklein war das leise Lachen Mali-Sans, trotzdem eine gewisse Gezwungenheit und Selbstbeherrschung herausklangen.

»Mali-San sollte mich nicht mit diesen nichtigen Dingen unterhalten wollen, sie sind zu gleichgiltig!« bemerkte Larsen.

»Warum?« fragte sie, die Augen zu ihm aufschlagend. »Der Gentleman ist doch der Unterhaltung wegen her gekommen?«

»Ich weiß nicht, warum ich gekommen bin«, antwortete er.

»Der Herr soll sich unterhalten!« wiederholte das Mädchen mit ernster Stimme.

»Ich möchte ihm Vergnügen bereiten. Nach dem Abendessen werden die Geishas tanzen und singen. Jetzt muß aber das Gastmahl lustig sein.«

Sie goß in sein Glas Saké ein und berührte mit ihren Lippen das eigene Gläschen, den Gast freundlich anlächelnd.

Der Schwede dachte einen Augenblick nach.

»Mali-San sollte mir etwas über sich selbst erzählen. Ist es ihr recht?«

Einförmig, wie gewohnheitsmäßig begann sie ihre Erzählung:

»Meine Eltern haben mich in die Geisha-Schule in Tokio geschickt. Dort habe ich singen und tanzen gelernt. Dann trat ich bei einem Unternehmer ein. Das ist ein reicher Mann, der zwei Häuser in der Ginza-Straße besitzt. Ich habe in den Speisehäusern von Tokio gesungen und jetzt hat mein Unternehmer einen Vertrag mit dem Hotel Keyo unterschrieben. Hier soll ich die Gäste unterhalten.«

Sie schwieg und sah mit ihren geheimnisvollen Augen Larsen an.

»Das ist Alles? Und ihr Seelenleben und die Gefühle ihres Herzens?«

»Das Herz einer Geisha soll schweigen, die Seele aber immer fröhlich sein!« gab sie lächelnd zur Antwort.

»Es gibt keine Kraft, die dem Herzen eines Menschen das Schweigen befehlen könnte ... denn, wenn es erwacht ...« fügte leise der Jüngling hinzu.

»Mein Herz ist gestorben ...« unterbrach sie ihn mit düsterer Stimme und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen.

»So was kommt vor im Leben!« sagte Larsen unsicher. »Doch einmal war das Herz Mali-Sans wach und Gefühlen zugänglich ... ist es nicht so?«

»Ja einmal! Umso trauriger wurde die Dämmerung in meinem Herzen«, sagte mit einem Seufzer das junge Mädchen. »Doch wozu daran rütteln? Dies Gespräch ist wirklich nicht lustig ... ich weiß, die Herren haben es gerne, uns über dergleichen Dinge zu befragen ...«, fügte sie mit kalter Stimme hinzu. »Sie hören unsere Geschichte an ... und vergessen sie bald ...«

Larsen errötete.

»Sie hat recht«, dachte er, »für fünf Yen nimmt sich jeder wahrlich das Recht, solche Fragen an eine Geisha zu stellen und in ihre Seele einzudringen.«

Beschämt fühlte er sich und mit sich selbst unzufrieden.

Leise stand Mali-San auf, legte ihre kleine gepflegte Hand auf seine Schulter und flüsterte leise in sein Ohr:

»Nicht traurig sein: Ich habe den Gentleman beobachtet, wie er den Mond und das Meer angeschaut hat. Er scheint den Anderen nicht zu gleichen, die sich hier berauschen, laute und häßliche Lieder singen und uns zu küssen und zu umarmen versuchen. Ich weiß es bestimmt, der Gentleman gehört nicht zu ihnen.«

Verwundert sah Larsen die Augen des Mädchens. Sie waren noch geheimnisvoller geworden und hatten den undurchdringlichen, den asiatischen Frauen eigenen Glanz, der Gedanken und Gefühle verbirgt.

»Hat Mali-San vielleicht dasselbe erst gestern einem anderen gesagt?«

»Der Gentleman hat mich über meine Seele befragt, und da ich sie reden ließ, wurde ich mißverstanden ...«

Ehe Larsen noch zu antworten vermochte, glitt Mutter-San von ihren Mädchen begleitet in den Saal und brachte Tee und den in allen japanischen Teehäusern unumgänglichen Sherry-Brandy herein. Bald danach betrat eine Schar fremder Gäste den Raum. Einige Europäer und zwei japanische Kaufleute. Eine von den Wänden wurde weggeschoben und ließ einen anderen, etwas größeren Saal, wo kleine Tische bereitstanden, sehen. Die Gäste setzten sich sofort nieder und bestellten bei Mama-San Speise und Trank, während einige von den Mädchen sich ihnen zugesellten.

»Sind die Mädchen auch Geishas?« fragte Larsen seine Tischgenossin.

»Nein!« sagte sie mit leicht verächtlichem Ton, die Achseln zuckend. »Das sind Joro.«

»Joro?«

»Ja, Joro. Das sind dieselben unglückseligen Sklavinnen, die sich in Joschiwara in Tokio und hier an diesem Ort, in Yokohama befinden. Nur daß sie hier ein wenig glücklicher sind, da sie ihren Aufenthaltsort verändern dürfen und nur solange hier gebunden sind, bis der Termin des Vertrages abläuft. Übrigens sind sie ebenso von allen verachtet ..., einem käuflichen Weibe wird sich niemand auf der Straße nähern und niemand wagt es, öffentlich mit ihm zu sprechen ...«

Erst jetzt erkannte Larsen genau, in welchem Hotel er sich befände, doch eine innere Stimme riet ihm, hier zu bleiben.

Inzwischen hatten einige alte Weiber eine Art Estrade hereingebracht und sich mit ihren »Senisen« (Zithern) und ihren »Kotos« darauf niedergelassen. Sie begannen zu spielen. Die monotonen, traurigen Klänge ihrer Saiteninstrumente hörten sich wie das Heulen der Hunde und das Pfeifen des Windes an. Dann gingen sie in wilde, lustige Weisen über.

Zwei Joro, in schleppenden Kimonos und bunten Mützen, sangen mit hoher Stimme Lieder, die sie mit Hilfe der Bewegung ihrer Hände und Fächer ergänzten.

Dann beugten sie abwechselnd ihre Kniee und sprangen wieder auf. Als sie geendet hatten, verneigten sie sich vor den Gästen bis zur Erde.

»Mali-San!« schrie plötzlich ein dicker Franzose mit einem roten, aufgedunsenen Gesicht.

»Mali-San!« wiederholte die übrige Gesellschaft.

Larsen sah sich um ... die Geisha war verschwunden. Doch kurz darnach erschien sie auf der Estrade, in dunkle wallende Gewänder gehüllt, die eifersüchtig Hals und Hände bedeckten.

Bei den Klängen der tief gestimmten Senisen, begann sie halb singend, halb sprechend ihren Vortrag. Die Rezitation handelte von einer sehnsuchtgepeinigten Witwe, die ihren Mann am Schlachtfelde verloren hatte. Der schmerzensreiche Gesichtsausdruck, der bebende Mund und die verzweifelten Augen, zeugten von dem großen Talente der Geisha.

Ein betäubendes Bravo folgte ihrer Vorführung. Sie verneigte sich, und nun erzählte sie vom opferwilligen Heldentum und vom Heroismus der mit den Samurais kämpfenden Geishas. Als sie, eine vollkommene Künstlerin, vom Beifall begleitet, die Estrade hinabsteigen wollte, stand der Franzose plötzlich auf und ihr entgegentretend versuchte er sie in seine Arme zu schließen.

Sie glitt ihm mit einer schlangengleichen Bewegung aus und rief mit lauter, drohender Stimme:

»An solche Sitten bin ich nicht gewöhnt! Ich bin eine Geisha! Wenn sich etwas Ähnliches noch einmal wiederholen sollte, singe und tanze ich nicht mehr!«

Als hätte er ihre Worte nicht gehört, trat der berauschte Franzose immer näher an sie heran, und unsicher auf seinen Füßen wackelnd, streckte er ihr seine Arme entgegen.

Mit einem Sprung war Mali-San an der Seite des Schweden. Seine Augen leuchteten dunkel auf, als er sich dem Franzosen näherte.

»Diese Geisha befindet sich in meiner Gesellschaft, mein Herr!« sagte er scharf.

»Pardon, ich habe es nicht gewußt!« stotterte lachend der etwas eingeschüchterte Franzose.

Mama-San machte sich nun in erregten Worten Luft:

»Die Fremden wüßten nicht mit den Geishas umzugehen. Die alte japanische Sitte verlangt ein achtungsvolles Benehmen ihnen gegenüber. Wüßten das die Herren nicht? In alten Zeiten hatten die Geishas dem Vaterlande große Dienste geleistet, als sie zusammen mit den Samurais zu Lande und auf dem Meere die Feinde bekämpften. Ja so war es. Erst nach längerem Verweilen in Japan unterlassen die fremden Herren ihre Unarten und Späße!« fügte sie begütigend hinzu.

Larsen sah auf Mali-San, die mit gesenkten Augen da saß und schwer atmete.

Als die aufgeregte Hotelbesitzerin den Saal verließ, lächelte Mali-San traurig und wendete sich an Larsen:

»Dieser Franzose kennt die Sitten unseres Landes wohl, doch da er die rote Kamelienblume in meinem Haar gesehen hat, erlaubt er sich diese Freiheiten mir gegenüber.«

Eine unerklärliche Scheu hielt Larsen ab, sie über die Bedeutung der roten Blume zu befragen.

Als die Geisha ihm einen Spaziergang im Garten vorschlug, willigte er ein und bald saßen sie auf einer niedrigen Bambusbank zwischen dichten Bäumen.

Von weitem hörten sie das Kichern der Mädchen und den lauten Gesang der berauschten Männer. Irgendwo in der Nähe spielte jemand hinter dem niedrigen Gartenzaum auf einem Koto und summte leise ein Lied. Die Zikaden zirpten immer stärker, als ob sie mit der warmen Mondscheinnacht zufrieden wären. Und von Zeit zu Zeit plätscherte in das nächtliche Geräusch eine Welle, sich am flachen Sandufer überschlagend.

Schweigend saßen beide da und lauschten im stummen Erwarten in die Nacht und ihre eigene Seele ... Das Mädchen neigte sich dem Manne zu und flüsterte mit zitternder Stimme:

»Ich habe vor einem Jahre einem Manne meine Liebe geschenkt. Er war zart und gütig mir gegenüber und gab mir das Versprechen, mich vom Unternehmer loszukaufen und bei seiner Rückkehr nach Hause über die Ehe, die er mit mir eingehen wollte, seine Eltern zu befragen. Ich habe ihm geglaubt ... für ihn habe ich meinen Glauben gewechselt ..., jetzt bin ich Christin.«

Ihre Stimme überschlug sich.

»Der Fremde?« sprach sie weiter, »reiste ab ... niemals hörte ich mehr von ihm! ... Eine gewöhnliche Geschichte, nicht wahr? ...« sie lächelte bitter. »So etwas passiert uns oft, uns Geishas! Denn jede von uns träumt von einer eigenen Häuslichkeit, einer eigenen Familie und einem Europäer zum Manne. Der Japaner behandelt uns Frauen schlecht. Wie anders benehmen sich die weißen Männer gegen ihre Frauen! Darum fallen wir wie bunte Schmetterlinge, die von der Sonne träumen, in ein Kerzenlicht und verbrennen uns die Flügel ... so ein Schmetterling war auch ich.«

Sie seufzte tief.

»Seit dieser Zeit bin ich gezwungen, eine rote Kamelie in meinem Haar zu tragen als Zeichen, daß ich aus der Liste der richtigen Geishas gestrichen bin. Denn diese tragen als Abzeichen ihrer unberührten Jungfräulichkeit zwei Falten an den Schultern und keine rote Blume im Haar ... Jetzt bin ich eine Hotel-Geisha geworden, einen Schritt weiter und ich werde eine Joro sein ...«

Sie erbebte und ließ den Kopf auf die Brust sinken; ein Schluchzen schüttelte ihre zarte Gestalt.

Als der junge Schwede das Haus verließ, begleitete sie ihn ein Stück Weges mit einem dunklen, schlichten Kimono angetan. Er aber trug im Knopfloch seines Rockes eine rote Kamelienblume.

 

II.

Seitdem ging er oft den Weg zum Hotel Keyo, dessen Schwelle er aber nie überschritt.

Er trat nur gewöhnlich bis ans Tor, ließ Mama-San herausrufen und nachdem er ihr zwanzig Yen eingehändigt hatte, nahm er Mali-San mit und behielt sie den ganzen Tag bei sich.

Sie schweiften in dem Park umher, machten Ausflüge in die Umgebung, fuhren nach Tokio, wo die Geisha die Führung übernahm. Hier traten sie in kleine japanische Gasthäuser, wo sich das junge Mädchen nach dem Essen einen Koto reichen ließ. Sie spielte und sang mit ihrer kleinen, reinen Stimme alte Lieder von Helden und Heldentaten aus vergangenen Zeiten, und übersetzte sie dann auf englisch. Sie sang ihm von mutigen, abenteuerlichen japanischen Seefahrern und von ihren Raubzügen, die sich bis nach dem traurigen Korea und dem gewaltigem, stolzen China erstreckten.

Larsen hörte aus den Liedern eine Ähnlichkeit zwischen diesen im singenden Ton vorgetragenen japanischen Legenden und den skandinavischen Sagen heraus. Er begriff, daß die Lust an Raub und Abenteuer sich überall gleicht und die gleichen Typen und Charaktere hervorbringen muß, gleichgültig wie ihre Abstammung, ihr Glaube und der Einfluß der sie umgebenden Natur ist.

Dann gab es Stunden, wo ihr der Schwede mit verträumter Stimme seine skandinavischen Sagen und Legenden erzählte. Er sprach von den Kämpfen und Siegen der Wikinger, von ihrer Abenteuerlust und ihrem heldenhaften Mute; er erwähnte den großen Wikingerhelden Fingal und den blinden Sänger Ossian. Er berauschte sich selbst an der großen Vergangenheit seines Vaterlandes. Indem er sprach, glaubte er die düstere Natur des Nordens, die nackten Felsen und das dunkle Gewässer, wo die skandinavischen Boote mit ihrem breiten, flachen Segel und Pferdeköpfen an dem Schiffsbug, herumschwimmen, vor sich zu sehen. Wie auf einem Bilde sah er Menschen einer vergangenen Zeit in ihren schweren Eisenpanzern und den runden Helmen auf dem Kopfe, einherschreiten. Er sah in das Innere der Wikingerhäuser, aus dicken Fichtenklotzen gezimmert, und darin die schweren, nie rostenden Schwerter neben Schilden und Helmen an den Wänden hängen ...

Von den alten Geschehnissen gebannt, hörte er das Heulen des Windes, das Brausen und Schlagen der angepeitschten, grauen Wellen, den Lärm, das Dröhnen des Kampfes und den Jubel des Sieges ... Er sah die Opferflammen aufsteigen, dem fürchterlichem Gott Odin zu Ehren und hörte die Gesänge der weißgekleideten, eichenbekränzten Priester ...

Erst von einer weichen, zarten Hand geliebkost, erwachte er wie aus einem langen Traum und sah sich verwundert in dieser milden Umgebung sitzen.

Das Mädchen, das seinen Erzählungen mit ganzer Seele folgte, ließ sich die berauschenden Sagen immer von neuem berichten und von ihnen mitreißen; dabei schaute sie mit Entzücken auf das begeisterte, rassige Gesicht des geliebten Mannes.

Die Tage vergingen ihnen wie im Rausche. Manchmal, indem er sie ernst und mitfühlend ansah, fragte er:

»Wie kommt es, daß du meinen Erzählungen so zu folgen vermagst als würde Heldenblut in deinen Adern kreisen?«

Da erzählte sie ihm von ihrer edlen Abstammung aus einem ritterlichen Geschlechte, das auf der felsigen Insel Rischiri, im Norden von Hokkaido gelebt hat, von den Kämpfen, Siegen, dem Verderben und Untergang ihrer Vorfahren.

»Nur Sagen aus diesen alten Zeiten, Lieder und Tänze sind uns als stolze Erinnerung geblieben ... sonst nichts! ...«

In der Gesellschaft der Geisha fühlte sich Larsen von Tag zu Tag glücklicher. Sein früheres Leben in den europäischen Kreisen, wo Begeisterung und heiße Liebe der Vergangenheit als romantische, kindische Überspanntheit gilt, wurde ihm immer fremder und unwahrscheinlicher. Er träumte immer öfters davon, das tief sinnende und poetisch veranlagte Mädchen loszukaufen, sie zu heiraten und an ihrer Seite ein ungewöhnliches, dem Kulte der Schönheit und Poesie gewidmetes Leben zu führen. Er nahm sich vor, seine ganze Kraft einzusetzen, um die nötige Summe zur Verwirklichung seines Traumes zusammenzubringen.

Die Geisha hörte ihn freudig an, lächelte aber darob ungläubig.

»Du glaubst mir nicht, Mali-San?«

»Ich glaube dir!« antwortete sie jedesmal, indem sie seine Hände an das glatte Gesichtchen drückte. »Ich glaube dir, doch ... das Leben ist voll Tücke und das Morgen ist ungewiß.«

»Ich werde meinen Vorsatz ausführen, das gelobe ich dir!« antwortete Larsen mit fester, warmer Stimme.

Dann sprachen sie lange Zeit nicht mehr davon. Sie fühlten nur, wie das seelische Band zwischen ihnen immer fester und inniger wurde.

Fünf Monate waren schon verflossen, seitdem die weißen Nixen den fremden Mann in das Hotel Keyo geführt hatten, trotzdem konnte er sich jedesmal, wenn er sie nach Hause begleitete, eines bösen, beklemmenden Gefühles nicht erwehren, sooft er sie hinter dem Tore verschwinden sah, von wo der laute Gesang der Joros und das betrunkene Brüllen der Männer herausdrang.

Während dieser Zeit hatte er unter dem Eindruck seiner Erlebnisse und der für ihn immer noch neuen Exotik einen Band japanischer Gedichte verfaßt. In die Heimat geschickt, haben sie die Gunst des Publikums im Fluge erobert, denn so schlicht und einfach sie auch waren, klang aus ihnen echte Begeisterung und innere Wahrheit heraus.

Als er in den Besitz seines ersten Honorars gelangte, fühlte er, daß der erste Schritt zur Erlösung Mali-Sans gemacht worden war. Er trat mit einer großen Stockholmer Zeitung in Verbindung und diese kam eines Tages mit einem ehrenhaften Auftrag an ihn heran. Er sollte nach Kanada reisen, um dort die Emigrationsverhältnisse zu studieren und darüber dem Blatte Bericht erstatten. Dem Auftrage war ein namhafter Check für die Reisespesen beigefügt.

Stolz zeigte der junge Mann der Geisha den Brief und frohlockend und traurig zugleich erzählte er von der nahen Verwirklichung ihrer Zukunftspläne und seiner baldigen Abreise.

Mali-San hörte den Bericht schweigend an, den Blick zur Erde gerichtet.

Als sie die Augen wieder aufschlug, war der asiatische Glanz daraus verschwunden, sie drückten verhaltene Verzweiflung und unaussprechliche Sehnsucht aus ...

 

III.

Einige Tage später ließ sich Mali-San in einer Dschenerikscha zum Landungsplatze der Dampfboote bringen. Sie hielt ein kleines, in ein rosiges Seidentüchlein gewickeltes Päckchen in der Hand.

Das Schiff war schon zur Abfahrt bereit. Aus zwei ungeheuren Kaminen stieg pechschwarzer Rauch auf. Ketten knirschten und überall, zwischen Reisekoffern und Warenkisten, tummelten sich Matrosen, Schiffsagenten, Sanitätsärzte und die Schiffsmannschaft herum. Auf der Brücke, die vom Ufer zum Schiff führte, strömten in zwei Richtungen, abfahrende und die sie begleitenden Menschen. Die schwarzen Kohlenkrippen warfen an der Schiffsseite den Rest ihrer Ladung ab, die eine lange Menschenschnur, die Treppen auf und ab kletternd, in die Tiefe des Dampfers trug.

Von der Menschenmenge geschoben, fand sich Mali-San endlich auf dem Deck des Dampfers und suchte die Kabine Larsens auf. Ihr weißes Gesichtchen war noch etwas blasser als sonst, die langen Wimpern beschatteten noch dichter ihre dunklen Augen. Ihrer Gewohnheit gemäß, machte sie vor dem jungen Manne eine tiefe Verbeugung, reichte ihm die Hand und setzte sich still in eine Ecke der Kabine. Dann schaute sie sich wie geistesabwesend um, holte ihr Päckchen hervor und band es auseinander. Sie entnahm ihm ein kleines Tellerchen mit einem Häufchen rosabemalten Reises, eine kleine duftende Opferkerze, ein Bündel verschiedenfarbiger Serpentinen und ein winziges Körbchen mit roten Blumen.

Das Körbchen hing sie an einen, in der Decke befestigten Haken, stellte den Teller auf ein kleines Tischchen und steckte das nun angebrannte Opferkerzchen in den Reis. Dann setzte sie sich abwartend in die Ecke und folgte gespannt mit den Augen dem sich schlängelnden Rauchstreifen der kleinen Opferkerze.

Der Streifen entwickelte sich zu einer flachen, in der Luft schwebenden, hin und her wogenden weißen Wolke, die allmählich zerstob und verschwand, als ob sie die Luft verschlungen hätte ... Doch plötzlich wurde sie wieder von einem Lufthauch zusammengetrieben, verdichtete sich, zerriß in Stücke und senkte sich zu Boden ...

Mali-San stöhnte laut auf.

»Ein schlechtes Zeichen«, flüsterte sie zitternd.

»Beruhige dich Kind!« sprach Larsen, dem Gedankengange des Mädchens folgend.

»Sieh, die neue Wolke hat die alte Gestalt wieder, sie erhebt sich und wird in der Luft schweben, wie es die erste getan.«

»Vielleicht ... doch dieselbe ist es nicht mehr ...« seufzte sie.

Sie hob die Augen auf das Gesicht des jungen Mannes und heftete sie starr, fast eigensinnig darauf, als ob sie jeden Zug, jede Falte, jede Eigentümlichkeit in ihr Gedächtnis einprägen wollte.

Umsonst trachtete Larsen das Mädchen zu beruhigen. Die letzten Augenblicke dehnten sich und lasteten schwer auf ihnen, voll innerer Gereiztheit fühlten sie den Abschied immer näher rücken.

Ein lautes Schlagen des Gongs ertönte; die schnell vibrierenden, eilenden Klänge verscheuchten ihre Gedanken und riefen eine zitternde Ungeduld und Unruhe hervor.

»Das ist das Ende ...« flüsterte Mali-San, »jetzt muß ich gehen ...«

Sie stand auf, nahm eine Handvoll Reis und band ihn in ihr rosiges Tuch. Einige Serpentinenpäckchen versteckte sie im Ärmel ihres Kimonos.

Dann trat sie an Larsen heran.

»Kehre rasch und glücklich zurück! ... Ich werde dir ein gutes Weib sein ... vergiß mich nicht!«

»Mali, Mali-San« würgte der Jüngling heraus und das erste Mal das schluchzende Mädchen in seine Arme schließend, küßte er ihr Mund, Augen und Haar.

Der Gong ertönte zum zweiten Male. Sie traten zusammen auf das Deck heraus.

Doch als das Mädchen schon die kleine Brücke, die ans Land führte, betreten wollte, blieb sie stehen, nahm Larsen an den beiden Händen und schaute ihn tief aus ihren verzweifelten Augen an.

»Gokigen-jo!« (Bleibe gesund!) flüsterte sie und drückte ein Päckchen Serpentinenbänder in seine Hand. Sie lief rasch der Landungsstelle zu, warf die Serpentinen über die Brüstung der Brücke und blieb am Ufer stehen. Jetzt war sie mit dem jungen Mann durch die vielen farbigen Papierstreifen verbunden.

Der Gong erscholl zum dritten Mal und dreimal antwortete die Dampfsirene.

Pfiffe von der Kommandobrücke wurden laut, die Räder der zur Seite geschobenen Landungsbrücken knirschten, die Maschinen, die den Anker hoben, rasselten, das Orchester spielte auf und das Dampfschiff erbebte.

»Sajonara ... tegami! ...« (Auf Wiedersehen! ... Briefe ...) hörte noch Larsen die Geisha rufen.

Das Schiff entfernte sich immer mehr. Es zog die farbigen Papierstreifen, die die jungen Leute mit einander verbanden, hinterher. Doch allmählich zerriß ein Streifen nach dem anderen und glitt in die Wellen ... Das rote Band und das gelbe flatterten einen Augenblick in der Luft ... jetzt kam das grüne, das blaue an die Reihe, nur das weiße rollte sich noch ab, als hielte es die beiden verbunden. Das Mädchen zerriß das letzte Ende des weißen Röllchens und ließ es in die Luft hinausfliegen. Wie ein weißer Schmetterling flatterte es hinauf und schwebte noch eine Weile dem Schiffe nach ...

»Das sind die Gedanken Mali-Sans!!« dachte Larsen und schwenkte gerührt noch lange den Hut über seinem Kopfe. Und lange stand er am Deck und schaute auf die einsame, am Ufer stehende Gestalt mit den sehnsuchtsvollen, glänzenden Augen und der roten Kamelienblume im Haar.

*

Als er eines Tages wieder das Ufer Japans betrat, um mit Geld und den besten Absichten nach Hommoku zu reisen, wo im dichten Grün versteckt das Hotel Keyo am Ufer des Meeres lag, war das kleine Fischerdorf verschwunden ..., Yokohama lag zertrümmert da, von unterirdischen Mächten mit Lava und Schutt übergossen, das kleine Hommoku war von der Oberfläche der Erde, von den Wellen des Ozeans fortgespült worden. Das Land Nippon war eine Trümmerstätte. Nie mehr hat Larsen etwas über das Schicksal der reizenden Mali-San erfahren. Was war aus der unschuldigen kleinen Geisha geworden?

Ist sie in der Schar der Geisha-Momoirono untergegangen oder liegt sie mit offenen, sehnsüchtigen Augen in ewiger Ruhe am Grunde des Ozeans? ...


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