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Die verfluchte Insel.

Einige Meilen von Kamakura entfernt, da wo über der Erde das Standbild des Buddha Daj-Butzo aus Erz gegossen stolz sein Haupt erhebt, lag einst eine kleine einsame Insel im Meere. Ein flacher, dünner Wasserstreifen trennte sie vom Ufer; hier pflegten die Fischer ihre Netze zu trocknen und die Boote auszubessern.

Ganz nahe am Meeresufer war vor Jahrhunderten eine große Fischeransiedlung entstanden und kleine Häusergruppen streckten sich an den Sandbänken der Insel entlang.

Die Bewohner der Insel arbeiteten schwer. Sie beschäftigten sich mit Fischfang im offenen Meere und ruderten weit hinaus, so weit, daß man sie von den Ufern des schönen Hondo nicht mehr erblicken konnte; dort spalteten sie kleine runde und lange fette Austern von den unterseeischen Riffen ab, fingen Weichtiere, eßbare Seewürmer, Quallen und Seesterne, zogen mit Drahtnetzen farbige und perlmutterglänzende Muscheln aus der Meerestiefe und brachten ihre Beute nach Kamakura und Yokohama, nach Tokio sogar, wo die Fischer aus Jenoschima gut bekannt waren.

»Jenoschima« war der Name eines hohen, mit dichtem Wald bewachsenen Felsens, der hoch aus der Ebene der Insel emporragte.

Auf den Terrassen, die vor Zeiten ausgehauen worden waren, lagen in saftigem Grün und kühlem Baumschatten gebettet, die Villen reicher Kaufleute aus Yokohama, und die Villen der Nachkommen der Daimios aus Kamakura. Die Villenbesitzer kamen aber selten in diese Landeinsamkeit, wo nichts an die von der vornehmen Gesellschaft Japans so beliebten europäischen Kurorte erinnerte. Am obersten Gipfel des Felsens befand sich, vor den Augen Neugieriger von allen Seiten geschützt, ein altes Schintokloster und ein eben so alter Schintotempel. Einige malerische »Tori«, Säulenhallen gleich führten zu ihm. Die armen Einwohner der Insel kamen oft als einzige Gäste auf den Felsengipfel, um von dort den weiten und wunderbar schönen Ausblick über Land und Meer zu genießen.

Eines Tages, im Monat Mai, da schon an den Südabhängen Jenoschimas die farbigen Azaleen zu knospen begannen, traten mehrere starke, seegebräunte Burschen und junge, frische Mädchen in die Umzäunung des Klosters. Nachdem sie alle ihre bescheidene Opfergabe in die von einem alten Bonzen behütete Sparbüchse gelegt hatten, setzten sie sich im Kreise um die blühenden Sträucher herum, hielten die Hände ineinander verschlungen und sahen im Sonnenglanz wie kleine Bronzestatuetten aus.

Entzückt und hingerissen schauten sie auf die Blumenpracht ringsherum und auf die in unendliche Fernen sich hinziehende Wasserebene.

»Taj-joo ojobi mizu!« (Sonne und Wasser) unterbrach der junge Fischer Soni Kamura das andächtige Schweigen.

»Ojobi aj!« (und die Liebe) fügte mit einem leisen Vorwurf und mit einem heißen Blick auf den Fischer die schlanke, wie ein junger Ahorn kräftige Nisi-Omori hinzu.

»Chah! Aj! ... (Ja.) bejahte Kamura, »Heißer wie die Sonne scheint unsere Liebe ...«

»Die Sonne wird aber ewig bestehen bleiben und alles überdauern, während die Liebe spurlos verschwinden wird!« ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen und gleichzeitig trat ein unbekannter Mann aus dem Gebüsche hervor. Er trug ein Pilgergewand und hatte einen düstern und zugleich spöttischen Gesichtsausdruck.

Die jungen Leute, durch sein plötzliches Dazwischentreten und seine krächzende Stimme unangenehm überrascht, sahen in abweisend an. Er aber heftete seine durchdringenden Augen auf das Gesicht der fröhlich lachenden Nisi Omori und wiederholte seine Worte:

»Euere Liebe wird spurlos vergehen, sage ich Euch!«

»Nein, unsere Liebe nie!!!« unterbrach ihn Kamura mit Nachdruck und blickte auf das neben ihm sitzende Mädchen. »Niemals!«

Nisi Omori warf ihm einen dankerfüllten Blick zu und griff nochmals nach seiner warmen Hand.

»Ihr seid jung und heißblütig,« sagte der Pilger. »Ihr seht den Weg unter Euren Füßen nicht.«

Die Burschen und Mädchen saßen still da und warteten ungeduldig auf das Verschwinden des düsteren Mannes. Doch dieser setzte sich auf den Boden, nahm den dickgeflochtenen Strohhut ab, lehnte sich bequem an einen der gefällten Bäume und sagte, indem er seinen Mund zu einem verächtlichen Lächeln verzog:

»Wartet ein wenig! Ich gehe bald, doch vorher will ich Euch eine kleine Geschichte erzählen.« Und ohne auf Antwort zu warten, begann er:

»Lange, lange Jahre ist es her ..., es gibt niemanden mehr, der sich an diese alten Zeiten erinnern könnte, nur Legenden sind uns darüber geblieben.

Eines Tages soll in diese Gegend ein fremder Mann mit einem großen sechsmastigen Boote und einer nach Hunderten zählenden Mannschaft gekommen sein. Woher sie gekommen und was sie hier wollten, wußte niemand zu sagen.

Nach kurzer Zeit ließ sich der Anführer, Jugawa war sein Name, hier auf eben dieser Stelle ein mächtiges, befestigtes Schloß errichten. Seht Ihr diese großen Steine? Das sind die Überreste des Einfahrttores. Die Mönche des Klosters finden hier oft Türangeln, Riegeln, Waffen und Rüstungen aus der alten Zeit. Das sind Überreste der Vergangenheit, die verrostet und zermürbt bei jeder Bewegung in Staub zerfallen.

Denn nichts gibt es auf der Erde, was von Bestand wäre ...

Jugawa begann sein Leben auf der Insel damit,« erzählte der Pilger nach kurzem Schweigen weiter, »daß er mit seinen Leuten die umliegenden Dörfer und kleineren Städte überfiel und allmählich das ganze Ufer, wo wir jetzt Kamakura, Katasa, Uraga, Misaki und Yokohama erblicken, unter seine Herrschaft brachte. Die Männer tötete er, die Frauen nahm er gefangen, behielt nur die schönsten von ihnen für sich, die anderen verschenkte er an seine Krieger. Nach dem Verlauf eines Jahres aber ließ er alle Weiber in das Meer werfen ...

Es geschah immer im Monat August, wenn der Ozean mit Jenoschima im Kampfe liegt und seine brausenden Wogen so hoch gegen den Felsen peitscht, daß er bis zur Hälfte mit der weißen Gischt bedeckt wird.

Dann ging er auf einen neuen Raubzug aus und erkämpfte neue Weiber für sich und seine Mannschaft.

Eines Tages brachte Jugawa ein gefangenes Weib mit, das alle anderen, die den Boden Jenoschimas je betreten hatten, weit an Schönheit übertraf. Jugawa ließ sie noch am selben Tage reich mit kostbaren, durch ihn geraubten Gewändern geschmückt, vor sein Antlitz bringen.

Das Mädchen wurde hereingeführt, doch blieb sie an der Türschwelle stehen. »Tritt näher!« befahl Jugawa.

»Herrscher, laß ab von mir! Ich bin aus dem edlen Geschlechte Mej-Jo, und schon einem andern versprochen!« sagte sie mit flehendem Blick.

Jugawa lachte.

»Ich habe deinen Geliebten töten lassen, denn ich verschone keinen Mann, der mir in die Hände fällt!«

Die Musmé stöhnte laut auf, ... sie senkte ihren Kopf tief auf die Brust ...

Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang verließ das Mädchen blaß und verstört das Gemach des Heerführers. Als man sie aber beim heranbrechenden Abend wieder zu ihm führen wollte und sie den auf sie wartenden, frohlockenden Jugawa erblickte, rief sie mit lauter durchdringender Stimme:

»Fluch über Dich, Jugawa! Über Dich, der Du mich der Schande und dem Verderben preisgegeben hast!«

Jugawa erblaßte leicht und blieb stehen. Sie aber fuhr fort:

»Heute im Halbschlaf habe ich großes Unglück vorausgesehen ... Ich sah einen Reigen weißer Gestalten und habe ihre Stimmen gehört, die mir den Willen der Götter offenbarten. Es waren die Gestalten deiner ermordeten Weiber ... Sie halten sich in den unterirdischen Schluchten Deines stolzen Felsens verborgen und warten auf den Tag ihrer furchtbaren Rache ... Krieg, Feuer und Mord werden diese Insel zerstören, die Göttin Amaterasu wird sie aus ihren Grundfesten heben und in den Rachen des Ozeans werfen ...

Und erst viel, viel später, wenn alle die Spuren Deiner Verbrechen durch die Meereswogen weggeschwemmt sein werden, wird diese Insel an ihrem früheren Standorte aus der Ozeantiefe erstehen! Höre mich an: Deine Opfer harren ihrer Befreiung! Fliehe, wenn Du am Leben bleiben willst!«

Lachend nahm der grausame Feldherr die düstere Prophezeihung des Mädchens entgegen und lachend ließ er die Seherin, gleich allen andern, in's Meer werfen ...

Dann erkor er sich ein anderes Mädchen zur Frau.

Die Prophezeihung erfüllte sich. Kaum nach einem Jahre wurde das Land Daj-Nippon durch unterirdische Dämonen mit feuriger Lava und glühender Asche überschüttet und von der Göttin Amaterasu mit hochgehenden Wogen übergossen. Der Fels Jenoschima und das Schloß mit seinen dicken, befestigten Mauern, Jugawa und seine Mannschaft, alles dies fiel der Rache der Dämonen zum Opfer. In derselben Nacht aber stieg der Fels wieder aus dem Meere hervor, doch diesmal leer, kahl und öde. Viel später erst haben fromme Menschen dieses Kloster und den Tempel erbaut.«

Nun schwieg der Pilger und versank in Gedanken.

Die jungen Leute saßen verstimmt und schweigend da, bis die junge, fröhliche Nisi Omori ausrief:

»Ach, Du schwarzer Rabe! Was für traurige Geschichten erzählst Du uns da?

Was geht das uns und unsere Liebe an?«

»Törichtes Kind!« antwortete der Fremde. »Verstehst Du denn nicht, daß diese Insel auf ewige Zeiten verflucht worden ist? Und daß hier nichts verbleiben wird, weder Fels noch Mauer, weder Menschen noch ihre Liebe! Höret mich an und fliehet von hier! Verlasset diese verfluchte Insel!«

Mit diesen Worten erhob sich der Pilger und bald war er in den dichten Gebüschen verschwunden.

Kaum waren ein paar Monate seit diesem Maientage vergangen, als die Insel plötzlich wie von einer Rotte unterirdischer Dämonen wieder in ihren Grundfesten erschüttert wurde ... Die dunklen Mächte öffneten die Eingeweide des Berges Asam, ließen einen breiten, feurigen Strom sich auf Städte und Dörfer herunterwälzen und warfen brennende Fackeln und glühende Asche auf die menschlichen Behausungen. Weiße zischende Meereswellen, von der Göttin Amaterasu gesandt, brausten heran und vorschlangen alles, was noch am Leben geblieben war. Auch die jungen Fischer und die fröhlichen Mädchen fielen der allgemeinen Verheerung zum Opfer.

Nur die junge, übermütige Nisi Omori verblieb am Leben, da sie damals in einer anderen Gegend des Landes zu Besuch weilte.

Nach einer gewissen Zeit sah sie mit fröhlichem Lächeln mit ihren schwarzen, brennenden Augen einen andern an und lehnte sich liebestrunken an seine Brust.

In den hellen Mondnächten aber schweben weiße Nebelstreifen, weiblichen Gestalten gleich über das einsame Ufer, ... sie singen mit dem Winde das traurige Lied von Menschenschicksal, von Liebe und Rache.


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