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Buchschmuck

I.

Der lange Assessor Valentini, dessen Magerkeit noch niemals so auffällig gewesen war als heute, wo ihm der vom Amtsrichter ausgeliehene Pelz in abenteuerlichen Falten um die dürren Glieder schlotterte, hatte seit dem letzten Examen keinen so sauern Tag mehr gehabt wie diesen. Seit seiner Versetzung nach W. war er bei jeder passenden Gelegenheit ein so unermüdlicher Apostel des Ruhmes gewesen, den er sich in der Hauptstadt als Arrangeur von Theatervorstellungen, Bällen und Picknicks erworben haben wollte, daß man die Anordnung und Leitung der für den heutigen Nachmittag geplanten Schlittenpartie unmöglich hatte einem anderen übertragen können als ihm. Nach seinen Schilderungen früherer Großthaten war man ja berechtigt, sich auf etwas ganz außerordentliches gefaßt zu machen und die geheimnisvollen Andeutungen, mit denen der Herr Assessor während der letzten Woche um sich geworfen, schienen nur danach angethan, diese Erwartungen noch um ein beträchtliches zu erhöhen. Nun aber drohten ihn seine Feldherrntalente schon vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung kläglich im Stich zu lassen und es hatte ganz den Anschein, als ob ihn ein tückischer Zufall um all seine Lorbeeren als genialen Vergnügungsmarschall bringen wolle.

Wohl waren die Schlitten zum lauten Ergötzen der gesamten Jugend von W. mit gewaltigem Schellengeklingel pünktlich zur festgesetzten Stunde vor der kleinen Villa des pensionierten Obersten von Hasselrode, die man zum Rendezvous bestimmt hatte, vorgefahren; aber fast gleichzeitig mit ihnen war aus dem Hause des Herrn Bürgermeisters Steinkirch die niederschmetternde Kunde eingetroffen, daß die Familie wegen plötzlichen Unwohlseins der Frau Bürgermeisterin zu ihrem Bedauern an dem Ausfluge nicht teilnehmen könne. Was diesen Schlag für den Assessor Valentini zu einem so furchtbaren machte, war der Umstand, daß es bei den Steinkirchs nicht weniger als vier erwachsene Töchter gab und daß jede der hübschen jungen Damen einem Kavalier zugeteilt worden war, der nun natürlich auf andere Weise versorgt sein wollte. Anfänglich hatte der bedauernswerte Assessor noch gehofft, Unheil durch die Kraft seiner Beredsamkeit abwenden zu können. In einem besonders verführerisch aussehenden Schlitten war er nach dem Hause des Bürgermeisters gefahren, um wenigstens einige der weiblichen Familienglieder für diese Partie zu retten. Aber er hatte sogleich alle Hoffnung aufgegeben, als das sechzehnjährige Fräulein Käthe Steinkirch, das ihm mit rotgeweinten Augen entgegengekommen war, unvorsichtigerweise verraten hatte, daß die Krankheit der Mama durch das Nichteintreffen der in der Hauptstadt bestellten neuen Kleider verursacht worden sei. Ohne alle weiteren Ueberredungsversuche war er da zu der harrenden Gesellschaft zurückgekehrt und hatte mit dem Geberdenspiel eines geschlagenen Generals erklärt:

»Ich würde sie bewogen haben zu kommen, selbst wenn sie auf dem Sterbebette gelegen hätten – ohne die neuen Kleider aber, dessen bin ich gewiß, würde auch ein Bataillon Soldaten nicht im stande gewesen sein, sie hierher zu schleppen.«

Man war also genötigt gewesen, sich in das unabänderliche zu finden, und nachdem die wiederholten Versuche des Assessors, aus eigener Machtvollkommenheit eine anderweite Verteilung der Paare vorzunehmen, jedesmal an dem Widerspruch einiger Beteiligten gescheitert waren, rief er endlich in heller Verzweiflung:

»Nun, meine Herrschaften, so bitte ich Sie denn, sich ganz nach Ihrem Belieben zu placieren. Aber bald, wenn es gefällig ist: denn wir haben schon mehr als eine halbe Stunde von unserer kostbaren Zeit verloren.«

Allgemeiner Beifall begrüßte diesen Akt der Entsagung, und es war offenkundig, daß die junge Welt unter einander sehr bald über die zweckmäßigste Verteilung der Plätze einig werden würde. Die ganze Gesellschaft befand sich noch in dem kleinen verschneiten Vorgarten der Hasselrodeschen Villa, und die holde Straßenjugend von W., die durch das seltene Schauspiel in hellen Haufen angelockt worden war, drückte sich die roten Nasen an dem kalten Eisengitter platt, um die hübschen Damen in den kleidsamen, knappen Pelzjäckchen oder den gleich dicken Riesenschlangen bis zur Erde niederfallenden Boas recht genau betrachten zu können. Die meiste Bewunderung aber erregte unverkennbar Fräulein Editha von Hasselrode, die ältere Tochter des Obersten, die mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester Monika eben erst aus dem Hause getreten war.

Sie war hoch und schlank gewachsen, eine echt aristokratische Erscheinung, und das dunkelbraune, mit Streifen vom Pelz des Silberfuchses besetzte Tuchkleid, das – nach englischer Mode gearbeitet – beinahe faltenlos ihre vornehme Gestalt umfloß, gab ihr in den Augen des wenig verwöhnten Kleinstadtnachwuchses etwas wahrhaft königlich gebieterisches. Auch das kleine kecke Barett von dem nämlichen Pelzwerk nahm sich auf dem reichen dunkeln Haar vortrefflich aus und schien die eigenartige, stolze Schönheit des mit vollendeter Regelmäßigkeit gebildeten Antlitzes noch wirkungsvoller hervorzuheben. Es war kein Wunder, wenn neben dieser prächtigen Erscheinung die jüngere Schwester gleichsam im Schatten stand, obwohl man auch ihr ohne schmeichelnde Uebertreibung hätte zugestehen können, daß sie recht hübsch sei. Es war nur alles bescheidener, anspruchsloser, ja, man durfte fast sagen: schüchterner als bei Editha, die in jedem Blick und in jeder Bewegung verriet, daß sie daran gewöhnt sei, vor allen anderen bemerkt und bewundert zu werden.

In diesem Augenblick schien die ältere Tochter des graubärtigen, aus einem verwitterten Soldatengesicht gutmütig dreinschauenden Obersten nicht eben in besonders fröhlicher Laune. Es war ein kleiner Schatten auf ihrer weißen Stirn, und ihre schönen, dunklen Augen flogen mehr als einmal wie suchend die Straße hinaus, während sie auf einige Fragen ihrer Schwester zerstreute und einsilbige Antworten gab.

Da trat aus einer anderen, lebhaft debattierenden Gruppe ein etwa zweiunddreißigjähriger Herr mit blondem Vollbart und goldener Brille auf sie zu, höflich seinen Hut gegen die drei lüftend, den offen bewundernden Blick jedoch einzig auf Edithas schone Erscheinung gerichtet.

»Guten Tag, Doktor Asmus!« sagte der Oberst, indem er ihm die Hand schüttelte. »Ein seltenes Vergnügen, Sie auch einmal bei solchem Unsinn zu sehen. Es muß ja vortrefflich um die Gesundheit dieser guten Stadt bestellt sein, wenn Sie sich entschlossen haben, ihr auf so und so viele Stunde den besten ihrer Aerzte zu entziehen.«

»Vielen Dank für die gute Meinung, Herr Oberst,« erwiderte der Doktor, der seine Augen noch immer nicht von Editha losmachen konnte, lächelnd. »Aber in Wahrheit würde mich diese glorreiche Schlittenpartie schwerlich unter ihren Teilnehmern gesehen haben, wenn ich nicht ohnedies nach Eberbach müßte. Ich habe da eine Patientin.«

Um die feingeschwungenen Lippen Edithas zuckte es wie in leisem Spott.

»Ist das etwa noch immer die heldenmütige Stellmacherstochter, von der Sie uns neulich erzählten?«

Er mußte die Ironie in der Frage wohl überhört haben, da er ganz treuherzig antwortete:

»Allerdings! – Ich wünschte freilich, daß ich das arme Ding schon längst wieder hätte auf die Beine bringen können; aber es wird mir bei dieser Gelegenheit am Ende nicht zum erstenmal zum Bewußtsein gebracht, wie armselige Stümper wir Heilkünstler doch mit all unseren mächtigen Waffen sind.«

»Na – na!« machte der Oberst. »Wenn ich an meinen Rheumatismus und an Ihren Kurerfolg denke –«

»Um Gotteswillen nur keine Krankengespräche, Papa!« fiel Editha ein. »Ich glaube, es braucht ohnedies nicht mehr viel, mir die Laune völlig zu verderben. Fahren Sie in Ihrem eigenen Schlitten, Herr Doktor?«

»Ja! – Es ist nicht gerade ein Prachtexemplar; aber mit den Mietsgäulen aus der Stadt nimmt es mein Brauner doch wohl noch auf. Ich habe Platz für zwei Personen, und wenn ich Sie um die Ehre Ihrer Gesellschaft bitten dürfte, Fräulein Editha –«

Sie zauderte einen Augenblick, dann sagte sie leichthin:

»Warum nicht? Ich weiß gar nicht, wem mich der Herr Assessor zugedacht hatte; aber da nun doch einmal alles umgestoßen ist –«

In diesem Augenblick wurde in der Ferne abermals Schellengeläute vernehmlich, und auf dem Grunde von Edithas Augen leuchtete es eigenthümlich auf, als aus jener Richtung, in die sie während der letzten Minuten so oft suchend gespäht hatte, ein schon von weitem durch seine mächtigen weißen Schneedecken auffallender Schlitten daherkam. Er war mit zwei Rappen bespannt und der gleichmäßige Hufschlag der scharf trabenden Tiere verriet einem geübten Ohr zur Genüge, daß sie nicht unter die von Doktor Asmus eben so geringschätzig erwähnten Mietgäule zu zählen seien.

Durch die Gesellschaft in dem verschneiten Vorgarten ging eine kleine Bewegung und das ohnedies schon recht lange Gesicht des Assessors Valentini wurde noch länger.

»Wenn mich nicht alles trügt, sind das die Pferde des Herrn Hugo Neukamp,« sagte er bissig; »es scheint, daß ohne sie oder ihren Besitzer hier nichts irgendwie Bedeutsames mehr vor sich gehen kann. So viel ich weiß, ist der Herr doch von niemandem eingeladen worden.«

Der Schlitten war unterdessen herangekommen, und sein Lenker, ein noch junger Herr in einem Pelz von feinstem Kamschatkabiber, ließ, nachdem er die Pferde auf eine sehr elegante und schneidige Weise pariert hatte, dem hinter ihm sitzenden Kutscher die Zügel. Als er auf den Schnee sprang, sah man, daß seine große breitschulterige Gestalt durchaus im richtigen Verhältnis zu dem mächtigen Kopfe und dem runden, roten, nur mit einem kleinen dunklen Schnurrbärtchen bewachsenen Antlitz stand. Er lüftete gegen die Gesellschaft im allgemeinen den Hut und wandte sich dann, wie es wohl als eine natürliche Pflicht der Höflichkeit erscheinen mußte, gegen denjenigen, auf dessen Grund und Boden er sich befand.

»Ich habe für mein Eindringen um Entschuldigung zu bitten, Herr Oberst,« sagte er verbindlich, »aber ich hoffe, man wird mir gestatten, mich mit meinem Gefährt dem Ausflugs anzuschließen. Es war ohnedies meine Absicht, Fräulein Editha für diesen Nachmittag zu einer kleinen Schlittenfahrt einzuladen.«

In demselben Augenblick, da der neue Ankömmling sich ihnen genähert hatte, war Doktor Asmus um einen Schritt zurückgetreten. Etwas wie eine Wolke des Mißmuts hatte sich auf seinem Gesicht gezeigt, und er hatte auch nicht gleich den übrigen den allgemeinen Gruß des eleganten Herrn in dem Biberpelze erwidert. Der Oberst aber und seine Töchter schienen nur angenehm überrascht. Es gab von Seiten des Herrn von Hasselrode eine sehr freundliche Begrüßung und Editha sagte lebhaft:

»Ein wie prächtiges Gespann Sie da haben, Herr Neukamp! – Es muß wahrhaftig ein Vergnügen sein, darin über den Schnee zu sausen.«

»Ein Vergnügen, das Sie sich hoffentlich recht oft bereiten werden, mein gnädiges Fräulein,« gab er galant zurück. »Sie nehmen doch auch jetzt den freien Platz in meinem Schlitten an?«

Editha bejahte schnell, und auf eine leise Mahnung ihrer Schwester hin schien sie sich zu erinnern, daß sie vor wenig Minuten einem anderen dieselbe Zusage gemacht hatte. Mit einer Bewegung, die trotz des Unmuts, den sie ausdrücken sollte, noch graziös und reizend war, warf sie den Kopf zurück.

»Ah, wahrhaftig! – Aber es war nur ein halbes Versprechen und er wird mich davon entbinden, wenn ich ihm Ersatz schaffen kann. – Lieber Herr Doktor –« fügte sie lauter hinzu, indem sie den abseits Stehenden mit einem allerliebsten Lächeln heranwinkte – »Sie müssen eine That edler Selbstverleugnung vollbringen. Herr Neukamp hatte soeben die Güte – übrigens, die Herren sind doch mit einander bekannt?«

Der Doktor verzog keine Miene; der andere aber neigte um ein geringes das Haupt und sagte in einem Ton, der zwischen Hochmut und Verlegenheit die Mitte hielt:

»Ich hatte schon früher einmal die Ehre, wenn ich nicht irre.«

»Und meine Selbstverleugnung?« fragte Doktor Asmus, als wenn er diese Bemerkung nicht gehört hätte. »Worin soll sie bestehen?«

»Sie sollen mir erlauben, die Einladung des Herrn Neukamp anzunehmen. Sehen Sie nur selbst, mit einem wie prächtigen Gespann er da alle anderen aus dem Felde geschlagen hat.«

In einem sehr liebenswürdigen Ton, der bei ihrer stolzen Erscheinung ganz besonders herzgewinnend klang, hatte sie ihre Bitte vorgebracht. Der Doktor aber mußte die Gewährung derselben doch wohl nicht für ein gar so geringfügiges Zugeständnis ansehen; denn er machte ein sehr ernstes, ja, beinahe trauriges Gesicht und richtete einen vorwurfsvollen Blick auf Edithas schönes, lächelndes Gesicht.

»Sie sind selbstverständlich die freie Herrin Ihrer Entschlüsse, gnädiges Fräulein,« sagte er mit etwas gepreßt klingender Stimme, »und es ist natürlich, daß Sie sich für dasjenige entscheiden, was Ihnen das meiste Amüsement verspricht.«

Sie that, als habe er sie mit freudigster Bereitwilligkeit freigegeben.

»Soll ich bei meiner Schwester Monika ein gutes Wort für Sie einlegen?« fragte sie heiter. »Sie hat ein so viel sanfteres Temperament als ich, daß sie mit dem bedächtigen Trab Ihres dicken Braunen gewiß vollauf zufrieden ist.«

Fräulein Monika wurde rot bis an die Stirn hinauf und sah verlegen vor sich nieder in den Schnee; als aber Doktor Asmus, wie es nach Edithas herausfordernder Bemerkung ja unvermeidlich war, um die Ehre bat, ihr den freien Platz in seinem Schlitten anbieten zu dürfen, legte sie ohne Zaudern ihre Hand in seinen Arm und ließ sich von ihm zu dem einfachen, kleinen Schlitten führen, der als der erste in der langen Reihe hielt.

Dann schickten sich auf eine nochmalige dringende Mahnung des Assessors auch die übrigen Herrschaften zum Einsteigen an, und wenige Minuten später ertönte von hinten her die schon etwas heiser gewordene Kommandostimme des dürren Valentini:

»Bitte, Herr Doktor – lassen Sie uns abfahren!« –

Schön und gebieterisch wie eine Fürstin saß Editha von Hasselrode neben ihrem Kavalier. All ihre üble Laune schien verflogen, seitdem sie die Köpfe der edlen, ungeduldigen Pferde vor sich sah und seitdem sie die Gewißheit hegen konnte, von allen anderen Teilnehmerinnen der Partie um ihren bevorzugten Platz beneidet zu werden. Als sich der Schlitten des Doktor Asmus in Bewegung gesetzt hatte, nahm Neukamp, obwohl er außerhalb der Reihe gehalten hatte und sich eigentlich als letzter hätte anschließen müssen, einen günstigen Augenblick wahr, um sein Geführt zu dem zweiten zu machen, und das harmonisch abgestimmte, silberne Geläut auf dem Rücken seiner Pferde erregte das Entzücken der Straßenjugend in hohem Maße, daß sie mit lautem Hurrah daneben herliefen, bis einem nach dem anderen der Atem ausgegangen war.

Sie hatten die letzten Häuser des Städtchens bald hinter sich gelassen, und zu ihrer Rechten wurden nun die langgestreckten, schmucklosen Gebäude einer durch ihre gewaltigen Schornsteine gekennzeichneten Fabrik sichtbar.

»Ich habe bisher nicht gewußt, daß Ihr Etablissement eine so große Ausdehnung habe,« sagte Editha. »Wie viele Arbeiter sind denn darin beschäftigt?«

»Augenblicklich nicht mehr als sechshundert,« erwiderte er leichthin. »Ich habe vor einigen Monaten, als ich die Fabrik von meinem Vorgänger übernahm, der schlechten Geschäftslage wegen nahezu die Hälfte der Leute entlassen müssen, und ich sehe mehr und mehr ein, daß diese Maßregel noch nicht einmal hinreichend war, um mich für die Dauer der Krisis vor Schaden zu bewahren.«

»Und die kleine Villa da drüben ist Ihr Wohnhaus – nicht wahr?«

»Ja! – Ein elendes Ding – nach meinem Geschmack wenigstens, und vermutlich auch nach dem Ihrigen, mein gnädigstes Fräulein! – Aber ich habe mir bereits von einem unserer genialsten hauptstädtischen Baumeister die Entwürfe zu einem Neubau anfertigen lassen, und im Laufe des nächsten Sommers hoffe ich damit sowohl wie mit der Anlage eines großen Parkes, der sich bis an den Waldessaum erstrecken soll, fertig zu werden.«

»Ah – Sie müssen mir gelegentlich die Pläne zeigen. Ich interessiere mich sehr für solche Dinge.«

»Ihre Teilnahme macht mich sehr glücklich, Fräulein Editha! Wissen Sie auch, daß es mir nur an Mut gebrach, Sie um Ihren Rat in diesen Angelegenheiten anzugehen? Ich habe eine so hohe Meinung von Ihrem Geschmack und Ihrem künstlerischen Verständnis, daß ich stolz darauf wäre, Ihren Beifall für meine Ideen zu gewinnen.«

Sie lächelte ein wenig und aus den dunkeln Augen traf ihn ein Blick, um den ihn wohl alle Bewunderer der schönen Editha beneiden konnten. Dann blieb es eine kleine Weile still zwischen ihnen, bis Fräulein von Hasselrode mit einem leichten Stirnrunzeln sagte:

»Wie unerträglich schwerfällig der Gaul des Doktors ist! – Es wäre abscheulich, wenn wir immer in diesem Schneckentempo hinter ihm drein trotten müßten. Lassen Sie uns doch die Spitze nehmen, damit Ihre Pferde endlich einmal ausgreifen können.«

»Die Fahrstraße ist zu schmal, Fräulein Editha! – Ich kann nicht an ihm vorüber, wenn ich nicht Gefahr laufen will, uns umzuwerfen oder einen Zusammenstoß herbeizuführen.«

Sie kräuselte die Oberlippe und sagte mit einem merklichen Anfluge von Spott:

»Wollen Sie mir die Zügel geben? – Ich fürchte mich nicht vor einer solchen Katastrophe.«

Neukamp antwortete nichts; aber er biß die Zähne zusammen und trieb die Pferde, indem er sie seitwärts lenkte, zu schärfster Gangart an. Als ein geübter Fahrer hatte er die Situation vollkommen richtig beurteilt. Da Doktor Asmus die Mitte der Fahrstraße hielt, schien es für den Zweispänner des Fabrikbesitzers fast unmöglich, an ihm vorüber zu kommen, und gewiß war es allein der ungewöhnlichen Geschicklichkeit des letzteren zu verdanken, wenn die beiden Gefährte nur leicht aneinanderstreiften, ohne sich gegenseitig ernstlichen Schaden zuzufügen. Immerhin war der Stoß, den des Doktors Schlitten bei dem gefährlichen Wagnis erhielt, ein sehr fühlbarer, und Monika, die wohl an ein unabwendbares Unglück glauben mochte, stieß einen Schreckensruf aus, indem sie zugleich in dem unwillkürlichen Verlangen nach Schutz angstvoll den Arm ihres Begleiters umklammerte.

Der junge Arzt, der durch das tollkühne Beginnen des anderen ebenfalls aufs höchste überrascht sein mußte warf, indem er sein Pferd zur Seite riß, einen zornigen Blick zu dem im Fluge vorbeisausenden Schlitten hinüber; aber wenn er vielleicht ein unwilliges Wort auf den Lippen gehabt hatte, so war es die lächelnde, triumphierende Miene Edithas gewesen, welche ihn verhindert hatte, es auszusprechen. Jetzt wußte er ja mit einem Mal, daß sie allein die Schuld an dem verwegenen Manöver trug, und diese Gewißheit machte ihn verstummen.

»Verzeihen Sie, Herr Doktor!« sagte Monika leise und beschämt, als die Gefahr vorüber war. »Ich war gewiß sehr thöricht, mich zu ängstigen; aber ich habe leider nicht die mutige Natur meiner Schwester.«

»Sie brauchen sich dessen wahrhaftig nicht zu schämen, Fräulein Monika,« erwiderte er, und es war eine Bitterkeit in seinen Worten, deren Ursache seine schüchterne junge Zuhörerin nicht begriff. »Solange es noch nicht die eigentliche Bestimmung der Frau ist, sich als Amazone hervorzuthun, wird man voraussichtlich fortfahren, gewisse andere weibliche Tugenden höher zu schätzen als die Tugend der persönlichen Tapferkeit.«

Die Entfernung zwischen dem Schlitten Neukamps und dem seinigen vergrößerte sich rasch – um so rascher, als Doktor Asmus viel eher darauf bedacht schien seinen Braunen zurückzuhalten als ihn anzutreiben. Es war, als sei es ihm peinlich, die seinen Umrisse von Edithas Köpfchen vor sich zu sehen und als wünsche er den beiden einen möglichst großen Vorsprung zu lassen.

Der Ton seiner Antwort schien Monika den Mut zu weiteren Gesprächen genommen zu haben; denn sie verhielt sich ganz still, bis ihm selber die Unhöflichkeit seines hartnäckigen Schweigens zum Bewußtsein kommen mochte. Nun bemühte er sich, eine Unterhaltung im Fluß zu erhalten, indem er seine Begleiterin auf alle halbwegs interessanten Dinge aufmerksam machte, an denen sie vorüberkamen, und er konnte sich kaum eine andächtigere und dankbarere Zuhörerin wünschen, als es ihm Monika von Hasselrode war. Er kannte die Gegend und ihre Bewohner offenbar sehr genau, obwohl er bei seiner Jugend die ärztliche Praxis unmöglich schon lange ausüben konnte. Fast aus jedem Dörfchen und fast von jedem Gehöft, das sie passierten, wußte er etwas zu erzählen, das wohl des Anhörens wert war, weil es nicht nur die Schärfe der Beobachtungsgabe, sondern auch das humane Wohlwollen verriet, mit welchem der Erzähler hier seine Studien gemacht hatte. Monika beschränkte sich denn auch zumeist darauf, still seinen Worten zu lauschen; aber wenn sie einmal eine Frage oder eine Bemerkung einwarf, so gab dieselbe sicherlich Zeugnis für die lebhafte innere Anteilnahme, mit welcher sie die Geschichten des Doktors verfolgte. Daß er selber nicht mit seinem ganzen Herzen bei dem Gespräch war, bemerkte sie wohl kaum; denn als nach etwa zweistündiger Fahrt – Hugo Neukamps Schlitten war längst ihren Blicken entschwunden – die bescheidenen Häuschen eines kleinen Dorfes vor ihnen auftauchten und als Doktor Asmus, mit der Peitschenspitze auf das schmucke Kirchlein deutend, sagte:

»Da ist Eberbach! – Ich fürchte, Fräulein Monika, Sie werden herzlich froh sein, in zehn Minuten Ihres langweiligen Gesellschafters ledig zu werden« –, da erhob sie mit sanftem Vorwurf ihre ausdrucksvollen grauen Augen zu seinem Gesicht und sagte im Tone schlichter Aufrichtigkeit:

»Wie mögen Sie nur so sprechen! Mir ist, als wären wir erst seit einer Viertelstunde unterwegs und ich hätte Ihnen sicherlich noch lange zuhören können, ohne zu ermüden.«

Ans jedem anderen Munde würden solche Worte vielleicht wie berechnete Koketterie geklungen haben, hier aber konnte nicht einmal der flüchtige Verdacht aufkommen, daß sie etwas anderes als der Ausdruck ihrer ehrlichen Meinung seien. Mit einem freundlichen Lächeln nickte ihr Doktor Asmus zu:

»Sie sind eben die verkörperte Güte und Anspruchlosigkeit, Fräulein Monika! – Für einen ungeberdigen Menschen meines Schlages ist mitunter etwas wahrhaft beschämendes in Ihrer Sanftmut und Geduld.«

Die junge Dame errötete wieder, und es war gut, daß der Schlitten eben in die Dorfstraße einfuhr, wo ihr einige johlende Bauernkinder und einige kläffende Hunde Gelegenheit gaben, ihre durch des Doktors Lob hervorgerufene Verwirrung hinter einer raschen, gleichgültigen Bemerkung zu verbergen. Ein paar Minuten später hielten sie vor dem Wirtshause, das zum Empfange der vorher angemeldeten Gesellschaft festlich mit grünen Laubgewinden geschmückt war, und Monika stützte ihre schmale, leise bebende Hand in die kräftige Rechte des Doktors, dessen Augen forschend umherschweiften, während er seiner Dame auf diese Art beim Aussteigen behilflich war.


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