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Elftes Kapitel.
Jenseit der Felsengebirge.

Neu-Jerusalem am großen Salzsee, Februar 1852.

Lieber Bruno!

Einen herzlichen Gruß aus dem äußersten Westen, aus der Mormonenstadt im Territorium Deseret, wie die Heiligen in den Utahs, wie die Officiellen sagen: 4200 Fuß über dem Ocean, also 1000 Fuß beinahe höher als euer Brocken.

Ja, sperre Augen und Ohren auf! wir, von König Johann's Gnaden dresdener Maiflüchtlinge, sind jetzt im Dienste der großen Union-Pacific-Rail-Road-Company und haben vom Atlantischen Meere ab schon 2100 englische Meilen zurückgelegt, sind den Ohio hinabgefahren, viele Hunderte von Meilen, dann auf der Bahn zum Mississippi und von da viele hundert Meilen weit den schmuzigen Missouri hinauf, zu dünn, um darauf zu gehen, zu dick, um darin schwimmen zu können, wie unser Proviantmeister sagt.

Ein gewaltiges Land, dieses Amerika, und ein gewaltiges Volk, von dem ihr in Europa keine Ahnung habt! Alles Fortschritt mit Dampf, in allem, was es anfaßt, Gelingen! Schickt uns jährlich noch eine Million Deutsche, funfzig Jahre hindurch, und Amerika ist das mächtigste Reich der Welt, das aus Dankbarkeit Deutschland vor russischer Barbarei schützt, der ihr im entgegengesetzten Falle unrettbar anheimfallt. Wir haben alles, nur nicht Menschen genug, obgleich das Gold sie aus allen Welttheilen herlockt, und es in Californien schon von Chinesen wimmelt.

Amerika war mir nach meinen Schulbegriffen immer sehr schmalbäuchig vorgekommen, es mag das von seiner Längenerstreckung vom Nordpol bis zum 54. Grade südlicher Breite kommen; daß es in der Brust breit genug ist, das habe ich auf meiner Fahrt hierher kennen gelernt. Aber es ist ein jugendlicher Riese, ohne hemmende europäische Vergangenheit, ohne veraltetes, die schaffenden Kräfte niederdrückendes und umstrickendes Erbgetrümmer. Nordamerika mit den gegenwärtigen Grenzen ist größer als Europa, Rußland eingeschlossen – wie lange wird es dauern, daß es Mexico mit sich vereint hat und Herr von Cuba ist?!

Jetzt zieht das Gold nach den Felsengebirgen; wenn wir Wegebahner mit unserer Arbeit fertig sind, wird sich die Welt verändern; England wird vielleicht früher mit Amerikanern als mit den Russen in Ostindien zusammenstoßen.

Du scheinst zu fragen: ob ich nicht etwas Heimweh und Sehnsucht nach dem schönen Dresden verspüre? Pah! Glaubst Du, ein vernünftiger Mensch könnte sich danach sehnen, im waldheimer Zuchthause Wolle zu spinnen und jeden Sonntag in die Kirche getrieben zu werden und das wunderliche Geplärr eines Schwarzrocks anzuhören? Oder glaubst Du, ich könnte Johann ein Wort gönnen und um Amnestie bitten? Ich nicht! Leben hier in einem freien Lande; ich sehe erst jetzt, was eine Republik ist, ich begreife erst jetzt, warum die Amerikaner so stolz sind und berechtigt sind es zu sein auf ihre gloriose Union und ihr Sternenbanner. Was haben wir als Deutsche, als deutsches Volk denn je gethan? Hermann hat den Varus geschlagen und 1813 hat sich das Volk von den Franzosen befreit. Ja, aber mit russischer und schwedischer Hülfe und nicht ohne englisches Geld, und deshalb sind wir nicht Eins geworden, die Bundesmacht als der constituirte, coordinirte und sich gegenseitig garantirende Particularismus steht jedem Streben nach Einheit hindernd im Wege.

Wir in Amerika haben ganz andere, größere Ziele. Ich suche jetzt über Alpen mit ewigem Schnee eine Weltstraße zum Stillen Ocean, um uns den Westen aufzuschließen, suche das Paradies von Amerika, um eine große Stadt zu gründen. Es ist aber kein Spaß, es ist Ernst, und wenn mich meine Ahnung nicht trügt, so muß auf der Westseite der Sierra-Nevada dieses Paradies gefunden werden. Dann soll mir jeder Deutsche, der den Ackerbau oder ein Handwerk oder eine nützliche Kunst versteht, willkommen sein, ich will ihm Land schenken, das er bearbeiten, wo er sich ansiedeln mag.

Wie ich dazu komme, Dir zu schreiben? Dir, von dem ich im Zorne in Frankfurt geschieden bin? Ich will Dir sagen: es ist mir auf meiner ganzen Fahrt hier dasjenige Abenteuer aufgestoßen, das Dich am meisten interessiren wird, obgleich es uns nicht an Abenteuern gefehlt hat, seitdem wir in Kansas-City das Missouriboot verließen. Da ich hier seit dem November festliege und wahrscheinlich erst am Ende des nächsten Monats daran denken kann, Humboldt-Cannon zu ersteigen, fehlt es mir nicht an Zeit, und ich will Dir in möglichst kurzen Zügen den Weg, der mich hierher geführt hat, beschreiben. Das ist weniger für Dich, als für meinen Schwager Dummeier, dem Du den Anfang dieses Briefes, die Reisebeschreibung gleichsam, senden willst. Ob Du dort drüben schon eine Karte finden wirst, auf der Du folgen könntest, bezweifle ich freilich.

Kansas-City ist der Anfang einer Stadt, die sich vorgenommen hat, der Königin des Westens den Rang abzulaufen. Sie liegt auf einem hohen »Blutt« (Felsenhügel) und gewährt einen prächtigen Anblick auf den Missouri; Häuser zwar noch wenige, einige massive Brickhäuser und niedrige Breterhütten durcheinander noch, an dem Stieg, der 15–20 Fuß tief durch den Fels gehauen ist, kleben oben noch einige Häuser wie Schwalbennester am Felsen, die man vom Stieg aus nur durch Leitern erreichen würde. Aber nach dem Flusse zu, welches Getümmel von Ochsen, Maulthieren, Pferden, Wagen, Kaufmannswaaren aller Art, die von Dampfern ausgeladen und von Weißen, Indianern, Mischlingen, Negern, Mexicanern in Empfang genommen werden!

Der Agent der neuen Stadt zeigte mir den Plan derselben; es mögen hier jetzt etwa tausend Erwachsene leben; nach dem Plane war auf eine Stadt von 100000 Einwohnern gerechnet, eine Stadt mit vielen großen Plätzen, einem Park, Opernhause, einer Universität, einem Centralbahnhofe mitten in der Stadt, von dem aus die Eisenbahnen nach Saint-Louis, den Obern Seen, am Missouri hinauf und nach Westen den Kansasfluß entlang sich erstreckten.

Dabei mag viel Schwindel sein, um die Lots zu verkaufen; allein das hat Amerika vor dem alten Europa voraus, daß die Städte nicht nach Zufall, Laune und Ungeschick sich aufbauen, sondern von vornherein nach wenn nicht immer künstlerischen, doch praktischen und den Verhältnissen angemessenen Plänen angelegt werden. Mag die Kansasstadt noch zehn Jahre oder länger warten müssen, ehe sie zehntausend Einwohner hat, es kann nicht schaden, daß man von vornherein auf hunderttausend Rücksicht nimmt, der Platz ist ja da. Doch wurden schon Bauplätze von nur 150 Fuß Tiefe und 50 Fuß Breite für 3–700 Dollars verkauft.

Trotz der noch kaum auf tausend gestiegenen Einwohnerschaft fehlt es an einer Druckerei und einem Journal mit großem Titel nicht.

Hier begann unsere Arbeit. Wir zogen, um das Terrain zu recognosciren, erst viele Meilen weit am linken Missouriufer bis Saint-Joseph, dann am andern Ufer wieder hinab. Zwei Meilen oberhalb Kansas-City, da wo der Kansasfluß in den Missouri fällt, war eine Stadt im Entstehen, d. h. es waren 320 Acker vermessen und eingepfählt, und es hatte sich eine Gesellschaft gebildet und diesen Platz von der Regierung, den Acker für 1 Dollar und 25 Cents gekauft, Bauplätze und Blocks (Stadtviertel) vermessen, die dann durch Agenten an die von Osten nach Westen Wandernden schon in Saint-Louis oder Cincinnati verkauft werden.

So hatte ich mir in Saint-Louis für 50 Dollars Platz VI, im Block I, an der Kansas-Avenue von der Neubabylon-Compagnie gekauft, den ich jetzt in Augenschein nehmen wollte. Unser Proviantmeister und Führer, ein verdorbener Kentuckier, hatte mich gewarnt, mich beschwindeln zu lassen, und mir gesagt, daß von all den hundert Straßen, die auf dem mir vorgelegten Plane von Neubabylon, dem Stern des Westens, verzeichnet waren, noch nicht eine einzige fertig sei.

So war es auch, aber es existirte doch schon ein zweistöckiges Wirthshaus, eine Dampfsägemühle und etwa zwanzig Blockhäuser. Da die Kansas-Avenue, an der mein Block lag, sich den künftigen Kai des Kansasflusses, der etwa 400 Yards breit ist, entlang zog, beschloß ich, eine Breterhütte hier aufzubauen. Wir hatten unter unsern Feldmessern zwei Zimmerleute, unser Ochsengespann brachte von Kansas-City Balken und Sparren herüber, und in weniger als keiner Zeit war die Villa Hellung errichtet. Der Name Neubabylon hat Anstoß erregt durch den Schwindel, welchen ein Agent in Saint-Louis mit den Bauplatz-Assignaten getrieben hat; man nennt die neue Stadt, deren Bürger ich bin, Wyandott, nach einem Indianerstamm, der hier sein Reservatgebiet hat. Dieser Stamm hat sich schon gänzlich civilisirt, wohnt in Blockhäusern, bestellt sein Land, welches mit hohen virginischen Farren umgeben ist, mit Mais, Weizen und anderm Getreide, pflanzt Taback. Die Rothhäute, welche auf etwa sechs Quadratmeilen zusammenleben, sprechen englisch, halten Freischulen, Kirchen, verheirathen sich mit Weißen und sind sehr gute Christen.

Von hier zogen wir den Kansas hinauf nach Westen, erst durch dichte hügelige Wälder, dann durch herrliche wellenförmige Prairien, mit Gräsern so hoch wie der reife Roggen bei uns, durchwoben mit rothen, blauen, gelben Blumen. Ich hatte einen indianischen schwarzen Pony gekauft, der häufig ganz bis über den Kopf im Grase verschwand. Die Räder unsers Proviantwagens wühlten schwarzen Kleiboden auf, so schwer ich ihn nur bei Heustedt gesehen. Der Himmel war von wundervoller Klarheit.

Mehrere Einwanderer auf langen, mit weißem Leinen bedeckten Ochsenwagen hatten sich uns angeschlossen; ein indianischer Knabe auf einem Pony, bunte Federn in den Haaren, sonst mit zerrissenen Kleidern, führte uns durch das wogende Grasmeer. Es ist das Reservegebiet der Delaware-Indianer, durch das wir ziehen, einst ein mächtiger kriegerischer Stamm, jetzt auf einige hundert zusammengeschmolzen, die sich in den Wäldern angesiedelt haben und die Ebene meiden.

Etwa 35 englische Meilen weiter stießen wir auf eine neue Ansiedelung, die erst im vorigen Jahre gegründet wurde, die Stadt Lawrence am Kansas, zu Ehren des Amos Lawrence in Boston so genannt; – früher führte sie den indianischen Namen Wau-ka-rusa (Hüftentief). Kaum zwanzig Häuser, aber schon eine Buchdruckerei und eine Zeitung: » Herald of Freedom«.

Nach weitern 30 Meilen trafen wir eine Ansiedelung in der schönsten Prairie, der Ort nannte sich Topeka (der indianische Name für Kartoffel) und war von einem argen Grenzstrolch und Prosklavereimann, der sich Oberst Titus nannte, etwa vor anderthalb Jahren gegründet, jetzt aber im Besitz von Freistaatsmännern, die unter Walker's Führung einen freien Staat aus Kansas machen wollten.

Wir wurden hier von mehrern Trupps Indianern überholt, die auf eine eigentümliche Art reisten: sie hatten nämlich lange Stangen zu beiden Seiten an die Sättel der Pferde, auf denen sie ritten, befestigt, hinten waren zusammengerollte Büffelfelle daran angebracht, die auf der Erde schleiften und auf denen unter weichen Fellen zwei oder mehrere Kinder lagen. Die Rothhäute baten sehr um Taback, den sie erhielten. Die Frauen ritten, den Säugling auf den Rücken geschnallt.

So reisten wir mehrere Tage bis zu einer der vorerst noch westlichsten Militärstationen, dem Fort Riley, in dessen Nähe wir den Republican-River überschreiten mußten, der sich hier mit dem Smoky-Hill-Fork vereinigt, um den Kansasfluß zu bilden. Das Fort ist aus marmorähnlichem hellen Kalkstein zweistöckig aufgebaut. Man sah hier die über hundert Meilen entfernten düstern und rauchigen Hügel des Smoky-Hill, welche dem Flusse den Namen geben. Dreißig Meilen hinter dem Fort trafen wir auf die ersten Antilopen, die aber bei dem geringsten Geräusch die Flucht ergriffen, sodaß selbst unser Kentuckier, ein vortrefflicher Schütze, keinen Schuß nach ihnen versuchte. Am folgenden Tage trafen wir auf Hunderte von tiefen Büffelfährten, und sahen auch eins oder das andere dieser plumpen Thiere, die mit schwerem den Boden erschütterndem Tritt über die Prairie eilten. Der Kentuckier schoß einen jungen Bullen, dessen Fleisch uns vortrefflich schmeckte.

Die Büffel sind wahre Bahnmacher in der Prairie, und Hickory versicherte mir, daß die besten Heerstraßen in den Fußpfaden der Büffelheerden angelegt seien.

Hatten wir bisher, wenn nur unser Nachtquartier machten, ehe noch die Feldküche vom Ochsenwagen genommen war, eine Suche oder Jagd auf Klapperschlangen gemacht, die in Kansas häufig sind, so wurden wir jetzt durch ein Paar graue Wölfe verfolgt, von denen unser Proviantmeister das Weibchen niederschoß.

Wir durchzogen einige Tage darauf eine Ansiedelung von Prairiehunden, die über eine Meile lang war. Wie viel Einwohner mochte sie haben? Diese Thierchen sind um weniges größer als unsere Eichhörnchen, leben nur von Gras und haben nichts mit dem Hunde gemein als das Bellen, sie sind ein biederes, lustiges Völkchen, das gern im Sonnenschein spielt. Prairiewölfe, Eulen und Schlangen sind ihre Feinde. Unser Nimrod ließ es sich trotz meines Einspruchs nicht nehmen, einige davon zu schießen, damit wir abends Prairiehundebraten hätten. Er wurde am Spieß gebraten und schmeckte sehr gut.

Nach den hier angestellten Messungen waren wir jetzt schon 2300 Fuß über dem Meeresspiegel.

Nun folgten wir dem Laufe des Republican-Fork, der uns in dieser Wüste mit seinem klaren Bergwasser versorgte; aber plötzlich sahen wir den Fluß vom Boden verschwinden, sein Bett ward völlig trocken. Ich bekam keinen kleinen Schreck, aber unser Proviantmeister beruhigte mich. Als wir am Abend in dem Flußbette lagerten, ließ er ein vier bis fünf Fuß tiefes Loch graben, und wir fanden Wasser.

Endlich sahen wir südlich die erste Schneekuppe des Pickes-Peak und bald auch im Nordwesten den Long-Peak hinter einer Masse dunkler Wolken hervorschauen, wenn auch hundert Meilen entfernt. Wir befanden uns in einer trostlosen Wüste mit weißem Alkaliboden und Zwerggesträuchen, dürrem Gras, das nicht einmal unsere Ochsen fressen wollten, aber die Luft wurde schon frischer. Der Republicanfluß, der zwanzig Meilen lang unter der Erde seinen Lauf gesucht, kam wieder zum Vorschein, wir aber wendeten uns von seinen Ufern an die des Platteflusses, dem wir stromaufwärts in das Gebirge folgten. Je höher wir anstiegen, desto großartiger wurden die Gebirgsfirnen, Alpen an ihrem Fuße mit ungeheuern Fichtenwäldern bedeckt, aus denen die Gletscher bei Sonnenschein rosenroth ihre Häupter erhoben, bei Sonnenuntergang aber wie geschmolzenes Gold leuchteten. Der Kentuckier wollte mich auf eine alte Landstraße bringen, welche Santa-Fé mit Neumexico verbinde und zum großen Salzsee führe, auf der er selbst das Felsengebirge überschritten.

Seit acht Tagen hatten wir kein lebendes Wesen außer unserer Karavane gesehen, jetzt standen wir vor Bergesriesen, auf keiner Karte verzeichnet, kamen an Flüsse und Bäche ohne Namen und mußten uns theilen, da wir unsere Wagen nicht über den angeschwollenen Bergstrom bringen konnten. Wir wußten nicht, ob wir noch in Kansas oder schon in einem andern Territorium waren, seit acht Tagen hatten wir nichts genossen als Speck und Schiffszwieback, letzterer so hart und von der Sonne so ausgedörrt, daß man ihn erst eine halbe Stunde ins Wasser legen mußte, um ihn verdaulich zu machen.

Wir theilten uns, und ich bestieg mit unserm Kentuckier und acht meiner Gehülfen einen der höchsten Berge, die wir vor uns hatten, soweit wir und zwei Maulthiere, welche Lebensmittel, Whisky, Wasser und wollene Decken trugen, hinaufzukommen vermochten.

Unsern Gefährten unten hatten wir aufgegeben, fortwährend ein großes Feuer zu unterhalten, damit wir nach dem Rauche uns orientiren und unsere Genossen wiederfinden könnten. Wir stiegen zwei Tage lang bis in die Schneeregion, wo nur noch einiges Heidegestrüpp wuchs. Es war gefährlich, weiter zu steigen; wir konnten hier den pyramidenförmig emporsteigenden Pic bis zur Hälfte umgehen, nach den Gebirgen zu. Hier war die Aussicht ähnlich der, die ich vor zehn Jahren einmal vom Dachstein herab auf die Salzburger Alpen genossen hatte, nur fehlten die vielen schönen grünen Seen. Doch konnte ich eine ungefähre Karte der Alpenketten und der Lage der Thäler entwerfen und die Einsicht gewinnen, daß hier für eine Eisenbahn schwer ein Ueberkommen zu finden sei. Wir waren auf einer Höhe von über 9000 Fuß nach der Barometermessung und stiegen am zweiten Tage noch so weit herab, um im Schutze des ersten Tannenwaldes bei einem Feuer, in unsere Decken eingehüllt, vor Kälte nicht zu erstarren, denn wir waren über die erste Hälfte des Octobers hinaus. Ohne den Kentuckier würde es schwer geworden sein, den Rückweg zu unsern Gefährten zu finden, denn von einem Pfade war nirgends die Rede; Kompaß und Barometer halfen. Außerdem hatte unser Proviantmeister beim Bergsteigen von Viertelstunde zu Viertelstunde einige junge Fichten gefällt und kreuzweise über die Pfade gelegt, auf denen wir emporgestiegen waren. Als wir das erste Wahrzeichen dieser Art fanden, war es dem mit dem Instinct eines Indianers versehenen Kentuckier leicht, den Rückweg zu finden, und so sahen wir denn auch, als wir an eine Waldlichtung kamen, den Dampf vom Lager unserer Freunde und entdeckten einen Waldbach, an dessen Ufer wir bequemer als bisher hinabstiegen.

Der Proviantmeister führte die Maulthiere mit schwererer Last hinunter, als sie heraufgegangen, da er namentlich allenthalben, wo der Bergbach die Felsen bloßgelegt, Gestein abhackte und mitnahm, indem er behauptete, es sei Goldquarz.

Heute, wo wir von den Mormonen Karten erhalten haben, welche diese auf ihrer Wanderung nach dem gelobten Lande mit großer Sorgfalt aufgenommen, wissen wir, wo wir gewesen sind: nämlich im Territorio Colorado bis etwa zum 39. Grade nördlicher Breite, und daß wir in das Gebiet zwischen Nord-Longs und Süd-Park eingedrungen waren. Wir wissen jetzt, daß wir Entdecker eines neuen Goldgebiets sind, welches das californische vielleicht an Mächtigkeit überbietet, und jedenfalls dazu beitragen wird, die unbewohnte Gegend zu bevölkern und die Anlage der Pacificbahn zu erleichtern.

Mit den Gefährten wieder vereinigt, wurde beschlossen, an dem Flusse, an welchem wir uns befanden, nach Osten bis zum Missouri hinunterzuziehen. Das war ein Glück für uns, denn der Zufall ließ uns die südliche Platte oder das Nebraskathal finden. Nach achttägigem Marsche kamen wir bei Fort Grattan an, das am nördlichen Arm des Platte liegt, woselbst wir uns mit Lebensmitteln versorgen konnten. Der Platte (der seichte Fluß) hat in seinem untern Laufe fast die Breite des Mississippi, aber er ist höchstens 2 Fuß tief, in der trocknen Jahreszeit nämlich.

Das Thal, in welchem er ostwärts herabsiecht, denn fließen kann man das kaum nennen, ist etwa 30 englische Meilen breit und hat in einer Erstreckung von 500 Meilen nach unsern Messungen nur 7 Fuß Gefälle auf die Meile. Das ist also ein Thal, von der Natur wie zur Eisenbahnanlage geschaffen. Ueber Fort Kearny folgten wir dem Flusse bis dahin, wo die Pawnee-Fork sich in ihn ergießt. Da sie tiefer und reißender war, auch steilere Ufer hatte, gingen wir oberhalb derselben über den Platte und kamen bei La Platte, einer neuen Stadt, an den Missouri, überwinterten aber einige Meilen nördlicher, wo sich den Council-Bluffs (Rathfelsen) am linken Missouriufer gegenüber eine neue Stadt, Omaha, aufbaut. Hier stellten wir unsere Arbeiten und Messungen zusammen und schickten den ersten Bericht ein.

Der Vicepräsident der Compagnie, Thomas Duram, kam selbst von Neuyork herüber, um sich mit mir mündlich zu bereden, und als er meine günstigen Nachforschungen über das Plattethal näher kennen lernte, wurde festgestellt, daß die Bahn von Omaha an nach Westen in diesem Thale weiter geführt werden solle.

Zugleich that er uns zu wissen, daß unsere in den Zeitungen veröffentlichten Berichte über die Goldgebirge den ganzen Osten aufzuregen begönnen, und daß schon Tausende sich rüsteten, im Frühjahre dahin zu wandern. Wir sollten darauf Bedacht nehmen, wenn wir in die Gegend kämen, wo wir die Parks bemerkten, eine Zweigbahn nach der Goldregion zu nivelliren und die Arbeiter über Fort Gallon zurückzusenden.

Besser ausgerüstet als auf der ersten Wanderung, traten wir im März vorigen Jahres den Weg nach Westen von neuem an und fanden auch unter dem 42. Grade nördlicher Breite und dem 105. Längengrade ein Thal, in welchem der Goldregion näher zu kommen war. Dort hatten sich schon Tausende von Goldgräbern gesammelt und eine Stadt »Denver« gegründet.

Wir erstiegen durch den Chaynepaß das Gebirge, überschritten den Nordarm des Platte im Territorium von Wyoming, dann den 1000 Fuß hohen Bridgerspaß. Hier machte unser Kentuckier die Entdeckung, daß wir schon im Gebiete der Bergbäche wären, welche ihre Gewässer zum Stillen Ocean senden, wahrscheinlich durch den Colorado (Rothen Fluß). Weit und breit war weder ein Gebirge noch ein Cannon zu sehen, wir befanden uns auf einer Hochebene ohne andere Vegetation als hier und da einige Cactusstauden und etwas Salbei. Unser Führer machte jenen Schluß daraus, daß die zahlreichen Forellen, die wir in den Bächen und Seen fingen, gelbbraun gefleckt waren, während die Forellen in allen zum Atlantischen Ocean oder Golf von Mexico strömenden Wässern schwarz gefleckt seien. Glücklicherweise waren wir in dieser trostlosen Wüste reichlich mit Lebensmitteln versehen. Unser Nimrod hatte einige Antilopen und einen großen Bären geschossen, dessen Keulen durch Holzessig, den wir bei uns führten, bald in delicaten Schinken verwandelt waren. Jetzt labten wir uns an Forellen, die wir in einer Specksauce zu unserm trockenen Zwieback verzehrten.

Aus unserer Weiterreise, die natürlich sehr langsam von statten ging, da wir neben der Richtung, die von den nach Californien wandernden Goldsuchern ausfindig gemacht war, bald rechts bald links nach günstigerm Terrain suchten, wurden wir Anfang October auch von einem starken Schneesturm überrascht. Als wir am andern Morgen unsere Weiterreise begannen, tauchten vor uns plötzlich Alpengebirge auf. Ein Eindruck von früher, den ich nie vergessen werde, als ich einst von der Bavaria bei München zum ersten male die Alpenkette am Horizont erblickte, wiederholte sich mir, da nun die Alpenkette jenseit des Salzsees hervortrat. Die Wüste lag hinter uns, über uns wölbte sich ein wahrhaft italienischer Himmel, die Luft war milde und warm, Blumen sproßten aus den Felsritzen, Moskitos summten. Wir erblickten die Spuren menschlicher Thätigkeit; durch die wundervolle zwanzig Meilen lange Gebirgsschlucht sind wahre Riesenarbeiten, das Echo Cannon, welches uns das Herabsteigen mit der Bahn sehr erleichtern wird, von den Mormonen erbaut.

Als wir endlich aus den Gebirgsschluchten herauswaren, lag das Utahbecken mit seinem blauen großen Salzsee, eingefaßt von himmelhohen schneebedeckten Bergen, zu unsern Füßen. Die Salzseestadt, obgleich sie noch sechs bis acht Meilen entfernt sein mochte, lag bei der Klarheit der Luft, als wenn sie ein halbes Stündchen entfernt wäre, wir sahen die breiten Straßen, die Gärten, die niedrigen Häuser.

Wir haben hier unsere Winterquartiere aufgeschlagen und sind schon vier Monate da. Bis hierher ist dieser Brief zugleich für Hans Dummeier und seine Frau, die ich beide tausendmal grüße, bestimmt, und für heute mache ich eine Pause.


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