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Sechstes Kapitel.
Abkühlung.

Es ist Zeit, daß wir uns nach einem unserer altern Freunde umsehen, nach Bruno Baumann. Als er von seiner verunglückten Brautfahrt nach Berlin, zerschlagen an Körper, verschnupft und erkältet, geistig durchfroren bis in das innerste Gemüth, zurückgekehrt war, suchte er Ruhe im Bett. Am andern Morgen fand ihn seine Aufwartung fiebernd, phantasirend, ohne Besinnung. Es wurde zum Arzt und zu dem Oheim Hermann geschickt; ersterer glaubte alle Anzeichen zu einem gastrisch-nervösen Fieber vorhanden, und Hermann hielt sich verpflichtet, den Neffen in sein Haus bringen zu lassen, um ihn der Pflege von Frau und Tochter zu übergeben. Als hier das Nervenfieber in aller Heftigkeit ausbrach, eine Barmherzige Schwester zu Hülfe genommen werden mußte, ließ es sich auch Heloise von Barrò nicht nehmen, Nächte hindurch bei dem Fiebernden zu wachen, obgleich sie selbst durch den härtesten aller Schläge getroffen war. Ihr Gemahl, Baron Lazzi von Barrò, war am 27. December bei der Vertheidigung Raabs gegen Windischgrätz gefallen, sie hatte die Trauerbotschaft in den ersten Tagen des neuen Jahres empfangen mit der Nachricht, daß Windischgrätz am 5. Januar ohne Widerstand in Ofen und Pesth eingezogen war. Ihr Gemahl todt, ihr zweites Vaterland, das sie wie eine geborene Ungarin liebte, von neuem in Ketten geschlagen, besiegt von den fremden Horden, Italienern, Kroaten, Slowaken! Sie fühlte sich recht einsam und verlassen in der Welt, ihr Bruder hatte sich von ihr abgesagt, er wollte mit der Gattin eines Rebellenführers nichts zu thun haben, er war nie brüderlich gesinnt, hatte ihr noch nicht einmal ihr mütterliches und väterliches Erbtheil, das in dem Schlosse Finkenstein steckte, ausgezahlt, sondern nur einige tausend Dukaten zur Aussteuer bei der Hochzeit nach Wien überbracht. Baron Lazzi und Justus Victor von Finkenstein waren zu entgegengesetzte Charaktere, als daß sie Gefallen aneinander hätten finden sollen; jener schwärmte für die Freiheit seines Vaterlandes, dieser liebte höchstens sich und ein lustiges Husarenleben, wie er es nannte. So waren die Geschwister schon bei der Hochzeit Heloisens kalt auseinandergegangen und die Kluft hatte sich seit den Märztagen erweitert, da Barrò auf Kossuth's Seite trat, während Justus Victor sich vor dem Hasse des Volks aus Hannover zurückziehen mußte und ziemlich einsam auf seinem Finkenstein wohnte.

Es war schon Ende Januar, als die Fieberphantasien bei Bruno aufhörten, das Denken wieder die Oberhand gewann, das Auge klarer schaute. Als er zum ersten mal mit Bewußtsein erwachte und die Augen sehend aufschlug, erblickte er eine hohe in Trauer gekleidete Frauengestalt am Kopfende seines Bettes sitzend, die das Gesicht ihm abwendete, da sie auf einer Karte den Rückzug Bem's von Hermannstadt studirte.

Bruno schlug schnell die Augen wieder zu, er mußte sich erst besinnen, wo er war, nachdenken, wer die Dame sei. Endlich ahnte er das Richtige. Veronica die Mutter kam herein und beugte sich über ihn. Da schlug er die Augen auf und sagte: »Liebe Tante!« Ein Schrei des Entzückens aus ihrem Munde, denn das war seit länger als vier Wochen das erste von Bewußtsein zeugende Wort, das aus des Kranken Munde kam, und das war der erste klare Blick, den er auf die Umgebung richtete. Heloise warf die Karte beiseite und wendete sich zu dem Kranken, er erkannte sie und lächelte ihr freundlich zu. Der Arzt erklärte Bruno für gerettet, aber die Wiedergenesung werde lange Zeit erfordern, die Krankheit habe alle Kräfte erschöpft.

Gegen Ende März erst konnte der Genesene zum ersten mal wieder die Paulskirche besuchen; ach, mit wie andern Gefühlen geschah das als im Mai vorigen Jahres. Wie viele, viele Illusionen waren verschwunden, wie viele Hoffnungen zerknickt, wie sehr war der Blick in die Zukunft mit Dunkel und Nebel verhüllt!

Es schien Bruno, als er wieder so weit gestärkt war, sich aus Zeitungen und stenographischen Berichten über das seit Neujahr Geschehene orientiren zu können, als sei man in Frankfurt in das Stadium eingetreten, wo niemand mehr ein noch aus wußte, und einer nach dem andern verzweifelnd resignirte. Alle friedlichen Mittel schienen erschöpft, es blieb nur noch die Revolution; aber die Kraft dazu war im vorigen Jahre in hochtönenden Worten, Adressen, Congressen, Putschen verpufft. Die Illusion von der Gewalt oder gar Allgewalt der Nationalversammlung lebte nur noch in einigen verworrenen Köpfen, welche an die Macht der März-, Volks-, Vaterlandsvereine und wie sie sonst hießen, die zu Tausenden wie Pilze aus der Erde geschossen waren, glaubten. Wer indeß diesen Vereinen näher getreten war, der wußte, daß man Adressen und großmäulige Redensarten haben konnte, daß alle Vereine nach der von den Führern ausgegebenen Schablone kräftigst arbeiteten, daß es aber unmöglich war, so viel Geld aufzubringen, um damit ein Parlamentsheer auch nur einen Tag unterhalten und besolden zu können.

Nachdem am 27. März das Erbkaiserthum beschlossen, am folgenden Tage der König Friedrich Wilhelm von Preußen zum deutschen Kaiser erwählt, die Kaiserdeputation am 29. ernannt und abgereist war, am 30. März die Verfassung unterzeichnet wurde, da trafen sehr bald die Rückschläge ein: von Berlin die Nichtannahme der Kaiserkrone, von Wien am 5. April die Zurückberufung der österreichischen Abgeordneten, da sich das Parlament seit dem 27. März auf einen Boden gestellt habe, wohin ihm Oesterreich nicht folgen werde.

Hermann Baumgarten folgte dem Beispiele seiner in die Heimat zurückkehrenden Landsleute um so lieber, als er es längst unerquicklich in der Paulskirche gefunden und als außerdem ein erfreuliches Familienereigniß die baldige Rückkehr nach Wien und dem Sanct-Helenenthale erwünscht machte. Veronica hatte sich nämlich plötzlich verlobt. Mit wem? fragen hundert Leserinnen auf einmal! Etwa mit Bruno? – Nein, um die Hand der Urenkelin des Spritzenmeisters Georg Schulz hatte ein griechischer Fürst angehalten. Der Sohn unsers Don Juan mit der Schmarre, der vor vierunddreißig Jahren in Veronica die Mutter so sterblich verliebt gewesen, war von Berlin nach Frankfurt gekommen, hatte auf einer Soirée des Erzherzogs Veronica die Tochter gesehen und sich sofort verliebt. Sein Vater hatte oft von Veronica der Mutter gesprochen und sie für die größte Schönheit erklärt, die er je gesehen, er war förmlich stolz auf seine Schmarre gewesen, der Sohn war Erbe seines heißen Blutes, das Widerstand nicht kannte, und wo es ihn fand, zu bewältigen wußte. Er war völlig unabhängig, sein Vater war im vorigen Jahre gestorben, ein wilder Ritt auf ungesatteltem unbändigen Rosse hatte Reiter und Roß dem jähen Tode entgegengeführt.

Hermann's Sohn, der freiheitschwärmende Studiosus, war längst genesen, er hatte einen etwas steifen Arm als bleibendes Andenken an die Kroaten behalten, die er haßte bis in den Tod, allein er war besonnener geworden.

Sie waren alle nach Osten abgereist. – Bruno dachte nur an Heloise von Barrò, die schöne Witwe, welche sich angeschlossen, um das Grab des Mannes bei Raab zu besuchen und zu schmücken.

Er fühlte sich so einsam, war beinahe nur auf den Vetter Gottfried und auf Detmold angewiesen, da er selbst sich von den übrigen Landsleuten zurückgezogen hatte; Gottfried blieb noch immer Idealpolitiker, Detmold war Realpolitiker, der Intriguen machte und zerstörte.

So kam der Wonnemonat Mai. Bruno hatte sich einen neuen Lebensplan zurechtgelegt. Nicht ohne Vermittelung und Hülfe Detmold's hatte er einer größern süddeutschen Feuerversicherungsanstalt die Concession in Hannover erwirkt. Diese bot ihm die ansehnlich besoldete Generalagentenstelle, welche einen Sitz in Hannover erforderte. Er kam so am einfachsten aus seinen heustedter Verhältnissen und gewann Zeit für politische und schriftstellerische Arbeiten. Er beschloß auf sein Mandat zum Parlament zu resigniren; Detmold bat ihn, zu bleiben, man dürfe die Kaisermacher durch Austritt der Unabhängigen jetzt nicht stärken. Inzwischen hatte Heinrich von Gagern am Tage der Niederwerfung des dresdener Aufstandes dem Reichsverweser ein neues Programm vorgelegt: »mit allen gesetzlichen und friedlichen Mitteln und durch das Gewicht der moralischen Macht der Centralgewalt die Durchführung der Reichsverfassung zu unterstützen«, und er hatte an die Nichtannahme sein Entlassungsgesuch geknüpft. Der Erzherzog weigerte sich, ein Programm anzunehmen, zu dessen Vollzug ihm die Mittel fehlten, und so nahm das Reichsministerium am 9. Mai definitiv seine Entlassung.

Als der obenerwähnte von Reden'sche Antrag angenommen war, rief Detmold seinen Freund beiseite und sagte: »Ich glaube, wir können anfangen unsere Sachen einzupacken, die Komödie naht dem Ende. Denken Sie, soeben bietet mir Bally das Reichsjustizministerium an. Aber wer soll Ministerpräsident sein? Ich wette, Sie errathen es nicht. Denken Sie, die lächerlichste Person der Paulskirche – Grävell! – ich danke für Obst!«

»Man lacht ihn aus«, erwiderte Bruno, »wenn er sich auf die Ministerbank setzt, wie man Sie auslachen würde, wenn man Sie nicht fürchtete. Bei alledem hat alles, was ich den Mann in der Paulskirche habe sagen hören, Hand und Fuß, wenn es auch oft unbehülflich, grob und rücksichtslos herauskommt. Wer weiß, ob er die Lacher nicht zur Ruhe brächte?«

In der nächsten Sitzung am 11. Mai donnerten Raveaux und andere von der Rednerbühne gegen Waitz, die Verfassung führe sich selbst nicht ins Leben, das Volk, welches sich zum Schutze der Reichsverfassung bewaffne, sei nicht Rebell, die Rebellen seien die Fürsten, und sagte schließlich: »Die Competenz der Versammlung, zu beschließen, wird ihr niemand absprechen, das ist auch noch niemand eingefallen!«

Grävell sprang vom Platze auf und rief: »Mir z. B. ist es wohl eingefallen!«

Das entschied für Detmold, der mit geschlossenen Augen dasaß. Er wendete sich zu dem vor ihm sitzenden Bally und sagte: »Nehmen Sie ihn, Sie haben recht, er allein setzt mit seiner Ruhe die Gesellen unters Wasser. Unter seinem Präsidio nehme ich das Justizministerium!«

Während Bally Grävell zum Reichsverweser führte, entwarf Detmold in der Paulskirche das Ministerprogramm. Dann suchte er Bruno auf und zog ihn beiseite: »Grävell wird Ministerpräsident, ich selbst habe gleichfalls angenommen, wollen Sie mein Referent und Unterstaatssecretär werden?«

»Ein Ministerium mit der lächerlichsten Person an der Spitze, wie Sie gestern selbst sagten?« entgegnete er fragend.

»Grävell«, erwiderte der Buckelige, »hat, wie Bally richtig sagt, sein Leben lang Freiheit, Ordnung und Gesetz vertreten, und der Linken gegenüber bedarf es einer grobnervigen, dreisten Natur. Uebrigens wird sich die Sache in wenig Wochen, vielleicht in wenig Tagen abspielen. Es handelt sich darum, den Reichsverweser gerade in diesem Augenblicke nicht im Stiche zu lassen. Die Erbkaiserlichen wollen die Ministerlosigkeit benutzen, um den Erzherzog zu drängen, die Centralgewalt in die Hände des Königs von Preußen niederzulegen. Fände der Reichsverweser kein Ministerium, so wäre das die nothwendige Folge. Aber die Herren haben die Rechnung abermals ohne den Wirth gemacht. Mein Programm wird ihre Ränke scheitern machen. Dann wird Preußen dem Beispiele Oesterreichs folgen und seine Abgeordneten abrufen. Hannover und Sachsen werden das Gleiche thun, und die Regierungen werden sich über eine Verfassung verständigen. Stüve hat in der in Berlin mit Sachsen und Preußen vereinbarten Reichsverfassung Oesterreich seinen Platz gesichert. Mit einem Kleindeutschland ist es vorerst ebenso wenig etwas als mit dem Erbkaiserthum. Bedenken Sie sich nicht lange, nehmen Sie mein Anerbieten, das außerdem Ihre Zukunft sichert, an. Ich würde Sie ungern vermissen, ich kenne Sie seit zwölf Jahren und Sie kennen meine Art.«

Der Freund sagte zu.

Es war die höchste Zeit, daß diese »Teufelei«, wie Haym sagt, glückte, denn ohne sie würde die andere Teufelei, die man in Berlin ausgedacht hatte, mehr Aussicht auf Erfolg gehabt haben. Der Oberst von Fischer war von Berlin angekommen, um den mürbe gemachten Reichsverweser zu veranlassen, die Nationalversammlung aufzulösen und die Centralgewalt an den König von Preußen zu übertragen. Dieser würde ein Reichsministerium Radowitz ernannt haben, Wahlen in Gemäßheit des Dreikönigsbündnisses würden ausgeschrieben sein, statt in Erfurt hätte in Frankfurt das neue Reichsparlament und ein Fürstenhaus getagt, die Fürsten würden sich unterworfen haben, und blieben die Oesterreicher fort, so war Oesterreich aus dem neuen Bunde hinaus.

So etwas hielt aber damals nicht nur die gesammte Linke, sondern auch Staatsmänner wie Stüve, von der Pfordten, von Beust für das größte Unglück, was geschehen könne; man mischte schon die Karten zu dem Fiasco von Erfurt, und die Herren, die damals dem Dreikönigsbündnisse entschlüpften und das Volk um die Einheit betrogen, die tragen nebst Olmütz die meiste Schuld an dem 1866 vergossenen Blute.

Heute sind wenige Menschen, welche eine solche Entwickelung der Dinge, die den Bruderkrieg abgewendet, den Main vom Fichtelgebirge bis nach Mainz überbrückt haben würde, nicht für eine glückliche hielten; in jenen Tagen schien Detmold's Ansicht in Bruno's Augen gerechtfertigt, und um einen solchen preußischen Plan hintertreiben zu helfen, nahm er die Stellung als Unterstaatssecretär an. Er fürchtete, daß der Reichsverweser eher zurücktrete, als die Centralgewalt in Preußens Hände lege, dann aber war die Revolution da und das Chaos, und im günstigsten Falle hielt er die Kreuzzeitungsritter nicht für Männer, die ein Deutschland ohne Oesterreich regieren könnten.

Das Programm, welches Detmold in der Paulskirche entworfen hatte, schien ihm correct, sodaß selbst Metternich nichts daran hätte tadeln können; es lautete:

»1) Die Errichtung des Verfassungswerks ist durch das Gesetz vom 28. Juni vorigen Jahres von der Thätigkeit der Centralgewalt ausgeschlossen. Eine Wirksamkeit behufs Durchführung der Verfassung liegt außerhalb der Befugnisse der Centralgewalt. Sie ist gern bereit, eine Anerkennung der Verfassung bei den Regierungen zu vermitteln, wird aber allen ungesetzlichen und gewaltsamen Bewegungen, welche die Durchführung der Verfassung zum Vorwande oder Anlaß haben, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegentreten, sobald die Hülfe und Vermittlung von den betreffenden Regierungen nachgesucht wird.

»2) Die Centralgewalt erachtet es für ihre Pflicht, die ihr ausschließlich zustehende Regierungsgewalt vor jeder Einmischung zu bewahren und jeden Eingriff in dieselbe zurückzuweisen.«

Das war ein Programm, bestimmt und faßbar, übereinstimmend mit dem Gesetze vom 28. Juni, das Gegentheil von dem letzten Gummi-elasticumprogramm Gagern's; das war ein Programm, das klar und entschieden den revolutionären Gelüsten zur Durchführung der Reichsverfassung, die sich auch bei Männern der Centren immer offener aussprachen, entgegentrat. Daß es den Zorn der Linken erregen mußte, war vorauszusehen. Das Gerücht der neuen Ministercombination verbreitete sich schnell. Onkel Gottfried Schulz kam noch am Abend zu Bruno und beschwor ihn, die Verbindung mit dem »kleinen Scheusal«, die ihm nur zum Verderben gereichen würde, aufzugeben. »Glaube mir«, versicherte er, » diesem kleinen von Ehrgeiz und Eitelkeit geplagten Teufel ist nichts in der Welt heilig, weder Vaterland noch Freiheit. Er wird seinen Freund Stüve verrathen, er wird Hannover verrathen, er wird sich von den Schwarzenberg oder wer es sein müßte, oder von Antonelli erkaufen lassen.«

Bruno verteidigte den Leiter seiner politischen Bildung.

Am Tage des 16. Mai ging er indeß mit einigem Herzklopfen in die Nachmittagssitzung der Paulskirche, er mußte für sich wie für seine Reichsminister auf einigen Hohn, auf Gelächter, Spott, vielleicht einige Kothwürfe gefaßt sein. So schlimm, wie es kam, hatte er sich die Sache allerdings nicht gedacht. Im Anfange der Sitzung wurde die preußische Verordnung, welche das Mandat der preußischen Abgeordneten für erloschen erklärte, dem Antrage Wiedenmann's gemäß, mit zweihundertsiebenundachtzig Stimmen gegen zwei für unverbindlich erklärt und die Erwartung ausgesprochen, daß sich die preußischen Abgeordneten der fernern Teilnahme an den Verhandlungen nicht entziehen würden. Inzwischen ging bei dem Präsidenten Theodor Reh ein Schreiben Gagern's ein, welches denselben und die Versammlung benachrichtigte, der Reichsverweser habe den Geheimen Justizrath Dr. Grävell zum Minister des Innern ernannt und ihm einstweilen das Präsidium des Ministerraths übertragen.

Die Mittheilung dieses Schreibens erzeugte unter den Abgeordneten wie auf den Galerien große Bewegung. Der neue Ministerpräsident bat um das Wort, ward aber mit großer Unruhe empfangen. Er sagte im Anfange seiner kurzen Rede:

»Meine Herren! Wenn Sie auf mein weißes Haar sehen, so werden sie mir zutrauen, daß nicht Eitelkeit oder Ehrgeiz mich dazu bewegen konnte, um einen Posten mich zu bemühen, oder ihn nur mit Freuden anzunehmen, der mich aus den sorglosesten und bequemsten Verhältnissen herausbringt und eine so schwere Verantwortlichkeit auf meine Schultern legt, wie sie wol nicht schwerer aufgelegt werden kann. Ich bitte Sie darum, seien Sie so freundlich und erschweren Sie mir nicht die Last, die ich auf mich genommen habe. Ich empfehle mich Ihrem Wohlwollen!«

Und was that die Nationalversammlung?

Als Grävell die Namen der Mitglieder seines Ministeriums nannte: Detmold, Menke, Jochmus, entstand der größte Lärm, der je in der Paulskirche gewesen war, und es war seit einem Jahre viel Lärm dort gewesen, viel mehr als der deutschen Nation würdig war.

Gelächter oben und unten; die Galerien trampeln, pfeifen, schreien bis zur Ungebühr. In der Versammlung ruft man, als der Name Jochmus genannt wird: »Ist das der Pascha von den drei Roßschweifen?«

Von anstandsvoller Achtung, die auch republikanische Versammlungen ihren Würdenträgern zollen, keine Spur, der Präsident hatte die Macht nicht, die Ruhe herzustellen oder wollte es nicht. Wahrhaftig, ein beschämender Anblick!

Obwol der Ministerpräsident erklärt hatte: er werde folgenden Tags der hohen Versammlung das Programm des Reichsministeriums zugehen lassen, so übergab dennoch Ludwig Simon eine für dringlich erklärte Interpellation: »Ob der neue Ministerpräsident bereit sei, die deutsche Reichsverfassung, in Gemäßheit des Artikel 15 des Gesetzes, unverkümmert zur Ausführung zu bringen?«

Grävell ließ sich nicht verblüffen, er bat, bis morgen zu warten.

Nun ein neuer dringender Antrag von Ziegert: »Die Nationalversammlung erklärt: ›Das neugebildete Ministerium besitzt das Vertrauen der Mehrheit des Hauses nicht.‹«

Die Mehrheit fühlte denn doch, daß das vor der Mittheilung des Programms verfrüht sei. Von allen Seiten schrie man: Zurücknehmen! und der Antragsteller gehorchte.

Am andern Tage war Himmelfahrt. Dennoch wurde eine Nachmittagssitzung auf vier Uhr anberaumt. Die Frankfurter pflegen an diesem Tage und schon in der Nacht vorher im Frankfurter Hölzchen »bei Appelwei und Wei« Natur zu kneipen. Der trunkene Galeriepöbel empfing das Reichsministerium mit unendlichem Hohn, was sich zu Pfingsten 1866 im Saalbau gegen Preußen und Norddeutsche feindlich geberdete, das tobte damals gegen ein österreichisches Reichsministerium.

Ein Antrag Welcker's wurde als dringlich angenommen, worin die Nationalversammlung dem Reichsministerium ihr Mistrauen aussprach und seine Ernennung als eine Beleidigung der Nationalrepräsentation auffaßte.

Das war dem Hannoveraner Freudentheil, in welchem viele das Urbild der Detmold'schen Piepmeier finden wollten, noch nicht stark genug, er donnerte bald im Baß, bald in der höchsten Fistel: »Es sei auszusprechen, daß ein Schrei der Entrüstung durch alle deutschen Gauen gehen würde, wenn die designirten Reichsminister nur vierundzwanzig Stunden im Amte blieben, es erheische demnach die Ehre und die Pflicht der Nationalversammlung dringend, Minister solcher Geistesrichtung, wie die designirten, sofort mit dem entschiedensten Unwillen zurückzuweisen.«

Detmold zeichnete ihn während der Rede und reichte das Bild auf den Ministersitzen herum, das den besten Caricaturen Bonin's nicht nachstand. Das Blatt mit der Unterschrift »Piepmeier gegen das Reichsministerium« ist in den Privatbesitz Bruno's übergegangen.

Karl Vogt meinte: »Man solle sich bei einem Mistrauensvotum nicht aufhalten, wenn man morgen schon in die Lage kommen könne, den Träger der Centralgewalt dahin zu schicken, wo er hergekommen.« Ob er sich selbst schon in der Heldenrolle des künftigen Trägers der Reichsgewalt erblickte? –

Die Nationalversammlung war ein Jahr und einen Tag alt, als sie den Beschluß faßte, die Centralgewalt zu beseitigen und einen Reichsstatthalter womöglich aus der Reihe der regierenden Fürsten zu wählen. Die Politiker des Nürnberger Hofes waren die Macher. Detmold grinste während der Verhandlung und flüsterte dem hinter ihm sitzenden Bruno so laut, daß man es auf den Bänken der zunächstsitzenden Abgeordneten hören konnte, zu: »Jakob, setz' die Mütze auf, damit dir die Reichsstatthalterschaft nicht auf den Kopf fällt.«

Der Ministerpräsident erklärte, der Reichsverweser werde sein Amt in die Hände zurückgeben, aus denen er dasselbe empfangen, in die Hände der Nationalversammlung, seine Macht werde er in die Hände der Regierungen zurückgeben, von der er sie durch den Bundestag erhalten. Es erhob sich ein ungeheueres Geschrei. Die Linke schrie: »Diese Dummheit! das ist unverschämt, schändliche Frechheit!«

»Nennen Sie in Ihrem Berichte diese Schreier«, sagte Detmold zu Bruno gewendet, dessen Thätigkeit bisher darin bestanden hatte, daß er im Sinne des Reichsministeriums für verschiedene Zeitungen Berichte schrieb, und der damit beschäftigt war, die Rede des Ministerpräsidenten nach der vom Stenographenamte gesendeten Uebersetzung abzuschreiben, damit sie unverfälscht in die größern Zeitungen komme.

»Vergessen Sie auch nicht«, fuhr der Kleine nach einiger Zeit fort, »zu erwähnen, wie es die Majorität dieses Traumes von einem Schatten anfangen will, die Centralgewalt zu beseitigen, nachdem sie nicht einmal das Ministerium der Lächerlichkeit hat beseitigen können. Auch können Sie dreist vorhersagen, daß nicht achtundvierzig Stunden vergehen werden, und die Edeln, welche vorgestern die Verordnung vom 14., welche die Preußen zurückruft, für unverbindlich erklärten, werden, Gagern und Dahlmann an der Spitze, reißaus nehmen.«

Nach kurzer Zeit drehte sich der Justizminister abermals zu seinem Freunde: »Wenn Sie nach Augsburg schreiben, vergessen Sie nicht, dem künftigen Reichsstatthalter zu empfehlen, daß er für den Nürnberger Hof und seine sonstigen Wähler die Tagesgelder, drei Monate pränumerando womöglich, mitbringe, denn alle Taschen und Börsen sind leer.«

Als man aus der Paulskirche ging, sagte Detmold: »Jetzt werden sie sich gegenseitig mit Koth bewerfen, wie die frankfurter Straßenjungen, sie, die sich zu der Erbkaiserwahl verbündeten. Die Linke wird die Schuld auf die Centren schieben, diese auf die Extreme, niemand wird zugestehen wollen, daß die Schuld des Mislingens an allen denen liegt, welche das Princip der Vereinbarung von sich wiesen und das Einzigundallein zur Devise erhoben.«

Detmold hatte recht. Alles, was er vorhersagte, traf ein; nach wenigen Tagen begannen sogar die Führer der Linken mit ihm, dem Verhöhnten, zu verhandeln wegen eines Vorschusses der Bureaukosten und Diäten. Man wollte sich im Süden festsetzen und verschanzen, um bessere Tage zu erwarten. Es wurden auch fünfundzwanzigtausend Gulden bewilligt; allein die Auszahlung fand Anstand, da Reh, der Präsident, resignirt hatte, nachdem der Antrag Vogt's auf Verlegung der Nationalversammlung nach Stuttgart angenommen war. Da die Anweisung aber auf Reh lautete, weigerten sich die Kassenbeamten auszuzahlen, und auch das Reichsministerium wollte eine Nationalversammlung außerhalb Frankfurts nicht anerkennen.

Die Nationalversammlung tagte am 30. Mai zum letzten mal in Frankfurt – an der Farce des stuttgarter Rumpfparlaments betheiligte sich keiner unserer Freunde.

Am Abende des letzten Mai kam Gottfried, von Bruno Abschied zu nehmen, und beschwor ihn nochmals, von der unglückseligen Verbindung mit Detmold zu lassen. »Weißt du denn, daß dieser buckelige Don Juan, der in Paris das liederlichste Leben führte, sich mit einer jungen, schönen, gebildeten, vornehmen, reichen Frankfurterin verlobt hat?« sagte er.

»Ja«, erwiderte jener, »eine Kupferstichsammlung hat dies zu Stande gebracht, und das kleine Laster hat seine zwölf Bände Scenenzeichnungen nach der Natur verbrannt und wird ein moralischer Mensch werden.«

Gottfried schüttelte sein Haupt und ging.

Bruno hatte in der Nacht einen beängstigenden Traum. Die beiden schönen Detmold'schen Kater, die er so oft gestreichelt, hatte ein Fräulein R. in Hannover in Kost und Pension genommen. Er träumte nun, sie hätten sich auf- und davongemacht, um den Reichsjustizminister in Frankfurt aufzusuchen, und da er in dessen Arbeitscabinet eingeschlafen war, so schmiegten sie sich so fest um seinen Hals, daß ihm das Athmen immer schwerer wurde und er zu ersticken drohte. In Verzweiflung wollte er die Thiere vom Halse reißen, als er erwachte.


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