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Siebentes Kapitel.
Heimkehr.

Es war im Anfang Mai 1815, als ein langaufgeschossener junger Mann in den Beinkleidern eines Lützower Ulanen, sonst in Civil, aber mit Hirschfänger und Jagdtasche an der Seite, die Bergeshöhe vom Rischenkruge nach Ellershausen, wie es schien, nicht ohne Anstrengung, sich hinaufarbeitete. Der Mann hinkte und sah krank und abgezehrt aus. Das war Hermann Baumgarten, der aus einem preußischen Lazareth in Frankreich, in welchem er über dreiviertel Jahre gelegen hatte, in die Heimat zurückkehrte.

Nachdem die Lützower jenen Zug nach der Weser vollführt, war das Leben derselben ein sehr einförmiges gewesen. Sie hatten an jenem Orte, wo jetzt eine Dampffähre die Eisenbahnverbindung zwischen Lüneburg und Lauenburg vermittelt, wochenlang im Bivuak und auf Vorposten hinbringen und anstrengend Wachtdienst thun müssen, wobei sie beständig den von Lauenburg herüberspielenden französischen Granaten und Kartätschen ausgesetzt waren.

Hier hatte man die Nachricht von der Völkerschlacht und dem Siege bei Leipzig vernommen und mehr als einer der Schwarzen Schar vergoß die bittersten Thränen, weil er an jenem Siege keinen Antheil habe. Die Täuschung, mit der Hermann und seine Genossen unter die Lützower getreten, war längst geschwunden, harte Entbehrungen und Strapazen hatten die jungen noch nicht gehörig ausgebildeten Körper mitgenommen, und der Mangel an jeglicher Großthat des Corps entmuthigte die Geister. Man fühlte schon bis tief hinunter, daß man verdammt war, eine unglückselige Stellung einzunehmen. Was sollte dieses nutzlose Hin- und Herziehen zwischen Elbe und Weser, wie es im November geschah? Dann im December der ewige Vorpostendienst bei der lässig betriebenen Belagerung von Hamburg, und dann der gleiche Dienst bei der Belagerung von Glückstadt! Aller Nimbus des Krieges schwand den jungen Leuten schon deshalb, weil sie gegen Dänen statt gegen Franzosen kämpfen mußten.

Blücher und die Verbündeten hatten bereits den Rhein überschritten, während die Lützower noch immer in Holstein cantonnirten, und als sie endlich vor Ablauf Januars nachrückten, wurde abermals der größte Theil des Trupps zur Einschließung der Festung Jülich verwendet, der langweiligste Dienst, der sich nur denken läßt.

Hermann freilich hatte ein glücklicheres Los gezogen als die meisten seiner Kameraden aus der hannoverischen und hessischen Heimat, er hatte bei Glückstadt einen Adjutanten Vandamme's mit wichtigen Depeschen gefangen genommen, war zum Unteroffizier avancirt und schon früher mit Lützow selbst an den Rhein aufgebrochen, um die Rheinübergänge von Köln bis Yssel zu untersuchen.

Lützow und sein Corps wurden, je mehr sie sich der großen verbündeten Armee näherten, desto auffallender von den Führern ignorirt, keiner von diesen schien mindestens eifrig, die Lützower zu haben.

Der Freischarenführer hatte vor, die Verbindung zwischen den Armeecorps Bülow's und den Verbündeten herzustellen. Als dies nicht gelang, machte er den Versuch, zwischen dem Blücher'schen und Schwarzenberg'schen Corps zu vermitteln, allein sowol Fürst Schwarzenberg wie Blücher thaten nicht, als ob er und sein Reitercorps überhaupt noch existire. Das empfand nach und nach jeder einzelne Reiter, man fühlte aber auch, daß es im Kriege in Feindesland, wo der Enthusiasmus für die Schwarzen, der in Deutschland noch überall von seiten der Bevölkerung den Lützow'schen Scharen entgegengekommen war, aufhörte, daß in einem Kriege von solchen Dimensionen es nothwendig sei, einem größern Ganzen sich anzuschließen, und daß ein Operiren auf eigene Hand wenig Nutzen bringen, wohl aber gefährlich werden kann. Hatte man doch an das Hauptquartier des Commandirenden in einer französischen Stadt mit großen Fracturbuchstaben das Schiller'sche Distichon angeschlagen, mit der Ueberschrift: »Pflicht für jeden, an Lützow«:

Immer strebe zum Ganzen, und, kannst du selber kein Ganzes
    Werden, als dienendes Glied schließe dem Ganzen dich an!

Die Lützower sollten erfahren, was eine solche isolirte Stellung zu bedeuten habe. Als die Verbündeten bei Rheims eine Niederlage erlitten hatten, wußte Napoleon diesen Sieg und den von Laon auszubeuten, indem er das Landvolk aufrief, die angeblich gänzlich zersprengten Feinde aus dem Lande zu jagen. Die beiden Escadrons Lützower sahen sich nun plötzlich überall von Feinden umgeben und konnten nicht wieder zum schlesischen Heere gelangen. Es war in der Nacht vom 3. auf den 4. April, die Escadrons hatten unfern des großen Waldes von Hilteun Rast gemacht und nach vierundzwanzig Stunden, in denen sie in beständiger Flucht vor den aufständischen Bauern begriffen waren, zum ersten male absatteln lassen und lagerten auf dem Kirchhofe und in der Kirche eines von seinen Einwohnern verlassenen Dorfes. Quartiermeister und Fourriere suchten für Pferd und Mann vergeblich Obdach und Nahrung. Man war froh, als man in der feuchten Kirche die steifen Glieder auf einer hölzernen Bank oder einer Matte ausstrecken konnte. Da wurde Alarm geblasen, ein Trupp regulärer französischer Infanterie, gleichfalls versprengt, aber begleitet von einigen hundert bewaffneten Bauern, machte auf die Lützower einen Angriff. Es war Nacht, die Lützower der Gegend unkundig, die beiden Escadrons kamen auseinander und schlugen verschiedene Richtungen ein. Die Escadron, bei der Hermann Baumgarten stand, stieß am Ende des Dorfes auf einen Verhau, von dem aus ein regelmäßiges Feuer auf sie eröffnet wurde.

Hermann erhielt einen Schuß ins Knie, wurde gefangen und von den Bauern seiner letzten Baarschaft beraubt, die freilich in der letzten Zeit stark angegriffen war, um für die Kameraden und Pferde Lebensmittel und Fourrage zu schaffen.

Hermann würde vor Noth am Platze umgekommen sein, hätte ihn nicht ein mitleidiger Bauer auf seinen Karren geladen und nach dem nächsten Orte Solve de Château gefahren, wo ihn ein invalider Dorfchirurg, der die italienischen Feldzüge mitgemacht, von der Kugel befreite.

Als der Friede in Paris geschlossen war, wurde Hermann in das zu Rheims errichtete preußische Lazareth gebracht. Das Lützow'sche Freicorps selbst war in den Niederlanden aufgelöst.

Unser junger Freund fühlte hier unter lauter fremden Gesichtern, unter brummigen Krankenwärtern und Aerzten zum ersten male, was es heiße, allein, ohne Freunde und ohne Geld zu sein. Bisher hatte das Leben in der Gesellschaft der Kameraden, die Gemeinsamkeit aller Leiden und kleinen Freuden, der Gedanke, für das große Ganze, für Freiheit und Vaterland zu kämpfen, ihn hochgehalten. Dazu kam, daß der Inhalt seines Leibgurts ihm vor allen seinen Genossen einen Vorzug gab, denn diese alle waren ohne Geld. Löhnung erfolgte in Frankreich gar nicht, man war auf das Selbstranzioniren angewiesen. Die Freigebigkeit Hermann's hatte manche Noth gemildert, manches Plündern, Rauben, Brennen verhütet, alle Kameraden hatten ihn lieb, und die eigentlichen Bundesgenossen von der Werra verehrten ihn.

Das Bewußtsein, in so jungen Jahren Unteroffizier zu sein, hob ihn. Hier aber im Hospital, in das Verwundete aus allen Völkern der Armee zusammengepackt waren, wo russisch, kosackisch, kroatisch, italienisch, polnisch, wienerisch, steiermärkisch, ungarisch, czechisch, pommerisch und westfälisch gewettert und geflucht wurde, wo es immer bei der Verwaltung an dem Besten, am Gelde, an den nöthigen Lebensmitteln für Kranke, kurz so gut wie an allem fehlte, hier fühlte er zuerst das Unrecht, Vater und Mutter ohne Abschied und ohne Noth verlassen zu haben.

Er schrieb an die Aeltern, flehte Verzeihung für alles Herzeleid und allen Kummer, den er ihnen angethan, und bat um schleunige Hülfe. Aber das Feldpostwesen war schlecht organisirt, und in Deutschland gab es schon wieder so viele Herren und Regierungen, so viel Streit, Misgunst und Mangel an Unterordnung, daß ein Brief, zumal eines Lützow'schen Freiwilligen, lange Zeit brauchte, um an Ort und Stelle zu gelangen, ja es mußte als ein förmliches Wunder angesehen werden, daß der Brief nach vielen Irrfahrten in das einsame Försterhaus kam.

Die Aeltern sandten ihm Geld, aber geringere Summen, als worüber Hermann bisher zu verfügen gewohnt war. Sein Kranksein zögerte sich hin, da es nicht allein der Schuß ins Knie war, der ihn auf dem Lager hielt, sondern allgemeine Mattigkeit und Schwäche. Er hatte seinem jungen Körper zu viel Strapazen geboten. Als er in den Stand gesetzt war, seine Pfleger zu belohnen und sich selbst durch kräftigere Nahrungsmittel, als das Lazareth sie schaffte, zu stärken, gewann er auch wieder mehr Vertrauen in die Zukunft. Er hatte sich schon aufgegeben und im Gedanken als einen gelähmten Krüppel herumwandeln sehen; jetzt dachte er daran, aus dem Lazareth entlassen zu werden. Der Oberarzt, an den er sich wendete, verschaffte ihm auch ein Unterkommen bei einer Unteroffizierswitwe, die ihn in Kost und Pflege nahm und ihm ein kleines freundliches Gartenstübchen einräumte. Er fühlte sich aus der Spitalluft des Krankensaals mit seinen funfzig Betten wie in den Himmel versetzt. Ein schöner Frühling und Sommer kam, allein Hermann's Wunde wollte nicht heilen, immer eiterten noch kleine Knochensplitter aus derselben heraus, und von einem Gebrauche des Beins konnte nicht die Rede sein. Aber er ließ das Sofa, worauf er lag, täglich in den Garten tragen und brachte die meiste Zeit unter blühenden Rosen und dem süßen Duft der Jelängerjelieberlaube zu, den französischen » Moniteur« und andere Zeitungen, deren er habhaft werden konnte, studirend. Die Blätter brachten ihm nicht viel Tröstliches, ein mächtiges deutsches Reich, stark genug, um die Eroberungslust der Franken für immer im Zaume zu halten, wie er und seine Kameraden sich geträumt, schien in Wien nicht geboren zu werden. Alles, was man von dort erfuhr, war nur, daß die Fürstlichkeiten und Diplomaten in einem Strudel von Vergnügungen schwelgten, mit der Reconstruirung Europas aber nicht weiter kamen. Aus dem Organ der Regierung ersah man täglich, wie Frankreich schon wieder mächtig genug war, im europäischen Concert die erste Geige spielen zu wollen, und wie heute Alexander umschmeichelt wurde, morgen Castlereagh und der eiserne Herzog; wie man namentlich alles aufbot, um Preußen nicht stark werden zu lassen.

Hermann hatte eine ungemeine Sehnsucht nach einem deutschen Buche, seiner Wirthin war es aber nicht gelungen, in ganz Rheims auch nur ein einziges aufzutreiben. Eines Tages aber kam ein Packet mit Wäsche von der Mutter, um die er gebeten hatte, und da fand er Schiller's und Goethe's Gedichte und einige Schauspiele von Schiller, namentlich »Die Jungfrau von Orleans« beigelegt, damit er an Ort und Stelle vergleichen könne, ob der Dichter treu geschildert habe. Auch eine neue Geldsendung, diesmal ziemlich reichlich, traf ein.

Das war eine Herzerquickung!

Im Lazareth, wie auch jetzt, waren Hermann's Gedanken oft bei seinem im Walde vergrabenen Goldschatze, und er hatte Plane über Plane gemacht, was er nach seiner Zurückkunft damit anfangen wolle. Sein ursprünglicher Plan, alles auf dem Altare des Vaterlandes niederzulegen, war ohne seine Schuld vereitelt. Seit seinem Eintritt unter die Lützower war er von seinem Schatze getrennt, hatte gleichsam die Macht, darüber zu verfügen, eingebüßt. Eine Mittelsperson in das Geheimniß einzuweihen, wäre es auch der Vater, hatte er nicht über sich vermocht, denn sein Gefühl sagte ihm, daß der Vater ihm dann das freie Verfügungsrecht über das viele Geld entziehen würde, und frei schalten und walten, beglücken und schenken zu können, das machte ihn glücklich.

Gegen den Herbst trat eine glückliche Wendung in Hermanns Befinden ein; der Oberarzt rieth ihm, wenn er es ermöglichen könne, im Winter noch die warmen Quellen von Wiesbaden zu gebrauchen.

Hier nun hatte Hermann die letzten Monate zugebracht, war dann mit der Post über Frankfurt nach Kassel gefahren, und von dort zog es ihn mit Macht nach dem Goldschatze. Er hatte im Gedanken darüber also disponirt:

Ein Drittel wollte er seinen Aeltern und Geschwistern schenken, namentlich sollte sein Bruder in Amerika davon bedacht werden. Das zweite wollte er zur eigenen Ausbildung verwenden, zum Studiren und Reisen. Das letzte endlich sollte zu einem gemeinnützigen Zwecke verwendet werden, über den er noch nicht mit sich einig war. Bald wollte er ein Stipendium gründen, um armen Knaben aus den Ortschaften, in denen er seine Zwölf geworben hatte, Mittel zum Studiren zu verschaffen, bald wollte er hülfsbedürftigen Invaliden, wie sie in jenen Tagen an allen Orten und Wegen zu erblicken, Erleichterung verschaffen. Er selbst war ja Invalide, er hatte an sich selbst die Erfahrung gemacht, wie ein Schuß hinreiche, für alle körperlichen Anstrengungen untauglich zu machen. Und nun gar die Verstümmelten, die der Arme und Beine Beraubten? Das Vaterland hatte für sie höchstens zwanzig Thaler jährlich und wenn es hoch kam eine Chausseegeldeinnehmerstelle oder Erlaubniß zum Orgeldrehen.

Aber da waren der Ansprüche so viele und so gerechte, daß die Mittel nicht genügten.

Je näher Hermann dem Orte kam, wo sein Schatz vergraben war, je banger klopfte sein Herz, je öfter kam ihm der Gedanke, der Schatz könne gestohlen sein. Konnte nicht ein Holzhauer ihn entdeckt, konnten nicht die Schweine, welche zur Mast in das Holz getrieben wurden, den Boden aufgewühlt haben? Möglich auch, daß ein neuer Holzweg angelegt und dabei das Gold entdeckt war! Hermann machte sich Vorwürfe darüber, daß er das Kleinod nicht sicherer verborgen habe. Hätte es in dem Vaterhause, in dem alten Jagdschlosse nicht Verstecke genug gegeben? Ja, er hatte unvorsichtig und kindisch gehandelt, er mußte sich selbst die Schuld beimessen, wenn ein anderer den Schatz gehoben hatte. Und es war ihm beinahe schon zur Gewißheit geworden, daß das geschehen sei. Das Gehen wurde ihm so schwer, daß er sich im Holze niedersetzen mußte. Er hatte sich selbst um seine Zukunft gebracht, seine Träume von Reisen in Deutschland, durch die Schweiz und Italien und Frankreich, sie waren Seifenblasen gewesen, im Sonnenschein einen Augenblick in allen Regenbogenfarben schillernd, dann in Nichts zerplatzend. Da flüsterte ihm eine Stimme zu: »Sei ein Mann! Bedenke, daß es ein reiner Zufall war, als du die Tonne Goldes fandest, und daß der Mensch dem Zufalle so wenig wie möglich, sich selbst aber alles verdanken soll! Zeige, daß du ein Mann bist, biege rechts ab, wandere nach Hause, ohne den Schatz aufgesucht zu haben.«

Er erhob sich in der That und ging einige Schritte nach rechts, den Weg vom Ziele ab. Dann aber sprach wieder die Stimme des Versuchers: »Du bist dem Orte, der deine Zukunft birgt, so nahe; überzeuge dich, ob von dem, was Zufall, Glück oder Vorsehung dir einst zu Füßen gelegt, noch etwas oder alles vorhanden ist, ob du für die Zukunft auf dich allein angewiesen bist, ob du arm und gelähmt, oder vollgepfropft von Gold in das väterliche Haus treten sollst.« Und er schritt dem Tannenbestande zu, in dessen Nähe sich die Goldeichen befanden.

Jetzt war er im Bereiche des Schatzes. Er fand die Bäume ohne Mühe; die Buchstaben und Zeichen, die er in ihre Rinden eingeschnitten hatte, waren in die Breite gegangen und ausgewachsen. Er untersuchte die Grasnarbe, sie schien unverletzt. Hermann legte die Jagdtasche ab, die Mütze daneben, wischte sich den Schweiß von der Stirn und begann mit dem Hirschfänger, den er erst in Münden zu diesem Zwecke gekauft hatte, die Erde aufzugraben. Es wollte ihm nicht gefallen, daß der Hirschfänger, als er ihn in die Erde stieß, auf keinen Widerstand traf. Jetzt warf er die Erde mit den Händen aus der Grube, aber so tief er auch wühlte, faßte er immer nur Erde und Sand, aber kein Geld. Die Vertiefung war über einmal so groß als jene, in die er das Gold versenkt hatte, und reichlich tiefer, allein das Nest blieb leer, die Goldeier hatten einen andern Herrn gefunden.

Möglich, daß bei den beiden andern Bäumen das Gold unentdeckt geblieben. Mit Hast wurde auch hier gegraben und die Erde aufgeworfen – aber auch hier war das Gold verschwunden. Nur ein einziger Jérômedor, ein gedoppelter, kam mit der Erde zum Vorschein, der sich der Habgier des Schatzhebers durch irgendein Ungefähr entzogen haben mußte.

Hermann war anfangs erstarrt, ermannte sich aber bald. Die Wirklichkeit, die schlimmste, machte einen weniger erschütternden Eindruck als vorher Ungewißheit und Zweifel. Das Gold war fort, er brauchte ja nur zu denken, er habe es nie besessen, er hätte ja auch leben müssen ohne den Fund.

Im Grunde war es doch dem Fuhrmann, der es zuerst sich angeeignet, genommen, entwendet, gestohlen. Der Fuhrmann hatte an dem Golde des Feindes, der ihn gezwungen, seine Pferde anzuspannen, der schuld war, daß eins dieser Pferde crepirte, das größere Recht. Es war nur eine gerechte Strafe, die ihn ereilte.

Er erhob sich von den Knien, rieb von seinem Hirschfänger die Erde und suchte einen Quell, den er in der Nähe wußte, um auch Hände und Gesicht zu reinigen. Dann warf er die Jagdtasche um, gürtete sich mit dem Hirschfänger und schritt der Heimat zu, mit kräftiger fröhlicher Stimme das Lied singend: »Du Schwert an meiner Linken!«

Ihm war so frisch und frei um das Herz, als wäre er einer drückenden Bürde los geworden. Erst jetzt konnte er sich des Wiedersehens der Aeltern und Schwestern in vollem Maße freuen. Bis dahin waren seine Gedanken mehr damit beschäftigt gewesen, was Vater und Mutter sagen würden, wenn der verlorene Sohn so viel Gold vor ihnen ausbreitete. Jetzt dachte er daran: wie werden sie sich freuen, daß sie dich wiederhaben, und wie wirst du dich freuen, der lieben Mutter in die Arme zu sinken. Kräftiger und elastischer schritt er der Heimat zu. Waldmann entdeckte ihn zuerst und hörte nicht auf zu bellen, zu wedeln, zu springen. Mit welchen Freudenthränen wurde er von der Mutter umarmt, während ihn der Vater, mit dem er gleiche Höhe erreicht hatte, vom Kopf bis zum Fuß prüfend beschaute, ihm dann die Hand reichte und ihn willkommen hieß im Vaterhause.

»Wirst den Jungen erst ordentlich wieder herausfüttern müssen, Marianne«, sagte Oskar. »Er scheint bei Schmalhans in die Kost gegangen zu sein, besorge ein tüchtiges Abendbrot, ich will eine Flasche Rheinwein aus dem Kometenjahre aus dem Keller holen. Erzählen soll der Junge erst, wenn er gegessen und getrunken hat.«

Während die Mutter in der Küche beschäftigt war, theilte der Vater dem Sohne mit, was sich sonst zugetragen.

Aus Amerika habe man die besten Nachrichten. Georg und Agnese lebten in der glücklichsten, schon durch zwei Kinder gesegneten Ehe. Georg sei Mitinhaber und Inspector eines großen Hüttenwerks bei Pittsburg. Er habe die Lieferung der Holzkohlen aus den Wäldern, die Karl Haus und seiner Frau gehörten, zu beschaffen. Auch die Gräfin Heloise habe sich mit einem Engländer, Mr. Grant, dem Ingenieur der Hütte, verheirathet und ihn schon zum Gevatter bei dem ersten Sohne bitten lassen. Haus und seine Frau seien jetzt in Deutschland und würden vielleicht bleiben und sich im Braunschweigischen ankaufen.

Auch Onkel Friedrich sei von England zurückgekehrt, habe in Hannover eine Maschinenfabrik errichtet und wolle Hermann zum Ingenieur ausbilden. Er werde ganze Packete von Briefen durchlesen müssen, um alle die Neuigkeiten in ihren Details zu fassen.

»Deine Schwester Baumann in Hedemünden hat auch einem Jungen und einem Mädchen das Leben geschenkt, so bist du Onkel hier wie in Amerika.«

Am Abend nach dem Essen, als man traulich beisammensaß, mußte dann Hermann erzählen. Es half ihm nichts, er mußte jetzt heraus mit der Geschichte von der Aneignung der Tonne Goldes. Er erzählte, ohne eine Thräne zu vergießen, wie er das Gold verborgen habe, und wie er nun doch darum gekommen sei. Die Mutter lächelte dazu und der Vater sagte ihm: »Das hast du schon dadurch verdient, daß du eher nach dem Golde als zu deinen Aeltern gingst.«

Am andern Tage kam Schwager Baumann mit Frau und Kindern von Hedemünden herauf, da mußte dann die Erstürmung des Schlosses in Heustedt, das Lager bei Hohnstorf und die Campagne in Frankreich von neuem beschrieben werden.

Gegen Abend stellte sich auch Klaus, der Müllerssohn, ein, denn das Gerücht von der Wiederkehr des todtgesagten Hermann hatte sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Umgegend verbreitet. Hermann war von Müttern und Vätern, deren Söhne er entführt und in den Krieg gelockt hatte, viel verwünscht worden, aber als nach dem Frieden sämmtliche Jungen nach und nach in ihre Heimat zurückkehrten (nur Heinrich Ott, der Schneider, hatte einen Schuß in den Schenkel erhalten, alle übrigen außer Hermann waren unverwundet geblieben), hatte sich das vergessen, und man lobte ihn wieder.

»Ich sah dich vom Pferde stürzen und hielt dich für todt«, erzählte Klaus, »wir flohen wieder ins Dorf hinein und trafen auf die von Lützow selbst commandirte Escadron, was uns rettete. Von Paris her schrieb ich dann nach Hause und meldete deinen Tod. Du kannst denken, daß deine Mutter viel geweint hat, als mein Vater ihr die Nachricht brachte.«

»Also ich galt für todt?« sagte Hermann oder jubelte vielmehr, denn der Gedanke an den Brief, den er dem Onkel Pastor geschrieben, flog ihm durch den Kopf. Er stürzte aus der Familienstube die Treppe hinauf zu der Schreibstube seines Vaters, wo dieser unter Rechnungen saß: »Papa, Papa, bekenne es nur, du hast die Goldnester ausgenommen?«

»Ja, das habe ich, und dein Gold liegt besser verwahrt als in der Erde. Es trägt schon Früchte.«

»Nun dann wollen wir heute Abend schon theilen; du sollst 5000 Thaler haben, Bruder Georg und Schwester je 2000 Thaler. Der Ott, weil er doch halb Krüppel geworden durch meine Schuld, soll 1000 Thaler haben, der Mutter kaufe ich, ich weiß nicht was, aber das Schönste, was in Kassel zu haben ist, und dann studire ich nicht in Göttingen, sondern in Jena, und mache große Reisen, wenn ich ausstudirt habe.«

»Jetzt machst du, daß du hinunterkommst, ich muß meine Forstanschläge fertig haben, alles übrige wird sich finden.«

Hermann, der den Verlust seines Goldes männlich ertragen hatte, konnte die Freude des Wiederfindens nicht in gleicher Weise ertragen. Er stellte sich ganz ungeberdig an und fühlte doch, daß es besser sei, von der Sache in Gegenwart von Klaus zu schweigen. Aber er umarmte seine Mutter und Schwester, drehte sie im Preise herum, umarmte und küßte Hans und zog ihn tanzend in der Stube herum.

Als man später am Abend im Familienkreise allein saß, Baumann und seine Frau blieben für die Nacht da, erzählte der Vater, wie die Todesnachricht durch die Mutter dem Bruder Heinrich mitgeteilt sei und dieser die letztwillige Anordnung und den Brief Hermann's gesendet habe. Er sei nun ins Holz gegangen, habe die Bäume leicht gefunden und den Schatz vorsichtig gehoben, auch beim Wiederzumachen der Löcher und dem Zudecken mit Grasnarbe sei er vorsichtig verfahren, denn das freche Bürschchen da sei einer Strafe werth gewesen, und die Goldnester ausgenommen zu finden, sei Strafe genug.

Das Gold sei bis auf 5000 Thaler, die er zurückbehalten, an den Onkel Friedrich zinslich verliehen, der dadurch Gelegenheit gefunden, in Hannover seine Maschinenbauerei zu erweitern.

Der gewesene Lützower rückte nun mit seinen Planen, wie er sie im Lazareth entworfen, hervor, und wollte die Theilung unter Aeltern und Geschwistern sofort vorgenommen wissen. »Daraus wird nichts«, sagte der Vater. »Noch stehst du in meiner Gewalt, nicht du, sondern ich bestimme, was mit dem Gelde geschehen soll.

»Zunächst müssen wir die Witwe des Frachtfuhrmanns Krautleben in Ellershausen mit 2–3000 Thalern unterstützen, denn ihr Mann hat das Geld doch eigentlich den Franzosen abgenommen, und du hast ihm seine Beute entwendet. Wenn man die Sache bei Licht betrachtet, hat jener eine Occupation an öffentlichen Geldern eines fremden uns aufgedrungenen Herrschers, vielleicht einen Diebstahl begangen, der sich den Umständen nach vielleicht entschuldigen läßt; allein daß du ihm die Beute wieder abnahmst, hätte sich nur dadurch rechtfertigen lassen, daß du sie zum Besten der Befreiung des Vaterlandes verwandtest.

»Daß du das gewollt hast, entschuldigt dich in meinen Augen, daß du es nicht im ganzen und großen ausgeführt hast, thut mir leid, allein es würde thöricht sein, wollte man an eine Restitution an den jetzt bestehenden Staat denken. Das Königreich Hannover hat an das Geld so wenig Recht wie der Kaiser von China. Also behalte, was du hast, aber verwende es mit Umsicht. Frachtfuhrmann Krautleben ist früh verstorben; wer weiß, ob nicht der Gram um den Verlust des Goldes zu seinem frühen Tode beigetragen hat. Seine Witwe und seine Waisen sollen 3000 Thaler haben. Auch dagegen ist nichts zu erinnern, daß du dem lahmgeschossenen Ott 1000 Thaler schenkst. Er hat eine alte Mutter zu ernähren und die Dorfschneiderei wirft wenig ab. Aber mit der Errichtung von Stipendien zum Studiren, mit Unterstützung von Invaliden im allgemeinen bleibe mir vom Halse. Mit solchen Dingen meint man es gut, ob man aber je etwas damit nützt, ist eine andere Frage. Findet sich aber nach Beendigung des jetzt wieder begonnenen Krieges unter den Gemeinden unsers Kirchspiels ein Invalide, so soll er 1000 Thaler zum Ankaufe eines Häuschens und jährlich 50 Thaler haben; finden sich mehrere, so mag man den Satz ermäßigen, aber unterstützt müssen sie alle werden. Ich und deine Mutter wir danken für jeden Pfennig. Wir haben euch groß gebracht durch unsern Fleiß und können jetzt, da wir kaum Last mehr von euch haben, ruhig und zufrieden von dem leben, was wir haben und verdienen.

»Eins aber wollen wir annehmen, wir wollen hier Sonntag nach Pfingsten ein großes Familienfest feiern, dazu sollen die Großmutter, Bruder Heinrich aus Grünfelde, Bruder Friedrich aus Hannover, Vetter Wittig in Melsungen, Cantor Cruella mit Frau und Tochter und was sonst mit Schulzens und Baumgartens verwandt und verschwägert ist, geladen werden, und es sollen den Leuten in Amerika die Ohren klingen, so wollen wir sie leben lassen. Und das, Junge, sollst du bezahlen.

»Willst du deiner Schwester und deinem Bruder Georg ein Geschenk machen, so habe ich nichts dabei zu erinnern; was dich selbst betrifft, so bekommst du von allem, was übrigbleibt, zu deinen Studien indeß nur die Zinsen. In diesem Sommer bleibst du in Göttingen, wir müssen dich unter Aufsicht haben, denn du siehst aus wie ein ausgehungerter Rabe. Ob du dann zu Michaelis nach Jena gehst oder noch ein Semester in Göttingen bleibst, wollen wir sehen.«

Es war ein heiteres Familienfest, das man acht Tage nach Pfingsten im grünen Walde feierte, die schöne Mainzerin, jetzt ein betagtes Mütterchen, aber noch kerngesund, hatte mit mehr als einem halben Dutzend Großkindern zu schaffen, denn Heinrich Schulz hatte seinen Erstgeborenen und seine Tochter von Grünfelde mitgebracht, Friedrich, der Maschinenbauer, hatte eine Engländerin zur Frau, die noch immer nicht deutsch sprechen konnte, und ihre drei Jungen, die Deutsch und englisch radebrechten, waren kleine Teufel, die tausend Unfug machten. Mariannens Schwester, die Cantorin Cruella, war ohne ihre Tochter gekommen, denn diese war eine berühmte Sängerin in Wien; die Schwester Theresens, Agnes, die Oberförsterin Wittig aus Melsungen, hatte auch zwei rothbäckige Knaben aus dem Hessenlande mitgebracht.

Diese Kinder, die sich hier im grünen Walde und unter den Tanzzelten tummelten, bilden fortan mit den Nachkommen unserer andern ältern Bekannten, mit den Kindern Olga's und Heloisens, Hellung's, Bollmann's, der beiden Schlottheim und Georg Baumgarten's, Junker's, Dummeier's und Claasing's, die Helden, wenn man sie so nennen darf, unserer Erzählung.

Ein neues Jahrhundert, geboren im Kampfe um Ideen, – alte Menschen, die ihre Ideale haben in Trümmer gehen sehen und selbst in Trümmer zerfallen, junge Menschen und Kinder, die abermals funfzig Jahre oder länger die Fehler der Aeltern nicht vermeiden, nur daß ihre Ideale etwas anders geformt sind. Das alte Jahrhundert hatte mit dem von Paris ausgehenden Wahrspruche: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, geschlossen, vom Pregel her hatte Kant den ewigen Frieden und die Kritik der reinen Vernunft schon länger als zwanzig Jahre gepredigt.

Werden die Kinder, die hier im Grase spielen, an ihrem Lebensziele die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erlebt haben? Werden sie die Menschen und Völker geneigter sehen zum ewigen Frieden als zum Kriege, geneigter, in Kunst und Wissenschaft sich hervorzuthun als in der Erfindung von Mord- und Zerstörungsmaschinen?

Wir wollen versuchen, nicht an dem Leben eines Helden, sondern an den in einer Reihe nebeneinanderstehenden Familien und Individuen ein Bild zu geben von dem, wie es war und wie es geworden.

Von den Kindern, die hier sich tummeln, sind erst zwei geeignet, unsere flüchtige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der eine hat es schon gethan, es ist Hermann Baumgarten, er hat, jetzt siebzehn Jahre alt, schon selbstthätig ins Leben eingegriffen, er hat für das Vaterland gekämpft und geblutet, er hat durch Glück und Zufall in seinem Leben Förderung gehabt, und Glück gibt Zuversicht und Selbstvertrauen.

Ganz anderer Natur ist Gottfried, der funfzehnjährige Sohn des Predigers von Grünfelde. Er ist ein langaufgeschossener blonder Jüngling, ebenso ungelenk und körperlich ungeschickt, wie Hermann trotz des steifen Beines behend und geschickt; er ist nachdenkend und träumerisch, macht Sonette, besingt eine unbekannte künftige Geliebte und läßt sich von sämmtlichen kleinern und größern Cousinen zum besten haben. Er hat nicht eine Spur von dem resoluten, selbstbewußten Geiste seiner Mutter Therese; ob er von dem Verstande des Vaters viel geerbt, läßt sich noch nicht sagen. Aber er ist sehr fleißig, ist unter des Vaters Leitung ein guter Lateiner und Grieche geworden, exponirt seinen Homer, Aeschylus und Thucydides und studirt im Tacitus das Urgermanenthum. Doch ist er eine treue hingebende Seele, jeder muß ihn liebgewinnen, und Hermann Baumgarten hat in wenig Tagen herzinnige Freundschaft mit ihm geschlossen.

Unzufrieden mit Gottfried ist allein sein Onkel, der Maschinenbauer und praktische Mann. »Aus dem Jungen, lieber Bruder, wird nie etwas Gescheites, wenn der noch länger in deinem Hause bleibt. Das ist ja kein Junge, das ist eine funfzehnjährige Nachtmütze, ein Mondscheinesser und Traumpoet. Der Junge muß unter Menschen, unter recht wüste Buben, schicke ihn mir nach Hannover, da fehlt es an dergleichen nicht.«

»Laßt mir meinen Gottfried ungeschoren«, erwiderte der ältere Bruder, »er ist ein fleißiger, denkender Knabe. Was ihm fehlt, ist Körperkraft, er ist zu schnell in die Höhe gewachsen und hat zu früh gedacht. Ich will ihn gerade in den Jahren seiner Entwickelung im Hause behalten und unter der Pflege der Mutter seinen Körper ebenso heranreifen lassen, wie sein Geist unter meiner Obhut gedeihen wird, und ich hoffe mit Gott etwas Tüchtiges aus ihm zu schaffen. Freilich ein Maschinenbauer, ein Soldat, ein Förster wird er nie werden; er hat aber alles Zeug zu einem tüchtigen Gelehrten, zu einem Philosophen.«


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