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Erstes Kapitel.
Hassan und sein Paradies in Zuwan.

Der Fortgang unserer Erzählung führt uns auf einen andern Schauplatz, welcher uns von den zuletzt geschilderten Begebenheiten sehr verschiedene Zustände vor Augen stellt. Wir kehren zu einem Bekannten zurück, dessen schon berichtete Schicksale abenteuerlich genug erscheinen mögen, aber durch das, was wir in diesem Kapitel mitzutheilen haben, noch übertroffen werden. Wir haben den als Beschützer Olga's in Neapel zurückgelassenen Maler Hellung verlassen, als er mit vier amerikanischen Matrosen, nachdem der Korsar das Schiff Decatur's geentert und erobert hatte, von seinen Leidensgefährten getrennt und auf das Kaperschiff selbst gebracht wurde, wo man sie anfangs in einen der untern Schiffsräume einsperrte, nachdem man ihnen Waffen, Messer, Geld und Schmuck abgenommen hatte. Ein großer goldener Ring mit einem geschnittenen Steine antiker Arbeit, ein Geschenk des Lords Harrington für das gelungene Bild des Adlerschusses auf Capri, war ihm vom Finger gerissen, dagegen war es ihm gelungen, den Verlobungsring anfangs im Ohre zu verbergen, dann anderweit zu sichern.

Die fünf Gefangenen waren etwa anderthalb Tage unter Deck gewesen, als man sie gegen Abend in ein großes Boot setzte, das der Küste zuruderte. Man sah dort bald eine größere Stadt terrassenförmig aus dem Meere steigen, und einer der Matrosen behauptete, daß das Tunis sei. Der Seeräuber wie der gekaperte Amerikaner hatten im Golf von Tunis Anker geworfen, ohne sich der Stadt zu nähern. Das Boot mit den Gefangenen fuhr direct in den Hafen ein. Es dunkelte schon, als man landete. Tunis ist eine häßliche Stadt mit engen ungepflasterten Straßen, in deren Mitte aller Schmuz sich sammelt, bis er bei einem Regengusse durch die in der Mitte befindliche Rinne dem Meere zugeführt wird. Die Geraubten wurden in einem schmuzigen, elenden Hause in dem untern Stadttheile untergebracht, mit etwas Schafmilch und getrocknetem Schaffleische nothdürftig erquickt und ihnen ein Lager auf alten zerrissenen und schmuzigen Teppichen, in denen eine Unzahl von Ungeziefer hauste, angewiesen.

Das Raubschiff, welches den Amerikaner genommen hatte, war ein tripolitanischer Regierungsraper, und die Prise Eigenthum des Dei Jussuf Karamanli; allein der Kapitän des Schiffes suchte einen Theil der Beute für sich zu retten, Hellung und seine Gefährten wurden daher nach Tunis gebracht und dort an einen Sklavenhändler verhandelt, der seine Waare unter der Hand losschlug, ohne sie auf den Sklavenmarkt zu bringen.

Nach einer schlaflosen Nacht – drei der schrecklichsten Uebel in der Welt peinigten die unglücklichen Gefangenen bis aufs Blut: Mosquitos, Flöhe und Durst – wurde unser Freund von den Matrosen getrennt und einer Beduinenhorde, die in das Innere zog, zum Weitertransport übergeben. Er war also im voraus bestellte Waare. Ihm wurde Platz angewiesen auf einer zweiräderigen von zwei Maulthieren gezogenen Carrete, auf der schon einige Weiber, in schmuzige Burnusse gehüllt, und halbnackte Kinder Platz genommen hatten. Der Zug, halb Fußgänger, halb Reiter zu Roß wie auf Maulthieren, dem eine Heerde Schafe und einige magere Kühe vorangetrieben wurden, setzte sich kurz nach Aufgang der Sonne in Bewegung, nachdem man den Gefangenen wenigstens das begehrte Trink- und Waschwasser wie auch eine Schale Schafmilch gebracht hatte.

An dem unabsehbaren Kirchhofe, der hinter der Stadt beginnt, längs schroffen, oben mit einer Art von Festungswerken versehenen Felsen, auf der andern Seite den Salzsee neben sich, zog man einer jetzt noch vom schönsten Grün bekleideten Ebene zu. An den Felsen qualmten eine Menge Kalköfen ihren schmuzigen, schwarzen Dampf der Karavane ins Angesicht. Man kam an einzelnen alten Schlössern vorüber, deren Umgebung unsern Freund an die Villen von Sorrent erinnerte; da sah er wieder in die Blüten schießende Oleander, Boskets von Granaten, Feigenbäume von seltener Größe, Kastanien- und Nußbäume, blaßgraue Oelbäume, umzogen und durchwebt mit vielfarbigen Winden, blühendem Roth- und Weißdorn. Die Luft war heiß, aber balsamisch, die Weiden prangten im duftigsten Grün, um nach wenigen Monaten, wenn die Sommersonne darauf geschienen, in schmuziggrauen Staub verwandelt zu sein.

Man zog ungeheuere Aquäducte oft achtzig Fuß hoch und höher entlang einem Berglande zu, von dem die Karthager ihrer Stadt auf diesen zerfallenen Riesenwerken einst das Wasser zugeleitet hatten. Gegen Mittag erreichte man einen Hügel, auf dem, soweit das Auge reichte, Ruinen von Tempeln, Palästen, Häusern zerstreut lagen. Hatte hier vielleicht das alte Utica gestanden? In den großen jetzt trockenen Cisternen dieser Stadtruine – es lagen deren sechs von hundert Fuß Länge, zwanzig Fuß Breite, dreißig Fuß Höhe, miteinander durch ungeheuere Bogen verbunden, in einer Reihe – machte die Karavane halt, um bis zum Abend Siesta zu halten. In diesen alten Wasserbecken schien jetzt eine Art Viehmarkt zu sein, wenigstens lagerten oder hockten vielmehr auf ihren Fersen hier schon verschiedene Beduinenstämme mit Hunderten von Stücken verschiedenen Viehes, Kamele, Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen.

Die pittoresken Gruppen der Beduinen in diesen Räumen würden zu jeder Zeit die Aufmerksamkeit des Malers erregt haben, allein heute war der Künstler in ihm von Hunger, Durst und der schlaflosen Nacht, von den Stößen des Fuhrwerks, den Fliegen und Mosquitos des Tages so matt und müde, daß er, nachdem er einen neubelebenden Trunk gethan und einige Streifen zähen Lammfleisches mit Gerstenbrei hinuntergewürgt hatte, in den schönen kühlen Räumen auf bloßer Erde einschlief, trotz des ringsum blökenden Viehes.

Die Beduinenhorde, die unsern Freund an den Ort seiner künftigen Bestimmung transportiren sollte, hatte schon am Abend wieder aufbrechen wollen, aber eine von den Kühen hatte die Welt nachmittags durch ein Kalb vermehrt, und der Karavanenführer beschloß, bis zum Sonnenaufgang zu bleiben, um die Kuhmutter zu schonen. Als man aber am Morgen aufbrach, mußte dennoch die Kuhmutter und das Kalb unter der Hut eines häßlichen alten Weibes und eines schmuzigen Knaben als Hüter zurückgelassen werden, was dem unglücklichen Gefangenen wenigstens einen etwas bequemern Sitz auf der Carrete verschaffte.

Beim Licht der Sterne (die Sonne war noch nicht aufgegangen) sah dieser vor sich eine von gezackten Bergen eingeschlossene Ebene, ohne einen einzigen Baum. Im Hintergrunde erhob sich ein hoher Berg, der den deutschen Künstler lebhaft an seinen Liebling, den alten Watzmann, erinnerte, nur daß hier der Vordergrund und die Nebenpartien, der marmorne Untersberg mit seinen grünen Thälern zur Rechten und dem kleinen und großen Göll zur Linken fehlten. Ein dämmernder, flimmernder Dunst war über die Gegend verbreitet und die Hitze trotz des frühen Morgens schon erdrückend. Myriaden von Fliegen umschwärmten die Karavane. Bald zog man aber bergan, die Lust wurde reiner und kühler, die. ganze Gegend nahm einen ansprechendern Charakter an. Unser Freund glaubte sich nach Italien versetzt. Der Berg fing an sich mit Gesträuch, Immergrün, Myrte, Rosmarin zu bedecken, Bäche strömten hier und da herab, an denen Oleander in Unzahl wucherten und dunkelrothe Blumen, Knospen und Blüten trieben.

Endlich kam die Karavane auch in die Region der Bäume und mußte in einem vielfach gewundenen Bergthale über eine Stunde in die Höhe steigen. Je höher hinaus, desto mehr heimelte es den unfreiwillig Reisenden an, es schien ihm, als steige er die Bergeshöhen über Salerno empor; hohe Silberpappeln, Nußbäume, Rüster, Kastanien, Dornbüsche, alle umwoben von blühenden Winden, schmückten die Straße. Ein Bergstrom mit klarem, grünem Wasser stürzte sich mit tobender Schnelle an der rechten Seite derselben der Ebene zu.

Blühende Winden verschlangen sich über der Straße zu Kränzen und vermählten die Bäume diesseits und jenseits; von Zeit zu Zeit sah man im Hintergrund das blaue Haupt eines Berges, in dessen Schluchten noch der weiße Schnee glänzte.

Als sich der Wald mehr lichtete, nahmen saftige Orangen, Palmen mit ihren schwankenden Fächerkronen die Stelle der Rüster und Kastanien ein. Links vom Wege in einer Hochebene lag eine Stadt, an deren altrömischem Thore ein Widderkopf andeutete, daß man hier in der Vorzeit den Jupiter Ammon verehrt habe.

Hier hieß ein Beduine, auf einem Maulthiere reitend, den in Anschauung der Umgebung versunkenen Künstler von der Carrete steigen und deutete ihm an, rechts voranzugehen, während die Karavane links um die Stadt zog. Dieser schloß richtig, daß er seinem künftigen Bestimmungsorte nahe sein müsse, und freute sich, daß dieser in eine Gegend fiel, in der man die Gärten der Hesperiden, die verloren gegangenen, suchen dürfte.

Der Weg führte um einen Kirchhof herum, der stufenartig an einem Hügel, der sich an die Stadt lehnte, emporstieg und mit Tausenden von steinernen Turbanen geschmückt war.

Hinter der Stadt ging es wieder bergan, große Heerden schwarzer Ziegen kletterten an den kahlen Kalkfelsen umher und naschten an der kärglichen Grasnarbe oder den spärlich zerstreuten Rothdornsträuchen und Bäumen. Immer reichlicher strömten Quellen von den Bergen, und der Naturfreund, welcher unter solchen Eindrücken sein eigenes Los vergaß, ahnte, daß er zu jenen mächtigen Quellen hinaufsteige, die Karthago einst mit Wasser versahen.

Ein Thal, das, in großer Kluft in den Riesenberg einschneidend, sich durch einen Hain bemerklich machte, der nicht lieblicher zu denken war, that sich vor Hellung auf. Mandelbäume, dunkle Oliven, Kirschbäume mit reifen kostbaren Früchten ragten aus einem Unterholze von blühendem Jasmin, Geißblatt, Oleander, Granatbäumen, welche die Luft mit süßem, fast betäubendem Duft erfüllten. Silberpappeln und saftige Maulbeerbäume wechselten mit Cypressen von der Höhe italienischer Pappeln. Ueppige Winden und andere Schlingpflanzen kletterten an den Baumstämmen hinauf und schaukelten ihre Blumenkelche behaglich mit den Laubwipfeln. Unserm Maler kam bei diesem Anblick der Gedanke, daß es einen schönern Vordergrund zu dem Bilde eines Paradieses nicht geben könne, und war in seiner Phantasie im Begriff, dieses Gemälde scenisch zu ordnen und mit Adam und Eva wie mit dem dazu nöthigen Gethier zu bevölkern, als ihn sein Begleiter aufforderte, zu weilen und von den Kirschen und Orangen nach Belieben zu essen, wie er selbst that.

Bis dahin hatte er sich nicht weiter erquickt, als indem er mit der hohlen Hand dann und wann aus einem der Felsbäche kühles kostbares Wasser schlürfte. Die saftreichen Früchte mundeten ihm jetzt wie in seiner Knabenzeit.

Als es wieder weiter ging, zeigten sich die mächtigen Ruinen eines Tempels, der über der größten der heiligen Quellen erbaut gewesen.

Bisher war man in einem Naturparke gewesen, jetzt verließ der Beduine sein Maulthier, band dieses an einen Baum und stieg mit dem Gefangenen in einem terrassenförmig angelegten, durch Menschenkunst geschaffenen Garten zu einem Landhause empor, das an einem Felsen lehnte und von zwei hohen Palmen beschattet war. Solch ein afrikanisches Haus hat nichts Malerisches oder Anziehendes, es will Bedürfnisse befriedigen, die uns fremd sind, es will vor Licht und Sonne schützen, Kühle gewähren. Der Mittelpunkt eines solchen Hauses ist der innere Hof mit einer Fontaine und das platte Dach für den Abend und die Nacht.

In einiger Entfernung von dem Haupthause waren noch sechs bis acht kleinere Wohnungen, in welchen Sklaven und deren Aufseher wohnten. Hierher wurde unser Freund von dem Beduinen geführt und einem Aga übergeben. Man brachte ihm maurische Kleidung, hieß ihn durch Zeichen, sich zu waschen und zu säubern und die neue Kleidung anzulegen, und führte ihn, nachdem dies geschehen war, vor seinen neuen Herrn. Dieser war ein alter ehrwürdiger Mann mit langem grauem Barte; umgeben von einem halben Dutzend dichtverschleierter Frauen, hockte er im ersten Hofe seines Hauses auf einer Ottomane und sah aus einer langen Pfeife rauchend dem Spiele der springenden und plätschernden Wasser zu.

Er blickte den Ankömmling lange und scharf an, richtete in arabischer Sprache einige Fragen an den Aga und gab diesem einen Befehl. Der neue Sklave wurde darauf nach einem andern Theile der Besitzung, wo sich gleichfalls noch einige Häuser fanden, geführt und hier einem alten grämlich aussehenden Manne übergeben, der eine Art Obergärtner zu sein schien und einem Dutzend Schwarzer Befehle gab, Gartenwege zu reinigen, Blumenbeete zu begießen, die Cisternen, deren jede Terrasse mehrere hatte, zu reinigen. Der diese Arbeiten Beaufsichtigende befahl dem Sklaven durch Zeichen, Aprikosen zu pflücken und in einem Korbe zu sammeln, wahrscheinlich für den Herrn. Dieser benahm sich aber bei Verrichtung des ihm aufgetragenen Geschäfts höchst ungeschickt. Der Gedanke, daß er Sklave sei, daß er aufgehört habe, seinen eigenen Willen zu haben, daß er nunmehr von der Gnade eines alten grämlichen Obergärtners abhänge und möglicherweise die Peitsche fühlen werde, wenn er nicht gehorsame, machte ihn ganz verwirrt. Eine Leiter gab es nicht, er ward bedeutet, auf dem Rücken eines Schwarzen in den Baum zu steigen. Er that das mit Ungestüm, indem er seinen Fuß mit solcher Mächtigkeit auf des Nubiers Hals setzte, daß dieser laut aufstöhnte. Es brauste in ihm der innere Zorn über diese erste Arbeit des Gehorchens los; er, der kräftige Mann, sollte hier für die Weiber und Kebsweiber seines Herrn Aprikosen pflücken! Er hatte kaum in dem Baume Fuß gefaßt, als er mit kräftiger Hand einen mächtigen Ast des Baumes, der voll der schönsten Früchte hing, losbrach und ihn dem Alten vor die Füße warf.

Dieser blickte erst hinauf zum Baume, dann um sich herum, als ob er die Sklavenpeitsche suche, und stieß dabei im niedersächsischen Platt die Worte aus: »Da sall ein Kreuzdonnerwetter henin flohn!«

Wie im Nu war unser Freund vom Baume und fiel dem Alten um den Hals. Einen Landsmann, einen Deutschen hier zu finden, mit dem er sich in heimischer Sprache verständigen könne, das war ein zu großes Glück!

Auch den Graubart schien es zu freuen, nach lieben langen Jahren zum ersten mal wieder Laute der Muttersprache zu vernehmen, er hieß einen Schwarzen das Geschäft des Obstpflückens übernehmen und zog den Landsmann in eine nahe kühle Felsgrotte, aus deren hinterer Wand ein klarer Quell hervorquoll, der in einem Bassin aufgefangen wurde.

Hier erzählte er dem Ueberraschten seine Lebens- und Leidensgeschichte. Vor dreißig Jahren war ein bremer Schiff, auf welchem er als Matrose diente und das in Sicilien Schwefel laden wollte, von tunesischen Korsaren gekapert und er selbst als Sklave verkauft worden. Er hatte schlimme Tage verlebt; sein erster Herr war ein jähzorniger Mann gewesen, der selbst die Peitsche führte, und so war er als Lastthier von morgens früh bis spät am Abend zum Wassertragen verurtheilt gewesen. Er nahm die Flucht, wurde aber wieder ergriffen, erhielt die Bastonnade und wurde dann auf dem Sklavenmarkte in Tunis von neuem verkauft.

Damals war sein jetziger Herr, der Neffe des Paschas, noch Hasnader Grande (Finanzminister); aber er beabsichtigte schon, sich hierher nach Zuwan zurückzuziehen, da sein Onkel mit seiner Finanzverwaltung unzufrieden war. So war Klettmann, dies war der Name des Graubarts, in dieses Paradies gekommen, war Landratte geworden und mit der Zeit ein tüchtiger Gärtner, Obst-, Blumen-, Gemüsezüchter, der hoch in Ansehen bei seinem Herrn stand und in Furcht bei Sklaven und Sklavinnen. »Ich bin verheiratet gewesen mit der Tochter eines Beduinenhäuptlings«, erzählte der Alte, »noch dazu mit einer Genähten, deren Mutter ich für das Aufschneiden 300 Piaster bezahlen mußte. Ich lebte glücklich und zufrieden, hatte drei Kinder, da schleppte ein Hirt die Pest ein, und in wenigen Stunden waren Frau und Kinder Leichen. Maschullah!« (Wie es Gott gefällt!)

»Nun min Jung«, unterbrach er sich, »Noth sollst du in Zuwan nicht haben; Ibrahim, der Besitzer dieses Gutes, glaubt, alle Deutschen seien geborene Gärtner, hat dich zu meinem Gehülfen und Nachfolger ausersehen. Lo eloha il' Allah Mohamed rassul Allah – es ist kein Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet! – Nun das ist keine Kunst; was ich kann und weiß, habe ich bei der Arbeit selbst gelernt, der besten Lehrmeisterin. Sonne und Wasser, mehr bedarf es nicht, und an beiden haben wir Ueberfluß.

»Aber mein Junge«, fuhr Hinrik, wie er sich genannt wissen wollte, fort, »eins ist, vor dem du dich in Acht nehmen mußt; das sind die Weiber des Harems. Sie können es nicht lassen, mit Christensklaven zu liebäugeln, ihnen Selams zu senden und durch Blumen die glühendsten Liebeserklärungen zu machen. Allein sie sind falsch und treulos, und das Haremsvolk im Herrenhause gottlob! insgesammt häßlich, fett, aufgemästet.

»Ibrahim ist zu alt, um eifersüchtig zu sein, allein er ist zu stolz, um zu dulden, daß ein Christensklave eins seiner Weiber und Kebsweiber auch nur von Angesicht zu Angesicht schaue, geschweige sie mit der Hand berühre.

»Ich werde dir, mein Junge, vor allem die Sprache der Blumen und weise Worte des Korans lehren, die dich gegen Anfechtungen der Weiber stichfest machen. Doch, mein Jung«, unterbrach er sich mit seinem Lieblingsausdruck, »ich vergesse ganz, daß du wol Hunger und Durst haben wirst.«

Und als nun der Jüngling erzählte, daß er außer etwas trockenem Schaffleisch und Schafmilch, auch mittags einigen Kirschen und Orangen, nichts genossen, befahl der Alte einer Schwarzen, sofort ein Lamm zu schlachten und zu rösten, und zog den Gast in seine Wohnung.

Diese bestand aus drei Theilen, einem großen Hofraum, der nach hinten von einem Felsen eingeschlossen war und der eigentlich den Hauptraum bildete, einer Vorhalle, in der sich eine Art Küche befand, und zwei Flügeln mit verschiedenen Gemächern. Die Vorhalle war sehr düster und empfing ihr Licht nur von der Hofseite her.

In der Mitte des Hofraumes befand sich ein großer Wasserbehälter, welcher verschiedene aus den Felsen rinnende Quellen in sich aufnahm und zum Regulator der Springbrunnen diente, die in den untern Gartenterrassen ihre Wasser in die Luft strahlten.

Die Felsseite entlang hatte man eine Bank oder Ottomane in den Fels gehauen, unter der die verschiedenen Quellen in das Bassin geleitet wurden. Sie war mit Lammsfellen überdeckt. Der Felswand gegenüber, da wo der Felsgrund aufhörte, breitete eine Palme über einen großen Theil des Hofes ihre zitternden Schatten. An beiden Flügelseiten des Hofraumes standen gleichfalls gepolsterte, mit Leder überzogene Ottomanen mit Teppichen und Kissen aller Art, wie auch der Raum vor demselben mit Teppichen bedeckt war.

Das gab einen köstlichen Platz, um der Ruhe zu pflegen, und eine Stunde bevor der Marabut zum Gebete rief, saß hier Hinrik mit untergeschlagenen Beinen, eine Pfeife türkischen Tabacks rauchend, während sein Genosse halb sitzend, halb liegend das Gleiche that.

Jener war schon so sehr Muselman, daß er trotz seines Redeflusses zu andern Zeiten, wenn er die Pfeife im Munde hatte, stundenlang, ohne ein Wort zu sprechen, mit verklärtem Gesichte den blauen kräuselnden Wolken, die er in die Luft blies, nachsehen konnte. Aber sein Geist war nicht unthätig, er dachte: Allah ist groß. Wie oft hatte er sich nach dem Tode seiner Frau und seiner Kinder trotz des Paradieses, in dem er lebte, einsam gefühlt und an die grünen Marschen und die braunen Moore seiner Heimat zurückgedacht. Wie oft hatte er, jetzt über sechzig Jahre alt, die Abnahme seiner Kräfte gefühlt und seinen Herrn gebeten, ihm einen jüngern Gehülfen zur Seite zu stellen. Er war, seitdem er sich zum Mohammedanismus bekannt, kein Sklave mehr, eine Art Freigelassener, selbst Beaufsichtiger von schwarzen und braunen Sklaven, als der er einen ansehnlichen Gehalt, 500 Piaster, von Ibrahim empfing. Er verstand sich vollkommen im Arabischen auszudrücken und kannte den Koran halb auswendig. Nun hatte ihm das Glück einen Landsmann zugeführt, mit dem er in der süßen Muttersprache reden konnte; wenn auch Hellung nur hochdeutsch sprach, er dagegen nur platt, so verstand er doch das Hochdeutsche und jener die niedersächsische Mundart. Es schien ihm ein wahrer Gottessegen, daß ihm ein Landsmann und nicht etwa ein herzloser Engländer, ein schwatzhafter, windbeuteliger Franzose oder gar ein heimtückischer Italiener zum Gehülfen gegeben war, er gelobte sich in der Stille, den Genossen zu lieben und zu halten wie einen Sohn.

Der Maler starrte zum Palmdache über sich in die Höhe, er dachte an das bescheidenere Paradies bei Jena und sein bescheidenes Veilchen darin. Würde er Karoline je wiedersehen, konnte er von ihr verlangen, daß sie ihm treu bleibe, wenn sie in Jahr und Tag von seinem Dasein nichts höre?

Was würde sie thun, wenn sie wüßte, daß er jetzt Gärtnersklave am Fuße des Zuwan sei? Solche Gedanken beschäftigten ihn. Inzwischen war das Lamm geschlachtet und geschmort, gewiß noch auf dieselbe Weise, wie die Frauen der Erzväter es thaten, und dann mit den Fingern verspeist. Das war eine Kunst, die unser Freund erst lernen mußte, wie auch das Sitzen auf den eigenen Beinen.

Abends, nachdem Hinrik Gebet und Waschung verrichtet – und er war darin gewissenhaft wie ein Araber –, setzte man sich auf das Plattdach, und hier mußte der junge Künstler seine Lebensschicksale erzählen.

»Min Jung«, sagte der Wirth, als jener geendet, in seiner zutraulichen Weise, »man muß sich in das Unvermeidliche fügen lernen. Eine Aussicht, von hier fort wieder in die Heimat zu kommen, hast du nur dann, wenn der Herr Ibrahim dich liebgewinnt, dann schenkt er dir bei seinem Leben oder in seinem Testament wol die Freiheit; der Weg dazu wird geebnet, wenn du dich zum Mohammedanismus bekennst. Es ist dies gar keine so üble Religion und sie weicht vom Christenthume nur in wenigen Punkten ab, in solchen, wo ich die christlichen Lehren nie verstanden habe; Allah ist der eine, sich gleiche, allmächtige, allwissende, allgewaltige, ewige, allweise, allgerechte Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt. Genügt das nicht? Du brauchst deinen Glauben nicht abzuschwören und nicht zu verfluchen. Vielleicht wird dir die empfindlichste Operation bei dem Glaubenswechsel erlassen, und um so lauter bekennst du: Es ist kein Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet.«

»Es scheint mir das keine so große Eile zu haben«, meinte der andere, »ich will mir die Dinge hier erst einmal ansehen.«

Und er sah sich die Dinge an. Er war nicht ohne Verständniß und ohne Sinn für Gartenbau, hatte er doch seinem Schwiegervater und seiner Braut oft zur Seite gestanden bei ihren ländlichen Beschäftigungen; als Maler hatte er Natursinn in hohem Grade und er lernte bald diesen auf das Kleine beschränken, während er bisher das Grandiose in der Natur gesucht und dargestellt hatte. Was im Anfange Resignation gewesen war, wurde bald eine Lust für ihn, und er war ein lernbegieriger und geschickter Schüler, an dem Hinrik seine Freude hatte.

Aber es kam nur allzu bald die böse Regenzeit, und da galt es, Terrassen und Gärten vor allzu vielem Wasser zu schützen, namentlich die Dattelpalmen. Zwar hatte man großartige Vorkehrungen getroffen, die Hauptgewässer, welche die Terrassen bedrohten, abzuleiten. An beiden Seiten der Besitzung waren größere Teiche angelegt, in denen das Wasser der unzähligen Bäche, die den Zuwan herunterstürzten, gesammelt und neben den Gärten in das Thal geleitet wurden; aber die eigenen Quellen, welche zur Sommerbewässerung gebraucht wurden, hatten oft so viel Wasser, daß man auf künstliche Abflüsse Bedacht nehmen mußte.

Im ganzen zwang aber die Jahreszeit, viel im Hause zu verweilen, wo der Aufenthalt in den dunkeln Zimmern wie im Hofe nicht angenehm war. Zwar hatte man ein Regendach von Leinwand an die Dächer befestigt, welches das Wasser der Mitte zu und in das Fontainenbassin leitete; aber die Eingangsseite war wegen des Palmbaumes nicht ordentlich verdichtet, und man konnte den Hof nicht betreten, ohne durchnäßt zu werden.

Hinrik war an die Regenzeit wie an den Sonnenschein gewöhnt, er saß unter einem kleinen Zelte, das eben Raum genug hatte, um ihm und seinem neuen Freunde Platz zu gewähren, und rauchte oder las Hellung einen oder einige Surahs aus dem Koran vor, übersetzte dieselben und unterrichtete ihn so im Arabischen und in der Religion zugleich.

Er konnte das schon am ersten Tage hervorgetretene Streben, den Maler zum Bekenner Mohammed's zu machen, nicht unterdrücken, so sehr dieser auch abwehrte.

Unser Freund fühlte immer stärker den Mangel an Beschäftigung, und das trieb ihn, das einzige Buch, das man besaß, den Koran, nachdem er die arabischen Zeichen kennen gelernt, fleißig zu studiren und manchen Vers und guten Spruch desselben auswendig zu lernen. Er konnte die fünf Gebete, die der Gläubige täglich beten soll, hersagen, er wußte, was Fared und Haram, Tradschib und Mettrusch war (unbedingte Verbindlichkeit und Verbrechen an ihr, kanonische Verpflichtung und tadelnswerthe Handlung in Umgehen derselben), er hielt viele Vorschriften des Mohammedanismus, z. B. daß der Gläubige den zehnten Theil seines Einkommens als Almosen spenden soll, für richtiger als die Vorschrift christlicher Priester, ihnen den Zehnten zu spenden, kurz, er war auf gutem Wege, ein Gläubiger zu werden, wenn nicht manche Vorschriften seiner Natur und Lebensgewohnheit noch zuwider gewesen wären. Gott hat gesagt, man soll ihn nicht im Abbilde vorstellen, auch kein Bild von dem machen, was im Himmel und auf Erden ist, also verbietet der Koran die Darstellung alles dessen, was Leben hat, durch Zeichen, Malerei und Bildhauerkunst. Er hatte nichts dagegen zu erinnern, daß der Prophet sagte: »Wein ist der Vater des Verbrechens«, und »Wein zu trinken ist nicht minder strafbar als die Götzen anzubeten«; er billigte, daß der Koran Glücksspiele verbot, den Frauen befiehlt, Busen und Hals, Hände und Füße zu bedecken; aber daß er auch Musik und Tanz, die Abbildung belebter Gegenstände und Bildhauerei verbot, das wollte ihm nicht in den Sinn. Im Gegentheil war seine ganze Sehnsucht auf Leinwand und Farben, Palette und Pinsel gerichtet. Gar zu gern hätte er ein Bild, das seiner Phantasie vorschwebte, seitdem er die Zuwanregion betreten, auf der Leinwand festgehalten, das Bild vom Paradiese. Eine Skizze hatte er schon auf eine dazu geeignete Halbwand gezeichnet, mit Kohle, die er sich von Akazienholz selbst bereitet. Nur die Stelle, wo Adam und Eva Platz finden sollten, war noch nicht ausgefüllt. Er hatte Hinrik angegangen, ihm von Tunis, und wenn es da nicht vorräthig sei, von Malta oder Neapel aus das nöthige Zeug zu seiner Malerei zu schaffen, und Hinrik hatte auf das Frühjahr, auf Februar vertröstet, wo die erste Karavane aus dem Sudan nach Tunis hier vorüberziehe, bei der sei ein Händler, der für alles Rath wisse.

Februar kam und mit ihm der Sommer, der Regen hörte auf, die Luft war rein und wolkenlos, balsamisch duftend, die Erde bedeckte sich in wenigen Tagen mit Grün, an den Felsen schlangen sich Weinreben und Schlinggewächse empor, der Oleander trieb in wenigen Wochen dunkle Blütenknospen, Blumen aller Art schossen auf den Gartenterrassen aus dem Erdboden hervor und wucherten in dem Naturparke daneben aus dem Grase. Unser Freund hatte die besondere Pflege zweier Gartenterrassen übernommen, von denen die eine nur mit Rosen, die andere nur mit Nelken besetzt war. Ibrahim war ein großer Rosenfreund, er hatte keine Kosten gescheut, sich aus Damaskus, der Stadt der Rosen, ja aus Persien die schönsten Stämme kommen zu lassen, und Hinrik hatte durch sorgfältige Pflege, durch Inoculation und Kreuzungen über tausend verschiedene Rosenarten zusammengebracht, von der dunkelsten Purpurfarbe bis zu dem ätherischen Weiß, vom Orangegelb bis zum Lichtgolde waren alle Farben vertreten. Die Farbenpracht des Nelkenfeldes war wahrhaft türkisch. Während der Gärtnerlehrling beschnitt, oculirte, für Ibrahim und seinen Harem täglich zweimal die schönsten Sträuße liefern mußte, sorgte sein Beschützer für das Nützliche, er ließ die Wege reinigen und ebnen, die Steine, welche die Winterwasser auf die Terrassen geschwemmt, entfernen, dann aber war es hauptsächlich der Gemüsebau, der ihn beschäftigte, und die Sorge für die Obstbäume. Hellung hatte noch nie so vortreffliche Spargel gegessen, wie hier schon im beginnenden Februar aus den Beeten massenhaft emporschossen, Erbsen und Bohnen kamen nach Verlauf von vierzehn Tagen zur Blüte, Artischoke und Wassermelone, Gurke und Kürbis, Blumenkohl von enormen Dimensionen wuchsen in diesem Paradiese, wie der junge Deutsche es noch nie gesehen hatte.

Die Beschäftigung mit diesen Dingen zog seinen Geist in immer engere Kreise, es kam ihm vor, als wenn seine Phantasie und seine Verstandeskräfte nachließen, wenigstens fehlte ihm gänzlich das Interesse für solche Sachen, die ihn früher neben der Malerei ausschließlich in Anspruch genommen hatten. Sein Naturell war auf Empfinden angelegt und wurde von den schmeichelnden Reizen des Landes eingewiegt. Orientalische Genügsamkeit und Ruhe schien über ihn gekommen. Wenn er die Blüten abendländischer Civilisation, wie sie ihm in den letzten Jahren in Neapel vor die Augen getreten waren, das Verderbniß des Hofes und die gänzliche Verdummung des Volks unter der Leitung dieser fanatisch-heuchlerischen, brutalen und listig-boshaften Priesterhorden, die sich nach dem Sturze der Parthenopeischen Republik auch wie blutgierige Hyänen über das Land ergossen, verglich mit der Einfachheit, Gottergebenheit, Selbstgenügsamkeit dieser Araber; wenn er die Heucheleien der christlichen Priester und das gläubige Vertrauen gegeneinanderhielt, mit dem der Mohammedaner zu Allah betet; wenn er eine große Menge beherzigungswerther Koranverse sich ins Gedächtniß zurückrief, so wurde es ihm zweifelhaft, ob diese christliche Civilisation, wie sie unter der Hand der Kirche, der Bischöfe, der Consistorien sich gestaltet, vor der Religion des Propheten wirklich so viele Vorzüge habe.

Trotz der Vielweiberei sah er hier die Familiengefühle in mancher Hinsicht heiliger gehalten als in Europa, trotz der Sklaverei sah er hier eine sich namentlich im Wohlthätigkeitssinn viel weiter erstreckende Humanität, als er sie in Neapel, Rom, Deutschland gesehen. Welches waren die Beweggründe, die das Leben in Europa bedingten? Immer waren es unbefriedigte Bedürfnisse, Herrschsucht, Gier nach Ansehen, Auszeichnung oder Reichthum, hier in Afrika war es die Bedürfnißlosigkeit, welche das Anschmiegen an die Natur, diese Ergebenheit in die Fügungen Allah's, diese stolze Selbstgenüge hervorbrachten. Wenn er sein eigenes Thun betrachtete, war es blos Liebe zur Kunst gewesen, welche seine bessern Arbeiten ins Leben gerufen? Hatte nicht das Streben nach dem Ruhme eines bedeutenden Künstlers, der Ehrgeiz, es seinen Freunden zuvorzuthun, vollen Antheil daran? Wenn er jetzt in dieser Einsamkeit, wo er keinen Lober und Bewunderer fand, wo er weder auf einen Mäcen noch auf den Beifall der Menge rechnen konnte, ein Kunstwerk schuf, so war das ganz ein anderes.

Indeß war die Karavane von Tunis zurückgekehrt, ohne das ersehnte Geräth zum Malen mitzubringen; allein Ali, der Handelsmann, erklärte, daß alles bestellt sei und aus Italien herbeigeschafft werde, und gedenke er auf seinem Herbstzuge nach Tunis die Sachen mitzubringen.

Der Herbst nahte, wenn man in Zuwan überhaupt von einem solchen sprechen durfte, da es eigentlich am Frühling und Herbst in unserm Sinne fehlte. Der Karavanenzug kam zum zweiten male von Tunis zurück und brachte diesmal die ersehnten Malergeräthschaften. Hellung baute nun für sich in dem Hofraum Hinrik's eine Malerwerkstätte aus einem Kamelhaarzelte und fing sein Paradies, zu dem er fortwährend Einzelstudien gemacht, zu malen an.

Kurz vor diesem Ereignisse war ihm das erste Liebesabenteuer, wenn man es so nennen kann, begegnet. Ein Theil seiner Rosen bestand aus Remontanten, die man damals in Syrien und Afrika schon kannte. Sie blühten auch während der Regenzeit, d. h. im Winter, und wurden dann vor dem Regen durch ein Regendach geschützt, das die Rosenterrasse in seiner ganzen Breite überdeckte, ein künstliches, wasserdichtes Gewebe aus Kamelhaar und Baumwolle, das auf hohen Stangen über die Rosen gebreitet war, sodaß diese der frischen von allen Seiten hinzuströmenden Luft nicht entbehrten. Unter den Rosen befand sich ein hoher beinahe armdicker Stamm einer Noisetterose mit einer weitausgebreiteten Krone, der unaufhörlich in starken Büscheltrauben eine zarte schneeweiße, im Kelche röthlich angehauchte Rose hervortrieb. Die ungeheuere Fruchtbarkeit des Rosenbaums wie die Lieblichkeit der Rosenbüschel hatte des Künstlers besondere Aufmerksamkeit diesem Baume zugelenkt, und er hatte aus einem Palmblatte, das er an dem Baume aufgehängt, die Anzahl der Knospen, die er wöchentlich zählte, eingeritzt. Eines Tages, als das Regendach noch nicht aufgehängt war und er seine Rosenterrasse betrat, sah er zwei weibliche Gestalten bei seinem Lieblingsbaume stehen und an demselben hantieren. Er schlich sich auf seinen Sandalen vorsichtig näher und erblickte zwei dichtverschleierte Gestalten, von denen die eine klein, schlank, zierlich gebaut, die andere größer, voller, aber schlank und schmiegsam war. Er glaubte, als er näher kam, zu sehen, wie die Größere den Schleier der Kleinern vom Gesichte hinwegschob und ihr schwarzes Haar mit einem Büschel eben aufknospender Rosenblüten schmückte. Die Gesichtszüge verdeckte der Rosenbusch.

Rasch trat der junge Mann näher; aber seine Anwesenheit wurde jetzt entdeckt, und die Frauen bereiteten sich zur eiligen Flucht; doch ein Dorn hielt den zurückgeschlagenen Schleier der Jüngern gefangen, und es gelang dem Späher einen vollen Blick auf ein engelschönes Gesicht zu werfen, von blendendweißer Farbe, umrollt von schwarzem Haar, das in langen Locken unter einem Kaschmirturban herabwallte. Das Antlitz war von der Röthe der Scham darüber angehaucht, daß der böse Dorn den Schleier zurückhielt und den Anblick ihres Antlitzes dem Christensklaven preisgab. Aber ein Blitzblick aus den schwarzen Augen streifte mit versengender Glut das Auge des Fremden. Mit Gewalt der Hand riß sie den Schleier vor das Gesicht und flüchtete mit dem leichten Tritte einer Gazelle in die nächste untere Terrasse.


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