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So kam der Tag der Wahl, der 11. Februar. Es waren von jeder Partei zwei Candidaten aufgestellt, von den Föderalisten Adams, der bisherige Präsident, und Pinckney, von den Republikanern Jefferson, der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung Nordamerikas, und Aaron Buer, früher Adjutant des Generals Montgommery, dann der Washington's selbst, dann schon seit 1782 Anwalt in Neuyork, zur Zeit Generalanwalt daselbst und Senator im Congreß. Der Senat wählte bei verschlossenen Thüren vier Tage, ohne in fünfunddreißig Wahlgängen eine absolute Majorität zu erlangen. Die Bevölkerung war in der fieberhaftesten Aufregung. Schon damals trat der Gegensatz von Norden und Süden mehr oder weniger stark und in entgegengesetzten Zielen auslaufend hervor; im Norden war man mehr föderalistisch gesinnt, man erinnerte sich noch der Zeiten, wo man gewohnt gewesen war, zu schreiben: »Sr. Majestät getreue Unterthanen«, man hatte den ganzen Unabhängigkeitskrieg mehr wie einen Krieg gegen das Parlament und das Ministerium als gegen Georg III. betrachtet. Der Eigensinn Georg's III. brachte es auch hier zu einem Ausgange, der nicht bezweckt war.

Erst im sechsunddreißigsten Wahlgange ergab sich eine Majorität, Jefferson erhielt 73, Buer 73, Adams 65, Pinckney 64 Stimmen; der erstere war als Präsident, Aaron Buer als Vicepräsident gewählt, die Partei Justus Bollmann's und seines deutschen Freundes unterlag. Ein solches Unterliegen hat aber in einem republikanischen Staate, namentlich einem so jungen, wo sich die Parteien so schroff gegenüberstanden, eine ganz andere Bedeutung als ein Unterliegen einer Partei heute im continentalen Europa. Es versprach Jefferson, als er am 4. März sein Amt antrat, mit einer Floskel, deren er nach seiner französischen Bildung und Erfahrung als Gesandter vollkommen Herr war, über das Parteigetreibe sich hinwegzustellen, indem er sagte: »Wir haben Brüder derselben Grundsätze mit verschiedenen Namen bezeichnet, wir sind alle Republikaner, wir sind alle Föderalisten

Jefferson's Rede ist das größte Meisterstück politischer Reden, die bisher in der Alten und Neuen Welt gehalten sind, dazu wurde sie in jener Jefferson eigenthümlichen, gutmüthigen und einschmeichelnden Weise vorgetragen, die auf das Volk niemals ihre Wirkung verfehlt. Eine Menge Maximen und Stichwörter aus dieser Rede sind nicht nur bis zum heutigen Tage in dem Munde des Volkes, und verdienen es zu sein, sondern sie haben sich zu Schlagwörtern der europäischen Demokratie aller Länder ausgebildet, und in mancher Urwählerversammlung des Jahres 1867 in Berlin und andern Orten hat man Floskeln wenn nicht sprechen, doch durch öffentliche Blätter referiren hören, die mehr oder weniger aus Jefferson's Antrittsrede von 1801 herstammen.

Selbst Justus Bollmann, noch mehr Karl Haus, ließen sich von diesen französischen Floskeln bestechen. Wie schön klang es auch, wenn der Präsident sagte: »Die Republik ist die einzige Regierung, unter welcher jeder, aufgefordert durch das Gesetz, herbeieilen wird, das Gesetz zu vertheidigen, wo jeder alle Angelegenheiten des Gemeinwesens als seine eigenen persönlichen betrachten wird. Manche behaupten, man kann den Menschen die Regierung über sich selbst nicht anvertrauen. Wäre das wirklich der Fall, wie könnte man ihm die Regierung über andere anvertrauen? Und sind denn die Könige Engel? Die Geschichte hat diese Frage schon längst und nicht zum Vortheil der Monarchie beantwortet.«

Oder klingt es nicht wie eine Phrase aus unsern Tagen von der Seine her, wenn Jefferson sagte: »Friede, Handelsverkehr und aufrichtige Freundschaft mit allen Nationen; verstrickende Verbindungen mit keiner; Schutz und Schirm den Regierungen der Einzelstaaten bei allen ihren Rechten; sie sind der sicherste Hort gegen alle der Republik feindlichen Bestrebungen.«

Kaum aber war die Antrittsrede verklungen, als sofort die Maßregelungen begannen. Daß Jefferson das Ministerium änderte, dagegen war nichts einzuwenden, und der zum Staatsminister berufene Madison hatte allgemeine Achtung, auch gegen Gallatin, den Vorsitzenden im Schatzamte, General Deraborn, Robert Smith aus Maryland, den Marineminister und Levi Lincoln, den Oberstaatsanwalt, ließ sich nichts sagen. Die Gesandten wurden gewechselt, die ganze Regierungsmaschine bis unten hin mit neuen Menschen besetzt, die hier die Belohnung für ihre Abstimmung oder sonstige Dienste erhielten. Mehrere Gesandtschaften in Europa und viele Stellen in den Staaten selbst wurden eingezogen, die Landarmee und die Marine wurden verändert, alle an das alte monarchische Europa erinnernden Ceremonien und Gebräuche wurden abgeschafft, der Präsident ließ sich nicht mehr an bestimmten Tagen Aufwartung machen, die Leute konnten zu jeder Zeit, wo er nicht durch Geschäfte behindert war, vorkommen.

Daß das alles viel böses Blut setzte, war selbstverständlich. Aber auch das Gute wurde verkannt und geschmäht, und es fand kaum Anerkennung, daß die neue Regierung die Grundsätze, die sie bisher bekämpft hatte, jetzt selbst praktisch nicht nur innehielt, sondern selbst ausdehnte, das Princip der Centralisation und Stärkung der Regierungsgewalt nämlich.

Karl erlebte zum ersten male eine Parteiniederlage.

Es ist bei einer solchen Niederlage ganz etwas anderes, als wenn die physische Gewalt, Kanonen, Bajonnete oder Hinterlader den Sieg davongetragen. Bei einem solchen Ereignisse setzt sich jeder vernünftige Mensch immer mit dem Gedanken über die Thatsache hinweg, daß die brutale oder durch mechanische Künste geschaffene Gewalt es ist, welche die unterliegende Partei erdrückt. Bei einem Wahlkampfe aber, der mit geistigen Waffen, mit Stimmen ausgekämpft wird, glaubt jeder Unterliegende, daß die Dummheit oder Schlechtigkeit der Menschen den Sieg davongetragen. Jeder Idealismus erhält bei einem solchen Wahlkampfe einen harten Stoß, man sieht den Egoismus, die Heuchelei, kurzum die ganze Niedertracht der einzelnen hervortreten und wird schon dadurch an dem Ziel des eigenen Strebens zweifelhaft, ob es sich der Mühe lohne, für eine so verkommene Rasse sich zu opfern. Denn welch ein Opfer die Redaction der »Oeffentlichen Meinung« in der nun kommenden Zeit für Karl wurde, war leicht erklärlich.

Die Staatssubvention, die sein Journal bisher, wenn auch nur unter der Form von Inseraten und Abonnenten, bezogen hatte, hörte auf; die Abonnenten minderten sich um mehr als ein Drittel, denn alle ihrer Stellen Entsetzten fingen an zu sparen oder den Mantel nach dem Jefferson'schen Winde zu drehen; die Actien, worauf das Unternehmen gegründet war, sanken um funfzig Procent. Diese pecuniären Dinge afficirten den Redacteur sehr wenig, daß aber die Menschen in ihrer großen Mehrzahl darauf so großes Gewicht legten, daß diejenigen, welche ihm mit Lobeserhebungen und Schmeicheleien nahe getreten waren, sich jetzt zurückzogen, daß die ganze Stimmung des Publikums auf einmal Umkehr zu machen schien, das war ihm eine neue Erfahrung.

Dort, wo man vor der Wahl Jefferson nur einen egoistischen, niederträchtigen Schurken, einen an Frankreich verkauften Verräther genannt hatte, wußte man jetzt nicht genug sein taktvolles, schonungsvolles, rein patriotisches Benehmen zu loben.

Justus Bollmann, der diese Wandlungen schon praktisch in Frankreich und England durchgemacht hatte, suchte vom humoristischen Standpunkt aus die Sache leichter zu machen.

»Alter Junge«, sagte er, »wir leben hier in einem freien Lande, in vier Jahren sind wir die Sieger, und die Republikaner winseln und schwänzeln zu unsern Füßen. Hat Jakob um Rahel, die noch dazu halb schwarz war, wie du wissen mußt, sieben Jahre gedient, warum sollten wir nicht für die einzig wahre Staatsform Nordamerikas vier Jahre dienen? Aber die ›Oeffentliche Meinung‹ muß jetzt eine andere Richtung einschlagen. Bisher waren wir im Besitze, es galt nur, unser System zu vertheidigen. Jetzt müssen wir aggressiv vorgehen, wir müssen dem Feinde jede Schwäche ablauern, wir müssen jeden Schritt und Tritt, den er thut, verfolgen und mit der Constitution vergleichen. Wo er nur einen halben Schritt von dieser abweicht, da müssen wir die Klauen in sein Fleisch einschlagen. Jefferson hat es nur mit den Worten, das fühlt jeder gewiegte Politiker, und Hamilton wie Wolcott, sie werden jeden halben Zoll, den er von den Grundgesetzen der Conföderirten abweicht, mit der Goldwage wägen. Ich habe Gelegenheit gehabt, Hamilton vor kurzem zu sprechen, du wirst von ihm Fingerzeige bekommen, nach denen du arbeiten kannst. Hamilton hat von allen zu Markte gebrachten Actien der ›Oeffentlichen Meinung‹ drei Viertel für sich angekauft, dieselben stehen heute schon zu 61 und werden nach einem halben Jahre zu 150 stehen, glaube mir das, ich kenne unsere Leute in Nordamerika.«

Aber was half es Karl, ob die Actien der »Oeffentlichen Meinung« zu 60 oder 70 stünden, wo war sein Weib? Wo war sein Kind? Denn Olga war in seinem Herzen vor Gott sein rechtmäßiges Weib. Man schrieb schon August 1801, und noch immer nicht die allergeringste Nachricht. In Neapel hatten sich doch die Dinge, wenn auch blutig genug, zu einer gewissen Ruhe geneigt, der Ruhe des Todes aller Großdenkenden; Frankreich war durch den Frieden von Luneville aller Besorgnisse wegen eines Angriffs auf dem Continent enthoben, es hatte es nur noch mit England zu thun, das durch das Bombardement Kopenhagens in der öffentlichen Meinung Europas, und namentlich Amerikas, sich keine Freunde erworben hatte.

Karl hatte an den ihm befreundeten Kammerdiener des Grafen Münster nach London geschrieben und die Antwort erhalten, der Graf wäre vor der Katastrophe der Revolution mit Prinz Augustus abgereist, allein man habe durch Lord und Lady Hamilton in Erfahrung gebracht, daß Gräfin Olga von Schlottheim bei Gelegenheit einer Fahrt nach Capri mit sämmtlicher Begleitung ertrunken sei. Das erschreckte ihn nicht, das war ja sein Plan.

Aber ohne Nachricht zu bleiben, was weiter geworden war, beängstigte ihn um so mehr. Er war aber einmal in Philadelphia, er stand in den gegebenen Verhältnissen, denen er sich in keiner Weise entziehen konnte.

Justus Bollmann konnte das herumschweifende Leben, so sehr seine Gattin selbst dagegen eiferte, nicht lassen, er hatte mindestens in jedem Monate einen neuen jedesmal großartigern Plan. Karl hatte genug zu thun, die Frau desselben zu beschwichtigen, aber in den ruhigen Theeabenden bei ihr fand er auch seine ganze Erholung. Heinrich Ludwig war nach der Niederlage der Föderalisten doppelt freundlich gegen Karl, Kleopatra blieb die Alte, sich Karl fortwährend als Freundin, Gönnerin, Patronesse zeigend, mit dem Schönsten, was an ihr war, mit ihren Augen, beständig mit ihm kokettirend.

So gering nach heutigen Verhältnissen die Summe von 8000 Dollars auch war, die Karl dem Bollmann'schen Geschäft übergeben hatte – Justus hatte für den Rest der 15000 Dollars die Besitzungen bei Pittsburg erworben – so wußte doch Heinrich Ludwig Bollmann ein Kapital dieser Größe, für welches freilich hinreichende Sicherheiten gegeben waren und mäßige Zinsen bezahlt werden mußten, so zu würdigen, daß er auch gegen einen Parteifeind die größten Rücksichten beobachtet haben würde; Karl war aber specieller Landsmann und intimer Freund seines Bruders, des Doctors. Zu der Zeit, die jetzt kam, Anfang December 1801, waren aber Justus und Ludwig Bollmann, was sehr selten der Fall gewesen, über eine großartige von Justus erdachte Speculation vollkommen einig.

Mit Frankreich hatte Nordamerika längst Frieden geschlossen, allein dieses Land, das noch vor funfzig Jahren etwa die Hälfte Nordamerikas als Eigenthum besessen, aber nach und nach verloren hatte, weil man glaubte, auch diese Colonien durch Decrete von Paris aus regieren zu können, war unter die Diktatur Bonaparte's gekommen, der die Fehler der Könige von Gottes Gnaden im großen und kleinen durchschaute und eben daher seine Macht schöpfte. Er strebte die auswärtigen Besitzungen wiederzuerlangen und hatte durch die geheimen Verträge von San-Ildefonso die spanische Provinz Louisiana nach ihren ehemaligen herkömmlichen Grenzen und Befugnissen von Spanien erworben. Er suchte durch Drohungen und Versprechungen Spanien zu bewegen, auch die beiden Floridas an Frankreich abzutreten gegen Entschädigungen in Italien zu Gunsten des Herzogs von Parma.

Allein man wußte in den Kreisen, denen Heinrich Ludwig Bollmann angehörte, genau, daß sowol Livingstone, der amerikanische Gesandte in Paris, als der zweite dorthin beorderte Gesandte Monroe, dem Europa für seine in unsern Tagen zur Anwendung gekommenen Grundsätze ewig dankbar sein muß, nicht zweifelten, daß Bonaparte Louisiana an Nordamerika verkaufen würde, daß es sich nur um den Preis handle und bei den engern Beziehungen des Präsidenten wie der beiden Gesandten zu Frankreich diese Frage auf die eine oder andere Weise, sei es zu der Forderung Bonaparte's von 100 Millionen Francs, oder dem Angebot Jefferson's von 40 Millionen erledigt würde.

Was aber den Ausschlag gegeben, war, daß Justus, der in den maßgebenden Kreisen der englischen Aristokratie von den Jahren 1793–1795 her noch immer gute Verbindungen hatte, die sichere Nachricht erhalten, daß ein Frieden zwischen England und Frankreich in naher Aussicht sei, und nach der Niederlage oder den Miserfolgen Nelson's bei Boulogne schon seit Mitte October alle Feindseligkeiten zwischen beiden Staaten eingestellt seien.

Beide Bollmanns trauten diesem Waffenstillstande oder Frieden auf die Länge nicht, sie hielten es aber deshalb für eine gute Speculation, gerade während dieses Friedens so viel Taback und Colonialwaaren nach Bremen hineinzuwerfen, als irgend möglich sei.

An dieser Speculation hatten sich hamburger Häuser, durch Sieveking angeworben, in Bremen Junker und Compagnie, schon betheiligt und versprochen, Schiffe zu senden. Es handelte sich jetzt darum, die Geldmittel zu erwerben, um in Virginien gegen Baarzahlung wohlfeile Ankäufe zu machen oder vorzubereiten und im ersten Augenblicke, wo zwischen Frankreich und England Friede geschlossen werde, alles fertig zu haben. Denn daß nach einem solchen Frieden die Preise enorm steigen würden, nachdem der Continent beinahe ausgehungert, war selbstverständlich.

Es galt nun, Karl zu überzeugen, daß er gutthue, an dieser einen bestimmten Speculation als Compagnon teilzunehmen, alles Risico derselben mitzutragen, aber auch allen Gewinn nach Maßgabe seines Einschusses zu ziehen. Die Compagnie Bollmann bekam dann die Sicherheiten zurück, welche sie Karl gegeben, und konnte mit diesen von dem Schwiegervater Heinrich Ludwig's stammenden Papieren in Virginien bei den Tabackverkäufern viel mehr Credit bekommen, als Karl's Kapital betrug. Karl war leicht zu überzeugen, schon die eine Nachweisung genügte ihm, daß sein sparsamer und intelligenter Onkel Johann Karl Junker und Compagnie in Bremen sich mit einem noch einmal so großen Kapital bei der Speculation betheiligte als er selbst, daß Bollmann's Vater, sein Vetter Hoppe in Vilsen und andere Freunde der Familie in Europa Teilnehmer waren. Er wurde Theilnehmer, gab seine Sicherheiten heraus, und lange ehe noch die Nachricht von dem Frieden von Amiens Amerika erreichte, lagen in Neuyork ungeheuere Mengen Taback für Bollmann's Rechnung aufgestapelt, welche der bremer Schiffe warteten, die sie nach Europa überbringen sollten.

Es war im Jahre 1802, schon hatten die Republikaner, die jetzt die Regierung Jefferson's an allen ihren schwachen Seiten angriffen, das System desselben, die Marine zu vernachlässigen, Kanonenboote zu bauen statt Fregatten und Linienschiffe, einer heftigen Kritik unterzogen. Die Journale derselben waren voll von Unbilden, welche amerikanische Kauffahrer im Mittelländischen Meere von Barbaresken erdulden mußten, erklärten es für eine Schmach sondergleichen, daß ein Staat wie Amerika dem Bei von Tripolis und andern Barbaresken Tribute bezahlen und jährliche Geschenke machen müsse.

Nun hatte Jussuf Karemanli, Bei von Tripolis, seinen Vater und seinen ältesten Bruder hinrichten lassen, seinen zweiten Bruder Hamet vom Throne gestoßen und sich der Herrschaft über Tripolis bemächtigt. Jussuf hatte von Nordamerika einen höhern Tribut gefordert, als bisher bezahlt war, und da dieser verweigert wurde, die vor dem Consulate von Tripolis befindliche Flagge niederreißen lassen. Jefferson hatte sich, von der Volksmeinung gedrängt, entschließen müssen, ein Geschwader nach dem Mittelländischen Meere zu senden, unter dem Commando des Kapitäns Dale. Aber die Flotte reichte nicht aus, wenigstens hatte man 1801 wie im folgenden Jahre kein Resultat.

Da brachte eines Tages ein neuyorker föderalistisches Blatt folgenden Artikel, der ganz Nordamerika in Aufruhr versetzte:

»Während Kapitän Dale im Mittelländischen Meere kreuzte, retteten sich vier nordamerikanische Matrosen aus tunesischer Sklaverei. Was sie erzählen, wirft ein grauenvolles Licht auf unsere Zustände. Dieselben waren im Frühjahr 1801 auf einem wohlbewaffneten amerikanischen Kauffahrer, der aus der Levante kam, in Sorrent die dort krank zurückgebliebene Frau des Kapitäns, seinen vierjährigen Sohn, zwei Schwarze, außerdem einen deutschen Maler mit seiner hochschwangern Frau und einer englischen Gesellschafterin aufnahm.

»Auf der Höhe von Sardinien wurde das Schiff, das nur neun Kanonen führte, von einem Korsaren mit achtzehn Kanonen angegriffen und geentert, der Kapitän desselben, Decatur, der einer unserer geachtetsten Familien angehört und von dem zwei Brüder in unserer Marine dienen, wurde niedergemetzelt. Sämmtliche Männer auf dem Schiffe wurden in Tunis als Sklaven verkauft, während man die Frauen nach Tripolis schleppte.

»Die Matrosen, welche über zwei Jahre in tunesischer Gefangenschaft schmachteten, ehe ihnen die Flucht gelang, erzählen von Hunderten von Christensklaven, die bei den Barbaresken gleich ihnen zu den unwürdigsten Arbeiten angehalten werden. Wie lange soll das freie Volk Nordamerikas diese Schmach dulden? Wird der Präsident nicht bald zu der Einsicht kommen, daß die Flotte im Mittelländischen Meere anders ausgestattet werden muß, wenn sie den Barbaresken Respect vor dem Sternenbanner einflößen soll?

»Ist es nicht schon eine Schmach, mit einem Vater- und Brudermörder, wie dieser elende Karemanli, in Vertragsverhältnissen zu stehen?

»Wie lange wollen wir ruhig zusehen, daß unsere Küsten von Kapern umschwärmt, unsere Schiffe auf offenem Meere weggenommen und ausgeplündert werden?!

»Der letzte Census hat gezeigt, daß wir 300000 Mann besitzen in einem Alter von achtzehn bis sechsundzwanzig Jahren.

»Wollen diese Männer ruhig zusehen, wenn ihre Weiber, ihre Bräute, ihre Schwestern, ihre Töchter und Kinder von Muselmanen in ihre Serails geschleppt oder auf den Sklavenmärkten des Orients verkauft werden?« –

Man kann sich denken, in welcher Aufregung Karl war; denn daß seine Geliebte und der Freund, sein Kind, noch ungeboren, auf dem gekaperten Amerikaner sich befunden hatten, das litt für ihn keinen Zweifel.

Mit der Redaction der »Oeffentlichen Meinung« war es vorbei, Karl ließ sein Redactionshonorar für das letzte Quartal im Stiche und reiste sofort nach Rücksprache mit Justus Erich nach Neuyork, um sich dort mit der Familie Decatur in Verbindung und eine Agitation über die gesammten Vereinigten Staaten behufs Ausrüstung einer anständigen Flotte in Bewegung zu setzen.

Er fand in der Familie der Decatur und Schwägerschaft, namentlich bei den Brüdern der Frau des erschlagenen Decatur, einen noch viel größern Eifer, als er selbst hatte.

Aber was half alle Aufregung, was halfen alle glühenden Artikel, die er schrieb! Schoner, Corvetten, Fregatten und Linienschiffe lassen sich nicht aus dem Aermel herausschütteln, wenn man sie braucht. Wir haben das 1848 erlebt, als die Dänen unsere Häfen blokirten und den Handel auf Ost- und Nordsee hinderten.

Indessen wurde Karl als Freiwilliger auf einem Kanonenboote aufgenommen und erlernte den schwierigen Seemannsdienst. So groß sein Enthusiasmus war, so oft er von Vernichtung von Tripolis träumte und in den wenigen Mußestunden, die ihm blieben, die Amerikaner antrieb, zu rüsten und zu rüsten, so sehr er sich abmühte, selbst in geharnischten Sonetten, wie wir heute sagen würden, die Kriegswuth gegen die Barbaresken zu steigern, je mehr ernüchterte ihn sein Dienst und die Langsamkeit, in welcher die Dinge vorwärts schritten, selbst nachdem Präsident und Congreß sich für die Ausrüstung eines Geschwaders entschieden hatten.

Endlich konnte er als Seecadet auf einem Schoner, den der Seelieutenant Stephan Decatur, ein Bruder des Kauffahrteikapitäns, führte, Stellung finden und nach dem Mittelmeere absegeln.

Hier war ein neues Unglück eingetreten. Die Fregatte Philadelphia, geführt vom Kapitän Bainbridge, mit 365 Mann und 44 Kanonen, war am 31. October 1803 in der Nähe von Tripolis bei Verfolgung eines Küstenfahrzeugs gestrandet und von den Tripolitanern genommen, welche die ganze Mannschaft in Gefangenschaft nahmen.

Die Amerikaner dürsteten nach Rache, und Commodore Preble, der jetzt den Oberbefehl führte, willigte in einen von Bainbridge in seiner Gefangenschaft selbst ausgesonnenen, von Stephan Decatur vervollständigten Plan, die in halber Schußweite von den Hafenbatterien von Tripolis umringt von Kreuzern und Kanonenbooten liegende Philadelphia zu entführen oder zu vernichten.

Nur letzteres gelang am 3. Februar 1804, und es bleibt die glänzendste That der jungen amerikanischen Marine.

Commodore Preble lieh von der neapolitanischen Regierung, die sich seit jenem Tage mit Tripolis in Feindseligkeit befand, an dem unsere Freunde auf Capri beinahe angesichts Neapels und unter den Felsen von Capri ein neapolitanisches Schiff rauben sahen, zwei Bombenschiffe und sechs Kanonenboote und griff Tripolis, nachdem er es bombardirt hatte, am 3. August an. Karl Haus und Decatur hofften bei dieser Gelegenheit in die Stadt einzudringen, um so dort selbst nach ihren Lieben Nachforschungen anstellen zu können, allein man war zu schwach. Das Castell, welches der Bei bewohnte und das innerhalb der Mauern am östlichen Ende der in einem Halbkreise hingelagerten Stadt liegt, war das Hauptziel des Bombardements gewesen, man sah aber, daß dieses Gebäude, mit guten alten Mauern versehen, wenig litt. Schoß man nun auch die Stadtmauern an einigen andern Stellen ein, so wagte man doch nicht mit nur tausend Mann in die Stadt einzudringen. Hätte man indeß das Castell selbst erobern können, so nahm man den Bei selbst gefangen oder er entfloh, und man konnte sich in seiner Burg verschanzen und von da aus Tripolis im Zaume halten.

Das Bombardement wurde nun am 7. August abermals erneuert. Der Erfolg war nicht der erwartete, denn als Preble dem Dei nach demselben für die Befreiung der Mannschaft der Philadelphia und aller sonstigen Nordamerikaner und Nordamerikanerinnen oder auf nordamerikanischen Schiffen befindlich gewesenen Personen, worin Olga, Eleonore und Hellung eingeschlossen wären, 80000 Dollars Lösegeld bot, verweigerte dieser die Annahme. Nun wurde am 20. August ein letztes Bombardement versucht und auch ein Theil der Gebäude des Castells in Brand geschossen. Das Feuer auf die Stadt mußte gleichfalls von entschiedener Wirkung sein. Da aber sämmtliche Häuser gänzlich dachlos sind, platt, viereckig, mit weißem Kalk getüncht, so sah man die Wirkung nur, wenn ein solches Haus in sich zusammenstürzte.

Am 20. August dienten aber auch die in verschiedenen Theilen der Stadt durch hohe große Kuppelmassen emporragenden Bäder wie die von indianischen Feigenbäumen und Dattelpalmen umgebenen Moscheen als Zielscheibe der amerikanischen und neapolitanischen Bomben, und mit Erfolg.

Alle die so angerichteten Verwüstungen konnten aber unserm Freunde seine Geliebte und sein Kind, Decatur seine Schwägerin und ihr Kind nicht wiederschaffen. Was half es ihnen, daß zwei tripolitanische Galeren vor ihren Augen in die Luft flogen? Der von Decatur commandite Schoner Enterprise hatte sich tief in den Hafen hineingewagt, nachdem die Hafenbatterien zum Schweigen gebracht waren. Plötzlich wurde er von einer größern Anzahl Kanonenboote angegriffen. Decatur, ein gereizter Löwe, fuhr mitten unter sie, schoß eins in den Grund, enterte zwei, von diesen war das eine durch Haus' Tapferkeit erobert. Am andern Tage ward dieser vom Commodore zum Seelieutenant ernannt, die Enterprise erhielt aber zugleich Befehl, wichtige Depeschen an die Regierung zu bringen.

Das war Decatur und seinem neuen Seelieutenant nicht angenehm, allein da Preble zugleich seinen Entschluß anzeigte, in diesem Jahre weitere Angriffe auf Tripolis nicht machen zu wollen, sondern Verstärkung aus Amerika abzuwarten, so fügte man sich in das Unvermeidliche und fühlte sich schließlich durch den Auftrag hoch geehrt, nachdem Decatur selbst durch den Commodore über die Dinge, um die es sich handelte, mündlich aufgeklärt war.

Der von Jussuf vertriebene Hamet lebte in Oberägypten unter den Mamluken, die ihn freundlich aufgenommen. William Caton, Consul in Tunis, derselbe, welcher früher in Tripolis gewesen war und vor dessen Hause die amerikanische Flagge niedergerissen wurde, der noch dazu eine Schwester Decatur's zur Frau hatte und Jussuf tödlich haßte, hatte Verbindungen mit Hamet angeknüpft und den Plan entworfen, mit diesem ein Bündniß zu schließen und ihn wieder auf den Thron zu setzen. Da Hamet, der vom Volke der Milde benannt war, in Tripolis noch viele Anhänger zählte, so wollte man dasselbe gleichzeitig von der Land- und Seeseite angreifen. Die Mamluken unter Hamet sollten, verstärkt durch amerikanische Landtruppen, Derne und Bengasi zu erobern suchen und von da auf Tripolis rücken, während die amerikanische Flotte vor dem Hafen kreuze und Schloß und Stadt bombardire.

Der Plan sagte den beiden Offizieren zu, nur auf diesem Wege durch Eroberung von Tunis selbst konnten sie hoffen, ihre Geliebten aus der Sklaverei zu retten.

Die Enterprise mußte in Malta Wasser einnehmen, konnte also den nähern Weg auf Tunis nicht einschlagen, auf dem kurzen Wege nach Malta hatte sie aber mit einem heftigen Sturme zu kämpfen. Der Sturm, welcher während des Tags die Luft verfinsterte, traf nicht die Amerikaner allein, auch ein anderes Schiff, beinahe masten- und segellos, dem Baue nach ein türkisches, wurde vom Sturme der Enterprise entgegengepeitscht, und man würde gegeneinandergestoßen sein, wenn diese nicht schon ihren Curs verlassen hätte und, dem Winde folgend, nach Westen gesteuert wäre. Als sich der Sturm ebenso plötzlich legte und die Luft aufklärte, sah man das fremde Schiff Nothflaggen aufziehen und hörte Nothschüsse.

Man war in der Nähe und ließ die großen Boote herab, die trotz hochgehenden Wellenschlags an das fremde Schiff, das den halben Mond aufgezogen hatte, anlegten.

Karl war der erste, der auf das Schiff sprang, von dem Jammergeschrei von Weibern ihm entgegentönte, die sämmtlich auf das Deck geflüchtet waren, weil das Schiff einen Leck hatte und die Muselmanen bis auf Kapitän und Steuermann an die Pumpen beordert waren. Lauter Weiber, in türkischer – oder richtiger – tripolitanischer Kleidung mit beinahe ganz vermummten Gesichtern, bunten seidenen Beinkleidern, ein Wirrwarr ohnegleichen.

Aus diesem Wirrwarr springt plötzlich ein großer schwarzer Hund heraus auf Karl zu, ihn wedelnd und bellend umschmeichelnd.

Es war Nero und er diente als Führer zu Olga, die bald in Karl's Armen lag.

Welcher Jubel auf der Enterprise, als Karl mit dem ersten Boote geretteter Frauen ankam. Decatur's Schwägerin, Bob, ein gewaltig herangewachsener Knabe, Eleonore, Cäsar, Dido und ein Dutzend junger schöner Weiber aus verschiedenen Ländern bildeten diesen Transport. Bald kamen auch eine zweite und dritte Ladung, Dienerinnen, maurische, arabische Matrosen. Jussuf Karemanli pflegte seit längerer Zeit nicht nur den Harem des Sultans, sondern auch den Sklavenmarkt in Konstantinopel mit schönen Weibern zu versorgen, die er an den italienischen Küsten oder auf dem Meere raubte, kaufte, tauschte.

Er hatte in Marabad einen eigenen Harem, in welchem die europäischen Sklavinnen zu dem Grade von Beleibtheit gepflegt wurden, welche in den Augen des Sultans und der Türken überhaupt unvermeidlich zur Schönheit gehört.

In Malta schenkte man den Sklavinnen, welche in ihre Heimat zurückzukehren gedachten, die Freiheit. Viele zogen indeß vor, von der angebotenen freien Ueberfahrt nach Amerika Gebrauch zu machen, um einmal zu kosten, wie es sich in einem freien Lande leben lasse.

Die Fahrt nach Amerika ging glücklich von statten. Dort aber fand Karl den freundlichen Empfang nicht, den er gehofft hatte. Die republikanischem Blätter waren vereint über seine schon bekannt gewordene Ernennung zum Seelieutenant hergefallen und forderten vom Präsidenten seine Entlassung, denn wie konnte ein noch nicht eingebürgerter Deutscher, wie konnte der Redacteur der »Oeffentlichen Meinung« fähig sein zum nordamerikanischen Seedienste als Lieutenant?

Dies bewog Karl, seine Entlassung nachzusuchen; die Bitten Olga's hatten einen solchen Entschluß bisher noch nicht zu erzeugen vermocht, denn er hielt es für feige, im Angesicht eines neuen Zuges gegen Tripolis zu Hause zu bleiben.

Jefferson gewährte den Abschied, und Karl hat nie bereut, solchen gefordert zu haben, denn der Feldzug des Jahres 1805 endigte mit einem schmählichen Verrath des neuen Bundesgenossen von seiten der Nordamerikaner.

Hamet war auf seinem Landfeldzuge glücklich, ein großer Theil der Soldateska hatte Jussuf verlassen, und das Volk sah dem Einzuge Hamet's in Tripolis als dem eines Retters von scheußlicher Tyrannei entgegen; an seiner Seite stand Caton als General der nordamerikanischen Landtruppen.

Da schloß der zu diesem Zwecke mit Vollmacht versehene nordamerikanische Consul in Algerien, Tobias Cear, die Cooperation mit Hamet unberücksichtigt lassend, Frieden mit Jussuf und ließ sogar die Familie Hamet's noch mehrere Jahre kraft geheimen Vertrags in den Händen des Mörders und Thronräubers.

Jefferson entschuldigte sich in der nächsten Botschaft, den geheimen Artikel nicht gekannt zu haben. Das haben die Föderalisten freilich nie glauben wollen.


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