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Fünftes Kapitel.
In Nordamerika.

Während das in einem frühern Kapitel Erzählte im Mittelländischen Meere vorging, war Karl Haus längst in England angekommen. Das englische Kriegsschiff, mit dem er fuhr, hatte Stürme und Kämpfe mit Franzosen auf dem Wege nach Gibraltar zu bestehen gehabt, es war inzwischen glücklich in seinem Heimatshafen eingelaufen. Best, an den Karl die Münster'schen Depeschen ablieferte, bot ihm eine dem Namen nach untergeordnete, aber sehr einflußreiche und gut dotirte Stellung als Geheimer Kanzlist in der deutschen Kanzlei, d. h. er sollte das Arbeitsthier Best's selbst werden, wie dieser das Arbeitsthier des Sr. Majestät vortragenden Ministers war. Karl lehnte ab, er sehnte sich nach Amerika, wo er mit der Geliebten zusammentreffen sollte. Den ihm von Olga mitgegebenen Familienschmuck verkaufte er für einen viel theuerern Preis, als er und jene je vermuthet hatten, er erhielt 15000 Dollars dafür. Ein amerikanischer Kauffahrer fand sich, wenn auch spät, und obgleich die Reise nicht mit heutiger Dampffahrtgeschwindigkeit ging, war er doch in Amerika, noch ehe die Präsidentschaft Adam's aufhörte, im ersten Jahre des neuen Jahrhunderts.

Er fand in Philadelphia Justus Erich Bollmann mit einer schönen gebildeten Dame aus den besten Ständen verheirathet, als Kaufmann ein Compagniegeschäft mit Bruder Ludwig betreibend. Aber die Brüder waren entgegengesetzte Naturen. »Der Doctor«, wie ihn Ludwig nannte, war nach der Aeußerung dieses ein Planemacher, der ins Weite schweifte, dem der reichliche Verdienst der Firma nicht genügte, der Politik treiben, den amerikanischen Continent bis zu dem fernsten Westen durchreisen wollte, um Eisen, Kupfer, Silber, Gold, das sich dort in Masse finden müsse, aufzusuchen.

Heinrich Ludwig, Justus' Compagnon, artete auf den Onkel in Birmingham, für ihn hatte nur Geld und das Verdienen Werth. Die Frauen beider Brüder waren gleichfalls nicht in Harmonie; Justus Erich's Frau war aus einer alten englischen Landbesitzerfamilie, gebildet, aber nicht reich; Heinrich Ludwig hatte die Tochter eines Tabackspflanzers aus Virginien geheirathet, eines reichen Sklavenhalters, die von Jugend auf gewohnt war, nur ihren Launen zu folgen, und die sich zur Herrin auch ihres Gemahls aufgeschwungen hatte. Sie hegte einen unbegrenzten Widerwillen gegen die gebildetere und hübschere Frau ihres Schwagers. Schon dieses Verhältniß hätte die Compagnie zersprengen müssen, wenn nicht noch zwei andere Dinge ebenso mächtig zu diesem Ziele gewirkt hätten.

Alle von Justus Erich bisher angegebenen Speculationen hatten noch keinen rechten Erfolg gehabt, die Compagnie hatte wenn nicht Verluste, doch nie ein glänzendes Geschäft gemacht, das kam daher, daß die Plane des Doctors weitaussehend angelegt waren und erst nach Jahren rentiren konnten, dann aber tüchtig.

Alle Speculationen Heinrich Ludwig's glückten, sie hielten sich in dem von ihm auf dem Markte übersehbaren Gebiete, brachten aber keinen so großen Vortheil, wie die von Justus Erich unternommenen bringen sollten. Justus Erich, der ursprünglich größere Mittel in das Geschäft brachte, hatte durch große Reisen, durch seine vielerlei Bedürfnisse, namentlich alles, was in Europa englisch, deutsch, französisch auf dem Literaturgebiete erschiene, zu besitzen (und Bücher waren damals theuerer als heutzutage), einen großen Theil des in das Geschäft gebrachten Vermögens wieder verzehrt, wie ihm der Bruder auf Heller und Pfennig vorrechnete. Als Heinrich Ludwig eine Virginierin heirathete und nun ein viel größeres Vermögen in das Geschäft brachte, wurde die Sache noch schlimmer. Nun aber drückte dem allen das Siegel auf, daß beide Brüder verschiedenen politischen Parteien angehörten. Justus Erich hegte die größten Sympathien für England, er hatte die Französische Revolution im Anfange ihrer Gräßlichkeiten erlebt, er kannte die Frivolität der französischen Größen in vollem Maße, war doch selbst sein Freund und Gönner Talleyrand, den er hier in Amerika noch protegirt hatte, jetzt Minister des Ersten Consuls. Justus Erich war Föderalist, wie man die Partei nannte, welche kurz zu sagen nach Centralisation, nach Stärkung der Regierungsgewalt des Präsidenten und des Congresses den einzelnen Staaten gegenüber strebte.

Heinrich Ludwig war dagegen Republikaner, der die Gewalt der einzelnen Staaten möglichst stark der Unionsregierung gegenüber wünschte. Die Republikaner neigten sich ebenso stark Frankreich zu als die Föderalisten dem Mutterstaate.

Als Karl Haus in Philadelphia ankam, wurde er von beiden Bollmanns auf das freundlichste empfangen, allein er merkte in der ersten Stunde, daß sich ein innerer Zwiespalt zwischen den Brüdern ausgebildet hatte. Heinrich Ludwig rieth Karl ab, sich mit dem Zeitungswesen abzugeben, das sei nichts, das sei für deutsche Gelehrte, ein Gelehrter komme aber in Amerika nicht durch, und als er nun gar erfuhr, daß Karl 15000 Dollars mitgebracht, schlug er ihm in der ersten Stunde des Beisammenseins vor, er möge als Dritter in die Compagnie treten, oder er möge den Doctor, anders nannte er den Bruder nie, abkaufen, der passe doch nicht zum Geschäftsmanne.

Ein solches Anerbieten in der ersten Stunde machte Karl kühl. Er hatte sich bei Justus Erich einquartiert und fand in dessen Häuslichkeit sich wohl. Die schöne Frau Bollmann wurde nicht müde, sich von Deutschland erzählen zu lassen, sich die kleine Heimat ihres Gatten, Hoya, die Weser, die größte Stadt an dieser, Bremen, immer und wieder beschreiben zu lassen, und erzählte dann diese Beschreibungen ihrem kleinen zweijährigen Mädchen, Indiana benannt, das natürlich nichts davon verstand, mit allerlei komischen Zusätzen wieder.

Als man abends beim Thee saß, und Karl über sein Leben in Rom und Neapel, soweit es sich in Gegenwart der jungen Frau berichten ließ, erzählt hatte, sagte Justus: »Lieber Karl, hätte ich geahnt, daß du 15000 Dollars mit nach Amerika bringen würdest, so hätte ich dir den Vorschlag, hier eine deutsche Zeitung zu redigiren, nie gemacht, denn insoweit hat mein Bruder recht, mit so großen Mitteln muß man hier etwas Besseres thun als schriftstellern. Indeß ist auf dich gerechnet, die Zeitung ist mit den Mitteln unserer Partei gegründet und hat eine sehr große Zukunft, wenn unsere Partei bei den nächsten Wahlen siegt. Schon jetzt hat der Präsident die Hauptmittel zur Begründung hergegeben. Betrachte die Zeit deiner Redaction als eine Uebergangszeit, in der du Land und Leute, Sitten und Gewohnheiten besser kennen lernst, damit du dir in der Zukunft eine solche Stellung auswählen kannst, wie sie dir und deiner Frau beliebt. Deine Gattin darf hier nicht lange eine Frau Doctorin bleiben. Du glaubst nicht, welch ungemeinen Respect unsere Republikaner, selbst unsere Quäker, vor dem alten europäischen Adel haben, deine Olga wird als Gräfin in unserer Stadt der Bruderliebe sehr bald eine große Rolle spielen können, wenn sie das will.

»Aber wir müssen Plane machen, wie wir deine Gelder sicher unterbringen. Mein Bruder nennt mich einen Planemacher, er hat recht, ich mache Plane. Ich habe beinahe zwei Jahre dieses Land durchreist und weiß, daß es die ungeheuerste Zukunft hat, es werden keine hundert Jahre vergehen, und wir haben Europa in allen Dingen überflügelt, haben mehr Einwohner als das alte Europa, haben es in allen praktischen Wissenschaften, wenigstens in Handel und Industrie überholt. Europa ist einem alten Manne zu vergleichen, der sich mit allerlei künstlichen Mitteln zu verjüngen sucht, vor dem Mittel, das ihm allein helfen könnte, der Republik, sich aber fürchtet. Die beste monarchische Regierung kann es einer freien Volksregierung nicht gleichthun. Europa kann aber der Monarchien nicht entbehren, das alte Feudalwesen hat die Gesellschaft so zerklüftet, zwei Stände so gesondert, daß sich eine freie Parteibildung nach Principien nicht denken läßt. Alles Blut, das Robespierre und Genossen vergossen haben, um den Adel zu vertilgen, ist umsonst vergossen. Es gehört keine große Scharfsicht dazu, um zu sehen, daß Frankreich stark der Monarchie zusteuert. Auch mein Freund, der Bischof von Autun, witterte das schon lange und sah Bonaparte schon wachend wie im Traum mit Krone und Scepter.

»Doch zur Sache; mein Bruder ist schon ganz Yankee, er denkt nur ans Geldmachen; du mußt ihm nicht übel nehmen, daß er auf dein Geld speculirt, er wälzt sich seit Wochen mit einem großen Unternehmen, das nothwendig seine 20–30 Procent abwerfen muß, und uns fehlt es jetzt zum Theil an Mitteln, 15000 Dollars könnten helfen.

»Allein ich will dir einen Plan vorschlagen, der sicherer ist, wie du einsehen wirst. Wir reisen in den ersten Tagen nach Föderal City, damit du das Riesenunternehmen einer nach Gedanken künstlerisch gebauten Stadt siehst.

»Der Mann, der diesen Plan erdacht und ausführt, ist mein specieller Freund, ein Genie, wie es selten eins gegeben, der es aber in diesem Lande vorläufig zu nichts bringen wird, da, wenn hier mein Nachbar, der reiche Oelhändler Olivier Evans und Isaac Newton dieselbe Sache vorschlagen würden, das Vertrauen auf seiten des erstern sein würde. Man versteht die Wissenschaft hier noch nicht zu würdigen, und so hat man an dem ursprünglichen Plane meines Freundes zur Erbauung des Capitols so lange gemäkelt und geändert, bis man jetzt vielleicht etwas Unschönes zu Stande bringt. Schon jetzt fangen die Kleingläubigen an, das Vertrauen zu sich selbst zu verlieren, sie finden den Plan zu der Centralstadt zu großartig, sie haben eine nothwendige Ergänzung des Plans als unzweckmäßig gestrichen, eine Art Vorstadt an der östlichen Seite. Hier liegt ein unbebautes Sandterrain von etwa 100 Acres, das man in diesem Augenblicke für 150–200 Dollars kaufen kann, dasselbe zieht sich zwischen der Stadt, wie sie im Plane vorliegt, und einem kleinen Flusse, der unterhalb in den Potomac mündet, von der Höhe bis zum öffentlichen Flußufer, und wird hier jedenfalls aller Seeverkehr stationär werden. – Du kaufst das Grundstück, es werden Straßen abgesteckt und etwas geebnet, dann wird eine Breterhütte gebaut und zum Schank eingerichtet. Ein zuverlässiger Schenkwirth findet sich leicht, der zur Oberaufsicht über den ganzen Platz die Hütte bezieht.

»Wenn einst Föderal City ein Drittel soviel Einwohner als jetzt London hat, bist du oder sind deine Kinder so reich wie Lord Westminster in London.

»Dazu wäre ein Drittel deines Kapitals verwendet, das dir vielleicht erst in zehn, vielleicht in zwanzig Jahren die erste Ernte, aber die funfzigfache oder hundertfache, in funfzig Jahren jedenfalls die zweihundertfache trägt. Ich bezeichne das als ein Kapital für die Zukunft.«

»Aber, lieber Justus«, unterbrach Karl den Redefertigen, »dein Plan wäre ganz gut, wenn ich statt 15000 Dollars, die nicht mir, sondern meiner Olga gehören, 100000 oder 200000 Dollars hätte! Außer dem, was Olga gehört, besteht mein ganzes Vermögen nach Veräußerung des Nachlasses meiner Mutter nur in 372 Louisdor. Von den für den Schmuck erlösten Geldern darf und werde ich keinen Pfennig für solche weitaussehende Plane anlegen; ob ich mein Geld daran wende, wird sich erst überlegen lassen, nachdem ich das Terrain euerer Föderal City gesehen habe, von der du selbst noch vor vier Jahren schriebest, daß es Waldterrain wäre.«

»Brauchst dich nicht zu übereilen, will dich nicht drängen und pressen, ist meine Art nicht«, erwiderte Justus Erich. – »Nun Verwendung deines zweiten Drittels. Ich habe in Göttingen theoretisch, in England und Schottland praktisch nicht umsonst Geologie studirt. Meine Reisen nach Westen, von denen mein Bruder dir erzählt, daß sie pure Geldverschwendungen wären, sind Gelderoberungen. Millionen ließen sich verdienen, wenn man Hunderttausende anwenden könnte. Amerika muß erst entdeckt werden; bis heute ist das Felsengebirge, das uns vom Stillen Ocean trennt, nicht überschritten; wenn es gangbar ist wie die Alpen, welche Deutschland von Italien trennen, dann erst ist Amerika Amerika, die Union ein Weltstaat. Du erinnerst dich des Werders in Münden, unter dem Fulda und Werra die Weser bilden.

»Ebenso liegt, von hier freilich Hunderte englischer Meilen entfernt, ein jetzt unscheinbarer Ort, nicht viel größer als dein Heustedt, am Zusammenflusse des Alleghany und des Monongahela, jeder Fluß von der Breite der Themse bei London, welche fortan Ohio heißen, der, wie du wissen wirst, in den Mississippi mündet und dadurch die Verbindung mit dem Meerbusen von Mexico und dem Atlantischen Ocean hat, nördlich über sich aber die Verbindung mit dem Eriesee und den andern Seen bis Canada, westlich Ohio mit dem Territorium Indiana vermittelt, nach welchem ich meine Tochter getauft habe, weil ich dort weilte, als sie geboren wurde.

»Der Westen ist die Zukunft von Nordamerika, aber noch unerschlossen, wahrscheinlich großartiger, als gegenwärtig irgendein Mensch eine Ahnung davon hat. Das sind freilich Träume, wie mein praktischer Bruder sagt, allein ich halte Pittsburg für den bedeutendsten Zukunftsort Nordamerikas. Mögen die Seestädte den Verkehr mit Europa betreiben, Pittsburg wird immer den Verkehr mit dem Norden und Westen wie einen Theil des Südens nothwendig vermitteln müssen und zwar nach Wahrscheinlichkeit für alle Zeiten. – Aber, lieber Karl, das ist es nicht allein, in der Erde steckt ein unerschöpflicher Reichthum, den kein Mensch kennt, an den mein Bruder nicht glauben will. Könnte ich auf ihn irgendeinen Einfluß üben, so hätten wir unser Krämer- und Bankiergeschäft zur Vermittlung mit Bremen und Norddeutschland schon längst an den Haken gehängt und uns in Pittsburg angesiedelt, um dort – Eisen zu produciren. Ich war auf einer dem General X. angehörigen Farm von 100000 Acres, zum Theil Kleiboden mit Sand, wie wir ihn zwischen Hoya und Heustedt haben, dann, wo sich der Boden mehr erhebt, so eine Gegend bis nach Asendorf hinauf, sandiger Lehmboden, dann auf der einen Seite ein Stück Wald, rechts davon ein sogenanntes wüstes Feld, dunkelbraun aussehend, mit weißen Kalksteinbrocken darauf.

»Der General sagte mir: ›Da sehen Sie, was diese 100000 Acres, die ich für meine Verdienste im Befreiungskriege als Dotation erhalten habe, bedeuten wollen. Da unten erhalte ich 200 Dollars Pacht für den ganzen Krämpel, hier oben weiß ich mit meinen Bäumen nichts anzufangen, und dort wenigstens 500 Acres lang, dieser verdammte niederträchtige Boden, auf dem weder Grashalm noch Distel wächst!

»›Ich habe da einer deutschen Familie von drei Männern und fünf Weibern ein Stück Weiden- und Bottomland in Pacht gegeben und ihnen erlaubt, alles Land, was sie von diesem schmuzigen Dreckzeuge urbar machen könnten, für ihr eigen zu betrachten. Die Leute haben den Mist auf dem Rücken herausgetragen, aber weder Kartoffeln noch Rüben, weder Hafer noch Gerste ist nur irgend aufgeschossen. Das soll nun eine Dotation sein!‹

»Ich faßte in die Erde und fand sofort, daß es ein sehr feinkörniges Rasenerz sei, das hier auf einer großen Strecke zu Tage komme.

»Ich bin überzeugt, daß auch ganz in der Nähe Steinkohlen liegen müssen, und wenn nicht, so schadet das gar nicht, es sind Holzungen in Menge in der Nähe, und wie du vielleicht wissen wirst, ist Holzkohleneisen viel besser als Steinkohleneisen.«

Karl Haus verstand von dem allen sehr wenig oder nichts und sagte nur: »Das ist ja auch wieder ein Plan nur für einen Millionär oder für meine Enkel.«

»Nicht doch, ich kaufe dir von dem General nicht nur die unermeßlichen Eisensteinfelder nebst etwa 200 oder 300 Morgen Wald, aus dem wir später Holzkohlen machen wollen, wenn sich wohlfeilere Steinkohlen nicht finden, sondern ich kaufe dir auch die ganze Länderei an Wiesen, Tabacks- und Baumwollenland, die unsere Landsleute in Pachtung haben und ein gut Stück dazu, so ein 100 Acres im ganzen. Dem General ist an 1000 Dollars baar sehr gelegen, wie ich weiß, und die Pächter sind ganz specielle Landsleute, Hoyaer aus Kirnberg, dort fortgewandert. weil sie im Streite mit dem Obergestütmeister Claasing lebten, redliche Leute, die dir dein aufgewandtes Kapital nicht nur mit fünf Procent als Pachtgeld verzinsen, sondern dir, wenn du ihnen zehn Jahre Zeit läßt, noch 100 Morgen culturfähigen Landes umsonst urbar machen werden, während die Waldungen und Eisenerzfelder unangerührt dein eigen bleiben werden, bis die Zeit für uns gekommen ist. Du bekommst dein Kapital also verzinst.«

»Der Plan läßt sich eher hören«, erwiderte Karl, »ich weiß, daß du schon in Göttingen durch deine geologischen Kenntnisse ausgezeichnet warst, und glaube dir ohne weiteres. Dazu liegt es in der Natur, daß man Landsleuten gern hilft, und unser hoyaer Bauer ist, wenn auch etwas gedankenträge, doch arbeitsam und ehrlich – ich überlasse dir also den Ankauf und die Titelberichtigung, den Vertrag mit den Kirnbergern und was sonst dahin gehört.«

»Das wäre abgemacht«, sagte Justus. »Ich muß dir nur noch sagen, daß ich das Eisenerz chemisch untersucht und gefunden habe, daß es, eine Seltenheit bei Rasenerzen, beinahe gänzlich frei ist von Phosphorsäure, dagegen einen reichlichen Zusatz von Kalk hat, wodurch die Verhüttung erleichtert wird. Junge, was werde ich springen, wenn wir den ersten Hohofen anblasen! Und dann habe ich noch eine eigenthümliche Idee. – Ein Zeitungsredacteur, der zugleich großer Landbesitzer ist, der gar eine Gräfin heirathet, ist noch nie in Amerika dagewesen. Das wird unserer ›Oeffentlichen Meinung‹, so heißt das Blatt, wie du weißt, einen Anstrich geben, ein Renommée, wie wir es nicht besser wünschen.«

»Du berührst da einen schmerzlichen Punkt, lieber Justus. Eine Gräfin heirathen? Ja, aber wo ist sie? Warum ist Olga noch nicht hier? Warum hat sie nicht geschrieben? Sie versprach, wenn durch irgendwelche Umstände ihre Flucht aus Neapel oder vielmehr aus Sorrent vereitelt würde, an dich zu schreiben.«

»Aber Karl, wenn du die Zustände in Italien irgend mit Interesse verfolgt hast, so ist ja nichts erklärlicher. Ich habe noch heute in der › Times‹ vom 20. Juli, bei der Nachricht von der am 10. Juni erfolgten Abreise Nelson's von Palermo über Italien und Deutschland nach England, einen Rückblick über die dortigen Ereignisse gelesen. Der neuen Coalition, die England gegen Frankreich heraufbeschworen, war das Directorium nicht mächtig, das Glück war bei der Coalition. Jourdan wurde vom Erzherzog Karl von der Donau an den Rhein zurückgeworfen, General Kray trieb Scherer von der Etsch an den Mincio, vom Mincio an die Adda, wo Suworow mit Melas vereint die französische Armee vernichtet hätte, wäre durch Moreau's Genie ihr nicht ein Rückzug bereitet.

»Diese Lage der Dinge nöthigte die Franzosen, ihre 28000 Mann, welche Neapel und das römische Gebiet besetzt hielten, nach Norditalien zusammenzuziehen. Die Parthenopeische Republik, auf sich selbst angewiesen, konnte dem Andringen des fanatisirten Landvolks unter Cardinal Ruffo, der Lazzaroni und der unzähligen Pfaffenbrut im Innern der Stadt nicht widerstehen. Man capitulirte,. nachdem am 18. Juni nur noch das Fort San-Elmo und das Ei-Fort in den Händen einer schwachen französischen Besatzung war, während die Calabresen schon auf dem Kai Chiaja lagerten.

»Die am 22. Juni vom den Cavaliere Massa namens der Parthenopeischen Republik und Frankreichs, namens des Königs von Neapel durch Cardinal Ruffo und Cavaliere Miferoux, wie im Namen Rußlands und der Pforte als Mitkriegführender abgeschlossene Convention sicherte den Franzosen wie den Anhängern der Parthenopeischen Republik Sicherheit. Danach sollten alle zur Besatzung des Castello dell' Uovo und des Ei-Fort gehörenden Truppen und Personen in Kriegsehren abziehen und nach Toulon geschafft werden. Die Personen und das Eigenthum der Neapolitaner sollten geschont werden, man sollte niemand in Neapel wegen seines Verhaltens seit der Abreise der königlichen Familie beunruhigen.

»Als Garantie für die Erfüllung der Capitulation sollten der Erzbischof von Salerno und andere Personen von Ansehen als Geiseln im Castell San-Elmo festgehalten werden.

»Diese günstigen Bedingungen waren durch die Anwesenheit einer französischen Flotte von fünfundzwanzig Linienschiffen im Mittelmeere unter dem Admiral Bruix gewährleistet, auch von dem englischen Kapitän der Seahorse, Foote, unterzeichnet.

»Schon waren die Geiseln ausgewechselt, auf den republikanischen Forts wie auf der Fregatte Seahorse die Parlamentärflaggen aufgesteckt, als Nelson mit seiner Flotte erschien. Er wollte, durch Lady Emma aufgehetzt, die ›infame‹ Capitulation nicht anerkennen. Vergebens war alles, was Ruffo und Foote Nelson vorstellten. Der schmählichste Treubruch erfolgte, die Erhängung des siebzigjährigen Greises Fürsten Caracciolo am Maste der Fregatte Minerva war das Zeichen zu den grauenvollsten Schlächtereien im Namen der Legitimität und der Religion, welchen die Weltgeschichte kennt, man zählte 30000 Hingerichtete und Gemordete.

»Wie konnte unter solchen Umständen Olga ihre Flucht bewerkstelligen? Seitdem Bruix der Wachsamkeit des Lords Bridport entschlüpft war und die Meerenge von Gibraltar durchsegelt hatte, durfte sich kein amerikanisches Kauffahrteischiff mehr in das Mittelländische Meer wagen, wie sollte man da nach Amerika kommen?«

»Aber«, erwiderte Karl, »daß ich auch von meinem Freunde, dem ich die Beschützung meiner Geliebten, meiner Gattin vor Gott anvertraut, keinen Brief, keinerlei Nachricht erhielt, der doch durch englische Kriegsschiffe über London hierher berichten konnte, oder solange die Franzosen sich noch im Besitze Neapels und Roms befanden, über Paris, das vermehrt meine Angst!«

»Angst und Furcht helfen zu nichts; geschehene Dinge können sie nicht rückgängig machen, bevorstehende nur zum Schlechten ändern«, sagte Justus, »kommen wir auf unser Thema zurück. Den dritten Theil deines Geldes mußt du bis zu Olga's Ankunft aufbewahren, um sie ihren Wünschen gemäß einrichten zu können. Vielleicht wünscht sie nicht, in dieser eintönigen Quäkerstadt zu wohnen, sondern sehnt sich nach einer Villa draußen. Du kannst das Geld bei der Bank oder auch in unserm Geschäfte deponiren, gegen Sicherheit und Zinsen.

»Nun Gute Nacht vorläufig und bis deine Braut kommt, behältst du in meinem Hause deine Wohnung, und wenn du hier vollkommen eingerichtet bist, geht es an die Arbeit, ich reise schon in den nächsten Tagen nach Pittsburg, um dich zum Land- und Eisenerzbesitzer zu machen.«

Nach wenigen Tagen trug »Die öffentliche Meinung« den Namen des neuen Redacteurs, des Dr. Karl Haus, an der Spitze. Ein Programm hatte Karl schon auf der Reise ausgearbeitet und hier nach Durchsprechung mit Bollmann amerikanisch zugespitzt. Er hatte die einfachen und klaren Grundsätze und Grundgesetze des »Föderalisten« von Hamilton auf der Reise vielfach durchdacht und sich zu eigen gemacht, hatte sich eine Menge Bemerkungen notirt, sodaß er glaubte, es werde ihm an Stoff zu Leitartikeln nicht fehlen. Aber Karl Haus hatte außer seiner Doctordissertation noch nichts drucken lassen, er wußte gar nicht, daß eine Zeitung in einem Tage mehr Manuscript wegfrißt, als sein Schreiber in Heustedt in acht Tagen abgeschrieben hatte. Obgleich ihm ein Unterredacteur zur Seite stand, nahmen seine Redactionsarbeiten ihm doch den größten Theil des Tages weg; ja er mußte nächtliche Stunden zu Hülfe nehmen. Alle politischen, staatswissenschaftlichen wie nationalwirthschaftlichen Hefte aus Göttingen, von Schlözer, Spittler u. a., hatte er sich schon von Heustedt aus im voraus nach Amerika senden lassen und studirte sie fleißig; aber da war wenig oder nichts, was für diese neuen Zustände einer großen Republik paßte.

Er fühlte sehr bald, daß ihm, trotz des reichen Lebens um ihn her, der Stoff ausgehe.

Dazu war Haus an eigentliches Arbeiten nicht gewohnt; in Heustedt, als Advocat, hatte es ihm an Beschäftigung gefehlt, und als Privatsecretär des Grafen Münster hatte er eine irgend anstrengende Arbeit nie gehabt. Er hatte jenes Bummelleben der Vornehmen geführt und, seitdem er Olga wiedergefunden, auch die Pflichtarbeiten flüchtig von der Hand geschlagen. In Neapel, wo eigentlich niemand arbeitet außer Schiffern und Fischern und einigen Handwerkern, ging das, in Philadelphia aber wollten die Nordamerikaner von dem neuen Redacteur der »Oeffentlichen Meinung«, dem Deutschmann und Doctor, von dem Bollmann und Genossen so viel Aufhebens gemacht hatten, wenn nicht täglich einen, doch wöchentlich wenigstens vier Leitartikel haben. Aber nicht das allein; der ruhige docirende Professorenton Karl's sagte niemand in seiner Partei zu. Bollmann, Justus natürlich, predigte täglich: »Du mußt dir einen andern Stil angewöhnen, lebendiger, kräftiger, mit kurzen Sätzen, du mußt mit Keulen dreinschlagen auf die Republikaner. Denke dich in die Stelle des Mannes im ›Jahrmarkte zu Plundersweilern‹. Als Redacteur hast du sie! Schreib gleich für morgen einen Artikel, für den ich dir den Stoff geben will, mit der Ueberschrift: ›Lumpen und Quark der ganze Markt.‹

»Sage ganz einfach: da sitzt er, der scheinheilige Schurke und thut, als ob er kein Wasser trübe, da sitzt er in – (man wird schon verstehen, daß du keinen andern meinst als Thomas Jefferson), und doch brüte er nun Tag und Nacht, wie er die Institutionen, die Washington ins Leben geführt, die Hamilton ausgedacht, die nach unsäglichen Hindernissen von den freien Staaten als Recht anerkannt sind, die Adams mit Beharrlichkeit und Pflichttreue seit dem 4. März 1797 geschützt und gewahrt hat, vernichten will. Er geht auf Raub aus. Die elenden Republikaner wollen den Staat ausbeuten, sie gieren nach dem, was ihnen Manna in der Wüste ist, sie wollen die Stellen der Föderalisten u. s. w.«

Es wollte dem Neuling, der solchen Ton nicht kannte, nicht gelingen, ihn anzuschlagen, und der Freund sprang ihm aushülflich bei, schrieb selbst unter seinem Namen einige Leitartikel, die den allgemeinsten Beifall fanden.

Je mehr das Jahr sich dem Ende zuneigte und je näher der Zeitpunkt der Präsidentenwahl kam, desto erbitterter wurde die Stimmung unter den entgegengesetzten Parteien.

Die republikanischen Blätter (man darf aber nicht an die Partei denken, die sich heute Republikaner nennt und die gerade der Gegensatz von dem sind, was man damals Republikaner nannte) wiederholten in allen Variationen das von Jefferson aus Monticelle angegebene Thema. »Die Föderalisten«, sagten sie, »hängen an europäischen Lehren und Bräuchen. Sie glauben, das Volk könne nur durch Gewalt und allerlei Künste des Luges und Truges in Ordnung gehalten werden. Sie streben nach stehenden Heeren und Flotten. Sie wollen durch die Gewalt, durch Aberglauben, durch Beschränktheiten und Beschränkungen die Menge im Zaume halten.

»Wir haben Vertrauen zum Volke. Wir sagen, der Mensch ist ein vernünftiges Wesen, welches allein durch das angeborene Gefühl für Recht und höhere Sittlichkeit regiert werden soll. Deshalb muß die Macht der gewählten Beamten, zu oberst des Präsidenten selbst, sehr beschränkt werden und immer dem Willen der Mehrheit unterworfen bleiben. Wir sind der Ansicht, es bedürfe nur der schrankenlosen Ausbildung unserer angeborenen Kräfte und Fähigkeiten, um ordnungsliebende und, soweit dies unser Los, selbst glückliche Menschen zu erziehen.«

Durch diese sich immer mehr erhitzenden Gegensätze bekam der neue Redacteur nach und nach wieder Stoff zu Leitartikeln, er fand mit scharfer Logik die Trugschlüsse der Gegner, er wies aus der Geschichte, aus dem Beispiele der griechischen Republiken nach, daß bei der Mehrheit nicht nothwendig der Verstand und das höchste sittliche Gefühl für das Recht sitze, daß Egoismus und bestochene Dummheit viel häufiger die Mehrheiten geleitet haben als Patriotismus und Rechtsgefühl. Mit Einem Worte, Karl wurde nach und nach warm, die Parteileidenschaft ergriff ihn, und er konnte Artikel schreiben, die wiederum das Volk packten. Die »Oeffentliche Meinung« wurde ein von den Gegnern gefürchtetes Organ, dessen Abonnentenzahl sich täglich mehrte. Karl erhielt von den Führern seiner Partei Danksagungsschreiben und Lobeserhebungen, Justus selbst und seine Frau ermunterten ihn täglich, in diesem Sinne fortzufahren. Die Wogen der Leidenschaft und gegenseitigen Feindschaft schlugen immer höher, je mehr man dem Februar des Jahres 1801 näher kam. Alle Mittel wurden in Bewegung gesetzt, alles war den Parteien erlaubt.

Karl, der unter den Brüdern entgegengesetzter Parteien, zwischen Justus und Heinrich Ludwig Bollmann, vielfach vermittelt hatte, wenn nicht in politischen, doch in geschäftlichen Differenzen, hatte sich den Einladungen des letztern nicht entziehen können. Ludwig's Frau, die Virginierin Kleopatra Während Justus Erich Bollmann nach dem Bilde, das Varnhagen von Ense von ihm entwirft, nach den von demselben veröffentlichten Briefen und nach den im Besitze des Verfassers befindlichen ungedruckten Briefen geschildert, auch der Bruder demgemäß aufgefaßt wurde, ist die Cleopatra dichterische Phantasie, um den Gegensatz, der in der politischen Anschauung der Brüder herrschte, noch mehr hervorzuheben , hatte Karl namentlich zu ihren Damencirkeln und Bällen eingeladen und mit ihm zu kokettiren angefangen. Sie sagte ganz offen, sie wolle ihn den infamen Föderalisten abwendig machen, ihn zähmen, ihn trösten, ihn lieben. Karl hatte das mehr als Scherz aufgenommen und die Warnung Justus', das Haus seines Bruders nicht zu oft zu besuchen, in den Wind geschlagen. Kleopatra hatte ihm auf eine feine Art und Weise die föderalistischen Unarten, Grobheiten und Derbheiten, die seine Leser entzückten, abzugewöhnen gesucht, als nicht aristokratische, nicht gentlemanlike, und es war ihr gelungen.

Karl fing an, sich des rohen Tones, den er angeschlagen, zu schämen, er hatte wieder den alten anständigen Ton angenommen, den er von Deutschland her und von der Gesellschaft, mit der er bis dahin umgegangen, gewohnt war.

Da fiel der »Philadelphia-Republikaner«, das Hauptblatt der Gegner, mit schonungslosem Witz über ihn als den deutschen Professor Simson her, dem Kleopatra-Delila die Haare beschneide. Der Artikel streifte in der That an Gemeinheit und stellte Kleopatra in einer Weise bloß, die in Europa von ihrem Manne mit Blut hätte gerächt werden müssen, zu der dieser aber lachte.

Was Karl dagegen über alle maßen empörte, war, daß man seine Geliebte, die Gräfin, von deren Dasein der Artikelschreiber irgend Halbes gehört haben mußte, in den Artikel hineingezogen hatte und sie als Freundin und Buhlgenossin der Lady Emma Hamilton, die damals in Europa wie Amerika wegen der neapolitanischen Metzeleien einstimmig verdammt wurde, darstellte.

Die »Oeffentliche Meinung« spie seit diesem Augenblicke Feuer und Schwefel, Gift und Galle auf die Republikaner.


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